Liebe als Kommunikationsproblem


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Anforderungen der funktional differenzierten Gesellschaft
2.1 Romantische Liebe als Reaktion auf die funktionale Differenzierung
2.2 Die Kommunikation von Einzigartigkeit – Das Problem der Aufrichtigkeit

3. Die Herstellung von Aufrichtigkeit
3.1 Das Gefühl
3.2 Nonverbale Kommunikation

4. Formvorlagen für den Code der Liebe
4.1 Romane vs. Ratgeberliteratur
4.2 Die Strategie der Opakisierung
4.3 Weitere Quellen für Formvorlagen

5. Resümee

Literatur

1. Einleitung

Das Konzept der Liebe besagt, dass zwei Personen füreinander da sind, wobei dieses „füreinander“ nicht nur den jeweils anderen Liebespartner einschließt, sondern auch alle anderen Menschen ausschließt. Diese exklusive Zuwendung zum jeweiligen Liebespartner ist – so einfach sie auf den ersten Blick erscheinen mag – tatsächlich hochkomplex. Zwischen zwei Liebenden spielen sich ständig Kommunikationsprozesse ab, die für Liebessituationen typisch sind und so nur im Kontext der Liebe stattfinden. Letztendlich dienen sie dem Zweck, sich einander der Liebe, die man füreinander empfindet, zu versichern. Doch was genau wird dabei in der Liebeskommunikation kommuniziert – oder, aus einer etwas anderen Richtung betrachtet: Wie vermittelt man dem Partner dessen Bedeutung für einen selbst? Es geht also darum, wie sich Liebe kommunizieren lässt. Das Problem, auf das man beim Versuch, dem anderen aufrichtig seine Liebe zu ihm bzw. ihr vermitteln zu wollen, unweigerlich stößt, ist das der Inkommunikabilität (vgl. Luhmann 1994, 153ff). Um dabei die „Unmöglichkeit der Aufrichtigkeit“ (ebd., 154) zu umgehen, haben sich in der Liebeskommunikation ganz bestimmte Formen entwickelt, nach denen diese immer wieder abläuft.

Im Folgenden soll – nach einer kurzen, an Peter Fuchs orientierten Darstellung der Funktion, die die Liebe in der modernen Gesellschaft erfüllt – auf die Probleme verwiesen werden, die in der Liebeskommunikation auftreten und dargelegt werden, welche Strategien sich zu ihrer Lösung herausgebildet haben. Dabei wird die Literatur als Quelle von Formvorlagen für im Alltag stattfindende Liebeskommunikationen aufgezeigt und dargestellt, warum gerade die in Romanen beschriebenen Kommunikations- und Verhaltensweisen als Vorbild für reale Liebeskommunikation dienen. Zudem soll kurz die Frage danach behandelt werden, welche weiteren Quellen für Formvorlagen heute neben der Literatur existieren.

2. Anforderungen der funktional differenzierten Gesellschaft

Der Übergang von der stratifikatorischen zur funktionalen Differenzierung der Gesellschaft hatte für den einzelnen sozialen Akteur beachtliche Konsequenzen. In der heutigen, in unzählige Teilsysteme zerfallenen Gesellschaft, die von keinem übergeordneten Supersystem regiert wird (vgl. Fuchs 1999, 22; Schwanitz 1993, 102), findet sich keine Person mehr an einem festen, ihr eigenen Platz wieder. War zu Zeiten der stratifikatorischen Differenzierung noch jedem Einzelnen ein fester Platz im Gesellschaftsgefüge zugewiesen, welches in Schichten unterteilt war, die dem Individuum keinen großen Spielraum für soziale Mobilität ließen, so muss der Mensch heute als „sozial ortlos vorausgesetzt werden“ (Luhmann 1994, 16). Die Polykontexturalität der modernen Gesellschaft hat zur Folge, dass jeder in zahlreichen unterschiedlichen Kontexten relevant wird, im Gegensatz etwa zu den Verhältnissen im Mittelalter, wo jeder einen eindeutigen Platz hatte: Wer Bauer war, konnte nicht gleichzeitig der Adelsschicht angehören und abends am Hof des Königs speisen. Heute jedoch ist die Zugehörigkeit zu verschiedenen gesellschaftlichen Subsystemen selbstverständlich[1] ; eine Person gehört z.B. gleichzeitig unterschiedlichen Organisationen an, ist Mitglied in Vereinen und Clubs, ist sowohl Vater als auch Abteilungsleiter und vereint so mehrere Rollen auf sich.

2.1 Romantische Liebe als Reaktion auf die funktionale Differenzierung

Der Gedanke der Polykontexturalität der funktional differenzierten Gesellschaft liegt auch den Überlegungen von Peter Fuchs zugrunde. Aus der These, dass die „moderne Gesellschaft (…) keine Einheit in sich hat außer der bloßen Operation der Kommunikation“ (Fuchs 1999, 23), kann ihm zufolge geschlossen werden, „dass das Bewusstsein, das mit solchen Verhältnissen zu tun bekommt, ebenfalls uneinheitlich sein müsste“ (ebd., Hervorhebung im Original). Fuchs beschreibt nicht nur die hier bereits angesprochene Unmöglichkeit, das Individuum an einem bestimmten Ort der Gesellschaft festzumachen; ihm geht es in erster Line um die Konsequenzen dieser Tatsache für den einzelnen Menschen an sich. Aus dessen Perspektive gestaltet sich die Welt als uneinheitlich. Das eigene Subjekt ist in zahlreichen unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten bzw. Systemen relevant. Weil es also die Gesellschaft nicht als einheitlich wahrnehmen kann, vermag es auch sich selbst nicht als Einheit zu fassen. Egal, welchem der unterschiedlichen Teilaspekte, in denen das Individuum jeweils in die Gesellschaft (teil)inkludiert ist, es sich zuwendet – es erfährt sich niemals als ganzes, nimmt sich selbst nicht in seiner Ganzheit wahr. Die funktionale Differenzierung bringt also den „Verlust der EINS“ (sic!; ebd.) mit sich, zu der sich früher sowohl die Gesellschaft als auch das einzelne Individuum verrechnen ließen. Niklas Luhmann spricht in diesem Zusammenhang die „Differenz von unpersönlichen und persönlichen Beziehungen“ (Luhmann 1994, 193) an, die in der funktional differenzierten Gesellschaft herrscht – von den zahlreichen Beziehungen, die ein Individuum heute unterhält, sind die meisten unpersönlicher Art und dienen einem bestimmten Zweck; in ihnen kann es kaum über sich selbst kommunizieren (vgl. ebd.).

Für das Individuum ist die unmittelbare Folge aus all dem zunächst einmal ein Verlust seiner Identität in dem Sinne, dass diese nun nicht mehr gesellschaftlich vorgegeben ist. Sobald der Mensch nicht mehr durch seine Zugehörigkeit zur Gesellschaft automatisch weiß, wo er hingehört und was er zu tun und zu sein hat, beginnt er, nach neuen Identifikationspunkten zu suchen. Die Aufgabe der Herstellung von Ganzheit im Individuum kann nicht mehr von der Gesellschaft an sich erfüllt werden (die ja auch kein Ganzes mehr ist), so dass sie von verschiedenen Instanzen in ihr übernommen werden muss. Peter Fuchs zufolge handelt es sich dabei um „Sozialformen (…), in denen es um die Einheit des Bewusstseins geht“ (1999, 24). Dazu können – zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Kulturen – Freundschaften und Organisationen verschiedener Art gehören, von besonderer Bedeutung ist aber ganz sicher die Idee der romantischen Liebe, bei der es darum geht, „dass (zwei) Menschen füreinander exklusiv da sind und unter Einrechnung alles dessen, was der Andere an seiner Stelle ist“ (ebd.). Diese Sozialform tritt genau in dem Moment auf, in dem die „Komplettheit [des Individuums] durch die Differenzierungsform der Gesellschaft außer Kraft gesetzt wird“ (ebd.). Damit ist eine neue Sphäre geschaffen, in der der Mensch als ganze Person relevant und als solche wahrgenommen wird und umgekehrt auch eine andere Person in ihrer Ganzheit wahrnehmen kann (und muss).[2]

2.2 Die Kommunikation von Einzigartigkeit – Das Problem der Aufrichtigkeit

Mit den Anforderungen, die die funktional differenzierte Gesellschaft an das Individuum stellt, ergeben sich für dieses neue Schwierigkeiten, die trotz der Tatsache bestehen, dass die Ganzheit der Person nun von Sozialformen wie der Liebe hergestellt wird. Tatsächlich haben nicht wenige Probleme gerade darin ihren Ursprung! Insbesondere die sich auf dem Feld der Liebe abspielende Kommunikation stellt das Individuum vor ein zunächst scheinbar unüberwindliches Hindernis. Wie wir oben gesehen haben, bleibt es in erster Linie der Liebe vorbehalten, Menschen sich in der Ganzheit ihres Wesens wieder finden zu lassen. Um diese „Komplettberücksichtigung“ (Fuchs 1999, 24) des einen Menschen durch den anderen zu ermöglichen, bedarf es allerdings auch ihrer Vermittlung: Man muss sich einander mitteilen, dass es in der eigenen Welt nichts Wichtigeres gibt als den jeweils Anderen und dass man diesen so wie er ist und mit allem, was sein Wesen ausmacht, liebt. Aber lässt sich das überhaupt kommunizieren?

Wie oben erläutert, ist in einer polykontexturalen Gesellschaft bereits die Darstellung der eigenen Person als Einheit nicht mehr ohne weiteres möglich. Interaktionen werden dadurch immer zu einem gewissen Grad unsicher und unkontrollierbar, da im Hintergrund einer gerade ablaufenden Interaktion ständig all die anderen Beziehungen schweben, in die die Interaktionspartner eingebunden sind. Somit wird es für den Menschen geradezu unmöglich, einer anderen Person klarzumachen, sie sei sein Ein und Alles. Eine solche Aussage kann für den Adressaten nicht glaubwürdig sein, da dieser ganz genau weiß, dass er eben nicht das „Ein und Alles“ seines Gegenübers sein kann; schließlich ist er nicht dessen alleiniger Lebensinhalt. Dies ist aufgrund der „hochkomplexen Umwelt mit ständig wechselnden Beziehungen“ (Luhmann 1994, 195), die jedem Einzelnen in der Gesellschaft gegeben ist, schlicht und einfach unmöglich.

[...]


[1] Dies soll nicht bedeuten, dass heute keinerlei Grenzen im Gesellschaftsgefüge – etwa zwischen Schichten – bestehen.

[2] Niklas Luhmann geht – vor dem Hintergrund seiner Theorie geschlossener Systeme, die die Intransparenz von Bewusstseinssystemen behauptet – davon aus, dass genau genommen „nie die Gesamtheit dessen, was konkret einen Einzelmenschen (…) ausmacht, für einen anderen zugänglich sein kann“ (1994, 14). Dies ist sicherlich richtig, steht aber insofern nicht im Widerspruch zu der von Peter Fuchs beschriebenen Komplettberücksichtigung einer anderen Person (vgl. Fuchs 1999, 24), als die Liebes- bzw. Intimbeziehung nach Luhmann dadurch gekennzeichnet ist, dass sie einen Systemtyp darstellt, „in dem es nicht erlaubt ist, Persönliches der Kommunikation zu entziehen“ (Luhmann 1994, 15). Damit findet Luhmann lediglich zu einer anderen Formulierung als Fuchs, meint jedoch denselben Sachverhalt. An anderer Stelle heißt es bei ihm im Zusammenhang mit der sich im Lauf der Zeit wandelnden Funktion der Ehe: „Man hat vermutet, dass in einer Gesellschaft, die jedem eine hochkomplexe Umwelt mit ständig wechselnden Beziehungen bietet, Ehen oder eheähnliche Beziehungen umso stärker intensiviert werden, da sie den Gegenhalt bieten können in wenigstens einer dauerhaften Beziehung für die ganze Person.“ (ebd., 195)

Allgemein geht es in der Liebe auch natürlich nicht um die Erfassung eines fremden Bewusstsein durch das eigene, sondern darum, was in der Kommunikation mit einem anderen Menschen möglich ist, was alles gesagt werden kann und was man demzufolge über den anderen erfährt.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Liebe als Kommunikationsproblem
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Hauptseminar: "Liebe. Zur Kommunikation von Inkommunikabilität."
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
16
Katalognummer
V54631
ISBN (eBook)
9783638497886
ISBN (Buch)
9783656785514
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Liebe, Kommunikationsproblem, Hauptseminar, Liebe, Kommunikation, Inkommunikabilität
Arbeit zitieren
Maximilian Schröter (Autor:in), 2006, Liebe als Kommunikationsproblem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54631

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Liebe als Kommunikationsproblem



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden