Zur Gattung der Testimonio-Literatur am Beispiel des Romans 'Si me permiten hablar...' von Moema Viezzer und Domitila Barrios


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literatura testimonial
2.1. Ursprung und Entwicklung
2.3. Problematik

3. „Si me permiten hablar…“
3.1. Domitila Barrios und Moema Viezzer
3.2. Historischer Hintergrund
3.3. Das Zeugnis der Domitila Barrios

4. Können die Untergeordneten Sprechen?
4.1. Spivaks Ansatz und seine Bedeutung im Hinblick auf die literarische Gattung der Testimonio -Literatur
4.2. Domitila Barrios – eine subalterne Frau?

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis

Erklärung

1. Einleitung

Die Redefreiheit gehört spätestens seit Einführung der Demokratie zu den elementaren Grundrechten jedes Menschen. Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, Selbstverteidigung und Anklage, jeder darf Geschichten erzählen und Bücher schreiben, gleich ob auf Fiktion oder auf wahren Begebenheiten beruhend. Der einzelne Mensch kann auf vielfältige Art und Weise auf sich aufmerksam machen und sich Gehör verschaffen, unabhängig von sozialer Stellung, Beruf, Grad seiner Prominenz, Geschlecht, Sexualität, Alter, politischer Gesinnung oder Lebensphilosophie.

Vorausgesetzt, er lebt in einem demokratischen Staat. Denn noch immer gibt es Länder, in denen sich die Bürger nicht frei äußern können, weil sie mit politischer Verfolgung, Strafe, Freiheitsberaubung oder gar mit körperlichen Sanktionen rechnen müssen. Doch erstaunlicherweise gibt es auch in Staaten, in denen grundsätzlich nichts zu befürchten ist, Menschen, die nicht zu Wort kommen, die sich kein Gehör verschaffen können. In den meisten Fällen scheitert es an unzureichender Ausbildung in Lesen und Schreiben. Darüber hinaus sind Medien in ihrem Lebensraum überhaupt nicht oder nur in geringem Maß vertreten, so dass ihnen auch die Möglichkeit der mündlichen Äußerung verwehrt bleibt. Sie sind praktisch von der Außenwelt abgeschnitten und niemand hört, was sie zu sagen, was sie erlebt und was sie erlitten haben – abgesehen von den Nachbarn und Mitmenschen in ihrem direkten Umfeld.

Im Laufe der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat sich jedoch eine literarische Gattung entwickelt, die diesen Menschen – überwiegend den Bürgern der unterprivilegierten Bevölkerungsschicht in Mittel- und Südamerika – erstmals eine Stimme gab. Sie hatten plötzlich die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen, ihre Geschichte zu erzählen und die Welt darüber aufzuklären, welche Kämpfe sie täglich austrugen, mit welchen Problemen sie alltäglich konfrontiert waren und unter welchen sozialen Bedingungen sie lebten. Diejenigen, die bisher stumm waren und nahezu stillschweigend in Umständen lebten, die für die restliche Weltbevölkerung nur schwer vorstellbar waren, kamen endlich zu Wort. Und man hörte ihnen zu.

Um diese literarische Gattung, die so genannte literatura testimonial, soll es in der vorliegenden Arbeit gehen. Dabei sollen das Wesen dieses Genres und seine Entwicklung, jedoch vor allem die kritischen Aspekte in diesem Zusammenhang thematisiert werden. Um dabei den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen und die Thematik möglichst anschaulich darzustellen, werden sich die folgenden Ausführungen auf das Beispiel des Romans „Si me permiten hablar…“ von Moema Viezzer und Domitila Barrios beschränken.

2. Literatura testimonial

Der Begriff testimonio (lat. testimōnium) bedeutet wörtlich übersetzt „Zeugenaussage“. Es handelt sich folglich um ein Zeugnis, das abgelegt wird. Jemand macht eine Aussage. Ursprünglich verbindet man solche Bekundungen mit einer gerichtlichen Verhandlung. Doch im übertragenen Sinn handelt es sich auch bei der literarischen Gattung um eine Zeugenaussage. Es wird eine Aussage getätigt, jedoch nicht vor Gericht, sondern vor einer anderen Person, die das Zeugnis anhört, dokumentiert, verschriftlicht und veröffentlicht. Bei der Schilderung geht es um reale Geschehnisse im Leben derer, die einer bestimmten sozialen Gruppe zuzuordnen sind. Sie erzählen von ihrem Leben und ihrem alltäglichen Kampf, zeigen Missstände auf, appellieren und klagen an. Grundsätzlich handelt es sich dabei um Randgruppen, die der Unterschicht angehören, weshalb sie auch als subaltern bezeichnet werden. Doch um die Geschichten spannend zu gestalten, sie einem großen Leserkreis zugänglich zu machen und damit schließlich etwas bewirken zu können, sind sie auf Hilfe angewiesen. Sie verfügen in der Regel aufgrund mangelnder oder fehlender Bildung nicht über die nötigen Mittel, um sich auszudrücken und sich mitzuteilen. Aus diesem Grund sind sie auf eine weitere Person angewiesen, die über die erforderlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten verfügt, um das zu tun, wozu der Erzähler selbst nicht in der Lage ist: das Zeugnis sprachlich zu formulieren und es schließlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „[Es] soll denjenigen, die im Allgemeinen nicht zu Wort kommen, eine Stimme gegeben werden.“[1]

2.1. Ursprung und Entwicklung

Die Testimonio -Literatur entstand auf Basis anthropologischer Feldforschungen von Ricardo Pozas (1948). Den Grundstein für die weitere Entwicklung dieser literarischen Gattung legte jedoch Oscar Lewis 1961, als er ein Buch über die Geschichte einer Familie der mexikanischen Unterschicht veröffentlichte, das zu einem Bestseller und später verfilmt wurde[2]. Lewis hatte längere Zeit mit der Familie gelebt und sich ihre Geschichte erzählen lassen. Die Schilderungen hatte er mittels Tonbandaufnahmen festgehalten und zu einem Buch verarbeitet. Es ging dabei sowohl ihm als auch Ricardo Pozas vor allem darum, die Betroffenen zu Wort kommen zu lassen.

Mit Miguel Barnet erhielt die neue literarische Gattung erstmals die Bezeichnung Testimonio - Literatur. Seit Barnet – der in den sechziger Jahren durch den Versuch, eine Geschichte des Widerstands der Schwarzen in Kuba zu belegen, bekannt wurde – zeichnet sich das Genre jedoch vor allem dadurch aus, dass eine konkrete politische Intention verfolgt wird. Das primäre Ziel besteht darin, die Sichtweise der Unterprivilegierten darzustellen, auf Missstände aufmerksam zu machen und den Leser für sich zu gewinnen, sein Mitgefühl zu erzielen und dadurch der dominanten Kultur und Politik entgegen zu treten. „Polyphonie, nicht Harmonie wird angestrebt.“[3] Auf die hiermit verbundene Problematik wird im folgenden Kapitel noch ausführlicher eingegangen.

Es waren vor allem Frauen der „Dritten Welt“, die durch die testimonios zu Wort kamen. Sie waren durch ihre sozial schwache Stellung doppelt marginalisiert. Zwar kämpften sie ebenso wie die Männer gegen Armut und politische Repression, sie waren jedoch im Gegensatz zu ihnen weder in Parteien noch in Gewerkschaften vertreten und dadurch gewissermaßen doppelt marginalisiert. Die Tatsache, dass sie im Regelfall auch Mütter waren und ihre Probleme sich folglich auch auf das Leben der Kinder auswirkten, hatte zumeist eine sehr emotionale Wirkung auf den Leser. Die Allgemeinheit, vor allem die Menschen in Westeuropa und den USA, interessierten diese Geschichten. Soziale Schicksale, rührende Momente, schockierende Ereignisse und – für andere – unvorstellbare Lebensumstände erregten das Mitgefühl der Öffentlichkeit und führten zu einem regelrechten „Boom“ der Testimonio -Literatur.

Heute existiert ein großes Korpus solcher Zeugnisse und es erweitert sich laufend um neue Texte. Darunter finden sich Geschichten von Unterprivilegierten nahezu jedes lateinamerikanischen Landes, größtenteils von mittellosen campesinas, die in ländlichen Regionen leben, manche aber auch von criadas, die für die reichen Familien in den Städten arbeiten. An dieser Stelle seien die von Margaret Randall zusammengestellten Zeugnisse nicaraguanischer und kubanischer Frauen erwähnt; weiterhin die der madres y abuelas de Plaza de Mayo und die von Sonia Montecinos, Ximena Valdés, Kiray de León und Macarena Mack veröffentlichten testimonios von chilenischen Bäuerinnen und Indio-Frauen. Zu den bekanntesten Testimonio -Texten zählen jedoch die Geschichte der Jesusa Palancares „Hasta no verte Jesús mío“, veröffentlicht von Elena Poniatowska, das von Elizabeth Burgos publizierte Zeugnis „Me llamo Rigoberta Menchú y así me nació la conciencia”, in der die Erfahrungen der Maya-Bevölkerung während des Bürgerkrieges in Guatemala geschildert werden und schließlich der Roman „Si me permiten hablar. Testimonio de Domitila, una mujer de las minas de Bolivia“, um den es in der vorliegenden Arbeit gehen soll.

Welche Rolle den Herausgeberinnen bei der Veröffentlichung der testimonios zukommt und welche Probleme sich dabei womöglich ergeben, soll im Folgenden erläutert werden.

[...]


[1] Potthast, 2003. S. 382.

[2] „Die Kinder von Sánchez. Selbstporträt einer mexikanischen Familie.“

[3] Potthast, 2003. S. 384.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Zur Gattung der Testimonio-Literatur am Beispiel des Romans 'Si me permiten hablar...' von Moema Viezzer und Domitila Barrios
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Romanische Philologie)
Veranstaltung
Hauptseminar "Culturas híbridas y género: Escritoras hispanoamericanas"
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V54377
ISBN (eBook)
9783638495998
ISBN (Buch)
9783640437498
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wenn, Unterprivilegierten, Wort, Gattung, Testimonio-Literatur, Beispiel, Romans, Moema, Viezzer, Domitila, Barrios, Hauptseminar, Culturas, Escritoras
Arbeit zitieren
Natascha Clausen (Autor:in), 2005, Zur Gattung der Testimonio-Literatur am Beispiel des Romans 'Si me permiten hablar...' von Moema Viezzer und Domitila Barrios, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54377

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