"Begriffe besetzen" - Der Kampf um Worte in der Politik


Hausarbeit, 2003

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

1 Begriffe in der politischen Sprache
1.1 Begriffe als Sprache der Politik
1.2 Begriffe besetzen im linguistischen Sinne

2 Funktion der Besetzung
2.1 Zweck des Begriffbesetzens
2.2 Begriffsmetaphorik in Biedenkopf-Zitaten
2.3 Strategien und linguistische Arten der Besetzung
2.4 Probleme bei den Strategien der Besetzung
2.5 Erfolgreiche Besetzung von Begriffen

II Schlusswort

III Literaturverzeichnis

Einleitung

„Statt der Gebäude der Regierung werden die Begriffe besetzt.“ sagte der Politiker Kurt Biedenkopf in einer Rede1 (Hombach 1991, S. 36).

In dieser Hausarbeit soll geklärt werden, wieso Begriffe in der politischen Sprache so wichtig sind und wie Begriffe „besetzt“ werden können. Auch die Metapher „Begriffe besetzen“ selbst, soll näher untersucht werden. Dabei soll geklärt werden, ob „Begriffe besetzen“ sprachwissenschaftlich überhaupt möglich ist. Hierzu wird der Forschungsstand der Sprachwissenschaft zu Rate gezogen. Allerdings handelt es sich bei der benutzten Literatur um Primär- und Sekundärliteratur aus den 70er Jahren. In dieser Zeit wurde sich in der Politik und in der Sprachwissenschaft sehr intensiv mit der Wirkung der Sprache und der Verknüpfung zur politischen erwünschten Wirkung beschäftigt. Gründe hierfür waren die Wahlniederlage der CDU 1972 mit den daraufhin folgenden (Sprach-)Analysen des Parteiprogramms und die Nachwirkungen des intellektuellen Klimas der 68er-Bewegungen sowohl im Bildungswesen als auch in den öffentlich-rechtlichen Medien (vgl. Klein 1991, S. 45).

Um den Rahmen der Hausarbeit nicht zu sprengen, wird sich die Beschäftigung mit dem Vorgang des „Begriffe besetzen“ und den „Begriffsbesetzern“ auf theoretischen Überlegungen beschränken, die aber mitunter mit entsprechenden Beispielen aus der politischen Praxis belegt werden.

1. Begriffe in der politischen Sprache

1.1. Begriffe als Sprache der Politik

Sprache und Politik hängen zusammen. Eine gewaltfreie Politik muss sich der Sprache bedienen, um ihre Absichten zu erläutern, um die konkurrierenden Ziele abzugrenzen und für die eigene Sache Zustimmungsbereitschaft zu erzeugen (vgl. Bergsdorf 1991, S. 19). Durch die Sprache kommt es zur Meinungsbildung und –verbreitung, Erinnerung und Änderung von Ansichten. Mit Hilfe der Sprache können Standpunkte ausgetauscht werden, Entscheidungen getroffen und verteidigt werden. (vgl. Bachem 1979, S. 11). Um eine Gesellschaft handlungsfähig zu machen und eine politische Struktur zu erreichen, müssen politische Ziele gebündelt und wirksam werden. Gemeinsame Wert- und Zielvorstellungen gewährleisten die politische Integration. „Die Sprache leistet dieser für jedes politische System unabdingbaren Integration dadurch ihren Dienst, daß sie die Mittel anbietet, Werte und Ziele zu formulieren.“ (Bergsdorf 1991, S. 21).

Für den Erfolg eines Politikers ist die Verständlichkeit seiner Sprache wichtig. Ein Politiker soll von möglichst vielen Bürgern verstanden werden und somit ihre Unterstützung gewinnen (vgl. Bergsdorf 1991, S. 22). Zu beachten ist außerdem die Verbreitung durch die Medien (Zeitung, Rundfunk und Fernsehen)2. Da ein möglich großes Publikum erreicht werden soll, wird im Politikbereich versucht, möglichst vielen – verschiedenen – Gruppen gerecht zu werden. Dies wird umso besser erreicht, je allgemeiner und unbestimmter sich ausgedrückt wird (vgl. Dieckmann 1969, S. 103). Im Unterschied zur Alltagssprache ist die Vereinigung von Verständlichkeit und Genauigkeit ein wichtiges Merkmal der politischen Sprache. Allerdings bedeutet Verständlichkeit eine Vereinfachung, die zu Ungunsten der Genauigkeit geht. „Die Integrationsleistung der politischen Sprache erfordert einen hohen Preis: den Preis einer mangelnden Präzision ihrer Begriffe.“ (Bergsdorf 1991, S. 24).

Auffällig ist das Entweder-Oder-Prinzip in der politischen Sprache. „Man denke an Begriffsschemata wie Freiheit – Unfreiheit, Gerechtigkeit – Ungerechtigkeit und auch Frieden – Krieg. “ (Bergsdorf 1991, S. 22), welches mit gegensätzlichen Begriffen – ohne Zwischentöne – operiert. Es kann behauptet werden: „Die Sprache der Politik ist eine Sprache der Begriffe.“ (Bergsdorf 1991, S. 22). Zwar werden die Wörter aus der Alltagssprache entliehen, die dann in der Politik den Rang von Begriffen erhalten (vgl. Bergsdorf 1991, S. 22). „Begriffe sind verdichtete Symbole, die für Zusammenhänge stehen und durch sie bestimmt werden.“ (Bergsdorf 1991, S. 22).3 Politische Begriffe besitzen eine negative oder positive Bewertung und sind selbständig, das heißt sie wirken auch als „isolierte Wörter [...], nicht als Wörter im Kontext.“ (Dieckmann 1969, S. 105, 106). Die Begriffe „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ sind die drei wichtigsten Schlagworte der beiden Volksparteien CDU und SPD. Mit einem Wort wird ein politisches Programm suggeriert, ohne es deutlich zu explizieren (vgl. Bergsdorf 1991, S. 23).4

1.2. Begriffe besetzen im linguistischen Sinne

Um die Metapher sprachwissenschaftlich zu analysieren, wird das schon in der Einleitung erwähnte Zitat Biedenkopfs hinzugezogen. „Begriffe besetzen“ wird zunächst als kommunikationsstrategischer Akt angesehen und nicht als „brauchbarer Beschreibungsbegriff für die Analyse politischer Sprache und Texte“ (Klein 1991, S. 48). Zumal die Metapher von dem sprachwissenschaftlichen Laien Biedenkopf kreiert wurde. Dabei wurde außer acht gelassen, sich genauere Gedanken über zeichentheoretische Zusammenhänge – wie in der Sprachwissenschaft üblich – zu machen. So ist von Biedenkopf nicht geklärt, ob „Begriff“ nun als Einheit für das sprachliche Zeichen von Ausdruck und Bedeutung steht oder nur auf einen der Aspekte referiert. Auch bei dem Wort „besetzen“ ist nicht im sprachwissenschaftlichen Sinne geklärt, um „welche sprachlichen Operationen mit und an Wörtern“ (Klein 1991, S. 49) es sich handelt. Auch hier zeigt sich wieder die Bedeutung der Metapher als sprachstrategisches Mittel – mit „besetzen“ wird in einem Wort die „Vertreibung des Gegners als auch die Okkupation von politisch bisher noch nicht vereinnahmten Begriffgelände“ (Klein 1991, S. 49) ausgedrückt.

Ein anderes Problem bei der Analyse von politischen Texte und also auch der vom Politiker Biedenkopf benutzen Metapher des „Begriffe besetzen“ ist, dass nur eine Beschränkung auf das Sprachmaterial ohne Berücksichtigung des Sprechens stattfindet. Somit bleibt „die wesentliche Dimension politischen Sprechens verfehlt“ (Bergsdorf 1991, S. 21). Es reicht in diesem Sinne also nicht aus, politische Texte nur als Texte zu verstehen, „denn sie gewinnen ihre Bedeutung als Texte nur im Kontext von Handlungen.“ (Bergsdorf 1991, S. 21).

Ein weiteres Problem bei der Feststellung, ob „Begriffe besetzen“ sprachwissenschaftlich möglich ist, ist die Abgrenzung zur Sprachkritik, die sich auch mit der Metapher beschäftigte. Für Sprachkritiker kommt ein weiteres Problem bezüglich der Objektivität beim Analysieren hinzu: „Bei jeder Kritik an der politischen Sprache werden unausgesprochen auch politische Inhalte mitkritisiert, welche sich in politischen Handlungen und ihrer sprachlichen Form ausprägen.“ (Bergsdorf 1991, S. 20). Es besteht also ein Problem bei der Differenzierung von Sprache und Handlung.

Nichtsdestotrotz ist die Metapher des Begriffsbesetzens insofern sprachwissenschaftlich relevant, dass sie von Linguisten und Sprachwissenschaftlern - auch im Zusammenhang mit dem Kampf um Worte - untersucht wurde. Dies beweist die Literatur zum Thema.

2 Funktion der Besetzung von Begriffen

2.1 Zweck des Begriffsbesetzens

In der Politik werden Begriffe benutzt, um die öffentliche Meinung zu Gunsten der eigenen Partei zu beeinflussen. So soll die Meinungsbildung aber auch die Meinungsänderung der Öffentlichkeit beeinflusst werden (vgl. Dieckmann 1969, S. 102).

Begriffe werden in der Politik aber auch dazu benutzt, um die „eigenen Mitglieder, Sympathisanten und Wähler [...] „bei der Stange“ zu halten“ (Hombach 1991, S. 36). Mit Begriffen soll aber ebenfalls der politische Gegner deutlich getroffen werden. Die Begriffe selber müssen dem Zeitgeist entsprechen.

So konnte es Anfang der 70er Jahre passieren, dass bei der CDU/CSU aufgrund der verlorenen Bundestageswahl 1972 die „systematische Arbeit an der politischen Sprache“ (Heußen 1976, S. 47) Bestandteil der Parteiarbeit wurde. Speziell die Entwicklung eines Begriffsapparates wurde anvisiert. Dazu wurde eine linguistische Arbeitsgruppe5 gegründet, deren Aufgabe es war, einen wissenschaftlich fundierten Begriffsapparat zur Selbstdarstellung der CDU zu erstellen (vgl. Heußen 1976, S. 47) und zentrale politische Begriffe mit Inhalten aufzufüllen. Als erster Schritt wurde sich an den zentralen Begriffen des gegnerischen Programms6 orientiert. Die Begriffe „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ des Wahlsiegers wurden vom Wahlverlierer neu bestimmt, zu grundlegenden Begriffen christlich demokratischer Politik erklärt und im neuen Parteiprogramm aufgenommen (vgl. Heußen 1996, S. 47)7. So hatte der Ausdruck „Solidarität“ bei der SPD die Bedeutung der Solidarität des politischen Kollektivs. Die CDU verschob die Bedeutung auf eine private (und somit unklassenkämpferische) Solidarität der Familie (vgl. Kuhn 1991, S. 99).

Zum Streit kommt es dann, wenn mehrere Parteien um einen Begriff kämpfen. Zum Beispiel bei der Frage, mit welcher Partei ein bestimmter Ausdruck assoziiert wird und was der Begriff bedeutet. Der vorgenannte Fall, bei dem die erfolgslose Partei die zentralen Begriffe der erfolgreichen Partei8 kopierte, gilt als der „wohl dominanteste Fall der politischen Sprachauseinandersetzung der letzten 20 Jahre in der Bundesrepublik.“ (Kuhn 1991, S. 96).

Beim Kampf der beiden Volksparteien zeigt sich noch eine weitere Funktion der Begriffe. So werden die Ausdrücke „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“ in der Allgemeinsprache positiv bewertet. Im Streit der Parteien, geht es jetzt also darum, wer die Begriffe politisch-inhaltlich ausfüllt (vgl. Hombach 1991, S. 38).

Aber Begriffe haben auch noch eine andere Aufgabe für die jeweiligen „Besetzer“ zu erfüllen. Sie dienen zur „Be-Wertung, zur Auf-Wertung der eigenen [Partei]9 und [...] Vorhaben, zur Ab-Wertung der politischen Gegner und ihrer Konzepte“ (Hombach 1991, S. 38). Konkret wird im Wahlkampf öffentlich um die demokratische Mehrheit gerungen. Dazu werden die Mittel der politischen Rhetorik und Werbung genutzt: Wahlslogans sind politische Botschaften, in denen ganze Programme gebündelt, Absichten und Alternativen mit wenigen Begriffen signalisiert werden sollen (vgl. Hombach 1991, S. 38).

2.2 Begriffsmetaphorik in Biedenkopf-Zitaten

Zunächst fällt der Gewaltcharakter der Metapher „Begriffe besetzen“, des in der Einleitung genannten Zitates aus einer Rede auf einem Parteitag 1973 von Biedenkopf auf, der durch den Vergleich mit den Besetzen der „Gebäude der Regierung“ verstärkt wird. Gleichzeitig ist die Metapher Kritik am politischen Gegner (SPD). Dazu äußert sich Biedenkopf: „Indem die SPD positiv besetzte politische Begriffe (Freiheit, Friede, Reform, Solidarität, [...]) für sich beschlagnahmt, indem sie bestimmte politische Schlüsselwörter für sich usurpiert10, läßt sie den politischen Gegner nicht nur bar jeder Konzeption erscheinen, sie macht ihn im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos, d. h. er ist nicht mehr in der Lage, ohne ständige Übernahme auch der geistigen Konzeption des politischen Gegners sich auszudrücken und wird so als möglich politische Alternative gar nicht mehr wahrgenommen.“ (Biedenkopf 1988, S. 194). Dies zeigt auch die Sprachauffassung, dass derjenige, der einen Begriff „besetzt“ hat, auch den Wahrheitsanspruch über diesen Begriff besitzt. „Wenn also die SPD den Begriff Freiheit besetzt hat, so ist es nach dieser Sprachauffassung für die CDU nicht möglich, mit Wahrheitsanspruch von der Freiheit zu reden. Sie wird sprachlos [...].“ (Kuhn 1991, S. 94).

[...]


1 Zitat ist einer Rede auf dem Hamburger CDU-Parteitag im November 1973 entnommen (Hombach 1991, S. 36).

2 So sollen die Medien, durch ihren Einfluss beziehungsweise weil sie über Politik berichten, ebenso wie Politiker Verantwortung für die politische Sprachkultur tragen (vgl. Bergsdorf 1991, S. 21).

3 Nicht immer wird „Begriff“ für die politische Sprache extra definiert, sondern im umgangssprachlichen Sinne benutzt. „Ich verwende in diesem Aufsatz den Ausdruck Begriff in der Regel umgangssprachlich, jedenfalls solange, wie eine nähere linguistische Differenzierung nicht nötig erscheint.“ (Kuhn 1991, S. 90). Wobei andere Literatur deutlich den Begriff aus der Alltagssprache löst und auf die besondere Verwendung verweist: „Die Bedeutung von Wörtern wird durch den allgemeinen Sprachgebrauch geregelt, während Begriffe Sprachgebrauch mit normierter oder normierender Bedeutung sind.“ (Bergsdorf 1991, S. 22).

4 So suggeriert das Wort „Solidarität“ ein „Alle-für-jeden-und-jeder-für-alle-Gefühl“ ohne ausdrücklich zu sagen, wie das konkret aussehen und (durch die Partei) umgesetzt werden soll.

5 Es handelt sich dabei um die sogenannte „Semantikgruppe“, welche auch Empirische Forschung in ihre Arbeit mit einbeziehen sollte (vgl. Heußen 1976, S. 47).

6 Godesberger Programm der SPD

7 So entstand ein Katalog von kanonisierten Begriffen, die sich nach vier Kategorien einteilen lassen. Zum einen sind das Ordnungsbegriffe wie „Staat, Gesellschaft, Mittelstand, Arbeitnehmer, Individuen“ (Heußen 1976, S. 49), Grundwerte etwa wie „Solidarität, Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie“(Heußen 1976, S. 49), außerdem Qualitätskategorien wie „Leistung, Kraft, Gehalt, Bereitschaft“ (Heußen 1976, S. 49) und Zielvorstellungen wie „Gemeinschaft, Allgemeinwohl, Pluralismus, Selbstbestimmung“ (Heußen 1976, S. 49). Die vorgenannten Begriffe tauchen als sogenannte „Sprachregelung“ bei verschiedenen CDU-Politikern in kürzeren Erklärungen oder auch bei Reden auf (vgl. Heußen 1976, S. 49).

8 Es handelt sich hierbei um die schon vorher genannten Begriffe „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Solidarität“.

9 Im Originalzitat ist von „Panei“ die Rede, es handelt sich augenscheinlich aber um Partei, daher Eingriff der Verfasserin.

10 „Usurpieren“ bedeutet gewaltsam nehmen, rauben (Wahrig-Burfeind 1999, S. 977).

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
"Begriffe besetzen" - Der Kampf um Worte in der Politik
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Germanistik - Lehrstuhl für Linguistik und Sprachgeschichte)
Veranstaltung
Öffentlich-politischer Sprachgebrauch
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
16
Katalognummer
V54099
ISBN (eBook)
9783638493710
ISBN (Buch)
9783638802505
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Begriffe, Kampf, Worte, Politik, Sprachgebrauch
Arbeit zitieren
Annika Fischer (Autor:in), 2003, "Begriffe besetzen" - Der Kampf um Worte in der Politik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54099

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