Soziale Hilfeeinrichtungen im Wandel der Zeit. Die Bahnhofsmission


Diplomarbeit, 2009

77 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Teil 1: Die Bahnhofsmission im Wandel der Zeit

1. Die Vorläufer der Bahnhofsmissionsarbeit im Mädchenschutz
1.1 Der Verein der Freundinnen junger Mädchen
1.2 Bemühungen um einen geordneten Bahnhofsdienst

2. Die Anfänge organisierter sozialer Hilfe am Bahnhof
2.1 Die evangelische Bahnhofsmission
2.2 Die katholische Bahnhofsmission
2.3 Die ersten Schritte zu einer interkonfessionellen Zusammenarbeit

3. Die Bahnhofsmission und der erste Weltkrieg
3.1 Die Rolle der Bahnhofsmission während des Krieges
4.2 Erste Bemühungen um eine einheitlichen Dienstkleidung
5.1 Die Bahnhofsmissionen im Nationalsozialismus
5.3 Das Ende der Bahnhofsmission
5.4 Bemühungen die Arbeit im Verdeckten weiterzuführen
5.5 Der NSV-Bahnhofsdienst im Krieg
6.1 Die Bahnhofsmissionen in der DDR

12. Gab es im historischen Entwicklungsprozess der Bahnhofsmission sozialpolitische Merkmale, die auch für den Entwicklungsprozess anderer Einrichtungen bedeutsam waren?

Teil 2: Die Bahnhofsmission heute
1. Das Leitbild der Bahnhofsmission
1.1 Das Gottes und Menschenbild der Bahnhofsmission
1.2 Die Ziele der Bahnhofsmission
1.3 Das Angebot der Bahnhofsmission
1.4 Die Umgangskultur in der Bahnhofsmission
1.5 Die Bahnhofsmission im sozialen Gefüge
1.6 Die Bahnhofsmission im öffentlichen Bewusstsein
1.7 Die Fachlichkeit der Bahnhofsmission

2. Die Aufgaben der Bahnhofsmission heute
2.1 Hilfen für Reisende
2.2 Menschen mit dem Lebensmittelpunkt Straße

3. Bahnhofsmission vor Ort: Die Bahnhofsmission Essen
3.1 Die Arbeit der Bahnhofsmission Essen
3.2 Eigene Projekte der Bahnhofsmission Essen
3.3 Die Bahnhofsmission Essen in Zahlen

Fazit

Quellen

Einleitung

„Bahnhofsmissionen sind Seismographen gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und verkehrspolitischer, auch kirchlicher und wohlfahrtspflegerischer Entwicklungen. Auf dem Bahnhof stoßen die sozialen Probleme einer Zeit auf die jeweiligen Verkehrsströme.“1

Seit über 100 Jahren bieten die Mitarbeiter der Bahnhofsmissionen an deutschen Bahnhöfen Reisenden, Verirrten und Hilfesuchenden ihre Unterstützung an. Aus der Tätigkeit der Diakonissen die zu den Bahnhöfen zogen um alleinreisende junge Frauen vor Prostitution und Ausbeutung zu bewahren, wurde eine bundesweite feste Institution an größeren Bahnhöfen.

Wie konnte sich diese Institution so weit entwickeln? Wie reagierte die Bahnhofsmission auf die vielen Unterschiedlichen sozialen Notlagen, auf die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen während dieser langen Tätigkeitszeit? Wo liegen heute die Schwerpunkte der Bahnhofsmissionsarbeit? Wie sieht die Arbeit heutzutage vor Ort aus? Ist die Bahnhofsmission heute überhaupt noch „am Puls der Zeit“?

Diesen Fragen möchte ich in meiner Diplomarbeit nachgehen.

Zunächst möchte ich also der Geschichte der Bahnhofsmission auf die Spur gehen und im weiteren Verlauf die aktuelle Situation untersuchen.

Den ersten 60 Jahren wird in der Darstellung mehr Raum gewidmet als den letzten, da die Ereignisse dieser Zeit mit der nicht ganz einfachen Konstituierung der Bahnhofsmission als solcher, den beiden Weltkriegen und der komplizierten Lage in der DDR die Bahnhofsmissionsarbeit insgesamt mehr beeinflusst und geprägt haben. Zwar wurde die Bahnhofsmission in der Bundesrepublik auch Zeuge zahlreicher gesellschaftlicher Ereignisse, jedoch hat keines von ihnen die Arbeit dermaßen zu einer grundlegenden Neuorientierung gezwungen.

Da ich selbst seit drei Jahren ehrenamtlich in der Bahnhofsmission in Essen arbeite, hat mich dieses Thema auch persönlich sehr interessiert. Die Bahnhofsmission Essen führt, neben den Standardaufgaben noch eigene Projekte durch, die als Reaktion auf die Situation vor Ort entstanden sind und es schien mir interessant, diese Bahnhofsmission einmal gesondert vorzustellen um zu untersuchen, ob bzw. wie die Bahnhofsmission sich auch heute noch weiterentwickelt.

Abschließend gehe ich der Frage auf die Spur, ob Veränderungen, die die Arbeit der Bahnhofsmission beeinflusst haben, auch Auswirkungen auf andere soziale Hilfeeinrichtungen hatten und haben.

Teil 1:

Die Bahnhofsmission im Wandel der Zeit

1. Die Vorläufer der Bahnhofsmissionsarbeit im Mädchenschutz

Die Bahnhofsmissionsarbeit entwickelte sich aus verschiedenen Mädchenschutzinitiativen, die ihre Wurzeln in der Mitte des 19. Jahrhunderts haben.

Deutschland entwickelte sich gerade zu einer Industrienation. Die Technik entwickelte sich schnell und die Menschen wurden mobiler. Neben wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt sowie wachsender Produktivität brachte die industrielle Revolution jedoch auch soziale Missstände mit sich, die sich in Massenarmut, Massenelend und Ausbeutung manifestierten.

In den 1850er Jahren setzte eine gewaltige Binnenwanderung von den Landgebieten in die Städte ein. Mit dem rapiden Anwachsen der Bevölkerungszahlen in den Städten nahmen auch die sozialen Probleme deutlich zu.

Als Reaktion auf die sozialen Missstände dieser Zeit entwickelten sich aus vielfältigen sozialen Bestrebungen mit mehr oder weniger religiös ausgeprägtem Hintergrund Bahnhofsdienste und Bahnhofsmissionen.

So waren für die Gründung der ersten Bahnhofsmission in Berlin besonders kranken- und sozialpflegerische Ansätze, wie die der kaiserswerther Diakonissen in Berlin ausschlaggebend.2 Weiterhin verband sich die abolitionistische Bewegung mit verschiedenen Sittlichkeitsbewegungen und Bemühungen gegen Alkoholismus.

Im protestantischen Deutschland wurde außerdem versucht, das Konzept der „inneren Mission“ in spezifischen Aufgabenfeldern wie z.B. in der Stadtmission konkret werden zu lassen. Die Stadtmission suchte den missionarisch-sozialpflegerischen Zugang zu sozialen Gruppen, die von den klassischen kirchengemeindlichen Strukturen nicht mehr erreicht werden konnten.3 Von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Bahnhofsmissionen sind jedoch die Initiativen des Mädchenschutzes.

Der evangelische Theologe Theodor Fliedner wurde 1842 von der preußischen Königin in Berlin empfangen, welche sich von ihm über die sittlich verrotteten Zustände auf der syphilitischen Station in der Berliner Charité Bericht erstatten ließ. Das Königshaus trat mit der Bitte an ihn heran, sich mit seinen Diakonissen in der dortigen Armen- und Krankenpflege zu engagieren.4

Ein Jahr später begannen 5 kaiserswerther Diakonissen ihre Arbeit auf den Stationen für syphilitische und krätzekranke Frauen, die größtenteils zwischen 15 und 20 Jahren alt waren.

Durch die Konfrontation mit den Lebensgeschichten der krankenpflegerisch betreuten jungen Frauen stellten Fliedner und seine Diakonissen sich bald die Frage nach den Ursachen für diese Erkrankung und Verelendung. Das Hauptproblem schien in den Gefahren der Großstadt zu liegen, denen die alleinreisenden jungen Frauen, die vom Land in die Stadt zogen um dort Arbeit zu suchen ausgeliefert waren.

Wenn sich beispielsweise die angebotene Stelle als Fehlschlag erwies, fanden sich viele junge Mädchen schutz- und hilflos den Verhältnissen der Großstadt ausgesetzt. Aber nicht nur, wenn aus der erhofften Stelle nichts wurde, waren die Mädchen in Gefahr. Viele reisten sogar auf gut Glück in die Städte, ohne bereits eine Beschäftigung in Aussicht zu haben.5

Da Fliedner und die Diakonissen ein breites, nicht nur auf Krankenpflege begrenztes Verständnis von Diakonie hatten, reiften bald Pläne, den jungen Frauen ein Heim zu geben und ihnen bei der Stellensuche zu helfen, um sie somit frühzeitig vor Gefahren wie Prostitution und Ausbeutung zu bewahren.6 So mietete Fliedner 1854 im Norden Berlins ein kleines Haus und errichtete dort eine Mägdeherbege mit 12 Plätzen, den Marthashof. Der Marthashof, der zunächst nur wenig Anklang fand, entwickelte sich dann jedoch unerwartet schnell. „1877 besaß die Mägdeherberge 94 Plätze, die Kleinkinderschule besuchten 108 Kinder und die Stellenvermittlung vermittelte 1877 insgesamt 333 Mädchen bei 2300 Nachfragen von „Herrschaften“.“7

Der vehement voranschreitende Ausbau des Eisenbahnnetzes legte es nahe, sich bald auch direkt den zureisenden Mädchen an den Fernbahnhöfen zuzuwenden, „die vor allem an den Ziehtagen zu Hunderten ... eintrafen.“8 So wurden in den 1860er Jahren in den Stationen rund um Berlin sowie in den in die Hauptstadt führenden Eisenbahnlinien Bekanntmachungen angebracht, die alleinreisenden jungen Mädchen vom Marthashof berichteten und sie einluden, diesen zu nutzen. An den Ziehtagen, den Tagen am Ende des Quartals, an denen der Dienstbotenwechsel stattfand, besuchte eine Diakonisse vom Marthashof die dem Heim nächstgelegenen Bahnhöfen um den ankommenden Mädchen zu Helfen, zur Seite zu stehen und den Weg in die Herberge zu weisen.9

„Der Bahnhof war damit als Ort entdeckt, an dem Beratung und Hilfe vermittelt werden konnten, lange bevor es zu explizit fürsorgerische-systematischen Arbeitsansätzen einer Bahnhofsmission kam.“10

1.1 Der Verein der Freundinnen junger Mädchen

Auch international entwickelten sich aus Bemühungen zur Abschaffung der staatlich kontrollierten Prostitution und Ausbeutung Mädchenschutzinitiativen. So gründete Josephine Butler, eine der eifrigsten Streiterinnen der abolitionistischen Bewegung, die „Internationale abolitionistische Föderation“. Der Genfer Kongress, der von dieser Föderation veranstaltet wurde, gab den Anstoß für die Entstehung eines Schutzvereins für junge stellen suchende Mädchen in der Schweiz. Aus Überlegungen, was zum Schutze der jungen Schweizerinnen getan werden könne, die fern von ihrer Heimat und ihrem Elternhaus ihr Geld verdienten entstand die „Union Internationale des Amies de la jeune Fille“ (Verband der Freundinnen junger Mädchen).11

„Der Freundinnenverband entwickelte ein internationales Korrespondenznetz, in dessen Rahmen den reisenden Mädchen Ansprechpartnerinnen – eben „Freundinnen“ - vermittelt, Abholung an den Bahnstationen organisiert, Clubabende an größeren Orten durchgeführt und später Wohnheime eingerichtet wurden. In diesem Zusammenhang entstand auch eine zunächst noch informelle Stellenvermittlung.“12 An dem Gründungskongress waren auch deutsche Teilnehmer beteiligt, wodurch sich der Gedanke dieser Arbeit schnell verbreitete. 1897 standen bereits 104 Ansprechpartnerinnen in 57 deutschen Städten zur Verfügung.13 International waren es 300 Freundinnen in 17 Ländern.14 Diesen Zahlen zufolge hatten die Freundinnen in Deutschland ein sehr dichtes Netz.

Der Mittelpunkt der Vereinsorganisation lag jedoch in den ersten Jahren fast ausschließlich in der Schweiz. Erst 1880 erhielt der Verein schriftlich fixierte Statuten, die den einzelnen Gruppen in den Ländern jedoch weitgehend autonome Arbeit ermöglichten. Das führte zu unterschiedlichsten Kooperationen mit lokalen Vereinen und Verbänden sowie unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen in der Arbeit.

Trotz all dieser unterschiedlichen Prägungen der Arbeit, so war es doch charakteristisch für die Freundinnenarbeit individuelle und persönliche Hilfe zu leisten.15

Die „Bahnhofsarbeit“ wurde nach und nach eine Pflichtaufgabe der Freundinnen junger Mädchen. Auf dem Kongress in Basel 1884 wurden die anwesenden Freundinnen aufgerufen, nach dem Vorbild der in Genf und Berlin an den Bahnhöfen arbeitenden Frauen dem gefährlichen Treiben an den Bahnhöfen entgegen zu wirken.16

1.2 Bemühungen um einen geordneten Bahnhofsdienst

In Berlin bemühte sich Pastor Burckhardts Verein zur Fürsorge für die weibliche Jugend seit 1892, die einzelnen am Bahnhof arbeitenden Gruppen zu einem geordneten Bahnhofsdienst zu organisieren. Erst 1894 gelang es dem Verband zur Fürsorge für die weibliche Jugend und dem Vorständeverband der evangelischen Jungfrauenvereine Deutschlands einen geordneten Bahnhofsdienst zu realisieren. Der Freundinnenverband war dabei jedoch nicht beteiligt. Da die Freundinnen vornehmlich gebildeten bürgerlichen und adligen Milieus entstammten und ihre Orientierung nicht vorrangig gemeindekirchlich geprägt war, zögerten sie zunächst, sich mit den jugendfürsorgerischen Aktivitäten des Pastor Burckhardt zu verbinden und warten zunächst eine Distanz zu seinen Bemühungen die weibliche Jugendpflege verbandlich zu festigen.17

Der Freundinnenverband „(...) litt aber offensichtlich darunter, dass andere Organisationen das von ihm in Genf erstmals durchgeführte Werk so kraftvoll vorantrieben. Erst im Mai 1897 wurden Vorschläge konkretisiert und beschlossen, in welcher Form die gemeinsame Arbeit durchgeführt werden sollte.“18 Die Eisenbahnverwaltungen drängten die Verbände überall auf ein koordiniertes Vorgehen und so blieb dem Freundinnenverband keine Alternative die Bahnhofsarbeit fortzusetzen ohne eng mit der Bahnhofsmission zusammen zu arbeiten.19

„Während der Verein zur Fürsorge für die weibliche Jugend und der Berliner Vorständeverband der evangelischen Jungfrauenvereine die bedeutenderen organisatorischen und personellen Mittel besaßen, verfügten die Freundinnen zunächst über die einflussreicheren gesellschaftlichen Kontakte. Pastor Burckhardt war deshalb um eine enge Zusammenarbeit zumindest auf dem Gebiet der Bahnhofsmission bemüht, denn nur so konnte eine rasche Ausbreitung der Bahnhofsmission über das Deutsche Reich und eine Einbindung in internationale Bezüge erreicht werden.“20

Der Verband der Freundinnen junger Mädchen war im Gegensatz zum eher zögerlichen Einklinken in die Arbeit der Bahnhofsmission sehr aktiv in der Schaffung von Mädchenheimen für Mädchen und Frauen besserer Stände, was sie zusätzlich für die Bahnhofsmissionen als Vernetzungspartner attraktiv machte.

Das Zentrum der organisierten Bahnhofsmissionsarbeit bildete der 1890 von Pastor Johannes Burckhardt gegründete Verein zur Fürsorge für die weibliche Jugend. Mit dem Verein zur Fürsorge, wählte Burckhardt einen betont fürsorgerischen, auf die Gefährdungsmomente der jungen Frauen abzielenden Ansatz der Arbeit. Die vielfältigen Initiativen des Vereins zur Fürsorge, ermöglichten ein gutes Hand-in-Hand-Arbeiten der verschiedenen Zweige, die für das Gelingen der Bahnhofsmission von besonderer Wichtigkeit waren.

„Der Dienst am Bahnhof hatte von Pastor Burckhardt in der Tradition der verschiedenen Spezialmissionen der „inneren Mission“ fast selbstverständlich die Bezeichnung „Bahnhofsmission“ erhalten. Damit war die auch für die „Innere Mission“ charakteristische Verbindung von seelsorgerlich-missionarischer Arbeit an bestimmten Bevölkerungsgruppen, die nicht im kirchengemeindlichen Raum angesprochen werden konnten und sozialfürsorgerische Aktivitäten markiert.“21

2. Die Anfänge organisierter sozialer Hilfe am Bahnhof

2.1 Die evangelische Bahnhofsmission

1894 kam es also in Berlin, am Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) zur Gründung der ersten evangelischen Bahnhofsmission in Deutschland. Die erste Bahnhofsmission wurde damals in den Räumen der ehemaligen Leichenhalle untergebracht, welche durch die nun schneller fahrenden Züge nicht mehr benötigt wurde.22

Die Organisation Bahnhofsmission verbreitete sich in ganz Deutschland und so wurde 1897 unter Vorsitz von Pastor Burckhardt die „Kommission der Deutschen Bahnhofsmission“ in Leben gerufen, die bis zur administrativen Verselbstständigung der evangelischen Bahnhofsmission 1910 die zentralen Geschäfte wahrnahm.23

Die Kommission bereitete den weiteren Ausbau der Bahnhofsmissionsarbeit vor, indem sie Absprachen mit Regierungsvertretern, Eisenbahn- und Polizeibehörden traf, ein einheitliches Abzeichen für die Helferinnen einführte. Sie trugen nun Armbinden mit einem rosa Kreuz. Dieses Logo fand sich auch auf den Plakaten in den Eisenbahnwaggons der 3. und 4. Klasse, die reisenden Mädchen von entsprechenden Schutzanschriften berichteten.24

Die Arbeit der Bahnhofsmission richtete sich nach 3 Perspektiven, die zugleich die Tätigkeitsfelder des Vereins (Heime, Bahnhofsmission und Jugendpflege und -fürsorge) berücksichtigten:

Die vorangehende Fürsorge umfasste verschiedene Maßnahmen zur Warnung vor dem oft unbedachten Zuzug nach Berlin. Hierzu wurde eine sehr umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit betrieben, indem durch Handzettel, Plakate und die Presse informiert wurde. Die mitgehende Fürsorge bezeichnete den eigentlichen Bahnhofsdienst an den sogenannten Quartalstagen, an denen die meisten Mädchen nach Berlin reisten. Die nachgehende Fürsorge umfasste den Versuch, die nach Berlin eingewanderten zu betreuen. Ihnen Unterkunft und Stellen zu vermitteln, sowie Mädchen für die regelmäßige Mitarbeit in den Jungfrauenvereinen zu gewinnen.25

„Die Bahnhofsmissionsarbeit war diesem dreigeteilten Konzept zufolge zunächst also nicht ausschließlich auf den Bahnhof konzentriert, sondern betrachtete sich selbst als weit ausgreifende Aktivität in einem Netz von weiteren Vereinen, Heimen und Institutionen.“26 Die Bahnhofsmission war noch keine eigenständige Institution, sondern ein bei den beteiligten Vereinen eingerichtetes Arbeitsfeld unter vielen.

Die Bahnhofsarbeit war außerordentlich personal- und zeitintensiv. Die Helferinnen der Bahnhofsmission bestiegen die nach Berlin führenden Züge und informierten die jungen weiblichen Reisenden durch Handzettel, Flugblätter und persönliche Ansprache. Diese Aufgaben war allein mit ehrenamtlichen Kräften nicht langfristig zu meistern, sodass die Bahnhofsmission 1897 bereits über zwei Berufsarbeiterinnen und eine Diakonisse verfügte um zumindest in den Spitzenzeiten des Zuzugs täglich die Bahnhöfe aufsuchen zu können. Doch reichten auch die 107 ehrenamtlichen Helferinnen nicht aus, um an den Ziehtagen an allen Berliner Bahnhöfen und zu den wichtigsten Zeiten präsent zu sein. Der Ausbau dieser Dienste war jedoch nicht ohne weitere hauptamtliche Kräfte möglich und so wurden 3 weitere Berufsarbeiterinnen eingestellt.27

Der Ausbau der Bahnhofsmission über Berlin hinaus ging rasch vor sich. „Im Jahre 1897 gab es bereits in 17 Großstädten und in 6 Mittelstädten mit über 50 000 Einwohnern und in 6 weiteren Städten mit über 20 000 Einwohnern eine Tätigkeit der Bahnhofsmission.“28 1899 berichtet eine Statistik der Inneren Mission bereits von 55 Bahnstationen, an denen Bahnhofsmission betrieben wurde und etwa 300 bis 400 ehrenamtlichen Helferinnen. Die Statistik berichtet, dass alle Bahnhofsmissionen den Bahnhofsdienst auf den Durchgangsstationen und Empfangsbahnhöfen an jedem Quartalszuzug 3 bis 8 Tage lang betreiben. 4 Bahnhofsmissionen haben das ganze Jahr über täglich Bahnhofsdienst und die übrigen meist noch an jedem ersten und fünfzehnten im Monat sowie an lokalen Zuzugsterminen.29

2.1.1 Ansätze zu einer männlichen Bahnhofsmission

Mitte der 1880er Jahre zogen auch junge Männer aus den in Berlin aktiven protestantischen Jünglingsvereinen und dem Christlichen Verein junger Männer an die Bahnhöfe. Sie bezeichneten ihre Arbeit zunächst als „Fremdenmission“. Dabei stand das Ziel im Vordergrund, junge Männer zu missionieren und für die Vereinsarbeit zu gewinnen.30

Fürsorgerisch tätig wurden die Jünglingsvereine erst mit der Gründung der „Gesellschaft zur Fürsorge für die zuziehende männliche Jugend“ 1897 nach dem Vorbild des Vereins zur Fürsorge für die weibliche Jugend.31

Die Gesellschaft zur Fürsorge machte es sich zur Aufgabe, zu gereisten jungen Männern kurzfristig eine Unterkunft zu bieten und auf christliche Kreise aufmerksam zu machen sowie die unüberlegte Einwanderung nach Berlin nach Möglichkeit zu verhindern. Erst durch diese explizit fürsorgerischen Ziele, trat die Bahnhofsmissionsarbeit aus ihrer alleinigen Rekrutierungsfunktion für die Jünglingsvereine heraus.32

Erst 1903 begann die Gesellschaft zur Fürsorge mit einem eigenen systematisch ausgerichteten Bahnhofsdienst. Noch vor dem Ersten Weltkrieg kam es in anderen Städten ansatzweise zur Nachahmung des Berliner Modells.

Der erste Weltkrieg, der jegliche Männerarbeit zum Erliegen brachte, setzte auch der männlichen Bahnhofsmission ein Ende. Nach dem Krieg wurde diese Arbeit jedoch wieder aufgenommen.33 Die Zahl der hilfsbedürftigen männlichen Jugendlichen und jungen Männer an den Bahnhöfen wuchs, infolge der anhaltenden Arbeitslosigkeit und Wohnungsknappheit, an. Zur Entlastung der Bahnhofsmission wurde die Arbeit der jungen Männer an jungen Männern unter dem Namen „Evangelischer Bahnhofsdienst“ und „Katholischer Bahnhofsdienst“ wieder aufgenommen. Die Bahnhofsmission versorgte nun die weiblichen, der Bahnhofsdienst die männlichen Hilfebedürftigen.34

2.2 Die katholische Bahnhofsmission

Auf katholischer Seite kam es erst später zu dem Entschluss ebenfalls Bahnhofsmissionsarbeit zu leisten. Auch hier ging der Bahnhofsmission ein Mädchenschutzverein voran.

Der in der Jugendfürsorge tätige Kapuzinerpriester Cyprian Fröhlich regte die Gründung des Marianischen Mädchenschutzvereins an. Aufmerksam hatte er die caritativen Initiativen der damaligen Zeit, insbesondere die der „Inneren Mission“, beobachtet und analysiert um die Notwendigkeit einer Verstärkung des katholischen caritativen Engagements herauszustellen.35

1895 rief er dann zur Gründung eines Mädchenschutzvereines auf. Junge katholische Frauen hatten geklagt, dass sie auf katholischer Seite keine Hilfe fanden, wie sie auf evangelischer Seite geleistet wurde. Der Marianische Mädchenschutzverein wurde noch im selben Jahr gegründet. Der Vereinszweck war, wie auch auf evangelischer Seite, alleinstehende weibliche Personen „vor Gefahren gegen Glauben und Sittlichkeit zu bewahren“.36

Ellen Ammann eine der vier maßgeblich am Aufbau des marianischen Mädchenschutzes beteiligten Frauen, baute schließlich 1897 die erste katholische Bahnhofsmission in München auf und leitete sie.

Die katholischen Bahnhofsmission wurde zunächst nur auf den größeren Bahnhöfen betrieben, da sich die Mädchenvereine, die sie hätten betreiben können eher zögerlich verbreiteten.37 Für eine rein ehrenamtliche Organisation der Arbeit weist das Vorgehen der katholischen Bahnhofsmissionen einen hohen Grad an Planmäßigkeit auf, was wohl daran lag, „(...) dass sich die katholischen Bahnhofsmissionen organisatorisch zeitweise im Windschatten der evangelischen Bahnhofsmissionen bewegten und von deren administrativer Stärke profitierten.“38

Die Tätigkeit der Bahnhofsmissionen erstreckte sich zu Beginn von 8.30 Uhr morgens bis 21 Uhr abends und wurde allein durch 17 ehrenamtliche Helferinnen geleistet.

Die Präsenz der Freundinnen junger Mädchen, mit denen der Marianische Mädchenschutzverein kooperierte, war deutlich geringer, jedoch wurden die Dienste nicht abwechselnd organisiert. Abwechselnde Dienste wären zwar deutlich kraftsparender gewesen, jedoch standen für die Katholiken die konfessionellen Aspekte der Bahnhofsarbeit noch zu sehr im Vordergrund.39

Da diese Dienstzeiten nur schwer mit rein ehrenamtlichen Kräften abzudecken war, wurden ab 1899 die ersten festangestellten Kräfte beschäftigt um mit ihnen eine Grundlage weiteren ehrenamtlichen Einsatzes zu schaffen.40

Nach der Gründung der ersten katholischen Bahnhofsmission in München wurden im Winter 1898/99 in Breslau und in Köln, 1900 in Berlin, 1901 in Aachen, Dortmund, Frankfurt und Freiburg sowie 1902 in Düsseldorf weitere katholische Bahnhofsmissionen eingerichtet.

„Mit Aufmerksamkeit wurden die katholischen Bestrebungen im Bereich der Jugendfürsorge beobachtet, die 1900 in Berlin ebenfalls zur zaghaften Aufnahme einer eigenen Bahnhofsmissionsarbeit führten.“41

Die Gründung der katholischen Berliner Bahnhofsmission wurde tatkräftig von der evangelischen Bahnhofsmission unterstützt. Die Zusammenarbeit der beiden Konfessionen war also bereits von Beginn an durch gegenseitige Hilfe und Rücksichtnahme geprägt.42

Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 leisteten bereits etwa 34 katholische Bahnhofsmissionen ihren Dienst am Bahnhof.

2.3 Die ersten Schritte zu einer interkonfessionellen Zusammenarbeit

1897 fanden sich die im evangelischen Raum tätigen Verbände bereits zu einer „Kommission der Deutschen Bahnhofsmission“ zusammen und schufen damit einen erster Ansatz für die spätere Herausbildung einer von den Gründungsverbänden relativ unabhängigen, eigenständigen Organisation. Die katholische Bahnhofsmission hingegen blieb immer nur ein Arbeitsfeld des katholischen Mädchenschutzes. Ein eigenes fachliches Konferenzzentrum existierte erst seit 1910.43 Da die Ziele der evangelischen und katholischen Bahnhofsmission trotz der unterschiedlichen, zum Teil sehr stark ausgeprägten konfessionellen Hintergründe identisch waren, wurden bald Stimmen laut, die nach einer Zusammenarbeit riefen. Auf örtlicher Ebene entwickelten sich bereits an einzelnen Bahnstationen eine trägerübergreifende Zusammenarbeit.44

Dennoch stellte sich beide konfessionellen Einrichtungen als eigenständig dar. Es wurden unterschiedliche Armbinden getragen und jeder druckte seine eigenen Plakate.45

In einem Beschwerdebrief an Pastor Burckhardt hieß es, dass wenn man schon christlich arbeiten wolle, man das doch auch gemeinsam tun solle. Darauf hin nahm er den Kontakt zur katholischen Seite auf.46

Bei einem Treffen der evangelischen und katholischen Repräsentanten der Bahnhofsmissionen zum „Nationalkomitee gegen den Mädchenhandel“ in Leipzig 1909 gab es den Anstoß für die spätere gemeinsame Arbeit in der „Interkonfessionellen Kommission für Bahnhofsmission“.

Dort wurde eine engere verbandliche Kooperation vereinbart, die der Festigung der gemeinsamen Interessen in der Bahnhofsarbeit dienen sollte.

Anlässlich der europäischen Konferenz der Bahnhofswerke 1910 in Bern wurde die überregionale Zusammenarbeit der evangelischen und katholischen Bahnhofsmissionen auch in eine institutionelle Form gebracht. Die Geschäfte der hier neu entstandenen „Interkonfessionellen Kommission für Bahnhofsmission“ wurden nun auch von der Geschäftsstelle der evangelischen Bahnhofsmission wahrgenommen, da auf katholischer Seite bisher noch entsprechende Strukturen fehlten.47 So wurden in den Jahren 1910/11, 1915 und 1920 gemeinsame Plakatierungen von der Geschäftsstelle aus organisiert. Bedingt durch den ersten Weltkrieg gab es außer den Plakatierungen jedoch keine weiteren Aktivitäten der Interkonfessionellen Kommission für Bahnhofsmission.48

3. Die Bahnhofsmission und der erste Weltkrieg

3.1 Die Rolle der Bahnhofsmission während des Krieges

Wie auch bei anderen Vereinen und fürsorgerischen Organisationen veränderten der erste Weltkrieg und die nachfolgenden gesellschaftlichen und politischen Veränderungen die Arbeit der Bahnhofsmissionen und deren Trägerverbände.49

In den Kriegsjahren öffnete sich die Bahnhofsmission bereits innerhalb weniger Wochen Arbeitsfeldern, die über die Handlungsmuster des vorbeugenden Mädchenschutzes hinweg reichten. Die Bahnhofsmission wurde in die Kriegsfürsorge eingebunden, was zu einer Akzentverschiebung hin zur Hilfe für Menschen vor Ort führte, da auch die Reisetätigkeit kriegsbedingt stark zurückging. Diese wohlfahrtspflegerische Öffnung für eine breitere fürsorgerische Arbeit am Bahnhof war auch an kleineren Bahnstationen bereits erkennbar.50

Zu Kriegsbeginn leisteten die Bahnhofsmissionen einen deutlich erhöhten Einsatz, der sie an die Grenzen ihrer personellen und organisatorischen Möglichkeiten gehen ließ.51

Zunächst kümmerte man sich um Reisende und Urlauber, die zu Kriegsbeginn in ihre Heimat zurückkehren wollten, aus dem Ausland zurückkehrende Arbeiterinnen, sowie allein in die Heimat reisende Kinder.

Auch in den stellenvermittelnden Büros der Mädchenschutzvereine gab es mehr Arbeit. Viele stellenlos gewordene Mädchen mussten neu vermittelt werden. Da die Kriegswirtschaft und der Frauendienst im Kriege viele Arbeitskräfte absorbierte, wurden diese Vermittlungsdienste jedoch bald ganz eingestellt.52

Im Verlauf des Krieges galt die Arbeit der Bahnhofsmission besonders auch den durch den Krieg wohnungslos und arm gewordenen, den Ausgewiesenen und Flüchtlingen. In einzelnen Orten widmete man die Arbeit besonders intensiv den jungen Munitionsarbeiterinnen. Hier entwickelten sich auf Seiten der katholischen Bahnhofsmission erste Ansätze zu einer von Laien getragenen Seelsorgearbeit.53

Als der Einsatz von Frauen im Kriegstransportwesen zunahm, widmeten sich die Verbände den zum großen Teil noch minderjährigen Frauen indem für sie Zusammenkünfte veranstaltet wurden und indem sie den jungen Frauen in den Räumen der Bahnhofsmission eine gewisse Geborgenheit boten, in die sie sich zurückziehen konnten.54

Während des ersten Weltkrieges vereinheitlichte sich auch die Dienstkleidung der Bahnhofsmissionarinnen. Als während des Krieges Bahnhöfe gesperrt wurden, weil der Reiseverkehr durch die Truppentransporte schwieriger wurde, durften nur noch die Damen der Bahnhofsmission, erkenntlich an ihren weißen Armbinden passieren. Die neuen Arbeitsbedingungen machten es unverzichtbar, dass die Helferinnen der Bahnhofsmission für die Hilfesuchenden erkennbar waren.55

Die Kreigsereignisse trugen dazu bei, die Bemühungen um eine eigenständige verbandliche Struktur zu beschleunigen. So wurde am 14. März 1916 eine Satzung verabschiedet, die die registergerichtliche Eintragung der Kommission Deutsche Bahnhofsmission als „Evangelische Deutsche Bahnhofsmission“ ermöglichte.56 Die Arbeitsweisen und Publikationen der örtlichen Bahnhofsmissionen hatten sich inzwischen viel mehr angeglichen, und eine geschlossenere Organisationsform lag inzwischen nahe.

Der Verein, dem neben dem Verein der Freundinnen junger Mädchen und dem Evangelischen Verband zur Fürsorge für die weibliche Jugend 1916 170 Bahnhofsmissionen angehörten, wollte die verschiedenen evangelischen Vereine und Verbände, die Fürsorgearbeit für reisende junge Mädchen, Frauen und Kinder betrieben, miteinander verbinden. Die von verschiedenen Organisationen betriebene Bahnhofsarbeit sollte nun einheitlich geregelt und gestaltet werden, die gemeinsamen Interessen gefördert werden und Kontakt zu Behörden , Wohlfahrtsvereinen mit ähnlichen Zielen sowie Eisenbahngesellschaften sollte zur Umsetzung der eigenen Ziele aufgenommen werden. Der Verein sollte zudem die Entwicklung der Bahnhofsmission beobachten und dazu Schriften, Statistiken etc. sammeln.57

1931 wurde aus dem Verband der Evangelischen Deutschen Bahnhofsmission, mit Verabschieden einer neuen Satzung 1931 der Reichsverband der Evangelischen Deutschen Bahnhofsmission. Er wurde nicht mehr von den Gründungsverbänden, sondern von den Bahnhofsmissionen selbst getragen, die sich wiederum in Unterverbänden zusammengeschlossen hatten.58

Als Reaktion auf die nicht mehr mögliche Bahnhofsmissionsarbeit in der DDR wurde der Name 1964 erneut geändert. Der Verband der Deutschen Evangelischen Bahnhofsmission war von nun an der Zusammenschluss der Westdeutschen Bahnhofsmissionen.59

„Mit dieser Satzung und den damit verbundenen Festlegungen der verbandlichen Position hatte die Evangelische Deutsche Bahnhofsmission ihre endgültige Eigenständigkeit gefunden, einen entscheidenden Schritt von der „buntgewürfelten“ Ehrenamtlichkeit hin zu moderner wohlfahrtsverbandlicher Arbeit getan und den Weg zu einer kräftigen Entwicklung in der Weimarer Zeit geöffnet.“60

Die katholische Bahnhofsmission und die jüdische Bahnhofshilfe hatten sich als „Schwesterorganisationen“ etabliert, konnten jedoch kein vergleichbares Organisationsmuster vorweisen.61

Katholischerseits war die Bahnhofsmission von Anfang an ein Teilarbeitsbereich zwischen Plazierungs- und Stellenvermittlungsbüros im Rahmen der Mädchenschutzarbeit.62

3.2 Die Bahnhofsmission in der Nachkriegszeit

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges veränderte sich erneut in kürzester Zeit die Situation der Bahnhofsmissionen. So endete z.B. die Arbeit mit Munitionsarbeiterinnen und Zugführerinnen mit dem Ausgang des Krieges.

„Kaum schien sich die politische Lage zwischen 1919 und 1920 für die Bahnhofsmissionen einigermaßen zu stabilisieren, da bedrängten die folgenden Not- und Inflationsjahre vor allem die Arbeit der die Bahnhofsmission finanziell und personell tragenden Verbände“63 Um den Druck neuer Plakate finanzieren zu können, erwirkten die tragenden Verbände Anfang 1923 eine Genehmigung für Bahnhofssammlungen, was jedoch auf Grund der raschen Geldentwertung ein Wettlauf mit der Zeit war.64 Auch 1924 fanden erneut Sammlungen an den Bahnhöfen statt. Damit begann die Tradition einer jährlichen Sammlung am Bahnhof.65

Da die Reisetätigkeit der jungen Stellen suchenden Mädchen durch Grenzschwierigkeiten zwischen den besetzten und unbesetzten Gebieten Deutschlands unterbunden war, wurde die eigentliche Tätigkeit der Bahnhofsmission zeitweise stark behindert. So war die Stellenvermittlung zur fast völligen Untätigkeit gezwungen.66

Die katholische Bahnhofsmission Mainz z.B. wurde zwischen 1920 und 1923 vor allem auf Anmeldung tätig und nur so aufrecht erhalten. Mit Beginn des passiven Widerstandes im Februar 1923 musste sie dann ihre Arbeit ganz einstellen.

1924 konnte jedoch, zusammen mit der evangelischen Bahnhofsmission - wieder eine regelmäßige Arbeit am Bahnhof aufgenommen werden. Durch einen abwechselnden Einsatz von evangelischen und katholischen Kräften konnte so ein täglicher Dienst von 8:00Uhr bis 22:00 Uhr eingerichtet werden.67 Die erst Anfang 1921 wiedereröffnete katholische Bahnhofsmission in Bochum legte ihre Arbeit bereits Ende 1922, als die Besatzung nach Bochum kam und keine Züge mehr fuhren wieder nieder. Die Mitarbeiterinnen der Bahnhofsmission fanden jedoch bald eine neue Aufgabe in der Fürsorge für von den Franzosen arrestierten Eisenbahnern und Beamten.68 Ein Jahr lang sorgten hier evangelische und katholische Bahnhofsmission gemeinsam für die Verpflegung von 1988 Gefangenen.69 Durch die Tätigkeit in der Gefangenenfürsorge gerieten die Mitarbeiter jedoch selbst unter den Verdacht, gegen die französische Besatzung zu arbeiten. Im Oktober 1924 konnte die Bahnhofsmission ihre übliche Tätigkeit dann wieder aufnehmen.70

4. Organisationsentwicklung zwischen den Kriegen

Die Inflationszeit bremste die Organisationsentwicklung der Evangelischen Bahnhofsmission deutlich ab. Ab 1925 trat diese jedoch in eine neue Phase ein. 1927 zog der Verband der Evangelischen Bahnhofsmission in ein eigenes Haus in Berlin-Dahlem und löste sich damit auch räumlich von der Verbandszentrale der Evangelischen weiblichen Jugendverbände.

Auch der Katholische Mädchenschutzverband konnte 1922 ein eigenes deutsches Generalsekreteriat in Freiburg aufbauen und hatte seine schwierigsten Organisationsprobleme überwunden.

Zwar noch stark vom Deutschen Caritasverband abhängig fand er erstmals zu einer einigermaßen gefestigten eigenen Rolle.71

„Die Öffnung der politisch-gesellschaftlichen Strukturen mit der Konstituierung der Weimarer Verfassung gab dann nach dem Krieg den neuen Rahmen für die plurale Struktur der Wohlfahrtspflege in Deutschland. Auch die Bahnhofsmission vollzog den Modernisierungsschritt zu professioneller Wohlfahrtspflege: ehrenamtlich verankert, im Kern des fürsorgerischen Handelns professionell getragen, mischfinanziert aus privaten, kirchlichen, kommunalen und staatlichen Mitteln.“72

Damit etablierte sich die Bahnhofsmission zwischen 1925 und 1927 im Netz der Wohlfahrtspflege. Dies führte zum Höhepunkt der Organisationsentwicklung in den 30er Jahren.73 Auch die Zahl der Bahnhofsmissionen stieg zwischen 1921 und 1936 von 198 auf 362.74

Bereits während des Weltkrieges begannen sich die ersten örtlichen Bahnhofsmissionen in regionalen Verbänden oder Arbeitskonferenzen zu organisieren, was in den 20er Jahren in den meisten Regionen zur Bildung von Regionalverbänden und regionalen Arbeitsgemeinschaften führte.75

[...]


1 Blandow 1998, 8

2 Vgl. Nikles 1994, 17

3 Vgl. Nikles 1994, 17

4 Vgl. Nikles 1994, 18

5 Vgl. Reusch 1988, 28

6 Vgl. Nikles 1994, 19

7 Fliegende Blätter 1878, 256 in Nikles S. 21f

8 Nikles 1994, 22

9 Vgl. Blandow 1994, 12

10 Nikles 1994, 23

11 Vgl. Blandow 1994, 12

12 Nikles 1994, 28

13 Vgl Nikles 1994, 28

14 Vgl. Reusch 1988, 32

15 Vgl. Nikles 1994, 31

16 Vgl. Nikles 1994, 34

17 Vgl. Nikles 1994, 28

18 Nikles 1994, 35

19 Vgl. Nikles 1994, 51

20 Nikles 1994, 51

21 Nikles 1994, 162

22 Vgl. Reusch 1988, 38

23 Vgl. Reusch 1988, 35f

24 Vgl. Reusch 1988, 37

25 Vgl. Nikles 1994, 54f

26 Nikles 1994, 55

27 Vgl. Nikles 1994, 56

28 Nikles 1994, 59

29 Vgl. Nikles 1994, 59

30 Vgl. Nikles 1994, 61

31 Vgl. Nikles 1994, 64

32 Vgl. Nikles 1994, 64

33 Vgl. Nikles 1994, 68

34 Vgl. Reusch 1988, 64f

35 Vgl. Nikles 1994, 42

36 Nikles 1994, 44

37 Vgl. Nikles 1994, 77

38 Nikles 1994, 77

39 Vgl. Nikles 1994, 70

40 Vgl. Nikles 1994, 71

41 Nikles 1994, 58

42 Vgl. Nikles 1994, 76

43 Vgl. Nikles 1994, 88

44 Vgl. Nikles 1994, 90

45 Vgl. Reusch s. 50

46 Vgl. Nikles 1994, 90

47 Vgl. Nikles 1994, 93

48 Vgl. Nikles 1994, 93f

49 Vgl. Nikles 1994, 101

50 Vgl. Nikles 1994, 101

51 Vgl Nikles 1994, 103

52 Vgl. Nikles 1994, 103f

53 Vgl. Nikles 1994, 118

54 Vgl. Nikles 1994, 118

55 Vgl. Nikles 1994, 105ff

56 Vgl. Nikles 1994, 114

57 Vgl. Reusch 1988, 39f

58 Vgl. Reusch 1988, 40

59 Vgl. Reusch 1988, 40f

60 Nikles 1994, 115

61 Vgl. Nikles 1994, 114

62 Vgl. Reusch 1988, 48

63 Nikles 1994, 124

64 Vgl. Nikles 1994, 128ff

65 Vgl. Nikles 1994, 131

66 Vgl. Nikles 1994, 126

67 Vgl. Nikles 1994, 126f

68 Vgl. Nikles 1994, 133

69 Vgl. Nikles 1994, 133

70 Vgl. Nikles 1994, 133

71 Vgl. Nikles 1994, 134

72 Nikles 1994, 101f

73 Vgl. Nikles 1994, 134

74 Vgl. Nikles 1994, 138

75 Vgl. Nikles 1994, 137

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Soziale Hilfeeinrichtungen im Wandel der Zeit. Die Bahnhofsmission
Hochschule
Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe
Note
2,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
77
Katalognummer
V538024
ISBN (eBook)
9783346133854
ISBN (Buch)
9783346133861
Sprache
Deutsch
Schlagworte
soziale, hilfeeinrichtungen, wandel, zeit, bahnhofsmission
Arbeit zitieren
Anna Gathmann (Autor:in), 2009, Soziale Hilfeeinrichtungen im Wandel der Zeit. Die Bahnhofsmission, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/538024

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