Das Festhalten des Beweglichen. Von der Chronofotografie zum Motion Capture


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Anfänge der Chronofotografie

3 Bewegungserfassung mittels Motion Capture

4 Weiterverarbeitung der generierten Bildinformationen durch Motion Capture

5 Motion Capture-Verfahren am Beispiel der Kreatur Gollum

6 Fazit und Ausblick

7 Quellenverzeichnis

1 Einleitung

„Bewegte Objekte führten entweder zu verschwommenen Wiedergaben, oder sie wurden in einem Zustand abgebildet, den sie niemals erfahren: in jenem des Stillstands."1

Die Bewegung und das bildliche Festhalten eines lebendigen, beweglichen Körpers stellt seit Beginn der Lichtbildkunst eine Herausforderung an die Fotografie. Diente diesejedoch eigent­lich zum Festhalten der Stillstellung der lebendigen Körperlichkeit, entstand bereits im 19. Jahrhundert der Wunsch, durch eine Momentaufnahme nicht nur eine Bewegung zu erfassen, sondern diese in ihrer Ganzheit aufzeichnen zu können. Bald entwickelten die ersten Pioniere der sogenannten Chronofotografie Methoden und Techniken, um mehrere Aufnahmen eines bewegten Objekts in Reihefestzuhalten. Beispielsweise gelang es dem Fotografen Eadweard Muybridge 1872 erstmals durch eine Reihenfotografie zu beweisen, dass sich bei einem ga­loppierenden Pferd alle vier Hufe gleichzeitig inder Luft befinden, was weder mit bloßem Auge noch mit einer einzelnen Aufnahme zu erkennen war.2 Diese Methode sollte der Vorreiter des heutigen Filmes werden, denn von da an war eine Faszination an der Wiedergabe der Bewe­gung geboren.

„[D]er Ursprung der Freude am Film war nicht ein objektives Interesse an bestimmten Inhalten, viel weniger ein ästhetisches Interesse an der Form der Darstellung von Inhal­ten, sondern ganz einfach die Freude an etwas, das sich zu bewegen schien, ganz gleich, was es sein mochte. "3

Erst das 20. Jahrhundert wurde daraufhin als das Jahrhundert der ,lebenden Bilder' bedeutet und der Film als neue Kunstform gefeiert.4 Im darauffolgenden Jahrhundert entstanden mit der fortschreitenden Verbesserung der Computertechnik neue Möglichkeiten, nicht nur den Real- sondern auch den Trickfilm zu gestalten und diese auch miteinander zu kombinieren. Während beim Realfilm echte Bewegungen eingefangen wurden, um diese wiederzugeben, wurde beim Trickfilm versucht, natürliche Bewegung nachzuahmen. Eine neuartige Methode des Einfangens (capture) von Bewegungen (motion) war es, die Bewegungen eines Objektes möglichstdetailgetreu aufzuzeichnen, um diese als digitalen Datensatz weiterverarbeiten zu können: Das Motion Capture.

Diese Arbeit versucht zu verdeutlichen, dass die Chronofotografie als Vorreiter einen Einfluss auf die heutige Technik des Motion Capture darstellt und wo sich dieser wiederfinden lässt. Hierzu bedarf es zunächst einer genaueren Betrachtung der Entwicklung der Anfänge der Rei­henfotografie. Anschließend sollen die verschiedenen Möglichkeiten der Erfassung und Ver­arbeitung von Bewegungen beim Motion Capture verdeutlicht werden und am Beispiel der Figur des Gollum im Film The Lord ofthe Rings5 exemplarisch dargestellt werden, da es sich hierbei um eine der bekanntesten Anwendung des Motion Capture handelt.

2 Anfänge der Chronofotografie

Um sich dem Gebiet der Aufzeichnung von Bewegungen zu nähern, bedarf es zunächst einer Erläuterung des Begriffs Chronofotografie. Es handelt sich hierbei um ein Verfahren zur Ana­lyse der Bewegung mit Hilfe der Fotografie.6 Hier gilt es jedoch anzumerken, dass für diesen Begriff häufig auch synonym die Begriffe Reihenbilder, Phasenbilderoderauch Momentbilder verwendet werden. Ursprünglich ist dieses Verfahren Photochronografie genannt worden; der Internationale Photographenkongress in Paris im Jahr 1889 bevorzugte jedoch den Begriff Chronophotographie7.8 Die Idee und der Wunsch nach dem Festhalten und dem erneuten Wiedergeben von natürlichen Bewegungen lassen sich bereits in steinzeitlichen Höhlenmale­reien oder Zeichnungen aus dem alten Ägypten wiederfinden. Auch wurde die Entwicklung der Chronofotografie nicht nur aus Interesse am bewegten Bild vorangetrieben, sondern im 19. Jahrhundert zur wissenschaftlichen Bewegungsanalyse genutzt. Einer der bekanntesten Fotografiepioniere auf diesem Gebiet ist der Brite Eadweard Muybride. Aber auch der franzö­sische Fotograf Etienne-Jules Marey und der aus Posen stammende Fototechniker Ottmar An­schütz können zu den bedeutenden frühen Vertretern der Chronofotografie gezählt werden.

Als eine der ersten Weiterentwicklungen dieser Technik lässt sich zusätzlich das Rotoskopie- verfahren anführen, welches erstmals von dem US-amerikanischen Cartoonist und Trickfilm­produzenten Max Fleischer um 1914 eingesetzt wurde.

Ein Hauptproblem der Fotografie von beweglichen Motiven war, dass sie häufig nur ver­schwommen wiedergegeben werden konnten. Mit einer Verkürzung der Belichtungszeit konnte diesem jedoch entgegengesteuert werden; dennoch konnte auch mit einer Aufnah­meserie nicht jeder einzelne Moment einer Bewegung festgehalten werden, da die Abstände zwischen zwei Belichtungen immer noch zu lang waren.9 Erst als Eadweard Muybridge 1878 den Auftrag eines Rennstallbesitzers erhielt, alle Phasen eines Pferdes im Galopp aufzuzeigen, wandte Muybridge eine neuartige Technik an: Er ließ zwölf Kabinen mit jeweils einer Kamera aufstellen, deren Verschlüsse mit einem Faden verbunden waren und somit ausgelöst wurden, wenn ein vorbeikommendes Objekt sie zerriss.10 In weniger als einer halben Sekunde entstan­den somit zwölf Reihenbilder des selben Pferdes, wodurch erstmals erkennbar war, dass sich im Galopp alle vier Hufe gleichzeitig in der Luft befanden.11

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: The Horse in Motion

Führte man sich diese Chronofotografien in rascher Folge in einem eigens von Muybridge ent­wickelten Projektor vor Augen, so entstand der Eindruck eines sich bewegenden Objekts, gleich einem Film.

Etienne-Jules Marey war eigentlich Physiologe und wurde erst 1881 von Eadweard Muybridge mit dem Fotografieren für seine Untersuchungen vertraut gemacht. Neu an seiner Art der Chronofotografie war, dass rasche Bewegungsabläufe in scharfe Einzelbilder zerlegt werden konnten. Was ihn hierbei von Muybridge unterschied, war, dass er hierfür nicht mehrere, son­dern nur eine einzige Kamera benötigte.12 Möglich war dies durch schnell aufeinanderfol­gende Belichtungen, wodurch Marey gesamte Bewegungsabläufe auf einem einzelnen Bild festhielt. Hierdurch verdeutlichte er beispielsweise die Bewegung eines Unterkiefers beim Kauen, die Phasen der Flugbewegungen von Vögeln oder den Bewegungsablaufvon Stabhoch­springern.13

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Stabhochsprung

Während Mareys Darstellungen jedoch eher wissenschaftlicher Motivation waren, entwi­ckelte der gelernte Porträtfotograf Ottmar Anschütz in diesem experimentellen Zweig der Fo­totechnik erstmals eine „künstlerisehe Ästhetik und eine neue Form der öffentlichen Unter­haltung, die sich der Reproduktion natürlicher Bewegung mit photographischen Verfahren be­diente." 14 Anschütz entwarf Anfang der 1880er Jahre den Rolltuch-Schlitzverschluss für eine Handkamera, mit dem Belichtungszeiten von einer tausendstel Sekunde möglich wurden.15 Besonders seine Sequenzen von abhebenden und fliegenden Störchen erlangten eine nie zu­vor erreichte Präzision und faszinierten sowohl Biologen als auchTechniker.16

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Störche, Reihenaufnahme

Diese ersten Versuche zur Aufzeichnung von Bewegungen ebneten zugleich den Weg zur Un­tersuchung von Realfilmmaterial und dessen Möglichkeit zur Analyse von Bewegungen auf Einzelbildebene. Somit wurde es möglich, die Bewegungsmuster der fotografierten Motive auf Objekte des Trickfilms zu übertragen, wodurch Max Fleischer 1917 erstmals sein sogenanntes Rotoscop patentierte.17 Das Rotoscop ermöglichte ein direktes Nachzeichnen eines auf Zei­chenfläche einzelbildweise projizierten Realfilms. Diese Technik wurde beispielsweise in Se­quenzen von Disneys Film Snow White And The Seven Dwarfs eingesetzt.18

Es lässt sic h konstatieren, dass der Mensch in der Entwicklung des bildlichen Festhaltens schon früh das Bedürfnis hatte, vor allem schnelle Bewegungsabläufe, die das menschliche Auge al­leine nicht detailliert wahrnehmen kann, aufzuzeichnen und wiederzugeben. Besonders für die relativ junge Methode des Motion Capture für Filme ist dies von besonderer Relevanz.

[...]


1 Fotografie das 19. Jhd.

2 Vgl. shhquiet (2011) Film Pionier: Eadweard Muybridge und das Zoopraxiskop. In lomography Magazin. URL: http://www.lomography.de/magazine/116287- film-pionier-eadweard-muybridge-und-das-zoopraxiskop (Zu­griff: 03.08.16)

3 Zitat Erwin Panofsky (1999): Stil und Medium im Film & Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers. S. 21.

4 Vgl. Sascha Gottwald/ SusanneRichter (2005): Vom Strichmännchen zum Schauspieler - Die Evolution des Ani­mationsfilms. S. 4.

5 Vgl. New LineCinema (2001-2003): The Lord ofthe Rings.

6 Vgl. Deac Rossell (2001): Faszination der Bewegung: Ottmar Anschütz zwischen Photografie und Kino. S. 7.

7 Die alte Rechtschreibung ist hier „Photographie", die neue „Fotografie".

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. Freddy Langer (2002): Fotografie! Das 19. Jahrhundert. S. 102.

10 ebd.

11 siehe Abbildung 1

12 Vgl. Freddy Langer (2002): Fotografie! Das 19. Jahrhundert. S. 106.

13 siehe Abbildung2

14 Zitat Deac Rosseil (2001): Faszination der Bewegung: Ottmar Anschütz zwischen Photografie und Kino. S. 45.

15 Vgl. Freddy Langer (2002): Fotografie! Das 19. Jahrhundert. S. 104.

16 siehe Abbildung3

17 Vgl. Kohlmann, Klaus (2007): Der computeranimierte Spielfilm. Forschungen zur Inszenierung und Klassifizie­rung des 3-D-Computer-Trickfilms. S. 32.

18 ebd.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Das Festhalten des Beweglichen. Von der Chronofotografie zum Motion Capture
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Veranstaltung
Kairos und Chronos. Theorie und Geschichte der Fotografie nach ihrem vermeintlichen Ende
Note
1,7
Autor
Jahr
2016
Seiten
17
Katalognummer
V538277
ISBN (eBook)
9783346152428
ISBN (Buch)
9783346152435
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fotografie, Motion Capture, Film, Medien, Mediengeschichte, Chronofotografie, Bilder, Kunst, Technik, Ästhetik, digital, Trickfilm, Gollum, Lord of the Rings, Herr der Ringe, Visual Effects, Special FX
Arbeit zitieren
Nora Klutzny (Autor:in), 2016, Das Festhalten des Beweglichen. Von der Chronofotografie zum Motion Capture, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/538277

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