Die Dunkle Triade. Sozialunverträgliche Persönlichkeitsmerkmale im Rettungsdienst der BRD


Masterarbeit, 2020

120 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Relevanz
1.2 Forschungsfrage und Zielsetzung
1.3 Methodik
1.4 Aufbau der Arbeit

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Relevante Begriffe
2.2 Aktueller Forschungsstand
2.2.1 Narzissmus
2.2.2 Machiavellismus
2.2.3 Psychopathie
2.2.4 Die dunkle Triade
2.3 Relevante Forschungslücken zur Dunklen Triade
2.4 Schlussfolgerungen aus der Literaturarbeit

3 Methodische Vorgehensweise
3.1 Literaturrecherche
3.2 Grundgesamtheit und Stichprobe
3.3 Aufbau und Inhalt des Fragebogens
3.4 Online-Befragung und Plattform
3.5 Short D3 - Das verwendete Instrument
3.6 Statistische Methoden und Analysen

4 Ergebnisse
4.1 Fehlende Werte
4.2 Soziodemografische Daten
4.2.1 Berufszugehörigkeit
4.2.2 Geschlecht
4.2.3 Ergebnisse Alter
4.3 Explorative Faktorenanalyse
4.3.1 Faktorenanalyse Narzissmus
4.3.2 Faktorenanalyse Machiavellismus
4.3.3 Faktorenanalyse Psychopathie
4.3.4 Übersicht über die gebildeten Faktoren
4.4 Itemanalyse
4.4.1 Kennwerte des Merkmals Narzissmus
4.4.2 Kennwerte des Merkmals Machiavellismus
4.4.3 Kennwerte des Merkmals Psychopathie
4.5 T-Tests
4.5.1 T-Test für Narzissmus
4.5.2 T-Test für Machiavellismus
4.5.3 T-Test für Psychopathie
4.5.4 T-Tests nach Alter und Berufsgruppenzugehörigkeit

5 Diskussion
5.1 Chancen und Probleme der Fragestellung
5.2 Interpretation der Ergebnisse
5.2.1 Interpretation der soziodemografischen Ergebnisse
5.2.2 Interpretation der explorativen Faktorenanalyse
5.2.3 Interpretation der Itemanalyse
5.2.4 Interpretation der T-Tests
5.3 Praktische Implikationen
5.4 Kritische Reflexion und Limitation der Arbeit

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang 1 - Fragebogen

Abstract (Deutsch)

Auch in den Gesundheitsberufen sind immer wieder Berichte über Verbrechen zu finden, die sich gegen Leben, Leib und Freiheit richten, einen immensen wirtschaftli­chen Schaden anrichten oder aber zu einer Beschädigung der Marke führen. Im Zuge dieser Primäranalye wurde der Frage nachgegangen, ob Beschäftigte im Ret­tungsdienst der BRD im Vergleich zur deutschen Normalbevölkerung sozialunver­träglichere Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Dazu wurde das Konzept der sog. Dunklen Triade verwendet und nach einer Literaturrecherche die Ausprägung der drei Merkmale Machiavellismus, Narzissmus und Psychopathie mit einem bereits va­lidierten Fragebogen getestet. Bereits bei der Literaturrecherche konnte festgestellt werden, dass Ausprägung auf den drei Subskalen nicht notwendigerweise mit anti­sozialem Verhalten am Arbeitsplatz oder kontraproduktivem Arbeitsverhalten korre­liert sind. Die Stichprobe dieser Teilerhebung wurde via Social Media rekrutiert. 872 Befragungsteilnehmende konnten gewonnen werden, 581 davon waren Beschäftige im Rettungsdienst. Der Fragebogen wurde mit einer explorativen Faktorenanalyse auf das Vorhandensein von latenten Konstrukten untersucht. Beim Faktor Aggression konnte nach Analyse der T-Tests in allen Altersgruppen ein signifikanter Unterschied nachgewiesen werden, d.h. dass die Beschäftigten im Rettungsdienst deutlich ag­gressivere Tendenzen zeigen als die Normalbevölkerung. Dies könnte sich in diver­sen Gefährdungsmomenten für andere Beschäftigte, Patientinnen und Patienten, sowie Dritte zeigen oder den antifragilen Charakter einer Organisation schädigen. Empfehlenswert scheint diesbezüglich zunächst das Etablieren von Monitoringsys­temen und weitere Feldforschung. Zu Beginn der Arbeit lagen keine Daten aus dem Rettungsdienst vor. Eine Stärke der Arbeit ist der große Stichprobenumfang und die explorative Faktorenanalyse, ohne die das auffällige latente Konstrukt der Aggressi­on nicht entdeckt worden wäre.

Abstract (Englisch)

The health care professions also report recurrent crimes that are directed against life, limb and freedom, cause immense economic damage or even damage the brand. In the course of this primary analysis, the question was investigated as to whether em­ployees in the rescue service of the Federal Republic of Germany show socially in­compatible personality traits compared to the German normal population. For this purpose, the concept of the so-called Dark Triad was used and, after a analysis of literature, the expression of the three characteristics Machiavellianism, narcissism and psychopathy was tested with an already validated questionnaire. The analysis of literature already showed that expression on the three subscales is not necessarily correlated with antisocial behaviour at work or counterproductive work behaviour. The sample of this sub-survey was administered via social media. 872 respondents were recruited, 581 of whom were employees in the emergency services. The ques­tionnaire was examined for the presence of latent constructs using an exploratory factor analysis. The analysis of the T-tests showed a significant difference in the fac­tor aggression in all age groups, i.e. the employees in the rescue service showed si­gnificantly more aggressive tendencies than the normal population. This could show itself in various moments of danger for other employees, patients and third parties or damage the antifragile character of an organisation. In this regard, it seems advisable to establish monitoring systems and further field research. At the beginning of the work, no data from the emergency services were available. A strength of the work is the power of the sample size and the explorative factor analysis, without the conspi­cuous latent construct of aggression would not have been discovered.

Keywords

Dunkle Triade, Rettungsdienst, Personlichkeitsmerkmale, Psychopathie, Machiavel­lismus, Narzissmus, kontraproduktives Arbeitsverhalten

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht über Nutzen und Kosten des Narzissmus

Tabelle 2: Vierfaktorenmodell der PCL-R

Tabelle 3: Übersicht über Items der PCL-R

Tabelle 4: Übersicht über primäre und sekundäre Psychopathie

Tabelle 5: Suchbegriffe

Tabelle 6: Items des Fragebogens

Tabelle 7: Umgepolte Items

Tabelle 8: Übersicht CFA und EFA

Tabelle 9: KMO-Beurteilung

Tabelle 10: Interpretation Cronbachs Alpha

Tabelle 11: Übersicht fehlender Werte

Tabelle 12: Auswertung Berufszugehörigkeit

Tabelle 13: Auswertung Geschlecht

Tabelle 14: Auswertung Alter

Tabelle 15: Auswertung Alter & Geschlecht

Tabelle 16: Auswertung Quartile Alter

Tabelle 17: KMO- und Bartlett-Test Narzissmus

Tabelle 18: Mustermatrix Narzissmus

Tabelle 19: KMO- und Bartlett-Test Machiavellismus

Tabelle 20: Mustermatrix Machiavellismus

Tabelle 21: KMO- und Bartlett-Test Psychopathie

Tabelle 22: Mustermatrix Psychopathie

Tabelle 23: Übersicht latente Konstrukte und univariate Beschreibung

Tabelle 24: Itemanalyse Narzissmus

Tabelle 25: Trennschärfe Machiavellismus

Tabelle 26: Itemanalyse Machiavellismus

Tabelle 27: Trennschärfe Machiavellismus

Tabelle 28: Itemanalyse Psychopathie

Tabelle 29: Trennschärfe Psychopathie

Tabelle 30: Gruppenstatistiken Narzissmus

Tabelle 31: Test bei unabhängigen Stichproben - Narzissmus

Tabelle 32: Gruppenstatistik Machiavellismus

Tabelle 33: Test bei unabhängigen Stichproben - Machiavellismus

Tabelle 34: Gruppenstatistik Psychopathie

Tabelle 35: Test bei unabhängigen Stichproben - Psychopathie

Tabelle 36: Gruppenstatistik - Alle Altersgruppen

Tabelle 37: T-Test bei unabhängigen Stichproben - Alles Altersgruppen

Tabelle 38: Gruppenstatistik - Unter 25 Jährige

Tabelle 39: T-Test bei unabhängigen Stichproben - Unter 25 Jährige

Tabelle 40: Gruppenstatistik - 25-40 Jährige

Tabelle 41: T-Test bei unabhängigen Stichproben - 25-40 Jährige

Tabelle 42: Gruppenstatistik - Über 40 Jährige

Tabelle 43: T-Test bei unabhängigen Stichproben - Über 40 Jährige

Tabelle 44: Ergebnisse GemeinwohlAtlas

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Vektorgrafik aus dem Narcissism Spectrum Model

Abbildung 2: Ausmaß der Kosten und Nutzen [...]

Abbildung 3: Machiavellismus - Altersverlauf

Abbildung 4: Machiavellismus - Frauen und Männer

Abbildung 5: Machiavellismus - Qualifikationsstufen

Abbildung 6: Säulendiagramm Berufszugehörigkeit

Abbildung 7: Säulendiagramm Geschlecht und Berufszugehörigkeit

Abbildung 8: Säulendiagramm Geschlecht

Abbildung 9: Balkendiagramm Altersverteilung

Abbildung 10: Histogramm Altersverteilung - Komplette Stichprobe

Abbildung 11: Histogramm Altersverteilung - EG

Abbildung 12: Histogramm Altersverteilung - KG

Abbildung 13: Boxplot Quartile Alter

Abkürzungsverzeichnis

RD: Rettungsdienst

D3: Dunkle Triade

SD3: Dark Triad Short, Questionnaire zur Erfassung spez. Persönlichkeits-Merkma­le (auch SD3, Short Dark Triad)

AOP: Arbeits- und Organisationspsychologie

PTSD: Posttraumatic Stress Disorder

NotSan: Weibliche, männliche oder diverse Beschäftigte mit der Qualifikation Not- fallsanitäterin/Notfallsanitäter

RettAss: Weibliche, männliche oder diverse Beschäftigte mit der Qualifikation Ret- tungsassistentin/Rettungsassistent

CWB: Counterproductive work behaviour

CWBI: Counterproductive work behaviour individual

CWBO: Counterproductive work behaviour organization

KMO: Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium

EG: Experimentalgruppe

KG: Kontrollgruppe

EFA: Exploratorische/Explorative Faktorenanalyse

CFA: Konfirmatorische/Konfirmative Faktorenanalyse

BOS: Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgabe

Pat: Patientin/Patient, Patientinnen & Patienten

1 Einleitung

Die Einleitung soll den Lesenden einen Überblick über die Problemstellung und Re­levanz dieser Arbeit geben, sowie einen übersichtlichen Einblick in die Methodik der Master-Thesis liefern. Durch die Erläuterung des Aufbaus dieser Arbeit wird eine thematische Orientierung über den Inhalt der einzelnen Kapitel möglich.

1.1 Problemstellung und Relevanz

Auch in den Gesundheits- und Sozialberufen sind immer wieder Berichte über schwere Verbrechen zu finden, die sich beispielsweise gegen Leben, Leib und Freiheit der Schutzbedürftigen richten, einen immensen wirtschaftlichen Schaden anrichten oder aber zu einer Beschädigung der Marke durch Imageverlust führen. So zum Beispiel Niels Högel, ein deutscher Krankenpfleger und Serienmörder, der am 06.06.2019 wegen der Ermordung von 97 Patienten vom Landgericht Olden­burg verurteilt wurde (Oldenburg, 2018). In den Medien war außerdem die Bericht­erstattung um den damaligen ADAC-Präsidenten Peter Meyer zu verfolgen, der nach Angaben des ADAC in mindestens 30 Fällen einen Rettungshubschrauber benutzt haben soll, um verschiedenen Veranstaltungen hinterher zu reisen (akw, 2014). Auch im deutschsprachigen Rettungsdienst sind Vergehen zu verzeichnen, die an der charakterlichen Eignung für die Ausübung des Berufs zweifeln lassen. So wurde beispielsweise 2009 ein Rettungsassistent wegen Urkundenfälschung und vielfachen Betruges zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und die Unzu­verlässigkeit zur Ausübung des Berufs befunden (OpenJur, 2009). Ebenfalls Aufse­hen erregte, als bekannt wurde, dass der Chirurg Simon Bramhall 2017 seine Initia­len auf der Leber zweier Patienten mit einem chirurgischen Instrument (Argon­Plasma-Koagulator) einbrannte (Dyer, 2018, p. 1) .

Die Frage „Zeigen Beschäftigte in bestimmten Berufen Persönlichkeitsmerkmale, die eine Prädisposition für ein regelwidriges Verhalten darstellen?“ kann auf ver­schiedene Argumente gründen, folgend werden drei Möglichkeiten genannt (Hos- siep & Ringelband, 2014, pp. 21-27) . Erstens: Menschen suchen gezielt nach Tä­tigkeiten, die Ihrer Motivationsstruktur entsprechen (Selbstselektion). Denkbar wäre in diesem Kontext also die Suche nach einer Arbeit, bei der viel Macht über andere ausgeübt werden kann oder eine Tätigkeit, die Raum für Impression Management lässt (Bourdage et al., 2017, pp. 1-2) und der Rettungsdienst wäre so eine Branche, wie in Kapitel 2 noch beschrieben wird. Macht wäre im Rettungsdienst gegenüber hilfsbedürftigen Menschen, rangniedrigeren Beschäftigten oder Dritten (z.B. im Straßenverkehr) gut auszuleben. Beispielsweise die Situation Straßenverkehr: Fährt ein Rettungswagen unter Inanspruchnahme von Wegerechten, also mit Blau­licht und Martinhorn, haben andere Verkehrsteilnehmende gem. § 38 StVO sofort freie Bahn zu schaffen (Bender, 2016, pp. 100-101). Das heißt, der Fahrer des Ret­tungswagens genießt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Vorrangstellung ge­genüber anderen Verkehrsteilnehmenden und hat alleine damit die Möglichkeit, eine rechtlich legitimierte Machtposition auszuüben. Das Themencluster „Autofah- ren/Aggression/Auffälliges Verhalten im Straßenverkehr“ findet sich auch in Kapitel 2 wieder. Außerdem bestehen Hinweise darauf, dass Tendenzen, Aggressionen körperlich auszudrücken, die Frustration über die Behinderung von Zielen und eine impulsive Natur, per se ein aggressives Fahrverhalten begünstigen (Ball et al., 2018, p. 85). Die vorbezeichnete Arbeit untersuchte die Rolle von Merkmalen der sog. Dunklen Triade (siehe Kapitel 2) als potenzielle Faktoren, die neben Wut, all­gemeiner Aggression, Impulsivität und Zuschreibungen bösartiger Fahrabsichten zum selbstberichteten aggressiven Fahren beitragen. Dies könnte gerade im Kon­text dieser Arbeit für den Rettungsdienst interessant sein. Sowohl die Gefährdung der Öffentlichkeit und der Mitfahrenden, als auch immense Sachschäden (z.B. durch riskantes Fahren) und das Image des Berufs würde negativ beeinflusst wer­den.

Zweitens: Bestimmte Eigenschaften sind hilfreich für bestimmte Tätigkeiten, z.B. auch in heiklen Situation einen kühlen Kopf zu bewahren, wäre im Rettungsdienst äußerst hilfreich. Dazu gehören auch Situationen, die als starke Belastung erlebt werden können. Drittens: Persönlichkeitsstrukturen werden im Rahmen einer orga- nisationalen Gravitation durch das berufliche Umfeld mit beeinflusst, d.h. wenn man davon ausgeht, dass das besondere Arbeitsumfeld Rettungsdienst Menschen mit besonderen Merkmalen anzieht, beeinflussen diese sich wechselseitig. Außerdem findet nach dieser Vorstellung durch die beruflich Tätigkeit an sich eine Einfluss­nahme auf das Individuum statt. Das besondere Umfeld bzw. die besondere Tätig­keit kann durch die verschiedenen, stark wechselnden Szenarien erklärt werden, z.B. Notfall im Rotlichtmilieu, schwerer Verkehrsunfall bei Starkregen, Kollaps einer prominenten Person, Herzinfarkt in einer Großfabrik, Schnupfen bei einem 25-jähri­gen Mann ohne relevante medizinische Vorgeschichte, der gerade von zu Hause ausgezogen ist u.v.m. So erhalten Beschäftigte im Rettungsdienst Einsicht in intime Details und Zugang zu Örtlichkeiten, die der breiten Masse der Normalbevölkerung in der Regel nicht zugänglich sind. Ebenso trifft man regelmäßig Menschen in den verschiedensten Situation vor. Alle diese Situationen verlangen eine absolute Hand­lungsfähigkeit und genau diese Notwendigkeit könnte sich auf die Persönlichkeits­eigenschaften der Beschäftigten auswirken. Ein Beispiel hierzu ist die Ausprägung von schwarzem Humor bei den Angehörigen der notfallmedizinischen Berufe (Max­well, 2003, pp. 93-98).

Auch der Rettungsdienst ist hierarchisch aufgebaut, sowohl auf operativer, als auch auf administrativer Ebene. Auf operativer Ebene durch die verschiedenen Qualifika­tionsstufen und den damit einhergehenden Rechten und Pflichten und auf adminis­trativer Ebene beispielsweise durch die Leitenden einer Rettungswache, eines Wa­chenverbundes oder eines Kreises bzw. einer kreisfreien Stadt. So ist das Thema toxische Führung auch für den Rettungsdienst relevant, auch aus der Perspektive heraus, dass die Leistungen der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentrans­ports infrastrukturkritische Bereiche der Daseinsvorsorge darstellen. Andererseits weisen auch Beschäftigte der operativen Ebene diverse Persönlichkeitsmerkmale mit unterschiedlichen Ausprägungen auf. In Bezug auf Führungskräfte, beschreibt die Theorie der oberen Ränge (Hambrick & Mason, 1984, p. 193) den Zusammen­hang zwischen Leadership und Organisation im Allgemeinen wie folgt:

„Organizational outcomes-both strategies and effectiveness-are viewed as reflections of the values and cognitive bases of powerful actors in the organization. It is expected that, to some extent, such linkages can be detected empirically.“

Es wird also den Werten und kognitiven Grundlagen der Führungsperson die Fä­higkeit zugesprochen, organisatorische Ergebnisse zu beeinflussen.

Folgend der Annahme, dass hohe Psychopathie-Scores eindeutig mit niedrigeren selbstberichteten Empathieniveaus, einer abgeschwächten affektiven Reaktion auf Empathie-Induktion und weniger altruistischem Verhalten in Verbindung zu bringen sind (Mayer et al., 2018, pp. 625-632), könnte dies im rettungsdienstlichen Setting hinderlich sein. So könnte, bezugnehmend auf das SOME-Modell (Bird & Viding, 2014, pp. 520-522), zum Beispiel das Erkennen der affektiven Situation des gegen­über gestört oder eine angemessene Reaktion erschwert sein. Konkret heißt das: Die Wahrnehmung von beispielsweise Schmerz, Trauer und Angst bei einem Hilfs­bedürftigen könnten nicht wahrgenommen oder eine inadäquate Reaktion eingelei­tet werden.

Das Thema „Wut“ scheint ebenso eine Bedeutung in Kontext dieser Arbeit zu besit­zen. Empathie und Wut sind zwei soziale Emotionen, die das Risiko eines Men­schen für Aggression modulieren (Blair, 2018, pp. 1-7). Reduzierte Empathie, wie sie in der Psychopathie zu beobachten ist, erhöht das Risiko einer zielgerichteten Aggression. Atypisch erhöhter Ärger (Reizbarkeit), der unter bestimmten Bedingun­gen wie z.B. Borderline-Persönlichkeitsstörung auftritt, erhöht das Risiko für reakti­ve Aggression. Die Situation des mit Martinhorn fahrenden Rettungswagens wurde bereits beschrieben. Aggressive Fahrreaktionen könnten katastrophale Ausmaße annehmen. Ebenso aggressive Handlungen gegenüber Schutzbefohlenen oder an­deren Beschäftigten. Hier wäre nicht nur physische Gewalt denkbar, sondern auch psychische Gewalt. In diesem Zuge wäre bei prädisponierten Menschen ein beson­derer Schaden durch toxische Führung zu erzielen. So beschreiben Barelds et al., dass Beschäftigte mit einem geringen Selbstwertgefühlt besonders anfällig für psy­chopathische Führungspersonen sind (Barelds et al., 2018, pp. 1-12) . Die Arbeit zeigt, dass das Ausmaß, in dem sich (wahrgenommene) psychopathische Merkma­le von Führungskräften in ihrem Verhalten widerspiegeln, auch von den Merkmalen ihrer Anhänger abhängt. Offensichtlich ist der Verhaltensausdruck negativer Leit­merkmale nicht nur eine Frage der Merkmalsstärke, sondern das kontextabhängige Ergebnis eines Zusammenspiels von Führungskraft und Untergebenen. Obwohl zu der Merkmalsstärke der Beschäftigten im deutschsprachigen Rettungsdienst keine Daten vorliegen, wäre vor allem bei Auszubildenden oder besonders jungen Be­schäftigten, die am Anfang ihrer beruflichen Orientierung stehen, eine gewisse Prä­disposition für die Beeinflussung durch böswillige Führung denkbar.

Das Besondere im Rettungsdienst ist, dass die Rettungsmittel mit einem Teamleiter und einem Teammitglied besetzt sind und RA oder NotSan während des Einsatzes eine Leitungsfunktion haben. Somit wäre der Einfluss von toxischer Führung im Rettungsdienst nicht nur auf Leitungsstellen mit Personal- oder Budgetverantwor­tung denkbar.

Doch sind nicht nur Individuen durch bestimmte malevolente Traits beeinflussbar, sondern auch Organisationen. So können zwar unter bestimmten situativen Bedin­gungen malevolente Traits auch performance-steigernd wirksam werden, allerdings auch eine Bedrohung der Organisation und der Gesundheit von Beschäftigten oder im besten Fall des Betriebsfriedens darstellen (siehe auch Tabelle 3, z.B. primäre Psychopathie).

Die Frage, ob der Rettungsdienst einen prozentual höheren Anteil an psychopathi­schen, narzisstischen oder machiavellistischen Menschen aufweist, ist nicht nur für die Organisation interessant, sondern unter Umständen auch für hilfsbedürftige Menschen, die von beispielsweise psychopathischen Beschäftigten im Rettungs­dienst versorgt werden oder versorgt werden sollen.

Für den Rettungsdienst liegen in Bezug auf die Häufigkeit von bestimmten hoch­ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmalen oder Sozialisations- und Gravitationseffek­ten noch keine Daten vor. Die Master-Thesis soll sich dieser Lücke annehmen und bei den Fach- und Führungskräften im deutschsprachigen Rettungsdienst evaluie­ren, in welcher Häufigkeit auffällige Persönlichkeitsmerkmale vorliegen, die den Merkmalen (Traits) der dunklen Triade entsprechen.

1.2 Forschungsfrage und Zielsetzung

Fragestellung der Master-Thesis ist, ob ein Unterschied zwischen den Beschäftig­ten im Rettungsdienst als Experimentalgruppe (EG) und Menschen aus der Nor­malbevölkerung als Kontrollgruppe (KG) bezüglich Persönlichkeitsmerkmalen der sog. Dunkle Triade (=D3, siehe Kapitel 2.1f) besteht. Dies objektiviert und operatio­nalisiert die im Titel der Arbeit angeführten sozialunverträglichen Persönlichkeits­merkmale. Die Forschungsfrage lautet also: Weisen Beschäftigte im deutsch­sprachigen Rettungsdienst im Vergleich zur Normalbevölkerung sozialunverträgli­chere Persönlichkeitsmerkmale im Sinne der sog. Dunklen Triade auf? Normalbe­völkerung meint in diesem Zusammenhang alle Individuen, die nicht hauptberuflich im Rettungsdienst beschäftigt sind.

Für die Beschäftigten im Rettungsdienst wären mehrere Annahmen denkbar. Einer­seits könnte in Bezug auf die Normalbevölkerung eine signifikante Häufung von Merkmalen vorliegen, die der sog. dunklen Triade (siehe Kapitel 2) zuzuordnen sind. Gründe hierfür könnten z.B. in einem Machtstreben als Motivator gesehen werden (McClelland, 1991).

Hypothese (H1) lautet deswegen: Beschäftigte im Rettungsdienst weisen im Ver­gleich zur Normalbevölkerung signifi kant höhere D3-Scores auf. Andererseits könn­te durchaus Gegenteiliges der Fall und keine Merkmale der dunklen Triade zu be­schreiben sein, da die soziale Interaktion auf einer Rettungswache bzw. einem Ret­tungsmittel über eine acht bis 24 Stunden andauernde Schichtzeit eine besonders sozial verträgliche Ausrichtung verlangt.

Nullhypothese (H0) lautet: Es besteht bei Beschäftigten im Rettungsdienst kein signifi kanter Unterschied der D3-Scores im Vergleich zur Normalbevölkerung.

Eine Erklärung für die Häufung dieser Persönlichkeitsmerkmale wäre durch das Modell der organisationalen Sozialisation und Gravitation zu sehen. Zur organisa- tionalen Gravitation zählen selbstselektive Prozesse, d. h. Beschäftigte wählen ein Unternehmen aus, bei denen die Arbeit aufgenommen werden soll (Nerdinger, 2011, pp. 67-85). So weisen die Ergebnisse von (Taber et al., 2011, p. 207) darauf hin, dass Medizinstudierende im ersten Jahr, die dazu neigen anderen gegenüber aufmerksamer, zärtlicher, besorgniserregender und gewissenhafter zu sein, eher in personenorientierte Fachgebiete einsteigen. Umgekehrt weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Medizinstudierende, die eher skeptisch, sozial dominant und un­geduldig sind, eher in technisch orientierte Fachrichtungen wechseln. Die organisa­tionale Gravitation wird durch das Attraction-selection-attrition-Model beschrieben (Schneider, 2006, pp. 437-454).

Ziel dieser Master-Thesis, die sich als Pilot-Studie versteht, ist, Informationen über die Zusammensetzung der Persönlichkeitsmerkmale im deutschen Rettungsdienst zu erhalten und mit der Normalbevölkerung zu vergleichen.

1.3 Methodik

Diese empirische, primäranalytische Pilot-Studie im multizentrischen Querschnitt­Design ist quantitativer Natur und stützt sich, neben dem Theorieteil, im Wesentli­chen auf die Online-Datenerhebung eines bereits validierten Fragebogens, dessen Auswertung und die Einbettung dieser Erkenntnisse im induktiven Sinn in den Kon­text dieser Master-Thesis.

Das Vorgehen nach Erläuterung der relevanten Theorie kann wie folgt verstanden werden: Es wurden die Ausprägungen von Persönlichkeitsmerkmalen der Dunklen Triade bei Rettungsdienst-Beschäftigten und bei der Normalbevölkerung unter­sucht. Dazu wurde eine bereits validierte Skala verwendet, die sog. „Short Dark Tri- ad “ oder abgekürzt „SD3“ (Jones & Paulhus, 2014, pp. 28-41). Da die im vorherigen Satz zitierten Original-Skala in englischer Sprache abgefasst ist, wurde die deut­sche Übersetzung von Malesza et al. (2017, p. 855) benutzt. Kapitel 3.6 beleuchtet die Gründe für dieses Vorgehen.

Die Erhebung wurde mit der übersetzten Skala via Online-Fragebogen als Teilerhe­bung umgesetzt, wofür sich die Begründung ebenfalls wieder in Kapitel 3 findet.

Die Daten werden wie oben beschrieben online erhoben und deskriptiv mittels SPSS® ausgewertet und graphisch aufbereitet. Im Speziellen liegt die Priorität auf der Darstellung der wichtigsten Streu- und Lagemaße und Korrelationsmaße und der Diskussion der Ergebnisse.

1.4 Aufbau der Arbeit

Dieses Kapitel soll den Lesenden eine Orientierung über die Strukturierung dieser Master-Thesis geben. Die folgenden Absätze entsprechen den Kapiteln:

Vor dem ersten Kapitel können sich Lesende mit den entsprechenden Verzeichnis­sen einen Überblick über Tabellen und Grafiken verschaffen. Das Abkürzungsver­zeichnis erklärt die wichtigsten Abkürzungen.

Das erste Kapitel, die Einleitung, untergliedert sich in vier Unterkapitel. Im ersten dieser Unterkapitel, der „Problemstellung und Relevanz“, sollen Lesende für die Forschungsfrage sowie deren Kontext und Relevanz sensibilisiert werden. Das zweite Unterkapitel „Forschungsfrage und Zielsetzung“ stellt die Forschungsfrage und die Hypothesen dar. Außerdem wird das Ziel der Arbeit beschrieben. Das Un­terkapitel „Methodik“ dient dazu, dem Lesenden einen Überblick über den wissen­schaftlichen Charakter der Master-Thesis zu geben und das Vorgehen grob zu ka­tegorisieren, während eine detaillierte Vorstellung der angewandten Methodik in Kapitel 3 stattfindet. Das vierte und letzte Unterkapitel der Einleitung ist dieses, also der Aufbau der Arbeit.

Kapitel 2 widmet sich dem theoretischen Hintergrund der Master-Thesis und glie­dert sich, ebenso wie das erste Kapitel, in vier Unterkapitel. Zunächst sollen mit dem Unterkapitel „Relevante Begriffe“ ebendiese so geklärt werden, dass Lesenden der Einstieg in die Thematik erleichtert wird. Im nächsten Unterkapitel, das den Titel „Aktueller Forschungsstand“ trägt, wird der derzeitige State of the Art zu Narziss­mus, Machiavellismus, Psychopathie und D3 in jeweils einer eigenen Gliederungs­ebene dargestellt. Im Zentrum steht die aktuelle Literatur, die über verschiedene wissenschaftliche Datenbanken recherchiert wurde. Aufbauend auf diesen Erkennt­nissen wurde nach einer Analyse die Frage nach allfälligen Forschungslücken im dritten Unterkapitel beantwortet. Als letztes Unterkapitel des zweiten Kapitels geht es bei „Schlussfolgerungen aus der Literaturrecherche“ bezeichnenderweise um die Implikationen der bisherigen Erkenntnis im Kontext dieser Arbeit.

Das dritte Kapitel, die methodische Vorgehensweise, hat zur Aufgabe, Lesenden einen transparenten Einblick in die methodische Vorgehensweise der Master-Thesis zu geben. Übergeordnetes Ziel ist, die Beschreibung derart zu gestalten, dass die Prozesse jederzeit reproduziert werden können. Diesem hehren Ziel dienen sechs Kapitel, die auf Literaturrecherche, Angaben zur Stichprobe und zum Fragebogen, Online-Plattform und statistische Auswertung eingehen. Im Unterkapitel „3.6 Statis­tische Auswertung“ wird das Vorgehen begründet und die Grundlagen der Datenin­terpretation dieser Arbeit erläutert. Hier finden sich wichtige Angaben für den Er­gebnisteil (Kapitel 4).

Das vierte Kapitel widmet sich den Ergebnissen und ist in vier Bereiche unterteilt. Zunächst werden die soziodemografischen Daten vorgestellt, gefolgt von der Item­analyse, der explorativen Faktorenanalyse und den T-Tests. Itemanalyse, Faktoren­analyse und T-Tests sind jeweils in die drei Konstrukte der D3 gesplittet. Die T-Tests sind zusätzlich nach Alter und Berufszugehörigkeit unterteilt.

Das fünfte Kapitel widmet sich der Diskussion der bisherigen Erkenntnisse und For­schungsergebnisse. Hier werden die soziodemografischen Daten, die explorative Faktorenanalyse, die Itemanalyse und die T-Tests interpretiert. Außerdem werden Chancen und Probleme, welche die Fragestellung mit sich bringen könnte, beleuch­tet. Die praktischen Implikationen für Forschung und Rettungsdienst finden hier ebenso Platz, wie die Diskussion der Limitationen und die kritische Reflexion der eigenen Arbeit.

Das sechste und letzte Kapitel liefert eine Zusammenfassung der Erkenntnisse im Hinblick auf die Fragestellung und generiert einen Ausblick auf die mögliche Ver­wendung der Ergebnisse und zukünftige Forschungsarbeiten.

2 Theoretischer Hintergrund

Dieses Kapitel soll die relevanten Begriffe klären, um Verständnisschwierigkeiten oder Missverständnisse vorzubeugen. Außerdem wird der aktuelle Forschungs­stand mit seinen Lücken ins Zentrum der Betrachtung gerückt.

2.1 Relevante Begriffe

In dieser Master-Thesis werden bestimmte Begriffe immer wieder erwähnt. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollen sie hier erklärt werden, wenn auch auf das Wesentliche reduziert.

Persönlichkeit und Traits: Die hier verwendete Beschreibung der beiden Begrifflich- keiten geht auf Gerrig (2018, pp. 508-509) zurück. Persönlichkeit wird dort definiert als eine komplexe Menge einzigartiger psychischer Eigenschaften, welche die für ein Individuum charakteristischen Verhaltensmuster in vielen Situation und über ei­nen längeren Zeitraum beeinflussen. Die Persönlichkeit ist also ein stabiles Muster aller überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten. In der Umgangssprache wird oftmals Charakter oder Wesenszug synonym verwendet. Traits beschreiben je eine stabile Eigenschaft eines Individuums, die über verschie­dene Situationen hinweg ein konsistentes Verhalten prädisponieren. So definiert sich beispielsweise Ehrlichkeit in einer Situation so, dass die gefundene Brieftasche mit Inhalt im Fundbüro abgegeben wird und in der anderen Situation in der Art, dass bei einer Prüfung nicht geschummelt wird, obwohl die Möglichkeit dazu bestünde. Organisation: Der Begriff steht in dieser Arbeit synonym für Firma, Betrieb und sämtliche gewerbliche Leistungserbringer, unabhängig von deren Geschäftsform und für jede strukturierte, dauerhafte und zielorientierte Kooperationsbeziehung, die sich auf einen spezifischen sozialen Zusammenhang bezieht und vertraglich gere­gelt ist.

Rettungsdienst: Ist in dieser Arbeit von dem vorbezeichneten Begriff die Rede, ist der Rettungsdienst der Bundesrepublik Deutschland gemeint.

Malevolent: Synonym für bösartig, aus dem Englischen „malevolent"

Dunkle Triade: Es sei darauf hingewiesen, dass bestimmte auffällige Persönlich­keitsmerkmale nicht zwingend mit einer klinisch-diagnostizierbaren Erkrankung ein­hergehen, z.B. ausgeprägte narzisstische Merkmale versus narzisstische Persön­lichkeitsstörung im Sinnes des ICD F60.8 (Dilling & Freyberger, 2016, pp. 246 - 247). Bei der dunklen Triade geht es im Gegensatz zur klinischen Psychologie um Eigenschaften im subklinischen Bereich, die sich durch die Ausprägung des Verhal­tens von Persönlichkeitsstörungen unterscheidet. In diesem Sinne haben Paulhus und Williams erstmals die Zusammenhänge zwischen drei großen malevolenten Persönlichkeitsmerkmalen als „Dunkle Triade“ beschrieben und den Begriff somit gleichzeitig geprägt (Paulhus & Williams, 2002, pp. 556-563): Narzissmus, Machia­vellismus, Psychopathie. Die Dunkle Triade wird in Kapitel 2.2.4. eingehend be­schrieben. Um grundlegende Begriffe und Zusammenhänge zu klären, sollen je­doch die drei Merkmale beschrieben werden.

2.2 Aktueller Forschungsstand

2.2.1 Narzissmus

Das Kapitel soll einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung zu Nar­zissmus geben, soweit für den Kontext dieser Arbeit relevant. Auch wenn klinische Aspekte, wie z.B. Definitionen, immer wieder auftauchen, sind diese eher Randnoti­zen oder für ein grundsätzliches Verständnis bestimmter Konstrukte unentbehrlich. In dieser Arbeit geht es, auch im Sinne der D3, weniger um die Blickrichtung der kli­nischen Psychologie, als um Aspekte der Arbeits- und Organisationpsychologie. Aus diesem Grund findet immer wieder die Rekursion auf die organisationale Ebene statt.

Die Definition der zentralen Begriffe soll hier Platz finden, weil sich die Bedeutung und Relevanz der verwenden Konstrukte, einerseits vom alltagspsychologischen Verständnis und andererseits im Detaillierunsgrad und in der Diskussionstiefe ab­heben soll. Auf der Suche nach einer klaren Definition des Narzissmus könnten Su­chende jedoch enttäuscht werden, denn die allgemeingültige Definition dieses Per­sönlichkeitsmerkmals gibt es nicht und es bestehen recht viele begriffliche Inkonsis­tenzen, wie auch Pincus & Lukowitsky (2010, p. 437) schreiben:

„Conceptions of personality disorders are currently in flux, and the clinical and empirical literatures on pathological narcissism and NPD suffer from significant phenotypic and taxonomic inconsistencies.“

Zunächst wäre zu erwähnen, dass der Übergang von hochausgeprägten, jedoch subklinischen narzisstischen Merkmalen in eine Persönlichkeitsstörung gegeben sein kann, wobei hier auffällig ist, dass die Beschreibung im ICD-10 wenig diagnos­tische Trennschärfe zu bieten scheint. So wird die Narzisstische Persönlichkeitsstö­rung unter der Kodierung F60.80 nur knapp erwähnt und nicht weiter operationali­siert (Dilling & Freyberger, 2016, p. 247), d.h. exakte Diagnosekriterien fehlen und subklinische narzisstische Ausprägungen bleiben unerwähnt. Das Klassifikations­system der American Psychiatric Association (DSM-5) ist etwas ausführlicher und listet die Störung unter Kodierung 301.81 (Maier, 2015, p. 918).

Abgesehen von medizinischen bzw. klinisch-psychologischen Kodierungen, kann Narzissmus als ein Persönlichkeitsmerkmal verstanden werden, dass von Überzeu­gungen der persönlichen Überlegenheit und einem Gefühl des unbedingten An­spruchs auf Sonderbehandlung geprägt ist, wobei gleichzeitig Gefühle der Unzu­länglichkeit bestehen (Krizan & Herlache, 2018, pp. 2-3). Das heißt, Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Merkmalen leben in einem ambivalenten Spannungs­feld zwischen gelebter Grandiosität und gefühlter Minderwertigkeit, wobei der fragile Selbstwert das zentrale Problem darstellt. Das Narcissism Spectrum Model be­schreibt Narzissmus als „(...) a spectrum of personality characteristics that reflects Variation in self-impor- tance and entitlement as a shared phenotype, with narcissism exhibiting different forms of expression spanning distinct dimensions of temperament and functioning.“ (Krizan & Herlache, 2018, p. 6).

Das Konzept eines Spektrums kann in der Psychiatrie und Psychologie als eine Sammlung von Zuständen verstanden werden, die sich in ihrer Schwere oder Aus­prägung unterscheiden, aber durch zugrundeliegende generative Prozesse verbun­den sind. Ähnliche Spektrum-Modelle werden bei ähnlichen Störungsclustern be­reits verwendet, um klinische und subklinische Erscheinungen in die Vorstellung zu integrieren, z.B. bei Angststörungen (Dell'Osso et al., 2015, pp. 295-301) oder emo­tional-instabiler Persönlichkeitsstörung (Benazzi, 2006, pp. 68-74). Das Narcissism Spectrum Model beschreibt Self-importance (Selbstüberschätzung) und Entitlement (Anspruchsverhalten) als zentrale Aspekte des Narzissmus, die von Grandiosity (Grandiosität, Großartigkeit, hier: Selbstüberhöhung) und Vulnerability (Verwund­ barkeit) flankiert werden. Dies wird im Modell mit einer Grafik dargestellt (siehe Abb. 1), bei der die Variation dieser Persönlichkeitsmerkmale durch die Abweichung vom vertikalen Vektor in der Mitte des Spektrums visualisiert wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Selbstüberschätzung, die für das Individuum nur zu einem gewissen Grad im jeweiligen Moment bewusst zugänglich ist, stellt dar, warum narzisstisches Verhal­ten nicht auf die willkürliche Darstellung der eigenen Grandiosität nach außen limi­tiert ist, sondern vielmehr von ich-syntonen Verhaltensweisen ausgegangen werden kann. Der Aspekt der Verwundbarkeit führt nochmals den Aspekt der Dysfunktionali­tät ins Auge, denn Narzissmus ist keineswegs als heroisches und leistungsstei­gerndes Merkmal zu sehen, sondern trägt auch leidensgenerierende Züge, unter denen nicht nur die Menschen in der Umgebung des narzisstischen Individuums leiden, sondern auch das betroffene Individuum selbst. Ähnlich dem paradoxen Verhältnis zwischen dem grandiosen, selbstherrlichen Habitus einerseits und der Verwundbarkeit andererseits, scheint Narzissmus nach heutigem Verständnis eine Welt der Paradoxie zu eröffnen, so schreiben Krizan & Herlache:

"As mentioned ear- lier, the notion that narcissistic individuals embody qualities that are at some level paradoxical or self-contradictory (e.g., hubris alongside insecurity) is a long-standing and distinc- tive aspect of narcissism scholarship. The existence of such a “narcissistic paradox” became widely accepted as the psy- chodynamic concept of splitting became the key idea for understanding narcissism.“ (Krizan & Herlache, 2018, p. 20)

Trotz der bisherigen Überlegungen bleibt offen, ob Narzissmus förderlich oder schädlich für eine Organisation ist. Campbell et al. (2011, pp. 272-273) schreiben dazu nicht nur, dass es üblich wäre, Narzissmus an der Spitze von Organisationen zu finden, sie beschreiben auch den Spagat zwischen dem Lob für Leidenschaft, Vision und Innovationskraft dieser Personen und andererseits der Aburteilung für mangelnde Empathie und ihrer Überempfindlichkeit gegenüber Kritik.

Ein Ansatz für dieses Schisma wäre, wie Campbell et al. in der vorzitierten Arbeit vorschlagen, das Konstrukt des Narzissmus selbst in eine helle Seite und eine dunkle Seite aufzuteilen. So werden beispielsweise die mit positivem Selbstwertge­fühl verbundenen Komponenten des Narzissmus als gesund oder hell und die mit dem Anspruch verbundenen als ungesund oder dunkel beschrieben. Das Problem bei diesem dichotomen Ansatz ist jedoch die Gefahr einer Stigmatisierung und einer einseitigen Konnotation, welche in diesem Kontext schwer operationalisierbarer Begriffe („hell“ und „dunkel“) darstellen, die eher einem alltagspsychologischen Konstrukt anmuten und Assoziationen wie „gut“ und „böse“ wecken könnten. Letzte­res greift zu kurz und führt zu moralisierenden Annahmen. Außerdem greift die Ar­beit an einer weiteren Stelle zu kurz, denn dem Gedanken der Ambivalenz, also dass die gleiche Persönlichkeitskonfiguration beides aufweisen kann, also sowohl eine helle als auch eine dunkle Seite enthalten kann, wird nicht Rechnung getra­gen. So können Menschen mit hochausgeprägten narzisstischen Merkmalen zu­nächst selbstbewusst und charismatisch wirken. Mit der Zeit werden diese Merkma­le jedoch zu einem Gefühl des überhöhten Anspruchsdenkens und der Unfähigkeit, aus Fehlern zu lernen (Hogan & Kaiser, 2005, p. 176). Campbell et al. (2011, pp. 272-273) beschreiben mit Bezug auf das organisationale Setting auch die Erschei­nung produktiver narzisstischer Individuen, die leicht unproduktiv werden können, wenn sie von Gefühlen der Grandiosität und Paranoia überwältigt werden. Hier wä­ren sicher die Moderatorvariablen interessant, also: Welche Variablen führen im Rettungsdienst zu einer Steigerung des Grandiositätsgefühls und zu einer Zunah­me der paranoischen Phänomene? Ein weiterer Aspekt ist, dass diese Dynamik die Organisationsdiagnose im Bezug auf Narzissmus erschwert.

Braun beschäftigte sich ebenfalls mit den Auswirkungen auf die Organisation und analysierte fünfundvierzig Forschungsartikel in einem systematischen Review (Braun, 2017, pp. 1-22) mit dem Schwerpunkt Leadership-Narcissism. Inklusionskri­terien waren neben dem Assessment von Leadership-Narcissism ein Fokus auf subklinische Ausprägungen und das Vorhandensein einer Outcome-Messung. Es hat sich gezeigt, dass Narzissmus Konflikte, Aggressionen und Mobbing in einer Vielzahl von Kontexten außerhalb von Organisationen vorhersagt. Ob Narzissmus generell als prädikativer Faktor für kontraproduktives und sozialunverträgliches Ar­beitsverhalten beschrieben werden kann, ist jedoch fraglich.

Im Hinblick auf Konflikte prognostiziert Narzissmus ein niedrigeres Niveau der An­passung in Beziehungen, d.h. narzisstische Individuen reagieren eher auf die Fol­gen von negativem Verhalten der Partner auf eine Weise, die eher destruktiv als konstruktiv für die Beziehung ist (Campbell & Foster, 2002, pp. 484-495). Gleiches gilt für White-Collar-Crime (auch: „Corporate Crime“), also ein wirtschaftskriminelles Verhalten, das Aggression ohne direkte/körperliche Gewalt gegen Menschen be­schreibt (Gaertner et al., 2008; Blickle et al., 2006), wobei Letzteres vor allem bei narzisstischer Kränkung durch Bedrohung des Egos (Bushman & Baumeister, 1998, pp. 219-229) und soziale Zurückweisung aufzutreten scheint (Foster et al., 2003, pp. 469-486). Bisher zeichnet sich in zwischenmenschlichen Beziehungen und in Bezug auf kriminelles Verhalten also ein defizitäres Bild für narzisstische In­dividuen, im Hinblick auf deren Einsatz in einer gesunden Organisation. Interessant wäre weiterhin die Forschung bezüglich der Interaktion von narzisstischen Individu­en mit hilfsbedürftigen Menschen.

(Campbell & Campbell, 2009, pp. 214-232) bringen mit dem Contextual Reinforce­ment Model einen weiteren Aspekt ins Spiel, der bisher gefehlt hat: Den Kontext. Hier wird der Fragestellung begegnet, ob Unterschiede im narzisstischen Verhalten beobachtbar sind, wenn Menschen coram publico (z.B. Arbeitsstelle) oder in einem nicht-öffentlichen Setting (z.B. zu Hause) agieren. Es findet eine Unterteilung in Emerging Zone und Enduring Zone statt und spielt sich außerdem vor dem Hinter­grund der Nutzen und Kosten ab. Das Modell soll hier Erwähnung finden, da Kosten und Nutzen für Individuen und Organisationen kontextabhängig betrachtet werden und gerade der Kontext ein wichtiges Puzzleteil in einem komplexen Muster zu sein scheint. So werden hier nicht nur die destruktiven Seiten, sondern auch den mögli­chen Nutzen des Narzismuss für das narzisstische Individuum und die Organisation darstellt. Die Nutzen des Narzissmus sind demnach primär in der Emerging Zone zu finden, also die Situationen, in denen es um unbekannte Personen, Frühpha­senbeziehungen und kurzfristige Zusammenhänge geht, zusammenfasst. Hier wäre auch die Anfangsphase eines Jobs zu sehen. In der Emerging Zone geht es also darum, erstmal zu glänzen, sich einen Status zu erarbeiten und zu beeindrucken. Die Kosten sind vor allem in dauerhaften und nachhaltig ausgelegten Settings be­heimatet, also in der Enduring Zone. In dieser Zone bzw. Zeitphase, die sich der Emerging Zone anschließt, muss die Leistung, der Eindruck und die Beziehung zu anderen Individuen aufrechterhalten werden. Nach einer Einarbeitungsphase, denkbar auch nach der Probezeit, geht einem Individuum mit ausgeprägten narziss­tischen Merkmalen also „die Luft aus“ und gute Performanz und sozial erwünschtes Verhalten werden nicht weitergeführt. Die Begründung für die Kosten der Enduring Zone liegt den Autoren folgend darin, dass in der Emerging Zone mehr Benefits ge­erntet werden können, als dies in der Enduring Zone der Fall wäre. Diese Benefits können sein: Generierung eines positiven Selbstbildes, positiver Affekt bis zu emo­tionalen Rauschzuständen, Erfolg in der Anfangsphase, Erfolg in der Partnersuche, Erzeugung von Sympathie in den ersten Meetings, aufstrebende und entwickelnde Führung, Erfolg bei anfänglicher Ressourcengewinnung aus der organisationalen Umwelt, Resilienz gegenüber negativen Rückmeldungen und Erfolg bei öffentlichen Aufführungen. Als Kehrseite der Medaille können jedoch auch Überheblichkeit und damit schlechte Entscheidungen und schlechte Leistungen im privaten (nicht-öffent­lichen) Bereich zu beobachten sein. Es wird betont, dass auch die Enduring Zone Nutzen abwerfen kann, wie z.B. positive Selbsteinschätzung, eine hohe Wahr­scheinlichkeit einen gewissen Bekanntheits- bzw. Berühmtheitsgrad zu erreichen, höhere Stufen der uneingeschränkten Soziosexualität et cetera. Die Kosten dürfen jedoch nicht ignoriert werden. Diese können aus einer Sucht nach Selbstentfaltung, zwanghaftes Konsumverhalten, pathologisches Glücksspiel, zu zuversichtliche Ent­scheidungsfindungen, Schwierigkeiten beim Lernen aus Feedback, schlechte Ma­nagement-Bewertungen, Beziehungsproblemen und sogar Haftstrafen bestehen. In der Emerging Zone könnte vor allem das Führungsverhalten narzisstischer Indivi­duen von Nutzen für die Organisation sein, während Aggression nach Bedrohung als Zeichen der narzisstischen Kränkung ein Risiko ist. In der Enduring Zone konn­ten die Autoren keinen Nutzen für die Organisation identifizieren, jedoch Risiken, wie z.B. Aggression, schlechte Bewertung des Führungsverhaltens, unberechenba­res Führungsverhalten, auch auf interpersoneller Ebene. Sogar ein erhöhtes Inhaf­tierungsrisiko konnte festgestellt werden. Werden aus Enduring Zone, Emerging Zone, Nutzen und Kosten vier Felder generiert, ist das Gesamtbild visualierbar (sie­he Abb. 2). Für das Selbst hat der Narzissmus nur ein sehr geringes Ausmaß an Nachteilen (z.B. -1). Im Gegensatz dazu hat der Narzissmus bei der anderen Seite eine insgesamt sehr viel negativere Konsequenz (z.B. -12), d.h. die Kosten der An­deren sind höher, als die Kosten des narzisstischen Individuums. Die grafische Dar­stellung visualisiert auch die Vorteile und die Kosten des Narzissmus für das Indivi­duum. Für das Selbst hat der Narzissmus eindeutig Vorteile in der Emerging Zone, wobei diese Vorteile sogar die Kosten überwiegen. Für andere in der Emerging Zone kann der Narzissmus auch Vorteile bieten, obwohl diese Vorteile durch die potenziellen Kosten ausgeglichen werden. Eine interessante Fragestellung für die zukünftige Forschung wäre, ob eine positive Korrelation zwischen Narzissmus und einem Lebenslauf besteht, die viele kurze Beschäftigungsverhältnisse beschreibt, die ggf. auch Erfolge beinhalten. Dies könnte bedeuten, dass narzisstische Be­schäftigte die Organisation zu Beginn der Enduring Zone verlassen. Zu berücksich­tigen wäre jedoch, dass durch die prekäre Situation des Arbeitsmarkts (Breining, 2014) und die ständig verbesserten Arbeitsbedingungen mit Abwerbeinitiativen (Schrader, 2019) durchaus ein Bias entstehen könnte.

Tabelle 1: Übersicht über Nutzen und Kosten des Narzissmus in Enduring- und Emerging-Zone mo­difiziert nach Campbell & Campbell (2009, p. 219)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Ausmaß der Kosten und Nutzen für das narzisstische Individuum und Andere (Eigene Grafik, modifiziert nach Campbell & Campbell (2009, p. 221)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einer Metaanalyse von Grijalva (2015, p. 280) folgend, die 31 Jahre Narzissmus- Forschung mit über 355 Arbeiten und 470.00 Versuchspersonen untersuchte, be­steht ein konsistenter Geschlechtsunterschied in der Ausprägung narzisstischer Merkmale. Obwohl der Geschlechtsunterschied im Narzissmus von einigen Kon­ventionen als klein angesehen werden könne, wäre er in seiner Größenordnung vergleichbar mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Risikobereit­schaft, im Neurotizismus und im Selbstwertgefühl. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass Männer im Vergleich zu Frauen eher dazu neigen, andere auszubeuten und zu glauben, dass sie selbst etwas Besonderes sind und daher Anspruch auf Privilegien haben. Der zweitgrößte Geschlechtsunterschied (ebenfalls zugunsten von Männern) betrifft die Leadership-Authoritäts-Facette des Narzissmus. Mit ande­ren Worten: Männer zeigen im Vergleich zu Frauen mehr Durchsetzungsvermögen, Motivation zur Führung und den Wunsch nach Macht und Autorität über andere.

In Bezug auf das Gesundheitswesen gibt es einige Befunde, die jedoch den Ret­tungsdienst komplett auslassen. Myers et al. (2018, p. 1) schreiben beispielsweise „Overconfidence has long been noted as a potential problem among doctors, but the practice of surgery has a particular reputation for arrogant, ego oriented behaviours. In a study of personality traits among UK healthcare professionals, surgeons were found to have significantly higher levels of narcissism (a personality characteristic that mani­fests in egotist, arrogant, or dominant attitudes10) than their non-surgeon colleagues.“

Im weiteren Verlauf beschreiben Sie, dass Chirurginnen und Chirurgen signifikant höhere Narzissmus-Werte aufweisen würden als Ärztinnen und Ärzte andere Fach­richtung und beziehen sich dabei eine Arbeit von Bucknall et al. (2015, p. 1363), die interessanterweise schließen „Health care professionals expressed low levels of dark triad personality traits. The sug­gestion that health care professionals are avaricious and untrustworthy may be refuted, even for surgeons.“

Fazit: Nach diesem Subkapitel sollte gewahr geworden sein, dass Narzissmus aus vielen Facetten besteht und Nutzen und auch Kosten generieren kann. Die Nutzen für die Organisation scheinen im Vergleich mit den Kosten und Risiken jedoch auf sehr fragilen Beinen zu stehen. Die Kontextabhängigkeit, als wichtiger Punkt im Verständnis des Narzissmus, beschreibt ein dynamisches Geschehen und erklärt Veränderungen im Verhalten von narzisstischen Beschäftigten. Auch hier Bedarf es weiterer Forschung im Rettungsdienst und im Gesundheitssektor allgemein, auch im Hinblick auch die Interaktion narzisstischer Individuen mit Hilfsbedürftigen. In Bezug auf Vorhandensein bzw. Verlauf von Emerging - und Enduring Zone im Ret­tungsdienst wären Längsschnittsdaten wünschenswert.

2.2.2 Machiavellismus

Namensgeber ist Niccolo Machiavelli, der mit seiner im 16. Jahrhundert erschiene­ne Schrift „Il Principe“ (Machiavelli, 1986, p. N.N.) schwer moralisch verurteilt wur­de. Machiavelli beschäftigte sich in diesem Werk mit der Ergreifung und Erhaltung politischer Macht, wobei er eine „Der-Zweck-heiligt-die-Mittel-Politik“ in den Vorder­grund stellt, bei der moralische Prinzipien stets dem Selbstzweck des Individuums untergeordnet werden und betrügerische und rücksichtslose Methoden zum Einsatz kommen. Machiavelli beschreibt ein ganzes Arsenal von Taktiken zur Zweckerfül­lung, z.B. emotionale Manipulation, Allianzbildung, Einschüchterung, Schmeichelei und ein Eindruckschinden, das heute unter Impression Management (Bourdage et al., 2017, p. 537) bekannt ist und Managementfähigkeiten vortäuschen soll, die entweder nicht vorhanden sind oder aus anderen (z.B. ökonomischen) Gründen nicht eingesetzt werden sollen.

Der daraus entstandene Begriff Machiavellismus beschreibt eine zynische Sicht auf den Menschen, den Glauben an die Wirksamkeit manipulativer Taktiken und eine stark ausgeprägte Orientierung am persönlichen Nutzen (Externbrink & Keil, 2017, p. 10). Eines der gängigsten Diagnostika, der Mach-Fragebogen, wurde von Chris­tie und Geis (1970, pp. 10-34) mit einem Persönlichkeitsfragebogen in Psychologie und Managementlehre übertragen und ist bis heute in überarbeiteter Form ge­bräuchlich. Mach-IV ist eine 10-Item-Skala, die mit einer 7-stufigen Likert-Skala ar­beitet und auf die drei machiavellistischen Dimensionen abzielt (Láng, 2017, p. 2): 1. Interpersonelle Taktiken (z.B. "Der beste Weg, mit Menschen umzugehen, ist ih­nen zu sagen, was sie hören wollen"), 2. zynische Ansichten über die menschliche Natur (z.B. "Die meisten Männer vergessen einfacher den Tod ihres Vaters als den Verlust ihres Eigentums") und 3. eine utilitaristische Moral (z.B. "Menschen, die an unheilbaren Krankheiten leiden, sollten die Wahl haben, schmerzlos hingerichtet zu werden“). Der Fragebogen erklärt mit den drei Dimensionen den Kern des Machia­vellismus also äußerst zutreffend, weswegen er auch hier Erwähnung findet.

Austin et al. (2007, pp. 186-187) zeigten, dass hohe Mach-Werte, also hohe Werte auf der Mach-IV-Skala, mit emotionaler Intelligenz negativ korreliert waren und wie in früheren Arbeiten (z.B. Jakobowitz & Egan, 2006, pp. 337-338) festgestellt wur­de, ebenso mit Agreeableness und Conscientiousness. Mit Agreeableness (Verträg­lichkeit) und Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit) sind die Big-Five-Persönlich- keitsmerkmale gemeint, die bereits von anderen Autoren mit malevolenten Eigen­schaften in Bezug gesetzt wurden (z.B. Garcia & González Moraga, 2017, pp. 3845-3845). Ein ebensolches Korrelationsmuster beschreiben die Autoren für hohe Mach-Werte und die Fähigkeit, die eigenen Emotionen zu kontrollieren, wobei dies auf die Emotionen Anderer nicht zuzutreffen scheint. Sprich: Die Kontrolle eigener Emotionen fällt dem machiavellistischen Menschen durchaus schwer, was jedoch nichts an seinen Fähigkeiten ändert, die Emotionen von anderen Menschen zu ma­nipulieren.

Ali & Chamorro-Premuzic (2010, pp. 230-232) zeigten, dass weibliches Geschlecht signifikant mit einem geringeren Machiavellismus-Wert assoziiert war, als männli­ches Geschlecht. Zu intersexuellen Menschen wurden keine Daten erhoben. Ma­chiavellismus war außerdem hoch mit der primären Psychopathie und mäßig mit der sekundären Psychopathie korreliert, sowie negativ mit Lebenszufriedenheit an­hand der Satisfaction with life scale (SWLS). Machiavellismus wurde auch von an­deren Forschenden negativ mit Lebenszufriedenheit und Intimität assoziiert, was jedoch nicht überraschend ist, wenn man bedenkt, dass diese Eigenschaft mit ne­gativen Emotionen und einem Mangel an zwischenmenschlichen Affekten in Bezie­hungen verbunden ist (McHoskey et al., 1998, p. 193).

Für das Arbeitsplatz-Setting im Rettungsdienst scheinen der negativ gestimmte, misstrauische, unterkühlt agierende und taktierende Prototyp des Machiavellismus nicht gerade wünschenswert zu sein. Vielleicht könnte sogar ein Schaden für Hilfs­bedürftige, andere Beschäftigte oder die Organisation entstehen. Diese Annahme scheint jedoch zu kurz zu greifen. Collins (2014, pp. 324-327) führte an 76 Studie­renden in Gesundheitsmanagement („Health Care Management“) und 86 Studie­renden in einem Gesundheitsfachberuf („Patient Care Professionals“) eine Mach-IV- Messung durch, mit der Fragestellung, ob es bezüglich der machiavellistischen Ausprägungen Unterschiede gibt. Hier wurde 15,4% (25) mit hohen Machs (12 aus der Gruppe der Gesundheitsfachberufe und 13 aus der Gruppe der Gesundheits­manager) und 84,6% (137) als niedrige Machs bewertet (74 aus der Gruppe der Gesundheitsfachberufe und 63 aus der Gruppe der Gesundheitsmanager). Das heißt einerseits waren hohe Machs in beiden Gruppen in gleicher Ausprägung vor­handen und niedrige Machs waren bei den Angehörigen der Gesundheitsfachbe­rufs-Studiengänge mehr vorhanden, als bei den Managern. Andererseits gibt die Arbeit Aufschluss über die Häufigkeit der Verteilung, wobei leider die Grundgesamt­heit keine Erwähnung findet. In der Diskussion wird hervorgehoben, dass machia­vellistische Ansichten zwar umstritten, jedoch nicht unter allen Umständen untaug­lich sind. Hier wird mit dem Satz

„Having a low percentage of health care professionals with little to no focus on orga­nizational profits may be as detrimental as having a low percentage with little to no fo­cus on patient care“ (Collins, 2014, p. 326) davon ausgegangen, dass gewinn- und finanzbasierte Interessen und Fähigkeiten für beide Gruppen wichtig sind. So profitiert beispielsweise die Organisation von ei­ner wirtschaftlich stabilen Führung einer Kostenstelle und zumindest sekundär auch Beschäftigte. Der Studie folgend, hätten Organisationen versucht, die Korrupten und Inkompetenten mit einer solchen Rachsucht auszusondern, dass die damit verbundenen Eigenschaften wie Kreativität, Ehrgeiz und Strategieorientierung glei­chermaßen strafbar waren. Das eröffnet die bewusst provokativen Fragen: Sind Machiavellisten für die Organisation (oder zumindest Schlüsselpositionen in der Or­ganisation) sogar essentiell? Wie viele Machiavellisten braucht eine Organisation? Zum Nutzen für die Organisation schreibt Collins das Folgende

„High Machs, thought to make decisions based only on their self-interest, may be orga­nizationally beneficial if their self-interests are aimed toward organizational success gi­ven that quality patient care linked to overall organizational success.“ (Collins, 2014, p. 326)

Weiterhin könnte eine spannende Frage sein, welche Maßnahmen das machiavel­listische Individuum möglichst nah an die Ziele der Organisation anbindet. Zurück­kommend zur zitierten Studie schließt die Autorin, dass mit Machiavellismus ver­bundene Eigenschaften wie Risikobereitschaft, Kreativität und strategische Ausrich­tung in größerem Umfang zum Überleben von Organisationen erforderlich sein könnten, als in der Vergangenheit gefordert wurde. Hier werden also zwei Seiten der machiavellistischen Medaille hervorgehoben und gleichzeitig wird thematisiert, dass Fragen wie „Sind machiavellistisch-auffällige Menschen schädlich für die Or­ganisation?“ nicht einfach und dichotom beantwortet werden können.

Bratek et al. (2015, pp. 344-347) folgern aus Ihrer Untersuchung an 509 Medizin­studierenden bzw. Candidates, Medical Trainees, Residents und Specialists in Po­len, die anhand eines Mach-IV-Fragebogen befragt wurden, dass das Niveau des Machiavellismus unter den Medizinstudenten relativ hoch ist, jedoch auf den ver- schiedenen Stufen der medizinischen Karriere allmählich abnimmt (siehe Abb. 3 und 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Machiavellismus - Altersverlauf (Bratek et al., 2015, p. 345)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Machiavellismus - Frauen und Männer (Bratek et al., 2015, p. 345)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Machiavellismus - Quali fi kationen (Bratek et al., 2015, p. 345)

Hier wurden auch geschlechtsspezifische Unterschiede festgestellt, nämlich das Männer deutlich höhere Machs erreichten als Frauen (siehe Plot in Abb. 4). Interse­xuelle Menschen finden auch hier keine Erwähnung.

Als Outcome der vorher zitierten Arbeit von Bratek et al. lässt sich festhalten, dass es eine abflachende Ausprägung der Machs entlang der Studien- bzw. Berufsjahre zu geben scheint. Die Folgerung bezüglich der relativ hohen Machs ist schwierig, da eine breite Vergleichsbasis zwischen den verschiedenen Berufen und Branchen fehlt bzw. inkonsistent zu sein scheint. Auch hier zeigt sich, dass andere Arbeiten mit Vorsicht und im Kontext des Themas zu zitieren sind. Bratek et al. (2015, pp. 11­12) beziehen sich recht allgemein auf Wertheim et al. (1978, pp. 134-242), in dem sie schreiben „ Wertheim, Widom, and Wortzel (1978) found that law students showed the highest scores in Machiavellianism in comparison with other occupati- ons.“ In der Arbeit wurden jedoch 37 Jahre vorher lediglich Jura-, Management-, Er- ziehungs- und Social-Work-Studierende vor dem Hintergrund von Karriere-Chance verglichen. Ob diese Folgerungen ins Jahr 2020 übertragbar sind, ist fraglich.

Malik et al. (2016, pp. 12-27) untersuchten kontraproduktives Verhalten am Arbeits­platz („counterproductive work behaviour“). Im Zuge der quantitativen Arbeit wurden 156 Beschäftigte (42,6% Frauen, 57,4% Männer, Angaben zum dritten Geschlecht fehlen) auf Ebene der Geschäftsleitung, der Aufsichtseben und der Arbeitenden mit einem Mach-IV-Fragebogen befragt, der im Verlauf mit einer verkürzten und getes­teten Version der Counterproductive Work Behavior Checklist (Spector & Fox, 2002, pp. 269-288) positiv korreliert wurde (r=0,659, p=0,01), was heißt, dass Individuen mit hochausgeprägten machiavellistischen Merkmalen die Tendenz haben, in kon­traproduktives Verhalten am Arbeitsplatz verwickelt zu sein. Sie kamen ferner zum Ergebnis, dass machiavellistische Individuen sich von ethischen Überlegungen frei zu fühlen scheinen, aber sich dennoch nicht immer unethisch verhalten. Die Aus­wertung zeigt, dass sich Menschen mit hohen Machs auf unethische Praktiken am Arbeitsplatz einlassen um extrinsische Belohnungen wie Status, Autorität und Macht zu erhalten, die Präferenz für kontraproduktives Arbeitsverhalten auf weniger intensives Verhalten beschränkt ist und dass keine Neigung zu schwererem kontra­produktivem Arbeitsverhalten wie Diebstahl, Sabotage, Produktionsabweichungen und Rückzug von der Arbeit besteht. Die Autoren definierten hier Missbrauch im Sinne von Abuse, also „harmful and nasty behaviors that a ect other people“, als weniger invasives Verhalten. Auch hier ist eine Limitation, dass ein Self-Report ein gewisses Bias-Risiko durch sozial erwünschte Antworten aufweist. Auffällig ist auch der hohe Anteil von Befragten mit hohen Machs (75%).

Ein interessanter Punkt ist, dass die organisationswissenschaftliche Forschung dazu tendiert hat, prosoziales Verhalten als ein positives Ergebnis darzustellen, das in Organisationen gefördert werden sollte. Dieses prosoziale Verhalten wurde je­doch sehr einseitig ausgelegt. Erst in jüngster Zeit haben Forschende jedoch be­gonnen, prosoziales Verhalten anzuerkennen, das zwar dazu beiträgt, das positive Image einer Organisation auf eine Weise aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitig ge­gen ethische Normen verstößt (Castille et al., 2018, pp. 1-10). Die eben zitierten Forschenden beschäftigen sich in diesem Zuge mit unethischen, prosozialen Ver­haltensweisen, wobei „prosozial“ in diesem Kontext auf die Organisation bezogen ist. Zusammenfassend ist das interessante Outcome der Arbeit, dass Machiavellis- ten im Sinne der ausgeprägten Fähigkeit zur amoralischen Manipulation rationale Opportunisten sind, die ohne moralischen Kompass bereit sind, die Interessen ihrer Organisation zu schützen, wenn auch auf unethische Weise. Auch hier zeigt sich die Multidimensionalität von Persönlichkeitsausprägungen bzw. die Resultate dieser Ausprägungen im organisationalen Setting.

[...]

Ende der Leseprobe aus 120 Seiten

Details

Titel
Die Dunkle Triade. Sozialunverträgliche Persönlichkeitsmerkmale im Rettungsdienst der BRD
Hochschule
Donau-Universität Krems - Universität für Weiterbildung
Note
2
Autor
Jahr
2020
Seiten
120
Katalognummer
V539480
ISBN (eBook)
9783346152282
ISBN (Buch)
9783346152299
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychopathie, Narzissmus, Machiavellismus, Dunkle Triade, Persönlichkeit, Persönlichkeitsmerkmale, Toxische Führung, Toxic Leadership, Leadership, Rettungsdienst, Notfallsanitäter, Arzt, Rettungssanitäter, Ethik, Ethische Führung, Unternehmensethik, Organisationspsychologie, Company Psychopath, Wirtschaftskriminalität
Arbeit zitieren
Christian Elsenbast (Autor:in), 2020, Die Dunkle Triade. Sozialunverträgliche Persönlichkeitsmerkmale im Rettungsdienst der BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539480

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