Neuer Kalter Krieg - alte Strategien und Strukturen?


Seminararbeit, 2006

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Neorealistische Konzepte
2.1 Der strukturelle Neorealismus nach Waltz
2.2 Der polit-ökonomische Neorealismus nach Gilpin

3. Der Neorealismus und der Kalte Krieg

4. Der neue Kalte Krieg: Geopolitische Entwicklungen und der Neorealismus

5. Erklärungsgrenzen des Neorealismus

6. Schlussbemerkungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion galt der Kalte Krieg als beendet, doch rund 15 Jahre danach scheint ein neuer Kalter Krieg ausgebrochen zu sein. Hinter den Kulissen der Anti-Terror-Koalition ringen die Vereinigten Staaten, Russland und China um alte und neue Einflusszonen. Dabei wollen China und Russland vor allem Washingtons Unilateralismus zügeln. Alte Konflikte brechen wieder auf, neue entfalten sich vor dem Hintergrund divergierender nationaler Interessen (vgl. Speckmann 2005: 6 f.).

Das Standardmodell zur Erklärung des Ost-West-Konflikts (in dieser Arbeit synonym: Kalter Krieg) war der Neorealismus, basierend auf der Arbeit von Kenneth Waltz (vgl. u.a. Roloff 2002: 109). Ziel dieser Hausarbeit ist es, der Frage nachzugehen, inwieweit Waltz’ Neorealismus und die an ihn anknüpfenden Varianten imstande sind, auch den neuen Kalten Krieg zu erklären. Stecken hinter dem Verhalten der USA, Russlands und Chinas zu Beginn des 21. Jahrhunderts die alten Strategien und Strukturen, Muster und Motive?

Hierzu soll zunächst der strukturelle Neorealismus nach Waltz vorgestellt und kurz gezeigt werden, wie mit ihm der Kalte Krieg und seine unterschiedlichen Phasen (vgl. Roloff 2002: 113) erklärt werden konnten. Im Folgenden wird die Entwicklung der geopolitischen Lage nach dem Ende des Kalten Krieges und besonders zu Beginn des 21. Jahrhunderts anhand ausgewählter Aspekte skizziert. Das geostrategische Verhalten der USA, Russlands und Chinas soll hierbei insbesondere mit Blick auf die geopolitische Situation in Zentralasien beleuchtet werden, wo die unterschiedlichen Interessen der drei Mächte so direkt wie nirgends sonst aufeinanderprallen (vgl. Speckmann 2005: 6).

Anschließend wird verglichen, welche der Entwicklungen der Neorealismus erklären kann und wo er an seine Grenzen stößt. Da der Neorealismus keine spezifische Theorie, sondern ein facettenreiches Paradigma ist (vgl. Siedschlag 2004: 2) und sämtliche Facetten in diesem Rahmen nicht diskutiert werden können, wird neben Waltz’ Konzept die polit-ökonomische Variante des Neorealismus von Robert Gilpin exemplarisch betrachtet.

2. Neorealistische Konzepte

Kaum eine Theorie hat die politologische Disziplin der Internationalen Beziehungen (IB) so geprägt wie der Neorealismus. Mit der Annahme, dass jeder Staat jederzeit auf Krieg eingestellt sein muss, steht der Neorealismus klar in der Tradition realistischer Autoren wie Hans Morgenthau – was insofern wenig verwundert, als der Neorealismus zum guten Teil aus der schöpferischen, kritischen Auseinandersetzung mit dem klassischen Realismus Morgenthaus entstanden ist (vgl. Schörnig 2003: 61 und Siedschlag 1997: 84). In dieser Auseinandersetzung haben wissenschaftstheoretische Aspekte eine bedeutende Rolle gespielt (vgl. Siedschlag 2004: 2); jene können an dieser Stelle nicht ausführlich betrachtet werden. Stattdessen sollen die strukturelle Konzeption des Neorealismus von Kenneth Waltz und die polit-ökonomische Variante Robert Gilpins mit ihren zentralen Aussagen vorgestellt werden.

2.1 Der strukturelle Neorealismus nach Waltz

Waltz zeichnet das internationale Bild der Welt als einen strukturellen Dreisatz aus ordering principle, qualities und capabilities (vgl. Siedschlag 1997: 94). Das Ordnungsprinzip des internationalen Systems ist dabei die Anarchie: Es gibt keine Regelungs- und Sanktionsinstanz, die allen Systemeinheiten übergeordnet ist und verbindlich Recht setzen und durchsetzen kann (vgl. Vogt 1999: 44). „Each [part of the international system] is the equal of all the others. None is entitled to command; none is required to obey. International systems are decentralized and anarchic“ (Waltz 1979: 88).

Der Systembegriff beinhaltet eine strikte Trennung zwischen Strukturen und Akteuren. Eigenschaften und Interaktionen der Akteure dürfen nicht zur Definition der Struktur verwendet werden (vgl. Vogt 1999: 43). Das System ist eine eigene Ebene, welche das Handeln der Akteure beeinflusst – es ist aber nicht die Summe der Interaktionen der zu ihm gehörenden Akteure (vgl. Krell 2003: 154). Die Struktur des internationalen Systems erklärt für Waltz unmittelbar die immer wiederkehrenden Grundmuster des Verhaltens der Staaten, alles lässt sich aus der Struktur des Systems ableiten (vgl. Siedschlag 2004: 3).

Wegen der anarchischen Ordnung des internationalen Systems sind Staaten nicht funktional differenziert, sie haben keine unterschiedlichen qualities. Jeder Staat muss versuchen, die durch die Struktur des Systems determinierten Funktionen zu erfüllen, weswegen Staaten nahezu identisch sind (vgl. Vogt 1999: 46). „So long as anarchy endures, states remain like units” (Waltz 1979: 93). Durch die anarchische Ordnung, in der niemand für die Sicherheit garantieren kann, wird das Überleben zum zentralen Ziel, das jeder Staat verfolgt (vgl. Krell 2003: 154). „In anarchy, security is the highest end“ (Waltz 1979: 126).

Kennzeichnend für das internationale System ist – ebenfalls bedingt durch die Anarchie – Unsicherheit der Staaten über das Handeln der anderen. Staaten müssen stets in der Lage sein, Krieg zu führen um sich zu verteidigen. „Because some states may at any time use force, all states must be prepared to do so” (Waltz 1979: 102). Deshalb ist das internationale System ein „self-help system“ (Waltz 1979: 104), die Staaten sind auf sich allein gestellt. „The international imperative is: ‘Take care of yourself!’“ (Waltz 1979: 107).

Waltz räumt zwar ein, dass neben Staaten auch andere internationale Akteure existieren (vgl. Vogt 1999: 46). Transnationale Aspekte sind für ihn aber vernachlässigbar, weil in der Struktur des Systems Staaten die Hauptrolle spielen (vgl. Siedschlag 1997: 95). Auch die innere Gestaltung eines Staates spielt keine Rolle, ebensowenig ökonomische oder ideologische Interessen – die units sind eine black box, die der Neorealismus ungeöffnet lässt und lassen kann, weil aus seiner Perspektive das Streben nach Sicherheit, determiniert von der Systemstruktur, vorrangig ist (vgl. Schörnig 2003: 67). „Only if survival is assured can states safely seek such other goals as tranquillity, profit and power” (Waltz 1979: 126).

Relevante Unterschiede bestehen für Waltz nur hinsichtlich der capabilities eines Staates. Darunter versteht er die relative Machtposition der units, also deren Fähigkeit, ihre von der Struktur determinierten Sicherheitsziele zu verfolgen. Macht, die zentrale Größe im klassischen Realismus Morgenthaus, taucht bei Waltz nur noch als technische Maßeinheit zur Beurteilung der capabilities auf (vgl. Siedschlag 1997: 96). Diese capabilities umfassen in erster Linie militärische, aber auch ökonomische Macht (vgl. Schörnig 2003: 68).

Aus Sicht des Neorealismus ist das Gestaltungspotenzial der Staaten stark eingeengt. Ihnen bleiben nur die Möglichkeiten einer Transformation (transformation) und die einer Änderung (change) des Systems. Transformation würde bedeuten, dass die Anarchie überwunden wird, was aber nach Waltz extrem unwahrscheinlich ist und deshalb hier nicht weiter vertieft wird. Eine Änderung liegt vor, wenn Staaten auf die Verteilung der capabilities (distribution of capabilities) Einfluss nehmen (vgl. Schörnig 2003: 73 f.). Staaten sind erst sicher, wenn im System ein Gleichgewicht herrscht, was auf zwei Wegen erzielt werden kann: durch eigene Aufrüstung oder durch Bündnisbildung (vgl. Schörnig 2003: 71).

Die Folge ist ein Balancing -Effekt – bei Machtdifferenzen rüsten Staaten auf oder schlagen sich auf die Seite der schwächeren Koalition, um die capabilities der Koalitionen anzugleichen (vgl. Vogt 1999: 53). Der Balancing -Effekt ist nicht intendiert, sondern emergent; das heißt, er entsteht nicht durch bewusstes Handeln der Staaten, sondern automatisch durch deren Streben nach Sicherheit (vgl. Siedschlag 1997: 97).

Zusammenarbeit zur Verbesserung der eigenen Sicherheit ist nach Waltz’ Vorstellung die einzige Form internationaler Kooperation. Weiterreichende Zusammenarbeit, etwa zur Steigerung des Wohlstands, gehen Staaten nicht ein, weil sie erstens ihre Autonomie nicht durch Abhängigkeiten gefährden wollen und zweitens Kooperationen nur dann eingehen, wenn andere nicht mehr gewinnen als sie selbst (vgl. Krell 2003: 158). Eine Ausnahme stellt die hegemonial, also durch Zwang induzierte Kooperation dar (vgl. Schörnig 2003: 73).

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Neuer Kalter Krieg - alte Strategien und Strukturen?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V54019
ISBN (eBook)
9783638493123
ISBN (Buch)
9783640616275
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit befasst sich mit der geopolitischen Entwicklung in Zentralasien sowie dem geostrategischen Verhalten der USA, Russlands und Chinas. Die drei Mächte ringen im rohstoffreichen Zentralasien so heftig um Einfluss, dass das Schlagwort "Neuer Kalter Krieg" aufgetaucht ist. Die Standardtheorie in den IB zur Erklärung des Kalten Krieges bis 1990 war der Neorealismus, in der Arbeit wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich der neue Kalte Krieg mit dem Neorealismus erklären lässt.
Schlagworte
Geopolitik, Neorealismus, Zentralasien, Weltpolitik, USA, Russland
Arbeit zitieren
Florian Zerfaß (Autor:in), 2006, Neuer Kalter Krieg - alte Strategien und Strukturen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54019

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