Die Einzelwortgeschichte des Wortes "starren"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Etymologie

3. Bedeutungen und ihr Wandel
3.1 Althochdeutsch
3.2 Mittelhochdeutsch
3.3 Frühneuhochdeutsch
3.4 Neuhochdeutsch

4. Gesamtbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Hausarbeit verfolgt das Ziel, eine lexikologische und lexikographische Einzelwortgeschichte des Verbs starren zu erstellen.

Dabei werden zunächst mit der Etymologie des Wortes die sprachhistorische Entstehung, die Verbindung zu anderen germanischen und indogermanischen Sprachen sowie sich daraus ergebende Bedeutungen dargelegt, um so einen ersten Überblick über die Entwicklung und Bedeutungsvielfalt von starren zu erhalten.

Im Anschluß daran wird semiasologisch untersucht, was starren sowohl hinsichtlich der Phonologie als auch der Semantik im Althochdeutschen kennzeichnet. Dem folgen chronologisch die Sprachperioden des Mittelhochdeutschen und des Frühneuhochdeutschen, endend beim Neuhochdeutschen. Dabei soll immer wieder auch von Bedeutung sein, wie das Wort starren in den Wörterbüchern verzeichnet ist, inwiefern gegebene Informationen der diversen Wörterbücher des jeweiligen Sprachzeitraumes übereinstimmen oder auch voneinander abweichen. In letzterem Fall soll dann auch die Frage im Zentrum stehen, worin die Ursachen für eventuelle qualitative und quantitative Abweichungen liegen können. Dementsprechend sollen auch immer der Aufbau und die Ziele der jeweils verwendeten Wörterbücher beachtet und benannt werden, um so eine sinnvolle Basis für vergleichende Bewertungen zu legen.

Die Hausarbeit schließt mit einer Gesamtbetrachtung, in der die Untersuchung hinsichtlich der Etymologie und der Bedeutungsentwicklung von starren noch einmal in kurzen Zügen dargelegt und zusammengefaßt werden soll.

2. Etymologie

Bei dem neuhochdeutschen, schwach flektierten Verb starren sind zwei im Alt- und Mittelhochdeutschen noch getrennte, jedoch etymologisch verwandte Verben zusammengefallen: Zum einen das althochdeutsche, geminierte Verb storren (11. Jahrhundert)[1], im Mittelhochdeutschen durch Apophonie[2] unterschieden starren, sterren in der Bedeutung von ‚steif sein oder werden’. Storren geht Pfeifer zufolge auf eine r- oder n- Erweiterung der indogermanischen Wurzel *(s)ter(ə)-, *stre- (‚starr, steif sein’) zurück[3] und bildet mit dem mittelhochdeutschen Adjektiv sterre, mittelniederländisch sterre, starre, niederländisch star und altnordisch starr mit der Bedeutung ‘steif, starr’ eine etymologisch zusammengehörige Gruppe (Siehe Pfeifer 1993, S. 1698).

Zum anderen das althochdeutsche, nicht geminierte Verb starēn, starōn (8. und Beginn 12. Jahrhundert)[4], mittelhochdeutsch star[e]n, mittelniederländisch staren, niederländisch staren, altenglisch starian, englisch to stare, altnordisch stara mit der Bedeutung ‚unbeweglich, mit unbewegten Augen blicken’; das wiederum wahrscheinlich von dem erstmals als Kompositionsglied belegten germanischen Adjektiv stara mit der Bedeutung ‚starr blickend’ – in der Zusammensetzung althochdeutsch starablint, altenglisch stær(e)blind ‚starblind’ enthalten – abgeleitet ist (DUDEN Herkunftswörterbuch 1989, S. 800).

Im Frühneuhochdeutschen fällt dann star[e]n (‚unbeweglich blicken’) mit dem geminierten Verb starren, sterren (‚steif sein’) sowohl phonologisch als auch semantisch zu dem Wort starren zusammen (Pfeifer 1993, S. 1698), das in sich die jeweiligen Bedeutungen der vorher voneinander getrennt gebrauchten Verben vereint. Dementsprechend sind diese schwachen Verben in den mittelhochdeutschen Wörterbüchern von Lexer (1876) und von Benecke, Müller, Zarncke (1963) noch getrennt aufgenommen, in dem frühneuhochdeutschen Wörterbuch Adelungs (1780) hingegen ist nur noch starren lemmatisiert.

Außergermanisch entsprechen starren z.B. die griechischen Wörter stereós ‚steif, hart, fest, hartnäckig’ und strenes ‚rauh, hart, schrill’, eigentlich ‚kraftvoll, Kraft’, dann ‚streng, hart’, lateinisch strenuus ‚kräftig, rührig, betriebsam, unternehmend, schnell’ und lit. starìnti ‚spannen, straff anziehen, steifen, angestrengt ziehen, schleppen, steif gehen’ (Kluge 1999, S. 876).[5] All diesen etymologischen Beziehungen innerhalb des Indogermanischen liegt, wie auch bei storren, die im Germanischen häufig auftretende, vielfach weitergebildete und erweiterte indogermanische Wurzel *(s)ter(ə)-, *stre- für ‚starr, steif sein, starrer, fester Gegenstand, besonders Pflanzenstamm oder –stengel; steif gehen, stolpern, fallen, stolzieren’ zugrunde (Pfeifer 1993, S. 1698).

Weiterführend gruppieren sich um diese Wurzel Bedeutungsübertragungen bzw. -wendungen im Sinne von ‚steif, fest sein oder werden; steif gehen’ wie z.B. die Sippen sterben (eigentlich ‚erstarren’), derb (‚steif, fest’), stracks (‚straff’) sowie Storch (‚Stelzer’), als auch Bedeutungswendungen im Sinne von ‚steif emporstehen, prall sein’ wie z.B. die Sippen Sterz (mit ‚stürzen’), strotzen und sträuben (DUDEN. Das Herkunftswörterbuch 1989, S. 800).

3. Bedeutungen und ihr Wandel

Das Verb starren hat in der Gegenwart die Bedeutung von ‚steif sein, strotzen von etw., mit unbewegtem Auge blicken, unentwegt in eine Richtung blicken’ (Pfeifer 1993, S. 1698). Zunächst soll nun geschaut werden, was für Bedeutungen im Althochdeutschen, im Mittel- und im Frühneuhochdeutschen bestanden haben, um dann im Vergleich zu den Bedeutungen in der Gegenwartssprache einen eventuellen Bedeutungswandel aufzuzeigen.

3.1 Althochdeutsch

Während Oskar Schade in seinem althochdeutschen Wörterbuch nur die Lemmata starên bzw. steren (Schade 1882, S. 865, 870) aufnimmt, storren nicht lemmatisiert und zudem lediglich die Bedeutungen, nicht aber eine Etymologie[6] oder Quellenverweise angibt, verzeichnet Köbler die beiden Lemmata starēn [7] (auch starōn) und storrēn [8] mit ausführlichen Informationen[9].

Er weist das althochdeutsche, schwach flektierte Verb starēn (starōn) in Glossen seit Ende des 8. Jahrhunderts nach. Bei diesem Wort starēn, das im mittelhochdeutschen Wort staren weiterlebt, handelt es sich um ein schwach flektiertes Verb mit der Bedeutung von ‚starren, stieren[10] ’. Es zeigt sich, daß beide Verben, also auch storrēn, schon seit dem Althochdeutschen schwach flektiert wurden. Diese Flexion ist für das seit dem Frühneuhochdeutschen zu einem Verb zusammengefallene starren beibehalten.

Mit dem geringeren Maß an Informationen, die Oskar Schade mit seinem althochdeutschen Wörterbuch liefert, vernachlässigt er das Wort storrēn mit seiner Bedeutung von ‚emporragen, starr und steif’ sein. Für den weiteren etymologischen Verlauf des neuhochdeutschen Verbs starren könnte so die Bedeutung innerhalb einer Wortgruppe wie z. B. ‚Äste, die in den Himmel starren’ sprachhistorisch nicht nachvollziehbar gemacht werden. Anders gestaltet es sich, wenn die beiden althochdeutschen Wörter starēn und storrēn in ihren unterschiedlichen Bedeutungen verzeichnet und aufgeführt werden, wie Köbler es tut. Auch seine Angaben zum Weiterleben der Wörter im Mittelhochdeutschen helfen, unseren neuhochdeutschen Wortschatz unter dem Gesichtspunkt der Etymologie zu verstehen. Entkräftet werden muß der Vorwurf gegen Schade allerdings, wenn man sich die Ziele seines Wörterbuches vor Augen hält. Zum einen bezieht er sich in seinem Wörterbuch nur auf die verbreitetsten Schriften des Alt- und Mittelhochdeutschen und kann dementsprechend nicht alle existierenden, sondern vielmehr nur die in diesen ausgewählten Schriftwerken vorkommenden Wörter des Althochdeutschen verzeichnen.[11] Zum anderen bemüht er sich bei der Verzeichnung bzw. Bedeutungserklärung um knappe Darstellungen: „Bei der Aufstellung der Bedeutungen habe ich mich möglichster Kürze befleißigt, vielleicht bin ich hin und wieder zu kurz gewesen.“ (Schade 1882, S. XVI). Weder strebt er also Vollständigkeit an, noch sollen seine Erläuterungen ausführlich sein.

Hinzu kommt, daß auch die von Köbler gelieferten Informationen mit einiger Vorsicht aufgenommen und kritisch überprüft werden sollten. So ist starēn laut Köbler etymologisch ein germanisches Adjektiv, Verb und Substantiv mit den diversen, jeweiligen Bedeutungen: ‚starr, steif, starren, stolpern, fallen, stolzieren, Stengel’ und kann auf die lateinischen Wörter conspicari und insidiari [12] zurückgeführt werden (Siehe Köbler 1993, S. 1021). Weder die Angaben für das Bestehen dreier Wortarten noch die lateinische Übersetzungsgleichung erscheinen nachvollziehbar und finden sich auch in keinem anderen althochdeutschen Wörterbuch.[13]

[...]


[1] Pfeifer datiert dieses Wort auf das 11. Jahrhundert, Kluge hingegen datiert es, zwar unbestimmt, aber doch auf vor 11. Jahrhundert. Siehe hierzu Pfeifer (1993), S. 1698 und Kluge (1999), S. 876. Hintergrund ist hierbei die unbestimmte Quellenlage und die oft ungenaue oder nicht vorhandene Datierung der überlieferten Textträger.

[2] Hierbei handelt es sich um eine vokalische Unregelmäßigkeit. Siehe Bußmann (1990), S. 43.

[3] Die Gemination dieser indogermanischen Wurzel, die sich in dem Wort storren in der Lautveränderung durch die „Verdoppelung“ des Konsonanten „r“ zeigt, kann durch verschiedene Faktoren hervorgerufen bzw. begünstigt werden. Siehe hierzu Bußmann (1990), S. 267.

[4] Pfeifer datiert starēn auf das 8. Jh., das durch einen qualitativen Ablaut gekennzeichnete starōn auf den Zeitraum um 1100. Siehe Pfeifer (1993), S. 1698.

[5] Genauso verzeichnet dies auch Pfeifer (1993), S. 1698, etwas anders hingegen Grimm (1940), S. 918: „ etymologische beziehungen innerhalb des indogerm. hat starren zu litt. stýroti ‚steif dastehen’ (vgl. pol. styrczyc, sterczyc, ‚emporstarren, aufrecht stehen’), litt. styrti (steif und starr werden, erstarren’ skrt. sthira, griech. stereos, vgl. auch noch litt. stóras ‚dick, umfangreich’ und kirchenslav. staru ‚ alt’.“

[6] Und doch behauptet Schade, in seinem Wörterbuch die Etymologie so eingehend behandelt zu haben, wie es noch in keinem deutschen Wörterbuch bislang überhaupt geschehen sei. Siehe Schade (1882), S. XXVI. Zu starên bzw. steren liefert er allerdings keinen etymologischen Hintergrund.

[7] Dieses Wort fand Köbler in Glossen des 8. Jh. Siehe Köbler (1993), S. 1021. Für sein Wörterbuch untersuchte er über 100 Handschriften unterschiedlicher althochdeutscher Sprachzugehörigkeit aus dem Entstehungzeitraum 2. Hälfte des 8. Jh. – 1500, der genau die Periode umfaßt, in der man, wenn auch nicht unumstritten, das Althochdeutsche ansiedelt, nämlich von Beginn der schriftlichen Überlieferung im 8. Jh. bis 1050. Seine Untersuchungen gehen bis 1500, da er darüber hinaus auch das Weiterleben der Lemmata verfolgt hat.

[8] Dieses Wort ist laut Köbler erst in Glossen seit dem 11. Jh. belegt. Siehe Köbler (1993), S. 1033f. Vielleicht ist dieser späteren Entstehung des Verbes storren zu schulden, daß Schade sie in seinem Wörterbuch nicht auflistet.

[9] Der Eintrag zu einem Lemma ist wie folgt aufgebaut: Hauptform, evtl. Nebenform, Sprachzugehörigkeit, grammatikalische Bestimmung des Stichwortes, Klassifikation, neuhochdeutsche und neuenglische Bedeutungsangaben, alle lateinischen Teile der lateinisch-althochdeutschen Übersetzungsgleichung (= ÜG); Verweise (= Vw), evtl. altsächsische oder altniederfränksche Überlieferung, Quellen (= Q); Interferenz (= I, meint die Interferenz mit fremden Sprachen); kurze Etymologie und Weiterleben der Teile mit Ausgriff auf das Mittel- und das Neuhochdeutsche (= W). Siehe Köbler (1993).

[10] Für „stieren“ ist dabei anzumerken, daß das Adjektiv stier seit dem 15. Jh. belegt ist und eine regionale Form von sterr, mhd. sterre zu starr ist. Dazu kam erst im 18. Jh. das Verb stieren. Siehe Kluge (2002), S. 884. Interessanterweise hat sich also die Bedeutung von starren als ‚stieren’ im 18. Jh. abgekoppelt in dem nun eigens bestehenden Verb stieren.

[11] Siehe Schade (1882), S. V: „[...]daher der Entschluß, lieber gleich ein selbständiges kurzgefaßtes Wörterbuch zu liefern, das besonders die hauptsächlichsten althochdeutschen wie die gelesensten mittelhochdeutschen Schriftwerke in seinen Bereich zöge.“

[12] Georges verzeichnet in seinem lateinisch-deutschen Handwörterbuch keines der beiden Wörter. Für starren im deutsch-lateinischen Teil gibt er die lateinischen Formen rigere (steif sein vor Kälte und überhaupt) – torpere (überhaupt ohne Empfindung und Bewegung sein) – horrere (vor Schrecken starr sein) – stupere (vor Staunen) und ex diutino situ sqalere (starren vor Schmutz, z.B von Büchern) an. Siehe Georges (2004), S. 2197. Ein lateinisches Wort, das starren im Sinne von ‚unbewegten Auges blicken’ meint, ist jedoch nicht angegeben. Auch die Grimms führen starren auf rigere, horrere und stupere zurück. Siehe Grimm (1940), S. 918. Die Rückführung Köblers von s tarēn auf ein lateinisches conspicari oder insidiari läßt sich mit anderen einschlägigien Wörterbüchern also nicht belegen. Allerdings will Köbler mit seiner „ÜG“ (= Übersetzungsgleichung) auch nur zeigen, „welches lateinische Wort einer lat. Vorlage dem althochdt. Verfasser bei der (übersetzenden) Verwendung seines jeweiligen althochdeutschen Wortes vorgelegen hat“. Köbler (1993), S. XI. Es handelt sich hierbei also nicht um das entsprechende lateinische Wort, sondern um die lateinische Vorlage, aufgrund derer die Übersetzung in das verzeichnete althochdeutsche Wort basiert. Dennoch läßt sich eine solche Rückführung unter Hinzunahme anderer Wörterbücher nicht stützen.

[13] Lediglich ein Hinweis auf starren als ein Substantiv findet sich im frühneuhochdeutschen Wörterbuch der Grimms. Allerdings bezeichnet das Substantiv laut ihren Angaben nicht einen Stengel, sondern im Thüringischen šdàrn einen „baumlangen Kerl“ und gehört wohl zu mhd. storre ‚Baumstumpf’. Siehe Grimm (1940), S. 918.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Die Einzelwortgeschichte des Wortes "starren"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut Deutsche und Niederländische Philologie)
Veranstaltung
Wortgeschichte und historische Lexikologie und Lexikographie
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V54620
ISBN (eBook)
9783638497794
ISBN (Buch)
9783638683203
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine rundum gute Arbeit mit kleineren Mängeln. Zum Teil etwas unkritischer Umgang mit der Literatur Köblers. Einiges in den Fußnoten hätte im Text diskutiert werden können.
Schlagworte
Einzelwortgeschichte, Wortes, Wortgeschichte, Lexikologie, Lexikographie
Arbeit zitieren
Hanka Loos (Autor:in), 2005, Die Einzelwortgeschichte des Wortes "starren", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54620

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