Formen der Vergangenheitsbewältigung anhand "Die Unfähigkeit zu trauern" von Alexander und Margarete Mitscherlich


Seminararbeit, 2002

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biographie
2.1. Alexander Mitscherlich
2.2. Margarete Mitscherlich

3. Situation nach dem 2. Weltkrieg
3.1. Bewältigung der Vergangenheit
3.2. Negation der Geschichte

4. Situation vor dem 2. Weltkrieg
4.1. Moral und Wertevorstellungen
4.2. Das Kaiserreich (1900-1914)
4.3. Der 1. Weltkrieg (1914-1918) und der damit verbundene Versailler Vertrag
4.4. Die Weimarer Republik (1918-1933)
4.4.1. Geistige Wegbereiter des Nationalsozialismus
4.5. Antisemitismus

5. “Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens.“
5.1. Zusammenfassung und Erläuterungen zu dem Buch
5.2. Die direkte Konfrontation mit NS-Tätern und Mitläufern und ihre Techniken der Entwirklichung
5.3. Ursachen für den blinden Gehorsam
5.4. Fanatischer Patriotismus
5.5. Politischer und sozialer Immobilismus
5.6. Der Führer als Ich-Ideal
5.7. Ist die Trauerarbeit noch möglich?

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Nachdem der zweite Weltkrieg beendet war und sich erzwungener Friede in Europa breit machte, waren die Verlierer mit schweren Bürden belastet. Eine dieser Bürden war die Verpflichtung ihrer Vergangenheit schonungslos in das erschreckende Antlitz zu schauen und den Versuch zu unternehmen, diese in irgendeiner Form ansatzweise zu ,,bewältigen". Der Begriff Vergangenheitsbewältigung wurde für diesen Umstand in Deutschland geprägt.

In dieser Arbeit wird an Hand der Erläuterungen von Alexander und Margarete Mitscherlich in deren Werk „Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens“ das Verhältnis der Deutschen zu den Geschehnissen im Nationalsozialismus, eben deren Form der Vergangenheitsbewältigung, untersucht.

Dieses Buch, ein gesellschaftsanalytisches Werk, ist im Jahre 1967 erschienen.

Im Untertitel („Grundlagen kollektiven Verhaltens“) haben die Autoren das zentrale Thema dieser Sammlung einer Reihe in sich abgeschlossener Arbeiten deutlich gemacht.

Es wird analysiert inwieweit beziehungsweise ob sich die Deutschen, wobei hier der Schwerpunkt auf die ehemalige BRD gelegt wird, überhaupt mit den damaligen Ereignissen und ihrer Mitschuld daran auseinandersetzen, inwiefern also eine Vergangenheitsbewältigung stattfand. In diesem Buch werden die „psychischen Prozesse in großen Gruppen, als deren Folge sich Freiheit oder Unfreiheit der Reflexion und der Einsicht ausbreiten“[1], näher betrachtet. Es soll der Versuch unternommen werden, mit Hilfe psychologischer Interpretation „einigen Grundlagen der Politik näherzukommen[2] “. Interpretiert werden soll also das, was Politik macht, nämlich menschliches Verhalten in großer Zahl.

Im Blickpunkt steht jene Generation, die den Nationalsozialismus im Erwachsenenalter aktiv miterlebt hat, die also eine aktive Rolle als Täter oder auch als „Dulder“ ( oder wie allgemein geläufig, als Mitläufer) spielte und somit als kleine oder große Rädchen im Getriebe der Realisierung der nationalsozialistischen Ideale, unbeachtet der verbrecherischen Methoden, die vorgeblich als Mittel zum Zweck dienten, verhalf.

Gefragt wird nach den unterschiedlichen Umgangsformen dieser Generation mit der NS-Vergangenheit. Welche Reaktionen und alternative Identifikationsmöglichkeiten boten sich also? Fand eine Entidentifizierung mit der Geschichte des eigenen Landes statt bzw. welche Abwehrmechanismen sind in diesem Zusammenhang zu finden? Dazu muss anfangs untersucht werden, wie sich das Leben dieser Generation darstellte, wie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die das Unbegreifbare möglich machten, und die Gedankenwelt dieser Zeit aussahen, denn „das Verständnis der Motive eines Individuums bringt uns schrittweise an die unbekannte Welt des anderen heran.“[3] Die Erziehung, Werte und die Moral dieser Generation spielen eine entscheidende Rolle, um zu verstehen, was diese Generation dazu brachte sich mit den Idealen des Nationalsozialismus oder gar mit Hitler zu identifizieren und diesen Idealen bedingungslos zu dienen.

Die Autoren dieses Buches versuchten eine Antwort auf die Frage zu geben, warum die Trauer um die Millionen Opfer des Dritten Reiches nicht stattfand.

Einleitend folgt eine Biographie der beiden Autoren.

2. BIOGRAPHIE

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.1. Alexander Mitscherlich

Alexander Mitscherlich

1908 - 1982

Psychoanalytiker und Sozialpsychologe

1908: Alexander Mitscherlich wurde als Sohn

des Chemikers Harbord Mitscherlich und

seiner Frau Clara, geborene Heigenmooser,

am 20. September 1908 in München geboren.

Alexander Mitscherlich litt als Heranwachsender

unter einem autoritären, deutschnational gesinnten Vater.

1928-1932: Nach Absolvierung des Gymnasiums in Hof

studierte er an der Universität München von 1928-1932

zunächst Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie.

Damit brach er mit der Familientradition, die durch drei Generationen hindurch Naturwissenschaftler hervorgebracht hatte. Alexander Mitscherlich begann mit einer Arbeit über die subjektiven Aspekte von Luther-Darstellungen zu promovieren, die der Historiker Paul Joachimsen (ein getaufter Jude) als Dissertationsthema akzeptiert hatte. Doch sein Doktorvater Paul Joachimsen starb 1932. Die Promotion von Alexander Mitscherlich scheiterte daraufhin an der Weigerung vom antisemitischem Nachfolger von Paul Joachimsen, Karl Alexander von Müller, Arbeiten seines Vorgängers weiter zu betreuen. Mitscherlich bricht darauf sein Studium ab.

1932/ 1933: Noch im Jahre 1932 heiratete Mitscherlich die Ärztin Melitta Behr. Die gemeinsame Tochter Monika wurde geboren, dann folgen 1933 die Tochter Barbara und 1936 der Sohn Malte. Seine Ehe ermöglichte Mitscherlich sich 1933 als Buchhändler selbstständig zu machen und nach Berlin zu ziehen. Freundschaften mit Ernst Jünger[4] und Ernst Niekisch[5] beeinflussten ihn. Nebenher nimmt er das Studium der Medizin auf.
Seine finanziellen Verhältnisse erlaubten es ihm sogar, Teilhaber von Niekischs „Widerstands-Verlag“ zu werden. Der Nationalbolschewist Niekisch war durch sein Buch „Hitler ein deutsches Verhängnis“, das im Jahre 1932 veröffentlicht wurde, und in dem er vor Adolf Hitler und der Gefahr einer nationalsozialistischen Machtübernahme warnt, den Nazibehörden anstößig geworden. Mitscherlichs Buchhandlung, die für Niekisch warb, wurde daher von der SA (Schutzarmee) 1935 geschlossen. Mitscherlich zog 1933 mit seiner Familie nach Freiburg (Breisgau), wo er das in Berlin begonnene Medizinstudium fortsetzte.

1935: Im Jahre1935 emigrierte Mitscherlich in die Schweiz, nachdem er wegen Widerstandsarbeit steckbrieflich gesucht wurde. Dort und auch später noch einmal unterzog sich Mitscherlich einer psychoanalytischen Behandlung, an der er sich dankbar erinnerte. In Zürich setzte er sein Medizinstudium fort.

1937: Als er im Februar 1937 für kurze Zeit nach Deutschland kam, um einen Anwalt für den verhafteten Freund Niekisch zu besorgen, wurde er von der Gestapo[6] festgenommen. Nach achtmonatiger Untersuchungshaft in Nürnberg wurde er wegen ungenügendem Beweismaterials entlassen, erhielt aber die Auflage, in Deutschland das Studium fortzusetzen und sich regelmäßig bei der Polizei zu melden.

1938: Im Jahre 1938, nach der Haftentlassung, nahm ihn Viktor von Weizsäcker verständnisvoll als Studierenden in Heidelberg auf. Noch im selben Jahr heiratete Mitscherlich Georgia Wiedemann. Aus dieser Verbindung gingen die Söhne René (geboren 1939) und Thomas (geboren 1942) hervor.

1939: Im Jahre 1939 legte er in Heidelberg das medizinische Staatsexamen ab.

1941: Er machte1941 seine Promotion bei Viktor von Weizsäcker über das Thema "Zur Wesensbestimmung der synästhetischen Wahrnehmung". Im Anschluss nimmt ihn Viktor von Weizsäcker als Mitarbeiter an der Universitätsklinik Heidelberg für Innere Krankheiten auf.

Durch Weizsäcker wurden ihm die in Deutschland verbotenen Arbeiten von Sigmund Freud[7], für die er sich schon in München zu interessieren begonnen hatte, zugänglich gemacht, so dass er sich dessen Theorien nunmehr gründlich aneignen konnte. Weizsäcker prägte seine Auffassung von der humanen Aufgabe des Arztes, der im Patienten den ganzen Menschen zu erkennen hat. Der Zusammenhang von physischen Krankheiten und seelischen Leiden stand schon in Weizsäckers Buch „Studien zur Pathogenese“ (1935) im Mittelpunkt, das für Mitscherlich ein Meilenstein auf dem Weg eines neuen klinischen Denkens war. Eine schwere Gelenkveränderung am Knie, Wehrunwürdigkeit und zuletzt die Unabkömmlichkeit als Leiter einer neurologischen Ambulanz bewahrten ihn vor dem Kriegsdienst.

1945: Am 17.5.1945 wurde Mitscherlich von den amerikanischen Besatzungsbehörden[8] zum Mitglied der „Regionalen Zivilregierung für Saar, Pfalz, Rheinhessen“ ernannt und mit der Leitung des Gesundheitswesen betraut. Die wenig später erfolgte Abtretung der linksrheinischen Gebiete an die französische Besatzungszone ohne vorherige Information der „Regierung“ veranlasste ihn, sein Amt niederzulegen.

1946: Von 1946 – 1949 arbeitete Mitscherlich an der medizinischen Polyklinik in

Zürich. 1946 wurde Mitscherlich von der ärztlichen Standesvertretung als Beobachter zum Nürnberger Kriegsverbrecherprozess[9] gegen (NS-)Ärzte entsandt. Seine gemeinsam mit Fred Mielke verfasste Dokumentation „Das Diktat der Menschenverachtung“ (1947), in der er aufzeigt, wie verführbar eine den lebendigen Menschen vernachlässigende Medizin war und mit welcher Bedenklosigkeit selbst angesehene Kliniker sich im Namen der Wissenschaft an Menschenversuchen beteiligten, stieß auf wehleidige Abwehr zahlreicher Kollegen. Hier begegnete Mitscherlich zum ersten Mal dem Phänomen der Verdrängung und des „Vergessens“ der Nazizeit, auf das er zusammen mit seiner dritten Frau Margarete – in dem Buch „Die Unfähigkeit zu trauern, Grundlagen kollektiven Verhaltens“ (1967) ausführlich eingegangen ist.

ab 1947: In zahlreichen Vorträgen und Artikeln trat Mitscherlich für die Wiederaufnahme der Psychoanalyse als Therapie und als Methode der Kulturkritik ein. Seine Habilitationsschrift „Vom Ursprung der Sucht, eine pathologische Untersuchung des Vieltrinkens“ (1947) macht noch sparsamen Gebrauch von Freuds Erkenntnissen, aber die unter dem Titel „Krankheit als Konflikt“ zusammengefassten Arbeiten (Ges. Schrr. II) sind bereits eindrucksvolle Beispiele für die Fruchtbarkeit der Psychoanalyse für Diagnose und Therapie psychosomatischer Krankheiten. Viele von Mitscherlichs Arbeiten erschienen seit 1947 in der von ihm gegründeten Zeitschrift „Psyche“, die sich nicht allein an Ärzte und Psychotherapeuten, sondern auch an das allgemeine Publikum wandte.

1949: Im Jahre 1949 gründete Mitscherlich an der Universität Heidelberg die Abteilung für Psychosomatische Medizin, die bald zu einer eigenen Klinik ausgebaut wird - der ersten ihrer Art.

1952: 1952 erhielt Mitscherlich eine außerplanmäßige Professur für psychosomatische Medizin an der Universität Heidelberg.

1955: Im Jahre 1955 heiratete er die Ärztin und Psychoanalytikerin Margarete Nielsen, mit der er bereits einen Sohn, Mathias (geb. 1949), hatte.

1960-1976: Trotz wachsender Anerkennung im In- und Ausland dauerte es noch bis 1960, ehe Mitscherlich einen ordentlichen Lehrstuhl für Psychoanalyse – an der Universität Frankfurt und in der Philosophischen Fakultät – erhielt. Im selben Jahr ermöglichte die hessische Landesregierung die Gründung des „Sigmund-Freud-Instituts“, das sich unter Mitscherlichs Leitung der Ausbildung von Psychoanalytikern und der Anwendung der analytischen Methode auf soziale und kulturelle Phänomene widmete.

Bis zu seiner Emeritierung 1973 hielt Mitscherlich regelmäßig Vorlesungen, 1976 legte er das Direktorat seines Instituts nieder.

Er wurde zunehmend zum engagierten Kritiker der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft.

1960: Im Jahre 1960 fand die Veröffentlichung des Berichtes "Das Diktat der Menschen-verachtung" über die Vorgehensweise deutscher Ärzte in den Konzentrationslagern statt.

1963: Drei Arbeiten sind es vor allem, die Mitscherlich über den Kreis der Fachkollegen hinaus international Ansehen verschafft haben. Den Anfang machte das Buch „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ (1963), in dem die seelischen Auswirkungen der „Entmachtung“ des Familienvaters infolge der Beschleunigung wissenschaftlich-technischer Entwicklungen, der „Spurlosigkeit“ von Arbeit und der erhöhten Mobilität analysiert werden. Die Ohnmacht der realen Väter hat freilich nicht immer eine größere Eigenständigkeit der Menschen zur Folge, umgekehrt führt sie sogar häufig zur Unterwerfung unter Ersatz-Väter, mit deren Über-Ich-Ideal sich die scheinbar Emanzipierten identifizieren. Die Diskrepanz zwischen einer immer rascheren äußeren wirtschaftlich-technischen Entwicklung und dem Zurückbleiben der seelischen Reifung hat Mitscherlich auch in zahlreichen anderen Arbeiten untersucht.

1965: Das zweite einflussreiche Buch Mitscherlichs, das 1965 veröffentlicht wurde, beschreibt die „Unwirtlichkeit unserer Städte“ und will ausdrücklich „zum Unfrieden anstiften“. Er kritisierte hier die Zerstörung gewachsener Strukturen in der Stadtentwicklung der Nachkriegszeit. Wobei die alternativen Wohnmodelle der Architekten und Städtebauer jedoch die Stadtrandsiedlung nicht grundsätzlich in Frage stellten. In der lieblosen Zersiedlung der Landschaft und der Monotonie der Vorstadt-Einfamilienhäuser erblickt Mitscherlich eine weitere Folge jener erstarrten Haltung, die er in „Die Unfähigkeit zu trauern“ (1967) diagnostiziert hatte. Sein Vorschlag, das städtische Bodenrecht zu revolutionieren, greift auf Gedanken zurück, die er 1946 in einer – zusammen mit Alfred Weber verfassten – Broschüre über „Freien Sozialismus“ entwickelt hatte. Dabei stand für Mitscherlich die entscheidende Ablehnung der sowjetischen totalitären Gesellschaft nie in Frage, auch wenn er den fanatischen Antikommunismus als Ideologie der Ex-Nazis kritisierte. Wie unter anderem auch Freud gehörte Mitscherlich in die Reihe der Ärztephilosophen, die – in Einlösung des von Schelling[10] formulierten Programms – daran arbeiteten, die bewusste Praxis der Individuen und Kollektive durch Anamnese aufzuhellen, zu lernen und zu lehren, in welchem Maße die Menschen selber Autoren ihres Schicksals sind und in welchem Maße sie es darum sabotieren können.

1966-1973: Von 1966 bis 1973 war Alexander Mitscherlich Professor für Psychologie an der Universität Frankfurt/Main.

1967: Zusammen mit seiner Frau Margarethe Mitscherlich veröffentlichte er im Jahre 1967 die Schrift "Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens", in der Mitscherlich - ausgehend von Erfahrungen mit deutschen Patienten – eine weitgehende Verdrängungs- und Verleugnungsstrategie gegenüber den Verbrechen der Nazizeit und der eigenen Anhängerschaft gegenüber dem damaligen „Führern“ diagnostiziert. Der plötzliche Verlust des „Ich-Ideals“ löste nicht Trauer aus, sondern führte zu einer tiefen Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls – zu Melancholie. Um dieser Melancholie zu entgehen, musste offenbar die unmittelbare Vergangenheit derealisiert werden. Folge dieser Verleugnung war aber eine verbissene Konzentration auf die Arbeit und eine gefährliche Starrheit in der Haltung gegenüber der Umwelt.

1970 drückte Mitscherlich die Hoffnung aus, dass die neue Ostpolitik dazu führen werde, einen Schritt vorwärts zu machen in der so lange aufgeschobenen Bearbeitung und Bewältigung der Vergangenheit unter dem Realitätsprinzip. Auf den Einwand, er benütze seine an kranken Individuen gewonnenen Einsichten, um eine ganze Gesellschaft zu beurteilen, erwiderte Mitscherlich, dass die Häufigkeit und gewisse gemeinsame Züge im Verhalten großer Bevölkerungsteile derartige Verallgemeinerungen legitimieren.

1969: Im Jahre 1969 erhielt er die Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen

Buchhandels. Mitscherlich publizierte mit seiner Frau Margarete "Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität" (1969) und "Eine deutsche Art zu lieben" (1970).

1972: 1972 wurde die Schrift "Massenpsychologie ohne Ressentiment - Sozialpsychologische Betrachtungen" veröffentlicht.
1973: 1973 wurde er mit dem Kulturpreis der Stadt München und der Wilhelm-Leuschner-

Medaille ausgezeichnet.

1975: Im Jahre 1975 gab Mitscherlich das Buch "Der Kampf um die Erinnerung" heraus in dem er sich kritisch mit der Psychoanalyse seit Freud auseinandersetzte.

1976: Mitscherlich lehnte 1976 die ihm angetragene Ehrenbürgerschaft der Stadt Frankfurt/Main ab, weil gleichzeitig auch der Präsident der Industrie- und Handelskammer Fritz Dietz[11] in dieser Weise geehrt werden sollte.

1978: 1978 fand die Veröffentlichung der Schrift "Das Ich und die Vielen. Parteinahme eines Psychoanalytikers" statt.

1980: 1980 veröffentlichte er seine Autobiographie "Ein Leben für die Psychoanalyse".

1982: Am 26. Juni 1982 starb Alexander Mitscherlich in Frankfurt am Main konfessionslos.

2.2. Margarete Mitscherlich

Margarete Mitscherlich, Ärztin, Psychoanalytikerin und Publizistin, geborene Nielsen, wurde am 17.7. 1917 in Graasten (Dänemark) geboren. Sie studierte zunächst Medizin und machte später eine psychoanalytische Ausbildung in Stuttgart, London und Heidelberg.

Neben der Zusammenarbeit mit ihrem Mann, wie z.B. in „Die Unfähigkeit zu trauern“(1967), setzte sie sich unter anderem mit der Problematik der Idealisierung („Das Ende der Vorbilder“, 1978), der Geschlechterbeziehungen („Männer. Zehn exemplarische Geschichten“, 1980, mit Helga Dietrichs) und dem Rollenverhalten der Frau in der Politik („Die friedfertige Frau“, 1985; „Die Zukunft ist weiblich“, 1987) auseinander.

Sie war Mitglied im Beirat des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Im Jahre 1984 wird ihr der Flensburger Kulturpreis überreicht.

3. Situation nach dem 2. Weltkrieg

Es soll zunächst die Situation der Deutschen nach 1945 dargestellt werden, aus der sich die Mitscherlichs heraus aufgefordert fühlten, diese von einer psychologischen Perspektive her zu analysieren, um eine Orientierung zu geben und den Versuch zu starten, hier Aufklärung zu schaffen.

3.1. Bewältigung der Vergangenheit

Das Wort Vergangenheitsbewältigung als Bezeichnung für den ethisch-moralischen Umgang mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus wurde in den 50er Jahren in der Bundesrepublik eingeführt.

,, Der in den 50er Jahren vielstrapazierte Terminus »Bewältigung der NS-Vergangenheit« ist symptomatisch für den Umgang mit dem geschichtlichen Nazierbe in der deutschen Nachkriegsgesellschaft: In ihm schwingt die Vorstellung mit, dem nationalsozialistischen Gewalterbe sei selber nur mit einer gewaltigen Anstrengung, einem gesellschaftlichen Kraftakt zu begegnen, der weniger eine Sache der einzelnen als die eines Kollektivs sei."[12]

Die Definition dieses Begriffes wird heute allgemeiner gefasst nicht mehr ausschließlich bezüglich der deutschen NS-Vergangenheit und ihrer Gräueltaten verwendet. Er ist zu einer ,, Sammelbezeichnung für jene Aktivitäten geworden, mit denen sich demokratische und auf die Menschenrechte verpflichtete politische Systeme und Gesellschaften mit ihren durch Diktatur und Verbrechen gekennzeichneten Vorgängersystem auseinandersetzen ."[13]

In Deutschland ist die Zeit nach 1945 gekennzeichnet durch das Bestreben, die NS-Vergangenheit zu ,,bewältigen", um durch ,,Entnazifizierung" und ,,Wiedergutmachung" eine demokratische politische Ordnung aufzubauen. Hierbei herrschte aber eine Diskrepanz zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre. Während die offizielle Politik versuchte, die Schuld durch Zeichensetzung zu bewältigen, so fand innerhalb der familiären Beziehungen keine aktive Aufarbeitung des geschichtlichen Erbes statt. Vielmehr wurde um das Thema ,,Nationalsozialismus" eine ,,Mauer des Schweigens" aufgebaut.

In der Nachkriegszeit war für die Familie die unmittelbare Existenzsicherung oberstes Gebot. Nur im familiären Zusammenhalt konnte das Überleben des einzelnen gesichert werden. Dabei mussten etwaige Differenzen unausgetragen bleiben. Eines der Hauptprobleme war die Differenz im Bereich der Erfahrungen zwischen den Geschlechtern. Die Frau hatte während des Krieges gelernt, das Leben ohne einen Mann zu meistern. Der Mann wiederum kam als Verlierer aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft zurück und hatte seinen angestammten Platz in der Familie verloren. Die Erlebnisse und Taten des Mannes in der Zeit des Nationalsozialismus waren geschichtliche Schandflecken, die es schnell zu vergessen galt.

Das Kind als gemeinsamer Nachkomme wurde nun als ,,narzisstisches Objekt für die innere Konsolidierung der Eltern in Anspruch genommen"[14] . Die Werte und Ideale der Eltern waren in ihren Grundmauern erschüttert worden, allein das Kind stellte eine Konstante in der Familie dar. Der Nachwuchs wurde von den Eltern dazu benutzt, den ,,Pakt des Schweigens" zu ,,besiegeln", das heißt die eigene Geschichte unverarbeitet zu lassen. Hinter dem äußeren Schein der Normalität verbarg sich die wahre Familiengeschichte, vor der der Nachwuchs ,,bewahrt" werden sollte.

Dabei wurde aber die politische und moralische Schuld der vorherigen Generation, die im Nationalsozialismus mitgewirkt haben, unbewusst auf der psychologischen Ebene auf die nachfolgende Generation übertragen.

[...]


[1] A. Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, Piper-Verlag, München, 1967, S. 7

[2] A. Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, Piper-Verlag, München, 1967, S. 7

[3] A. Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, Piper-Verlag, München, 1967, S. 186

[4] Ernst Jünger: (1895-1998). Schriftsteller

[5] Ernst Karl August Niekisch: (1889-1967). Schriftsteller und Politiker. Von 1926-1934 trat er als Herausgeber der Zeitschrift "Der Widerstand" für eine nationalbolschewistische und antiwestliche Politik ein. Die Synthese von extremem Nationalismus und revolutionär-sozialistischen Elementen blieb nicht ohne Wirkung auf den linken Flügel der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Im Jahre 1932 fand die Veröffentlichung der Schrift "Hitler - ein deutsches Verhängnis" statt, in der er vor Adolf Hitler und der Gefahr einer nationalsozialistischen Machtübernahme warnte. Am 22. März 1937 wurde er als Gegner des Nationalsozialismus wegen konspirativer Tätigkeit von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhaftet.

Am 10. Januar 1939 wurde Niekisch vom Volksgerichtshof wegen Hochverrats und Fortführung einer politischen Partei zu lebenslanger Zuchthaushaft verurteilt.

[6] Gestapo: Geheime Staatspolizei. Sie war die politische Polizei des nationalsozialistischen Regimes

[7] Sigmund Freud: (1856-1939). Mediziner und Begründer der Psychoanalyse. Er war getaufter Jude. Am 10. Mai 1933 wurden seiner Werke, wie viele andere auch, in der Bücherverbrennung, die mit den Höhepunkt der nationalsozialistischen Kampagne "Wider den undeutschen Geist", die vom Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft vorbereitet worden, verbrannt.

[8] Die amerikanische Besatzungszone: Sie besteht aus Teilen Süd- und Mitteldeutschlands sowie der Enklave Bremen und Bremerhaven. Sie ist mit 116.000 qkm nur wenig kleiner als die sowjetischen Besatzungszone.

[9] Nürnberger Prozesse: Der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg ist zuständig für die Verurteilung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden.
Am 20. November 1945 beginnt der erste der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des "Dritten Reiches". Der Prozess enthüllt das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Nach fast einem Jahr Verhandlungsdauer, am 1. Oktober 1946, werden 12 der 24 Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet, unter ihnen Ribbentrop und Rosenberg.

[10] Schelling: (1775-1854). Philosoph und Theologe

[11] Fritz Dietz: Langjähriger Präsident der IHK. Gründete mit einhelliger Zustimmung der Vollversammlung im Oktober 1964 die „Aktionsgemeinschaft Opernhaus Frankfurt am Main e.V." - eine der ersten Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik und engagierte sich nach dem 2. Weltkrieg für den Wiederaufbau der Frankfurter Oper, die durch den Krieg zerstört worden ist.

[12] Schneider, Christian, Schuld als Generationenproblem, in: „Mittelweg 36“, (Heft Nr. 4/1998) 28-40. 2 Schneider, 1998, S. 29.

[13] König/Kohlstruck/Wöll (Hg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Wiesbaden 1998, S. 7.

[14] Bude, Heinz: Bilanz der Nachfolge. Die Bundesrepublik und der Nationalsozialismus. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1992, S. 89

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Formen der Vergangenheitsbewältigung anhand "Die Unfähigkeit zu trauern" von Alexander und Margarete Mitscherlich
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Proseminar: Generationen und Generationenerfahrung nach 1945
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
31
Katalognummer
V5391
ISBN (eBook)
9783638132794
Dateigröße
770 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Auseinandersetzung der Täter-, und Mitläufergeneration mit dem II. Weltkrieg. Umfasst die Gebiete Germanistik (deutsche Kultur), Geschichte und Psychologie (da die Untersuchungen in dem Werk auf psychologischer Betrachtung basieren).
Schlagworte
Mitscherlich, Nationalsozialismus, Die Unfähigkeit zu trauern, NS-Regime, NS-Täter, NS-Mitläufer
Arbeit zitieren
Elisabetta D'Amato (Autor:in), 2002, Formen der Vergangenheitsbewältigung anhand "Die Unfähigkeit zu trauern" von Alexander und Margarete Mitscherlich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5391

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