Souveränitätslehre Jean Bodins als Grundlage des Staates der Neuzeit


Hausarbeit, 2017

16 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Entstehung der Souveränitätslehre im 16. Jahrhundert

2. Grundlagen der Souveränitätslehre Jean Bodins
2.1 Der Zweck des wohlgeordneten Staates
2.2 Die Darstellung der traditionellen und neuzeitlichen Staatsverfassung

3. Bodins Lehre als Schritt zum modernen Staat

Schlussfolgerung

Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Sekundärliteratur

Einleitung

Die Idee der Souveränität hat sich seit ihrer Entstehung stark verändert, hat die Grenzen des Wissens auf dem Gebiet der Theorie des Staates und seiner Gesetze erweitert, und ist eine Hauptkomponente für die Bildung und Entwicklung der begrifflichen Grundlagen der staatlichen Souveränität geworden.

Auf der Suche nach der Bedeutung der Souveränität für die Entstehung des Staates im Übergang vom mittelalterlichen zum frühneuzeitlichen Staat wird man der Souveränitätslehre von Jean Bodin schwer entgehen. Der französische Philosoph hat wahrscheinlich den Begriff der Souveränität nicht erfunden, aber er gilt als Begründer des modernen Souveränitätsbegriffs. Der Begriff der Souveränität hat sich in der Geschichte laufend gewandelt und es bestand darüber eigentlich nie wirklich Einigkeit. In Bodins Zeit wurden nicht selten Herr­scher (der Kaiser des Römischen Reiches und seine Vasallen) und Fürsten als Souverän bezeichnet, doch vor ihm gelang es keinem Staatsphilosophen, die Souveränität klar aus staatstheore­tischer Sicht zu formulieren und als Legitimationsgrundlage für gesellschaftliche Ord­nungen zu benutzen.

Kernpunkt der Untersuchung dieser Hausarbeit ist die Frage, ob die Souveränitätslehre von Jean Bodin einen Schritt zur neuzeitlichen Staatsauffassung darstellt und anhand welcher Aspekte diese These untermauert werden kann. Zur besseren Anschauung seiner Staatslehre werden ausgesuchte Passagen aus seinem Hauptwerk „Sechs Bücher über den Staat“ mit der deutschen Übersetzung von Bernd Wimmer (1981) herangezogen und auf ihren neuzeitlichen Charakter hin untersucht. Am Anfang steht eine kurze Vorstellung der gesellschaftlichen Situation in Frankreich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts, da es unbedingt nötig ist, Bodins Lehre in diesem historischen Rahmen zu betrachten. Der Staat von Bodin ist nicht auf religiösen Ansichten, sondern auf einer bestimmten historisch-gesellschaftlichen Problematik, die es zu lösen gilt, gegründet. Im darauffolgenden Abschnitt werden die Grundlagen der Souveränitätslehre mit gezielter Verwendung von Originaltextstellen dargestellt. Auf dieser Basis baut die Hauptuntersuchung auf, in der seine Staatslehre hinsichtlich traditioneller und neuzeitlicher Aspekte untersucht wird, um im Grunde genommen die Frage zu beantworten, ob Bodin seinem Ruf als Wegbereiter der neuzeitlichen Staatsauffassung gerecht werden kann.

1. Entstehung der Souveränitätslehre im 16. Jahrhundert

In der vorliegenden Arbeit muss zuerst eine historische Einordnung der Souveränitätslehre erfolgen, denn die gesellschaftlichen Zustände in Frankreich im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts waren ausschlaggebend für Jean Bodin (1529/30–1596), um mit seinem Hauptwerk „Sechs Bücher über den Staat“ im Jahr 1576 das theoretische Instrument zu liefern, die unerträglichen Verhältnisse zu beenden. Im geistigen Mittelpunkt der Bodin’schen Begrifflichkeit steht der auf eine neue Inhaltsebene gehobene Begriff der Souveränität (Bodin 1981: 26). Seine Profilierung war Bodins konkrete Antwort auf eine nicht minder konkrete Situation (ebd.). Für den Autor der Six livres („Sechs Bücher“) wurde der Begriff der Souveränität daher auch zum Kampfbegriff, der dem Frieden galt (ebd.). Jean Bodins „Sechs Bücher über den Staat“ gilt als eine der wichtigsten staatstheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts, und insbesondere das hier entwickelte Konzept der Souveränität wird als grundlegend für die moderne Staatstheorie angesehen (Opitz-Belakhal 2006: 37). Dabei lassen sich nach dem Träger der Souveränität zwei Grundtypen unterscheiden: die Fürstensouveränität und die Volkssouveränität (Voigt 2016: 5). Als Fürstensouveränität beschreibt Bodin die summa potestas (höchste Gewalt) des absoluten Monarchen, d.h. der absolutistische Monarch war zu seiner Zeit allein und unbestritten der Souverän (ebd.). Die Fürstensouveränität wird zugleich als Staatssouveränität gedacht. Im Gefolge der Französischen Revolution (1789) wird hingegen eine ganz eigene Art von Souveränität propagiert, die Volkssouveränität, die heute jeder modernen Verfassung zugrunde liegt (ebd.). Der Begriff der Volkssouveränität steht in unmittelbarem Gegensatz zu Bodins Souveränitätsbegriff, denn in Bodins Kontext war der König der Staat. In den Bestimmungen der Staats- und Aktivbürgerschaft hat sich die Französische Revolution diesem Volksbegriff lediglich angenähert. Die klassische Idee der Unteilbarkeit der Volkssouveränität verweist unter diesem Aspekt nicht auf ein mystisches Kollektivsubjekt, sondern enthält die schlichte Forderung, dass Souveränität ausschließlich denen zukomme, die von politischen Entscheidungen selbst betroffen sind – und nicht etwa den Amtswaltern und Funktionären. Die Idee der Einheit und Unteilbarkeit der Volkssouveränität bezeichnet nichts anderes als den „Staat“ in den Händen des „Volkes“ (Maus 2007: 43).

Die Souveränitätslehre war in Bodins Les six livres de la republique (Sechs Bücher über den Staat) 1576 präzise formuliert und systematisch entwickelt worden, weil hier alle Voraussetzungen für die Souveränitätslehre zusammen vorhanden waren: die Herausbildung des Nationalstaates, die Herausbildung des Königtums aus dem Adel und das Schwinden der eigenständigen Machtbasis des Adels […] (Denzer 2001: 181). Die weltlichen Herrscher der Staaten sind hierbei nichts anderes als Vasallen, der Kaiser des Römischen Reiches ist ihr Lehnsherr und besitzt daher eine weltliche Autorität. Die geistliche Autorität wird wiederum vom Papst beansprucht, dem religiösen Oberhaupt der Fürsten. Hieraus ergab sich sozusagen eine doppelte äußere Abhängigkeit der europäischen Einzelstaaten (Kelsen 1970: 166). In dieser Zeit tobte in Frankreich ein erbitterter Bürgerkrieg, der das Land zu zerreißen drohte. Der stets lauter werdende Ruf nach Unabhängigkeit von Papsttum und Kaiserreich entfachte die konfessionellen Spannungen und Kämpfe zwischen calvinistischen Hugenotten (Protestanten) und der katholischen Kirche (Bodin 1981: 14). Der religiöse Kampf gipfelte in der sogenannten „Bartholomäusnacht“ (1572), in der etwa 30000 Hugenotten dem religiösen Wahn der Katholiken zum Opfer fielen, die ihren Machtanspruch blutig durchsetzen wollten (Denzer 2001: 180). Dieser Religionskampf um die einzige „gerechte Ordnung“ zerstörte jegliche gesellschaftliche Ordnung und alle politischen Normen. In diesem unerträglichen, anarchischen Zustand formierte sich die Gruppe der politiques und erklärte: „Jede Herrschaft, die den Bürgerkrieg beendet, ist dem Bürgerkrieg vorzuziehen.“ (Schulze 1994: 65). Die politiques waren Anhänger der allgemeinen königlichen Gewalt im Staat und gingen davon aus, dass nur eine starke Monarchie den Frieden in Frankreich herstellen und sichern kann (ebd.). Für sie darf die Zielstellung des staatlichen Handelns nicht mehr die Durchsetzung der Vormachtstellung einer Konfession sein, sondern ohne Umschweife der bedingungslose und dauerhafte Frieden. Daher muss der Entscheid über religiöse Belange aus dem Staat ausgeklammert werden und darf nur noch Angelegenheit der Kirche sein, da religiöse Fragen weder militärisch lösbar sind noch den Staat an sich beeinflussen dürfen (ebd.). Aus dieser Gruppe revolutionärer Denker trat Bodin hervor und lieferte mit seiner Souveränitätslehre die theoretische Lösung des Problems.

2. Grundlagen der Souveränitätslehre Jean Bodins

2.1 Der Zweck des wohlgeordneten Staates

In den folgenden beiden Abschnitten werden Staat und Souveränität in Bodins Lehre vorgestellt. Dies dient zur Vorbereitung der Hauptuntersuchung dieser Arbeit und es werden daher nur die wesentlichsten Punkte erfasst. Das zentrale politische Werk Bodins stellt hinsichtlich seiner Methodologie und humanistisch-historisch-juristischen Gelehrsamkeit die erste wissenschaftliche Verfassungstheorie der Neuzeit dar (Stammen et al. 1997: 67). Der Kampf der französischen Krone um ihre Unabhängigkeit von Kaiser und Papst brachte die Lehre Bodins hervor, in deren Mittelpunkt folgende Aussage steht: „Der Staat ist definiert durch die dem Recht gemäß geführte, mit souveräner Gewalt ausgestattete Regierung einer Vielzahl von Familien und dessen, was ihnen gemeinsam ist.“ (Bodin 1987: 8). Diese prägnante Definition ist direkt am Anfang seiner „Sechs Bücher über den Staat“ zu finden und zielt einzig auf den Zweck des Staates ab; die Wiederherstellung und Sicherung einer friedensstiftenden Ordnung in Frankreich durch eine einheitlich definierte und dem Staatswohl verpflichtete Herrschaft (Weber 1997: 68). Um dies zu erreichen, verfasste Bodin sein Werk in der Sprache seiner Landsleute und nicht in der Gelehrtensprache (Quaritsch 1986: 49). Neben diesem Fakt offenbart sich die zweckgerichtete Intention seiner Lehre auch direkt nach der Staatsdefinition mit der Verkündung, dass man immer erst nach dem Zweck einer Sache fragen muss, erst dann nach den eigentlichen Mitteln zur Umsetzung (Bodin 1987: 8). Die Gewichtung seiner Definition lenkt Bodin auf die Orientierung des Staates am Recht, die (souveräne) Gewalt und die Regierten. Die folgende Erörterung dieser drei Kernpunkte wird deutlich machen, dass Bodins Staatslehre mit Blick auf die zu seiner Zeit bestehenden Verhältnisse eine primär auf die menschliche Existenz gerichtete Zielsetzung verfolgt (Mayer-Tasch 2000: 23). Der Staat an sich ist ein Großflächenstaat, denn sein Territorium muss „[…] groß und fruchtbar genug sein, um die Einwohner zu nähren und zu kleiden […]“ (Bodin 1987: 11). Dieser wohlgeordnete Staat ist einzig durch die Gemeinsamkeit der Herrschaft bestimmt, wobei die rechte Regierung gemäß den Gesetzen der Natur handeln muss, um sich von anderen Gemeinschaften, wie Räuberbanden, abzugrenzen und Willkür auszuschließen (Bodin 1987: 9). In den weiteren Ausführungen Bodins zeigt sich besonders der sozial intendierte Staatszweck. Die Untertanen sollen grundsätzlich geschützt und gesund gehalten werden. „Da das menschliche Verlangen meist grenzenlos ist […]“ soll staatliche Expansion angestrebt und ein Überfluss an allem Denkbaren geschaffen werden (ebd.: 11). Dies alles sind unbedingt notwendige Voraussetzungen für eine glückliche Existenz des Menschen, die sich für Bodin in der Betrachtung der Natur, des Menschen und Gottes äußert (ebd.: 10). Die staatliche Gewalt regiert per Definition nicht das Individuum an sich, sondern eine Vielzahl von Familien. In der gut geführten Familie sieht Bodin das Abbild und den wahren Ursprung des gut geführten Staates (ebd.: 13). Der einzelne Bürger wird im Wesentlichen als Untertan erfasst, da er sich einer solchen gemeinschaftlichen Haushaltung unterordnen muss und vom Familienvater so regiert wird, wie die komplette Familie von der staatlichen Gewalt regiert wird (ebd.: 16). Hier wird Bodins Forderung nach einer unvermittelten Direktverbindung zwischen Regierung und Regierten erkennbar, welche für die souveräne Herrschaft unbedingt nötig ist (Mayer-Tasch 2000: 27). Die unscheinbar wirkende Bezeichnung der souveränen Gewalt stellt den Kerngedanken in Bodins Lehre dar und ermöglicht zumindest in der Theorie ein Gemeinwesen, das ausschließlich innerweltlich legitimiert und konfessionell neutral ist (Schulze 1994: 66).

Bodin hat erkannt, dass sich sein Staat und seine Ziele nur verwirklichen lassen, wenn er die konfessionell zersplitterten Gruppen dazu bringen kann, sich nicht mehr auf bloßes Freund-Feind-Denken zu beschränken, sondern eine konsequente Versöhnung anzustreben, die wiederum in einem erfolgreichen Gemeinwesen mündet (Mayer-Tasch 2000: 25). Die Grundlage dieser Versöhnung muss dabei Toleranz sein, wie sie nur durch die politische Eliminierung der offenkundigen weltanschaulichen und religiösen Gegensätze erreicht werden kann (ebd.: 26). Auf dieser Erkenntnis basiert die Entwicklung des so oft angesprochenen Souveränitätsbegriffes, der die Eliminierung der Gegensätze durch die Konzentration von Recht und Macht in einer einzigen, höchsten Instanz erreicht (ebd.). Nur eine Kraft, die absolut unabhängig von jeglichen konfessionellen Belangen ist, kann die Konflikte in Bodins Zeit lösen, da sie nicht dazu genötigt ist, einer bestimmten Gruppe zum Sieg zu verhelfen, sondern nur ihrem eigenen Willen unterliegt (Dennert 1964: 59). Mit der Erhebung des Souveränitätsbegriffes von der bloßen Anwendung als Bezeichnung der Abgrenzung einer Macht über die ihr Untergebenen auf eine Ebene der absoluten und andauernden staatlichen Gewalt, hat sich Bodin in die Geschichtsbücher eingeschrieben und die geistigen Voraussetzungen sowie die rechtlichen Konsequenzen für die Durchsetzung des Friedens in Frankreich geschaffen (Mayer-Tasch 2000: 25). Der genauen Bestimmung der Souveränität widmet Bodin das berühmte achte Kapitel seines Werkes. Dort heißt es gleich zu Beginn: „Der Begriff Souveränität beinhaltet die absolute und dauernde Gewalt eines Staates, die im lateinischen majestas heißt. […] Souveränität bedeutet höchste Befehlsgewalt.“ (Bodin 1987: 19). Er ist sich selbst völlig im Klaren darüber, dass der Begriff vor ihm noch nie diese zentrale Bedeutung innehatte, so verkündet er selbstbewusst direkt im Anschluss: „Es ist geboten, hier den Begriff der Souveränität genau zu bestimmen, weil noch kein Staatsdenker ihn bisher definiert hat, obwohl er doch von zentraler Bedeutung für eine Abhandlung über den Staat ist.“ (ebd.). Aus der Eingangsdefinition gehen die Hauptmerkmale der Souveränität hervor; sie ist absolut und zeitlich unbegrenzt. Nach Bodin gleicht die Souveränität an sich einer Schenkung. Weil ein wahres Geschenk an keine Bedingungen geknüpft ist, muss die Souveränität des „wahren Souveräns“ (im Rahmen des Naturrechts) auch bedingungslos und ohne Auflagen sein (ebd.: 22). Zugleich ist sie dauerhaft, da eine zeitlich befristete Übertragung der Souveränität nicht zu befürworten ist. Der angebliche Souverän wäre in diesem Fall nichts weiter als ein Hüter der Souveränität. Nach Ablauf der Frist wäre der Hüter mit der angeblich souveränen Gewalt nichts weiter als ein Untertan der Macht des Stärkeren. Daher muss die Souveränität zwangsläufig stets im Besitz des Souveräns bleiben (ebd.: 19). Aus diesen beiden Erläuterungen ergeben sich ferner auch die Entbindung von positiven Gesetzen und das Gesetzgebungsmonopol, die die Souveränität eben als solche auszeichnen. Wäre der Souverän nicht in der Lage, Gesetze zu erlassen, die ausschließlich seinem eigenen Willen entsprechen oder wäre er an die Gesetze seiner Vorgänger gebunden, so wäre seine Macht weder absolut noch andauernd (ebd.: 49). Wie nun festgestellt wurde, ist die Souveränitätslehre aus der Schwäche der traditionellen Herrschaftsinstanzen heraus entstanden, die nicht in der Lage waren, die gesellschaftlichen Gruppierungen zu kontrollieren, die ihre Anschauungen und Konfessionen mit allen Mitteln verteidigen wollten (Quaritsch 1986: 49). Sie stellte daher den Versuch dar, die absolute Rechtsmacht des Herrschers zu legitimieren und somit seine Unabhängigkeit von Papst und Kaiser zu etablieren und den Bürgerkrieg zu überwinden. Ins Zentrum der Betrachtung rückt nun die Untersuchung sowohl der neuzeitlichen als auch der traditionellen Aspekte in Bodins Souveränitätslehre, um die Frage zu beantworten, ob Bodin seinem Ruf als Wegbereiter der neuzeitlichen Staatsverfassung gerecht wird.

2.2 Die Darstellung der traditionellen und neuzeitlichen Staatsverfassung

Im Laufe der folgenden Ausführungen wird deutlich werden, dass Bodin zwar durchaus den Weg für den neuzeitlichen Staat bereitet hat, dass seine Lehre dabei aber gleichzeitig offensichtlich auf traditionellen Denkschemata fundierte. Dieses traditionelle Denken findet sich schon in den Grundlagen seiner Staatsauffassung wieder. Bodin bezeichnet Gott als „den großen Souverän“, der den weltlichen Souverän als dessen Abbild geschaffen hat (Bodin 1987: 41). Alle Menschen auf der Welt und somit auch der Träger der Souveränität sind somit Teil der göttlichen Schöpfung und daher befähigt, die göttlichen Vernunftgesetze zu erkennen (Oberndörfer/Rosenzweig 2010: 182). Darüber hinaus ist der wahre Souverän nicht nur Teil der Schöpfung, er wird auch als Ebenbild Gottes auf Erden angesehen, deswegen unterliegt er zu allen Zeiten dem göttlichen und dem natürlichen Recht, worin sich die wesentliche Schranke der Souveränität offenbart. Seine gesamte Souveränitätslehre basiert also auf der Allmacht Gottes, die die ethisch-religiösen Richtlinien für das ansonsten strikt säkularisierte Politikverständnis Bodins liefert (ebd.). Das Bild dieses guten und gerechten Souveräns als Abbild Gottes ist eine Anlehnung an den mittelalterlichen Fürstenspiegel (Bodin 1987: 53). Der gute Fürst entspricht hierbei dem guten Familienvater, dessen gerecht geführte Familie ist wiederum Ebenbild des gut regierten Staates (Oberndörfer/Rosenzweig 2010: 182). Obgleich Bodins Lehre als Legitimationsgrundlage für den Absolutismus herangezogen werden könnte, so werden doch zumindest in der Theorie der Absolutismus und jegliche Willkürherrschaft ausgeschlossen, da der wahre (gerechte) Souverän eben untrennbar mit Gott verbunden ist (ebd.). Bei der Bestimmung des Bodin’schen Staates wurde bisher die Staatsformenlehre vernachlässigt. Aus der vorgestellten Staatsdefinition geht nicht zwingend hervor, welchen Träger der Souveränität Bodin vorsieht. Dieses Problem wird erst im zweiten seiner sechs Bücher aufgegriffen und Bodin beruft sich hierbei auf die antike Staatsformenlehre von Platon und Aristoteles. Dabei wird nur nach der Anzahl der Träger der Souveränität unterschieden, es kann also Monarchie, Aristokratie und Demokratie geben (Bodin 1987: 48). Anders als Aristoteles lässt Bodin aber keine Vermischung der Staatsformen zu, da dies nicht mit der Unteilbarkeit der Souveränität vereinbar wäre (ebd.). Er verzichtet desweiteren zunächst auf eine Bewertung der Staatsformen und die Beurteilung des Guten oder Gerechten, anders als es die aristotelische Tradition vorgibt (Denzer 2001: 186). Erst im sechsten Buch unterzieht er alle drei Staatsformen einer gründlichen Analyse und kommt zu dem Schluss, dass nur die Erbmonarchie wirklich mit der göttlichen Schöpfung sowie der gut geführten Familie harmoniert. Wie die Familie und Gottes Reich kann letztlich auch der Staat nur ein einziges wahres Oberhaupt haben: den souveränen Fürsten (Bodin 1987: 113). Prägend für die neuzeitliche Verfassungsgeschichte war vor allem die Konzentration sämtlicher Hoheitsrechte in einer einzigen, höchsten Gewalt (Weber 1997: 67). Ausdruck dessen ist die Souveränität, die in der Herausbildung des modernen Nationalstaates eine wichtige Rolle spielte, denn sie ermöglichte es, Ansprüche von inneren und äußeren Kräften abzuwehren, in Bodins Fall waren dies das Papsttum und die Stände beziehungsweise die konfessionellen Gruppierungen. Die Staatsgewalt wurde zum Grundprinzip des modernen Nationalstaates und die République als einheitlich beherrschter Großflächenstaat löste hierbei den mittelalterlichen Föderalismus ab (Weber 1997: 69). Die vorher in Rechtskonflikt stehenden Lehen und Städte wurden somit unter der Befehlsgewalt des Souveräns wiedervereinigt. Dies bedeutete einen Schritt zum modernen Verfassungsgedanken, der die Gemeinsamkeit der Herrschaft legitimiert, wodurch die mittelalterliche Zerstückelung der Territorien durch einen großen Nationalstaat abgelöst wurde (ebd.: 70). Die Vorstellungen von wechselseitigen Rechten und Pflichten von Herrscher und Beherrschten des mittelalterlichen Lehenswesens wurden dementsprechend auch nicht länger aufrechterhalten (Denzer 2001: 185). Souveränität ist ein kaltes und rationales Prinzip von Befehl und Gehorsam, absolute Souveränität kann es deshalb nur bei absolutem Gehorsam geben, das persönliche Verhältnis zwischen Herrschern und Beherrschten des Mittelalters tritt in die Unmöglichkeit, es gibt keinen Ratschluss und keine Verpflichtungen mehr (Dennert 1964: 59). Für Bodin ist die souveräne Staatslenkung an vielfältige Voraussetzungen gebunden, dazu zählen historische, soziale, kulturelle und sogar klimatische Gegebenheiten (Bodin 1987: 95). Er legte viel Wert auf die Analyse der vorherrschenden Normen und Verfassungen von Völkern, und die Regierungsform sowie das Recht mussten an sie angepasst werden. Um dies in seinem Großflächenstaat zu verwirklichen, war es nötig, das Prinzip der mittelalterlichen Rechtswahrung durch eine deutlich modernere aktive Rechtssetzung abzulösen. Entsprechend dieser Notwendigkeit konnte der Staat nicht der Beschützer des Rechts während sein und dies mit Traditionen begründen, sondern musste, an die Voraussetzungen der Völker angepasst, Recht setzen, durch politische Entscheidungen, die den autonomen Interessen der Völker jeweils angepasst waren (Denzer 2001: 184). Der Bodin’sche Staat wird dadurch zum individuellen Verwirklichungsort für jede einzelne Nation (ebd.: 189). Diese Chance der jeweiligen staatlichen Verwirklichung im Angesicht der bisher vorherrschenden Bestimmungsfaktoren der Politik zu ermöglichen, war die große Leistung Bodins (Weber 1997: 73). Besonders die Dynamik der Sitten und Bräuche, die Bodin im ersten Kapitel des Vierten Buches beschreibt, lässt erkennen, dass er keinen starren Staat haben möchte, sondern das Geschick des Staates unmittelbar an den unaufhaltsamen geschichtlichen Wandel anpassen will (Denzer 2001:189). Die Flexibilität der Souveränität hinsichtlich ihres Trägers und der zahlreichen Kombinationen von Regierungsform und Regierungsart macht dieses Vorhaben erst möglich. Dies ebnet den Weg zu einem modernen dynamischen Staat, der bei Bedarf entsprechend Recht setzen kann und nicht länger an Traditionen gebunden ist. Der neue Gedanke der totalen Gültigkeit des fürstlichen Gesetzes ermöglicht des Weiteren eine Absage an das mittelalterliche Netzwerk von Ständen, Fürsten und Kammern (Dennert 1964: 61). Alle Institutionen, die die Souveränität des Fürsten einschränken könnten, müssen politisch neutralisiert werden. Durch das Prinzip der unvermittelten Herrschaft über die jeweiligen Haushaltungen wird dieses Vorhaben gesichert und eine direkte Regierungsweise ermöglicht (ebd.: 58). Aufgrund der angesprochenen politischen Gleichsetzung der Untertanen und der Orientierung an Kultur und Sitte, können diese Gesetze nun auch viel mehr Menschen erreichen als vorher, wohingegen mittelalterliche Staaten hauptsächlich auf die schlichte Durchsetzung traditioneller, unflexibler Gesetze bedacht waren. Daher wird natürlich auch die mittelalterliche ständische Aufteilung der Gesetzgebungskompetenz verworfen, einzig die souveräne Handlungsvollmacht rückt ins Zentrum der Herrschaft (Quaritsch 1986: 46). Diese Hauptkompetenz des staatlichen Handelns und die Verfügung über das positive Recht des Vorgängers ermöglichen den Durchbruch des modernen Rechtsdenkens, das darauf abzielt, das soziale Leben durch Rechtsänderung bewusst zu gestalten (ebd.: 47). Das entspricht dem Entwurf des modernen Gesetzgebungsstaates, in dem alle denkbaren Zustände einer einzigen Kompetenz unterworfen werden, welche dazu legitimiert ist, durch bewusste Regelsetzung und Rechtsprechung die bestmögliche gesellschaftliche Ordnung zu erzielen (ebd.). Hier wird der staatstheoretische Übergang von Mittelalter zu Neuzeit besonders deutlich, der Herrscher wird vom Rechtsbewahrer zum Rechtsetzer, der mittelalterliche vorgefertigte Richterschluss wird abgelöst durch bewusste Schöpfung von Gesetzen (ebd.: 50). Wie Bodins Zeit verdeutlicht hat, konnten die vorherrschenden Probleme, besonders die religiösen Streitigkeiten, nicht mehr durch bloßen Richterspruch gelöst werden, seine Lehre enthielt die logische Konsequenz, die Traditionen abzustreifen und durch neue Regelsetzung endlich ein Gemeinwesen zu schaffen, in dem ein gutes Zusammenleben auch grundsätzlich verschiedener Gruppen möglich ist. Als erster zog Bodin somit aus dem Vorrang des weltlichen Rechts gegenüber jeglichen Konfessionen, Anschauungen oder Kulturen die nötigen verfassungsrechtlichen Konsequenzen und gründete auf diesen seine Staatslehre (ebd.: 75). Auch wenn seine Lehre mit Blick auf den neuzeitlichen Staat die verfassungsrechtliche Gleichheit und Freiheit der Individuen noch nicht berücksichtigt, stellt sie dennoch aus den erwähnten Gründen einen wichtigen Schritt zum neuzeitlichen Nationalstaat dar (Oberndörfer/Rosenzweig 2010: 183). Seine Lehre ebnete den Weg zum frühneuzeitlichen Verfassungsstaat als Mittel gegen die willkürliche Feudalherrschaft des Mittelalters und gegen Bürger- und Religionskriege (Denzer 2001: 191).

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Souveränitätslehre Jean Bodins als Grundlage des Staates der Neuzeit
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Veranstaltung
Begründung und Kritik des Staates
Note
1,3
Jahr
2017
Seiten
16
Katalognummer
V537387
ISBN (eBook)
9783346137258
ISBN (Buch)
9783346137265
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Souveränität, Jean Bodin
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Souveränitätslehre Jean Bodins als Grundlage des Staates der Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537387

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