Strategien und Handlungsmotive der Regierungen von Deutschland und Frankreich im Entstehungsprozess der 'Römischen Verträge'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

26 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Von Paris nach Rom: Der Entstehungsprozess von EWG und Euratom
1.1. Die europäische „relance“
1.2. Der Spaak-Ausschuss und die Regierungsverhandlungen
1.3. Die „Römischen Verträge“: Inhalt und Bedeutung

2. Das „Römische Junktim“: Strategien und Handlungsmotive von Deutschland und Frankreich
2.1. Interessenlage und Positionierung
2.1.1. Frankreich
2.1.2. Deutschland
2.2. Deutsche und französische Interessen in Verhandlungsprozess und Verhandlungsergebnis

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die Unterzeichnung des Euratom-Vertrages und des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), genannt „Römischen Verträge“, am 25. März 1957 in Rom gilt als die Geburtsstunde der späteren Europäischen Union. Während der Euratom-Vertrag an das der 1951 geschaffenen Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zu Grunde liegende Konzept der „sektoralen Integration“ in einem spezifischen Wirtschaftsbereich anknüpfte, erwies sich der EWG-Vertrag mit dem Ziel der Herstellung eines gemeinsamen Marktes als der eigentlich richtungweisende Vertrag für die Fortentwicklung der europäischen Einigung. Der Dualismus zweier Integrationsvorstellungen, der sich an den „Römischen Verträgen“ ablesen lässt, prägte bereits den Entstehungsprozess des Vertragswerks. Der „Methode Monnet“, also einer Addition von Teilintegrationen in verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen, stand die Idee einer gesamtwirtschaftlichen „horizontalen Integration“ gegenüber.

Die Initiative zu dem Prozess, der in den „Römischen Verträgen“ münden sollte, war von den Benelux-Staaten und den europäischen Institutionen der EGKS ausgegangen. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Integrationsvorschläge war allerdings die Haltung der beiden bedeutendsten Länder der Sechser-Gemeinschaft, Deutschland und Frankreich, die jeweils für eine der beiden konkurrierenden Integrationsvorstellungen standen. Während Deutschland das Konzept der „horizontalen Integration“ favorisierte, neigte Frankreich zur „Methode Monnet“.

Ziel dieser Hausarbeit ist es nun, den Entstehungsprozess der Römischen Verträge unter besonderer Berücksichtigung der Strategien und Handlungsmotive der Regierungen von Deutschland und Frankreich zu untersuchen. In einem ersten Teil soll zunächst ein Überblick über den Entstehungsprozess der „Römischen Verträge“ ausgehend vom Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft 1954 gegeben sowie der Inhalt des Vertragswerks kurz dargestellt werden. Darauf aufbauend wird im zweiten Teil das deutsch-französische Spannungsverhältnis beleuchtet. Leitfrage der Arbeit ist dabei, inwiefern die die Verhandlungen zu den „Römischen Verträgen“ und das dabei entstandene Vertragswerk Ausdruck deutsch-französischer Interessengegensätze sind.

Diese Hausarbeit erhebt keinen Anspruch auf Überprüfung einer bestimmten Theorie, die den europäischen Einigungsprozess beschreibt. Ihr liegen aber gewisse Analysekonzepte zugrunde, die in dem weiten Feld der Integrationstheorien zu verorten sind und die die vorliegende politisch-historische Analyse fundieren. Eine passende theoretische Grundlage bietet dabei der liberale Intergouvernementalismus von Moravcsiks, dessen Kernargument es ist, dass die EU-Integration am besten als eine Serie rationaler Wahlhandlungen nationaler Staats- und Regierungschefs zu sehen ist. Die Regierungen gehen dabei mit bestimmten Präferenzen in die Verhandlungen, die exogen sind, daher nicht durch internationale Organisationen oder Verhandlungen gebildet oder beeinflusst werden. Inwiefern die Staaten bei Integrationsverhandlungen, die bei Moravcsiks immer als zwischenstaatliche Verhandlungen zu verstehen sind, ihre Präferenzen durchsetzen, das hängt von der jeweiligen Verhandlungsmacht der Staaten ab.[1]

Die Quellenlage zu dem in dieser Hausarbeit bearbeiteten Themenfeld ist gut. Die politisch-historische Entwicklung des europäischen Einigungsprozess ist sehr gut aufgearbeitet.[2]Auch zu den Römischen Verträgen als zentrales Ereignis in der Frühphase der europäischen Integration sind zahlreichen Publikationen erschienen, die sowohl in Sammelbänden und Überblickswerken zur Geschichte der Europäischen Einigung zu finden sind als auch als eigenständige Etappe des Einigungsprozesses in Buchform aufgearbeitet wurden. Darüber hinaus bieten die Memoiren der an der Entstehung der „Römischen Verträge“ beteiligten Personen einen aufschlussreichen Fundus an Informationen, insbesondere jene des damaligen belgischen Außenministers und Vorsitzenden des Arbeitsausschusses sowie der Regierungsverhandlungen, Paul-Henri Spaak.[3]

1. Von Paris nach Rom: Der Entstehungsprozess von EWG und Euratom

Der 30. August 1954 ist ein geeignetes Datum, um eine Darstellung der Entstehung der „Römischen Verträge“ zu beginnen: An diesem Tag lehnte die französische Nationalversammlung in Paris die Pläne zur Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) ab. Damit scheiterte ebenfalls das an die EVG geknüpfte ehrgeizige Projekt der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) mit seinem bereits ausgearbeiteten europäischen Verfassungsentwurf. Das französische Parlament hatte also einen vorläufigen Schlussstrich unter weitergehende europäische Einigungsbemühungen gezogen.

Die Entstehung der „Römischen Verträge“ fiel damit in eine Zeit, in der der noch junge europäische Integrationsprozess eine schwerwiegende Krise erlebte. Dass trotz dieses schweren Rückschlags nur knapp drei Jahre später die historische Weichenstellung der „Römischen Verträge“ gelang, erklärt der Historiker Franz Knipping in seinem Buch „Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas“ mit der Entschlossenheit einer kleinen Zahl von Politikern, die Integration voranzubringen, sowie mit günstigen Umständen im Vorfeld der Verträge.[4]In diesem ersten Teil der Hausarbeit soll der Weg von Paris nach Rom, vom Scheitern der EVG bis zur Unterzeichnung der „Römischen Verträge“ untersucht und die Kernpunkte des Vertragswerks aufgezeigt werden. Damit wird der historisch-politische Kontext für die im zweiten Teil dieser Arbeit vorzunehmende Analyse des deutsch-französischen Spannungsverhältnisses hergestellt.

1.1. Die europäische „relance“

Nach dem Scheitern der Pläne zur EVG und EPG wurden die unterschiedlichen Aspekte einer umfassenderen politischen Union einzeln und auf kleinerem Wege angegangen. So trat beispielsweise sicherheitspolitisch an die Stelle der EVG die Erweiterung des Brüsseler Paktes zu Westeuropäischen Union mit der Sechser-Gemeinschaft und Großbritannien als Mitgliedern. Im wirtschaftlichen Bereich orientierte man sich zunächst weiter am Konzept der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Der Aufbruch, dierelance européenne, ging dabei wieder einmal von Jean Monnet aus, der zu jener Zeit Präsident der Hohen Behörde der EGKS war. Die Hohe Behörde wurde zur wichtigsten Ideenschmiede und produzierte zwischen Dezember 1954 und April 1955 über 50 Entwürfe für einen europäischen Neubeginn. Auch das Parlament der Montanunion sprach sich mehrfach dafür aus, die europäische Integration fortzusetzen und den Wirkungsbereich der Gemeinschaft zu erweitern. Um sich ganz der Wiederbelebung des europäischen Projekts widmen zu können, kündigte Monnet sogar an, seine auslaufende Präsidentschaft der Hohen Behörde nicht verlängern zu lassen.[5]Monnets zentrale Idee war es, die Kompetenz der Hohen Behörde auf das Verkehrswesen und auf andere Bereiche der Energieversorgung, vornehmlich die Atomenergie[6], auszudehnen. Dies bedeutete eine Fortsetzung der sektoralen Integrationslogik, also die „Integration klar definierter, begrenzter und weniger umstrittener Gegenstandsbereiche, die sich in nicht zu ferner Zukunft zu dem ganzen integrierten Europa zusammenfügen würden.“[7]

Monnet fand im belgischen Außenminister Paul-Henri Spaak einen Verbündeten, der seinen Ideen in den politischen Prozess einbringen konnte. Spaak schrieb am 2. April 1955 einen Brief an die anderen Außenminister der Montanunion-Staaten. Er schlug die Einberufung einer Konferenz vor, um ein weiteres Vorgehen hinsichtlich des europäischen Integrationsprozesses zu beraten, und lancierte die Vorstellungen Monnets zur Kompetenzerweiterung der Montanunion. Neben zurückhaltenden Reaktionen der Regierungen von Deutschland, Frankreich und Italien zeigten die Niederlande ein großes Interesse an einer Wiederbelebung des Integrationsprozesses.[8]Der niederländische Außenminister Johan Willem Beyen legte dabei jedoch ein eigenständiges Konzept vor, das sich von den Vorstellungen Monnets deutlich unterschied. Beyen sprach sich für die Schaffung eines gemeinsamen Marktes mit einer Zollunion als Kern aus, um damit „die Methode der additiven Teilintegrationen durch eine horizontale Integration der europäischen Gesamtwirtschaft unter einer gemeinsamen Lenkungsbehörde zu ersetzen.“[9]Beyen gewann Belgien und Luxemburg für seine Idee, die den wirtschaftlichen Interessen der drei kleinen Montanunion-Staaten allgemein entgegen kam. So verfassten die Benelux-Länder am 20. Mai ein gemeinsames Memorandum, in dem sie die Schaffung einer einem supranationalen Parlament gegenüber verantwortlichen Wirtschaftsgemeinschaft anregten. Damit waren die beiden konkurrierenden Integrationsvorstellungen, die den Verhandlungsprozess zu den „Römischen Verträgen“ bestimmen sollten, in die politische Arena eingebracht.

Auch gegenüber dem Vorstoß der Benelux-Länder reagierten die drei großen Staaten Frankreich, Deutschland und Italien verhalten. Die deutsche Bundesregierung war in der Frage, welcher Weg für die zukünftige europäische Integration zu wählen sei, gespalten, wenngleich Adenauer die Linie Beyens grundsätzlich unterstützte. Paris stand einem Gemeinsamen Markt ablehnend gegenüber. Die Idee einer europäischen Atomgemeinschaft wurde dagegen in Frankreich positiver aufgenommen als in der Bundesrepublik.[10]

Vom 1. bis zum 3. Juni 1955 wurde im italienischen Messina eine Außenministerkonferenz einberufen, dessen Ziel es war, einen Nachfolger für den scheidenden Präsidenten der Hohen Behörde, Jean Monnet, zu ernennen, und die sich ebenfalls mit den neuen europapolitischen Optionen befasste. Die Erwartungen an die Konferenz waren nach dem Scheitern der EVG allerdings eher niedrig, so dass der deutsche Bundeskanzler Adenauer, der zugleich Außenminister war, erst gar nicht teilnahm und sich von Staatssekretär Walter Hallstein vertreten ließ. Während sich die Teilnehmer der Konferenz unter Leitung des Luxemburgischen Premierministers Joseph Bech schnell auf den ehemaligen französischen Ministerpräsidenten René Mayer als Nachfolger Monnets einigten, verliefen die Verhandlungen zur Zukunft des europäischen Integrationsprojektes schleppend, wobei sich vor allem die französische Regierung widersetzte. Erst in einer nächtlichen Krisensitzung konnte der belgische Außenminister Spaak seinen französischen Kollegen Pinay die Zustimmung zu einer gemeinsamen Erklärung abringen.[11]In der Resolution von Messina bekannten sich die Staaten zu einer neuen Phase der europäischen Integration, die zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet stattfinden sollte. Dabei wurde sowohl die Idee der sektoralen Integration in den Bereichen Verkehr und Atomenergie als auch die Möglichkeit eines gemeinsamen Marktes in den Text aufgenommen. Eine genauere Ausarbeitung sollte durch einen Ausschuss von Regierungsdelegierten und Sachverständigen erfolgen, zu dessen Leiter einige Tage nach der Messina-Konferenz Paul-Henri Spaak bestimmt wurde.

[...]


[1]Vgl. Holzinger, Katharina u.a.: Die Europäische Union. Theorien und Analysekonzepte. Paderborn 2005, S. 27ff.

[2]Für einen Überblick des europäischen Integrationsprozess siehe u.a. Brunn, Gerhard: Die europäische Einigung von 1945 bis heute. Bonn 2004; Gillingham, John: European Integration 1950-2003. Superstate or New Market Economy? Cambridge 2003; Groeben, Hans von der: Deutschland und Europa in einem unruhigen Jahrhundert: Erlebnisse und Betrachtungen. Baden-Baden 1995.

[3]Spaak, Paul-Henri: Memoiren eines Europäers. Hamburg 1969.

[4]Knipping, Frank: Rom, 25. März 1957. Die Einigung Europas. München 2004, S. 81f.

[5]Vgl. Knipping, a.a.O., S. 82.

[6]Nach der Freigabe des Atomgeheimnisses durch die Regierung der Vereinigten Staaten im Dezember 1953 richtete man große Erwartungen an die Atomenergie, um den steigenden Energiebedarf Europas zu decken. Diese Erwartungen sorgten in den 50er Jahren für eine regelrechte „Atomeuphorie“.

[7]Brunn, a.a.O., S. 101.

[8]Vgl. Knipping, S. 84.

[9]Ibid, S. 85.

[10]Eine tiefer gehende Betrachtung der Positionen Deutschlands und Frankreichs findet im zweiten Teil der Hausarbeit statt.

[11]Vgl. Spaak, a.a.O., S. 302ff.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Strategien und Handlungsmotive der Regierungen von Deutschland und Frankreich im Entstehungsprozess der 'Römischen Verträge'
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Geschwister-Scholl-Institut)
Veranstaltung
Strategien der Einigung Europas
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
26
Katalognummer
V54670
ISBN (eBook)
9783638498159
ISBN (Buch)
9783656795537
Dateigröße
606 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit analysiert den Entstehungsprozess der Römischen Verträge unter besonderer Berücksichtigung der Strategien und Handlungsmotive der Regierungen von Deutschland und Frankreich. Leitfrage ist dabei, inwiefern das Verhandlungsergebnis Ausdruck deutsch-französischer Interessengegensätze ist.
Schlagworte
Strategien, Handlungsmotive, Regierungen, Deutschland, Frankreich, Entstehungsprozess, Römischen, Verträge, Strategien, Einigung, Europas
Arbeit zitieren
Gregor Waschinski (Autor:in), 2005, Strategien und Handlungsmotive der Regierungen von Deutschland und Frankreich im Entstehungsprozess der 'Römischen Verträge', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54670

Kommentare

  • Gast am 23.6.2006

    KLASSE Arbeit!.

    Toll gemacht Bruderherz! Mehr brauch ich nicht sagen, sind alle stolz auf dich!

    Hagen

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