Wie kam es in Neuseeland 1984 zum wirtschaftlichen Tiefpunkt und wieso führten die Reformen seit 1984 zum Aufschwung?


Seminararbeit, 2005

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Logik kollektiven Handelns und der Aufstieg und Niedergang von Nationen

3. Die wirtschaftliche Lage in Neuseeland 1984
3.1 Erklärung der Lage mit der Theorie von Mancur Olson

4. Ansätze der Neuen Institutionenökonomik

5. Die Reformen seit 1984 und die folgende Entwicklung
5.1 Erklärung der Entwicklung mit der Neuen Institutionenökonomik

6. Schlussbemerkungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Neuseeland zählt zu den Wirtschafts-Stars unter den westlichen Industrienationen. „Neu-Boomland“ nannte der Spiegel das Land der glänzenden Bilanzen – Kaum ein OECD-Industrieland hat ein größeres Wirtschaftswachstum, die Arbeitslosenrate ist so niedrig wie fast nirgendwo sonst, und im Jahr 2004 erwirtschaftete der Staat einen satten Haushaltsüberschuss von 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zahlen, die noch vor 20 Jahren undenkbar waren. Bis dorthin, befand der Spiegel, unterschied das Land wenig von einer sowjetischen Kommandowirtschaft. „Wir haben auf einem Narrenschiff gelebt“, konstatierte Labour-Politiker David Lange, nachdem er 1984 als Premierminister das Steuer übernommen hatte. Seine Regierung riss das Ruder herum und leitete einen Reformprozess ein, der Neuseelands Volkswirtschaft von einer der am stärksten regulierten der westlichen Welt in eine der liberalsten verwandelte. Seit 1984 gewann das einstige Narrenschiff rasant an Fahrt. Nach einer kurzen Delle in der Wachstumsbilanz in Folge des Börsencrashs 1987 folgte ab 1990 nach weiteren harten Reformen der konservativen Regierung unter Jim Bolger der nächste Wachstumsschub (vgl. Jung 2005: 104-105).

Rein temporär betrachtet springt der Zusammenhang zwischen den Reformen und dem wirtschaftlichen Aufschwung geradezu ins Auge. Ziel dieser Hausarbeit soll es sein, die Zusammenhänge kausal zu erklären – Wie kam es 1984 zum wirtschaftlichen Tiefpunkt in Neuseeland, und wie führten die Wirtschaftsreformen seit 1984 zum Aufschwung? Aus Gründen des Umfangs werden in der vorliegenden Arbeit aus beiden Reformphasen nur einzelne wichtige Sektoren exemplarisch behandelt, eine vollständige Analyse aller Reformen en Detail würde den Rahmen sprengen.

Die Institutionenökonomik verfügt über interessante Theorien, um die Prozesse zu analysieren, die zum Aufstieg und Niedergang von Nationen führen (vgl. Blum u.a. 2005: 71). Zur Erklärung der Wirtschaftsentwicklung in Neuseeland werden zunächst Mancur Olsons Logik des kollektiven Handelns und die daraus entwickelte Theorie vom Alter der Demokratie vorgestellt, die Olson in seinem Buch „Aufstieg und Niedergang von Nationen“ präsentiert hat. Die Kernthese der Theorie vom Alter der Demokratie lautet: „Verteilungskoalitionen, die sich mit zunehmender Zeit in stabilen Demokratien ausprägen, führen zum wirtschaftlichen Niedergang einer Nation.“ Danach wird die wirtschaftliche Lage in Neuseeland im Jahr 1984 geschildert, anschließend soll versucht werden, ihr Zustandekommen mit der Theorie Mancur Olsons zu erklären. Weiter werden ausgewählte Erklärungsansätze der Neuen Institutionenökonomik – im Folgenden NIÖ abgekürzt – vorgestellt, soweit sie für die in dieser Arbeit behandelte Thematik von Bedeutung sind. Daraufhin werden ausgewählte Reformen vorgestellt, die in Neuseeland ab 1984 den Aufschwung einleiteten. Wie diese Reformen wirkten, soll dann anhand der NIÖ erklärt werden. Die zentrale These hierbei lautet: „Größere ökonomische Freiheitsrechte führen zu einem wirtschaftlichen Aufschwung.“ Als Maß für den Grad ökonomischer Freiheitsrechte wird der Economic Freedom Index – im Folgenden EFI abgekürzt – verwendet.

2. Die Logik kollektiven Handelns und der Aufstieg und Niedergang von Nationen

In seinem Buch „Die Logik des kollektiven Handelns“ beschäftigt sich Mancur Olson mit dem Handeln von Individuen innerhalb einer Organisation sowie der Funktionsweise dieser Organisationen bei der Produktion kollektiver Güter. Organisationen (synonym: Gruppen) definiert Olson als Zusammenschlüsse zu dem Zweck, die gemeinsamen Interessen ihrer Mitglieder zu verfolgen (Olson 2004: 4).

Hierbei unterscheidet Olson drei Arten von Gruppen – die kleinen („privilegierten“) Gruppen, mittelgroße und große („latente“/„umfassende“) Gruppen. Kleine Gruppen sind laut Olson am besten in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen. In kleinen Gruppen ist der Effekt, den ein Einzelner mit seinem Engagement für das Gruppeninteresse erzielt, für den Einzelnen spürbar, und auch sein Anteil am Gruppengewinn ist groß. Zudem gibt es in diesen Gruppen einen sozialen Anreiz, da ein Einzelner sich, wenn er sich nicht an der Bereitstellung des Kollektivguts beteiligt, innerhalb der Gruppe in seinem Ansehen schlechter stellt. In großen Gruppen dagegen fällt es nicht auf, wenn Einzelne sich nicht beteiligen, was für den Einzelnen bedeutet, dass es für ihn am sinnvollsten ist, sich nicht an der Produktion des Kollektivguts zu beteiligen. Er kommt in den Genuss des Kollektivguts, wenn es die anderen bereitstellen, ohne sich selbst an der Bereitstellung beteiligen zu müssen (Trittbrettfahrersyndrom). Aus demselben Grund, dass es nicht auffällt, ob ein Einzelner sich beteiligt oder nicht, besteht für den Einzelnen auch kein positiver Anreiz, sich zu beteiligen, weil er mit seinem Engagement ja nichts unmittelbar bewirken kann. Der Anteil eines Einzelnen am Gruppengewinn ist – bedingt durch die Größe der Gruppe – relativ klein, und soziale Anreize bestehen nicht, weil die Gruppe so groß ist, dass sich die Mitglieder nicht gegenseitig überwachen können. Deshalb müssen große Gruppen selektive Handlungsanreize schaffen, um ihre Mitglieder zum Engagement zu bewegen, sie müssen Belohnungen und Sanktionen einsetzen oder Zwang. Große Gruppen haben zudem den Nachteil, dass aufgrund der Gruppengröße höhere Organisationskosten anfallen, bevor überhaupt etwas von dem Kollektivgut erlangt werden kann. Dazwischen liegen mittelgroße Gruppen. In ihnen erhält kein Einzelner einen genügend großen Anteil am Gruppengewinn, der ihn zur Beteiligung an der Bereitstellung des Gutes veranlassen würde, andererseits sind diese Gruppen klein genug, dass ein Mitglied auffällt, wenn es nicht zur Bereitstellung des Kollektivgutes beiträgt. Die Schlussfolgerung: Kleine Gruppen werden ihre gemeinsamen Interessen besser fördern als große Gruppen (vgl. Olson 2004: 46-50).

Daraus entwickelt Olson im „Aufstieg und Niedergang von Nationen“ die Theorie vom Alter der Demokratie. Stabile Gesellschaften mit unveränderten Grenzen neigen dazu, im Laufe der Zeit mehr Kollusionen und Organisationen für kollektives Handeln zu akkumulieren. Unter diesen Organisationen sind kleine Gruppen eher und schneller in der Lage, sich für kollektives Handeln zu organisieren, als große Gruppen. Daraus folgt, dass kleine Gruppen in einer Gesellschaft mehr Lobby- und Kartellmacht haben als große Gruppen (vgl. Olson 1991: 52). Es liegt im Interesse der aller Gruppen, ihre eigenen Gewinne zu erhöhen, durch welche Mittel auch immer. Das schließt Maßnahmen ein, die, obwohl für die Gesellschaft als Ganzes ineffizient, für die organisierten Gruppen vorteilhaft sind (vgl. Olson 1991: 47). Erfahrungen von Politikern bestätigen dies in der Praxis. Angela Merkel, Kanzlerkandidatin der CDU/CSU, sagte im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 in einem Spiegel -Interview: „Überwinden müssen wir so manche Lobbyinteressen. […] Einzelne Gruppen haben einen sehr verengten Blick auf das Gemeinwohl. Sie klopfen politische Vorschläge daraufhin ab, was sie ihrer Klientel bringen, und lassen danach nichts unversucht, um noch mehr herauszuschlagen“ (Fleischhauer/Steingart 2005: 29).

Für die kleinen Organisationen ergibt sich eine Parallele zu dem einzelnen Individuum innerhalb einer großen Organisation. Die kleine Gruppe kann sich bemühen, die Produktion der Gesellschaft insgesamt zu steigern. Dann aber profitieren alle davon, und die kleine Organisation, die die Durchsetzung der Produktivitätssteigerung zu finanzieren hätte, hätte nur einen kleinen Anteil am Gewinn. Ergo werden kleine Organisationen – äquivalent zum Trittbrettfahrersyndrom – nicht versuchen, den Kuchen insgesamt zu vergrößern, sondern nur ihren Anteil daran, den die Organisation dann komplett für sich hat. Eine offenkundige Methode, wie eine Gruppe den Interessen ihrer Mitglieder dient und dabei Effizienz und Leistung der Gesellschaft verringert, ist die Lobbytätigkeit für eine Gesetzgebung, die bestimmte Preise oder Löhne erhöht. Die Kosten für dieses „Rentseeking“ werden der Gesellschaft aufgebürdet (vgl. Olson 1991: 53-57). Zugleich werden Ressourcen abgezogen in gesamtwirtschaftlich unproduktive Bereiche (vgl. Braun 1999: 123). Umfassende Organisationen können kein Rentseeking betreiben, weil sie einen Anreiz haben, die Gesellschaft, in der sie wirken, aufblühen zu lassen (vgl. Olson 1991: 68).

Große wie kleine Interessengruppen aber haben einen gemeinsamen Nachteil, und dieser wird, je größer und inhomogener die Gruppe ist, noch größer, weil dann gruppenintern noch mehr unterschiedliche Interessen koordiniert werden müssen. Die Gruppen treffen Entscheidungen langsamer als die Individuen und Unternehmen, die sie vertreten, und neigen dazu, den Status Quo zu zementieren anstatt sich den sich ändernden Marktbedingungen immer wieder neu anzupassen. Stattdessen werden Innovationen und neue Technologien blockiert, und damit auch eine Steigerung von Effizienz und Wachstum (vgl. Olson 1991: 73-75 und 82-85).

Um ihre Ziele zu erreichen, müssen Verteilungskoalitionen ihre Lobby-Macht einsetzen, um die Regierungspolitik zu beeinflussen. Das erhöht die Komplexität und den Wirkungskreis der Regierung, was Ressourcen in der Politik bindet. Die Regierung muss die rege Lobbytätigkeit verarbeiten. Die Einhaltung gewährter Vorteile muss kontrolliert werden, und auch die Vorteile selbst bedürfen ständiger Überprüfung, um Schlupflöcher aufspüren zu können, die dann geschlossen werden müssen, was zu weiterer Regulierung führt. Um das leisten zu können, wird die Bürokratie aufgebläht (vgl. Olson 1991: 92-94). Dadurch nehmen die Staatsausgaben zu, während die Wirtschaftsleistung immer mehr abnimmt. Die Folgen sind Rezession, Depression und hohe Staatsverschuldung (vgl. Braun 1999: 124 und 127).

3. Die wirtschaftliche Lage in Neuseeland 1984

Die Wirtschaft in Neuseeland war 1984, als die Labour-Partei unter David Lange die Regierung übernahm, eine der reguliertesten der Welt (vgl. Jung 2005: 104). Viele Arten von Investitionen bedurften der vorherigen Zustimmung der Regierung. Der Staat griff in viele Märkte direkt ein, um Preise zu garantieren. Staatliche Vermarktungsorganisationen waren nach dem Gesetz für die meisten neuseeländischen Agrarproduzenten die einzigen Abnehmer für ihre Produkte – zu garantierten Preisen (vgl. Kasper 1996: 20). Darüber hinaus kassierten die Landwirte satte Subventionen – 1984 machten staatliche Subventionen rund 40 Prozent des durchschnittlichen Bruttoverdienstes eines Farmers aus (vgl. Berger 2000: 45). Die Landwirtschaft hing an drei Produkten: Wolle, Lammfleisch und Molkereiwaren. Diese machten einen Großteil der Exporterlöse aus, Anfang der 70er Jahre sogar 90 Prozent (vgl. Knorr 1997: 5). Für Exporte ausländischer Firmen nach Neuseeland waren Lizenzen nötig, überdies wurden hohe Einfuhrzölle auf die Produkte erhoben (vgl. Fellmeth/Rohde 1999: 27).

Die Beschäftigungsverhältnisse waren in starkem Maße reglementiert und kollektiv organisiert. So war die Fünftagewoche vorgeschrieben (vgl. Kasper 1996: 19). Die Gewerkschaften besaßen drei gesetzlich garantierte Privilegien. (1) Für alle, die in definierten gewerblichen Bereichen arbeiten wollten, gab es eine Pflichtmitgliedschaft in der entsprechenden Gewerkschaft. Falls für einen Zweig noch keine Gewerkschaft existierte, konnten wenige Personen sich zu einer neuen Gewerkschaft zusammenschließen und im staatlichen Gewerkschaftsregister registrieren lassen. (2) Jede Gewerkschaft hatte für ihren Zweig ein „Monopol“ auf alle Arbeitnehmer. Gewerkschaftswechsel waren – außer bei Berufswechsel – unmöglich. (3) Die Gewerkschaften konnten bei Tarifverhandlungen nach ihrem eigenen Gutdünken eine „repräsentative Auswahl“ von Arbeitgebern benennen und nur mit diesen verhandeln. Die abgeschlossenen Verträge galten dann aber für die gesamte Branche und wurden daher auch als „Blankotarifvertrag“ verspottet (vgl. Kasper 1996: 44-45). Gerade das Recht zur Gewerkschaftsgründung führte zu einer Atomisierung der Gewerkschaftslandschaft. Es gab eine Horde zersplitterter Kleingewerkschaften mit geringen Mitgliederzahlen. Der einzige Dachverband, die Federation of Labour (FOL) hielt sich in makroökonomischen und sozialpolitischen Fragen zurück und konzentrierte sich weitgehend auf die Lohn- und Einkommenspolitik (vgl. Fellmeth/Rohde 1999: 86). Ein Drittel aller Beschäftigten arbeitete im öffentlichen Dienst inklusive der Staatsunternehmen (vgl. Berger 2000: 58).

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Wie kam es in Neuseeland 1984 zum wirtschaftlichen Tiefpunkt und wieso führten die Reformen seit 1984 zum Aufschwung?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
22
Katalognummer
V54022
ISBN (eBook)
9783638493154
ISBN (Buch)
9783640616251
Dateigröße
524 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit analysiert die Entwicklung Neuseelands vom wirtschaftlichen Krisenstaat zu "Neu-Boomland" aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie. Mit Mancur Olsons "Logik des kollektiven Handelns" sowie seiner Theorie vom "Aufstieg und Niedergang der Nationen" wird zunächst gezeigt, wie es 1984 zum wirtschaftlichen Kollaps in Neuseeland kam. Anschließend wird mithilfe der Institutionenökonomik erörtert, warum die Reformen ab 1984 zum Aufschwung führten.
Schlagworte
Neuseeland, Reformen, Aufschwung, Institutionenökonomik, Neue Politische Ökonomie, Wirtschaftswachstum
Arbeit zitieren
Florian Zerfaß (Autor:in), 2005, Wie kam es in Neuseeland 1984 zum wirtschaftlichen Tiefpunkt und wieso führten die Reformen seit 1984 zum Aufschwung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54022

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