Macht nach Foucault in der Regelschule und der "École Moderne"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

14 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Macht
2.1. Machtbegriff des Alltags
2.2. Macht nach Foucault

3. Macht in der Schule
3.1 Beziehung von Macht und Wissen
3.2 Überwachung, Disziplin und Bestrafung
3.3. Wirkungen und Folgen von Bestrafung

4. Autonomie statt Macht: Die „Ècole Moderne“ Célestine Freinets
4.1 Keine Macht den Noten
4.2 Keine Macht der Bestrafung

5 Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit dem Begriff „Macht“, mit welchem sich der französische Philosoph, Soziologe und Psychologe Michel Foucault auseinandergesetzt hat. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, in welcher Form Macht in den heutigen Regelschulen vorzufinden ist. Nach Aussage Foucaults beinhaltet der Begriff „Macht“ weitaus mehr als die Alltagsdefinition zunächst vermuten lässt: in seinen Werken befasst er sich mit der Auswirkung von Macht auf die gesellschaftlichen Strukturen. Weiterhin untersucht er, wie Macht ausgeübt wird und wie dadurch Subjekte konstituiert und diszipliniert werden. Für Foucault besitzt Macht eine schöpferische Komponente, welche Individuen dazu befähigt, Leistungen zu erbringen. Dies wird insbesondere in seinem Werk Überwachen und Strafen deutlich, in welchem er die Machtverhältnisse und Machttechniken erläutert, welche in den Disziplinargesellschaften Verwendung finden um gesellschaftsfähige Individuen zu kreieren.

Um die negative Konnotation des Alltagsbegriffes von Macht aufzubrechen ist eine Auseinandersetzung mit dem Machtbegriff Foucaults im ersten Teil der Arbeit unabdingbar: seiner Meinung nach werden durch Machtausübung erst mündige Subjekte geschaffen, welche die Aufrechterhaltung der Gesellschaft gewährleisten sollen. Dies ist primäre Aufgabe des Bildungssystems. Bildung im engeren Sinne wird allenfalls nebenläufig vermittelt und ist häufig der Oberschicht vorenthalten.

Darauf folgt eine Untersuchung der engen Beziehung zwischen Macht und Wissen und die damit einhergehenden Kontrollverhältnisse. Nach Foucault sind die Begriffe Macht und Wissen untrennbar miteinander verbunden. In einem dritten Schritt soll herausgestellt werden, in welcher Form die Machtverhältnisse in der Schule ausgeprägt sind. Die Pädagogik hat neben vielen anderen wissenschaftlichen Richtungen Foucaults Gedanken für sich entdeckt. Es wird auf einige Machttechniken eingegangen, die dem Lehrer seine Arbeit erleichtern sollen. Der hierarchische Blick, die normierende Sanktion und die Prüfung sind einflussreiche Konstrukte innerhalb des Disziplinarsystems, die auf eine Steigerung der Produktivität und Effizienz abzielen.

Im darauffolgenden Kapitel wird kurz auf die möglichen Folgen und Wirkungen der Nutzung von Bestrafung und Druck bei pädagogischer Arbeit eingegangen. Danach wird der Frage nachgegangen, inwiefern und wie reformpädagogische Konzepte die Machtstrukturen der Regelschule abschwächen und verändern können. Insbesondere die erzieherische Konzeption Celestine Freinets wird hier herangezogen. Freinet hat versucht Schule zu einem Ort des Lebens zu machen und Lernen autonom zu gestalten.

Die Arbeit schließt mit einem Fazit, welches die oben aufgestellte Fragestellung zumindest im Ansatz zu beantworten beabsichtigt.

2. Macht

Schaut man zunächst in der Voraussicht nach einer begrifflichen Erklärung der Macht in ein Lexikon, erfährt man, dass unter Macht sowohl Kraft und Möglichkeit als auch Recht und Befugnis dazu, Einfluss zu nehmen und über andere bestimmen zu können, verstanden wird (Duden 1983: 804).

2.1. Machtbegriff des Alltags

Im Gebrauch des Begriffes Macht scheint es einige semantische Schwierigkeiten zu geben (vgl. Ricken 2004: 120). Sie wird innerhalb der heutigen Gesellschaft weitgehend restriktiv und negativ verstanden (Foucault 2005: 222). Sie ist in Verruf geraten und die meisten Leute assoziieren sie mit Unterdrückung der Mitmenschen, Freiheitsbegrenzung (Popitz 1992: 17), schlagende Polizisten, aus dem Hintergrund wirkende Politiker oder eben auch autoritäre Lehrer und Erzieher. Sie wird oft mit Begriffen wie Herrschaft, Zwang und sogar Gewalt in Verbindung gebracht. Die Ursache für diese Assoziationen findet man nach der Ansicht Foucaults in der Geschichte der Macht und Herrschaft, genauer gesagt in den „peinlichen Strafen“1. Diese repräsentierten in der Zeit der Entstehung der gesellschaftlichen Systeme die absolute Macht des Herrschers und führten eben auch zur negativen Besetzung des Wortes in der Folgezeit. Auch die weitverbreitete Meinung, „dass Macht an sich böse ist“ (Burckhardt 1949: 61), hat bei dieser Einschätzung mitgewirkt. Daher ist es von großer Wichtigkeit diese Vorurteile und Fehlrepräsentationen mit einer genauen Analyse zu ersetzen, die auch nach den positiven Mechanismen der Macht sucht (Foucault 2005: 224).

2.2. Macht nach Foucault

Es scheint zunächst von großer Bedeutung eine Klärung von Foucaults Verständnis der Macht zu unternehmen um die Grundlage für weitere Überlegungen zu schaffen. Foucault hat nicht nach einer universalgültigen Definition der Macht gesucht, also nicht nach dem was Macht ist, sondern vielmehr nach dem, wie sich Macht äußert. Dies hat den Grund, dass Macht an keine bestimmten Personen, Orte, Zeiten oder Rituale gebunden ist, sondern stets neu hinterfragt werden muss (Foucault 2005: 251). Machtbeziehungen sind für Foucault immer Handlungen, die von „Einem“ auf den „Anderen“ ausgeübt werden und es nur schwer zu erkennen ist, wer diese auf wen ausübt (Foucault 1978: 136). Dieses Handeln ist dabei nicht unmittelbar auf das Gegenüber gerichtet, sondern auf dessen beabsichtigte Handlung (Foucault 2005: 255). Weiterhin gibt es für Foucault nicht nur die „eine“ Macht. Sie ist vielfältig in ihrer Erscheinung, unterliegt einem ständigen Wandel und wird nicht von einer Person oder Gruppe ausschließlich ausgeübt oder erfahren. Die Gesellschaft ist „ein Archipel aus verschiedenen Mächten“ (ebd. 225).

Macht gilt in der heutigen Zeit als ein kaum verzichtbares und auch durchaus positiv anzustrebendes Gut (Ricken 2004: 122). Der Grund, dass Macht heutzutage akzeptiert wird liegt für Foucault in der Tatsache, dass sie nicht (mehr) repressiv ist, sondern sie produziert Dinge und Diskurse, verursacht Lust, durchdringt die Körper und bringt Wissen hervor2 (Foucault 1978: 35). Auch Strafmaßnahmen sind nicht nur „negative“ Mechanismen, die einschränken, ausschließen und unterdrücken, sondern weisen eine Reihe „positiver“ (nutzbringender) Effekte auf und stabilisieren die Gesellschaft (Foucault 2015: 35). Eigenschaften wie Disziplin, Pünktlichkeit und Ordnung gelten in unserer Gesellschaft als Fähigkeiten, die sich im Kind einstellen sollen. Sie scheinen jedoch nicht a priori im Menschen vorhanden zu sein und werden zuerst innerhalb der Familie versucht zu erzeugt, später jedoch insbesondere auch in der Schule. Um dies zu erzielen, werden Machtmechanismen wie Überwachung, Prüfungen, Kontrolle, Disziplin und Strafen zum Einsatz gebracht. Zu verbieten und verhindern ist jedoch keineswegs die Hauptfunktion der Macht. Ihre wesentliche und dauerhafte Funktion liegt in der Herstellung von Fähigkeiten und Effizienz und Steigerung der Produktivität (Foucault 2005: 226).

Macht produziert die menschliche Seele. Der Körper ist durch seine Unterwerfung unter die gesellschaftlichen Normen immer ein Objekt der Macht und wird erst durch eben diese Unterwerfung produziert. Demnach gibt es nach Foucault ohne Macht auch keine Seele. Diese ist die Voraussetzung für das Erziehen, Dressieren, Überwachen, Bestrafen und Machtausübung im weitesten Sinne (Foucault 2015: 41). Macht hat also immer das Ziel eine gewisse Art von Kontrolle und Überwachung zu schaffen, denn nur ein unterworfener und produktiver Körper kann an den gesellschaftlichen Produktionsapparat gebunden werden. Demnach ist Macht für die Existenz der Gesellschaft und damit auch für deren Institutionen von großer Bedeutung.

3. Macht in der Schule

In der Schule ist eine Vielzahl sozialer Beziehungen vorzufinden. Diese sind meist hierarchisch angeordnet, sodass die Lehrer sich dem Schulleiter unterordnen und die Schüler wiederum dem Lehrer.3 Es gibt jedoch auch weitere Beziehungen, wie zum Beispiel zwischen dem Lehrer und den Eltern, zwischen den Schülern untereinander, im Lehrerkollegium und zwischen dem Schüler und seinen Eltern. In diesem komplexen Netz von Beziehungen, Interessen, Wünschen und Vorstellungen stellt sich die Frage, wie die Machtdurchsetzung erfolgt.

Sobald ein Mensch in Produktionsverhältnisse und Sinnbeziehungen eingebunden ist kann man davon ausgehen, dass er sich auch in hochkomplexen Machtbeziehungen befindet (Foucault 2005: 241). Ebenso ist es mit Kommunikationsbeziehungen, die den Informationsstand der Partner verändern. Nun kann man wohl für keine Institution eher behaupten, dass dies der Fall ist, als für die Schule. Foucault hat sogar selber die Schule als Beispiel eines „Blockes“ genommen, den er als ein geregeltes und abgestimmtes System bezeichnet, in dem die abwechselnde Anpassung der Fähigkeiten, Kommunikationsnetzte und Machtbeziehungen zu entwickeln, erfolgt.

„Die räumliche Anordnung, die penible Regulierung des schulischen Lebens; die verschiedenen Tätigkeiten, die dort organisiert werden; die verschiedenen Personen, die darin leben oder dort zusammenkommen und jeweils ihre Aufgabe, ihren Platz, ihr Gesicht haben – all das bildet einen „Block“ aus Fähigkeiten, Kommunikation und Macht.“ (Foucault 2005: 253)

Schulen werden seit dem 18. Jahrhundert als serielle Räume gestaltet, die eine „neue Ökonomie der Lernzeit“ (Foucault 2015: 189) schaffen. Dieses System hat den Schulraum zu einer „Lernmaschine“ gemacht, in der eine „Mikrophysik der Macht“ (ebd. 191) herrscht. Diese drückt sich durch die hierarchische Überwachung, Prüfungen, die normierende Sanktion, Feststellung der Anwesenheit, des Eifers und der Arbeitsqualität aus. Es geht um eine vollständige Inspektion des Menschen (ebd. 190), der durch Übung, Disziplin und Kontrolle zu einem unterworfenen, geübten, fügsamen und gelehrigen Körper wird. Das Handeln der Lehrer wird mit genau geregelter Kommunikation, wie zum Beispiel im Unterricht durch Fragen und Antworten, Ermahnungen, Zeichen und Anordnungen, begleitet. Zusätzlich wird auf eine Reihe von Machttechniken zurückgegriffen. Darunter versteht Foucault die Überwachung der Schüler, Belohnung, Strafen, Abschließung und die gesamte pyramidenförmige Hierarchie, die in den Schulen vorzufinden ist.

3.1 Beziehung von Macht und Wissen

Macht und Wissen sind für Foucault untrennbar miteinander verbunden. Nach Foucault solle man sich frei von der Vorstellung machen, dass es „Wissen nur dort geben kann, wo die Machtverhältnisse suspendiert sind, dass das Wissen sich nur außerhalb der Befehle, Anforderungen, Interessen der Macht entfalten kann.“ (Foucault 2015: 39). Wo Wissen ist, ist auch Macht und umgekehrt. Demnach kann also Macht nicht ohne Wissen und Wissen nicht ohne Macht existieren. Für jede Form der Machtausübung ist zunächst die Aneignung eines Wissens die Voraussetzung. Umgekehrt kann sich ohne ein Kommunikationssystem (was in sich ebenso eine Form von Macht ist) kein Wissen bilden (ebd. 64).

Ein gutes Beispiel für die enge Wissen-Macht-Beziehung sind Prüfungen. Durch diese spezielle Machtechnik entsteht Wissen, das wiederum die Verfeinerung der Disziplinartechniken ermöglicht. Prüfungen schließen also Machtverhältnisse mit Wissensbeziehungen kurz.

3.2 Überwachung, Disziplin und Bestrafung

Im Schulsystem spielt die Überwachung eine entscheidende Rolle. Die Kontrolle unterstützt den Lehrer bei seiner Arbeit (Foucault 2015: 227). Sie ermöglicht genaues Beurteilen und rechtzeitige Intervention, welche korrigierend, strafend oder differenzierend sein kann (ebd. 206). Durch die Disziplin werden die Körpertätigkeiten einer ständigen Kontrolle ausgesetzt und der Körper unterliegt einer durativen Unterwerfung unter dessen Kräfte. Dies führt zur Nutzbarmachung dieses gelehrigen Körpers und steigert dessen Effizienz und Produktivität (Foucault 2015: 174). Die pädagogische Arbeit gelingt, wenn die Unterwerfung gelingt. Der Einsatz drei einfacher Machttechniken erlaubt ein System der genauen Überwachung: der hierarchische Blick, die normierende Sanktion und die Prüfung (ebd. 220).

Als erstes werden Foucaults „Techniken des Sehens“ auf die Schule übertragen. Alleine schon die räumliche Anordnung, die eine allgemeine Sichtbarkeit erlaubt, wirkt auf das Verhalten und macht die Individuen beeinflussbar (ebd. 222). Hier kommt das panoptische Schema, das Foucault in Anlehnung an Jeremy Bentham beschrieben hat, auch in den Schulen zur Geltung. Beim Panoptismus handelt es sich streng genommen um eine Form der Überwachung innerhalb des Gefängnisses, bei der der Überwachte seinen Bewacher nicht sehen kann jedoch damit rechnen muss, jederzeit beobachtet werden zu können. Damit wird der Überwachte zum Beobachter seines eigenen Verhaltens, da ihm bewusst ist, dass er für sein deviantes Verhalten sanktioniert werden könnte. Es geht also um die „Schaffung eines bewussten und permanenten Sichtbarkeitsstandes“ (Foucault 2015:258). In der Schule können einige Elemente dieser Machttechnik beobachtet werden. Die Anordnung der Schreibbänke richtet den Blick der Schüler auf die Tafel. Diese haben durch das Bewegungsverbot während der Unterrichtsstunden gegenüber dem Lehrer einen Nachteil, da er seine Position jederzeit ändern kann, um eine Optimierung der Kontrolle zu erreichen. Auch die überwiegende Nutzung des Frontalunterrichts ermöglicht dem Lehrer eine permanente Überwachung der Klasse, in der im güngstigsten Falle kein Lärm, Schwätzen oder Abschreiben stattfindet. Durch den Panoptismus wird die Macht zwanglos automatisiert und vermeidet jede physische Konfrontation (ebd. 259 ff).

Nicht nur die räumliche Anordnung trägt zur „neuen Ökonomie der Lernzeit“ bei. In klar definierten Verfahren werden die Schüler in Altersklassen, Jahre, Wochen, Stunden und sogar Geschlecht geteilt. Der Lehrer erlangt genaue Auskunft über die Anwesenheit, den Fleiß, den Lernfortschritt, die Mitarbeit und die Arbeitsqualität der einzelnen Schüler (ebd. 186f). Die Zeitplanung soll durch den Stundenplan zur Herstellung von möglichst vollständig nutzbarer Zeit dienen. Die Klingel dient als ein Signal, durch welches eine Tätigkeit aufgenommen oder beendet werden soll. Sie löst in den Körpern der Schüler und Lehrer einen konditionierten Reflex aus, durch welchen sie automatisch reagieren (Foucault 2015:215). So durchdringt die Zeit die Körper und passt ihn an zeitliche Imperative an (ebd. 195).

[...]


1 Vgl. Foucault: Überwachung und Strafen, S. 9ff.

2 Vgl. Kapitel 3.1.: Beziehung von Macht und Wissen.

3 Hierbei muss gesagt werden, dass es rein theoretisch dieses Modell der Unterordnung nicht gibt, da alle Teilnehmer durch das Schulrecht die Chance haben, ihren Willen durchzusetzen. In der Praxis nutzen jedoch wenige der Beteiligten dieses Recht.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Macht nach Foucault in der Regelschule und der "École Moderne"
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,3
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V537521
ISBN (eBook)
9783346172365
ISBN (Buch)
9783346172372
Sprache
Deutsch
Schlagworte
foucault, macht, moderne, regelschule
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Macht nach Foucault in der Regelschule und der "École Moderne", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537521

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