Sexualerziehung in der Schulsozialarbeit. Chancen und Grenzen


Bachelorarbeit, 2019

45 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Sexualerziehung vs. Sexualpädagogik vs. Sexualaufklärung
2.1 Geschichte der Sexualerziehung
2.2 Herausforderungen und aktuelle Diskurse

3 Definitionen zum Thema sexuelle Orientierung

4 Sexuelle Identität und einige Überlegungen

5 Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und dessen Folgen

6 Notwendigkeit der Sexualerziehung

7 Grenzen der Sexualerziehung - Fehlende Einheitskonzepte

8 Sexualerziehung - ein Thema der Schulsozialarbeit?

9 Sexualerziehung als Präventionsmaßnahme?

10 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Thematik der Sexualerziehung in Deutschland, welche für mich ein besonderes Augenmerk bekommen muss, um eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Menschen mit diversen sexuellen Orientierungen zu schaffen. Dabei beleuchte ich Chancen sowie Grenzen der Sexualerziehung und stelle mir die Frage, inwieweit die Schulsozialarbeit Einfluss auf das Feld der Sexualerziehung haben kann. Sexualität ist dabei ein Thema, das uns alle betrifft. Bereits im Kleinkindalter ist zu beobachten, dass Kinder ihre Genitalien entdecken und dies teilweise sehr öffentlich tun, da sie noch kein Schamgefühl empfinden (vgl. Leifgen 2014: 1). Das verunsichert sehr viele Erwachsene, weil sie oftmals nicht wissen, wie sie mit dieser Thematik umgehen sollen. Sie fühlen sich überfordert und ratlos (vgl. Schmauch 2016: 36). Deshalb betrifft Sexualerziehung nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern ebenso Erwachsene. Besonders spannend wird es, wenn Jugendliche ihre Sexualität entdecken und merken, dass sie sich etwas „anders“ fühlen als ihre Mitschülerinnen und sie vielleicht nicht in das typische Rollenbild einer heteronormativen Gesellschaft passen. Dieser Umstand bringt oft Schwierigkeiten mit sich, die bewältigt werden müssen.

Auf der einen Seite scheint die Anerkennung und Wertschätzung gegenüber Personen diverser sexueller Orientierungen in der Gesellschaft zugenommen zu haben (vgl. Hartmann 2017: 58). Auf der anderen Seitejedoch ist unser Denken in einem binären Denkmuster verstrickt, wenn die Rede von Sexueller Vielfalt ist. Demnach wird die Heterosexualität als Norm oft nicht hinterfragt und stellt somit die gesellschaftlich vorherrschende sexuelle Zweiteilung nicht in Frage (vgl. Hartmann 2017: 58). Größtenteils wird der Begriff ,Heterosexualität‘ in Lehrbüchern gar nicht erst definiert und bei der Definition von ,Homosexualität‘ werden überwiegend zwei Männer abgebildet, anstatt zwei Frauen (vgl. Bittner 2015: 256). Durch die teilweise fehlenden Definitionen der Heterosexualität, wird dies unhinterfragt als Normalität betrachtet und führt somit zu binären Denkweisen bereits in der frühen Kindheit.

Unter anderem sehe ich die Verantwortung in der falschen oder gar fehlenden Sexualerziehung an Grundschulen und weiterführenden Schulen. Ebenso gibt es weitreichende Probleme, da Verantwortungsbereiche nicht eindeutig geklärt zu sein scheinen. So gibt es rege Debatten dar­über, ob Sexualerziehung den Schulen oder den Eltern überlassen sein soll. Mein Interesse richtet sich darauf, inwieweit die Schulsozialarbeit Einfluss nehmen kann und ob Sexualerziehung ein Gegenstandsbereich der Schulsozialarbeit ist. Denn genau an diesem Ort soll Sexualerziehung ein Augenmerk auf die Vielfältigkeit legen, um Kindern die Diversität der Sexualität nä­herzubringen. Denn Sexualerziehung ist notwendig, um die Identitätsentwicklung bereits in der frühen Kindheit zu erleichtern und um für mehr Anerkennung sexueller Vielfalt zu sorgen.

Aus diesem Grund gehe ich im ersten Teil dieser Arbeit zunächst darauf ein, was Sexualerziehung im Groben ist und wie sich diese zur Sexualpädagogik und der Sexualaufklärung unterscheidet. Dies ist wichtig, da diese Begrifflichkeiten oft verwechselt werden. Im weiteren Verlauf des zweiten Kapitels wird der geschichtliche Hintergrund beleuchtet und zeigt, wie sich Sexualerziehung historisch entwickelt hat und welchen enormen Einfluss dabei kirchliche Lehren hatten. Danach erläutere ich die Herausforderungen dieser Form der Erziehung im heutigen Kontext und gehe darauf ein, welche Folgen die damalige Tabuisierung der Sexualerziehung bis heute hat. Denn oft scheinen pädagogische Fachkräfte nur pseudotolerant zu sein (vgl. Göth/Kohn 2014: 18). Diesbezüglich werde ich auch kurz aktuelle Diskurse eruieren.

Anschließend definiere ich im dritten Kapitel kurz die weit verbreitetsten sexuellen Orientierungen und beschreibe die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. Denn sexuelle Orientierungen sind nicht immer eindeutig, wie das Modell der sexuellen Fluidität nach Diamond zeigt, das besagt, dass Menschen sexuell fluide seien und sich somit nicht nur auf eines der Geschlechter beschränken. Die Kinsey Skala, welche an das Modell nach Diamond anknüpft, soll Erfahrungen im sexuellen Kontext einordnen und zeigen, dass Sexualität sehr fluide sein kann. Das Klein Sexual Orientation Grid erweitert und spezifiziert die Dimensionen der sexuellen Orientierung und Identität. Diese Modelle befinden sich im Anhang dieser Arbeit.

Im vierten Kapitel erkläre ich die sexuelle Identität, und wie man diese von der sexuellen Orientierung abgrenzen muss. Dabei gehe ich auf die Unterschiede der Identitätsentwicklung bei Homo- und Heterosexuellen ein. Im fünften Kapitel gehe ich auf Diskriminierungsformen ein, die speziell für Nicht-Heterosexuelle eine Rolle spielen. Die Folgen, die aus einer Diskriminierung hervorgehen sind oft Depressionen mit einhergehenden Suizidversuchen, welche ich darstellen und mit Studienergebnissen untermauern werde. Plöderl, der sich mit dem Thema der sexuellen Orientierung und Suizidalität beschäftigt, versucht Erklärungsansätze zu finden, weshalb ein erhöhtes Risiko für Depressionen und Suizidalität besteht. Er gliedert sie in drei wesentliche Bereiche, auf die ich ebenso im fünften Kapitel eingehen werde.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit beschäftigt sich mit der Notwendigkeit der Sexualerziehung im sechsten Kapitel. Dabei spielen die Sexualität und die sexuelle Selbstbestimmung eine enorm wichtige Rolle. So stärkt Sexualerziehung nach Müller die Fähigkeit über seine eigene Sexualität weitgehend willentlich zu verfügen. Des Weiteren führt es zur besseren Selbstreflexion und soll die eigene Sexualität als etwas individuelles begreifbar machen (vgl. Müller 1992: 102). Weiter versuche ich zu untermauern, warum eine Sexualerziehung zur toleranteren Identitätsentwicklung führen kann und gehe darauf ein.

Anschließend versuche ich auch die Grenzen der Sexualerziehung zu erläutern und was daran kritisiert werden kann, da zum Beispiel Einheitskonzepte fehlen und dies zu großen Unsicherheiten führen könnte. Dennoch scheinen mir die Grenzen sehr marginal zu sein, da gelingende Sexualerziehung einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hat.

Da die Schulsozialarbeit mal mehr und mal weniger in den schulischen Alltag integriert wird, gehe ich darauf ein, ob Sexualerziehung ein Gegenstandsbereich der Schulsozialarbeit ist bzw. sein sollte. Dabei nenne ich zuerst das Aufgabengebiet der Schulsozialarbeit. Sexualerziehung hat dabei immer einen aufklärenden präventiven Charakter, weshalb ich daraufhin aufPräventionsmaßnahmen an Schulen eingehen werde, wie sexuelle Aufklärung und Bildung. Abschlie­ßend bewerte ich die Notwendigkeit der Sexualerziehung in meinem Fazit und eruiere final, welchen Einfluss die Schulsozialarbeit dabei hat.

2 Sexualerziehung vs. Sexualpädagogik vs. Sexualaufklärung

Sexualerziehung spielt eine essentielle Rolle für die Identitätsentwicklung bei Kindern und Jugendlichen. Bereits im Kindesalter entdeckt das Kind seinen Körper und kann damit einige Erwachsene verunsichern. Um als erwachsene Person damit umgehen zu können, sind Kompetenzen notwendig, die teilweise sogar einige Fachkräfte aus der Sozialen Arbeit nicht besitzen und daher überfordern (vgl. Schmauch 2016: 36). Auch wenn das Wort „Erziehung“ in „Sexualerziehung“ steckt, heißt es nicht, dass dies nur Kinder und Jugendliche tangiert. Ebenso spielt es eine Rolle für die Erwachsenen (vgl. Sielert 2006: 68). Doch was genau ist Sexualerziehung und was ist der Unterschied zur Sexualaufklärung sowie der Sexualpädagogik?

Die „Sexualerziehung als Praxis meint die kontinuierliche, intendierte Einflussnahme auf die Entwicklung sexueller Motivationen, Ausdrucks und Verhaltensformen sowie von Einstel- lungs- und Sinnaspekten der Sexualität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.“ (Sielert 2006: 68). Demnach besteht bei Sexualerziehung scheinbar keine freie Entwicklung der eigenen Sexualität, wenn laut Definition nach Sielert die Rede von einer intendierten Einflussnahme ist - so kann sie schließlich gesellschaftlich gewünschtes Verhalten konstruieren. Dennoch ist zu erkennen, dass diese Art der Erziehung nicht nur Kinder und Jugendliche betrifft - auch Erwachsene können Empfängerinnen dieser Erziehung sein.

Die soeben genannte Definition nach Sielert ist nur eine von vielen. Das liegt daran, dass Sexualerziehung bis dato nicht eindeutig definiert ist.

Kluge spricht beispielsweise davon, dass Sexualerziehung ein Teilaspekt der Gesamterziehung sei. Das bedeutet im Grunde, dass sie zujeder Zeit in allen Erziehungsinstitutionen (Kindergarten, Schule, Heim, etc.) von allen Erzieherinnen genauso wie andere Erziehungsaufgaben zu leisten sei. Sexualerziehung sei dabei ein linearer und ablaufender Prozess, der den älteren Begriff der Sexualaufklärung ablösen solle, da er sich meist auf einmalige Belehrung und Aufklä­rung über sexualbiologische Sachverhalte und moralische Appelle beschränke (vgl. Kluge 1978: 40).

Es gibt also viele Begrifflichkeiten,jedoch keine Einigkeit über deren Bedeutung (vgl. Etschen- berg 2019: 2). Deshalb versuche ich die differenzierte Betrachtung nach Etschenberg anzuschauen, welches als Diskussionsbeitrag anzusehen ist „und nicht als Darstellung und Aneinanderreihung von allgemeingültigen Definitionen.“ (Etschenberg 2019: 2). Etschenberg spricht davon, dass alle Definitionen der Sexualerziehung einen gemeinsamen Nenner haben. Dieser Nenner sei die „gezielte Beeinflussung von Kindern als Mensch mit Sexualorgan und mit der Möglichkeit, diese zum Lustgewinn und zum Kinderkriegen zu nutzen.“ (Etschenberg 2019: 2).

Etschenberg beschreibt demnach, dass ausschließlich Kinder von Sexualerziehung betroffen seien und dabei erlernen würden mit ihren Geschlechtsteilen sowohl einfach aus Lust zu handeln als auch dadurch Kinder zeugen zu können. Meines Erachtens fehltjedoch die Ergänzung der erwachsenen Menschen, die ebenso von Sexualerziehung betroffen sind und dadurch profitieren (vgl. Sielert 2006: 68).

Der wesentliche Unterschied zur Sexualpädagogik sei laut Kluge, dass Sexualerziehung mehr praxisbezogenerund die Sexualpädagogik ehertheoriegeleiteter sei (vgl. Kluge 1978: 40). Somit steht die Sexualerziehung in den Bereichen der Praxis, während Sexualpädagogik den Bereich der Forschung und Lehre widerspiegelt. So wird Sexualpädagogik als eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaften angesehen, die in erster Linie ihren Forschungsgegenstand in der menschlichen Sexualität unter erziehungstheoretischem Aspekt sieht (vgl. Kluge 1978: 40).

Es wird jedoch nicht nur von Sexualerziehung sowie -pädagogik gesprochen, sondern ebenso von der Sexualaufklärung. Dabei beschränkt sich die Sexualaufklärung hauptsächlich auf den biologischen Teil der Sexualität. Die Anatomie der Geschlechtsorgane und körperliche Veränderungen in der Pubertät werden dabei thematisiert und nach Kluge stellt dies ein einmaliges Geschehen dar, sexualpädagogische Inhalte mit moralpädagogischen Anmerkungen vermittelt zu bekommen (vgl. Kluge 1978: 40). Kluge geht infolgedessen davon aus, dass Sexualaufklä­rung seitens der pädagogischen Fachkräfte durch Anmerkungen nicht wertfrei geschehen könne. Dies würde zum Beispiel an Grundschulen das Fach der Sachkunde betreffen und an weiterführenden Schulen wird dies im Fach der Biologie fortgeführt (vgl. Etschenberg 2019: 2).

Der Schwerpunkt der Diskussionen dieser relevanten Begrifflichkeiten rund um die Sexualerziehung ist die schulische Sexualerziehung, die 1968 eingeführt wurde und um die es seitdem ziemlich still geworden ist. In letzter Zeit gibt esjedoch wieder rege Debatten und hitzige Diskussionen. Teilweise werden sogar Vorwürfe erhoben - es ist die Rede von staatlich gebilligter Frühsexualisierung (vgl. Schmauch 2016: 32). Dieser Vorwurf betrifft primär Lehrerinnen in den Fächern der Sachkunde an Primarschulen sowie Lehrerinnen im Fach der Biologie an den Sekundarstufen (vgl. Etschenberg 2019: 2). Dabei wird gesagt, dass Kindern und Jugendlichen durch Sexualaufklärung und Sexualerziehung die Sexualität von außen herangetragen werden würde (vgl. Schmauch 2016: 32).

Doch bevor ich näher auf die Herausforderungen von heute eingehen werde, beleuchte ich kurz historische Abschnitte der Sexualerziehung.

2.1 GeschichtederSexualerziehung

Seit Jahrhunderten wurde im deutschen Kulturkreis Sexualität durch die „kirchenamtlich interpretierte christliche Sicht von Sexualität bestimmt.“ (Sielert 2006: 68). Das bedeutet, dass die Ansichten sehr religiös geprägt und daher sehr konservativ bestimmt waren. Daraus resultierte seit dem 17. Jahrhundert in Europa die dominierende Sexualerziehung. Die meisten Bücher und Traktate aus den 1960ern wurden durch Koch 1971 analysiert, wobei er zu einem spannenden Ergebnis kam. Die meisten Schriften seien katholischer, evangelischer, aber auch überkonfessionell-christlicher Herkunft und seien daher identisch mit den religiös geprägten sexualmoralischen Werten (vgl. Koch 1971).

Heider nach wurden speziell zu dem Zwecke der Sexualaufklärung Psycholog*innen und Pfarrerinnen in den Unterricht eingeladen (vgl. Heider 2014: 35). Sie verwendeten bis 1969 das Lehrbuch für den katholischen Religionsunterricht als überarbeitete Auflage des ,katholischen Katechismus für die Bistümer Deutschlands4. Mit dem Katechismus sind Lehrbücher für den christlichen Glaubensunterricht gemeint. Diese Bücher sind in Fragen und Antworten aufgeteilt. Sexualaufklärung auf dieser Grundlage konnte so nicht wirklich stattfinden, was aber scheinbar auch nicht das Ziel war. Es ging vielmehr darum, den Heranwachsenden „unbedingte SchamhaftigkeitundKeuschheitnahezulegen.“ (vgl. Schmidt, R.-B. 2017: 45).

Diese Moraltheologie und kirchenamtliche Lehre hatte eine enorme Beeinflussung (vgl. Sielert 2006: 68). Daneben aber wurde durch definitionsmächtige Leitwissenschaften, insbesondere der Medizin und Psychiatrie, die sexualpädagogische Praxis und ihre Praxistheorien instrumentalisiert. Um ein Beispiel zu nennen, verweise ich auf die Anti-Onanie-Kampagne, die im 18. Jahrhundert erst einmal als rein medizinisch, präventiv gemeintes Programm deklariert wurde und von der Pädagogik der Philanthropen aufgegriffen und in Erziehung umgesetzt wurde. „Die Erziehungsziele der Philanthropen entsprachen der bürgerlichen Moral insofern, als sie von den Heranwachsenden Triebunterdrückung und Enthaltsamkeit bis zur Ehe verlangten“ (Zimmermann 1999, S. 24).

Daraus resultierten negative Konsequenzen für die Medizin, speziell der Psychiatrie. Das Problem war, dass daraufhin alle Ärztinnen mit vielen verschiedenen Krankheitsbildem konfrontiert wurden, die offensichtlich stark durch einen sexuellen Hintergrund geprägt waren und welche nur mit Identitätskonflikten erklärt werden konnten, die durch Sexualunterdrückung bedingt waren. Daraus folgte eine Ausdifferenzierung der psychiatrischen Diagnostik, bei der alles, was als besonders und abweichend galt, versucht wurde zu etikettieren und eine Ursachenforschung zu betreiben. Zwischenzeitlich hatte Sigmund Freud auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass Sexualität bereits im Kindheitsalter existiert und persönlichkeitsrelevante Funktionen hat, um eine gesunde kindliche Entwicklung zu gewährleisten. Sexualerziehung sollte folglich indes Persönlichkeitsstörungen verhindern (vgl. Sielert 2006: 68).

Als Konsequenz daraus folgten zu Beginn des 20. Jahrhunderts pädagogische Initiativen von Sexualwissenschaftler*innen, wie z.B. Max Hodan und Wilhelm Reich, aber auch von Erzieherinnen (vgl. Sielert 2006: 68f). Diese Reform bliebjedoch erst einmal theoretisch bestehen, bis es in den 1960ern mit den sozioökonomischen und politischen Veränderungen eine größere Verbreitung und gesellschaftliche Beachtung fand. „Die 68er-Bewegung erklärte die radikale Befreiung von sexuellen Zwängen zur zentralen Bedingung für eine Demokratisierung der Gesellschaft und machte diese Forderung durch vielerlei öffentlichkeitswirksame Demonstrationen bekannt.“ (Sielert 2006: 68). Die Sexualität wurde also wieder publik und öffentlich thematisiert - dieses Mal jedoch von der Soziologie. Die Schulverwaltungen erließen damals Richtlinien zur Sexualerziehung, die vordergründig zwar fortschrittlich erschienen, aber im Grunde nur dazu dienten, „Schlimmeres zu verhindern.“ (Müller 1993: 18). Erstaunlicherweise kam es dabei zu einem hohen Maß an sexual-freundlichem Konsens. Aufgrund verschiedener Befürchtungen politischer Hebelwirkungen der Sexualität wurden verschiedene Richtlinien erlassen, die unter anderem dafür sorgten, dass Lehrerinnen vorgeschrieben bekamen, welche Materialien in der Schule nicht benutzt werden durften. Das führte dazu, dass „sexualrevolutionäre didaktische (...) Materialien“ (Amendt 1970) nicht verwendet werden konnten.

Ende der 1960er Jahre gab es eine pädagogische Auseinandersetzung mit den autoritären Erziehungssystemen und erste Überlegungen zur affirmativen und emanzipatorischen Sexualerziehung (vgl. Henningsen 2016b: 11). Durch die repressive Sexualerziehung wurde von Kindern und Jugendlichen verlangt, dass sie ihren ,bedrohlichen‘ Sexualtrieb unter Kontrolle hielten. Somit wurde bei Heranwachsenden mit Ablenkung, Erzeugung von Angst und Ekelgefühlen sowie Überwachung und Bestrafung gearbeitet, um sexuelle Handlungen zu unterbinden (vgl. Glück 1998). Die „liberal(schein)affirmative Sexualerziehung“ (Henningsen 2016b: 11) allerdings rückte das Recht des Kindes auf Sexualerziehung in den Vordergrund. Dies führte dazu, dass Sexualerziehung nicht komplett negiert wurde, dennoch eine „Ja, aber ...“- Mentalität erschuf. So wurde Sexualität ausschließlich in die Verantwortung des Individuums übertragen (ebd.). Es wurde eine Vorstellung erschaffen - ähnlich wie die repressive Sexualerziehung -, Kinder möglichst lange von der Sexualität ,frei‘ aufwachsen zu lassen. Lediglich die emanzipatorische Sexualerziehung beachtete die Mehrdimensionalität der Sexualität sowie die Bejahung vielfältiger Aspekte und Aufklärung über gesellschaftliche Bedingungen (ebd.). Ende der 1990er Jahre stellte Gerhard Glückjedoch diese Dreiteilung infrage und entwickelte Konzepte und Ansätze der praktischen Sexualerziehung.

Die 1970er und 1980er Jahre gelten als die Jahre der „reaktionären Ereignisse und sexualpädagogischen Ernüchterung.“ (Sielert 2006: 68). Es wurden zwar 1968 in den Konferenzen der Kultusminister „Empfehlungen der Sexualerziehung in den Schulen“ beschlossen und in den meisten Bundesländern auch diese Richtlinien zur Sexualerziehung verordnet, doch blieb es eher ein „Siegeszug der Sexualpädagogik am grünen Tisch“ (Müller 1992: 19). Das Jahr 1968 kann als markanter Einschnitt für die Sexualpädagogik, aber auch für die allgemein gesellschaftliche Entwicklung erachtet werden (vgl. Schmidt, R.-B. 2017: 154). Die Rede ist von der sexuellen Revolution. Maßgebliche Standards wurden dabei durch Pionierleistungen von Pro Familia ins Leben gerufen und durch Initiativen von Schülerinnen und Studierenden (vgl. Sie- lert2006: 68).

Beschränkt auf die schulische Sexualerziehung ist festzuhalten, dass bis 1974 alle Bundesländer eigene Richtlinien zur Sexualerziehung erlassen haben. Bezogen auf die ersten sexuellen Erfahrungen zeigt sich, dass die Jugendlichen nun sexuell deutlich aktiver waren, als die Generationen zuvor. 1973 wurde eine Untersuchung von Sigusch und Schmidt veröffentlicht, in der eine deutliche Vorverlagerung sexueller Aktivitäten betrachtet werden konnte. Dabei wird ersichtlich, dass die damals 16- bis 17-Jährigen sich sexuell so verhalten haben, wie die damals 19- bis 20-Jährigen 10 Jahre zuvor (Sigusch/Schmidt 1993: 10). Außerdem wurde das Thema nicht mehr skeptisch betrachtet, sondern vielmehr als etwas mehr oder weniger Normales angesehen.

1977 gab esjedoch einen Einschnitt in die Sexualerziehung. Das Bundesverfassungsgericht traf eine Entscheidung, dass sich schulische Sexualerziehung nur auf Wesentliches beschränken sollte und somit nur noch als eine Art Wissensvermittlung ohne Wertung dienen sollte. Diese Entscheidung verunsicherte viele Lehrkräfte und außerschulische Pädagog*innen (vgl. Sielert 2006: 69).

1983 kam dann noch hinzu, dass der damalige Bundesfamilienminister, Heiner Geißler, die Arbeitshilfe bzw. -mappe „Betrifft Sexualität“ einzuziehen und zu verbieten. Somit fand die schulische Sexualerziehung faktisch nicht mehr statt, dennoch wurde sie in der außerschulischen Jugendarbeit thematisiert. Der Staat und die Rechtsprechung gaben die Verantwortung der Sexualerziehung an die Eltern, diese wiederum an die Schulen und die Schulen an die au­ßerschulische Jugendarbeit ab. Diese wiederum gaben die Verantwortung an die Familien. Es war wie ein Kreis der Verzweiflung hinsichtlich der sexuellen Aufklärungs- und Erziehungsarbeit, wofür sich niemand wirklich verantwortlich fühlte (vgl. Sielert 2006: 69).

Erst in den späten 1980er Jahren kam es zu einem erneuten öffentlichen Comeback der Sexualerziehung. Grund dafür waren die ersten Diskurse um AIDS, dem sexuellen Missbrauch, die Vermarktung von Sexualität in den Medien und die feministische Infragestellung des Patriarchats. Es schien nach Sielert „sexualpolitisch als Gefahrenabwehrpädagogik gewollt, fachwissenschaftlich aber weitgehend im sexualfreundlich-emanzipatorischen Sinne genutzt.“ (Sielert 2006: 69).

1992 wurde in Deutschland erstmals die Thematik der Sexualpädagogik gesetzlich festgelegt: Das Gesetz über Aufklärung, Verhütung, Familienplanung und Beratung. Es hieß „Schwangeren- und Familienhilfegesetz“. Den Auftrag zur Erstellung sexualaufklärender Konzepte erhielt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, kurz: BZgA. Sie sollten zusammen mit freien Wohlfahrtsträgern diese Konzepte erarbeiten. Einige Bundesländer überarbeiteten indes ihre Richtlinien für Schulen, u.a. Hamburg im Jahre 1996 und Nordrhein-Westfalen im Jahre 1997. Dabei entstanden unter anderem sexualpädagogische Fortbildungseinrichtungen, wie das Institut für Sexualpädagogik in Dortmund und eine Vielzahl an didaktischen Materialien für den schulischen und außerschulischen Gebrauch, welche bis heute (teilweise überarbeitet) verwendet werden.

2.2 Herausforderungen und aktuelle Diskurse

Schon damals herrschte Unsicherheit, warum gerade Schule „(...) offen, sachlich und „natürlich“ mit sexuellen Themen umgehen (...)“ (Müller 1992: 60) sollte, wenn viele andere öffentliche Themen gesellschaftlich größtenteils einem hohen Tabuisierungsgrad unterliegen. Es stand die Frage im Raum, warum es ausgerechnet Schulbehörden, Lehrerinnen, Eltern und Schülerinnen selbst gelingen sollte die Sprachlosigkeit und Repressivität - eine Art Unterdrü­ckung, auf sexuellem Gebiet - zu überwinden (vgl. Müller 1992: 60).

Die damalige Tabuisierung dieser Thematik hat leider bis heute ihre negativen Folgen in den Köpfen vieler Lehrkräfte, Pädagog*innen und Erzieherinnen gefunden. Die scheinbar Fortschrittlichsten unter ihnen signalisieren zwar nach außen hin, dass sie sexualfreundlich zu sein scheinen, in Wirklichkeit jedoch ziemlich betroffen sind von der damaligen Sexual-feindlich- keit. Norbert Kluge geht dabei auf das Beispiel ein, in dem etwa Erzieherinnen „den Eltern eine positive Einstellung zu den sogenannten Doktorspielen empfehlen, selbst dann aber den Kindern das Mitbringen von Puppen mit Geschlechtsorganen verbieten mit der Begründung, die kindliche Sexualität dürfe nicht überbewertet werden“ (vgl. Kluge 1988: 10). Weitere Beispiele sind Lehrkräfte, die Sexualität als wesentliche Komponente sozialer Interaktion bewerten, selbst aber größtenteils zurückschrecken, Fotos von Geschlechtsorganen im Unterricht zu verwenden oder über brisante Themen zu reden, wie Abtreibung, Geschlechtsverkehr oder Zeugung (ebd.).

Diese oberflächlichen Verhaltensweisen verschiedener Lehrkräfte werden als Pseudotoleranz bezeichnet. Das bedeutet, dass sie eine tolerante, positive Haltung gegenüber diesen Themen haben, diese aber nur oberflächlich präsentieren und nicht durchgängig getragen werden kann (vgl. Göth/Kohn2014: 18).

Um diese Themen besser zu verinnerlichen und Betroffene zu verstehen, können Regenbogenkompetenzen den Umgang erleichtern. Regenbogenkompetenz „bezeichnet die Fähigkeit einer Fachkraft der Sozialen Arbeit, mit den Themen der sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identitäten professionell und diskriminierungsfrei umzugehen.“ (Schmauch 2014: 43). Dabei setzt sie sich aus vier Elementen zusammen: der Sachkompetenz, der Methodenkompetenz, der Sozialkompetenz und der Selbstkompetenz.

Die Sachkompetenz umfasst das Wissen über verschiedene Lebenslagen, Diskriminierungen und Ressourcen sexueller Minderheiten. Die Methodenkompetenz bezieht sich dabei auf die Handlungsfähigkeit und das Verfahrenswissen im Bereich der sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität. Mit der Sozialkompetenz ist die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit gemeint ebenso im Bereich der sexuellen Orientierungen und geschlechtlicher Identität. Zu guter Letzt bezeichnet die Selbstkompetenz die Fähigkeit zur Reflexion der eigenen Gefühle, sowie Vorurteile und Werte in Bezug auf die sexuelle Vielfalt (vgl. Schmauch 2014: 43).

Häufig ist es so, dass selbst Sozialarbeiterinnen auf ihrer Arbeit mit dem Thema der sexuellen Diversität scheinbar gut zurechtkommen, aber sich dennoch in Widersprüchen verstricken, wenn sie nicht wissen, wie sie mit dem Outing eines/einer Klientin umgehen sollen. Sozialen Fachkräften scheint der Umgang mit Homosexualität nach eigenen Angaben kein Problem zu sein. Und dennoch zeigen sich gleichzeitig häufig Unsicherheiten und Schwierigkeiten auf der Handlungsebene (vgl. Schmauch 2014: 43).

Das Thema der Sexualität kann für Soziale Arbeit im Alltag ziemlich schwer annehmbar sein. In vielen Institutionen kommt es zu hohen Belastungen im Arbeitsalltag, seien es Themen wie Arbeitslosigkeit oder Armut. So spricht Schmauch davon, dass das Thema der Sexualität dabei „fast luxuriös“ (Schmauch 2014: 42) erscheint, weil Sozialarbeiterinnen es kaum schaffen den Menschen als Ganzes zu betrachten - dazu gehört eben auch das Thema der Sexualität. Deshalb ist es umso wichtiger Fachkräfte dazu anzuregen ihre Klientinnen im Umgang mit Sexualität in ihren Einrichtungen genau wahrzunehmen. Das betrifft auch das immer wieder sexualpolitisch umkämpfte Gebiet der Kinder- und Jugendsexualität und einer Sexualaufklärung. Es hat eine hohe Bedeutung geschlechtsspezifische Perspektiven anzunehmen sowie zu verstehen. Ebenso werden koedukative sexualpädagogische Konzepte weiterentwickelt. Als eine weitere Herausforderung wird die Einwanderungsgesellschaft betrachtet, die mit weiteren sexuellen Werten, Beziehungs- und Lebensformen als sehr relevant erscheint. Sie werden zum einen als sehr bereichernd angesehen und zum andern bergen sie Konfliktpotenzial und Diskriminierungsrisiken. Nicht zuletzt prägen dabei die Medien sowohl privat als auch öffentlich das Bild der Gesellschaft nachhaltig mit teilweise unübersichtlichen Inhalten (vgl. Schmauch 2014: 42). Selbstverständlich bedeutet Sexualerziehung keinesfalls, dass sexuelle Übergriffigkeiten akzeptiert werden - auch wenn dies oft von der Gegenseite propagiert wird (vgl. Schmauch 2016 :32). So las man in derBild-Zeitung vom 09.10.1978 mit der Schlagzeile: „Sexualkundeunterricht - Schüler zogen Lehrerin (26) nackt aus!“. Glücklicherweise erwies sich diese Nachricht aufgrund von Nachforschungen als frei erfunden und erlogen (vgl. Müller, 1992: 37). Der Medieneinfluss kann enorme Auswirkungen haben. Auch heute verbreiten sich sogenannte Fake­News immer öfter und Menschen können sie nicht immer auf Anhieb erkennen (vgl. Schnei- der/Toyka-Seid 2019). Dies stellt ebenso Herausforderungen an die heutige Sexualerziehung dar.

Ebenso belastend, wie Fake-News sind Gegenbewegungen, die sich gegen Sexualerziehung stellen. Dabei versuchten sogenannte „Besorgte Eltern“ seit einigen Jahren den Sexualkundeunterricht an Schulen zu verhindern, weil sie davon überzeugt sind, ihre Kinder würden mit der Thematik zu früh konfrontiert werden (vgl. Kutscher/Gnielka 2019: 115). Auch die „Demo für alle“ initiierte Bewegungen, die ähnliche Ziele verfolgten. Darunter werden bereits etablierte sexualpädagogische Konzepte unter Generalverdacht gestellt, Kinder zu früh sexualisieren zu wollen. Angriffe auf Aktuer*innen im Forschungsbereich dieser Thematik sind keine Seltenheit (vgl. Kutscher/Gnielka 2019: 116). Eine öffentlich geführte Debatte scheint daher unmöglich.

So istjede (Selbst-)Kritik kaum äußerbar, weil sie sonst als Eigengeständnis gewertet werden könnte. Ebenso werden Zurückhaltungen als Zeichen dafür gewertet, dass doch etwas an der Kritik dran sein könnte, (vgl. Kutscher/Gnielka 2019: 116).

Sowohl die Gegenseite als auch Befürworterinnen der Sexualerziehung sehen in ihren Thesen den Kinderschutz an einer wichtigen Stelle in ihren Argumenten. So behauptet die Gegenseite, es sei besser Kindern Sexualität nicht in jungen Jahren zu vermitteln - und die Befürworterinnen sehen darin die Möglichkeit Kinder durch das Thematisieren von Sexualität sprachfähig zu machen und ihre Gefühle, Wünsche und Sorgen äußern zu können (vgl. Kutscher/Gnielka 2019: 116). Vereine, wie die der „Besorgten Eltern“ benutzen das Argument des Kinderschutzes zur Fernhaltung der Thematik an Kitas und Grundschulen, weil diese altersunangemessen und schamverletzend seien (vgl. Kutscher/Gnielka2019: 116).

Hier sei jedoch eher ein Missverständnis anzunehmen. Denn wissenschaftliche Theorien zur Entwicklung der Sexualität scheinen den Eltern teilweise nicht bekannt zu sein (vgl. Krolzik- Matthei u.a. 2015: 114). Krolzik-Matthei u.a. erklärt in ihrem Aufsatz, dass der Begriff der Frühsexualisierung nahelegt, dass Sexualität etwas sei, das Kindern von außen hineingelegt werden könne (ebd.). Das Problem dabei könnte durchaus sein, dass eine solch einseitige Sicht vordergründig dadurch geprägt ist, dass vermeintliche Kenntnisse über Erwachsenensexualität und ebenso Bilder eigenen sexuellen Verhaltens in Kinder hineinprojiziert werden (ebd.).

Wissenschaftlich korrekt wäre esjedoch, dass sich das Erregungs- und Lustempfinden bereits in der frühen Kindheit parallel zu den elementaren Grundbedürfnissen entwickelt. Nahrungsaufnahme, Saugen an der Brust und Reizungen der Mundschleimhaut sind orale Stimuli, die dazu führen, dass das Kind Zufriedenheits- und Lustgefühle empfindet. Auch anal durch Entleerung des Darms entstehen erogene Zonen und das Kind macht erste Autonomieerfahrungen im Zurückhalten und Loslassen. Einige Zeit später werden erst die Genitalien als erogen erlebt, was später dazu führt, dass sie dieses Erleben mit Zufriedenheit und Lust gleichsetzen (vgl. Schmidt2012: 62).

Doch wie genau sehen die Unterschiede zwischen kindlicher und erwachsener Sexualität aus? Kinder stellen ihre Sexualität komplett ungerichtet und unbefangen dar, das bedeutet, dass es keinen direkten Empfänger gibt. „(Sexuelle) Berührungen und Erkunden erfolgen bei Kindern nicht bewusst als sexuelle Handlungen, auch wenn sie die Genitalien betreffen.“ (Krolzik- Matthei u.a. 2015: 115). Es passiert spontan spielerisch und sie zeigen viel Neugier. Dabei wird der Körper mit allen Sinnen erlebt und es entsteht ein Wunsch nach Nähe, Geborgenheit und Vertrauen. Beim Kuscheln, Kraulen und Schmusen erscheint ebenso ein Wohlgefühl. Wichtig dabei ist immer zu wissen, dass sexuelle Handlungen nicht bewusst als sexuelles Agieren wahrgenommen wird (ebd.).

Dagegen wird Erwachsenensexualität stark auf genitale Sexualität fokussiert und als Orgasmus zentriert erlebt. Sexualität wirkt dabei zielgerichtet und erotisch. Sie ist auf Erregung und Befriedigung ausgerichtet und häufig beziehungsorientiert. Erwachsene blicken im Gegensatz zu Kindern auch auf problematische Seiten von Sexualität und sind immer befangen (vgl. Krolzik- Mattheiu.a. 2015: 115).

Schmidt meint, dass Kinder und Jugendliche im Sozialisationsprozess „büffeln“, um nach und nach die Normen und Werte der Gesellschaft zu verstehen (vgl. Schmidt 2012: 65). Das gelte ebenso für die heterosexuelle Norm und das ,Homosexualitätstabu‘. Im Umgang mit Gleichaltrigen lernen die Kinder aber ebenso mit den Tabus ironisch-spielerisch umzugehen (vgl. Krolzik-Mattheiu.a. 2015: 115).

Kutscher und Gnielka verweisen darauf, wie umkämpft das Feld der Sexualerziehung sei und in welchen teils prekären und ambivalenten Punkten Positionierungen stattfänden (vgl. Kut- scher/Gnielka 2019: 116). Das bedeutet besonders in dieser Thematik unterschiedliche Debatten, dessen Einigkeit für einheitliche Konzepte als sehr herausfordernd gelten.

3 Definitionen zum Thema sexuelle Orientierung

Das Thema der sexuellen Orientierungen scheint oft unübersichtlich und viele Selbstbezeichnungen können sehr verwirrend sein. In der Wissenschaft und in der Community spricht man von LSBTTIQ*. Dabei stehen die Buchstaben aus dem Englischen für Lesbisch-Schwule-Bisexuelle-Transgender-Transsexuell-Intersexuelle-Queer.

Eine Eigenschaft, die diese Abkürzungen beinhalten ist die Kategorisierung in verschiedene Personengruppen: in Schwule, Lesbische, etc. (vgl. Hirschfeld, 2014:11). Diese Kategorisierung ist zwar sinnvoll, um die existierende Vielfalt von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten mit ihren verschiedenen Vergangenheiten, Bedürfnissen und Zielen nebeneinander zu repräsentieren und sie politisch handlungsfähig zu machen (ebd.). Doch wird dabei kritisiert, dass sie zur Grenzziehung und Hierarchisierung verleitet und außerdem weitere sexuelle Ausrichtungen auslässt, wie zum Beispiel die Heterosexualität (ebd.). Denn auch innerhalb einer Kategorie entstehen Normen und Idealvorstellungen der Mitglieder*innen einer Kategorie. Was macht also den ,typischen‘ Schwulen aus? Ist die Frau, die sich erst mit 47 outet, eine ,richtige‘ Lesbe? (vgl. Hirschfeld, 2014:11). Um deshalb etwas Klarheit zu schaffen, definiere ich kurz die weit verbreitetsten sexuellen Orientierungen in unserer Gesellschaft.

Die am häufigsten verbreitete sexuelle Orientierung ist die Heterosexualität. Heterosexualität bedeutet, dass sich ein Mensch dem gegengeschlechtlichen Part hinzugezogen fühlt - sowohl sexuell als auch auf emotionaler Ebene. In einer Gesellschaft, in der Heteronormativität vorherrscht, haben es Nicht-Heterosexuelle ziemlich schwer Akzeptanz zu erfahren, weil sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Homosexuelle Menschen, also Menschen, die sich zum gleichen Geschlecht hinzugezogen fühlen, erfahren in der Gesellschaft oft Diskriminierungen und Mobbing. Bei Nicht-Heterosexuellen zeigt sich daher eine erhöhte Rate an Depressionen, Suizidversuchen und Suiziden (vgl. Plöderl u.a. 2006: 4ff). Männliche Homosexuelle werden auch als Schwule bezeichnet und weibliche Homosexuelle werden als Lesben bezeichnet. Bisexuelle Menschen könnten es daher eventuell etwas leichter haben in der Gesellschaft Akzeptanz zu finden, da sie sich im ,Glücksfall‘ für ein Geschlecht entscheiden können, das die Gesellschaft ihnen vorgibt, leben zu sollen. Bisexuelle Menschen stehen nämlich aufbeide Geschlechter.

Doch es ist nicht immer einfach einen Menschen sexuell zu kategorisieren.

Wann ist eine Person schwul, wann lesbisch und wann bisexuell? Diese Frage stellen sich viele Kinder und Jugendliche, aber ebenso Erwachsene, wenn sie mit der Thematik der Sexualität konfrontiert werden. Oft versuchen sie durch Online-Tests herauszufinden, welche sexuelle Orientierung sie haben. Diese Tests sind allerdings nie eindeutig. Das hat den Grund, dass sexuelle Orientierungen teilweise sehr schwer einzuordnen sind, da die Indizien nicht immer klar und unmissverständlich sind.

Um etwas Klarheit zu schaffen haben zwei Forscher versucht, die sexuelle Orientierung besser zu erfassen. Zum einen hat Kinsey eine Skala veröffentlicht, in dem das Thema der sexuellen Fluidität aufgegriffen wird und zum anderen hat Klein das ,Klein Sexual Orientation Grid‘ veröffentlicht, das viele Dimensionen erfasst. Dadurch sollen unsichere Verhaltensformen einen Namen kriegen. Wenn beispielsweise der Frage nachgegangen wird, ob man schwul sei, weil man sich bei pornographischen Inhalten lieber den Mann ansieht, als die Frau, aber dennoch mit einer Frau und seinem leiblichen Kind zusammenlebt, so helfen einem diese Skalen und Dimensionen bei der Beantwortung dieser Frage. Denn das Ziel dieser Methode ist es, Personen die Möglichkeit zu geben, sich kategorisch einzuordnen bzw. sich einer Kategorie zugehörig zu fühlen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Sexualerziehung in der Schulsozialarbeit. Chancen und Grenzen
Hochschule
Frankfurt University of Applied Sciences, ehem. Fachhochschule Frankfurt am Main
Note
1,8
Autor
Jahr
2019
Seiten
45
Katalognummer
V537675
ISBN (eBook)
9783346137340
ISBN (Buch)
9783346137357
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sexualerziehung, Chancen, Grenzen, Schulsozialarbeit
Arbeit zitieren
Robin Kirchner (Autor:in), 2019, Sexualerziehung in der Schulsozialarbeit. Chancen und Grenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537675

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Sexualerziehung in der Schulsozialarbeit. Chancen und Grenzen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden