Der Umgang mit der geschlechtsabhängig präferierten Methode "Tanzen" innerhalb eines geschlechterheterogenen Musikunterrichts


Hausarbeit, 2019

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Eine Retrospektive zur schulischen Geschlechterdebatte in Bezug auf das Fach Musik..

3. Aktuelle Studien zur schulischen Geschlechterforschung im Fach Musik..

4. Das Hilfsmittel „Musiklehrbuch“..

5. Gendersensibler Musikunterricht und die Methode „Tanzen“

6. Eine Analyse und Bewertung des Musiklehrbandes „Spielpläne 2“..

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

9. Onlinequellenverzeichnis

1. Einleitung

Generell besteht die Aufgabe eines gendersensiblen (Musik)-Unterrichts darin „zum Wandel benachteiligter Strukturen bei[zu]tragen“ (Heß, 2018, S. 220). Doch diese Aufgabe zu erfüllen ist leichter gesagt als getan, denn das Fach Musik ist wie andere künstlerische Fächer (Kunst, Sport) von einem geschlechtsspezifischen Fachimage geprägt, dass sich vor allem im Kontext „ästhetisch-transformativer Methoden als nachteilig erweist, weil sie in hohem Maße zwischen den Geschlechter polarisieren“ (Fiedler & Handschick, 2014, S. 20). „Tanzen“ stellt eine dieser ästhetisch-transformativen Methoden beziehungsweise unter dem Begriff „produktive Methoden“ zusammengefasste Methode dar. „Tanzen“ trifft Studienerkenntnissen zu folge bei pubertierenden Mädchen auf ein größeres Interesse als bei pubertierenden Jungen (vgl. Heß, 2013, S. 59). Somit birgt die Ausführung dieser geschlechtsabhängig präferierten Methode ein hohes Konfliktpotential, wonach das Fach Musik aus Perspektive von Jungen als feminines Fach konnotiert und dies zu einer Ablehnung gegenüber dem Fach Musik bei Jungen führen könnte, was natürlich vermieden werden soll (vgl. Heß, 2013, S. 56). Zusätzlich wird „Tanzen“ im Gegensatz zum Interesse der SchülerInnen selten im Musikunterricht integriert (vgl. Heß, 2013, S. 60). Grund hierfür könnte die Tatsache darstellen, dass Musiklehrkräften „Tanzen“ eher als selbstverständliche Methode betrachten und es einerseits oftmals „an lerntheoretischen Kenntnissen und Wissen über elementare körperlich-tänzerische Ausdrucksformen [mangelt]“ (Heß, 2018, S. 218) und andererseits daran, dass das Aufeinandersetzen mit Geschlechterdifferenzen im Musikunterricht nicht ausreichend bereits während der Ausbildung gefördert worden ist (vgl. Diezfelbinger, 2014, S. 355). Schlussfolgernd stellt sich die Frage, wie kann Lehrkräften im Umgang mit Genderdifferenzen geholfen werden, um den Musikunterricht bzw. den methodischen Gang gendersensiblen zu gestalten. Eine Option könnte sicherlich in gewisser Form das Musiklehrbuch darstellen, das „didaktisch auf dem neuesten Stand […] die Qualität des Unterrichts steigern [könnte]“ (Jünger, 2006, S. 210). Im Kontext der Untersuchung werde ich daher nach einer Retrospektive zur schulischen Geschlechterdebatte im Kontext des Faches Musik die folgende Frage in den Fokus meiner Untersuchung stellen: Welchen Beitrag leisten Musiklehrbücher, um Lehrpersonen (bezüglich des Umgang mit Geschlechterdifferenzen in einer koedukativen Unterrichtskonstellation) bei der Methodenumsetzung „Tanzen“ eine geschlechtersensiblere Umsetzung zu ermöglichen, um auch prophylaktisch betrachtet pubertierende Jungen zum Tanzen zu bewegen und das Risiko einer Ablehnung des Faches von Seiten der Jungen zu minimieren. In diesem Zusammenhang werde ich die Stellung des Musiklehrbuches aus der Perspektive von Lehrkräften, Schulbuchautoren und mithilfe der Studienerkenntnisse des Musikpädagogen Dr. phil. Hans Jünger untersuchen. Anschließend werde ich aktuelle Studienergebnisse zur gendersensiblen Umsetzung der Methode „Tanzen“ darlegen, um in folge dessen an einem exemplarisch gewählten Musiklehrbuch „Spielpläne 2“ (Jahrgänge 7/8) aus dem Jahre 2017 den unterstützenden Wert für Lehrpersonen im Umgang mit der von Geschlechterdifferenzen behafteten Methode „Tanzen“ ziehen zu können. Die verwendeten Forschungsergebnisse entnehme ich Studien1 und fachliterarischen Werken2, welche vorrangig in einem Zeitraum vor der Publizierung des Lehrbuches veröffentlicht wurden. Aktuellere Lehrbücher als das exemplarisch gewählte aus dem Jahr 2017 waren mir nicht zugänglich.

2. Eine Retrospektive zur schulischen Geschlechterdebatte in Bezug auf das Fach Musik

Wissenschaftliche Untersuchungen wie Verhaltensanalysen über Jungen und Mädchen im Kontext des Schulfaches Musik stellen kein Novum dar. Bereits in den 1930er Jahren berichtet der Musikpädagoge Richard Münnich in seinem Werk „Jale - Ein Beitrag zur Tonsilbenfrage und zur Schulmusikpropädeutik“, dass Jungen gegenüber Mädchen dem Musikunterricht weniger entgegenkommen und weniger Fleiß zeigen (vgl. Lehmann-Wermser, 2002, S. 1f.). Außerdem würden Jungen „dem Ideale rhythmischer und harmonischer Bändigung ungemein weit entfernt“ (Lehmann-Wermser 2002, S. 1 zit. nach Richard Münnich, 1930, S. 10) sein. Ergänzend zu diesem Statement schreibt Münnich, dass dies mit den besten Jungeneigenschaften zusammenhänge und Jungen diese Eigenschaften nie verlieren sollten (vgl. Lehmann-Wermser, 2002, S. 1). Von der argumentativ fragwürdigen Schlusswendung Münnichs abgesehen, werden Jungen und Mädchen im Musikunterricht unterschiedlich eingeschätzt. Sei an dieser Stelle von einem tendenziellen geschlechtsstereotypen Denken des Musikpädagogen Münnichs auszugehen, wird diese Annahme durch die Aussage einer Musiklehrerin in einer Studie der Musikpädagogin Lucy Green durch folgenden Worten bestärkt: „The main features of boys‘ success were depicted as their imagination, exploratory inclinations, inventiveness, creativity, improvisatory ability and natural talent. These qualities were explicetly described as lacking in girls, who were instead characterised as conservative, traditional and reliant on notation” (Lehmann-Wermser 2002, S. 2 zit. nach Green, 1997, S. 196). Ein weiteres Indiz, welches weniger einer geschlechterneutralen offenen Haltung entspricht und vermehrt ein rollenklischeehaftes Denken der Musikpädagogen im Verlauf des 20. Jhd. vermuten lässt, verdeutlichen Studienergebnisse der Musikpädagogin Lucy Green. In einer ihrer Studien befragte sie mehrere Lehrkräfte englischer Mittelschulen in einem Fragebogen, der verschiedene Interessensbereiche von SchülerInnen darstellt, ob Mädchen oder Jungen in bestimmten Teilbereichen des Musikunterrichts bessere Leistungen erzielen würden oder, ob keine Unterschiede festzustellen seien (vgl. Lehmann-Wermser, 2002, S. 4f.). Lehmann-Wermser sieht es als ermutigend an, dass Mädchen und Jungen in vielen der gelisteten Teilbereiche (Instrumentalspiel, Musik hören, Noten Lesen und Schreiben, Beschäftigung mit Klassischer Musik, Popularmusik, Weltmusik) als gleichauf betrachten wurden (vgl. Lehmann-Wermser, 2002, S. 4f.). Interessanterweise wurde den Jungen „[e]inzig bei dem im englischen Curriculum hoch geschätzten Lernfeld Kreativität im Komponieren […] Überlegenheit zugetraut“ (Andreas Lehmann-Wermser, 2002, S. 4). Dieses Ergebnis bekräftigt die Annahme eines Ungleichgewichts der Wahrnehmung von Jungen und Mädchen im schulischen Musikunterricht. Darüber hinaus verdeutlicht Lehmann-Wermser dies in Bezug auf Schulbücher der letzten Dekade des 20. Jhd., wonach diese „kaum Bilder von Mädchen am Drum-set, Darstellungen von Komponistinnen in der Geschichte und Gegenwart“ (Lehmann-Wermser, 2002, S. 5) beinhalteten und „Mädchen und Frauen selten als Akteure in Wort und Bild traten“ (Lehmann-Wermser, 2002, S. 5). Aktuell scheinen nach Lehmann- Wermser Verlage zu versuchen einer geschlechterstereotypen Aufmachung ihrer Lehrbücher entgegenzuwirken (vgl. Lehmann-Wermser, 2002, S. 5). Im Zusammenhang mit der Annahme einer Bevormundung von Jungen oder einer gewissen Bildungsungerechtigkeit erlebte die empirische Forschung zur Thematik Geschlecht und Musikunterricht erstmals in den 1990er Jahren eine Hochphase (vgl. Diezfelbinger, 2014, S. 334). Publikationen wie beispielsweise „der Jahresbericht desArbeitskreises Musik in der Forschung(AMPF) von 1995 sowie eine Ausgabe der ZeitschriftMusik und Bildung3(MuB) 1996“ (Eva Diezfelbinger, 2014, S. 334f.) lassen dies vermuten. Diezfelbinger betont, dass die Forschungsarbeiten und Publikationen von Eva Rieger daran Anteil gehabt hätten (vgl. Diezfelbinger, 2014, S. 335). So stellte die Musikwissenschaftlerin „in den 1980er Jahren in Tradition des damaligen feministischen Zeitgeistes […] die Benachteiligung der Mädchen im Musikunterricht“ (Eva Diezfelbinger, 2014, S. 335) fest und forderte dementsprechend eine Mädchenorientierung im Musikunterricht (vgl. Diezfelbinger, 2014, S. 335). Dementsprechend waren die Publikationen des AMPF und in MuB noch stark geprägt von der, die Mädchen als Bildungsverliererinnen des noch jungen koedukativen Schulsystems der BRD betrachteten Defizitperspektive“ (Diezfelbinger, 2014, S. 335). Sei nun die weitere Entwicklung zu verdeutlichen, so verweist sie auf einen Paradigmawechsel zur Jahrtausendwende in der schulbezogenen Genderforschung hin. Sie betont, dass sich „zum einen die Entfernung vom Defizitansatz der 1980er und frühen 1990er Jahre hin zu einem dekonstruktivistischen Ansatz der das soziale Geschlecht als veränderbare Größe betrachtet und Schule damit als Raum, in dem Auseinandersetzungen mit gängigen Rollenklischees von Mädchen und Jungen stattfinden kann“ (Diezfelbinger, 2014, S. 335), anbahnte und sich zum anderen „eine Fokussierung auf Jungen als ‚neue‘ Bildungsverlierer“ (Diezfelbinger, 2014, S. 335f.) „eines an weiblichen Attributen ausgerichteten Bildungssystems“ (Diezfelbinger, 2014, S. 336) abzeichnete. Als ausschlagegebend für diesen Ansatz galten neben den Ergebnissen der IGLU-Studie die Ergebnisse der regelmäßig durchgeführten internationalen PISA-Studie, wonach die Leistungen von Jungen gegenüber Mädchen abnahmen (vgl. Diezfelbinger, 2014, S. 336) und Jungen eher Defizite „in den Bereichen Aufmerksamkeit/Konzentration, Arbeitsweise und Motivation“ (Diezfelbinger, 2014, S. 336) aufwiesen. In diesem Zusammenhang sei Andreas Lehmann-Wermser zu nennen, der den mädchenorientierten Ansatz der 1990er Jahre kritisch hinterfragte und „[v]om Verschwinden der Jungen aus der Musikdidaktik“ [Hervorhebung von Verf.] (Lehmann-Wermser, 2002, S. 1) sprach. Er betonte auch, dass in der Phase der starken Mädchenorientierung oftmals das Postulat zur Förderung von Mädchen mit dem Gedanken der Gleichheit beider Geschlechter, wonach der Unterricht mädchenorientiert, aber für Jungen nicht weniger attraktiv zu gestalten sei, einherging. Lehmann-Wermsers Conclusio lautete daher, dass das Gleichsetzen der Orientierung an allen Jugendlichen mit der Orientierung an Mädchen den Lehrkräften kein klares Bild bezüglich Schul-, und Unterrichtssituation und den Schülerinnen keinen deutlichen Nutzen erbringen würde (vgl. Lehmann-Wermser, 2002, S. 8).

3. Aktuelle Studien zur schulischen Geschlechterforschung im Musikunterricht

Erst empirische Forschungsprojekte der vergangenen Jahre brachten nun Klarheit in der Bildungsdebatte, um „die explizite Situation von Jungen und Mädchen im schulischen Musikunterricht [zu] beleucht[en]“ (Diezfelbinger, 2014, S. 336). In diesem Zusammenhang ist die MASS-Studie (Musikunterricht aus Schülersicht) der Musikpädagogin Frauke Heß aus dem Jahre 2009 nennenswert. Die Musikpädagogin hinterfragte einerseits die Auffassung der Annahme, dass Jungen als Bildungsverlierer im Fach Musik gelten, wie es Anfang der 2000er Jahre behauptet wurde und andererseits „Begleitbefunde aus Untersuchungen verschiedener Fachdidaktiken, die annehmen lassen, dass das Fach Musik von Jugendlichen als feminine Domäne, also als ‚Mädchenfach‘ eingestuft wird“ (Heß, 2013, S. 56).

Außerdem betonte sie, dass falls das Fach Musik tatsächlich ein weibliches Fachimage besitze, weitere musikdidaktische Handlungsmöglichkeiten überdacht werden müssten, um vor allem pubertierende Jungen, welche einen hohen Anpassungsdruck an Peers verspüren von der Zurückhaltung gegenüber einem feminin konnotierten Fach zu bewahren. Die Ergebnisse der Studie zeigten zwar deutlich, dass das Fach Musik von mehr als 50 Prozent der befragten SchülerInnen als Mädchenfach eingestuft wird, jedoch auch, dass die Wahrnehmung und Wertschätzung des Faches aus der Perspektive des einen oder anderen Geschlechts von weit mehreren Faktoren abhängt. Neben Faktoren wie das psychologische Geschlecht, die Wertschätzung gegenüber dem Fach außerhalb der Schule (z. B.: Wertschätzung in der Familie) oder dem Alter ist die musikalische Vorbildung bzw. musikalische Aktivität außerhalb der Schule (Instrumentalspiel) ein wichtiger Prädiktor, der in einem klaren Zusammenhang mit der Selbstnähe zum Fach steht (vgl. Heß, 2013, S. 56ff.). Eine zusätzlich einflussnehmende Variable basiert auf der Forderung des Aufgreifens individueller Musikpräferenzen im Unterricht (vgl. Heß, Muth & Inder, 2011, S. 23). Darüber hinaus weist Heß darauf hin, dass geschlechtsspezifische Differenzen in Bezug auf die Selbstnähe, das Bevorzugen bestimmter Unterrichtsmethoden und Inhalte bestehen (vgl. Heß, 2013, S. 58ff.). Eine allgemeine Problematik, welche die Studie proklamiert, besteht in der aus Schülersicht unbefriedigenden Interessenvertretung. So werden Methoden und Inhalte von niedrigem Schülerinteresse häufig in die Unterrichtsgestaltung eingebracht und vice versa (vgl. Heß, 2013, S. 60). Eine weitere Variable, welche die Wahrnehmung gegenüber dem Fach beeinflusst, stellt die pädagogische Qualität des Unterrichts dar. Bei Mädchen ist das individuelle Erleben eher an eine sozial-emotionale Dimension und bei Jungen an ein Autonomieerleben gebunden. Des Weiteren scheint für Mädchen die Schülerorientierung und für Jungen die soziale Kompetenz der Lehrkraft wichtiger zu sein. Geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich der Motivationskompetenz wurden nicht festgestellt. Allgemein sei nun darauf zu verweisen, dass die Bewertung des Unterrichts eher mit der pädagogischen Unterrichtsqualität wie beispielsweise dem Verhalten der Lehrperson korreliert, als die Bewertung des Faches mit der Interessensorientierung (vgl. Heß, 2013, S.60). Schlussendlich forderte Heß, dass die „[m]usikpädagogische Unterrichtsforschung […] nach Zusammenhängen zwischen der Einstellung von Jugendlichen zum Musikunterricht und der Ausrichtung des jeweiligen Musikunterrichts suchen [muss]“ (Heß, Muth & Inder, 2011, S. 23). Diesem Anliegen kam Eva Diezfelbinger (2014) mit der Studie „Tanzende Mädchen und trommelnde Jungen. Eine qualitative Studie zu Geschlechterdifferenzen im schulischen Musikunterricht“ nach. Sie untersuchte aus der Perspektive von Lehrkräften, inwiefern bestimmte Methoden wie beispielsweise „Tanzen“ also Methoden, die mit einem hohen Interessensgefälle zwischen Jungen und Mädchen verbunden sind4, im Unterricht von erfahrenen Lehrkräften umgesetzt werden und in welcher Art und Weise geschlechterspezifische Verhaltensweisen dabei eine Rolle spielen. Sie merkte an, dass das Agieren der im Rahmen des Projektes im Umgang mit Geschlechterdifferenzen geschulten Lehrkräfte den Dreh-, und Angelpunkt darstellt, um mit Geschlechterdifferenzen sei es beispielsweise mit einer vermuteten minderen Agilität von Jungen beim Tanzen umgehen zu können, um Vorurteile gegenüber der unterrichtlichen Anwendung bestimmter Methoden abzubauen und „Gender-Hürden“ auch in Verbindung mit weiteren Diversitätsdimensionen5 kompetent überwinden zu können (vgl. Diezfelbinger, 2014, S. 333ff.). Abschließend zu ihrer Studie verwies Diezfelbinger auf ein generelles Defizit, das in einer unzureichenden gendersensiblen Ausbildung von Lehrkräften bestehe. Diesbezüglich forderte sie daher, dass der Beschäftigung mit Geschlechterdifferenzen in der Ausbildung neuer Fachkräfte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse (vgl. Diezfelbinger, 2014, S. 355). An diesem Punkt kommt die Frage auf, weswegen der Einsatz von Musiklehrbüchern, als potentiell unterstützendes Mittel für eine gendersensiblere Umsetzung geschlechtsbedingt präferierter Methoden bei Heß (2013) und Diezfelbinger (2014) unberücksichtigt blieb. Denn nach der Aussage zweier Schulbuchautoren sind Lehrbücher „didaktisch auf dem neuesten Stand, entsprechen dabei den staatlichen Richtlinien und können die Qualität des Unterrichts steigern“ (Jünger, 2006, S. 210).

4. Das Hilfsmittel „Musiklehrbuch“

Im Jahre 2000/2001 führte Hans Jünger eine empirische Studie zur Verwendung von Musiklehrbüchern durch. Das Ziel bestand einerseits darin Fragen zur Häufigkeit, den Bedingungen, sowie der bevorzugten Lehrbuchwahl und andererseits zur Art der Verwendung zu beantworten und die Gründe für oder gegen eine Verwendung von Lehrbüchern festzuhalten. Die quantitative Erhebung eines von 670 Musiklehrkräften aus 406 allgemeinbildenden Schulen in Hamburg ausgefüllten Fragebogens zur Häufigkeit der Verwendung und der Lehrbuchpräferenz deutete an, dass 74,7 Prozent der Befragten eine Lehrbuchnutzung verneinten (vgl. Jünger, 2006, S. 203f.). Der Ursachenforschung des Ergebnisses widmete er sich im zweiten Teil der Studie. Er interviewte hierbei zwei Schulbuchautoren sowie neun Musiklehrkräften aus Hamburg und betonte, dass die Aussagen zwar keine Allgemeingültigkeit beanspruchen, aber dennoch erkenntnisreich sein würde (vgl. Jünger, 2006, S. 210). Den Ergebnissen zufolge hält sich die Verwendung von Musiklehrbüchern im Unterricht in Grenzen. Es zeichnete sich ab, dass Lehrbücher nur gelegentlich von den befragten Lehrkräften im Musikunterricht eingesetzt werden, einen untergeordneten Stellenwert besitzen, eher als irrelevantes Medium gewertet werden und sie deshalb „nicht etwa als Leitmedium, sondern allenfalls als ergänzendes Unterrichtsmedium(Jünger, 2006, S. 213) gelten (vgl. Jünger, 2006, S. 213f.). Dem liegen verschiedene Aspekte zu Grunde, welche teilweise der Aussage der Schulbuchautoren wiedersprechen (Lehrbücher sind didaktisch auf dem neuesten Stand). Beispielsweise seien Musiklehrbücher hinderlich, um „die Fähigkeiten und Interessen ihrer Schüler […] zu berücksichtigen“ (Jünger, 2006, S. 214) und es diene eher „der Vermittlung von musiktheoretischem und musikgeschichtlichem Fachwissen“ (Jünger, 2006, S. 213). Außerdem gelten Lehrbücher als „zu wenig methodisch aufbereitet für den Unterricht, […] realitätsfremd und […] an Lerngruppen [gerichtet], die es gar nicht gibt“ (Jünger, 2006, S. 214). Darüberhinaus wird nach Aussagen der Lehrkräfte der Sozialform des Frontalunterrichts gegenüber Anderen mehr Ausdruck verliehen (vgl. Jünger, 2006, S. 213), was nach den Ergebnissen von Heß, welche schreibt, dass SchülerInnen einen schülerorientierten Ansatz bevorzugen, dem Einsatz von Lehrbüchern entgegenwirken würde (vgl. Heß, 2013, S.60). Die bisherigen Erkenntnisse lassen vermuten, dass Lehrbücher im Musikunterricht zur Unterstützung von Lehrkräften sei es auf die Aussagen reduziert, dass Musiklehrbücher eher als irrelevant eingeschätzt werden, da sie methodisch zu wenig aufbereitet sind und eher zur Vermittlung von wissensorientierten Inhalten (Musikgeschichte, Musiktheorie) herangezogen werden, welche nach Heß im Musikunterricht zu oft eine Rolle spielen und den Schülerinteressen wiedersprechen (vgl. Heß, 2013, S. 60). Daran anknüpfend verweisen die Autoren darauf, dass „[s]ie einen […] lehrbuchgestützten Musikunterricht […] eher für schwierig oder unmöglich [halten], und sie billigen kompetenten Lehrern zu, dass sie auch ohne Buch guten Unterricht machen können“ (Jünger, 2006, S. 210). Den Informationen nach zu beurteilen, „[d]ass Lehrbücher nur selten im Musikunterricht eingesetzt werden“ (Jünger, 2006, S. 210), vermuten die Autoren, dass sich Lehrkräfte „bei der Planung ihres Unterrichts nicht gängeln lassen wollen oder aber den Anforderungen, die das Lehrbuch an sie stellt, ausweichen möchten“ (Jünger, 2006, S. 211). Jünger fügt dem hinzu: „[e]in Unterrichtsmedium, das so statisch und unflexibel ist wie das Lehrbuch, kann daher nur eine Randerscheinung sein. Musiklehrer, die ,schülerorientiert‘ arbeiten, stellen ihre Unterrichtsmaterialien selbst her. In diesem Zusammenhang verwenden sie allerdings Lehrbücher als Steinbruch, Nachschlagewerk und Wegweiser“ (Jünger, 2006, S. 217). Doch stellt Jünger auch fest, dass neben einem geringen Interesse eine „auffallende Armut an methodischer Kreativität im Umgang mit dem Lehrbuch“ (Jünger, 2006, S. 213) erkennbar ist. Gegenüber den nun teilweise zwiespältigen Annahmen bezüglich der theoretischen Funktion und den Einsatzmöglichkeiten gegenüber der realen Praxisanwendung von Lehrbüchern innerhalb des Musikunterrichts finden Musiklehrbücher nach den Aussagen der befragten Lehrkräfte eher in der Unterrichtsvorbereitung Verwendung. Beispielsweise werden Lehrbücher zur didaktischen Orientierung im Planungsprozess einer Unterrichtsstunde oder Unterrichtssequenz herangezogen (vgl. Jünger, 2006, S. 214). Außerdem sind sich die Lehrkräfte und Schulbuchautoren sicher, sollten „die vielen unzureichend ausgebildeten Lehrer das Lehrbuch als Leitfaden verwenden“ (Jünger, 2006, S. 210; vgl. Jünger, 2006, S. 213), um den Musikunterricht aufzuwerten, da die Bücher […] didaktisch auf dem neuesten Stand [sind]“ (Jünger, 2006, S. 210), was die Frage danach, ob Musiklehrbücher generell eine Rolle spielen und berücksichtigt werden sollten, bestätigt. Dadurch lässt sich nun auch nachvollziehen, weswegen die geschulten Lehrkräfte in Diezfelbingers Studie nie erwähnten, dass sie die Verwendung eines Musiklehrbuches im Unterricht in Erwägung zogen. Denn die Lehrkräfte konnten aufgrund vorhandener Kompetenzen im Umgang mit Genderproblemen situationsbedingt aus dem Stegreif reagieren und zogen womöglich nur im Vorfeld zur Musikstunde ein Musiklehrbuch zu Rate. Zusätzlich eröffnet die Studie Jüngers weitere Annahmen demgegenüber, dass aktuelle Lehrbücher auf dessen Nutzfaktor hin zu analysieren sind, da die 670 befragten Lehrkräfte veraltete Lehrbücher verwendeten, die in einem Zeitraum zwischen den Jahren 1973 - 19996 publiziert worden sind (vgl. Jünger, 2006, S. 206f.). Zuletzt sei erneut auf die Behauptung der Autoren verwiesen, dass „die Bücher […] didaktisch auf dem neuesten Stand [sind]“ (Jünger, 2006, S. 210). Wäre dies der Fall, so müsste die gegenwärtige Erkenntnislage zur schulischen Geschlechterforschung in der Lehrbuchgestaltung berücksichtigt worden sein.

[...]


1 Relevanteste Studien und Ergebnisse: „Musikunterricht aus Schülersicht“ von Frauke Heß (2013); „Tanzende Mädchen und trommelnde Jungen. Eine quantitative Studie zu Geschlechterdifferenzen im schulischen Musikunterricht“ von Eva Diezfelbinger (2014); „Produktive Methoden im Test – Zum Stellenwert und der Attraktivität produktiver Methoden im Musikunterricht an allgemein bildenden Schulen“ von Fiedler und Handschick (2014);

2 Relevanteste Literatur: „Gendersensibler Musikunterricht“. Meine vorliegende Version wurde im Jahre 2018 online publiziert. Trotz dessen gilt zu beachten, dass Heß Rückschlüsse aus älteren Studienerkenntnissen wie die der MASS-Studie (2011), sowie FEIN-Studie (2014/15) hierbei zusammenfassend integriert hat und so auf Kenntnisse zurückgriff, die in einem längeren Zeitraum vor der Publikation „Spielpläne 2“ veröffentlicht wurden.

3 Titel der Ausgabe: „Mädchenorientierter Musikunterricht“, Musik und Bildung 1 (1996)

4 Heß (2013, S. 59, Abb. 3) stellt graphisch geschlechterspezifische Interessenbereiche und dessen Interessensdifferenz zwischen Jungen und Mädchen dar, welche teilweise auf grundsätzliche Methoden des Musikunterrichts reduziert werden können. Extreme eines bevorzugten Interesses der Mädchen erreichten die Bereiche/Methoden: Tanzen.

5 Diezfelbinger zitiert eine Interviewaussage, wonach die kulturelle Diversität zu Problemen bei der Erarbeitung von Tanzeinheiten führen kann. So schreibt sie, dass Mädchen aus Roma-Familien aufgrund des sozio-kulturellen Hintergrundes mit Jungen keinen direkten Kontakt (z.B.: an den Händen nehmen) pflegen dürften (vgl.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Der Umgang mit der geschlechtsabhängig präferierten Methode "Tanzen" innerhalb eines geschlechterheterogenen Musikunterrichts
Hochschule
Hochschule für Musik Saar Saarbrücken
Veranstaltung
Seminar - psychologische und soziologische Aspekte des Musiklernens
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
17
Katalognummer
V539669
ISBN (eBook)
9783346159564
ISBN (Buch)
9783346159571
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gender, Differenzierung, Mädchen und Jungen, Musikunterricht, Tanzen, Probleme Methodenumsetzung, Musikbuch, Musikschulbücher, Geschlechterheterogenität
Arbeit zitieren
Tilman Vogt (Autor:in), 2019, Der Umgang mit der geschlechtsabhängig präferierten Methode "Tanzen" innerhalb eines geschlechterheterogenen Musikunterrichts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539669

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