Stilkritische Untersuchungen am Parzival - Parataxe und Hypotaxe in der Figurenrede von Plippalinôt und Gurnemanz


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

30 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

Einführung / Ziel der Hausarbeit

Teil I. Blanka Horaceks Untersuchung

Teil II. Plippalinot

Teil III. Gurnemanz

Fazit

Bibliographie

Ziel der Hausarbeit:

Im Rahmen dieser Hausarbeit soll versucht werden, die Verteilung von Haupt- und Nebensätzen, Parataxe und Hypotaxe in der Figurenrede von Gurnemanz und Plippalinot zu untersuchen und mit den Ergebnissen von Blanka Horaceks „Kunstprinzipien der Satzgestaltung“ in Beziehung zu setzen. Wie sich im Rahmen des Seminars ergeben hat, sind die Schlüsse, die aus den Ergebnissen von Horaceks Untersuchung gezogen wurden, aus heutiger Sicht zumindest teilweise in Frage zu stellen.

Zur Erinnerung: Blanka Horacek untersuchte die in der Figurenrede vorkommenden, nicht grammatisch erklärbaren Verbletztstellungen und wertete diese als Stilmittel unter anderem im Parzival Wolframs von Eschenbach. Dabei klaffte die prozentuale Häufigkeit dieses Stilmittels bei den einzelnen Figuren des Romans im Umfang von vier und elf Prozent auseinander. Eine deutliche Diskrepanz also beim Einsatz des stilistischen Mittels der grammatisch nicht erklärbaren Endstellung des Verbs bei einzelnen im Roman auftretenden Figuren. Im Nibelungenlied war die Schwankungsbreite der Verteilung noch deutlich geringer. Gibt es also einen Zusammenhang zwischen der Bedeutung der Figuren im Roman und der Verwendung grammatisch abweichender Stilmittel? Bei den Protagonisten des Romans oder Kernfiguren der Handlung scheint eine derartige Verknüpfung nachweisbar. So treten grammatigwidrige Verbletztstellungen bei Parzivals höfischem Erzieher Gurnemanz nur drei Mal auf; beim Fährmann Plippalinot dagegen zehn Mal bei annähernd gleichem Redeumfang. Bei den untersuchten Nebenfiguren erscheinen die von Horacek gezogenen Schlüsse dagegen weniger naheliegend: Exemplarisch sei hier das Mädchen Obilot, dem Gawan auf seiner Aventiurefahrt begegnet, erwähnt: So weist die Rede Obilots sieben nicht grammatisch erklärbare Verbletztstellungen bei deutlich geringerem Redeumfang auf, was auf ihr jugendliches Alter zurückgeführt wird. Die Bedeutung Gurnemanz’ als ordnende Kraft für den in ritterlicher Lebensweise unerfahrenen Parzival ist im Roman eindeutig greifbar und eine daraus resultierende sprachliche Versiertheit erscheint durchaus plausibel. Das sich die lange und umsichtige Herrschaft eines erfahrenen Adligen in einer sauberen Sprache und Argumentation niederschlägt entspricht zumindest dem mittelalterlichen Ideal vom weisen König. Die Jugend Obilots dagegen als alleinige Begründung für einen häufigen Verstoß gegen grammatische Regeln scheint mir dagegen eher unplausibel als Erklärung für das häufige Auftreten oder Ausbleiben eines stilistischen Mittels. Immerhin ist das Alter nicht das einzige Kriterium für das Auftreten einer Figur. Immerhin beschäftigt sich der Parzivalroman selbst mit der Auswirkung der Abstammung eines Menschen auf seine persönliche und charakterliche Entwicklung. Die Geschichte Parzivals lebt ja gerade davon, dass es die Abstammung ist, die entscheidet, ob jemand zum Herren oder zum Knecht geboren ist; ungeachtet der Bemühungen seiner Mutter ihn vom Ritterleben fernzuhalten. Analog dazu müsste der Rede Obilots diejenige einer ständisch niedriger angesiedelten Figur gegenübergestellt werden. Und zwar sowohl in der gleichen als auch in übergeordneten Altersgruppen. Als einzige Figur niedrigen Stands im Parzival kommt jedoch Plippalinot in Frage. Dabei wäre jedoch die Geschlechterdifferenz zu beachten, da das Verhalten eines Mannes in der mittelalterlichen Gesellschaft nicht ohne weiteres auf eine Frau übertragen bzw. mit ihrem verglichen werden kann. Aus diesen Gründen scheint mir die Argumentation mit Obilots Jugend, die für das häufigere Auftreten von Verbendstellungen in ihrer Figurenrede verantwortlich sein sollen, etwas dünn.

Diese Arbeit wird versuchen, den Erkenntnissen Horaceks eine Untersuchung des Satzaufbaus zur Seite zu stellen, und herausarbeiten, ob der grammatisch besonders korrekten Redeweise Gurnemanz’ auch Besonderheiten in der Satzordnung gegenüberstehen. Selbiges gilt für die grammatisch freier gestaltete Rede Plippalinots.

Zur Methode:

Klar ist, das gerade bei der eigentümlichen und komplexen Sprache Wolframs nicht immer eindeutig festzulegen ist, welche grammatische Funktion ein Satzteil übernimmt, was sich in der Mannigfaltigkeit der Übersetzungen zeigt. Es wurden Satzglieder mit Objektsfunktion um dem Textverständnis und Sprachgefühl neuzeitlicher Sprecher entgegen zu kommen in der Neuübersetzung von Peter Knecht teils als Nebensätze oder Einschübe aufgelöst, manchmal als einfache Hauptsätze aufgelöst. Gelegentlich wurden Satzanfänge und -enden verlegt. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich so nah wie möglich am mittelhochdeutschen Text bleiben. An besonders strittigen oder schwer verständlichen Passagen stelle ich eine eigene interlineare Wort-für-Wort-Übersetzung bereit, die aber lediglich das Verständnis für meine Einteilung fördern soll, und nicht (!) den Anspruch hat, den Text besonders kunstvoll oder angemessen auf eine moderne Sprachstufe zu heben.

Zudem ist natürlich zu beachten, dass der edierte Text in der vorliegenden Fassung von den Handschriften abweicht. Eine absolut präzise Aufstellung der von Wolfram verwendeten Satzarten müsste streng genommen daraus rekonstruiert werden. Da die Handschriften ihrerseits aber ebenfalls Abweichungen zu Wolframs Urtext aufweisen (können) und es darum geht, generelle Tendenzen in der Satzkonstruktion Wolframs zu ermitteln, sind die sich daraus ergebenden Abweichungen für diese Hausarbeit eher nebensächlich. Dennoch sollte die Tatsache im Hinterkopf behalten werden, da ein Blick in die Handschriften bei einzelnen, strittigen Sätzen den Weg aufzeigt, wie endgültige Gewissheit erlangt werden kann.

Zur Einteilung sei gesagt, dass der eigentlichen Untersuchung der Sätze eine Kurzzusammenfassung der Arbeit Blanka Horaceks vorangestellt ist. Ihre Erkenntnisse dienen als Ausgangspunkt und als Grundlage für die Interpretation der Ergebnisse meiner Untersuchung. Dieser Teil dient dazu, die Motivation und Ursache für die Arbeit aufzeigen.

I. Blanka Horaceks Untersuchung

1. Ziel von Blanka Horaceks Untersuchung

Die Form eines Sprachkunstwerks ist Parole des Dichters. Diese wird verglichen mit dem „Sozialsystem Sprache“, der Langue[1]

Betrachtet wurden die Auswirkungen künstlerischer Gestaltung auf Ebene der Langue. Die zur Betrachtung herangezogenen Wissenschaftszweige umfassen die Grammatik, die Psycholinguistik und die Stilistik. Die künstlerische Betrachtung grammatischer Erscheinungen hat sich Horacek zur Aufgabe gemacht und greift dabei auf verschiedene Teilgebiete der Linguistik zurück. Die herangezogenen Verfahrensweisen und Theorien werden folgend zusammengefasst:

Die Stilistik sucht nach von ihr definierten Stilkriterien wie beispielsweise sprachlichen Figuren, Tropen oder Topoi.

Einen bedeutenden Unterschied sieht Horacek in der Anordnung von Sätzen in einem Text. Episch-dichterische Sprache neige dabei eher zur Parataxe, gesprochen-prosaische zur Hypotaxe. In wieweit das im Parzival zutrifft wird im Rahmen dieser Hausarbeit exemplarisch an Plippalinot und Gurnemanz zu klären sein.

Die Psycholinguistik sucht in der Sprache nach Spuren des Strebevermögens, der Reflexion und der Empfindung; also die Frage warum der Dichter gerade diesen Ausdruck wählte. Jedem Gedicht … liegt ein durchlebter seelischer Vorgang zugrunde. Vgl. W. Dilthey

Grammatik ist, laut Horacek in der Lage Abweichungen von der Norm aufzuzeigen. Dabei ist zu beachten, dass diese Definition ein präskriptives Grammatikmodell voraussetzt. Ein Widerspruch zwischen Text und grammatischer Regel, soweit im Mittehochdeutschen zweifelsfrei greifbar, ist damit per definitionem ein Ansatzpunkt für eine Untersuchung im Rahmen dieser Aufgabenstellung. Problematisch ist dabei natürlich zum einen, dass die Überlieferungssituation älterer Sprachstufen unterschiedliche Interpretationen zulässt und wir uns nicht hundert Prozent sicher sein können, was für einen Sprecher des 12. Jahrhunderts noch akzeptierbar wäre und was ein offensichtlicher Verstoß ist. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, dass das Mittelhochdeutsche bekanntlich in Einzeldialekte zerfällt, ohne über einen allgemeingültigen normativen Überbau in Form einer „Standardsprache“ zu verfügen. Dennoch lassen sich natürlich Unterschiede in der Rede von Wolframs Figuren entdecken und zum Vergleich heranziehen. Man muss sich dabei lediglich vor Augen führen, dass eine präzise Definition von grammatischer Regelwidrigkeit wie im Neuhochdeutschen nicht besteht.

2. Methode

Blanka Horacek stützt ihre Untersuchung auf zwei methodologische Säulen: Einmal geht sie induktiv vor und untersucht gleiche syntaktische Erscheinungen auf gemeinsame inhaltliche Kriterien bzw. Stimmungsgehalt. Zum Zweiten schließt Horacek deduktiv von den auftretenden syntaktischen Erscheinungen wurden auf deren Ausdrucksmöglichkeiten und Verwirklichung in der Dichtung.

2.1 Satzdefinition

Horacek unterscheidet auf der Ebene der Satzdefinition zwischen einem grammatischen und einem philosophischen Teil. Auf philosophischer Ebene zeigt sich dabei ein Widerspruch, der zwar der Untersuchung nicht direkt schadet, aber bei der Definition des Untersuchungsobjekts „Satz“ nicht sehr weit reicht. Im Folgenden habe ich meinen Einwand kurz zusammengefasst. In der anschließenden Untersuchung habe ich mich meinerseits nur auf den grammatischen Teil von Horaceks Definition gestützt, die den Satz als „kleinste selbständige Redeeinheit“[2] definiert, und daher auch Anakoluthe als, wenn auch unvollständige, Sätze herangezogen.

Aus philosophischer Sicht definiert Horacek den Satz als bedeutungsmäßige Einheit, die eine Beziehung zur Wirklichkeit ausdrückt. Diese Betrachtung scheint mir etwas zu allgemein. Insbesondere bei der Interpretation literarischer und damit fiktiver Texte ist eine Satzdefinition die sich auf das Verhältnis von Satz und Wirklichkeit stützt aus begrifflichen Gründen unbrauchbar. Die Bedeutung eines Satzes ist, nach Frege, sein Wahrheitsgehalt.[3] Inwieweit das eine Beziehung zur Wirklichkeit darstellt oder eine Aussage über die reale Welt ist, ist spätestens seit Bertrand Russell sprachphilosophisch umstritten.

2.2 Wortstellung im HS

Als grundlegende Orientierung kann die bis heute im Deutschen übliche Verbzweitstellung dienen. Im Mittelhochdeutschen sind folgende Ausnahmen zu beachten:

a) mhd. Inversion nach „unde“ und bei Parallelfügungen (Meist eingeleitet mit „so…ie“)[4]
Beispiel: so er ie sêrer dannen ranc, so minne ie vaster wider twanc
b) Wenn einem Verb mehrere Satzglieder folgen, können ihm auch mehrere vorausgehen
Beispiel: manec wîbes schoene an lobe ist breit
c) Wenn an zweiter Stelle ein unbetontes Personalpronomen steht Beispiel: Pz. 361.24 Scherules in pruorte gar Verbletztstellung tritt in Dichtung, nicht in der Umgangssprache auf[5]

Alle Verbletztstellungen, die nicht unter die von Horacek definierten erlaubten Verbrealisierungen an einer anderen als der zweiten Position fallen, wurden als stilistisches Mittel gewertet. Die Grundlage bildet die Überlegung, dass finite Verben sich auf finite Verben (kam vs. nahm) reimen. Im NS haben 80% der Sätze den Reim im Verb.

Bei Wolfram 11%, 34% und 79% der drei erlaubten Verendstellungen im Reim. Dagegen in 97% der Fälle, wenn die Verbposition grammatisch nicht erklärbar ist.

2.3 Definition von Sprachkunst

Horacek nahm für ihre Untersuchung an, dass ein Zusammenhang zwischen der in einem Werk gewählten Sprache und dem Inhalt besteht. Horacek definiert den Begriff Sprachkunst folgendermaßen als Übereinstimmung von geistigem Inhalt und sprachlicher Form im Werk des Dichters[6]

3. Die Untersuchung

3.1 Verbendstellung im Hauptsatz im Parzival

Maxima:

Im Parzival am häufigsten zw. Vers 3000-4000 (Tod Gachmureths/Klage Herzeloydes) und 2. Hälfte Buch VII (Obilot; das Kind) , Buch 9 (Sigune) und 1. Hälfte Buch XV (Feirefiz)

Inhalt vs. syntaktische Konstruktion

Szenen tiefer Emotionalität, die eine sorgfältige Setzung der Worte verhindern. Dichter wird eins mit seinen Geschöpfen[7]

Minima:

Verbletztstellung nach Figuren:

[...]


[1] Horacek, Blanka. Kunstprinzipien der Satzgestaltung. Köln. 1964. S. 42

[2] Horacek, Blanka. Kunstprinzipien der Satzgestaltung. Köln. 1964. S. 62

[3] Vgl. Frege, Gottlob. Sinn und Bedeutung. In: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Göttingen. 1994

[4] Vgl. Behagel, Otto

[5] Horacek, Blanka. Kunstprinzipien der Satzgestaltung. Köln. 1964. S. 66

[6] ebd. S.78

[7] Horacek, Blanka. Kunstprinzipien der Satzgestaltung. Köln. 1964. S. 86

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Stilkritische Untersuchungen am Parzival - Parataxe und Hypotaxe in der Figurenrede von Plippalinôt und Gurnemanz
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
Stilkritische Untersuchungen
Note
2
Autor
Jahr
2006
Seiten
30
Katalognummer
V54328
ISBN (eBook)
9783638495622
ISBN (Buch)
9783638655330
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stilkritische, Untersuchungen, Parzival, Parataxe, Hypotaxe, Figurenrede, Plippalinôt, Gurnemanz, Stilkritische, Untersuchungen
Arbeit zitieren
Markus Voigt (Autor:in), 2006, Stilkritische Untersuchungen am Parzival - Parataxe und Hypotaxe in der Figurenrede von Plippalinôt und Gurnemanz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54328

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Stilkritische Untersuchungen am Parzival - Parataxe und Hypotaxe in der Figurenrede von Plippalinôt und Gurnemanz



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden