Angst. Warum hindert sie Erwachsene daran, medizinische Behandlungen wahrzunehmen?


Bachelorarbeit, 2018

50 Seiten, Note: 2,4


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Methodisches Vorgehen
2.1. Theoretischer Hintergrund
2.2. Begriffsklärungen

3. Angst
3.1. Geschichte der Angst
3.2. Angst und Kultur
3.3. Angst und Religion
3.4. Angst und Philosophie
3.5. Biologie der Angst
3.6. Auswirkungen von Angst

4. Freuds Einfluss
4.1. Psychoanalytische Persönlichkeitstheorie
4.2. Realangst/ Signalangst
4.3. Phobie
4.4. Lerntheoretischer Ansatz

5. Angst vor medizinischen Behandlungen
5.1. Angst vor dem Arzt
5.2. Blut-, Verletzungs- und Spritzenphobie
5.3. Angst vor Schmerzen, Operationen und Narkosen
5.4. Angst vor Keimen und Bakterien
5.5. Selbstwertgef ü hl und Pers ö nlichkeits ä ngste
5.6. Zusammenfassung der medizinischen Betrachtung

6. Erleben im medizinischen und pflegerischen Umfeld
6.1. Erfahrungsberichte
6.2. Auswirkungen auf den medizinischen und pflegerischen Alltag

7. Ergebnisse

8. Schluss 35 Literaturverzeichnis 36 Anhang

Zusammenfassung

Die Evolution bestimmte die Angst zum Partner jedes Menschen. Scheidung oder Trennung ist ausgeschlossen. Die einzige Option ist das tägliche Leben mit ihr und das ist gut so. Denn Angst erfüllt zwei lebenswichtige Funktionen – Schutz und Angriff. Leider entwickelt sich die Menschheit diesbezüglich in eine gefährliche Richtung. Die Literatur zeigt deutlich, dass Angststörungen in den letzten Jahren kontinuierlich zu-nehmen. Demnach hat auch die Angstforschung starkes Interesse erlangt. Bei vielen üben Ängste starken Einfluss auf das persönliche Umfeld aus. Die Folgen sind Beein-trächtigungen und Hemmungen. Dieses Phänomen hat auch Konsequenzen für die Gesundheit. Eine Angststörung führt dazu, dass der Betroffene sein physisches Wohl-befinden vernachlässigt und gefährdet. Im Besonderen werden Arztbesuche und me-dizinische Behandlungen nicht wahrgenommen. Der dabei entstehende psychische Druck lässt den Patienten zusätzlich leiden. Aus diesem Grund vermeidet er Situatio-nen, die Schmerzen verursachen. Nun steht das Individuum vor einem Dilemma. Angst wurde auserwählt das leibliche Wohl zu beschützen. Doch aufgrund von Entwicklung und Fortschritt ist die Grenze verschwommen vor was man beschützt werden muss. Die Vergangenheit hat den Menschen gelehrt, dass Blut und Schmerzen nicht mit dem Leben vereinbar sind. Für die heutige Medizin stellen Blut und Schmerzen aber einen oft notwendigen Weg zur Heilung dar.

Abstract

Evolution ordained anxiety as partner of every human being. Divorce or separation is excluded. The only option is living with it and that is a good thing. For anxiety has two essential functions – conservation and attack. Unfortunately, humanity is developing in a dangerous direction in this regard. Literature clearly shows that anxiety disorders are on the rise in recent years. Anxiety research received much interest accordingly. For many, fears exert a strong influence on the personal environment. The results are impairments and inhibitions. This phenomenon has consequences on health as well. An anxiety disorder causes the person concerned to neglect and endanger his or her physical well-being. In particular, medical consultations and treatments are not taken. The resulting mental pressure leaves the patient in addition to suffering. For this reason he avoids situations that cause pain. Now the individual faces a dilemma. Anxiety was chosen to protect the physical well-being. But due to development and progress, the border is blurred as to what one needs to be protected from. The past has taught man that blood and pain are incompatible with life. However with today’s medicine, blood and pain are often a necessary way to heal.

1. Einleitung

Der Mensch1 hatte von je her Angst. Sie ist das „emotionale Urphänomen menschli-cher Erfahrung“ (Faller & Weiß, 2000, S. 53).

In früheren Zeiten war es die Angst vor Blitz und Donner und anderen Naturereignis-sen, für die Erklärung fehlten. Mit fortschreitender Entwicklung und Wissenssammlung verschwanden diese Angstauslöser.

An ihre Stelle traten Ängste, die sich mit heutigem Wissen nicht so leicht beseitigen lassen. Gegenwärtig ist das erwachsene Individuum gezwungen sich mit Ängsten vor Bakterien, neuen Erkrankungen, Verkehrsunfällen oder auch der Einsamkeit ausei-nander zu setzen. (Vgl. Riemann, 2017, S. 8)

Die „Angst gehört zu den elementarsten Affekten“ (Faller & Weiß, 2000, S. 26) und zählt zu den Primäremotionen. Darwin hat sie auch als Basisreaktionen bezeichnet. Darunter versteht man Emotionen, mit denen ein Mensch evolutionsbedingt zur Welt kommt. „Emotionen sind für den Menschen überlebenswichtig, da er damit nicht nur seine eigene Situation, sondern auch seine Umwelt blitzschnell bewerten und einord-nen kann“ (Kreddig & Karimi, 2013, S. 15). Man Bezeichnet dies auch als Instinkte. Laut Kreddig und Karimi (2013, S. 94) wird diese angeborene Bereitschaft als „Pre-paredness“ (vorbereitet sein) bezeichnet. Es handelt sich daher um eine „biologisch sinnvolle Reaktion mit hohem Überlebenswert“ (Becker, E., 2011, S. 7). Diese Eigen-schaft der Aktivierung bei drohender Gefahr ist jedem Lebewesen zu eigen und löst ebenso ähnliche körperliche Reaktionen bei Menschen und Tieren aus.

Die Gefahren haben sich verändert und das ursprüngliche Warnsignal hat versucht sich im gleichen Rahmen anzupassen. Es ist allgegenwärtig: beim Überqueren einer Straße, in der Dunkelheit und aber ebenso bei einer Konfrontation mit medizinischen Maßnahmen.

In Bezug auf medizinische Behandlungen kommt Angst in den verschiedensten Situa-tionen zum Tragen. Es ist dabei irrelevant, ob es sich um Vorsorge-, Kontroll- oder Routinemaßnahmen handelt. Ebenfalls spielt es kaum eine Rolle, ob man sich in einer stationären oder ambulanten Umgebung befindet. Woher also diese Angst vor einem System, dass sich der Früherkennung und somit Vermeidung von Erkrankungen wid-met, mit dem Ziel Gesundheit zu fördern, wiederherzustellen und auch zu erhalten?

Medizinisches und pflegerisches Personal wird täglich mit diesem Phänomen konfron-tiert. Die Betroffenen erzählen im intimen und geschützten Umfeld von ihren Erlebnis-sen und Erfahrungen. In diesem Zusammenhang sprechen sie zudem auch über ihre Ängste.

Laut Lohfert gehören Krankenhausaufenthalte zu den intensivsten Erfahrungen eines Menschen. Sie stellen eine Ausnahmesituation dar, sind meist angstbesetzt und akti-vieren daher bei jedem unterschiedliche Erregungsmuster. Häufig verbinden Men-schen das Krankenhaus mit Gefahr und dafür verfügen sie evolutionsbedingt über Denkmuster, die ihnen Gefahr signalisieren. Diese Warnsignale haben die Menschheit vor dem Untergang bewahrt. "Verlassen uns das Gefühl für Gefahr und die Angst, sind wir tot, noch bevor wir die Straße überquert haben." Angstforscher bezeichnen diese Verhaltensweisen als Standardreaktionen: Flucht, Angriff oder "Totstellen". Menschen neigen oft dazu das "Totstellen" zu bevorzugen und wenden sich ab, um mit ihrer Angst umzugehen. (Vgl. Lohfert, 2013, S. 62 ff.)

Typischerweise zeigt sich Angst nach außen meistens als Angriffs- oder Fluchtreaktion dar. Jedoch handelt es sich dabei lediglich um Vermeidungsmechanismen. Der nega­tive Aspekt dabei ist jedoch, wurde einmal gelernt zu fürchten oder zu vermeiden, so wird diese Reaktion in dieser Situation immer wieder auftreten. (Vgl. Becker, E., 2011, S. 18)

2. Methodisches Vorgehen

2.1. Theoretischer Hintergrund

Das Thema Angst wird in der Antike erstmals erwähnt. In den darauffolgenden Jahr-hunderten setzten sich die Philosophie, Religion sowie Kunst und Kultur intensiv damit auseinander.

Die Ängste haben sich mit Fortschreiten der Entwicklung verändert und die Angstfor-schung gewann stetig an Bedeutung. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat es unzählige Veröffentlichungen zur Angst-, Emotions- und Stressforschung gegeben. Obwohl es sich hierbei um ein weltweites Phänomen handelt, begrenzt es sich in der folgenden Arbeit auf den deutschsprachigen Raum. Gründe für dieses hohe Interesse in Forschung und Wissenschaft sind zum einen die Vielzahl an aktueller Fachliteratur und zum anderen die Tatsache, dass Angststörungen in Kombination mit medizini-schen Behandlungen und Maßnahmen kontinuierlich zunehmen. Laut einer Studie von 2009, sind mehr als 10% der Bevölkerung davon betroffen (vgl. Statista, 2009). Die Einzelheiten des Themas sind anhand einer Literaturrecherche herausgearbeitet. Verwendet werden Fachbücher, die das Thema Angst von allen Facetten beleuchten. Des Weiteren werden die Literaturdatenbanken hinzugezogen, die überwiegend me-dizinische, pflegerische und psychiatrische Phänomene zum Inhalt haben. Verwendet werden sowohl Artikel in Druckform, als auch digitale aus Zeitungen und Fachjourna-len genutzt. Ergänzt werden diese Informationen durch das Fachwissen von Experten aus dem Bereich Angstforschung. Es wurde versucht mit sechs deutschen Professo-ren telefonisch und digital Kontakt aufzunehmen, die zu diesem Thema geforscht und publiziert haben. Zwei von ihnen meldeten sich auf die Anfrage. Es fand ein digitaler Austausch statt, da die Zeit für persönliche und telefonische Inter­views nicht gegeben war. Dieser Austausch, sowie eine kurze Zusammenfassung zu den Lebensläufen, befindet sich im Anhang.

Hintergrund der Kommunikation ist es, Anhaltspunkte zu erhalten, worauf die Angst vor medizinischen Maßnahmen und Behandlungen basiert. Unter diesem Aspekt wird das Thema Angst bearbeitet und analysiert sowie eine Verbindung zum medizinischen und pflegerischen Bereich gezogen.

Die folgende Arbeite zielt auf einen Zusammenhang zwischen dem Phänomen Angst und dem medizinisch-pflegerischen Milieu ab. Ebenso geht es um eine Einschätzung, welche Konsequenzen langfristig aus diesem Problem entstehen.

Schwerpunkt liegt auf der Ursachenforschung, nicht auf der Diagnostik und Therapie. Daher sind Konzepte und Modelle zur Erfassung, Berechnung und Bewältigung dieser Problematik sowie die unterschiedlichen Angsttheorien bewusst nicht aufgegriffen wor-den.

2.2. Begriffskl ä rungen

Erwachsener

Das Erwachsenenalter wird in verschiedene Abschnitte eingeteilt. Freund und Kritin haben Kriterien zusammengetragen, die erfüllt sein müssen, um als „Erwachsen“ an-erkannt zu werden.

Eine Grundvoraussetzung ist die Volljährigkeit vor dem Gesetz, die in den meisten Ländern mit Erreichen des 18. Lebensjahres (in den USA mit 21 Jahren) in Kraft tritt. In den westlichen Kulturkreisen ist ein weiterer Aspekt die finanzielle und emotionale Unabhängigkeit von den Eltern. Man strebt nach Autonomie, die durch den Eintritt in das Berufsleben und die eigene Familiengründung zusätzlich unterstützt wird. (Vgl. Freund & Nikitin, 2012, S. 260 f.)

Emotion

Wie bereits erwähnt, gibt es „menschliche, in der Evolution verankerte“ (Holodynski & Oerter, 2011, S. 498) sogenannte Basisemotionen. Dazu gehören neben Angst auch Freude, Trauer, Wut, Furcht, Ekel und Überraschung. In Anlehnung an Darwin haben Holodynski und Oerter (2011, S. 498) zwei grundsätzliche Aussagen getroffen. Zum einen sind diese Basis- oder Primärreaktionen in allen Kulturen gleich verankert und werden auch in ähnlicher Weise dargestellt. Zum anderen ist ein Teil des emotionalen Ausdrucks bei anderen Säugetieren ebenso vorhanden.

Kreddig und Karimi (2013, S. 90) verstehen unter einer Emotion den „aktuellen psy-chischen Zustand einer Person“. Sie beziehen sich damit auf die aktuelle emotionale Verfassung, man könnte auch aktuelle Stimmung dazu sagen.

Angst

Für die Beschreibung von Angst oder Furcht wurden verschiedene Erklärungen be-nutzt, um die Differenzen, die unter den Fachexperten diesbezüglich herrschen, zu verdeutlichen.

Freud, der als Urvater der Angsttheorie bezeichnet wird, erklärt dieses Phänomen fol-gendermaßen.

„Angst ist die Reaktion auf die Gefahrsituation; sie wird dadurch erspart, daß das Ich etwas tut, um die Situation zu vermeiden oder sich ihr zu entziehen“. (Freud, 1978, S. 43)

„Gerade weil die Angst eine biologisch unentbehrliche Funktion zu erfüllen hat, als Reaktion auf den Zustand der Gefahr, mag sie bei verschiedenen Lebewesen auf ver-schiedene Art eingerichtet worden sein.“ (Freud, 1978, S. 47)

Für ihn ist die Angst geprägt durch Objektlosigkeit und wird zur Furcht sobald sie ein Ziel gefunden hat (vgl. Freud, 1978, S. 75).

Eine neuere Betrachtung nach Epstein besagt, dass Angst entsteht, wenn eine Person in einer als bedrohlich empfundenen Situation nicht angemessen reagieren kann (Epstein zitiert in Krohne, 1996, S. 8).

Seine Beschreibung ist der von Freud nicht unähnlich. Er beschränkt sich jedoch nicht nur lediglich auf die Reaktion des Ich.

Euler und Mandl betrachten Furcht hingegen als einen Spezialfall der Angst (1983, S. 147).

Eine gute Beschreibung geben Hackfort und Schwenkmezger 1985: „Angst ist eine kognitive, emotionale und körperliche Reaktion auf eine Gefahrensituation bzw. auf die Erwartung einer Gefahren- oder Bedrohungssituation. Als kognitive Merkmale sind subjektive Bewertungsprozesse und auf die eigene Person bezogene Gedanken an-zuführen. Emotionales Merkmal ist die als unangenehm erlebte Erregung, die sich auch in physiologischen Veränderungen manifestieren und mit Verhaltensänderungen einhergehen kann“ (Hackfort & Schwenkmezger zitiert in Sörensen, 1993, S. 3).

Diese Erklärung beschreibt das Phänomen Angst umfassend und ist sehr passend für Angst im Zusammenhang mit medizinischen Behandlungen. Sie deckt die verschiede-nen Facetten und Probleme ab, die ein Betroffener während der Angstreaktion und in der Angstsymptomatik empfindet. Zusätzlich werden physiologische und psychologi-sche Veränderungen aufgegriffen, die mit diesem emotionalen Gefühlsmuster einher-gehen.

Es zeigt sich, dass die Beschreibungen von Angst sehr verschieden sind. Außerdem ist eine generelle Unterscheidung zwischen Angst und Furcht eher schwierig2. Dies belegen bereits die aufgeführten Erklärungen von diversen Experten. Es gibt noch un-zählige Definitionen dieser Art, die zu der Überlegung führten, wie zweckmäßig eine Begriffstrennung ist.

Seit mehr als 30 Jahren diskutieren Angstforscher darüber, dass es nicht sinnvoll ist zwischen Furcht- und Angstzuständen zu unterscheiden. Vielmehr sind diese Worte als Synonyme zu betrachten. (Vgl. Becker, P., 1980, S. 17)

3. Angst

Wie bereits erwähnt stellt die Angst ein Gefahrensignal dar. Dabei ist es bedeutungs-los, ob eine reale Angst vorliegt oder sie lediglich in der Fantasie des erwachsenen Individuums existiert. Diese nicht reale Furcht entspringt einer bewussten oder unbe-wussten Vorstellung. (Vgl. Flöttmann, 2015, S. 15) Die Trennung dieser beiden Ängste ist nicht immer eindeutig möglich und Flöttmann (2015, S. 16) vertritt die Meinung, dass eine Differenzierung mit Voranschreiten der technischen Entwicklungen zuse-hends komplexer wird.

Die Technik an sich stellt eine der großen Ängste des aktuellen Zeitalters dar. Ein wichtiger Aspekt dieser Epoche ist, dass die Menschen ihre Ängste erstmals selbst geschaffen haben, weil man sich getrieben sieht, stets neue Methoden und Techniken zu entwickeln, die das Leben vereinfachen oder gar verlängern. (Vgl. Fabian, 2013, S. 11)

Anhand der eingehenden Literatur und Expertenmeinungen kann man nun folgende Unterscheidungen vornehmen: generalisierte Angststörung, Panikstörung, Phobie, Realangst oder situative Angst.3

Die Bedrohung, die von medizinischen Behandlungen ausgeht, lässt sich der Real-angst oder der situativen Angst zuschreiben. Freud bezeichnet diese auch als Signal-angst.

In diesem Fall existiert ein konkreter Auslöser, der Furcht in unterschiedlich starker Ausprägung und Intensität entstehen lässt. Ausgelöst wird diese Angst, „wenn das Ich Umweltvorgänge wahrnimmt, die eine Beeinträchtigung des Organismus erwarten las-sen“ (Krohne, 1996, S. 158).

Laut Riemann (2017, S. 18) beginnt ein Erwachsener sich zu fürchten, sobald inner-seelische Erlebnisse und Prozesse eine Toleranzgrenze überschreiten.

Wenn ein Erwachsener Angst empfindet, ist es nicht selten der Fall, dass dem trau-matische Erfahrungen oder Erinnerungen aus der Kindheit voraus gehen (vgl. Ebrecht-Laermann, 2014, S. 11) Es spielt dabei keine Rolle, ob diese negativen Situationen den Heranwachsenden direkt betroffen haben oder lediglich indirekt mit ihm zu tun hatten. Allerdings werden Ängste nicht ausschließlich durch Kindheitserinnerungen Es ist nicht Inhalt der Arbeit, ab wann man Angst als pathologisch bezeichnen kann. bestimmt. Vielmehr bilden sich ein Großteil der Ängste im Erwachsenenalter heraus, da man stets mit ihnen konfrontiert wird. Es handelt sich hierbei um komplexe Gefühls-und Verhaltensmuster. Eine Analyse und Therapie gestaltet sich oft schwierig, da der Auslöser der Angstreaktion nicht unbedingt ursächlich in der Sache begründet ist, vor der man Angst entwickelt hat.

3.1. Geschichte der Angst

„Jedes Zeitalter hatte seine Ängste, die mit der besonderen Geschichte der Zeit ver-bunden waren“ (Fabian, 2012, S. 17).

Früher fürchteten die Menschen Naturphänomene, für die sie keine Erklärung hatten. Heutzutage hat die Menschheit durch Modernisierung und Technisierung neue furcht-einflößende Situationen und Erlebnisse selbst kreiert.

Erstmals wurde die Angst im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnt. Hippokrates, der Begrün-der der Medizin als Wissenschaft, deklariert sie zu einem biologischen und medizini-schen Problem, das bedingt wird durch den Ausfluss von Galle. (Vgl. Die Welt online, 2015).

In der Antike ging man davon aus, dass Angst als Begleiterscheinung bei einem ratio­nal handelnden Wesen immer mit der Vernunft konformgeht (vgl. Euler & Mandl, 1983, S. 16). Heute scheinen diese beiden Bereiche auseinander zu driften.

Krohne (1996, S. 3) erklärt in seinem Werk, dass die Angstforschung an sich eher noch jung im Bereich der normalpsychologischen sowie psychopathologischen Forschung und Praxis ist, obwohl die Furcht so alt ist, wie die Menschheit selbst und als ständiger Begleiter bereits in der römischen Antike schriftlich erwähnt wurde. Dieser For-schungszweig hat seit dem Ende des zweiten Weltkriegs einen starken Aufschwung erlebt.

Der Grundstein wurde von Sigmund Freud im Bereich der Psychoanalyse gelegt, in dem er zum Ende des 19. Jahrhunderts seine Angsttheorien entwickelte. Zeitgleich rückte auch die Emotionspsychologie ins Interesse der Forscher.

Die Menschheit hat immer wieder versucht ihre Ängste zu bekämpfen nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart. Denn die Ängste „existier[en] unab- hängig vom jeweiligen Zeitgeist und Entwicklungsstand eines Landes“ (Richter, 2007, S. 10).

Dieser Wandel findet stets aufs Neue statt. Früher empfand man Naturschauspiele als böse Omen, in der heutigen Zeit werden sie bewundert. Viele Menschen haben aktuell Angst vor Keimen und Bakterien, vor einigen Hundert Jahren wusste man davon noch nichts. Und wiederum in 100 Jahren wird die zukünf- tige Zivilisation heutige Ängste als banal abtun.

3.2. Angst und Kultur

Unter Kultur kann man alles vom Menschen Geschaffene verstehen, das ihn umgibt (vgl. Poppe [e-Book], 2017, S. 98). Sie scheint ein großer Faktor zu sein bei der Ent-stehung von Ängsten (vgl. Poppe [e-Book], 2017, S. 102).

Der Mensch hat sich von seinen tierischen Instinkten weg entwickelt, um in allen Le-bensbereichen voranzukommen. Im Klartext bedeutet das, er hat seine angeborenen Warn- und Schutzmechanismen gegen höhere Intelligenz eingetauscht. Dabei ist die Urangst sein eigen. Sie resultiert aus vier Aspekten. Zum einen ist man sich stets sei­nes Todes bewusst. Zum anderen ist die Trennungs- und Reifungszeit in Kindheit und Jugend sehr lang. Zusätzlich ist das soziale Gefühl in der Zivilisation geschwächt. Au-ßerdem ist der Mensch instinktmäßig nicht ausreichend programmiert. (Vgl. Fabian, 2013, S. 30)

„In patriarchischen Kulturen gilt Angst als feige“ (Fabian, 2013, S.31). Es wird offen-sichtlich als Schande empfunden zuzugeben, dass man Angst hat. Wobei sich diese Tatsache ausschließlich auf die Männer bezieht. Diese Denkweise, wird meist bereits in der Erziehung geprägt. Erst seit dem 20. Jahrhundert scheint sich langsam ein Wan-del dieses Denkens durchzusetzen.

Angstempfinden wird immer mitbestimmt durch die eigenen Anlagen und die Umwelt-einflüsse, welchen ein Erwachsener unterliegt. Familie und Gesellschaft repräsentie-ren demnach einen großen Einflussfaktor. (Vgl. Riemann, 2017, S. 18) Man übernimmt somit bereits als Kind Ängste aus seiner Umgebung, die sich erst Angst und Religion später manifestieren. Zusätzlich entwickeln sich Ängste weiter und es können ebenso stets neue auftauchen, je nachdem in welchem Umfeld man sich bewegt.

Es ist eines der prägnantesten Themen, mit denen sich Kunst und Kultur auseinander-setzen, als ständiger Begleiter jedes Lebewesens. Das Bild von Edvard Munch „Der Schrei“ oder Kafkas Prosa zeigen sehr deutlich das gesellschaftliche Interesse an der Angst.

Es verbirgt sich darin ein nicht zu vernachlässigendes Angstpotential, denn es fließt jede gesellschaftliche oder technologische Änderung in die Kultur mit ein (vgl. Poppe [e-Book], 2017, S. 104). Das ist auch ein entscheidender Aspekt bei der Entwicklung und Nutzung technischen Fortschritts in der Medizin.

Das Auftreten von Angst ist unabhängig von Kultur und dem Entwicklungsniveau, es ändern sich jeweils nur die entsprechenden Objekte und Situation, die angstauslösend sind (vgl. Riemann, 2017, S. 8).

3.3. Angst und Religion

In früheren Zeiten fanden die Menschen ausschließlich Rettung durch die Götter. Zu einer Zeit, als man sich vor Blitz und Donner fürchtete, schien es auch plausibel zum Donnergott zu beten, um auf diese Weise die eigene Angst im Zaum zu halten. Später suchte man Trost und Hoffnung bei nur einem Gott, dem Allmächtigen. Die Intention dahinter blieb allerdings unverändert.

In westlichen Kulturen scheint ein Wandel in der Neuzeit statt zu finden. Der Fortschritt in Wissenschaft, Technik und Medizin geht offenbar mit einer Abschwächung des Glaubens einher. Dieser Verlust hat eine Zunahme von Ängsten verursacht. Viele Ex-perten sprechen daher vom „Zeitalter der Angst“ (vgl. Richter, 2007, S. 10). Diese Tatsache begründet sich darin, dass der moderne Mensch zwischen Hoffnung und Zweifel hin- und hergerissen ist. Die Hoffnung ist der Menschheit über die Zeitalter erhalten geblieben, jedoch hat sich die Selbstverständlichkeit des Glaubens nicht be-wahrt, der vor jedem Unheil schützen sollte. (Vgl. Fabian, 2012, S. 61)

Den Ausdruck „Zeitalter der Angst“ kann man auf verschiedene Ursachen zurückfüh-ren. Professor Köllner hat sie in seinem Vortrag am „Tag der Allgemeinmedizin“ sehr Angst und Philosophie treffend zusammengefasst (vgl. Köllner, 2012). Noch nie zuvor sind so viele Menschen gesund alt geworden. Zudem waren Anforde-rungen an die einzelne Person zu keiner Zeit komplexer. In der ganzen Welt können Katastrophen live mitverfolgt werden und das täglich. Zusätzlich wird das Ganze be-günstigt durch den Verfall von Bindungen, infolge des Verlustes von Werten und fami-liären Strukturen. Es entstand ein Zwiespalt. Zum einen wird der Bevölkerung eine relativ hohe „objektive Sicherheit“ vermittelt, zum anderen ein immerwährendes Angst-gefühl. (Vgl. Köllner, 2012)

3.4. Angst und Philosophie

Der vernunftorientierte Mensch beschäftigt sich aufgrund des ihm eigenen Bewusst-seins seit den Anfängen seiner Geschichte mit dem Thema Angst. Die Gelehrten im alten Rom haben der Furcht jedoch kaum Bedeutung beigemessen, reihte sie sich doch unter „allen anderen menschlichen Übeln“ (Fabian, 2013, S. 42) ein. Sie wird als Folge von Lust und Begierden gesehen, die den aufrichtigen, tugend-haften Menschen allerdings nicht überwältigen darf (vgl. Fabian, 2012, S. 55). Die griechischen und römischen Philosophen verliehen ihr lediglich Bedeutung, wenn es um deren Zähmung oder die Besänftigung der Götter ging (vgl. Fabian, 2012, S. 55). In der Antike wurde ein Held schließlich darüber glorifiziert, dass er Angst zwar empfindet, sie jedoch gleichermaßen überwindet.

Die Philosophie des Mittelalters und damit das Thema Angst in dieser Zeit ist geprägt von Religion, Glauben, dem Weg nach Läuterung und Selbstaufgabe. Dieser Zustand entwickelte sich durch eine ständige Konfrontation mit dem Tod. Be-einflusst wurde er aufgrund einer kurzen Lebenserwartung der Menschen, wie sie durch Krankheiten, Seuchen, Lebensumstände und die hygienischen Verhältnisse be-stimmt worden sind.

In der Renaissance stand man der Furcht sehr aufgeklärt gegenüber und betrachtete sie folgendermaßen: „Die Angst ist an bestimmte Situationen, Haltungen und Verar-beitungen gebunden und wird als Teil der Ethik im Rahmen einer als kosmisch geord-net interpretierten Welt gesehen“ (Richter, 2007, S. 42). Diese Weltvernunft hat bis zum Ende des 18. Jahrhunderts überlebt. Zu der Zeit entwickelte sich eine zunehmende Unsicherheit, bedingt durch eine Vielzahl an sozia-len, wirtschaftlichen und politischen Problemen. Die Vernunft als tragendes Prinzip verlor sich zu dieser Zeit. Ursächlich war, dass Teile der Welt nicht mehr als vernünftig und realistisch wahrgenommen wurden, aufgrund dessen wurde sie zu einem unheim-lichen, bedrohlichen und chaotischen Ort. So wurde die „Ungeborgenheit“ und die Angst vor dem Verlust des Geordneten zu einem zentralen philosophischen Thema. (Vgl. Richter, 2007, S. 42)

In Europa setzte man sich erst im 19.Jahrhundert mit dem Thema Frucht auseinander. Ausgelöst wurde dies durch Søren Kierkegaard, der Angst als das Zentrum menschli-cher Existenz definierte (Kierkegaard zitiert in Fabian, 2012, S. 57). Anschließend er-klärten Dichter und Schriftsteller es zu einem der beliebtesten Themen, so auch Kafka und Baudelaire.

Die Angst wird aufgrund der bereits genannten „chaotischen Natur“ vordergründig im Bereich der Existenzphilosophie verortet. Die Existenzialisten haben die Angst als „Grundtatbestand des Daseins“ (Fabian, 2012, S. 59) weiterentwickelt und zu ihrem zentralen Anliegen gemacht. Sie konzentrieren sich auf das Wesen der Angst und nicht auf Ursachen oder Bedingungen (vgl. Kraus, 2000, S. 28).

3.5. Biologie der Angst

Die Angstreaktion wird in unserem Gehirn durch eine potenziell gefährliche Situation ausgelöst. Der Sehnerv nimmt die Situation visuell auf und leitet sie an den Nervus Sympathikus weiter. Die aufgenommenen Informationen aus den inneren und äußeren Quellen werden hier interpretiert. Sofern keine Gefahr droht, wird das unterbrochene Verhalten wiederaufgenommen. (Vgl. Richter, 2007, S. 14)

Wenn es sich um eine angstauslösende Information handelt, wird die Amygdala akti-viert. (Vgl. Poppe [e-Book], 2017, S. 140 ff.)

Es treten vier verschiedene Reaktionen auf. Zuerst erfolgt ein rasches und globales Absuchen (Scanning) einer potentiell bedrohlichen Situation in der Umgebung. Dafür sind zahlreiche schnelle Augenbewegungen über das gesamte visuelle Feld nötig. An­schließend wendet sich die selektive Aufmerksamkeit dem bedrohlichen Stimulus zu und fokussiert sich darauf. (Vgl. Eysenck zitiert in Richter, 2007, S. 14)

Zur Abklärung einer Bedrohung erfolgt die Weiterleitung der Informationen an den Tha-lamus. Seine Aufgabe ist die Filterung und die Klärung der Bedeutung. Um diese Ein-schätzung vornehmen zu können, werden die Sinnesinformationen zum Hippocam­pus, der Gedächtniszentrale, geschickt. Dort ist alles gespeichert, was der Mensch schon einmal gesehen hat und ebenso die entsprechenden Reaktionen bzw. Verhal-tensweisen dazu. Er vergleicht eine Situation oder einen Reiz mit bereits erlebten Er-fahrungen und Erinnerungen und nimmt eine Beurteilung der Bedrohung vor und re-guliert die Priorität. Daraufhin wird ein Impuls an den Hirnstamm gesendet, damit die-ser den Körper auf Flucht oder Angriff vorbereiten kann. (Vgl. Die Welt online, 2015) Bei einer akuten Gefahrensituation erfolgt eine Aktivierung des sympathischen Ner-vensystems. Zum einen treten biochemisch endokrine Prozesse auf, die für die Frei-setzung von Adrenalin und Kortikosteroiden aus den Nebennieren sorgen. Darüber hinaus treten zentralnervöse Prozesse auf, die die Angstintensität registrieren. (Vgl. Becker, P., 1980, S. 22 f.)

Infolgedessen erhöht sich die Aktionsfähigkeit des Körpers. Die Herztätigkeit und der Blutdruck steigern sich, was zu einer besseren Durchblutung der Muskulatur führt. Zu-sätzlich erhöht sich das Sichtfeld. Dieser ganze Prozess läuft in wenigen Sekunden ab.

Die Erregungsleitung im Gehirn ist ein sehr komplexes Wechselspiel. Hunderte von erregenden und hemmenden Impulsen werden von einer Nervenzelle empfangen. (vgl. Poppe [e-Book], 2017, S.31 )

Becker (vgl. Becker, P., 1980, S. 29 f.) nimmt eine Unterscheidung für die Indikatoren von Angstzuständen vor und zwar in die Bedrohung des physischen und des psycho-sozialen Wohlbefindens.

Hoffmann hat drei Faktoren der Entstehung von Ängsten bestimmt. Dabei handelt es sich um die Hintergrundpersönlichkeit, die mit genetischen, konstitutionellen und struk-turellen Anteilen geprägt ist. Weiterhin stellt die jeweilige Biografie mit ihrer Entwick-lung, Traumatisierungen, Identifizierungen und nicht zuletzt dem sozialen Milieu eine entscheidende Rolle dar. Schlussendlich die aktuelle Situation mit dem konkreten Al­ter, dem körperlichen Zustand, der aktuellen Stimmung, der Art der Bedrohung und der Konfliktaktualisierung. (Vgl. Hoffmann, 2011, S. 215)

Eine Angstreaktion geht zumeist mit einer Verzerrung der Wahrnehmung einher. Das bedeutet eine Situation (Arztbesuch) oder ein Objekt (Arztpraxis oder Krankenhaus) Auswirkungen von Angst werden als weitaus schlimmer oder größer wahrgenommen. (Vgl. Poppe [e-Book], 2017, S. 160) Angst stellt daher eine physiologische Emotion dar, die die Motivation zur Flucht steu-ert , genauer gesagt dem Fluchtreflex oder der Verhaltensvermeidung (vgl. Aigner, 2011).

Für Außenstehende ist es nicht immer erkennbar, ob jemand ängstlich reagiert. Es gibt jedoch bei allen gleiche Anzeichen autonomer Erregung, darunter zählen Muskelzit-tern, feuchte Hände, beschleunigte Atmung und andere. Die Angstrektion lässt sich allerdings auf verschiedenen Ebenen erfassen: in der sprachlichen Mitteilung, der kör-perlichen Erregung, dem offenen Verhalten und dem Ausdruck. (Vgl. Euler & Mandl, 1983, S. 149)

3.6. Auswirkungen von Angst

Viele geläufige Redewendungen haben Angst zum Thema oder resultieren daraus: „Vor Angst stehen die Haare zu Berge“, „vor Angst schlägt das Herz bis zum Hals“ aber auch „vor Angst völlig starr werden“ – um nur ein paar Beispiele anzuführen. Diese Aussagen beinhalten viel Wahres, dass man physiologisch sowohl bei Men-schen als auch bei Tieren in einer akuten Gefahrensituation beobachten kann. So kommt es dazu, dass in einer Bedrohungssituation sich vor Schreck die Haare aufstel-len. Bedingt ist diese Reaktion durch die auftretende Erregung zu diesem Zeitpunkt, welche in Verbindung mit einem beschleunigten Herzschlag steht, bei dem das Herz „bis zum Hals“ schlägt, um den Körper für die Flucht- oder Angriffsreaktion zu mobili-sieren. Schließlich gibt es noch den Aspekt des erstarrten Körpers, die sogenannte Schreckstarre.

Das Empfinden von Furcht geht mit Funktionsveränderungen von Kopf (Verstand) und Körper einher, ebenso mit einem veränderten Verhalten. Je nachdem wie lang diese Veränderungen anhalten, kann dadurch ein gesundheitsschädliches, im schlimmsten Falle, krankhaftes Verhalten entstehen. Auf diese Weise lässt sich auch erklären, wa-rum ein Mensch, wenn er sich fürchtet, keine vernunftorientierte Entscheidung treffen kann. Auswirkungen von Angst Unter typischen körperlichen Funktionen versteht man Schwindel und innere Unruhe. Einige verspüren ein Engegefühl im Hals, sodass vor Angst ihre Kehle wie zugeschnürt wirkt. Es treten Schweißausbrüche auf, Zittern in den Gliedern und Muskelkrämpfe. Beschwerden beim Atmen, mit dem Herzen und dem Magen sind nichts Ungewöhnli-ches. Flöttmann (2015, S. 25) nennt dieselben Symptome, wie sie Freud 1895 erst-mals erwähnte. Bei vielen Menschen treten diese Reaktionen auf, wenn eine medizi-nische Untersuchung oder Behandlung bevorsteht.

Das Verhalten des Körpers auf diese Veränderungen ist entweder Angriff oder Flucht. Ersteres ist nicht immer eindeutig zu erkennen. Zumeist versucht der Betroffene durch andere Emotionen die Situation zu überspielen. Menschen reagieren wütend, zornig oder sogar aggressiv, weil sie nicht in der Lage sind anders mit ihren Ängsten umzu-gehen. (Vgl. Flöttmann, 2015, S. 26)

Bei der Flucht handelt es sich um eine Vermeidungsstrategie. Sie verfolgt das Ziel sich der angstauslösenden Situation so weit und lange wie möglich zu entziehen (vgl. Flött-mann, 2015, S. 26). Dieser Fluchtimpuls führt jedoch lediglich dazu, sich selbst und die eigenen Gefühle zu verstecken (vgl. Ebrecht-Laermann, 2014, S. 10). Freud (1978, S. 59) stellt es vereinfacht dar: „Die Raumdistanz zwischen uns und dem Drohenden zu vergrößern“.

Dieses phlegmatische Verhalten ist gefährlich, weil es dazu führt, dass Angst sich aus-breitet und es zur Beeinflussung von intakten, funktionierenden Bereichen kommt. Bei vielen Erwachsenen bewirkt es schließlich die Angst vor der Angst und sie finden sich in einer Negativspirale wieder, die Auswirkungen auf das alltägliche Denken und Han-deln hat. (Vgl. Flöttmann, 2015, S. 57)

Sobald einmal eine angstauslösende Situation gemieden wurde, wird diese Reaktions-kette immer wieder ausgelöst, da das Gehirn automatisch die Verbindung herstellt zwi-schen den Angstsymptomen und dem Fluchtreflex (vgl. Bandelow [e-Book], 2013, Po-sition4 241).

Aufgrund dieser Verknüpfung wird der eigene Wille gelähmt, denn die Handlung ist bestimmt durch die Angstreaktion. Das ganze Streben des Organismus ist auf eine Flucht aus der bedrohlichen Lage ausgelegt. Daher verfallen logische Denkprozesse in eine gewisse Passivität und überlassen die Kontrolle dem Überlebensinstinkt.

4. Freuds Einfluss

4.1. Psychoanalytische Pers ö nlichkeitstheorie

In Übereinstimmung mit den Grenzen des Themas folgt eine stark vereinfachte Zu-sammenfassung von Freuds Darstellung über Es, Ich und Über-Ich unter zuhilfenahme von Flammer (2009, S. 77 ff.).

Das Es steht für alles, was durch Evolution und Geburt weitergegeben oder auch ver-erbt wird. Es ist aufgebaut durch innere Spannungen, die immer wieder nach Entla-dung streben, jedoch nicht als bewusst wahrgenommen werden. Das Es repräsentiert die Leidenschaft (vgl. Freud* [e-Book], 2017, Position 184).

Das Ich ist des Menschen bewusstes Regulierungssytem. Es repräsentiert Vernunft und Besonnenheit (vgl. Freud* [e-Book], 2017, Position 183), nimmt die Reize aus der Umwelt auf und verarbeitet diese. Somit ist es der Bereich, in dem aufgrund der Kon-frontation von Realität mit den Spannungen des Es Konflikte entstehen . Freud hat de-ren Beziehung sehr passend mit Pferd und Reiter verglichen: Das Pferd (Es) liefert die Energie für die Bewegung, während der Reiter (Ich) den Weg besser gesagt die Rich-tung der Entladung steuert. (Vgl. Freud* [e-Book], 2017, Position 196) Das Ich reagiert in dieser Konfliktsituation mit Angst und beschreibt somit nach Freud den Ort, an dem die Angst des Menschen entsteht. Sie manifestiert sich im Es. Jedoch erklärt Freud in einem seiner späteren Werke, dass man Ich und Es nicht klar voneinander trennen kann, da die beiden oft zusammenhängen . Er benennt das Ich als Teil des Es, das von der Außenwelt verändert wurde. Der gra-vierende Unterschied zwischen diesen beiden Instanzen ist, dass das Ich vom Reali-tätsprinzip geleitet wird, während das Es dem Lustprinzip folgt. (Vgl. Freud* [e-Book], 2017, Position 183 )

Dem Über-Ich wird die Rolle der Moral zugedacht, es symbolisiert die sozialen Normen und spiegelt somit Gesetze, Werte, Moralvorstellungen und Verbote wider, die man von Eltern und Gesellschaft im Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung erlernt hat.

4.2. Realangst/ Signalangst

Freud hat sein eigenes Werk kontinuierlich überarbeitet. Seine ursprünglichen Theo-rien basieren darauf, dass die Angst als Reaktion auf äußere Gefahr in enger Bezie-hung steht zur Angst aufgrund von Triebgefahr. Jedoch erweist es sich in seinen Ar-beiten als zunehmend schwieriger diese Annahme in allen seinen Theorien zu nutzen. Das Problem verschwindet, als er eine Unterscheidung zwischen automatischer Angst und Angst als Signal einführte. (Vgl. Freud, 1978, S. 230)

Die automatische Angst ist gekennzeichnet durch das Eintreten einer traumatischen Situation. Sie wird ausgelöst durch die Hilflosigkeit des Ich gegenüber Erregungen äu-ßeren und inneren Ursprungs, die es nicht verarbeiten kann. Die Angst als Signal hin-gegen ist die Antwort des Ich auf diese Situation. (Vgl. Freud, 1978, S. 231)

Dies geht aus Freuds zweiter Angsttheorie hervor, der Signaltheorie. Nach Freuds Auffassung repräsentiert sich auf diese Weise der Selbsterhaltungstrieb des Ich. Beim Auftreten der Realgefahr entwickeln sich zwei Reaktionen. Zum einen tritt die affektive Reaktion auf, die sich als Angstausbruch zeigt. Zum anderen wird die Schutzhandlung aktiviert (vgl. Freud, 1978, S. 75). Dabei bindet sich Angstverhalten an eine bestimmte Situation und wird bereits durch einfache Wahrnehmungsmuster aktiviert. Konkret wird das ängstliche Verhalten durch einen Stimulus ausgelöst und stellt eine reale Bedrohung im Hier und Jetzt dar.5 (Vgl. Aigner, 2011)

4.3. Phobie

Allgemein handelt es sich bei einer Phobie um ein starkes Angstgefühl, das in be-stimmten Situationen auftritt oder beim Anblick bestimmter Dinge ausgelöst wird und den davon betroffenen Menschen zunehmend in seinem Verhalten einschränkt. Sie zählt zu den Angststörungen. Die Angst wird immer ausgelöst, wenn der Phobiker die-ser Situation begegnet, daher meidet er den Angstauslöser (vgl. Flöttmann, 2015, S. 20).

Fabian (2012, S. 112) definiert sie als Manifestations- und Abwehrformen der Urangst. Zudem stellt sich eine Phobie nur ein, nachdem unter gewissen Umständen ein erster Angstanfall erlebt wurde. Dieser Mechanismus sorgt für eine gute Abwehr und neigt zur Stabilität. (Vgl. Freud, 1978, S. 42)

Freud hat die Phobien in zwei Gruppen aufgeteilt: physiologische Bedrohungen und Lokomotion6. Zur ersten Gruppe zählen Herpetophobie7, Achluophobie8 aber auch Selbstzweifel. Der zweiten Gruppe gehören vor allem die Agoraphobiker9 an. (Vgl. Freud, 1978, S.32) Bei ihnen wird „eine Vorstellung […] zwangsartig durch die Ver-knüpfung mit einem disponiblen Affekt“ (Freud, 1982, S. 33).

Es gibt bei kleinen Kindern allerdings auch „normale“ Phobien, die sich im Erwachse-nenalter „verwachsen“, dazu zählen die Phobien vor dem Alleinsein, der Dunkelheit und vor Fremden (vgl. Freud, 1978, S. 59).

Bei Erwachsenen jedoch wird „das Zielobjekt der Phobien […] dynamisch durch le-bensgeschichtlich determinierte Erfahrungen […] bestimmt“ (Fabian, 2012, S.112).

Die Angst beherbergt unzählige Arten der Phobien. Sie bleiben oft jahrelang unent-deckt und werden nicht als Angststörung wahrgenommen. Die meisten Betroffenen erkennen ihr Angsterkrankung als solche nicht und nehmen daher keine Hilfe in An-spruch. (Vgl. Leithinger, 2007)

4.4. Lerntheoretischer Ansatz

Nach Aigner (2011) existieren drei Faktoren, die zur Manifestation von Angst führen: die klassische Konditionierung, direkte oder indirekte Beobachtung und der Informati-onserwerb.

Pawlow, der Begründer der klassischen Konditionierung, entdeckte Konditionierungs-prozesse und hat deren Bedeutung für das Erlernen von Ängsten herausgearbeitet. Bei der Konditionierung geht es um das Implementieren sogenannter Reiz-Reaktions-muster. Die Angstkonditionierung ist eine der effektivsten, da sie sich bereits nach ein-maliger Reaktion manifestiert (vgl. Kreddig & Karimi, 2013, S. 30).

Es handelt sich dabei um die Fortbewegung frei beweglicher Organismen aus eigener Kraft.

Furchtauslösende Objekte und Situation entwickeln auf diese Art einen motivierenden Charakter. Verhalten, das Furcht vermeidet, wird verstärkt, während Furcht hervorru-fendes gemieden wird (vgl. Richter, 2007, S.17).

Bandelow gibt an, dass der Mensch nicht die Angst selbst lernt, sondern lediglich ängstliches Verhalten. Demnach ist die Lerntheorie nicht für die Entstehung von Ängs-ten wichtig, sondern für die Aufrechterhaltung von ängstlichem Verhalten. (Vgl. Bandelow [e-Book], 2013, Position 2402)

Wichtig zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, dass ein Mensch auf zwei verschiedene Arten lernt.

Die Konditionierung von Angst, mit anderen Worten das „Antrainieren“ derselben, zählt zum expliziten, also dem bewussten Lernen. Diese Art des Lernens erfordert Mühe und manchmal auch Wiederholungen. In diesem Bereich sind auch die Manifestations-faktoren von Aigner (2011) angesiedelt, zum einen das Lernen durch direkte Beobach-tung und zum anderen der Informationserwerb. Die indirekte Beobachtung gehört be-reits zum impliziten Lernen.

Bei diesem impliziten Lernen prägt sich der Mensch unbewusst oder unterbewusst Erfahrungen ein. Aus diesem Grund bezeichnet man es auch als „natürliches“ Lernen. Es ist einfacher und läuft nebensächlich (automatisch) ab, ohne absichtliches Zutun des Individuums. (Vgl. Poppe [e-Book], 2017, S. 67 ff.)

Aus diesen beiden Faktoren ergibt sich der unerwünschte Prozess des Angstlernens. Daraufhin lernt man zu verdrängen oder abzuwehren.

Die Abwehr ist oft ein unbewusster Prozess, der auf verschiedene Arten ablaufen kann: Reaktionsbildung, Verdrängung, Projektion, Verschiebung und Sublimierung. Wenn man den Partner eines Freundes nicht mehr mag, nennt man das Reaktionsbil-dung. Durch die Verdrängung vergisst man, wie glücklich einen Momente oder Perso-nen gemacht haben. Bei der Projektion unterstellt man jemandem schlechte Absich-ten. Wut und Ärger sind ein sehr gutes Beispiel für Verschiebung – man hatte Ärger mit einem Vorgesetzten und lässt es anschließend an der eigenen Familie aus. Das genaue Gegenteil davon erklärt die Sublimierung. Dabei werden Wut und Ärger durch positive Gedanken und Handlungen kompensiert. (Vgl. Poppe [e-Book], 2017, S. 83 ff.)

Wichtig in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist, dass Angst zwar nicht gelöscht, aber Angstbewältigung gelernt werden kann (vgl. Köllner, 2012).

5. Angst vor medizinischen Behandlungen

Mehrere Komponenten wirken in diesem Bereich zusammen. Nachfolgend wird ein kurzer Überblick über die einzelnen „klinischen Phobien“ (Richter, 2007, S. 12) gege-ben.

5.1. Angst vor dem Arzt

Man spricht von der sogenannten Latrophobie oder auch „Weißkittelhypertonie“ und etwa 2 Mio. Deutsche leiden darunter. Die Betroffenen ertragen über einen sehr langen Zeitraum große Schmerzen und psychischen Druck, nur um den Arztbesuch zu ver-meiden. (Vgl. Rheinische Post online, 2014)

Latrophobiker leiden oft still vor sich hin. Mitunter werden dadurch aus harmlosen Be-funden schwere und schmerzhafte Erkrankungen und eine erfolgreiche Behandlung gestaltet sich zunehmend schwieriger. (Vgl. Leithinger, 2007)

Man befindet sich in einem Zustand subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beein-trächtigung. Daraufhin kommt es zur Behinderung sozialer Funktionen und Leistungen (vgl. Aigner, 2011).

Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang die Agoraphobie zu nennen. Sie gehört zu den Raumphobien und beschreibt ursprünglich die Angst vor öffentlichen Plätzen. Sie beschreibt aber auch die Angst vor bestimmten Orten (vgl. Fabian, 2012, S. 39) oder dem Fehlen eines Fluchtweges und konkret wegzukommen aus der ängstigen-den Situation (vgl. Faller & Weiß, 2000, S. 36). In diesem Fall wird sie durch den Auf-enthalt im Wartezimmer ausgelöst.

Der Betreffende bekommt Atemnot. Sein Herzschlag beschleunigt sich. Die Hände be-ginnen zu schwitzen. Nach kurzer Zeit stellt es für ihn eine so enorme psychische Be-lastung dar, dass er fluchtartig die Praxis verlässt und den Termin nicht wiederholt.

Eine weitere Beeinträchtigung in diesem Bereich stellt die Hypochondrische Störung dar. Dabei handelt es sich um die Angst an einer bedrohlichen Krankheit zu leiden. Aufgrund der Furcht vor einer schwerwiegenden Diagnose vermeidet man Arztbesu-che. (Vgl. Köllner, 2012)

5.2. Blut-, Verletzungs- und Spritzenphobie

Zu spezifischen Phobien zählt die Blut-, Verletzungs- und Spritzenphobie. Diese Art von Angst ist speziell auf ein Objekt oder eine Situation gerichtet und dem Versuch diese zu vermeiden (vgl. Köllner, 2012).

Es ist in der Evolution begründet, dass der Mensch Blut als etwas Bedrohliches wahr-nimmt, genauer gesagt sogar als eine direkte Bedrohung des Lebens ansieht. Men-schen, die unter einer solchen Phobien leiden, werden durch den Anblick von Blut oder einer Spritze vollkommen aus der Fassung gebracht (vgl. Bandelow [e-Book], 2013, Position 462). Diese Reaktion kann im schlimmsten Fall bis zur Ohnmacht führen. Der Betroffene ist aufgrund dieser Tatsache bereit wichtige Impfungen oder Blutentnah-men nicht vornehmen zu lassen (vgl. Rheinische Post online, 2014). Wenn dies dazu führt, dass notwendigen medizinischen Behandlungen ausgewichen wird, können dadurch schwerwiegende Konsequenzen entstehen (vgl. Bandelow [e-Book], 2013, Position 473).

Bei der Vermeidung von Impfungen nimmt man ein erhöhtes Ansteckungsrisiko in Kauf. Blutuntersuchungen sind indes enorm wichtig für die Diagnostik, vor allem im prä- und postoperativen Bereich. Sie werden routinemäßig vor invasiven Eingriffen durchgeführt, um Komplikationen zu vermeiden. In der weiteren Therapie und im am-bulanten Verlauf benötigt man diese Maßnahme, um Auffälligkeiten zu erkennen und rechtzeitig behandeln zu können. Außerdem ist eine regelmäßige Blutkontrolle bei di-versen Erkrankungen lebenswichtig.

Beim Arztbesuch und vor allem im Krankenhaus ist der Betroffene durch die Spritzen-phobie so stark beeinträchtigt, dass diese sich negativ auf die Behandlung auswirkt. Da die Phobie nicht nur Spritzen betrifft, sondern jeden intravenösen Zugang mit ein-bezieht. Ein solcher Zugang ist jedoch unabdingbar für jede Art von invasiver Maß-nahme.

5.3. Angst vor Schmerzen, Operationen und Narkosen

Mehr als 50% der Deutschen haben Angst vor Schmerzen im Zusammenhang mit dem Krankenhaus (vgl. Statista, 2009). Es handelt sich dabei um eine Kombination aus der „Operationsverstümmelungs- und Narkosekomplikationsangst“ in Verbindung mit der präoperativen Angst vor postoperativen Schmerzen (vgl. Grabow & Buse, 1990, S. 262).

Vor einer Operation tritt oft eine akute und heftige Angstreaktion auf. Diese Reaktion beschreibt ein kritisches Lebensereignis, unter Umständen mit tiefgreifenden Auswir-kungen auf das Individuum. Die Angst vor einer Operation wird durch unterschiedliche Faktoren verschlimmert.

Generell kann es zu Verschiebungen kommen und der Betroffene muss länger warten als geplant. Außerdem wächst die Befürchtung, dass während des Eingriffs Probleme auftreten können oder bisher unbekannte Befunde entdeckt werden. Zusätzlich entwi-ckelt sich die Furcht vor den postoperativen Schmerzen bei einem größeren Eingriff oder einer längerfristigen Erkrankung.

Diese Art der Angst lässt sich meist nur schwer verbalisieren, daher zeigt sie sich in unterschiedlichen Ausprägungen. Zu beobachten sind Veränderungen der Gefühle. Patienten reagieren mit erhöhter Reizbarkeit, Nervosität und Pessimismus. Die Wahr-nehmungsfähigkeit verändert sich und zeigt sich durch erhöhte Anspannung und Kon-zentrationsprobleme. Ebenso verändert sich der Kontakt zur Umwelt. Der Betroffene zieht sich innerlich zurück. Darüber hinaus entwickeln sich körperliche Symptome. (Vgl. Richter, 2007, S. 60 f.)

Die genannten Merkmale sind relevant für die Operationsangst. Es handelt sich dabei um die Erkrankung an sich und allem daraus resultierenden. Dazu gehört der Status des Patienten einschließlich der sozialen Unterstützung und das individuelle Angster-leben. (Vgl. Richter, 2007, S.62)

Ein weiterer Aspekt, der bei Operationen und invasiven Eingriffen eine Rolle spielt, ist die Technik. Aufgrund von Modernisierungen existieren unzählige neue Verfahren, die eine minimale Belastung für den Körper darstellen und mit einem sehr kurzen Kran-kenhausaufenthalt einhergehen. Problematisch bei diesen technischen Verfahren ist die fehlende Transparenz für den Patienten. Die Eingriffe werden zwar erklärt, jedoch ist ein Großteil der Patienten nicht in der Lage sich vorzustellen, was sich z. B. hinter Angst vor Keimen und Bakterien einer laparoskopisch gesteuerten Operation verbirgt. Die 3D-Darstellung von Organen ist ein wesentlicher Fortschritt in der Medizin. Dadurch ist es möglich Maßnahmen, Eingriffe und Therapien optimal und effizient zu planen. Mitarbeiter aus dem pflegerischen und medizinischen Bereich werden ständig mit Un-tersuchungen und Operationen dieser Art konfrontiert. Durch dieses Selbstverständnis in Kreisen des Fachpersonals wird oft nicht berücksichtigt, wie solche Verfahren und Beschreibungen auf den Patienten wirken, der nie einen Bezug zu diesem Arbeitsbe-reich hatte. Diese Unsicherheit wird dadurch verstärkt, dass für jede invasive Maß-nahme ein Aufklärungsbogen vorhanden ist, indem Risiken geschildert sind, die auf-treten können. Und dabei ist die Rede von Wundheilungsstörungen, Infektionen und bis hin zum Tod.

5.4. Angst vor Keimen und Bakterien

Besonders starken Einfluss auf das soziale Leben nimmt dabei die Bacteriophobie. Es entwickelt sich zumeist daraus eine Angst vor Ansteckung, die dazu führt, dass soziale Kontakte und auch Körperkontakt auf ein Minimum reduziert werden und sehr oft gar nicht mehr möglich sind. Es gibt viele prominente Beispiele dafür, etwa Michael Jackson, der sich in der Öffentlichkeit nie ohne Mundschutz gezeigt hat. (Vgl. Bandelow [e-Book], 2013, Position 487 f.) Daraus resultieren oft auch „unbegründete oder übertriebene Ängste vor diversen Krankheiten“ (Bandelow [e-Book], 2013, Posi­tion 1196).

In einer Forsa Studie von 2009 waren mehr als 55% der Befragten davon betroffen (vgl. Statista, 2009). Dieses Ergebnis wird durch eine Umfrage der Asklepios-Kliniken unterstützt (vgl. Sprengel, 2015).

5.5. Selbstwertgef ü hl und Pers ö nlichkeits ä ngste

Das Gefühl jemand fremdes ausgeliefert zu sein, empfindet jeder als unangenehm. Es kann daher kaum überraschen, dass Menschen die Kontrolle über das körperliche Wohlergehen lieber in der eigenen Hand behalten. (Vgl. Rheinische Post Online, 2014) Fundamentale Angst tritt vermehrt auf vor dem Verlust der körperlichen Integrität, der Selbstwertgefühl und Persönlichkeitsängste sozialen Geborgenheit und der wirtschaftlichen Absicherung (vgl. Richter, 2007, S. 57). Für viele bedeutet dies eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit (vgl. Rich-ter, 2007, S. 60).

Mehr als 30 % der Patienten wünschen sich mehr Zuwendung, um mit dieser Situation besser zurecht zu kommen (vgl. Statista, 2009).

Das Schamgefühl übernimmt dabei eine wichtige Schutzfunktion, ist es doch dafür da die persönlichen Grenzen eines Menschen zu wahren. Man könnte sie als die „Hüterin der Würde“ bezeichnen (Immenschuh, 2014). Nähe und Distanz spielen in einem so emotional schwierigen Umfeld eine entscheidende Rolle. Die pflegerische Arbeit be-dingt es bis zu einem gewissen Grad in diese sehr persönliche Atmosphäre eines je-den Patienten einzudringen. Es ist daher umso wichtiger, rechtzeitig zu erkennen, wann man sich zurückziehen sollte, wenn die Belastung für den Patienten zu groß wird.

Die Würde ist das wichtigste Gut jedes Menschen. Es ist unbedingt notwendig mit Ängsten, die damit in Verbindung stehen, ebenso respektvoll umzugehen. Immen-schuh (2014) verweist auf vier Grundbedürfnisse, die unbedingt zu wahren sind: An-erkennung, Schutz, Zugehörigkeit und Integrität.

Die Voraussetzung ist, die Ängste und Befürchtungen des Patienten wahr und ernst zu nehmen, denn nur so wird er in der Lage sein über seine Probleme zu besprechen, die mit seinem Krankenhausaufenthalt einhergehen und die wichtig für seine Gene-sung sind.

Er benötigt den Schutz durch das Pflegepersonal. Es wahrt seine Intimsphäre und schützt ihn (so weit möglich) vor negativen Erfahrungen und Erlebnissen, die seine Angst zusätzlich verstärken würden.

Es ist die Aufgabe der Pflege auf die Werte und Vorstellungen des Betroffenen Rück-sicht zu nehmen und nach Möglichkeit darauf einzugehen. Zum Beispiel gibt es Kultu-ren in denen der Glaube existiert, dass der Kontakt mit einem Arzt oder dem Kranken-haus den Tod nach sich zieht. Deswegen ist jede Form und Äußerung von Angst gleichwertig zu beurteilen, weil sie enorme Belastungen für den Patienten darstellen und sich daher auf seine Genesung auswirken können.

5.6. Zusammenfassung der medizinischen Betrachtung

Es hat sich gezeigt, dass Angst ein übergeordnetes Gefühlsmuster ist und sich aus mehreren fundamentalen Gefühlen zusammensetzt. Dazu gehören Furcht, Traurig-keit, Ärger, Schuld und Scham (vgl. Euler & Mandl, 1983, S. 147). Diese unterschied-lichen emotionalen Reaktionen lassen sich anhand der Verhaltensweisen von Phobi-kern in den verschiedenen bisher beschriebenen Problemsituationen gut nachvollzie-hen.

Ebenso hat sich herausgestellt, dass es keinen bestimmten „Angsttyp“ gibt. Vielmehr kann jeder von diesem Phänomen betroffen sein (vgl. Fydrich & Ströhle zitiert in Die Welt online, 2015) unabhängig von Bildung, Beruf oder Sozialstatus. Es finden sich etliche Prominente, die unter Angststörungen leiden, sei es aus Film und Fernsehen oder auch in der Geschichte. Freud selbst war alles andere als frei von Ängsten.

Die in diesem Kapitel aufgeführten Situationen zählen zu der Kategorie, die eine er-hebliche Gefahr für das physische Wohlbefinden mit sich bringt. Die Gesundheit und das Leben scheinen bedroht bzw. resultiert eine Erkrankungs- und Verletzungsgefahr daraus. (Vgl. Becker, P., 1980, S.313)

Becker, P. (zitiert in Sörensen, 1993, S. 47) hat bereits 1980 bereichsspezifische Angstneigung benannt und erwähnt ähnliche Gruppierungen.

Darunter befindet sich auch die Angst vor Erkrankungen und ärztlichen Behandlungen. Es geht dabei um die Furcht vor einer Situation, in der man sich eine Krankheit zu ziehen könnte, sowie vor Krankenhausaufenthalten und ärztlichen Behandlungen. Richter (2007, S.7) nennt es das bedeutendste Phänomen im Krankenhaus. Jedoch wurde herausgearbeitet, dass diese Phobien nicht erst in einem stationären Umfeld zum Tragen kommen, sondern im ambulanten Bereich ebenso starke Ausprä-gungen haben können.

Die Rheinische Post berichtet, dass Betroffene aufgrund eines unguten Gefühls Symp-tome so lange ignorieren, bis es zu einer massiven Verschlechterung kommt und erst dann einen Arzt aufsuchen. Für eine adäquate Behandlung kann es dann bereits zu spät sein. Im schlimmsten Fall ist das Resultat „zu lange gewartet – unheilbar krank“. (Vgl. Rheinische Post online, 2014)

In Bezug auf die körperliche Unversehrtheit wird Angst als Bedrohung empfunden. Eine medizinische Untersuchung oder Behandlung reiht sich dabei in eine Vielzahl von Ängsten ein, die in Kombination mit dem Krankenhaus oder auch dem Arzt zusam-menhängen. Hippius, Ackenheil und Engel (1988, S.97) haben verschiedene Katego-rien erarbeitet. Sie haben dafür sechs „Bedrohungserlebnisse“ definiert. Die Bedrohung des Lebens umfasst jeden Aspekt der den Verlust desselben beinhal-ten würde, dazu zählt die generelle Todesangst sowie Angst vor Narkosen und Ope-rationen. Grabow und Buse sprechen im speziellen von einer „Operationsverstümme-lungs- und Narkosekomplikationsangst“ (1990, S. 262). Wohingegen bei Hippius et al. die Angst vor Verstümmelung einer eigenen Kategorie angehört, dem Bereich der Be-drohung von Gesundheit und körperlicher Integrität. Eine weitere Kategorie stellt die Bedrohung des Selbstbildes und Selbstwertgefühls dar. Sie bezieht sich auf eine Iden-tität als Kranker und auf die Furcht vor dem Makel einer resultierenden Behinderung. Darüber hinaus kann es zu einer Gefährdung der sozialen Beziehungen und des So-zialkontaktes kommen. Diese entsteht aufgrund eines längeren Krankenhausaufent-haltes und dem vermeintlichen Glauben einer verringerten körperlichen Attraktivität. Eine sehr große Rolle spielt dabei auch die wirtschaftliche Existenz, denn bei einer längeren Erkrankung treten finanzielle Einbußen und eine zunehmende Angst vor ei-nem beruflichen Abstieg, im Fall der Selbstständigkeit sogar der berufliche Ruin, ein. Als letzte Kategorie wird die Möglichkeiten der eigenen Lebensgestaltung und einge-schränkte Handlungsmöglichkeiten benannt. (Vgl. Hippius et al., 1988, S. 97)

Eine Studie vom Oktober 2009, die von der Hanse Merkur Versicherung veröffentlicht wurde, setzt sich ebenfalls mit diesem Thema auseinander. Dabei erstellte man Ran­king von Ereignissen, vor denen man sich im Krankenhaus fürchtet. Bei dieser Unter-suchung steht an zweiter Stelle mit 61% die Angst vor einer nicht erfolgreichen Be-handlung. Bei vielen entsteht dieser angstauslösende Gedanke noch bevor es über-haupt zum Kontakt mit einem Arzt oder einer medizinischen Einrichtung gekommen ist. (Vgl. Statista, 2009)

Es muss jedoch erwähnt werden, dass „Krankenhausangst [an sich] in den modernen Klassifikationssystemen nicht beschrieben [wird]“ (Ströhle [E-Mail], 2017). Alle ande-ren Phobien sind allerdings klassifiziert: Spritzenphobie, Blut- und Verletzungsphobie, Latrophobie und zum Teil auch die Agoraphobie. Sie ist hingegen nicht so klar abge-grenzt wie andere Phobien.

In Verbindung mit einem Krankenhaus lassen sich die unterschiedlichsten Ängste fest-halten. Zum einen Angst vor Schmerzen, die oft in Verbindung mit Operationen und Narkosen genannt werden zum anderen Angst vor dem Arzt in Verbindung mit fehlen-der Aufmerksamkeit und Anteilnahme von pflegerischer wie auch ärztlicher Seite, die an den Verlust des persönlichen Empfindens gekoppelt ist.

Negative Erfahrungen, die man auf diese Art gemacht hat, aktivieren selbst Jahrzehnte danach immer noch das Angstgedächtnis (vgl. Rheinische Post online, 2014).

Dieses Thema hat in den letzten Jahren zusehends an Brisanz gewonnen und die Aufmerksamkeit erregt. Dies schließt sich aus diversen Veröffentlichungen in Magazi-nen und Fachbüchern.

Der Besuch eines Arztes oder Krankenhauses kann demnach als „gefahrbezogene Kognition“ (Becker, P., 1980, S. 21) bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um Wahrnehmungs- und Vorstellungsinhalte, die Furcht auslösen können. Der Betroffene registriert dabei, eine ihm als gefährlich erscheinende Situation. Sie ist charakterisiert als Wahrscheinlichkeit, bei der ein Verlust wichtiger Werte besteht. (Vgl. Becker, P., 1980, S.21)

Alle genannten Phobien ziehen ein „Vermeidungsverhalten gegenüber sozialen Situa-tionen [nach sich], in denen das Auftreten von Angstanfällen befürchtet wird“ (Fabian, 2013, S. 25). Diese Angstzustände stehen in Wechselwirkung mit dem Resultat, dass medizinische Maßnahmen und Behandlungen immer mehr als Bedrohung wahrge-nommen werden. Die Betroffenen geraten dadurch in einen Teufelskreis. Haben sie einmal eine angstauslösende Gegebenheit vermieden, so hat sich dieses Verhalten in ihrem Gehirn abgespeichert und wird künftig in der Situation immer wieder auftreten. Wann immer sie sich nun in einer Lage mit demselben oder einem ähnlichen Stimulus befinden, wird das gleiche Muster als Vorlage benutzt. Aufgrund der Tatsache, dass das Gedächtnis eine Angstreaktion am schnellsten und einfachsten erlernt, wird infol-gedessen immer der Fluchtreflex ausgelöst.

Menschen, die ein solches Problem entwickelt haben, sind sehr schwer erreichbar. Wer gar nicht erst beim Arzt oder im Krankenhaus erscheint, über den weiß man am wenigsten (vgl. Hoffmann [E-Mail], 2017). Demnach müssen diese Erwachsenen auf-gefangen werden, noch bevor sich ein Problem zu einer Störung entwickelt.

6. Erleben im medizinischen und pflegerischen Umfeld

6.1. Erfahrungsberichte

Ein Mann berichtet bei Focus-Online, wie er sich jedes Mal vor einem Arztbesuch fühlt. Unmittelbar vor dem Termin setzt bei ihm Diarrhoe ein. Beim Arzt hatte er vor lauter Angst schließlich die ganze Zeit geweint. (Vgl. Bidder, 2008)

Eine 40-jährige Frau Jahr erklärt, dass sie bereits eine Woche vor dem Besuch beim Arzt körperliche Probleme bekommt. Sie leidet an Herzschmerzen, Kurzatmigkeit und Schwindelattacken. „Mein ganzer Körper wehrt sich dagegen“. (Vgl. Bidder, 2008) Man kann sich sehr leicht vorstellen, inwieweit sich die Symptome verschlimmern, je näher der Termin rückt.

Ein 85-jähriger Mann wird mit dem Notarzt in die Klinik eingeliefert mit massiver vitaler Verschlechterung und lebensbedrohlicher Sauerstoffsättigung. Nach ein paar Tagen intensiver Therapie erholte er sich wieder. Auf Nachfrage des Pflegepersonals, aus welchem Grund er so lang gewartet habe, meinte er: “Das letzte Mal als es mir so schlecht ging und ich damit beim Arzt war, hatte er eine schlechte Nachricht für mich. Ich hatte Angst, es würde dieses Mal wieder genauso sein.“

In einer anderen Situation handelte es ich um eine 54-jährige Frau. Sie selbst war noch nie im Krankenhaus gewesen. Allerdings hatte sie in ihrer Familie die Erfahrung ge-macht, dass scheinbar gesunde ältere Verwandte ins Krankenhaus mussten und dort nach kurzer Zeit verstarben. Bei ihrer Entlassung gab sie an, dass die medizinische Behandlung überhaupt nicht schlimm gewesen wäre und bei ihr einen positiven Ein-druck hinterlassen hat. Dennoch hat sie nach wie vor Angst.

Die beiden zuletzt erwähnten Beispiele entstammen einem alltäglichen Gespräch zwi-schen Pflegepersonal und Patient, wie sie in jeder deutschen Klinik immer wieder vor-kommen. Das Arbeiten auf so engem Raum führt dazu, dass man einander Vertrauen entgegenbringen möchte und oft ist es sehr viel leichter seine Ängste einer fremden Person anzuvertrauen als sich im privaten Kreis darüber zu unterhalten. Die Anonymi-tät in dieser intimen Situation hilft Betroffenen darüber zu sprechen.

6.2. Auswirkungen auf den medizinischen und pflegerischen Alltag

„Angst zählt zu den stärksten Emotionen des Menschen und kann ihn in seinen Grund-festen erschüttern“ (Richter, 2007, S. 6).

Generell kann man Betroffene in zwei Gruppen einteilen. Es gibt die Gruppe, die auf-grund ihrer Angst in der Klinik erscheint und die, welche es aus dem gleichen Grund vermeidet. Laut Professor Hoffmann (2017), lassen sich weitere Unterteilungen vor-nehmen im Umfeld der Gruppe, die aus Angst nicht erscheint.

Zum einen handelt es sich dabei um Patienten mit spezifischen Phobien, wie z. B. der Blut- und Spritzenphobie. Sie stehen aktiv einem Krankenhausaufenthalt und Arztbe-such gegenüber. Er spricht ebenso von „magischen Ängsten“, die sich auf den Tod beziehen und in diversen Bevölkerungsgruppen vorhanden sind. Die letzte Gruppe sind Menschen, die entweder eine gefährliche Krankheit verleugnen oder Angst vor einer dementsprechenden Diagnose haben. (Vgl. Hoffmann [E-Mail], 2017) Es gibt allerdings keinen spezifischen Typ unter den Vermeidern. Sie sind breit in der Gesellschaft verteilt und ihnen gehören sowohl Akademiker als auch Nicht-Akademi-ker an. Zum Teil reihen sich selbst Menschen, die im medizinischen und pflegerischen Bereich tätig sind in diesen „Typ“ ein. (Vgl. Hoffmann [E-Mail], 2017)

Die Schwierigkeit für das Personal aus diesen Bereichen besteht nun darin, diese Men-schen zu identifizieren und bereits beim Besuch beim Arzteffektiv auf sie einzuwirken, um späteren Komplikationen einer ambulanten oder stationären Behandlung vorzu-beugen. Auf diese Weise wird das Problem in seiner Entstehung gehindert. Patienten mit dieser Symptomatik werden aufgefangen und von Beginn an gut begleitet. Der Angst der Leidtragenden wird Gestalt verliehen. Man überlegt sich gemeinsam Lösungen und Strategien um ein Vorankommen im Umgang mit der Angststörung zu gewährleisten. Die ständige persönliche Begleitung, die durch die Praxis und deren Mitarbeiter gewährleistet wird, ist ein Anker. Unter diesen Umständen kann es gelingen Betroffene zu erreichen, bevor sich eine Krankheit neu entwickelt oder eine beste-hende Erkrankung lebensbedrohliche Ausmaße annimmt.

Je nachdem von welcher Hemmung Patienten betroffen sind, kann das Fachpersonal individuell auf sie einwirken und bestmöglich auf eine Untersuchung, einen Kranken-hausaufenthalt und jede andere medizinische Maßnahme vorbereiten.

Allerdings ist dafür eine entsprechende Schulung nötig, um die Angst überhaupt erst einmal zu erkennen, zeigt sie sich doch so unterschiedlich.

Aus den Berichten lassen sich Zorn, Trauer, Aggression und Scham erkennen – alles Symptome von Angst. Eine Tatsache, der man sich bewusst sein muss. Ohne eine entsprechende Vorbereitung ist dies nicht möglich. Zusätzlich ist es notwendig eine Befähigung zu erlangen, um das Problem aufzufangen. Personal aus dem ambulanten wie stationären Arbeitsbereich muss nicht in der Lage sein, ein solches Phänomen zu therapieren, das ist nach wie vor Sache des Arztes. Es werden lediglich spezifische Kompetenzen und Ressourcen benötigt, um einen Menschen zu begleiten, der darun-ter leidet. Ein nicht zu vernachlässigender Faktor ist hierbei auch die Zeit. Denn eine erfolgreiche Begleitung und somit auch eine medizinische Maßnahme oder Behand-lung erfordert Planung, Umsetzung und Kontrolle und dafür ist ein zeitlicher Aufwand notwendig, der sich individuell am Betroffenen orientiert.

Wenn Probleme oder Vermeidungen, die mit einer medizinischen Maßnahme einher-gehen, frühzeitig erkannt werden, ist es möglich dem Gesundheitssystem Entlastun-gen einzubringen. Die stationäre Behandlung und langwierige Therapie einer schwe-ren Erkrankung stellt sowohl für den Betroffenen und sein Umfeld, als auch für das Gesundheitssystem eine höhere Belastung dar, als eine Früherkennungsmaßnahme, die ambulant hätte eingreifen können.

Dies bedeutet, dass im Vorfeld in einen Prozess investiert werden muss, um im Nach-hinein Geld zu sparen.

7. Ergebnisse

„Irgendwie steckt die Angst hinter allen Symptomen, aber bald nimmt sie lärmend das Bewusstsein für sich in Anspruch, bald verbirgt sie sich so vollkommen, daß wir genö-tigt sind, von unbewußter Angst oder – wenn wir ein reines psychologisches Gewissen haben wollen, da ja die Angst zunächst nur eine Empfindung ist – von Angstmöglich-keiten zu reden“ (Freud [e-Book], 2017, Position 1043). Freud hat die Schwierigkeiten dieses Phänomens bereits damals treffend formuliert. Die Signaltheorie ist nach den vorangegangenen Kapiteln nachvollziehbar. Es liegt immer ein Auslöser vor, der eine Situation indiziert und die Angst im Individuum auslöst. Im Bereich der medizinischen Maßnahmen und Behandlungen finden sich derer viele. Der Mensch zeigt sich dabei als unfähig mit dem angstauslösenden Stimulus zurecht zu kommen und wählt die Flucht. Worin die tatsächliche Ursache dieser Furchtreaktion auch liegen mag und un-geachtet dessen, wie sie auf Fremde (sich nicht in der Situation befindliche Erwach-sene) wirkt, bedeutet sie für den Betroffenen eine psychische Qual und setzt aus die-sem Grund Schmerzen frei. Diese reale Angst- und Schmerzreaktion wird demnach bewusst gemieden und man versucht sich ihr so weit und so oft wie möglich zu entzie-hen.

Der Mensch hat seine intellektuelle Entwicklung fokussiert und vorangetrieben. Dadurch wurde er in die Lage versetzt enorme kulturelle und wissenschaftliche Errun-genschaften zu entwickeln, die die Erleichterung des täglichen Lebens zum Inhalt ha-ben. Jedoch zahlt die Menschheit dafür einen hohen Preis, hat es schließlich dazu geführt, dass instinktives Verhalten zunehmend in den Hintergrund gerät. (Vgl. Fabian, 2012, S. 92)

Das Angstphänomen hat seit Beginn des 19. Jahrhunderts stetig zugenommen (vgl. Faller & Weiß, 2000, S. 54). Es wurde begünstigt durch die Veränderung in den Berei-chen Kultur und Religion, die aufgrund der Modernisierung benachteiligt worden sind. Eine gewisse Ironie, dass das kontinuierliche Streben nach Fortschritt und Entwicklung die Menschheit evolutionär so weit zurückgeworfen hat, dass man sich vor mehr Din-gen fürchtet, als jemals zuvor.

Heutzutage ist allen bewusst, dass man sich vor Blitz und Donner nicht zu fürchten braucht, lassen sich diese Ereignisse doch physikalisch erklären. Stattdessen stellt man Vermutungen über Naturkatastrophen an, die entstehen könnten, wenn die Ozon-schicht verschwindet. Zeitgleich ist man stets bemüht neue wissenschaftliche Ergebnisse Erkenntnisse zu erlangen, um die Ängste in den Griff zu bekommen. Die Welt ist schneller geworden, chaotischer, stressiger und gefährlicher, wie es die Existenzialisten beschreiben. Man setzt sich mit seinen Ängsten nicht mehr im famili-ären Umfeld auseinander, das einem Schutz und Geborgenheit bietet. Die Autonomie treibt jeden dazu an seinen eigenen Weg zu beschreiten in einer Welt, die unglaubliche Möglichkeiten des Wachstums bietet, aber auch der Vereinsamung.

Diverse Studien der letzten 30 Jahre zeigen deutlich, dass der Begriff „Zeitalter der Angst“ nicht grundlos geprägt wurde. Anhand der erarbeiteten Literatur lässt sich ein-deutig feststellen, dass Angststörungen, allen voran die Phobien, einen deutlichen Zu-wachs in der Bevölkerung erleben. Dabei sind natürlich nur diejenigen erfasst, die in der Lage waren mit ihrer Symptomatik Hilfe aufzusuchen oder auf die man zufällig aufmerksam wurde. Es ist unbekannt wie groß die Dunkelziffer all derer ist, die durch das Raster fallen und mit einem ausgeprägten Fluchtreflex ihren Alltag meistern. Oft-mals sind Ängste zu Beginn auf einen kleinen Lebensbereich begrenzt. Mit zunehmen-dem Vermeidungsverhalten gibt man ihnen das Potential sich auszudehnen und mehr Einfluss auf das Leben zu nehmen.

Die genannten Phobien aus dem medizinisch-pflegerischen Bereich verdeutlichen ih-ren Einfluss auf eine Behandlung. Jede einzelne für sich stellt ein Hemmnis dar, wes-halb Menschen den Arztbesuch oder Krankenhausaufenthalt meiden. Kommen aller-dings mehrere dieser Faktoren zusammen, ergibt sich daraus eine unüberwindbare Hürde, die das Individuum in eine selbstgefährdende Situation bringen. Bisher fehlt es an adäquaten Alternativen zur schnellen Erkennung einer Angstsymp-tomatik im normalen ambulanten und stationären Arbeitsalltag. Kaum jemand kann sich bewusst machen, welcher innere Druck auf einem Patienten mit Spritzenphobie in einem Krankenhaus lastet.

Die Angstforschung ist notwendiger als jemals zuvor. Denn ein präventives Eingreifen in den Teufelskreis der Angst bietet sowohl jedem Betroffenen Hoffnung an, als auch eine finanzielle Entlastung, die mit einer langwierigen oder chronischen Erkrankung einhergeht.

Man wird zwar mit vorprogrammierten Ängsten geboren, für die Aufrechterhaltung von ängstlichen Verhalten ist jedoch das Lernen verantwortlich (vgl. Bandelow [e-Book], 2013, Position 2400). Und nichts ist leichter zu lernen, als sich zu fürchten. Ergebnisse Professor Fydrich ist der Meinung, dass die Vorstellung immer angstfrei zu sein oft nicht adäquat ist. Wer einmal starke Angst empfunden hat, bei dem kann es auch wie-der dazu kommen, denn bei ihm besteht auch ein deutlich größeres Risiko. (Vgl. Fyd-rich zitiert in die Die Welt online, 2015)

Angst hat aber immerhin zwei Gesichter. In ihrer Grundfunktion dient sie als Schutz ohne den der Mensch nicht lebensfähig wäre. Jedoch ist sie in der Lage, wie sonst keine menschliche Erfahrung, den Körper und den Geist zu lähmen. Man sollte auch nicht vergessen, dass normale alters- und entwicklungsbedingte Ängste existieren, die ein Gesunder durchsteht und überwindet (vgl. Richter, 2007, S.10).

Nichts desto trotz haben Magie, Religion und Wissenshaft sich darum bemüht Angst zu bewältigen, zu mindern oder zu überwinden (vgl. Riemann, 2017, S.7).

8. Schluss

„Spritzen und Zahnärzte gab es in der Urzeit nicht, aber die Höhlenmenschen lernten, dass Blut und Schmerzen mit Lebensgefahr verbunden waren. Immerhin konnte man schon an banalen Verletzungen sterben. Wer also vor diesen Dingen keine Angst hatte, hatte ein kurzes Leben. Nur Menschen, die diese Ängste in den Genen mit sich trugen, pflanzten sich über die Jahrtausende fort. Die Familien der Nichtängstlichen starben dagegen aus. Wir heutigen Menschen sind die Nachkommen der Angstha-sen.“ (Bandelow [e-Book], 2013, Position 2290)

Ein Leben ohne Angst ist demnach nicht möglich. Es wäre lebensgefährlich. Allerdings muss man darauf achten, ihren Einfluss nicht so stark werden zu lassen, dass er sich direkt oder indirekt auf die individuelle Gesundheit auswirkt.

Medizinische Behandlungen gehen mit angstauslösenden und lähmenden Gedanken einher. Es ist existenziell dagegen anzukämpfen, anderenfalls führt die Flucht vor die-ser Situation (unter Umständen) zu einer lebensbedrohlichen Konsequenz. Die Angst vor Schmerz und Blut, als mit dem Leben nicht vereinbar, ist im genetischen Code jedes Menschen verankert. Es überrascht demnach nicht, dass ein Prozess, der so etwas nach sich ziehen könnte, als angst- und fluchtauslösende Reaktion von un-serem Körper erkannt wird. Bedingt durch diese evolutionsbedingten Aspekte ist eine Neuprogrammierung der menschlichen Gene, in Kombination mit dem medizi-nischen Wunder der Zukunft notwendig, um das Grundkonstrukt „medizinische Be-handlung-Krankenhaus-Angstauslöser“ voneinander zu trennen. Eine direkte Angst vor medizinischen Behandlungen existiert nicht. Vielmehr ist es so, dass in diesem Zusammenhang diverse andere Ängste bestehen, die direkten Einfluss auf medizinische Maßnahmen ausüben.

Jeder kennt die Angst und dennoch wird sie in Reinform nur selten wahrgenommen. Oft ist sie überdeckt durch aggressives oder vermeidendes Verhalten, welches die körperlichen und psychischen Auswirkungen des Angsteffekts offenbart. (Vgl. Ebrecht-Laermann, 2014, S. 9)

Angst ist kein Thema wie jedes andere. Das menschliche Leben wird kontinuierlich von ihr begleitet, da sie durchaus einen lebenserhaltenden Sinn erfüllt. Leider lassen es viele Menschen zu, dass sie aus Furcht gelähmt oder gehemmt sind, anstatt sie als Ansporn oder Motivation für besondere Leistungen zu betrachten.

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Anhang

Anhang 1: Lebenslauf Professor Ströhle, Andreas

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhang 2: E-Mail von Ströhle, Andreas

Krankenhausangst ist als eigenständige Angsterkrankung in den modernen Klassifi-kationssystemen nicht beschrieben. Es gibt jedoch die Blut-/Spritzen-/Verletzungs-phobie in dessen Rahmen Patienten auch kollabieren können. Aber auch andere psychische Erkrankungen wie Depression, Angsterkrankungen oder auch Psychosen können Grundlage für Krankenhausängste sein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhang 3: Lebenslauf Professor Hoffmann, Sven Olaf

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Quelle: Springer, Janta, & Münch, 2011, S. 368)

Anhang 4: E-Mail Hoffmann, Sven Olaf

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Sie studieren an einer Hochschule mit weisen Dozenten. Wenn ich Ihnen aber bare Unterordnungen (differentia specifica) aufgliedern lässt.

3a.) Zum einen sind es wohl Patienten mit spezifischen Phobien, das sind im Aus-maß weit über den Durchschnitt hinausgehende Ängste vor bestimmten Objekten o­der Situationen, die im klinischen Umfeld anzutreffen sind: Spritzenphobien, Blutpho-bien, Bakteriophobien, hypochondrische (krankheitsbezogene) Ängste ("Da werde ich noch kränker"), und weitere. Solche Ängste können so stark sein, dass sie in sich bereits Krankheitswert haben. Ich kann mir auch vorstellen, dass sie Krankenhaus-aufenthalte konkret verhindern.

3b) Magische Ä ngste, letztlich vor dem Tod. Als junger Medizinalassistent (das war man 1964 nach dem Staatsexamen für zwei Jahre bis zur Approbation) erlebte ich einmal eine alte Frau, die voll von panischer Angst schlotternd auf einer Fahre im Flur wartete. Ich ging zu ihr, um sie zu entlasten und sie konnte kaum etwas anderes sagen, als dass sie 'deutsche Zigeunerin' und noch nie im Krankenhaus gewesen sei. Erst Jahrzehnte später erfuhr ich, dass Roma und Sinti den Kontakt mit einem Arzt als direkten Hinweis auf den Tod betrachten, den es unbedingt zu vermeiden gilt. Darüber wird nach außen offenbar wenig gesprochen. Magische Vorstellungen (Aberglaube) haben bei dieser Bevölkerungsgruppe einen hohen Stellenwert. Aber sie sind natürlich auch in der übrigen Bevölkerung viel verbreiteter als man 200 Jahre nach Kant annehmen sollte. Ich würde deshalb auch diese Motiv-Gruppe, gerade weil überhaupt nicht untersucht, für nicht unwesentlich bei der Verweigerung von Kli-nikaufnahmen halten.

3c) Als dritte Gruppe fallen mir Menschen ein, die eine gefährliche Krankheit verleug-nen. Ein Taxifahrer, der mich nach meinem Beruf gefragt hatte, erzählte mir, dass er eine Frau gefahren habe, die aus der Brust blutete, aber nicht zum Arzt wollte, weil sie befürchte, dass dann die Brust 'abgeschnitten' würde. Die Frau - das ist jetzt meine Interpretation - wusste tatsächlich sehr genau, dass sie mit hoher Wahrschein-lichkeit einen (fortgeschrittenen) Brustkrebs hatte. Die geäußerte kosmetische Sorge will ich nicht vernachlässigen, aber ich unterstelle, dass sie real begründete Todes-ängste hatte, die sie verleugnete. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Ä ngste vor Diagnose einer schweren Erkrankung manche Menschen auch aus dem Kranken-haus fernhalten. Vermutliche werden solche Ängste dann mit einer allgemeinen Kritik an Krankenhäusern rationalisiert - wofür sich allemal gute Gründe finden lassen.

Sie sehen, dass ich mir Ihre Fragestellung erst einmal durch den Kopf gehen lassen muss und Sie daran teilhaben lasse. Eine systemische Bearbeitung der Frage kenne ich nicht. Was ich Ihnen da entwickelt habe, ist meine Berufserfahrung von 50 Jah-ren. (Ich hatte zuletzt den Lehrstuhl für Psychosomatische Medizin und Psychothera-pie an der Universität Mainz 1982-2004 inne.)

Vielleicht helfen Ihnen Literatursuchen unter Arztphobie, Medizinphobie, hypochond-risches Krankheitsverhalten (ICD-10 F45.2 Hypochondrische Störung), Operations-phobie und ähnliche Stichwörter weiter. Die Literatur dürfte, wenn überhaupt zielfüh-rend, ziemlich verstreut sein.

Die zweite Frage ist leichter und schwieriger zugleich. Die Lehre von Persönlichkeits-typen ist wie alle Typologien in Verruf geraten. (Ich habe sowohl Medizin wie Psycho-logie studiert.) Niemand lässt sich gerne zum Typ machen, mag er auch noch so ty-pisch sein. Die ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.6) könnte ein Hinweis sein. In jedem Fall sind ‚Krankenhaus-Vermeider‘ keine einheitli-che Gruppe, die man rasch erkennen könnte. In der Arztpraxis benötigen sie wahr-scheinlich besonderen Zeitaufwand in Zuwendung und Aufklärung. Sie lösen beim Arzt vermutlich auch verdeckten oder offenen Unmut aus: man möchte den Betref-fenden helfen, aber sie lassen es aber nicht zu/können es nicht zulassen. Und drau-ßen sitzt das Wartezimmer voll Hilfsbedürftiger!

Liebe Frau Kindermann, anstatt meine Weihnachtspost weiter zu bearbeiten, haben Sie mich zum Bedenken einer ziemlich offenen Fragestellung verführt. War mir aber nicht unangenehm.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Im weiteren Verlauf der Arbeit wird keine Differenzierung zwischen männlichen und weiblichen Endungen und Bezeichnungen vorgenommen. Generell sind immer beide Geschlechter gemeint.

2 Zur Vermeidung von Unklarheiten werden daher die Bezeichnungen Angst, Furcht und Ängstlichkeit in der Arbeit synonym benutzt und beschreiben stets dasselbe Merkmal.

3 Zur Vermeidung von Unklarheiten werden daher die Bezeichnungen Angst, Furcht und Ängstlichkeit in der Arbeit synonym benutzt und beschreiben stets dasselbe Merkmal.

4 Agoraphobie vom altgriechisch „agora“= Marktplatz wörtlich übersetzt mit Platzangst (vgl. Psychenet, 2011)

5 Auf andere Betrachtungsweisen von Angst und die Aufführung weiterer Angsttheorien wird verzichtet, da die Realangst ausschlaggebend für das vorliegende Thema ist.

6 Kindermann, anstatt meine Weihnachtspost weiter zu bearbeiten, haben Sie mich zum Bedenken einer ziemlich offenen Fragestellung verführt. War mir aber nicht unangenehm.

7 Sie lösen beim Arzt vermutlich auch verdeckten oder offenen Unmut aus: man möchte den Betref-fenden helfen, aber sie lassen es aber nicht zu/können es nicht zulassen.

8 Auf andere Betrachtungsweisen von Angst und die Aufführung weiterer Angsttheorien wird verzichtet, da die Realangst ausschlaggebend für das vorliegende Thema ist.

9 Wenn ich Ihnen aber bare Unterordnungen (differentia specifica) aufgliedern lässt.

Ende der Leseprobe aus 50 Seiten

Details

Titel
Angst. Warum hindert sie Erwachsene daran, medizinische Behandlungen wahrzunehmen?
Hochschule
Evangelische Hochschule Nürnberg; ehem. Evangelische Fachhochschule Nürnberg
Note
2,4
Autor
Jahr
2018
Seiten
50
Katalognummer
V537766
ISBN (eBook)
9783346199485
ISBN (Buch)
9783346199492
Sprache
Deutsch
Schlagworte
angst, behandlungen, erwachsene, warum
Arbeit zitieren
Uschi Kindermann (Autor:in), 2018, Angst. Warum hindert sie Erwachsene daran, medizinische Behandlungen wahrzunehmen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537766

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