Analyse der Rahmenpläne für die generalistische Pflegeausbildung in Hinblick auf Interprofessionalität


Akademische Arbeit, 2020

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Zusammenfassung

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Analyse des Ordnungsmittels „Rahmenpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG (2019)“
1.1 Formale Gestaltung
1.2 Aussagen zum Entstehungsprozess der RP
1.3 Pädagogische Orientierung bzw. didaktisch-methodische Gestaltung der generalistischen Pflegeausbildung
1.4 Art und Ausmaß der Festlegungen und deren Begründungszusammenhang
1.5 Organisation der generalistischen Pflegeausbildung
1.6 Zusammenfassende Bewertung der pädagogischen Orientierungsfunktion der RP

2. Interprofessionalität
2.1 Relevanz der Interprofessionalität in der Pflege
2.2 Interprofessionalität in den RP
2.3 Vorschläge für die Revision der RP hinsichtlich der Interprofessionalität

Literaturverzeichnis

Charité – Universitätsmedizin Berlin

CC1 – Human- und Gesundheitswissenschaften

Masterstudiengang Health Professions Education

Bezeichnung des Leistungsnachweises:

Schriftliche Studienarbeit

Modul 10: Curriculumentwicklung und Bildungsplanung

Schriftliche Studienarbeit zum Thema:

Analyse der Rahmenpläne für die generalistische Pflegeausbildung

(„Rahmenpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG 1. August 2019“) mit besonderem Hinblick auf Interprofessionalität

Zeitraum: WS 2019/2020

Semester: 3. Fachsemester

Ort: Charité Berlin

Abgabedatum in digitaler Form: 5. März 2020

Vorgelegt von:

Diplom-Pflegewirt (FH) Markus Hieber, M. A.

Zusammenfassung

Im August 2019 erschienen gemäß § 53 des Pflegeberufegesetzes die bundesweit geltenden Rahmenpläne (RP), die einen empfehlenden Charakter haben und den Anspruch verfolgen, die Pflegeausbildung bundeseinheitlich zu gestalten. Die RP wurden von einer elfköpfigen Fachkommission (FK) erarbeitet, deren Mitglieder sich zuvor als Expert/innen auf pflegewissenschaftlichem, pflegepädagogischem und/oder pflegefachlichem Gebiet einen Namen gemacht haben. Der RP wurde von der Expertenarbeitsgruppe ehrenamtlich mit einem enormen Arbeitspensum innerhalb von einem halben Jahr erarbeitet, was weder der Arbeitsgruppe, noch dem Produkt gutgetan hat, denn der Text wirkt wie mit der heißen Nadel gestrickt, enthält Wiederholungen, lässt wichtige Fragen der konkreten Umsetzung offen, ist unsorgfältig editiert und uneinheitlich layoutet, dazu auch noch unübersichtlich. Die Auflistungen von Kompetenzen, die aus der Pflegeausbildungs- und Prüfungsverordnung wörtlich übernommen wurden, sind schwer zu lesen, weil sie weniger sinnstiftend, sondern programmatisch sind. Der Kompetenzbegriff wirkt überstrapaziert und eigentliche Lernziele wurden zu „Kompetenzen“ umdefiniert. Dabei besteht das Dilemma, dass die Regulierung der beruflichen Bildung in der föderalen Struktur der BRD Ländersache ist und bereits auf die bundesweit gültigen RP landesweite RP gefolgt sind, allerdings zum Teil noch in der Entwurfsfassung. Die FK möchte bundesweite Einheitlichkeit und Länderhoheit zugleich, was ein Widerspruch in sich ist. Die RP sollen zugleich nur eine Empfehlung sein, aber auch ein Standard, den man nicht ignorieren kann. Didaktische Kernstücke der RP sind die Kompetenzorientierung, die „Entwicklungslogik“ bei einem spiralförmigen Curriculum, damit eng verbunden die Handlungsorientierung als Sonderform der Situationsorientierung, der Pflegeprozess als Grundstruktur und die vorbehaltenen Tätigkeiten. Der theoretische und praktische Unterricht ist in elf curriculare Einheiten unterteilt. Im dritten Ausbildungsdrittel erfolgt eine Spezialisierung zur Pflegefachperson, zum/zur Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in oder zum/zur Altenpfleger/in, was sich auch in den Varianten der curricularen Einheiten wiederspiegelt. Die praktischen Einsätze sind unterteilt in einen Orientierungseinsatz, in Pflichteinsätzen und einen Vertiefungseinsatz. Interprofessionalität ist in der Pflege immer schon ein großes Thema gewesen. Die RP thematisieren die Rolle des Pflegeschülers im interprofessionellen Team, zeigen die Potenziale, aber auch die Probleme der Interprofessionalität auf und weisen darauf hin, wie man Konflikte in der interprofessionellen Zusammenarbeit lösen kann. Empfehlung für die Erstellung weiterer Auflagen der RP wäre eine Abstimmung mit anderen Gesundheitsprofessionen und deren RP, im besten Fall gemeinsame Ausbildungsveranstaltungen für verschiedene Professionen.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Analyse des Ordnungsmittels „Rahmenpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG (2019)“

1.1 Formale Gestaltung

Die erste Seite der Rahmenpläne der Fachkommission (FK) nach § 53 PflBG (im Folgenden RP genannt) enthält den Titel und den Untertitel der RP. Das ist also das, was der/die Leser/in als erstes sieht, wenn er/sie das Dokument aufruft. Er/sie suchte wahrscheinlich mit Hilfe einer Internet-Suchmaschine nach den Rahmenplänen für die generalistische Pflegeausbildung und landete auf diesem PDF-Dokument; aber auf der Titelseite findet sich weder das Wort „Generalistik“, noch das Wort „Pflege“, dafür dann aber Formulierungen, die auch auf Dutzenden von anderen RP ganz anderer Professionen vorfindbar sein könnten. Einzig alleine eine für den Rechtsunkundigen kryptische Abkürzung „PflBG“ gibt einen Hinweis, um was es eigentlich gehen könnte, wobei der Paragraph 53 § des besagten Gesetzes weder allen Pflegenden, noch allen Pflegedozenten geläufig sein wird. Wird die erste Seite der RP aufgeschlagen, ist also erst mal Irritation da und die Frage, ob man wirklich den richtigen Hyperlink erwischt hat.

Die RP sind in fünf Teile untergliedert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Aufteilung der RP in fünf Teile

Anhand von Tabelle 1 ist deutlich erkennbar, dass die RP die Priorität bei den Vorschlägen zu den Schulcurricula setzen. Der Begründungsrahmen ist mit 27 Seiten hingegen sehr knapp gehalten. Die RP für den theoretischen und praktischen Unterricht sind dreimal so umfangreich wie die RP für die praktische Ausbildung. Das mag zwei Gründe haben:

I. Der Lerngehalt der praktischen Einsätze ist schwerer planbar, weil nie gewiss sein wird, welchen Krankheitsbildern und Situationen die Schüler/innen im Setting begegnen werden.
II. Durch die enge Verzahnung von schulischem und praktischem Teil der Ausbildung wird schon im theoretischen und praktischen Unterricht vieles vorweggenommen, was der Schüler dann im folgenden praktischen Einsatz in realitas erlebt.

Apparat und Anlagen sind naturgemäß kurz.

Die RP sind so ausführlich, wie nie zuvor RP in der Pflege in Deutschland waren. Die Berliner Handreichung für Altenpflege umfasst gerade mal 16 Seiten; die RP wurden auf 324 Seiten ausgebreitet. Hintergrund ist das Bestreben, durch besonders präzise Vorgaben die Ausbildung in der BRD vergleichbar zu gestalten, so dass kein Unterschied je nach Einrichtung, Schule oder Bundesland entsteht1.

Allerdings ist der große Umfang der RP auch dem Umstand geschuldet ist, dass hinsichtlich drei verschiedener Spezialisierungen im dritten Ausbildungsdrittel auch einige curriculare Einheiten in jeweils drei verschiedenen Varianten vorliegen. Dies führt zu einer nicht unerheblichen Redundanz, da die Variationen ein und derselben CE, mal für die Ausbildung zur Pflegefachperson, mal für die Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger und mal für die Ausbildung zum Altenpfleger sehr ähnlich formuliert sind.

Jeder Teil des Textes wird durch einen Zwischentitel eingeleitet. Auf die Seiten mit den Zwischentiteln folgt jeweils ein Inhaltsverzeichnis. Es gibt also drei Inhaltsverzeichnisse:

- I. Inhaltsverzeichnis: Aufbau des gesamten Textes: Seite 3.
- II. Inhaltsverzeichnis: Aufbau der Rahmenlehrpläne für den theoretischen und praktischen Unterricht: Seite 33.
- III. Inhaltsverzeichnis: Aufbau des Rahmenausbildungsplans für die praktische Ausbildung: Seite 246.

Bei Farbcodierungen ist z. B. an farbliche Unterlegungen einer Tabelle oder Farbstreifen am Rand zu denken, so dass man schon im Buchschnitt (Kopf-, Vorder- oder Fußschnitt) erkennen kann, wo sich welcher Teil des Textes befindet. Eine Farbcodierung ist weitgehend nicht vorhanden, würde die Arbeit mit den RP aber massiv erleichtern. Ausnahme bilden lediglich folgende „farblichen“ Hervorhebungen:

- Die Schrift sämtlicher Titel, Zwischentitel, Kapitelüberschriften ist dunkelblau und Namen der Mitglieder der FK erscheinen ebenfalls in dunkelblauer Farbe.
- Die oberste Zeile einer curricularen Einheit (CE) ist dunkelgrau hinterlegt. Diese Zeile enthält die Nummer und den Titel der curricularen Einheit sowie die Anlage der Pflegeausbildungs- und Prüfungsverordnung, die für diese CE relevant ist; das der Titel der CE hier noch mal auftaucht, erstaunt, da er schon in der Kapitelüberschrift enthalten ist.
- Die zweite, folgende Zeile einer CE wurde hellgrau hinterlegt (Information dazu, in welchem Ausbildungsdrittel die CE stattfindet und wie viele Stunden die CE umfasst).

Die curricularen Einheiten, die in den RP für den theoretischen und praktischen Unterricht beschrieben werden, sind in Tabellenform gehalten, mal ein-, mal zweispaltig, wobei es für eine einspaltige Tabelle keinen erkennbaren Grund gibt und hier die Linien der Tabelle einzig und alleine einen Rahmen für den Text bilden. Geht es aber um die Situationsmerkmale und Inhalte einer curricularen Einheit, ergibt eine Tabellenstruktur Sinn; in der linken Spalte befinden sich dann die Situationsmerkmale, in der rechten Spalte die Inhalte.

Der Rahmenausbildungsplan enthält keine Tabellen und ist in reiner Textform gehalten. Für das gesamte Dokument wurde die serifenlose Schriftart „Arial“ gewählt, die in Größen 11 (Standardtext), 12 (Überschriften der curricularen Einheiten) 28 (Untertitel auf dem Titelblatt), 32 (Zwischentitel) und 36 (Titel) erscheint. Der Abstand zwischen den Zeilen ist uneinheitlich und variiert von 1,13 (Teil III) bis 1,5 (Teil II).

Teil II, IV und V sind in Blocksatz gehalten, Teil I teilweise mittig, teilweise Flattersatz, teilweise Blocksatz; Teil III ist in tabellarischer Form gehalten und daher im Flattersatz gesetzt worden.

Grundsätzlich gilt, dass bei einem Kurzbeleg im Text auch die Seitenzahl genannt wird (vgl. Poenicke 1988: 141 f.), weil sonst der Leser bei der Suche des Zitats in der Originalquelle sehr lange suchen müsste. Die Kurzbelege in den RP sind uneinheitlich und enthalten mal eine Seitenzahl, mal nicht: Zum Beispiel wird auf Seite 11 bei dem Verweis auf Reetz und Seyd 2006 sowie Kaiser 1985 keine Seitenzahl genannt. Anders wird auf Seite 5 vorgegangen, da bei der Quellangabe zum Text von Igl durchaus eine Seitenzahl erwähnt wird.

Das Literaturverzeichnis führt ohne weitere Unterteilung Ordnungsmittel, graue Literatur, Monographien, digitale Dokumente und Buchkapitel auf. Nachnamen sind in Kapitälchen gesetzt; Vornamen werden mit Punkt abgekürzt; Hyperlinks wurden nicht entfernt; Verlagsangaben wurden konsequent weggelassen. Das Literaturverzeichnis listet nicht sämtliche Literatur, auf die im „Begründungsrahmen“ Bezug genommen wird; eine Fußnote auf Seite 15 enthält Literaturangaben, die aber im Literaturverzeichnis nicht wiederaufgenommen werden. Bei eines in dieser Fußnote genannten Werke wird ausnahmsweise der Verlag genannt.

Dafür, dass alle Mitglieder der FK einen pädagogischen Hintergrund haben und mit didaktischen Konzepten vertraut sind, ist das vorliegende Dokument erstaunlich unübersichtlich strukturiert und visuell nicht unmittelbar eingängig. Der Nutzer möchte beim Aufschlagen eines Dokuments dieserart sofort intuitiv einen Eindruck erhalten, wie er sich darin zurechtfinden kann. Sollte es eine Neuauflage dieser RP geben, sollte man sich unbedingt etwas ausdenken, um es eingängiger zu gestalten; Farben, Formen, Grafiken, Symbole, Icons oder bunte Registertrennblätter; immerhin sind die RP ein Arbeitsdokument, das von den Lehrer/innen und Praxisanleiter/innen, die sich damit befassen müssen, oft in die Hand genommen wird. Zusätzliche Orientierung würde ein Stichwortverzeichnis liefern. Da es sich um ein PDF-Dokument handelt, kann man bei der Stichwortsuche freilich die Suchfunktion des „Acrobat Readers“ oder einer anderen Software zum Anzeigen von PDF-Dateien nutzen; doch dann kann der Leser den Text nur am PC verwenden.

1.2 Aussagen zum Entstehungsprozess der RP

In den RP wird der Entstehungsprozess erläutert und auf das ihnen zu Grunde liegende PflBG verwiesen (vgl. FK 2019, S. 5). In §53 PflBG wird bestimmt: „Zur Erarbeitung eines Rahmenlehrplans und eines Rahmenausbildungsplans für die Pflegeausbildung nach Teil 2 sowie zur Wahrnehmung der weiteren ihr nach diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben wird eine Fachkommission eingerichtet. (…) Die Fachkommission besteht aus pflegefachlich, pflegepädagogisch und pflegewissenschaftlich für die Aufgaben nach Absatz 1 ausgewiesenen Expertinnen und Experten. Sie wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vom Bundesministerium für Gesundheit für die Dauer von jeweils fünf Jahren eingesetzt. Die Berufung der Mitglieder erfolgt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium für Gesundheit im Benehmen mit den Ländern.“

Wie aber die beiden genannten Bundesministerien „im Benehmen mit den Ländern“ bei der Einsetzung und Berufung der FK vorgegangen sind, bleibt im Dunkeln. Bei Texten von Experten ist es üblich, die Expertise dieser Personen, also wesentliche Etappen ihrer Lebensläufe anzuführen, damit nachvollziehbar ist, wieso sie eigentlich Mitglieder des illustren Autorenteams geworden sind. Als Vorbild können hier die Expertenstandards des Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege dienen, in denen der berufliche Werdegang jedes Experten mit einem Mehrzeiler gewürdigt wird. Im Impressum der RP auf Seite 2 sind zwar alle elf Mitglieder der FK mit Titel, Vor- und Zunamen, Wohnort und ggf. Funktion innerhalb der Kommission aufgeführt, aber erst durch Internetrecherche kann man mehr oder weniger ausführlich erfahren, welche Expertise die Mitglieder der FK vorzuweisen haben.2 Fünf der sechs Expert/innen haben Expertise auf dem pflegefachlichen, pflegepädagogischen und pflegewissenschaftlichen Gebiet; die sechs anderen verfügen aber „nur“ über besonderes Fachwissen in zwei der drei genannten Bereiche.

Die FK hat im Dezember mit der Erarbeitung der RP begonnen und nur sechs Monate dafür gebraucht (vgl. FK 2019, S. 5). Die Zusammenarbeit wird wie folgt beschrieben: „In acht zweitägigen Kommissionssitzungen sowie in zwischenzeitlichen intensiven Arbeitsphasen in kleineren Arbeitsgruppen haben die Kommissionsmitglieder alle konzeptionellen Fragen gemeinsam diskutiert und konsensorientiert entschieden. Sämtliche Zwischenergebnisse wurden trotz des engen Zeitplans mehrfach in der Kommission abgestimmt und weiterentwickelt. In die Beratungsprozesse gingen auch die zahlreichen Stellungnahmen und Vorschläge ein, die an die FK während des Entwicklungsprozesses der RP von unterschiedlichen Seiten herangetragen worden sind.“ (FK 2019, S. 6). Vertreter der beiden auftraggebenden Ministerien haben beratend an den Sitzungen der FK teilgenommen (vgl. FK 2019, S. 6). Eine Geschäftsstelle des Bundesinstitutes für Berufsbildung hat die FK verwaltungstechnisch unterstützt (vgl. FK 2019, S. 6). In § 53 PflBG ist bestimmt worden, dass die FK den Entwurf für die RP erstmals bis zum 1. Juli 2019 dem BMG und dem BMFSFJ vorlegen soll, damit dort die Vereinbarkeit mit dem Gesetz geprüft werden könne. Am 1. August 2019 wurden die RP offiziell veröffentlicht (FK 2019, S. 1).

Genaueres sucht man in den RP vergebens; man erfährt weder, wie die kleineren Arbeitsgruppen zusammengesetzt waren, was sie wie beratschlagten und zu Papier brachten, noch wer sich hinter den „unterschiedlichen Seiten“ (FK 2019, S. 6) verbarg, die Vorschläge einbrachten.

Grundlage für die Arbeit der FK waren die auf S. 31 genannte Literatur, die Literatur, die zusätzlich in der Fußnote 1 auf Seite 15 genannt wurde, das PflBG und die PflAPrV, vor allem die Anhänge 1 – 4, in denen die Kompetenzen, die die Auszubildenden erwerben sollen, benannt werden. Vier der elf Mitglieder der FK waren schon an der Erstellung der PflAPrV nebst Anlage 1 beteiligt, wie aus einem Schreiben von Hundeborn et al. an die Bundeskanzlerin Merkel vom 11. November 2016 hervorgeht (Hundeborn 2016, S. 1), haben sich also selbst die Vorlage geliefert.

Fazit: die überstürzte Arbeitsweise bei der Erstellung der RP haben weder den Mitgliedern der FK, noch den RP selbst gutgetan. In den RP beklagen sich nämlich die Mitglieder der FK über ein „enormes Arbeitspensum“ (FK 2019, S. 6). Gut Ding braucht Weile und ein bisschen mehr Bearbeitungszeit hätte das Dokument ausreichend reifen lassen. Wieso war plötzlich so viel Eile geboten, wo man doch zuvor sich bei der Gesetzgebung derart viel Zeit gelassen hat? Die RP sind nicht nur formal uneinheitlich und unübersichtlich gestaltet, es enthält auch schwer zugängliche Auflistungen von sehr unterschiedlichen Kompetenzen. Einige didaktische Ideen wurden nicht ausreichend ausgearbeitet, so dass es erst zusätzlicher Fortbildungen und Dokumente bedarf, damit der Anwender überhaupt versteht, worauf die Experten hinauswollen. Die Einteilung in curriculare Einheiten (CE) ist völlig willkürlich und man hätte genauso gut 20 CE schaffen können. Der tiefere Sinn einer CE, den Gesamtstoff übersichtlich zu strukturieren und handhabbar zu machen, wurde verfehlt.

1.3 Pädagogische Orientierung bzw. didaktisch-methodische Gestaltung der generalistischen Pflegeausbildung

Folgende didaktischen Konzepte bilden den Kern der RP:

- Kompetenzorientierung
- „Entwicklungslogik“ bzw. spiralförmiges Curriculum
- damit eng verbunden die Handlungsorientierung als Sonderform der Situationsorientierung
- Pflegeprozess als Grundstruktur
- vorbehaltene Tätigkeiten

Schauen wir uns diese didaktischen Kernstücke der RP mal der Reihe nach an:

Kompetenzorientierung: Die Zeiten, in der man mit drei oder vier Kompetenzen durchs pflegerische Berufsleben gelangte, sind nun wohl endgültig vorbei. Lauber hatte noch 2012 die berufliche Handlungskompetenz in drei Kompetenzen zerlegt, die Fach- und Methodenkompetenz, die Sozialkompetenz und die personale Kompetenz (vgl. Lauber 2012, zit. n. Schewior-Popp 2017, S. 40). Nun aber bestimmen die Anlagen 1 – 4 der PflAPrV die Kompetenzen, die die Lernenden im Laufe ihrer Ausbildung erwerben sollen. Laut PflAPrV sollen die SuS bis zur Zwischenprüfung nach zwei Ausbildungsdritteln 78 Kompetenzen erworben haben (Anlage 1); die Pflegefachpersonen sollen über 84 Kompetenzen verfügen (Anlage 2) und die Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/innen sowie die Altenpfleger/innen über jeweils 85 Kompetenzen (Anlage 3 & 4). Dabei sind die Kompetenzen so formuliert, so dass man sie auch als Zielsetzungen verwenden könnte. Die Kompetenzen aus den Anlagen der PflAPrV tauchen in den RP wieder auf, und zwar zugeordnet zu den curricularen Einheiten, zu denen sie thematisch passen. Überdies wurden in der PflAPrV die Kompetenzen fünf „Kompetenzbereichen“ subsummiert, also Gruppen von Verhaltensdispositionen, von denen man bisher auch noch nie gehört hat: „I. Pflegeprozesse und Pflegediagnostik in akuten und dauerhaften Pflegesituationen verantwortlich planen, organisieren, gestalten, durchführen, steuern und evaluieren. (…) II. Kommunikation und Beratung personen- und situationsbezogen gestalten. (…) III. Intra- und interprofessionelles Handeln in unterschiedlichen systemischen Kontexten verantwortlich gestalten und mitgestalten. (…) IV. Das eigene Handeln auf der Grundlage von Gesetzen, Verordnungen und ethischen Leitlinien reflektieren und begründen. (…) V. Das eigene Handeln auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen und berufsethischen Werthaltungen und Einstellungen reflektieren und begründen.“ (Anlage 6, PflAPrV)

Kompetenz wird als „Handlungsvoraussetzung des Einzelnen“ (FK 2019, S. 10) im Verborgenen definiert, das sich in der Performanz zeigen kann, aber nicht zeigen muss; dies wirkt wie das bekannte Eisbergmodell, gemäß dem man auf der hohen See nur die Spitze eines Eisbergs mit bloßem Auge erkennt, nicht aber den größeren Teil des Berges, der sich unterhalb des Meeresspiegels befindet. Welchen Mehrwert aber eine Schaumvokabel wie „Performanz“ mit sich bringt, also ein Begriff, den man im philosophischen Diskurs gelegentlich hört und der zugleich an experimentelles Off-Theater denken lässt, und die Autor/innen nicht anstatt dessen die Begriffe Handlung, Aktivität oder Anwendung benutzen, wird theoretisch nicht hergeleitet.

„Entwicklungslogik“ bzw. spiralförmiges Curriculum: Auffällig ist, dass die Auszubildenden innerhalb von zwei Ausbildungsdritteln bereits 78 Kompetenzen erwerben konnten, also durchschnittlich pro Ausbildungsdrittel 39 Kompetenzen, dann im letzten Ausbildungsdrittel aber nur noch sechs weitere Kompetenzen erlangen müssen. Die Idee des den RP zu Grunde liegende Kompetenzniveaumodell ist aber, das vorhandene Kompetenzen wachsen können; nicht nur die Menge an Kompetenzen wird also mehr, sondern auch die Kompetenzen selbst werden ausgebaut. Die Kompetenz wird in sich „verkomplizierenden Kontextfaktoren“ (FK 2019, S. 15) erweitert; im Ausbildungsverlauf werden die Anforderungen an den Auszubildenden von leicht über mittel bis schwer allmählich angezogen. Acht von elf CE erstrecken sich über die gesamte Ausbildung und so wird in der Beschreibung der CE zwischen zwei Kompetenzniveaus unterschieden, also das Kompetenzniveau, das nach zwei Ausbildungsdritteln und das Kompetenzniveau, das am Ende der Ausbildung mit dem Examen erlangt sein soll. Entgegen der gängigen dualen Vorstellung von Kompetenz, dass jemand also entweder kompetent oder inkompetent ist, so wie eben auch ein OP-Instrument nicht ein bisschen steril sein kann, sondern entweder steril oder unsteril ist (definiert nach dem Grad an noch vorhanden Restkeimen), so wird in den RP ein fluides Kompetenzniveaumodell angewandt: „Die in der Ausbildung zu erwerbenden und zu entwickelnden Kompetenzen werden als komplexe Konstrukte verstanden, die sich dynamisch über den Ausbildungsprozess und den Berufsverlauf weiterentwickeln.“ (FK 2019, S. 9 f.) Die Entwicklungslogik entspräche dem „spiral-förmigen Aufbau der Rahmenlehrpläne“ (FK 2019, S. 16). Spiralförmig ist ein Curriculum dann, wenn im Ausbildungsverlauf Themen mit zunehmenden Komplexitätsgrad wiederkehren.

[...]


1 So wurde in einem Vortrag auf der Fachtagung „Leinen los – Auf in die neue Pflegeausbildung“ am 27. Februar an der BTU Cottbus-Senftenberg begründet, warum die Rahmenpläne auf Bundesebene verfasst wurden.

2 Auf der NEKSA-Fachtagung „Leinen los“ scherzte die Vorsitzende der Fachkommission Prof. Hundeborn, dass sie nun „Immi“ (= integrierter Zugezogener) in Köln sei und daher die Fachkommission nach dem Vorbild eines karnevalistischen „Elferrats“ elf Mitglieder zähle.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Analyse der Rahmenpläne für die generalistische Pflegeausbildung in Hinblick auf Interprofessionalität
Hochschule
Charité - Universitätsmedizin Berlin  (Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft)
Veranstaltung
Modul 10 Curriculumentwicklung und Bildungsplanung
Note
1,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
28
Katalognummer
V540899
ISBN (eBook)
9783346166753
ISBN (Buch)
9783346166760
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Curriculare Entwicklung, Generalistik, generalistische Pflegeausbildung
Arbeit zitieren
Markus Hieber (Autor:in), 2020, Analyse der Rahmenpläne für die generalistische Pflegeausbildung in Hinblick auf Interprofessionalität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540899

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