Staatsbeamter in zwei Weltreichen. Das Buch Daniel nacherzählt und erklärt

2. überarbeitete und erweiterte Auflage


Quellenexegese, 2020

146 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1

Die Deportation Daniels

Kapitel 2

Daniel und der Traum Nebukadnezars

Kapitel 3

Die drei Männer im Feuerofen

Nebukadnezars Übertretung, Krankheit und Erniedrigung

Kapitel 4

Kapitel 7

Die Vision von den vier Tieren und dem Menschensohn

Die vier Tiere sind vier Reiche

Die zehn Hörner sind zehn Könige

Das kleine Horn – der Unterdrücker des Volkes Gottes

Die Dauer der Unterdrückung des Volkes Gottes

Die Rettung – der Menschensohn

Kapitel 8

Daniels Gesicht vom Widder und Ziegenbock

Kapitel 5

Belsazars Gastmahl – Die geheimnisvolle Schrift

Kapitel 6

Die Rettung aus der Löwengrube

Kapitel 9

Daniels Bußgebet und das Geheimnis der siebzig Jahrwochen

Kapitel 10

Der Engel am Tigris

Kapitel 11

Die Weissagungen über Persien und Griechenland

Das Land Judäa unter den Diadochen

Die Willkür des Königs

Die Zeit des Endes

Kapitel 12

Literaturverzeichnis

Vorwort

Lange Zeit, es sind jetzt mehr als 50 Jahre, habe ich mich mit dem prophetischen Buch Daniel beschäftigt. Anfangs war ich durch biblische Unterweisungen, insbesondere über das Traumgesicht Nebukadnezars von den vier Weltreichen, dazu geführt, in der Deutung auch eine Prophetie für die Zeiten der Vorherrschaft des Papsttums und sogar Europas zu verstehen. Doch im Laufe der Zeit erkannte ich in der Prophetie Daniels immer mehr das Wesentliche: einen Zuspruch der Hoffnung, des Trostes und der Ermutigung für das Volk Gottes in einer bedrängten Lage. Das Bedeutendste aber wurde für mich die zeitliche Ankündigung des Messias, der die Verfehlungen der Menschen durch sein Opfer hinwegnehmen wird. Diese Vorhersage durfte das Volk Gottes als absolute Wahrheit annehmen in gleicher Weise wie die Tatsache des Kommens und Gehens der Weltreiche, die nach der Prophetie des Daniel alle abgelöst wurden durch das Reich Gottes, das ewigen Bestand hat. Jesus Christus hat es auf der Erde begonnen und wird es mit seiner Wiederkunft vollenden.

Kapitel 1

Die Deportation Daniels

Im dritten Regierungsjahr des Königs Jojakim von Judäa, etwa im Jahre 607 bis 606 v. Chr., zog Nebukadnezar II von Babylonien nach Jerusalem, um die Stadt zu belagern und zu erobern. Seine Regierungszeit als König begann zwar erst um das Jahr 605 v. Chr., aber er war von seinem Vater bereits seit dem Jahre 620 v. Chr. mit politischen Aufgaben und mit der Heerführung betraut. Der jüdische König Jojakim, der von 634 bis 598 v. Chr. lebte, regierte in den Jahren 609–598 v. Chr. das Königreich Judäa. Er war einer der Söhne des Königs Josia von Judäa, der zunächst den jüngeren Bruder Jojakims, Joahas, auf den Thron gesetzt hatte. Dessen Regierungszeit dauerte allerdings nur drei Monate, da ihn der ägyptische König Necho II absetzte und für ihn den 25- jährigen Jojakim als neuen König von Judäa inthronisierte. Zur besseren Übersicht sind die Namen und die Regierungszeiten der einzelnen Könige Judäas und auch die des Reiches Israel in der Abbildung 1 aufgeschlüsselt:

Die für uns etwas abwegige Einmischung der Ägypter in die inneren Angelegenheiten Judäas war eine Frage der Stärke der einzelnen Reiche. Sie wurde aber endgültig durch den Sieg der Babylonier über Ägypten im Jahre 605 v. Chr. in der Schlacht von Karkemisch direkt an der heutigen syrischen Grenze beendet, nach der Bibel im vierten Regierungsjahr Jojakims,1 so dass Babylonien sich nun voll auf Judäa konzentrieren konnte.

Gott, der das Leben aller Menschen lenkt, ließ den Babylonischen König gewähren und das Land Judäa erobern.

Den König Jojakim überlieferte er in die Hände Nebukadnezars II, der ihn in Ketten zunächst nach Babylon führte,1 um ihm dann aber doch eine Herrschaft als Vasallenkönig Babyloniens zu gestatten. Im Zuge der Eroberung Judas entfernte der babylonische König auch einen Teil der Geräte des Tempels Salomos. Die Babylonier brachten sie in das Land Schinar oder Sinear, einer Ebene Babyloniens zwischen Euphrat und Tigris, in der sich einst die Völker nach der Sintflut angesiedelt und einen gewaltigen Turm gebaut hatten (siehe Abbildung 3). Die Teile der Tempelgeräte Judäas wurden als Kriegsbeute im Schatzhaus des Tempels des Gottes Nebukadnezars aufbewahrt.

Außerdem befahl der König dem Obersten seiner Hofbeamten und Eunuchen, Aschpenas, einige junge Männer des Volkes Judäa auszuwählen. Sie sollten aus dem Geschlecht des Königs ihres Landes stammen oder aber von den höhergestellten Persönlichkeiten bzw. von den Vornehmen. Er wünschte sich junge Männer ohne körperliche Fehler und Makel. Sie sollten außerdem gut aussehen und klug sein, voller Weisheit, gebildet und von guter Auffassungsgabe. Sie mussten weiterhin die Fähigkeit besitzen, ihren Dienst im Palast des Königs abzuleisten. Dazu gehörte eine entsprechende Ausbildung, und natürlich war es notwendig, die Schrift und Sprache der Chaldäer zu erlernen. Die ursprünglichen einheimischen Chaldäer besaßen allerdings im Gegensatz zu den Angehörigen des Volkes Judäa eine polytheistische Weltanschauung. In diesem Fall bezog sich aber der Ausdruck „Chaldäer“ eher auf die sternkundigen Berater und Wissenschaftler in Mesopotamien (Wikipedia).

Die königliche Weisung beinhaltete hinsichtlich der Erziehung und Betreuung der Untertanen am Hof automatisch auch die tägliche Versorgung von der Tafelkost des Königs und von dem Wein am Königshofe. Die Dauer der Erziehung und Ausbildung betrug insgesamt drei Jahre. Nach dem Abschluss des Studiums und nach erfolgreichem Ablauf sollten die jungen Männer in den Dienst des Königs von Babylonien eingestellt werden.

Unter diesen Zöglingen und Auszubildenden aus dem Lande Judäa befanden sich auch etliche Männer, die namentlich aufgeführt wurden wegen ihrer späteren Bedeutung und weil sie im weiteren Verlauf des Buches Daniel noch eine größere Rolle spielen sollten. Diese Söhne Judäas hießen Daniel, Hananja, Mischael und Asarja. Zur Einordnung in den babylonischen Dienst gehörte allerdings die Änderung ihrer jüdischen Namen in babylonische. Aus diesem Grunde wandelte der Oberste der Hofbeamten ihre ursprünglichen Namen um und nannte:

- Daniel Beltschazar,
- Hananja Schadrach,
- Mischael Meschach und
- Asarja Abed-Nego.

Unter den vier Männern fiel in erster Linie Daniel auf, weil er höchstwahrscheinlich die Gesetze und Weisungen Gottes für sein Volk Judäa besonders ernsthaft und peinlich genau befolgte. In seinem Herzen, also nicht nur um besonders aufzufallen, nahm er sich vor, sich nicht mit der Tafelkost des Königs und mit dem Wein, der am Königshof gereicht wurde, kultisch unrein zu machen; denn nach seiner Meinung, die sicherlich zutraf, waren Speise und Trank den Göttern Babyloniens geweiht und entsprachen sicher nicht grundsätzlich den jüdischen Reinheitsvorschriften über reine und unreine Tiere nach der Thora.1 Deshalb erbat sich Daniel vom Obersten der Hofbeamten, die Reinheitsgesetze seines

Volkes beachten zu dürfen, damit er sich nicht kultisch verunreinigen müsse.

Zum Gelingen seines Planes schenkte Gott dem Daniel seine Gnade und sein Erbarmen vor dem obersten Hofbeamten, denn der Aufseher und Erzieher erfüllte die Bitte des Judäers mit den Worten: „Ich habe zwar meine Bedenken wegen der strengen Weisungen des Königs von Babylonien, und ich fürchte meinen König, denn schließlich hat er eure Speise bestimmt und eure Getränke. Sobald er bemerkt, dass sich euer Aussehen gegenüber den anderen Zöglingen verschlechtert, so kostet das meinen Kopf, denn schließlich hat mich der König für euch verantwortlich gemacht.“

Daniel antwortete dem Aufseher zwar kurz und knapp, aber bittend: „Versuche es doch einfach zehn Tage lang mit uns, deinen Knechten. Lasse uns Gemüse zu essen geben und einfaches Wasser als Getränk! Nach zehn Tagen prüfst du, ob sich unser Aussehen von dem Aussehen der anderen jungen Männer am Königshof unterscheidet, also von denen, die die Tafelkost des Königs essen und von uns, die wir Gemüse essen und Wasser trinken! Dann verfahre mit deinen Knechten je nachdem, was du sehen wirst!“

Der Hofbeamte Aschpenas hörte zumindest in dieser Ernährungsangelegenheit auf Daniel und die anderen jüdischen Jünglinge und willigte ein, für zehn Tage ihre Ernährung umzustellen. Am Ende der zehn Tage überprüfte er den Erfolg oder Misserfolg der Ernährung. Bei dem Gesundheits-Check stellte sich bereits nach dieser kurzen Zeit heraus, dass das Äußere der jungen Männer schöner und wohlgenährter war als das aller anderen, welche die Tafelkost des Königs genossen hatten. Insofern erlaubte der Aufseher weiterhin die Durchführung der veränderten Lebensweise, ließ ihre königliche Tafelkost wegnehmen und auch den Wein, den sie trinken sollten, und er verordnete ihnen weiterhin eine Gemüsekost.

Den Gehorsam gegenüber den Weisungen für das Volk Judäa belohnte Gott damit, dass er diesen vier jungen Männern Kenntnis und Verständnis in jeder Schrift und Weisheit schenkte. Daniel verstand zusätzlich, innerliche Eindrücke der Menschen zu deuten, die man auch als Gesichte bezeichnete, und er vermochte Träume jeder Art zu beurteilen und zu erklären.

Am Ende der vom König geforderten Ausbildungszeit brachte der oberste Hofbeamte Aschpenas die Judäer vor den neubabylonischen König Nebukadnezar. Der König prüfte sie mit Fragen und redete mit ihnen. Bei dieser Befragung in der Art eines Examens stellten König und Hofbeamte die Einmaligkeit von Daniel, Hananja, Mischael und Asarja fest, denn keiner konnte sich mit ihnen messen. In jeder Angelegenheit, die der König von ihnen erfragte und die eine objektive Schlussfolgerung erforderte, überzeugten sie durch ein verständiges Urteil. Er fand sie allen Wahrsagepriestern und Beschwörern, die sich in seinem ganzen Königreich aufhielten, um das Zehnfache überlegen. Nach diesem bestandenen Kolloquium stellte Nebukadnezar sie in seinen Dienst. Daniel blieb sogar in der Arbeit am königlichen Hof nach der babylonischen Herrscherzeit noch unter den Königen des Persischen Reiches bis zum ersten Jahr des Königs Kyrus von Persien, dessen Regierungsjahre nach späterer Datierung in die Zeit von 610 bis 585 v. Chr. gesetzt werden (Wiesehöfer, 2005).

Kapitel 2

Daniel und der Traum Nebukadnezars

Im zweiten Regierungsjahr Nebukadnezars II, nach den geschichtlichen Angaben etwa im Jahre 603 v. Chr. nach seiner Thronbesteigung, quälten den jungen König nächtliche Träume, die ihn sehr beunruhigten und die bei ihm zu Ein- und Durchschlafstörungen führten. Der Inhalt seiner Träume beeinflusste ihn so stark, dass er ihn auch noch tagsüber beschäftigte und sein ganzes Wesen in Unruhe versetzte. Er grübelte nach einem Ausweg und suchte ihn in dem Wissen seiner Gelehrten. Aus diesem Grunde ließ er seine Wahrsagepriester zu sich rufen und mit ihnen die Beschwörer, die Zauberer und die Sterndeuter, also praktisch nach heutigem Verständnis seine Seelsorger und seine wissenschaftlichen Berater. Die ganze Geschichte hatte jedoch einen Haken, denn er selbst konnte sich an den Inhalt seines Traumes überhaupt nicht mehr erinnern. Deshalb verlangte er nun von seinen Gelehrten neben der Deutung die Mitteilung des Inhaltes seiner Träume.

Die Gerufenen erschienen pflichtgemäß und stellten sich vor den Thron des Königs auf, um seine Anweisungen zu empfangen. Nebukadnezar schilderte ihnen wahrheitsgemäß die Situation. Er hätte geträumt, und sein Traum hätte ihn stark beunruhigt, aber an den Inhalt der nächtlichen Vision könnte er sich absolut nicht mehr erinnern. Soviel er auch nachdachte und grübelte, die Traumbilder kehrten nicht mehr in sein Gedächtnis zurück. Nun erwartete er von seinen Weisen Hilfe, indem sie ihn sowohl den Inhalt des Traumes erzählten und gleichzeitig erklärten, was der Traum zu bedeuten hätte. Die Antwort der Staatsdiener fiel einstimmig und klar aus in ihrer aramäischen Heimatsprache. Sie verlangten oder erwarteten wenigstens, dass der König ihnen den Inhalt seines Traumes mitteilte. Danach betrachteten sie sich vermutlich in der Lage zu erklären, was der Traum für den König zu bedeuten hätte. Aber darin lag ja gerade die Schwierigkeit, denn Nebukadnezar verlangte von ihnen beides, zunächst die Mitteilung des Traumes selbst und danach natürlich auch die Deutung. Bei der Nichtbefolgung seiner Anweisung drohte er ihnen mit scharfen Worten und mit einem unmenschlichen Urteil. Er beunruhigte sie nicht allein mit der Androhung der Todesstrafe, sondern auch mit der Beunruhigung der Zerstückelung ihres Körpers und der totalen Zerstörung ihres Besitzes, ihrer Häuser, die er gewissermaßen in einen Misthaufen zu verwandeln gedachte. Im Falle der Bekanntgabe des Traumes einschließlich seiner Deutung versprach er ihnen hingegen eine ansehnliche Belohnung in Form von reichlichen Geschenken, anderen Gaben, die nicht besonders erwähnt wurden, und von besonderen Ehrerweisungen und Auszeichnungen. Aber trotz der Einschüchterung konnten die Weisen am Königshof dem König keine bessere Antwort mitteilen, als allein den Hinweis, ohne Kenntnis der Traumbilder wäre eine Deutung ein unmögliches Ansinnen.

Nebukadnezar betrachtete jedoch die Haltung seiner Weisen und Priester als eine fade Ausrede, die sie nur gebrauchten, um Zeit zu gewinnen zur Nachforschung bezüglich des Traumes und, um den König eventuell umzustimmen, denn sie kannten seine Handlungsweise genau und wussten, dass er sein Urteil der Hinrichtung im Falle eines negativen Ausgangs als beschlossene Angelegenheit ansah. Als Beweis der Ernsthaftigkeit wiederholte er noch einmal seinen Beschluss: „Bleibt ihr mir die Mitteilung des Traumes schuldig, so wird das Todesurteil vollstreckt! Ihr versucht nämlich mit allerlei Ausreden mich zu belügen und zu betrügen.“ Der König glaubte an die Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit und an die Qualifikation seiner Weisen und ihrer Traumdeuterei nur dann, wenn sie ihm vorher den Inhalt des Traumes offenbarten. Aber die chaldäischen Astrologen behaupteten mit Nachdruck, keinen Menschen auf der ganzen Erde zu kennen, der solch ein Verlangen des Königs erfüllen könnte. Solche schwierige Angelegenheit hätte bisher auch kein großer und mächtiger König vor ihm von irgendeinem Wahrsagepriester oder Beschwörer oder Sterndeuter verlangt. Seine Forderung wäre unmenschlich, problematisch und unlösbar. Sie verwiesen auf die Götter Babyloniens, die vielleicht solch eine Aufgabe erfüllen könnten. Sie befanden sich jedoch irgendwo und verweilten nicht bei den sterblichen Menschen, und deshalb wären sie auch nicht erreichbar.

Die Reaktion des Königs ließ nicht lange auf sich warten. Er wurde zornig auf seine Hofbeamten und ergrimmte in seiner Erregung dermaßen, dass er bereits als spontane Folge auf die Antwort der Gelehrten das Todesurteil an ihnen vollstreckt wissen wollte. Deshalb erteilte er an seine Richter den Befehl, alle Weisen Babyloniens umzubringen. Zur Ausführung des Urteils war es allerdings erforderlich, auch alle nicht anwesenden wissenschaftlichen Mitarbeiter am Hof und im Staat zu suchen und vorzuladen. Zu ihnen gehörte auch der junge Daniel, der ja mit seinen jüdischen Freunden erst vor kurzem die wissenschaftliche Ausbildung am Königshofe abgeschlossen hatte.

Als Daniel von dem Sachverhalt erfuhr, wandte er sich postwendend an den obersten Leibwächter des Königs namens Arjoch, der gerade an die Arbeit gegangen war, sämtliche Weisen Babyloniens einzubestellen. Der zu den Verurteilten gehörende Hofbeamte Daniel stellte zunächst ausführliche Erkundigungen über den Sachverhalt an und dann fragte er nach dem Grund des strengen Urteils Nebukadnezars, den Arjoch ihm in aller Ausführlichkeit erläuterte. Nachdem sich Daniel den Vorfall vom Bevollmächtigten hatte beschreiben lassen, entschloss er sich, selbst bei dem König vorzusprechen. Er erhielt auch die Erlaubnis zu einer Rücksprache und begab sich zum Amtssitz des Königs, den wir uns wie in der Abbildung vorstellen können (Abbildung 4). Dort vor dem mächtigen Thron Nebukadnezars bat er um die Gewährung einer Frist für alle Weisen Babyloniens und um den Aufschub der Urteilsvollstreckung. Nach Ablauf dieser Galgenfrist wollte er dem König den Traum und seine Deutung darlegen.

Im Anschluss an die Audienz beim König ging Daniel in sein Haus. Er teilte seinen Gefährten und Freunden Hananja, Mischael und Asarja die schwierige Aufgabe mit, die er übernommen hatte, damit sie wie auch Daniel selbst den Gott des Himmels um sein Erbarmen bitten sollten, ihnen das Geheimnis des Traumerlebnisses zu offenbaren. Daniel und seine Gefährten versuchten, mit ihren Gebeten Gottes Hilfe zu erflehen, um nicht zusammen mit den übrigen Weisen von Babylonien umzukommen. Gott erhörte die Gebete der jüdischen Männer und eröffnete dem Daniel in einer nächtlichen Eingebung das Geheimnis des Traumes Nebukadnezars. Daniel wurde mit großer Dankbarkeit erfüllt, lobte und pries Gott für das erlebte Wunder und die persönliche Erfahrung und die Erhörung der Bitten. Er sprach in seinem Gebet die Dankesworte:

„Gepriesen sei der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit! Denn Weisheit und Macht, sie sind sein.

Er ändert Zeiten und Fristen,

er setzt Könige ab und setzt Könige ein;

er gibt den Weisen Weisheit

und Erkenntnis den Einsichtigen;

er offenbart das Tiefe und das Verborgene;

er weiß, was in der Finsternis ist, und bei ihm wohnt das Licht.

Dich, Gott meiner Väter, lobe und preise ich, dass du mir Weisheit und Kraft gegeben

und mich jetzt hast wissen lassen, was wir von dir erbeten haben;

denn du hast uns die Sache des Königs wissen lassen.“

Nach seinem Lobpreis und Dank an Gott lief Daniel in die Wohnung des Arjoch, den Nebukadnezar zum obersten Richter und Vollstrecker des Todesurteils an die Weisen eingesetzt hatte. Er eröffnete ihm sogleich die Bitte, die Weisen nicht umzubringen. Stattdessen sollte Arjoch ihn wieder zum König führen, denn er wollte dem König den umstrittenen Traum und die dazugehörige Deutung mitteilen. Der oberste Richter kam dem Wunsche Daniels schnell nach, brachte ihn zum König und verkündete dem Nebukadnezar die mögliche Lösung seines Problems mit den Worten: „Ich habe einen Mann unter den Deportierten von Judäa gefunden, der dem König den Traum und die Deutung mitteilen will.“ Der babylonische Herrscher empfing Daniel und fragte ihn vermutlich misstrauisch und zweifelnd, ob er wohl imstande wäre, den Traum wiederzuerzählen und anschließend auch die Deutung darzulegen. Daniel bejahte die Frage in aller Demut, aber gleichzeitig versicherte er dem König mit Nachdruck, dass die Weisen, Beschwörer, Wahrsagepriester und Zeichendeuter des Landes nicht imstande waren, Auskunft über den Traum und die Deutung zu erteilen. Diese Forderung überstieg ihre Kompetenz und war eindeutig zu viel verlangt. Aber Daniel verwies auf den lebendigen Gott im Himmel, der Geheimnisse offenbart. Dieser Gott wünschte sogar, dass der König Nebukadnezar nicht im Unklaren bleiben sollte über die Geschehnisse der nahen und fernen Zukunft in Babylonien und der übrigen Welt. Er sollte wissen, was am Ende seiner Tage geschehen wird. Zu allererst eröffnete Daniel aber dem König seinen Traum, an den er sich absolut nicht mehr erinnern konnte, und er offenbarte dem Nebukadnezar die Vision während seines nächtlichen Schlafes. Die ganze Geschichte verlief in folgender Reihenfolge:

Nebukadnezar machte sich natürlicherweise als Oberhaupt seines Reiches Gedanken, wie es wohl mit seinem Staat und seiner Politik weitergehen wird. Mit diesen sorgenden Gedanken über die Zukunft des babylonischen Reiches schlief er ein. Während seines Schlafes eröffnete sich ihm Gott, und er ließ den König das Geheimnis der zukünftigen Entwicklung der Weltgeschichte wissen. Doch Daniel erhielt die Offenbarung des Traumes Nebukadnezars nicht etwa als Ergebnis seiner Begabung oder durch seine Weisheit oder durch sein erworbenes Wissen, sondern einzig und allein aus dem Grunde, weil Gott hinter allem Geschehen stand und, wünschte, dass der babylonische Herrscher das künftige Geschehen erfahren sollte.

Welche Bilder bestimmten nun den nächtlichen Traum:

Der König schaute auf ein großes Standbild von gewaltigem Ausmaß und enormem Glanz. Es sah seiner Meinung nach fürchterlich aus. Bereits das Äußere der Statue war furchterregend.

- Der Kopf dieses Bildes bestand aus reinem Gold.
- Die Brust und die Arme waren aus Silber.
- Der Bauch und die Lenden bestanden aus Bronze,
- seine Schenkel aus Eisen, und die Füße bestanden aus einer Mischung von Eisen und Ton.

Dieses Bild betrachtete der König in seinem Traum solange, bis ein Stein losbrach, nicht durch menschliche Manipulationen mit den Händen, sondern selbständig von irgendwoher gelenkt. Dieser Stein traf das Standbild an seine Füße aus dem Gemisch von Eisen und Ton und zermalmte sie, so dass zu gleicher Zeit das gesamte Bild zerschlagen wurde. Eisen, Ton, Bronze, Silber und Gold wurden förmlich zerdrückt. Sie wirkten in diesem Augenblick wie leichte Spreu, die Spelzen und Hülsen des Getreides aus den Dreschplätzen der Sommertennen. Durch den Wind wurde diese Spreu fortgeweht ohne eine Spur zu hinterlassen und ohne, dass von ihnen eine Spur gefunden wurde. Aber der Stein entwickelte sich zu einem großen Berg, der schließlich die gesamte Erde erfüllte (Abbildung 5).

Dieses Traumbild hatte Nebukadnezar gesehen und vergessen, aber trotzdem versetzte es ihn in einen unruhigen Gemütszustand. Nun stand es endlich wieder vor seinen Augen, und Daniel erklärte ihm im Weiteren die prophetische Bedeutung dieses Traumes:

Der König Nebukadnezar hatte von Gott die Herrschaft über die damalige bekannte Welt erhalten, sowie Macht, Stärke und Ehre. Alle Menschen in seinem großen Reich, die Feldtiere und sogar die Vögel hatte Gott in seine Hände gelegt, so dass der König zu einem gewaltigen Herrscher über sie alle gesetzt worden war. Er war das Sinnbild für das goldene Haupt des Standbildes.

Seine Regierungszeit sollte sich aber nicht bis in alle Ewigkeit fortsetzen, denn nach ihm folgten weitere große Reiche, die aber nicht an die Größe und Gewalt seines Imperiums heranreichten. Sie wurden dargestellt durch die silbernen Arme und die silberne Brust und dann durch den bronzenen Bauch und die bronzenen Lenden. Auch diese Reiche entwickelten sich zu Weltreichen und herrschten über die ganze Erde.

Historisch betrachtet erstarkte Babylonien unter dem König Nebukadnezar I (1126 – 1104 v. Chr.), der zunächst von den Assyrern besiegt wurde, sich danach aber wieder von der assyrischen Herrschaft befreien konnte. Einer der nachfolgenden babylonischen Könige, Nabopolassar, zerstörte schließlich mit Hilfe der Meder die Hauptstadt der Assyrer Ninive im Jahre 612 v. Chr. Doch erst in der Regierungszeit Nebukadnezar II, persisch Nabu-kudurri-usur II, (um 640 – 562 v. Chr.) stiegen die Hauptstadt Babylon und das Reich Babylonien zu neuer Blüte auf und umfassten ein Gebiet, das sich von Palästina bis zum Persischen Golf ausdehnte, nachdem Nebukadnezar II den Angriff der Ägypter in der Schlacht bei Karkemisch (605 v. Chr.) erfolgreich abgewehrt hatte. Die Blütezeit Babyloniens endete schließlich unter dem Nachfolger Nebukadnezar II, dem König Nabonid, der 556 v. Chr. an die Macht kam.

Im Jahre 539 v. Chr. wurde folglich Babylonien, das goldene Haupt des Standbildes, gestürzt, als unter dem Perserkönig Kyros II, hebräisch auch Kores genannt, vielleicht auch identisch mit dem Meder Darius, die vereinigten Streitkräfte der Meder, Perser, Elamiter und anderer benachbarter Stämme die Hauptstadt Babylon kampflos einnahmen, weil der dortige Adel mit seinem König Nabonid unzufrieden war und mit den Persern sympathisierte. Unter den Nachfolgern des Kores wurde das Perserreich als silberner Teil des Standbildes Nebukadnezars noch weiter ausgedehnt und reichte schließlich von Indien über Iran, Babylonien, Kleinasien bis nach Ägypten (Awdijew, 1953).

Erst Alexander der Große mit seinem griechischen Weltreich als Bronzeteil des Traumbildes errang im Jahre 333 bei Issos seinen entscheidenden Sieg über die Perser und besetzte und eroberte im Jahre 330 v. Chr. die Stadt Babylon. Später machte er die Hauptstadt Babylon zum Sitz seines Reiches, wo er dann im Jahre 323 v. Chr. verstarb (Wikipedia). Nach dem Tode Alexanders stritten seine Feldherren und ihre Söhne um die Nachfolge des griechischen Weltreiches in den sogenannten Diadochenkriegen, und sie teilten je nach Sieg oder Niederlage das Großreich untereinander auf. Dieses Staatensystem existierte bis zum zweiten Jahrhundert v. Chr. mit den Hauptregenten Antigonos, Ptolemaios, Lysimachos und Seleukos. (Bendtson, 1987). Das endgültige Ende des griechischen Reiches wurde erst besiegelt, als im Jahre 133 v. Chr. Pergamon, eine griechische Stadt an der Weltküste Kleinasiens in der heutigen Türkei, den Römern übergeben, das Seleukidenreich im Jahre 30 v. Chr. besiegt und das Ptolemäerreich mit der Besetzung Ägyptens durch Octavian im Jahre 30 v. Chr. eingenommen wurde.

Nach der Niederlage des griechischen Weltreiches Alexanders und dem Untergang der nachfolgenden Diadochenstaaten sah Nebukadnezar in seinem Traum ein viertes Königreich folgen, das sich als besonders stark erwies und mit dem Element Eisen verglichen wurde. Es sollte wie das Eisen alles zermalmen und zerschmettern, insbesondere aber die Reiche, mit denen es in Berührung kam. Wie unter der Einwirkung von Eisen sollten jene Reiche zermalmt und zertrümmert werden. Die Füße und Zehen des Standbildes, die aus einem Gemisch von Töpferton und Eisen bestanden, waren das Sinnbild eines geteilten Königreiches oder eines Reiches mit vielen Staaten. Der eine Teil des Reiches wird von der Festigkeit des Eisens etwas in sich tragen, und der lehmige Anteil deutete auf die Schwäche des Reiches hin, so dass dieses gesamte Königreich teils stark und teils nicht so robust sein wird. Es wird also vorkommen, dass die Menschen oder auch die Herrscherfamilien untereinander heiraten werden und sich dadurch vermischen, aber sie werden nicht aneinanderhaften und innig verbunden bleiben, denn Eisen mit Ton lassen sich nicht einfach miteinander vermischen.

Geschichtlich gesehen entwickelte sich nach dem Zerfall der griechischen Großmacht und dem Tode Alexanders und nach den Diadochenreichen das Römische Imperium. Der Anfang dieses gewaltigen Reiches wurde mit der sagenhaften Gründung des Stadtstaates Rom im Zentrum Italiens am 21. April des Jahres 753 v. Chr. eingeleitet. Der Gründer soll Romulus gewesen sein, der später seinen Zwillingsbruder Remus umbrachte. Nach der Mythologie waren beide Söhne des Kriegsgottes Mars und der Vestalin Rhea Silvia. Sie wurden der Sage nach auf den Tiber ausgesetzt und von einer Wölfin gesäugt. Das Ende des Römischen Reiches war zweigeteilt, da das Reich im Jahre 395 n. Chr. nach dem Tode des Kaisers Theodosius in eine weströmische und in eine oströmische Hälfte gespalten wurde, in denen jeweils ein

Kaiser residierte. Das Ende des weströmischen Reiches fiel wahrscheinlich in das Jahr 476 n.Chr., als Odoaker, der Führer der germanischen Söldner, den Kaiser des weströmischen Reiches, Romulus Augustulus (das Kaiserlein) absetzte. Das oströmische Reich ging etwa im siebenten Jahrhundert n.Chr. in das Byzantinische Reich über, ein Kaiserreich im östlichen Mittelmeerraum, das erst mit der Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen im Jahre 1453 unterging.

Das gesamte Römische Reich beherrschte in seiner Blütezeit den gesamten Mittelmeerraum von Gallien (Frankreich) und Teilen Britanniens (Großbritanniens) bis zu den Gebieten um das Schwarze Meer. Es war in Provinzen unterteilt mit Verwaltungen in den Städten zur Eintreibung der Steuern. Später wurden diese Provinzen geteilt und Diözesen und Präfekturen eingeführt zur Verbesserung der Verwaltung in den Provinzen, denn innerhalb des Römischen Reiches existierten sehr viele unterschiedliche Völker, Sprachen und Nationen (siehe Abbildung 6).

Als Nachfolger der Kaiser des weströmischen Reiches sah sich später Kaiser Karl der Große, der im Jahre 800 n. Chr. in Rom gekrönt wurde und deshalb in diplomatische Schwierigkeiten mit dem byzantinischen Herrscher geriet, der sich als einziger und alleiniger Nachfolger Roms fühlte. Trotzdem blieb für das Reich Karls des Großen die Bezeichnung „Heiliges Römisches Reich“ bestehen, das seit dem 15. Jahrhundert den Zusatz „deutscher Nation“ erhielt. Dieses Großreich umfasste die heutigen europäischen Staaten und Provinzen: Deutschland, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Tschechien, Schweiz, Nord- und Mittelitalien, Teile Frankreichs (Lothringen, Elsass, Burgund, Provence) und Teile Polens (Schlesien, Pommern). Erst Franz II aus dem Hause Habsburg legte die römisch-deutsche Kaiserkrone ab und beendete damit offiziell das Heilige

Römische Reich im Jahre 1806, weil er befürchtete, Krone und Macht könnten in die napoleonischen Hände geraten. Erst im 20. Jahrhundert strebte Benito Mussolini im faschistischen Italien die Wiederherstellung des Imperium Romanum an. Der russische Zar fühlte sich hingegen als Nachfolger des byzantinischen Reiches und beanspruchte ebenfalls die Kaiserkrone (Wikipedia).

In den Tagen dieser Könige, so setzt sich der Bericht im Buch Daniel fort, wird der Gott des Himmels sein Königreich aufrichten, das bis in alle Ewigkeit bestehen bleibt und ewig nicht zerstört werden wird. Das Reich Gottes wird auch keinem anderen Volk der Erde überlassen werden. Im Gegenteil, alle irdischen Königreiche werden durch dieses neue gewaltige Reich Gottes zermalmt und vernichtet werden. Das Reich selbst aber wird für immer und ewig Bestand haben. Seine Entstehung geschieht ohne menschliche Gewalt, ohne Revolution, genau in der Weise, die Nebukadnezar im Traume gesehen hatte. Von einem bestimmten Berg brach ein Stein los ohne menschliches Zutun, und das Eisen, die Bronze, der Ton, das Silber und das Gold des Standbildes zermalmte er. Auf diese Art und Weise ließ ein großer Gott den König wissen, was nach der Herrschaft aller Weltreiche geschehen wird. Der Traum verbarg Zuverlässigkeit, und seine Deutung traf zu.

Der Zeitpunkt der Aufrichtung des Reiches Gottes wurde also in die Zeit der Herrschaft des Römischen Imperiums oder der römischen Kaiser gesetzt. Es begann, als Jesus Christus auf diese Erde kam und wirkte während der Zeit des Römischen Reiches. Er richtete sein Reich in den Herzen der Menschen auf, die an ihn glaubten. In den verschiedenen Situationen wies er wiederholt auf diese Grundwahrheit hin:

- „Tut Buße! Denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen.“1
- „Wenn ich aber durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch gekommen.“2
- „Das Reich Gottes ist nahe gekommen.“3
- „Und heilt die Kranken darin und sprecht zu ihnen: Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.“4
- „Und als er von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte; auch wird man nicht sagen: Siehe hier! Oder: Siehe dort! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch“5

Durch den Glauben an Jesus Christus und an sein Sterben am Kreuz für unsere Vergehen und durch das Bekenntnis zu ihm in der Taufe werden wir Bürger dieses neuen Reiches. Der Stein wächst, der an die Füße des Standbildes schlug, das bedeutet, sein Reich Gottes wird immer größer werden, bis es die ganze Welt eingenommen hat und bei seiner Wiederkunft vollendet werden wird. So besteht die Aufrichtung des Reiches Gottes im ersten Kommen Jesu, in der künftigen eschatologischen Vollendung bei seiner Wiederkunft und im Wirken des Heiligen Geistes.

Andere sehen das Auftreffen des Steins auf die Füße des Standbildes erst im Zusammenhang mit der Wiederkunft Christi auf diese Erde. In den beiden Beinen sehen sie das heidnische Rom, in den Füßen mit den zehn Zehen die Teilung des Römischen Reiches in einzelne europäische

Staaten, in denen der kirchliche Einfluss mitunter stark ausgeprägt war, wie zur Zeit des Mittelalters, und mitunter nur schwach, wie nach der französischen Revolution im Jahre 1798, und im weiteren Verlauf abgelöst wird durch eine politisch-religiöse Weltregierung. Das römische Eisen hat sich folglich nach der Teilung des Weltreiches mit dem germanischen Ton vermengt, aber trotz aller Versuche und Heirat nicht zu einem festen Material vermischen lassen. Zu dieser letzten Zeit wird Gott sein Reich aufrichten, das allerdings sofort weltweit sein wird und keines Wachstums mehr bedarf (Shea, Das Buch Daniel Teil 1, 1998); (Conradi, 1919).

In ähnlicher Weise denken wieder andere daran, dass das römische Reich zur Endzeit mit zehn Königen in Verbindung zu bringen ist. Da diese Teilung zur Zeit des Römischen Reiches im Neuen Testament noch nicht eingetreten war, bleibt die Erfüllung dieser Prophezeiung aus dem zweiten Daniel Buch einer zukünftigen Zeit vorbehalten. Dieses Reich mit den zehn Herrschern wird das letzte auf Erden sein, bevor Jesus Christus sein Tausendjähriges Reich aufrichtet (München, 2010).

Nebukadnezar war tief beeindruckt von der Auslegung Daniels, denn er fiel anbetend auf sein Angesicht und warf sich vor dem Traumdeuter nieder. Darüber hinaus befahl er, ihm zu opfern und Räucherwerk darzubringen. Außerdem sicherte der König dem Daniel die Verehrung des einzigen wahren Gottes zu: „In Wahrheit, euer Gott, er ist Gott der Götter und Herr der Könige und offenbart Geheimnisse, da du dieses Geheimnis offenbaren konntest.“ Nach diesem Bekenntnis beförderte er seinen Hofdiener Daniel zu einem hohen Beamten seines Reiches. Er überreichte ihm darüber hinaus viele große Geschenke, setzte ihn als Herrscher über die ganze Provinz Babel ein und erhob ihn zum Obervorsteher über alle Weisen von Babylonien.

Daniel hingegen setzte sich sofort für seine Freunde ein und erbat vom König die Übergabe der Verwaltung der Provinz Babel an Schadrach, Meschach und Abed-Nego. Er selbst blieb als Obervorsteher am Hof des Königs.

Kapitel 3

Die drei Männer im Feuerofen

Wahrscheinlich auf der Höhe seiner Macht, möglicherweise im 18. Jahr seiner Regierungszeit (Knoch, 1997), also um 587 v.Chr., ließ sich der König Nebukadnezar II ein Denkmal setzen. Zu seinem Nachruhm wurde ein Bildnis hergestellt aus Gold mit einer Höhe von sechzig Ellen, das ist etwa dreißig Meter, und einer Breite von sechs Ellen, also von drei Metern. Die Geschichte dreht sich sonach wieder um ein Standbild; und es fällt auf, dass Nebukadnezar den goldenen Kopf seines Traumbildes nun auf den gesamten Körper ausgedehnt wünschte. Vielleicht handelte es sich aber auch „nur“ um eine Bildsäule zur Ehren seines Haupt-Gottes Marduk1, den ursprünglichen Stadtgott von Babylon und den späteren Hauptgott der babylonischen Gottheiten, vermutlich in der ehemaligen Bedeutung als Sohn der Sonne oder des Sturms (Jacobsen, 1968). Die Zahl sieben gilt ja, mehr oder weniger bekannt, als die göttliche Voll Zahl, sechs als die Zahl des Menschen, die an dieser Stelle der Größenangabe des Standbildes an die dreifache Sechs „666“ im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung Jesu Christi, erinnert als die Erkennungszahl eines Menschennamens, des Antichristen oder des Gegenspielers Gottes (Schwarz, 2010). Nebukadnezar stellte das Ehrenmal in der Ebene Dura auf, in der Provinz Babel. Der Name Dura stammte aus dem

Aramäischen und war gleichbedeutend mit Ebene oder Platz. Von diesen Plateaus existierten allerdings einige in der Provinz Babel. Bei Susa, der ehemaligen Hauptstadt des Reiches, fand sich eine Ebene Deira. Eine andere erwähnte der römische Historiker Ammianus Marcellinus (um 330 n. Chr. geboren), und außerdem gab es eine stark befestigte Stadt Susa in Mesopotamien (Haevernick, 1832). Die genaue Lage ist nicht mehr bekannt. Am wahrscheinlichsten wird es wohl der Ort gewesen sein, der bereits in den Büchern Mose Erwähnung findet und an dem der wohl bekannteste Turmbau der Welt stattfand als Versuch der Menschheit, Gottgleichheit zu erreichen.1

Vor der Einweihung des Denkmals sandte der König Boten aus, um alle seine Provinzstatthalter, die anderen Statthalter, die Stellvertreter der Statthalter, die Berater, die Schatzmeister, die Richter, die Polizeibefehlshaber und alle Oberbeamten der Provinzen zu versammeln. Sie wurden allesamt eingeladen zur Einweihungsfeier und Enthüllung des fertiggestellten Monuments. Alle eingeladenen Gäste erschienen pflichtgetreu zu den Feierlichkeiten. Sie versammelten sich in der Ebene und stellten sich voller Erwartung vor dem einzigartigen Standbild auf. Die Einweihungszeremonie begann mit dem Ruf eines Herolds. Zur damaligen Zeit waren diese Herolde nicht einfache Ausrufer, sondern sie standen etwa im Range eines Diplomaten, waren mit dem Wappen ihres Dienstherrn geschmückt und kannten das einschlägige Recht und Gesetz des Staates genau. So wird es verständlich, dass dieser zuständige Verwalter einen Befehl seines Königs mit aller Deutlichkeit wiedergab: „Euch wird befohlen, ihr Völker, Nationen und Sprachen: Sobald ihr den Klang des Horns, der Rohrpfeife, der Zither, der Harfe, der Laute, des Dudelsacks und alle Arten von Musik hört, sollt ihr niederfallen und euch vor dem goldenen Bild niederwerfen, das der König Nebukadnezar aufgestellt hat. Wer aber nicht niederfällt und anbetet, der soll sofort in den brennenden Feuerofen geworfen werden.“ Inwieweit es sich bei dieser Verbrennungseinrichtung um eine Art Hinrichtungsstätte handelte, kann nach den bisherigen archäologischen Funden nicht bestätigt werden (Horn, 1970).

Nebukadnezar war dem Daniel für die Traumdeutung ursprünglich sehr dankbar gewesen. Er war sogar wie demütig vor ihm niedergefallen, hatte ihn zu einem der obersten Statthalter und königlichen Ratgeber ernannt. Aber dennoch gab er seine Machtrolle nicht aus der Hand und wollte jetzt über seine bisherige königliche Verehrung hinaus als der „goldene König“ angebetet werden. Die Vergötterung erzwang er mit den damals üblichen Mitteln. Zur feierlichen Untermalung der Anbetung wartete er mit einer doch beträchtlichen Musikkapelle auf, in der wohl eine ganze Anzahl von verschiedenen Instrumenten gespielt wurde, in der sich aber Horn, Rohrpfeife, Zither, Harfe, Laute und Dudelsack1 hervorhoben. Zusammen mit den Klängen der Musik begann die Anbetung. Alle Vertreter der Völker, Nationen und Sprachen warfen sich vor dem goldenen Bild nieder. Nebukadnezar wünschte sich wohl ein einheitliches Niederwerfen als Zeichen der Einheit seines Viel-Völker- Staates, die er mit dem religiösen Rahmen betonen wollte. Die Zeremonie stellte sicherlich für die heidnischen Völker kein Problem dar, denn sie beteten sowieso eine Reihe von Göttern an. Aber diese Verehrung war für die Juden ein Ding der Unmöglichkeit und galt als strenge Gotteslästerung und Untreue gegen ihren Gott. Sie war nach ihren Weisungen streng untersagt. Es galt nach wie vor das Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“2 Aus diesem Grunde reagierten die jüdischen Provinzverwalter mit einer Befehlsverweigerung und fielen zur Anbetung des Standbildes nicht nieder.

Weil der König nicht nur die Personen seiner Mitarbeiter bestimmen konnte, sondern auch ihre Religion im Sinne oder nach der Art eines Blasphemie Gesetzes, deshalb fühlten sich einige Astrologen ermutigt und verklagten die Judäer beim König wegen ihrer Missachtung der babylonischen Religion. Sie schilderten dem König Nebukadnezar die Angelegenheit mit der wohl üblichen Anrede: „O König, lebe ewig!“ Die Judäer, die der König selbst auf Fürsprache Daniels zur Verwaltung der Provinz Babel eingesetzt hatte, Schadrach, Meschach und Abed-Nego, hätten sich nicht nach der königlichen Anweisung gerichtet. Sie wären bei den Klängen der Musik zur Eröffnung der feierlichen Zeremonie der Denkmalseinweihung nicht zur Anbetung niedergefallen, obwohl der königliche Befehl vorlag, niederzufallen und das goldene Bild anzubeten und obwohl auf die Nichtbeachtung des Gebotes die Bestrafung der Verbrennung im Feuerofen drohte. Trotz der Drohung hatten sie dem Befehl des Königs keine Beachtung geschenkt. Somit verweigerten sie auch die Verehrung der babylonischen Götter, die vor dem Bild stattfand. Sicherlich stand hinter dieser Anklage einmal der Ärger um die Verweigerung des Glaubens an die Götter Babyloniens, vornehmlich an den Hauptgott Marduk, aber außerdem spielte wohl der Neid auf die Bevorzugung der jüdischen Männer durch Nebukadnezar eine wesentliche Rolle, denn Daniel und seine Freunde hatten gewiss mit ihrem Aufstieg einige des heimischen Adels verdrängt, die eigentlich für diesen Posten vorgesehen waren.

Jedenfalls erreichten die Ankläger ihren Zweck, denn voller Zorn und Wut beschloss Nebukadnezar, die drei Judäer ohne Gerichtsspruch allein auf Grund seiner Verordnung mit dem Tode zu bestrafen. Er befahl, Schadrach, Meschach und Abed-Nego vorzuführen, was im Sinne der Feinde der drei Gefährten prompt ausgeführt wurde. Er wünschte von ihnen noch einmal die mündliche Bestätigung ihres gesetzwidrigen Vergehens und fragte: „Ist es wahr, dass ihr meinen Göttern nicht dient und euch vor dem goldenen Bild, das ich aufgestellt habe, nicht niederwerft?“ Und er forderte sie auf und verlangte von ihnen die sofortige Anbetung des babylonischen Gottes und wollte im Falle der Missachtung sofort das Urteil vollstrecken lassen. Den Gott Israels verhöhnte er, den er in noch jüngster Vergangenheit Zeit gepriesen und in Anbetracht der Weissagung auf der Grundlage seines Traumes als „Gott aller Götter und Herr aller Könige“ bezeichnet und verehrt hatte, weil er die Geheimnisse offenbaren konnte. Diesen Gott traute er nicht mehr zu, dass er die jüdischen Männer beschützen und aus seiner Hand erretten könnte.

Schadrach, Meschach und Abed-Nego entschuldigten sich nicht, und sie antworteten auch nicht mit einer Gegenargumentation auf die Worte des Königs. Sie meinten lediglich zu ihm: „Nebukadnezar, wir haben es nicht nötig, dir ein Wort darauf zu erwidern.“ Sie fügten sich in die realen Gegebenheiten und wussten, ihr Gott, dem sie dienten, besaß die Macht, nach seinem Willen zu erretten sowohl aus dem brennenden Feuerofen als auch aus der Hand des Königs. Die drei Gefährten begaben sich folglich bedingungslos in die Hand ihres Gottes. Sie gelobten ihm ihre Treue, ob er sie erretten wollte oder nicht, und sie bekundeten ihre Zusage mit der Erklärung, dass sie trotz ihrer Ungewissheit des göttlichen Handelns auf keinen Fall den Göttern Babyloniens dienen und sich vor dem goldenen Bild nicht niederwerfen werden.

Nebukadnezar vermochte seine Wut nicht mehr zurückzuhalten. Sie kochte in ihm, so dass sich sein Gesichtsausdruck veränderte und seine Gesichtsfarbe verfärbte. Seine Erregung beeinflusste seine Worte und seine Handlungsweise. In seinem Zorn befahl er, den Feuerofen auf das Siebenfache zu erhitzen im Vergleich mit der sonst üblichen Verbrennungstemperatur und den Heizmaterialien. Zusätzlich beauftragte er seine ihm untergebenen Männer, die stärksten Leute aus seinem Heer auszuwählen und Schadrach, Meschach und Abed-Nego zu binden, um sie dann gebunden in den brennenden Feuerofen zu werfen.

Die Beauftragten zögerten nicht, und sie warfen die jüdischen Männer gefesselt und angekleidet mit ihren Mänteln, Röcken und Mützen und ihren sonstigen Kleidungsstücken in den brennenden Feuerofen. In Anbetracht der außergewöhnlichen Hitze, die der König gefordert hatte, schlug die Flamme zurück und tötete die Männer, die Schadrach, Meschach und Abed-Nego in den Ofen füllten. Die drei Freunde Daniels fielen jedoch gebunden wie sie waren wie Säcke in den brennenden Ofen hinunter. Diesen Vorgang beobachtete Nebukadnezar persönlich, und voller Schrecken erhob er sich, denn er erblickte in dem Ofen plötzlich nicht nur drei, sondern vier Männer. Entsetzt fragte er seine Staatsräte: „Haben wir nicht drei Männer gebunden ins Feuer geworfen?“ Sie bejahten seine Antwort und bekräftigten sie mit dem Wort gewiss, natürlich, selbstverständlich, ohne Zweifel. Doch er betonte, dass er vier Männer im Feuerofen zählte, die frei im Feuer spazierten und ohne Verletzung und ohne Verbrennungen blieben. Der Vierte wirkte darüber hinaus nicht mehr wie ein Mensch, sondern er glich in den Augen des Königs einem Sohn der Götter. Von diesem Anblick wurde er überwältigt. Er trat an die Ofenöffnung und nahm Verbindung mit den Verurteilten im Ofen auf. Er rief sie mit ihren Namen und bezeichnete sie als Diener des höchsten Gottes, der über seinem Gott Marduk stand und unvergleichbar ist und war und sein wird. Er forderte die Verurteilten auf, aus dem Ofen herauszugehen, und sie stiegen aus dem Feuer in die Freiheit.

Das Wunder des Gottes Israels wirkte auf die Umstehenden, die es weitererzählten, so dass sich alle hohen Regierungsbeamten einfanden, um diese drei Männer bewundernd zu betrachten. Das Feuer hatte über sie keinerlei Macht gehabt. Noch nicht einmal die empfindlichen Haare waren versengt. Ihre Kleidung war erhalten geblieben. Der sonst durchdringende und leicht wahrnehmbare Brandgeruch hatte sie nicht erreicht.

Nebukadnezar lobte nun wieder den Gott Israels und pries ihn mit den Worten: „Gepriesen sei der Gott Schadrachs, Meschachs und Abed-Negos, der seinen Engel gesandt und seine Knechte errettet hat, die sich auf ihn verließen und das Wort des Königs übertraten und ihren Leib dahingaben, damit sie keinem Gott dienen oder ihn anbeten müssten als nur ihren Gott!“ Gott hatte den Geist Nebukadnezars abermals berührt und seine Gesinnung geändert. Deshalb entwarf der König einen neuen Befehl und verkündete ihn an alle Länder, die er beherrschte. In der neuen Vorschrift verbot er die Missachtung in Wort und Tat des Gottes Schadrachs, Meschachs und Abed-Negos. Die Übertretung seiner Anordnung sollte mit dem Tode durch Zerstückelung bestraft werden und mit der Verwüstung seines Eigentums zu einem Misthaufen. Er begründete seinen Beschluss mit dem Hinweis auf die Allmacht Gottes, der sogar aus dem Feuer erretten kann. Schadrach, Meschach und Abed-Nego setzte er wieder in ihre Ämter ein in der Provinz Babel, so wie es Daniel früher von ihm erbeten hatte.

Nebukadnezars Übertretung, Krankheit und Erniedrigung

Vermutlich einige Zeit später richtete Nebukadnezar, der König von Babylonien, nach seinen Erfahrungen mit den Traumdeutungen durch Daniel und dem erlebten Wunder der Rettung jüdischer Männer aus dem Feuerofen eine besondere Botschaft an alle Völker, Nationen und Sprachen seines großen Reiches, praktisch an alle Menschen der bewohnten Erde. Er wandte sich an sie mit einem Friedensgruß und wollte ihnen die persönlichen Erlebnisse mit dem Gott Israels mitteilen, weil er an ihm Zeichen und Wunder vollbracht hatte. Er lobte Gott für diese mächtigen und eindrucksvollen Wunder, die er getan hatte. Er pries ihn als einen ewigen Herrscher, der alle Generationen überdauert und ewiges Reich regiert.

Kapitel 4

Und folgendermaßen lautete sein Erlebnisbericht:

Ich lebte sorglos und glücklich in meinem privaten Leben zu Hause und war frohgemut in meinem Palast. Doch eines Tages hatte ich einen Traum, der mich erschreckte und erschütterte. Die Traumgestalten waren für mich nicht erklärbar. Vielmehr beunruhigten und ängstigten sie mich. Aus diesem Grunde rief ich die astrologisch beschlagenen Weisen meines Staates zu mir, um die Deutung des Traumes zu erfahren. Auf meinen Befehl hin traten die Wahrsagepriester, die Beschwörer, die Sterndeuter und die Zeichendeuter zu mir und standen bereit zur Auslegung meines Traumes mit den merkwürdigen Gestalten.

Ich trug ihnen meinen Traum vor und erwartete nun ihre Darstellung und ihre Erklärung. Aber sie schwiegen und teilten mir seine Deutung nicht mit. Zuletzt erschien Daniel vor meinem Thron, ein ehemaliger Deportierter aus Judäa, der den babylonischen Namen Beltschazar trug. Ich hatte ihn damals nach seiner Einstellung bei uns am Hofe so genannt, weil in diesem Namen der Name meines Gottes steckte und gleichzeitig in Daniel sich der Geist der heiligen Götter befand. Ich trug also dem Daniel meinen Traum vor und bat ihn, als den Obersten der Wahrsagepriester, um die Deutung. Außerdem war mir ja hinreichend bekannt, dass Gottes Geist in ihm steckte, der ihm die Geheimnisse verriet. So wünschte ich mir von Daniel die Erklärung der Zusammenhänge und die Deutung meines Traumes.

In dieser Vision auf meinem Lager drehte es sich zunächst um einen Baum. Ich schaute einen gewaltig hohen Baum, der im Zentrum der Erde gewachsen war. Die Entfaltung des Baumes war enorm sowohl von seiner Größe her als auch von seiner Stärke und seines Umfanges. Höhenmäßig reichte er direkt bis an den Himmel. Durch diese Wucht und Größe konnte er bis an das Ende der ganzen Erde gesehen und bestaunt werden.

Auch die äußere Beschaffenheit des Baumes war etwas Besonderes. Seine Blätter sahen formvollendet und schön aus. Er trug zahlreiche Früchte, und weil der Ertrag so enorm reichlich ausfiel, bot er Nahrung für alle Menschen. Sogar die Tiere liebten den Baum. Sie fanden alle unter seinen Zweigen und unter seinen Blättern genügend erquickenden Schatten. Selbst die Vögel des Himmels, die kaum mit der Erde in Berührung kamen, profitierten von dem Baum, weil sie in seinen Zweigen bequem ihre Nester bauen konnten und darin wohnten. Kurz zusammengefasst: alle lebendigen Wesen nährten sich von diesem Baum.

Als ich nun die Form und die Gestaltung dieses Baumes bewunderte, da stieg plötzlich ein Wächter oder ein Engel und Heiliger vom Himmel herab. Er schrie besonders kraftvoll und verurteilte den schönen Baum. Er wollte ihn fällen und alle seine Äste abschlagen lassen. Das Laub streifte er ganz einfach ab, und die herrlichen Früchte verstreute er irgendwohin auf die Erde. Die Tiere, die unter seinem Schatten wohnten vertrieb er, oder er forderte sie zur Flucht auf. Die Vögel sollten schleunigst aus seinem Gezweig wegfliegen. Nachdem nun das Sichtbare von dem Baum abgetragen und zerstört war, befahl der Engel, die Wurzel oder zumindest den Wurzelstock in der Erde zu lassen. Aber sie sollte nicht frei in der Erde liegen bleiben, sondern mit einer eisernen und bronzenen Fessel auf dem grünen Feld angebunden werden. Der morgendliche Tau des Himmels sollte den Rest der Wurzel erfrischen oder benetzen, und er sollte sich zusammen mit den Tieren vom grünen Gras ernähren. Da sich der Baum wie ein menschliches oder tierähnliches Lebewesen verhielt, sollte an ihm zusätzlich noch eine Art Herztransplantation in der Form einer Umwandlung oder eines Austausches vorgenommen werden. Sein eigenes menschliches Herz sollte in das Herz eines Tieres umgeformt werden! Und die ganze Angelegenheit oder das ganze Event war für sieben lange Jahre oder Zeiten vorgesehen.

Ich nahm an, dass der himmlische Wächter mir mit dem Traum eine außergewöhnliche Botschaft übermitteln wollte. Die Heiligen wollten mir eine Nachricht für die Lebenden auf der Erde bewusstmachen. Die Menschen sollten daran erkennen, dass Gott der Höchste und Allmächtige allein die Macht besitzt. Er verleiht das Königtum jeweils nur dem Menschen, den er auserwählt und für richtig hält. Er vermag es sogar, den Niedrigen über den Höheren zu setzen.

Diesen Traum hatte der König Nebukadnezar gesehen oder vielmehr erlebt und erlitten. Von Daniel, der an seinem Hofe Beltschazar hieß, verlangte er nun seine Deutung, die alle Weisen seines Königreichs ihm nicht mitteilen konnten! Aber von Daniel erwartete er die Lösung, weil er wusste, dass der Geist der heiligen Götter in seinem obersten Beamten wirksam war.

Als Daniel mit dem Zunamen Beltschazar die Erzählung des Traumes vernommen hatte, verschlug es ihm eine Zeitlang vor Entsetzen die Sprache. Er stand wie betäubt vor dem König, und seine Gedanken wurden hin und hergerissen und erschreckten ihn, so dass auch der König die Veränderung seines Beamten bemerkte. Deshalb begann er zur Erleichterung Daniels die Antwort einzuleiten und ermunterte ihn, mit der Antwort nicht zurückzuhalten, wenn sie auch erschreckend ausfallen sollte. Beltschazar versuchte, sich zu fassen und begann seine Antwort ausweichend mit dem Wunsch, die Traumbilder mögen anderen gelten, vielleicht den Feinden des Königs oder denen, die ihn hassen und vom Thron stoßen möchten, aber nicht dem König selbst. Denn der große und starke und sehr hohe Baum, der auf der ganzen Erde zu erkennen und schon von weitem zu sehen war, der Baum mit dem wunderbaren Laub und den zahlreichen Früchten, die zur Ernährung aller Völker ausreichten, unter dem die Tiere Wohnung fanden und in dessen Zweigen sich die Vögel aufhielten, dieser Baum sollte das Sinnbild für den König Nebukadnezar darstellen. Er war nämlich groß und stark geworden; und seine Größe hatte stetig zugenommen und reichte bis an den Himmel und seine Herrschaft bis an die Enden der Erde. Der Wächter und Heilige vom Himmel, der den Befehl gab, den Baum zu fällen und zerstören zu lassen bis auf einen Wurzelstock, der mit eisernen und bronzenen Fesseln im Grase lag, hatte eine Schreckensbotschaft für den König zu überbringen. Denn Nebukadnezar sollte wie ein Tier mit den anderen Tieren auf dem Felde liegen und mit dem Morgentau benetzt werden. Sieben Jahre oder sieben Zeiten lang sollte sich dieser Zustand hinziehen. So lautete die Deutung des Traumes, die gleichzeitig eine Entscheidung Gottes bedeutete, die der Höchste über den König Nebukadnezar bestimmt hatte. Nebukadnezar sollte von den Menschen aus seinem Palast vertrieben bei den Tieren auf dem Feld sein Leben fristen. Die freie Natur sollte seine Wohnung sein. Als Nahrung stand das grüne Kraut und Gras bereit, das eigentlich für die Rinder bestimmt war. Der König sollte vom Tau des Himmels befeuchtet und gewaschen werden, der praktisch wie eine Dusche alle Morgen aus der Höhe auf Pflanzen und Tiere fiel. Die Bestrafung sollte einen Zeitraum von sieben Jahren umfassen, in denen er über die Macht Gottes nachdenken konnte, bis er schließlich zu der Erkenntnis gelangte, dass Gott kein Spielzeug ist und auch nicht der Beantworter eines Fragenkatalogs, sondern der Allmächtige, der auch über die Fürsten und Könige der Erde steht und Königreiche einsetzen und vernichten kann.

Das Positive der Verheißung steckte wohl im Traumbild bei der Schilderung des Schicksals des Wurzelstockes, denn der blieb erhalten als ein Zeichen, dass Nebukadnezar sein Königreich nicht verlieren wird. Das Reich wird ihm bleiben, und er kann als würdiger Herrscher wieder eingesetzt werden. Da die Erfüllung des Traumgesichtes der Wahrheit entsprach, riet Daniel seinem König, sein Leben in Ordnung zu bringen. Er empfahl ihm, sein unrechtes Vorgehen gegen seine Untertanen schleunigst wieder gut zu machen und Gerechtigkeit walten zu lassen, und darüber hinaus an die Armen und Elenden in seinem Lande zu denken und entsprechende soziale Politik zu betreiben, so dass auch die sozial Schwachen ausreichend versorgt werden. Damit könnte er einen Teil von Barmherzigkeit zurückgeben, die Gott ihm in vielfacher Hinsicht erwiesen hatte. Auf diese Art und Weise kann er sein eigenes Wohlergehen verlängern. Trotz alledem war das Schicksal des Königs durch Gottes Ratschluss besiegelt und das Eintreffen der Verheißung war eine Frage der Zeit.

Es kann sein, dass Nebukadnezar seinen inhaltsreichen Traum in seinem Inneren bereits zurückgedrängt hatte, weil das tägliche Leben und die Regierung seines Landes ihn wieder voll beanspruchten. Mit größter Wahrscheinlichkeit stiegen wieder Stolz und Hochmut in ihm auf, obwohl Gott ihm ein Jahr lang die Möglichkeiten des Umdenkens und der Umkehr geschenkt hatte. Denn zwölf Monate später nach dem Traumerlebnis flanierte er auf dem königlichen Palast und badete sich bildlich in seinem Eigenlob und in dem, was er alles erreicht hatte. Als er von seinem Regierungssitz auf sein Land blickte, prahlte er in unverschämter Weise: „Ist das nicht das große Babylon, das ich durch die Stärke meiner Macht und zur Ehre meiner Herrlichkeit zum königlichen Wohnsitz erbaut habe?“ Seine Gedanken und Worte waren kaum zum Ausdruck gebracht, als eine Stimme vom Himmel zu ihm drang: „Dir, König Nebukadnezar, wird gesagt: Das Königtum ist von dir gewichen! Man wird dich von den Menschen ausstoßen, und bei den Tieren des Feldes wird deine Wohnung sein; man wird dir Gras zu essen geben wie den Rindern. Und es werden sieben Jahre über dir vergehen, bis du erkennst, dass der Höchste Macht hat über das Königtum der Menschen und es verleiht, wem er will.“

Die Erfüllung dieses Richterspruches folgte unmittelbar nach dem prophetischen Wort. Nebukadnezar verlor seinen Verstand und wurde von den Menschen missachtet und ausgestoßen. Er ernährte sich vom Weidegras wie die Rinder. Auf seine Kleider und seinen Körper fiel der morgendliche Tau des Himmels. Haare und Fingernägel blieben ungepflegt und wuchsen bis zu krallenartigen Auswüchsen, so dass seine Haartracht an Adlerfedern und seine Fingernägel mehr an Vogelkrallen erinnerten als an die menschlichen Abschlüsse an den Körperenden. Erst als die Zeit der göttlichen Weissagung abgelaufen war, kehrten sein Intellekt und sein Erkenntnisvermögen zurück. Gott hatte die Einsicht des Königs gewandelt, denn nun blickte er zum Himmel empor und dankte Gott für seine Rettung aus dem Tierleben. Er pries und rühmte und verherrlichte ihn als den ewig Lebenden und als den ewigen Herrscher, der ewig regieren und herrschen wird. Er erkannte jetzt, dass Gottes Reich nicht vergehen wird. Eine Generation nach der anderen wird die Herrschaft Gottes erleben und seine Allmacht erkennen. Alle Bewohner der Erde müssen sich ihm unterordnen, denn sie zählen wie nichts. Auf der ganzen Erde verfährt er nach seinem Willen, und auch der Himmel ist ihm untertan. Selbst mit den himmlischen Bewohnern handelt er nach seinem Gutdünken. Es gibt niemand auf der Erde noch im Himmel, der sich mit ihm messen kann oder der sich gegen ihn wehren kann oder der auf seine Handlungen Einfluss zu nehmen vermag.

In dieser Art und Weise dachte und handelte Nebukadnezar, als er wieder zu Verstand und Erkenntnis kam. Mit seiner körperlichen Rehabilitation kehrte er auch zurück auf seinen Regierungssitz und nahm die Belange seines Königreiches wieder in seine Hand. Ehre, Herrlichkeit und Glanz füllten wieder den Thronsaal. Seine Beamten, seine Staatsräte und seine Gewaltigen suchten ihn wieder auf und leisteten ihm wie ehemals ihren Gehorsam, weil sie spürten, dass seine Mächtigkeit und sein Format zugenommen hatten. Den ewig lebendigen Gott aber rühmte er weiterhin. Seine Verherrlichung Gottes und sein Lob fanden ihre Ursache in seiner Erkenntnis der Wahrhaftigkeit Gottes, seiner Gerechtigkeit und seiner Erhabenheit. Durch die Allmacht Gottes kann er den Stolzen und Hochmütigen demütigen und erniedrigen. Mit dem Lobpreis Gottes aus dem Munde des großen babylonischen Königs endete der letzte Bericht in der Bibel über Nebukadnezar. Er bezeichnete Gott als den „Höchsten“ und gab mit der Proklamation bekannt, dass das babylonische Reich soweit gefestigt oder konsolidiert war.

Die historischen Hintergründe für die Erkrankung Nebukadnezars konnten bisher nicht erbracht werden. Der Zeitpunkt für die Geschehnisse im vierten Kapitel des Buches Daniel werden auf die Mitte bis in das letzte Viertel der Regierungszeit Nebukadnezars vermutet, also um 570 v. Chr. Medizinisch gesehen berichtet die Bibel von einem Wahnsinn Nebukadnezars, dessen Ursache als Gericht Gottes geschildert wird. Der König verlor seinen Verstand und litt möglicherweise an einer Geisteskrankheit, einer individuellen Psychose, die man auch als Lykanthropie bezeichnet. Diese Krankheit ist gekennzeichnet durch eine Zwangsvorstellung, ein Tier zu sein, wobei zu bemerken ist, dass gegenwärtig über Symptome und Ursache der Erkrankung keine einheitliche Meinung existiert. Diese Art von Krankheit wird aber in der Antike öfter erwähnt. Die Angehörigen der Erkrankten stießen dann den Geisteskranken aus der Gesellschaft aus, und er durfte nicht mehr am gemeinsamen menschlichen Leben teilnehmen. Er wurde sich selbst überlassen. Eine erste schriftliche Bestätigung dieses Zoomorphismus, der Umwandlung des Menschen in ein Monster, fand sich im Gilgamesch-Epos, den literarischen Werken vor allem aus dem babylonischen Raum. Dort wurde beschrieben, wie die mesopotamische Planetengöttin Ištar einen Schäfer in einen Wolf verwandelte. Ovid erzählte in seinen Metamorphosen, dass Zeus den griechischen König Lykaon in einen Wolf verwandelte, weil er angeblich den Göttern Menschenfleisch zu essen gab. Der römische Gelehrte Plinius der Ältere, der etwa im ersten Jahrhundert n. Chr. wirkte, schrieb in seiner Enzyklopädie über Menschen, die einige Jahre als Wolf lebten. Er hielt aber seine Aussagen selbst für phantastisch (Borst, 1995). Der schwedische katholische Geistliche Olaus Magnus, der als Bischof von Upsala eingesetzt war, sprach hingegen im 16. Jahrhundert doch die Ansicht aus, dass Menschen sich für einige Tage in Wölfe verwandelten, sogar in Häuser einbrachen und die Vorräte verzehrten. Die Geschichten sollen sich zwischen Litauen und dem Kurland zugetragen haben (Magnus, 2006). Auch in der isländischen Literatur wird, allerdings in einer Sage, von der Verwandlung eines Menschen in einen Werwolf berichtet (Heller, 1982). Die sogenannte Wolfskrankheit, der systemische Lupus erythematodes als Autoimmunkrankheit, hat jedoch nichts mit der Symptomatik einer Lykanthropie zu tun.

Im Internet finden sich weitere, allerdings andere Hinweise oder Beweise, welche die Größe und Macht dieses babylonischen Königs bestätigen:

[...]


1 Jeremia 46,2-12

1 2. Chronik 36,6

1 3. Mose 11

1 Matthäus 3,2; 4,17; 10,7

2 Matthäus 12,28

3 Markus 1,15

4 Lukas 10,9

5 Lukas 17,20-21

1 Siehe Daniel 3,12

1 1. Mose 11,2

1 Daniel 3,10

2 2. Mose 20,3

Ende der Leseprobe aus 146 Seiten

Details

Titel
Staatsbeamter in zwei Weltreichen. Das Buch Daniel nacherzählt und erklärt
Untertitel
2. überarbeitete und erweiterte Auflage
Autor
Jahr
2020
Seiten
146
Katalognummer
V538875
ISBN (eBook)
9783346159830
ISBN (Buch)
9783346159847
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Daniel, Weltreiche, Babylon, Medien, Persien, Römisches Reich, Judäa, Wiederkunft Jesu, Ende der Zeit
Arbeit zitieren
Dr. med. Dieter Schwarz (Autor:in), 2020, Staatsbeamter in zwei Weltreichen. Das Buch Daniel nacherzählt und erklärt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/538875

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Titel: Staatsbeamter in zwei Weltreichen. Das Buch Daniel nacherzählt und erklärt



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