Humberto Maturanas "Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins". Eine kritische Nahaufnahme


Seminararbeit, 2014

16 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. EINLEITUNG

II. DARSTELLUNG DES TEXTES

III. KRITISCHE WÜRDIGUNG

IV. SCHLUSSTEIL bzw. KONLUSION

V. BIBLIOGRAPHIE

I. Einleitung

Die vorliegende Abschlussarbeit des Seminars „Sozialphilosophie: Kultur und Ökonomie“ versteht sich als wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem ersten Teil des 1993 erschienen Buches „Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins“ von Humberto R. Maturana und Gerda Verden-Zöller1. Stand in der ersten Hälfte des – gewissermaßen interdisziplinären – Seminars noch die Kritik an den Mechanismen samt den ökonomischen und kulturellen Unvermögen und Fatalismen der vorherrschenden Wirtschaftssysteme im Vordergrund, so widmete sich die zweite Hälfte stärker dem vermittelten Menschenbild bzw. existenziellen Grundlagen des Menschseins, teils auf historisch-kulturelle, teils auf anthropologisch-biologische Weise.

Letztgenanntes trifft auch auf den zu behandelnden Text zu, der die Möglichkeit bietet, entgegen dem kapitalistisch-orientierten Wettbewerbs- und Profitmaximierungs-Denken die Wurzeln des eigentlichen Menschseins offenzulegen und auf diese Weise einen gewissermaßen anthropologisch-kulturellen Ausweg aus den kapitalistischen Denkstrukturen, in die wir aufgrund der gegenwärtig vorfindlichen patriarchalen Kultur verhaftet sind, aufzeigt.

Im ersten Schritt dieser Seminararbeit wird der gegenständliche Text dargestellt, um ihn in einem zweiten Schritt einer adäquaten kritischen Würdigung unterziehen zu können. Abschließend werden die Hauptthesen in einem Schlussteil zusammengefasst und zu einer Konklusion hingeführt.

Humberto R. Maturana, geb. 1928, chilenischer Biologe und Philosoph mit Arbeitsschwerpunkt Neurobiologie; er leitet das Instituto Matricitica in Santiago, dort arbeitet er am Verhältnis der „Biologie der Liebe“ zur „Biologie der Erkenntnis“; er gilt als Begründer des „Radikalen Konstruktivismus“.

Gerda Verden-Zöller, promovierte in Psychologie, Psychiatrie und Philosophie der Naturwissenschaften; sie ist Dozentin und Gründerin der Forschungsstelle für Ökopsychologie der frühen Kindheit.

II. Darstellung des Textes

Da unser menschliches Tun in Sprache in Verbindung mit einer bestimmten Art des Emotionierens, i.e. von einem Handlungsverlauf zum anderen fließen, geschieht, ist es notwendig, sich mit den emotionalen Grundlagen unserer Kultur näher auseinanderzusetzen. Unsere Emotionen, z.B. Wünsche, Vorlieben, Ängste oder Ehrgeiz sind es nämlich, die in jedem Augenblick unser Tun bestimmen – und nicht etwa unsere Ratio, also die Verfügbarkeit von Naturschätzen oder die ökonomischen Möglichkeiten, die Merkmale der Welt zu sein scheinen. Sprache wurde Teil der Lebensweise, als eine Form des Zusammenlebens in konsensuellen Koordinationen von konsensuellen Koordinationen von Handlungen und wurde von Generation zu Generation bewahrt als eine gelernte Standardpraxis der Lebensweise. Dieses Sprachhandeln gepaart mit dem Emotionieren unserer Vorfahren nennt Maturana Konversation. Die Menschheit entstand laut Maturana, als unsere Vorfahren begannen, in Konversationen zu leben.2

So ereignen sich alle menschlichen Tätigkeiten konstitutiv als Konversationen in einem Netzwerk von Konversationen mit der Folge, dass alles, was wir außerhalb des Bereichs von Konversationen feststellen, keine menschliche Tätigkeit ist.3

Weil Emotionen in der Geschichte des Ursprungs der Menschheit der Sprache vorausgehen, treffen wir immer dann eine Einschätzung möglicher Handlungen (also bestimmte Dinge zu tun und andere nicht), wenn wir als menschliche Wesen eine Emotion unterscheiden. Mittels der auf Emotion bezogenen Sprache weisen wir sozusagen auf die Handlungsbereiche hin. Die Emotion, etwa Liebe oder Furcht, die – biologisch gesprochen – dynamisch körperliche Bereitstellung von Handlungen ist, bestimmt also die Handlung.4

Als Kultur versteht Maturana ein geschlossenes Netzwerk von Konversationen, die eine bestimmte Art zu leben ausmacht, also eine Konfiguration von Verflechtungen aus Handeln und Emotionen.5

Die Mitgliedschaft in einer Kultur ist operational und nicht konstitutiv. Jedes menschliche Wesen kann zu verschiedenen Zeitpunkten seines Lebens zu verschiedenen Kulturen gehören, je nachdem, an welchen Konversationen es teilnimmt. Demnach entsteht eine Kultur, sobald ein geschlossenes Netzwerk von Konversationen als Lebensweise einer menschlichen Gemeinschaft bewahrt zu werden beginnt und verschwindet oder verändert sich, wenn dieses Netzwerk von Konversationen nicht mehr bewahrt wird.6

Damit kultureller Wandel verstanden werden kann, bedarf es einerseits der Notwendigkeit, geschlossene Netzwerke von Konversationen – als eine Zutat für Kultur, in der bestimmte menschliche Gemeinschaft lebt – charakterisieren zu können und andererseits jener, die Bedingungen der emotionalen Veränderungen zu erkennen, unter denen die Koordinationen von Handlungen der Gemeinschaft sich wandeln, sodass eine neue Kultur entsteht. Maturana macht dies, indem er zuerst die patriarchale und danach die matristische Kultur beschreibt.7

Die patriarchale Kultur ist durch ein geschlossenes Netzwerk von Konversationen bestimmt. Dadurch wird unser alltägliches Leben zu einer Form der Koexistenz, in der es um Kampf, Wettbewerb, Hierarchien, Autorität, Macht, Vermehrung, Wachstum, Inbesitznahme von Naturschätzen und die rationale Rechtfertigung der Kontrolle und Beherrschung von anderen durch Inbesitznahme der Wahrheit geht. Besonders deutlich wird dies innerhalb unseres Sprachgebrauchs, wenn etwa vom Kampf gegen Armut und Ausbeutung oder vom Kampf gegen Umweltverschmutzung gesprochen wird. Wir handeln in dem Selbstverständnis, dass all unsere Handlungen den Einsatz von Gewalt benötigten, wir leben im ständigen Misstrauen der Autonomie den anderen Menschen gegenüber (diesem Umstand wird besonders dann Rechnung getragen, wenn wir versuchen, andere zu kontrollieren) und wir leben im ständig sich gegenseitig ausschaltenden Wettbewerb.8

Mit dem Neologismus „matristisch“ will Maturana dezidiert das Wort „matriarchal“ als jene Kulturform, in der Frauen anstelle von Männern die Autoritäten sind, vermeiden.9

Das Wort „matristisch“ soll vielmehr auf eine Kultur hinweisen, in der Männer und Frauen gleichberechtigte Partner sein können.

Die matristische Kultur als eine präpatriarchale europäische Kultur, die also der patriarchalen vorausging, kann mittels archäologischer Funde geographisch im Bereich der Donau, im Balkan und in der Ägäis festgemacht werden. Es ist davon auszugehen, dass die matristische im Gegensatz zur patriarchalen Kultur durch ein ganz anderes Netzwerk von Konversationen bestimmt gewesen sein muss. Geschichtlich kann man sie einordnen zwischen 7000 und 5000 v. Chr. in Europa. Diese Menschen waren eben nicht durch die vorhin beschriebenen Merkmale einer patriarchalen Kultur bestimmt. Sie verehrten die dynamische Harmonie der Natur in Form einer Göttin, lebten ohne Wunsch, sich gegenseitig zu beherrschen, es gab keinen Wettstreit, da Besitztümer keine zentralen Elemente ihrer Existenz waren und diesen Menschen die emotionale Dynamik des Besitzens fremd war. Zusammenfassend muss die matristische Kultur bestimmt gewesen sein von Teilnahme, Solidarität, Zusammenarbeit, Teilen, Verstehen, Übereinstimmung, gegenseitigem Respekt als prägendstes Element sowie gemeinsame Inspiration.10

Bereits als Kinder wachsen wir als Mitglieder einer Kultur heran, i.e. wir wachsen in ein Netzwerk von Konversationen hinein. „Unsere Mütter lehren uns, ohne dass sie wissen, dass sie uns lehren, und wir lernen von ihnen in der Unschuld unreflektierten Zusammenlebens das Emotionieren ihrer Kultur nur dadurch, dass wir mit ihnen leben.“ (Maturana, 1993, S. 30).11

In der Weise, in der weiter oben die patriarchale und die matristische Kultur beschrieben wurden, lässt sich diese Dichotomie auf das Emotionieren des Kindes übertragen. In der frühen Kindheit des patriarchalen Kontextes, der ersten Phase, ist das Leben des Kindes durch grundlegende emotionale Züge bestimmt wie etwa Zusammenspiel, nicht Wettbewerb, Respekt, nicht Ablehnung, Einladung, nicht Forderung sowie Teilen und nicht Inbesitznahme.12

Dies ändert sich jedoch in der zweiten Phase durch die Erwartungen der Eltern durch Forderungen, die im Kind bis dahin legitime Emotionen negieren und durch andere, ihnen entgegengesetzte ersetzen sollen, Forderungen, die als religiöse Wahrheiten oder traditionelle Werte gerechtfertigt werden, deren Gültigkeit als selbstverständlich angesehen oder mit Hilfe rationaler Argumente bewiesen werden, die ihrerseits auf den gleichen Erwartungen beruhen, die sie selbst rechtfertigen. Kurz: Vom gemeinschaftlichen Spielen zur zwangsweisen Durchsetzung von Eigentumsrechten, wobei das Kind zunehmend Wettbewerb, Inbesitznahme, Beherrschung und Kontrolle über andere lernt.13

Sukzessive ist ein Wandel in den leitenden Emotionen des Kindes feststellbar, Maturana nennt dies emotionaler Widerspruch. Dessen Lösung sieht er in der Entscheidung dafür, in der Biologie der Liebe ein matristisches Leben zu führen.14

Das Emotionieren im matristischen Kontext stellt sich in der ersten Phase im Wesentlichen als gleich dar. Jedoch unterscheidet sich die zweite Phase insofern, als wir davon ausgehen können, dass die Kinder in der matristischen Kultur in ihr Erwachsenensein hineinwuchsen, eingebunden in das gleiche Emotionieren, das ihre Kindheit bestimmte.15

Den Ursprung unserer patriarchalen Kultur weiß Maturana vor ca. 6500 Jahren auszumachen, als die präpatriarchale europäische Kultur von aus dem Osten kommenden patriarchalen indoeuropäischen Hirtenvölkern brutal zerstört wurde. Patriarchale Lebensweise wurde also von Eroberern nach Europa importiert, die selbst wiederum über ihre eigene Geschichte kultureller Veränderungen patriarchal geworden sind.16

Maturana sieht die Entwicklung darin, dass zunächst Mitglieder einer kleinen menschlichen Gemeinschaft, die – um zu leben – einer Herde wandernder Tiere folgten und gelegentlich auch jene Wölfe verfolgten, die von der gleichen Herde lebten.17

Dadurch entstand die Emotion der Unsicherheit, die erst mit dem Töten des Wolfes ausgeräumt wurde – und damit konnte Sicherheit gelebt werden. In diesem Zusammenhang entstand auch Feindschaft als der immer wiederkehrende Wunsch, einen bestimmten anderen zu negieren, sodass der Wolf als Feind getötet wurde. Diese Feindschaft und Inbesitznahme, die im Hirtenleben gelernt wurde, konnte auf diese Weise auf andere Bereiche des Seins und Tuns übertragen werden, etwa in Beziehung auf Land, Ideen und Überzeugungen. Damit gingen das Vertrauen in den natürlichen Zusammenhang und die natürliche Harmonie des Seins verloren und die Gewissheit der Verfügbarkeit des Lebensunterhalts begann zum Gegenstand der Sorge zu werden.18

In diesem Prozess müssen drei weitere wichtige Veränderungen in der Emotionsdynamik der Lebensweise unserer Vorfahren begonnen haben. Erstens, das ständige Bedürfnis, Sicherheit-vermittelnde Güter endlos zu maximieren, zweitens, Wertbeimessung der Vermehrung als Art, Sicherheit zu erlangen durch Vergrößerung der Herde, und drittens, ein Wandel in der Beziehung zum Tod, der fortan als Quelle des Schmerzes und des totalen Verlustes wahrgenommen wurde.19

Die fundamentale Konsequenz dieses kulturellen Wandels in der Lebensweise war die Explosion des Bevölkerungswachstums, die wiederum zu einem entsprechenden Wachstum der Herden, zum Missbrauch der Weidegründe, zur Ausweitung der eigenen Territorien und damit zu Konflikten führte. Daraus mussten, so Maturana, Krieg, Piraterie, Unterdrückung, Sklaverei, aber auch weitreichende Völkerwanderungen auf der Suche nach neuen natürlichen Reichtümern resultieren.20

Die matristische Kultur wurde aber nicht völlig zerstört, sie zog sich auf bestimmte „kulturelle Nischen“ (Maturana, 1993, S. 59) zurück. So ist sie noch in der Beziehung von Frauen untereinander sowie in der Intimität der Mutter-Kind-Beziehung – zumindest in der ersten Phase – zu finden.21

Durch das Zusammentreffen patriarchaler und matristischer Kultur ergeben sich – so diagnostiziert Maturana – mehrere Fehlentwicklungen.

Im Kontext unserer patriarchalen Kultur sehen wir uns mit einer gestörten Entwicklung des Kindes und der Mutter-Kind-Beziehung konfrontiert. So sind nicht nur physiologische Entwicklungsstörungen des heranwachsenden Kindes festzustellen, sondern auch psychische. Als Beispiele hierfür bringt Maturana etwa die Schwierigkeit, Bindungen einzugehen, da Selbstvertrauen und Selbstrespekt – und damit der Respekt anderen gegenüber – verlustig wurde. Durch den Verfall des freien Spiels der Mutter-Kind-Beziehung wird die angestrebte gegenseitige Annahme und Stabilisierung im sozialen Leben durch Vertrauens- und Respektmangel behindert. Dieser ist durch einen ununterbrochenen Rückfall in patriarchale Beziehungsdynamiken bedingt. Des Weiteren ergeben sich auch erhebliche Schwierigkeiten in der Mann-Frau-Beziehung, die aus einem falschen Verständnis der wesensgemäßen Gegensätze zwischen den beiden Geschlechtern resultiert.22

[...]


1 Biographisches:

2 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993): Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag, S. 21 ff.

3 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 22.

4 vgl. ebd.

5 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 24 f.

6 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993): Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag, S. 24 ff.

7 vgl. ebd.

8 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 26 ff.

9 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 20, Fußzeile.

10 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993): Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag, S. 27 ff.

11 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 30 ff.

12 vgl. ebd.

13 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993): Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag, S. 32 f.

14 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 34.

15 vgl. ebd.

16 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 36 f.

17 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 39 f.

18 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993): Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag, S. 43 f.

19 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 44 f.

20 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 45 f.

21 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993), S. 59.

22 vgl. Maturana/Verden-Zöller (1993): Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag, S. 62 f.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Humberto Maturanas "Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins". Eine kritische Nahaufnahme
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz  (Philosophie)
Veranstaltung
Sozialphilosophie: Kultur und Ökonomie
Note
1
Autor
Jahr
2014
Seiten
16
Katalognummer
V540675
ISBN (eBook)
9783346149411
ISBN (Buch)
9783346149428
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Maturana; Kulturphilosophie; Ökonomie
Arbeit zitieren
Daniel Kurzmann (Autor:in), 2014, Humberto Maturanas "Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins". Eine kritische Nahaufnahme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/540675

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