Enrichment im Mathematikunterricht. Untersuchung eines Förderkonzepts im Bereich (Hoch-)Begabung zur Individualförderung in der Leitidee "Raum und Form"


Bachelorarbeit, 2020

62 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Hinführung und Problemlage

2. Anlage der Arbeit

3. (Hoch-)Begabung
3.1 Begriffsbestimmung
3.2 (Hoch-)Begabungsmodelle
3.2.1 Münchener Hochbegabungsmodell von Heller
3.2.2 Drei-Ringe-Modell von Renzulli
3.2.3 Triadisches Interdependenzmodell von Mönks
3.3 Formen der Förderung
3.3.1 Akzeleration
3.3.2 Enrichment

4. Mathematische (Hoch-)Begabung
4.1 Mathematische Förderung

5. Zur Anlage der empirischen Untersuchung
5.1 Design im Überblick
5.2 Stichprobe
5.3 Erhebungsmethode

6. Förderung zum Schwerpunkt „Raum und Form"
6.1 Curriculare Vorgaben und fachwissenschaftlicher Hintergrund
6.1.1 Fachwissenschaftlicher Hintergrund und Kompetenzanalyse
6.1.2 Curriculare Vorgaben
6.1.3 Lernziele bzw. Kompetenzen für die LehrLernsequenz
6.2 Lernvoraussetzungen des Kindes: innere- und äußere Bedingungen
6.3 Methodisch didaktische Gestaltung der Förderung
6.4 Durchführung der Förderung
6.5 Evaluation und Ergebnisse
6.5.1 Anzeichen für mathematische (Hoch-)Begabung
6.5.2 Anzeichen auf Änderung durch die Förderung

7. Fazit

8. Anhang
8.1 Information und Einverständniserklärung zum Forschungsvorhaben
8.2 Förderaufgaben
8.3 Unterrichtsskizze zur Einführung

Literaturverzeichnis

1. Hinführung und Problemlage

„Wenn wir die These ernst meinen, daß die volle Entfaltung der Individualität zum Ausgangspunkt aller gesellschaftlichen und bildungspolitischen Bemühungen gemacht werden muß, dann sollten wir uns zuerst von der Vorstellung trennen, daß mit einem in Form und Inhalt gleichen Bildungsangebot allen Kindern gleichermaßen entsprochen werden kann, unabhängig von ihren spezifischen und eben differenzierten Entwicklungsvoraussetzungen und Bedürfnissen.“1

Dieses Zitat erinnert an die unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse von Kindern und an das anzustrebende Ziel der „volle[n] Entfaltung der Individualität“. Heterogenität, also die Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich verschiedener Merkmale, ist danach die Normalität im Klassenzimmer.2 Dies beobachtet jede Lehrerin und jeder Lehrer im Schulalltag, aber auch verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen belegen diesen Sachverhalt.3

Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in vielen Merkmalen. So gibt es Unterschiede bei den Persönlichkeits- und den Leistungsmerkmalen, die zum Beispiel sind: mathematisches Wissen, mathematische Kompetenz und Interesse, mathematische, persönliche, soziale und kulturelle Erfahrungen.4 Schülerinnen und Schüler zeichnen sich durch unterschiedliche Lernvoraussetzungen, Zugangsweisen und Anspruchsniveaus aus. Lehrkräfte müssen sich darauf einstellen und die Lerninhalte, -ziele und -tempo darauf ausrichten, was eine hohe Sensibilität gegenüber besonderen Leistungen, Fähigkeiten und Besonderheiten der Kinder erfordert.5 Denn „jedes Kind [ist ein] Individuum […].“6

Eines der zu beobachtbaren heterogenen Merkmale ist die (Hoch-)Begabung. (Hoch)Begabung drückt sich durch spezielle Eigenschaften aus, wie besondere Kreativität, hohe Motivation und außergewöhnliche (mathematische) Fähigkeiten (Kapitel 3.2.3). „Ganz allgemein gesagt, sind (hoch-)begabte Kinder ihren Alterskameraden in Bezug auf ihre geistige Leistungsfähigkeit um ein oder mehrere Jahre voraus.“7 Auch (hoch- )begabte Kinder erfordern wie alle anderen eine besondere Beachtung im Klassenraum. Nicht nur, dass Lehrkräfte entscheidend zur Entfaltung von (Hoch-)Begabung beitragen sollten8 ; sie sollten auch dazu beitragen, dass das Potential (hoch)begabter Kinder nicht verkümmert. Denn die „[…] größte Gefahr für mathematisch begabte Grundschulkinder ist ihre ständige Unterforderung.“9

Zu niedrige Anforderungen können bei (hoch-)begabten Kindern sogar zum Versagen führen.10 Durchschnittliche Ziele sind für (hoch-)begabte Kinder oft niedrig, sie kommen ihnen daher oft langweilig vor und sind für sie schwieriger zu erreichen, wenn nach keinen alternativen Lösungswegen gefragt wird.11 Dies kann sogar dazu führen, dass die Schulausbildung nicht abgeschlossen wird. Zudem können Aggressivität, bewusstes Störverhalten, verstärkte Unruhe und bewusstes Provozieren der Lehrkraft weitere Folgen von Unterforderung sein. Ebenso kann es dazu kommen, dass die (hoch-)begabten SuS12 sich dem Verhalten der normal begabten Mitschülerinnen und -schüler anpassen und sich den Lernstoff auf eine neue Art aneignen. Darüber hinaus verfallen sie in Tagträumereien, entwickeln depressive Verstimmungen und psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen.13 „Eine nicht eben leichte Aufgabe besteht [demzufolge] für das Kind darin, daß es lernen muß, auf andere zu warten, bis sie nachgekommen sind.“14 Diese Kinder bleiben unter dem von anderen erwarteten Leistungsniveau.

Dieser Hintergrund macht deutlich, wie wichtig die Früherkennung von (Hoch-)Begabung, bereits in der Grundschule ist: „Dieser Beitrag zur Entwicklung hängt ganz wesentlich davon ab, dass […] Begabungen möglichst frühzeitig erkannt werden, um eine entsprechende Förderung realisieren zu können.“15

Speziell aber erfordert (Hoch-)Begabung entsprechend sensibilisierte Lehrerinnen und Lehrer. Eine nicht für (Hoch-)Begabtenförderung ausgebildete LK16 kann zum Beispiel das Gefühl haben, dass fordernde Kreativität ihre Autorität in Frage stellt.17 Diese LK „[…] lobt und fördert hochbegabte [Schülerinnen und] Schüler nicht, sondern er maßregelt sie, weil ihre Beteiligung für den Rest der Klasse unnütz ist und den Fluss des allgemeinbezogenen Unterrichts behindert.“18

„Wenn wir uns dafür öffnen, wie sich die Welt in den Augen eines hochbegabten Kindes darstellt, wird uns vielleicht klarer, daß es für hochbegabte Kinder schon sehr früh zur Existenzkrise kommen kann.“19 „Unsere Schulen weigern sich häufig, den Lehrplan für solche „Extremfälle“ zu ändern und beharren darauf, daß sich alle an die bestehenden Programme anpassen müssen.“20

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht ein (hoch-)begabtes Kind, das auf der Grundlage des Förderkonzeptes Enrichment eine Individualförderung erhält. Daraus ergibt sich die Forschungsfrage: „Wie verändert sich die Motivation (Kapitel 3.2.3) nach einer Enrichment-Förderung und gibt es Anzeichen dafür, dass die Begabung gefördert wurde?“

Das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit ist es, mathematische (Hoch-)Begabung in den Blick zu nehmen. Ausgehend von Modellen der (Hoch-)Begabung liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Förderung. Dazu werden zunächst verschiedene Formen der Förderung in ihrer Theorie aufgezeigt, um im Anschluss eine in der Praxis durchgeführte Förderung zu gestalten. Dafür wird ein (hoch-)begabtes Kind eine Woche lang im Mathematikunterricht gefördert. Die Förderung enthält Aufgaben aus der Leitidee „Raum und Form“21, speziell aus dem Subgebiet „Würfelgebäude und Baupläne“.

Dabei soll gezeigt werden, ob es mit wenig Aufwand möglich ist, (hoch-)begabte Kinder im Unterricht zu fordern und fördern. Es soll hervorgebracht werden, wie Lehrerinnen und Lehrer mit wenig Aufwand (hoch-)begabte Kinder unterstützen und den Extremfall der Existenzkrise (Hoch-)Begabter verhindern können und wie gleichermaßen die Motivation der individuellen Persönlichkeiten gesteigert werden kann. Ausgehend davon ist ein weiteres Ziel der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit, herauszuarbeiten, ob sich die Motivation gekennzeichnet durch Freude an der Arbeit, Zielstrebigkeit, Risikobereitschaft, den Willen die Aufgabe machen zu wollen und Durchsetzungsvermögen nach einer Enrichment-Förderung positiv verändert und so- mit zu einer positiven Entfaltung der (Hoch-)Begabung beitragen kann.

2. Anlage der Arbeit

Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit ist in zwei Bereiche gegliedert.

Der erste Bereich vermittelt den theoretischen Hintergrund der Thematik (mathematische) Hochbegabtenförderung. Dazu werden drei (Hoch-)Begabungs- und Förderungsmodelle skizziert und sodann Kriterien von (Hoch-)Begabung formuliert, auf welchen in der Förderphase Bezug genommen wird.

Der zweite Bereich betrachtet die praktische Förderung. Dies umfasst die curricularen Vorgaben, den fachwissenschaftlichen Hintergrund, die Lernvoraussetzungen des Förderkindes und die methodisch-didaktische Gestaltung der Förderung, sowie die Darstellung von Durchführung der konkreten Förderung und Reflexion darüber. Durch die Evaluation der Förderung wird ein Fazit erarbeitet. In diesem soll die oben erwähnte Forschungsfrage beantwortet werden.

3. (Hoch-)Begabung

3.1 Begriffsbestimmung

„Eine Definition ist das Einfassen der Wildnis einer Idee mit einem Wall von Worten.“22

Ziel der Begriffsbestimmung von (Hoch-)Begabung ist es, die „[…] Wildnis […]“ der Definitionen zu ordnen und eine begriffliche Grundlage der vorliegenden Arbeit zu schaffen. „Um über mathematische Begabung ausreichend informiert sein zu können, ist es erforderlich, sich mit dem allgemeinen Begabungsbegriff auseinanderzusetzen.“23 Aus diesem Grund befasst sich das folgende Kapitel mit dem allgemeinen (Hoch-)Begabungsbegriff. Dazu werden Definitionsversuche und Begriffserklärungen von (Hoch-)Begabung aufgeführt. Das 4. Kapitel untersucht dann speziell den mathematischen (Hoch-)Begabungsbegriff.

Es gibt verschiedene Verständnisse des Begriffs (Hoch-)Begabung, denn dieser ist komplex und facettenreich. Folgend werden verschiedene Auffassungen des (Hoch)Begabungsbegriffes in vier Erklärungsmodellen dargestellt. Diese Erklärungsmodelle schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern stellen eher verschiedene Gesichtspunkte dar, die sich zu einem zusammenfügen lassen.24

Fähigkeitsmodelle gehen davon aus, dass intellektuelle Fähigkeiten im frühen Alter festgestellt werden können und sich im weiteren Verlauf des Lebens nicht wesentlich verändern, also stabile Fähigkeiten sind.25 Eine zu diesem Modell passende Definition von (Hoch-)Begabung ist die Marland-Definition, welche von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika aufgestellt wurde.26

„Hochbegabte verfügen über verwirklichte und potenzielle Fähigkeiten, die Ausdruck sind von hohen Leistungsmöglichkeiten auf intellektuellem, kreativem, künstlerischem (musikalisch und darstellend) oder spezifischem akademischem Gebiet oder von außergewöhnlichen Führungsqualitäten. Es sind Kinder, die ein differenziertes Unterrichtsangebot und Fördermaßnahmen erfordern, die gewöhnlich in der Regelschule nicht geboten werden, damit sie ihren Beitrag für sich und die Gesellschaft verwirkli- chen können.“27

Aus dieser Definition geht hervor, dass (hoch-)begabte Kinder auf differenzierte Unterrichtsangebote und Fördermaßnahmen angewiesen sind, um ihre (Hoch-)Begabung angemessen entfalten zu können. Allerdings fällt auf, dass auf den Aspekt der Motivation nicht eingegangen wird.

Ebenfalls fehlt in dieser Definition ein Bezug zur sozialen Umwelt, wie zur Familie oder zu den Peers. Darauf dass intellektuelle Fähigkeit allein nicht genügt, und Durchsetzungsfähigkeit, soziale Umwelt und Motivation ebenso eine wichtige Rolle einnehmen, weisen beispielsweise Mönks und Ypenburg hin.28

Kognitive Komponentenmodelle richten sich auf die Prozesse der Informationsaufnahme und -verarbeitung. Dabei steht nicht das Endprodukt im Mittelpunkt, sondern der Prozess dahin.29 In solchen Modellen geht es um die Unterschiede von (hoch)begabten Kindern in ihrer Informationsaufnahme und -verarbeitung, im Vergleich mit durchschnittlich begabten Kindern.

Soziokulturell orientierte Modelle gehen davon aus, dass sich bei einem günstigen Zusammenwirken von individuellen und sozialen Faktoren (Hoch-)Begabung verwirklichen kann.30 Hier gibt es für die (Hoch-)Begabung keine Stabilität. Vielmehr hängt die Verwirklichung der intellektuellen Fähigkeiten von der Bildungspolitik ab. Sollte sich die Bildungspolitik nicht auf die Förderung der (hoch-)begabten Kinder konzentrieren, können sie ihre Fähigkeiten auch nicht verwirklichen.31

Leistungsorientierte Modelle unterscheiden zwischen Anlagen und verwirklichten Anlagen.32 Anlagen sind dabei Voraussetzung für hervorgebrachte Leistungen. Potentiell (hoch-)begabte Kinder, die nicht die nötige Förderung und Erziehung bekommen, können ihre Anlagen nicht verwirklichen.33 Diese Modelle sind sowohl beschreibend als auch zielorientiert.

Wie bereits erwähnt, wirken die genannten vier Modelle zusammen. Sowohl die Förderung, als auch die Informationsaufnahme und -verarbeitung sind wichtige Faktoren für die Verwirklichung von (Hoch-)Begabung. Auch haben individuelle und soziale Faktoren einen wichtigen Einfluss darauf. Kinder mit hohen intellektuellen Fähigkeiten müssen nicht zwangsweise ihre Fähigkeiten verwirklichen. Die Verwirklichung hängt von verschiedenen Faktoren ab (Kapitel 3.2).

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass es sich bei (Hoch-)Begabung um ein Konstrukt handelt, denn (Hoch-)Begabung ist nicht direkt beobachtbar.34 Das hat die Folge, dass sich in der Literatur eine Vielzahl an Definitionen und Synonymen finden lassen. Folgend sollen die beiden Begriffe „Intelligenz“ und „Leistung“ von (Hoch-)Begabung abgegrenzt werden.

Der „[…] Forscher Detlef Rost definiert (Hoch-)Begabung als überdurchschnittliche Intelligenz […].“35

Circa 50% der Menschen haben einen IQ36 -Wert von 90 bis 110.37 Dieser Bereich stellt den Bereich der durchschnittlichen Intelligenz dar. Alle Werte darüber stellen die überdurchschnittliche Intelligenz dar.38 Während 9% der Bevölkerung einen IQ-Wert von ≥ 120 erreichen, erreichen nur 2% der Bevölkerung einen IQ von ≥ 130. Demnach gilt jedes Kind als (hoch-)begabt, dessen IQ ≥ 130 ist.

Das bedeutet, dass aus der Summe der erreichten Punkte auf Intelligenz und damit (Hoch-)Begabung geschlossen werden kann.39 Da Testergebnisse jedoch neben den intellektuellen Fähigkeiten durch andere Faktoren, wie zum Beispiel kreative, soziale und motorische Faktoren, beeinflusst werden können, ist der Intelligenztest als alleiniger Faktor für (Hoch-)Begabung umstritten.40 Außerdem können genetische Faktoren und Persönlichkeitsfaktoren, wie zum Beispiel Motivation und Interesse, solch einen Test beeinflussen.41

Intelligenz ist ein zentrales Merkmal intellektueller (Hoch-)Begabung.42

Intelligenz wird nicht als eine ganzheitliche, sondern eher als eine bereichsspezifische Fähigkeit verstanden, zum Beispiel als mathematische Fähigkeit.43 Sozialisations- und Umweltfaktoren sind ebenfalls wichtige Einflussfaktoren, die bei der Entstehung von (Hoch-)Begabung einwirken.44 In ungeeigneten Fällen könnten Testergebnisse unter dem tatsächlichen intellektuellen Leistungspotenzial liegen. Zu hohe Testergebnisse kommen dagegen kaum vor.45

Die beiden Begriffe „Begabung“ und „Hochbegabung“ werden in der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit als Synonyme verwendet. Deshalb wird die Schreibweise „(Hoch-)Begabung“ über die gesamte wissenschaftliche Arbeit hinweg genutzt. Dass die Intelligenzausprägung veränderbar ist, soll in dieser Arbeit durch die (Hoch-)Begabungsmodelle (Kapitel 3.2) Beachtung finden.

(Hoch-)Begabung kann auch als Potenzial verstanden werden. Hier ist (Hoch-)Begabung die Voraussetzung für Leistung. Das bedeutet, dass (Hoch-)Begabung „[…] zunächst nur die Möglichkeit oder Option für ein bestimmtes Leistungsvermögen […]“46 ist. Deshalb garantiert (Hoch-)Begabung nicht Leistung. Wer begabt ist, hat lediglich die Möglichkeit, Leistung zu realisieren. Hier stehen potenzielle Fähigkeiten gezeigter Leistung gegenüber.47 Auch dieses Verständnis von Leistung liegt dieser Arbeit zugrunde.

3.2 (Hoch-)Begabungsmodelle

Wie schon im vorherigen Kapitel erläutert, ist das Begriffskonstrukt „(Hoch-)Begabung“ ein komplexer, vielfältiger Begriff, welches keine allgemein akzeptiere Definition aufweist. Die intellektuelle Fähigkeit mit dem allgemeinen Kriterium IQ ≥ 130 gilt als zentrales Merkmal für die angemessene Entfaltung von (Hoch-)Begabung. Sie gilt als potentielle Fähigkeit, die nicht immer in Leistung umgesetzt wird. Ein wesentlicher Grund für ein Nichtzeigen solch einer Leistung ist, dass andere Faktoren, die zur optimalen Entfaltung von (Hoch-)Begabung beitragen, nicht erfüllt werden. Diese Faktoren, die im Zusammenspiel mit intellektuellen Fähigkeiten eine vollständige Entfaltung der (Hoch-)Begabung erlauben, werden in den folgenden Modellen von verschiedenen Autoren dargestellt. Diese Modelle zeigen Charakteristika von (Hoch-)Begabung auf und dienen als Hilfsmittel, um (Hoch-)Begabung und (hoch-)begabte Kinder zu verstehen und dementsprechend gezielt zu fördern und fordern. Durch die Förderung soll das höchstmögliche Entfalten der (Hoch-)Begabung erzielt werden. 2001 hat Heller das Münchener Hochbegabungsmodell entwickelt. Renzulli hat 1978 das Drei-Ringe-Modell zur (Hoch-)Begabung angefertigt. Dieses wurde Anfang der 1990er Jahre von Mönks zum Triadischen Interdependenzmodell der Hochbegabung weiterentwickelt. Diese drei Modelle sind leistungs- und förderungsorientierte Modelle und unterscheiden zwischen Anlagen eines Menschen und ihrer Verwirklichung.48 Folgend werden diese drei Modelle, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, erläutert.

3.2.1 Münchener Hochbegabungsmodell von Heller

Das mehrdimensionale Modell, welches von Heller 2001 entwickelt wurde, fasst (Hoch-)Begabung als individuelle, kognitive, motivationale und soziale Möglichkeit auf (Abb. 1). Es vertritt die Idee, dass unterschiedliche (Hoch-)Begabungsbereiche existieren (intellektuelle Fähigkeiten, Kreativität, soziale Kompetenz, Musikalität, …). Diese können unter guten Umständen zu hohen Leistungen führen. Nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale, wie etwa Leistungsmotivation und Lernstrategien, sind ebenfalls an dem Hervorbringen von hohen Leistungen beteiligt. Außerdem spielen Umweltmerkmale, wie schulisches Klima, eine Rolle. Leistung in bestimmten Gebieten, wie zum Beispiel in Mathematik, ist also abhängig von diesen drei Faktoren.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Münchener Hochbegabungsmodell nach Heller 2001

3.2.2 Drei-Ringe-Modell von Renzulli

In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts versucht Renzulli durch das Drei-Ringe-Modell darzustellen, welche Faktoren (Hoch-)Begabung ausmachen. Das Modell beschreibt (Hoch-)Begabung als ein Zusammenspiel der drei Persönlichkeitsmerkmale hohe intellektuelle Fähigkeit, Kreativität und Motivation (Abb. 2). Demnach ist die (Hoch-)Begabung die Schnittmenge aller drei Merkmale. Die Persönlichkeitsmerkmale sollten in überdurchschnittlicher, aber nicht unbedingt in herausragender Qualität vorhanden sein.49

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Drei-Ringe-Modell nach Renzulli von 1970

Die überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten umfassen ein „[…] hohes Niveau im Schlussfolgern und abstrakten Denken, im räumlichen Vorstellungsvermögen, im Erinnern und in sprachlicher Gewandtheit […].“50 Außerdem beinhalten überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten eine „[…] gute situative Anpassungsfähigkeit […]“51, „schnelle Informationsverarbeitung und schnelle[n] Informationszugriff.“52 Die Motivation beschreibt Renzulli als eine spezielle Form von Leistungsmotivation. Dabei spielen folgende Kriterien eine Rolle: „[…] Energie in Form von Ausdauer, Beharrlichkeit, Begeisterungsfähigkeit und Entschlossenheit, aber auch z.B. Offenheit für Selbstoder Fremdkritik, die Personen bei der Bearbeitung spezieller Probleme einbringen.“53

Zuletzt beschreibt er Kreativität als eine bestimmte Form von Lösungsverhalten, die sich durch: „[…] Flüssigkeit, Flexibilität und Originalität im Denken, durch Offenheit für neue Erfahrungen sowie die Bereitschaft auszeichnet, Risiken im Denken und Handeln einzugehen.“54

Es soll hervorgehoben werden, dass die Komponenten Motivation und Kreativität Entwicklungsziele eines Förderprogramms darstellen.55 Die hohe intellektuelle Fähigkeit ist allerdings die Grundbedingung.56 Durch Förderprogramme sollen diese Komponenten gefördert und aufrechterhalten werden. Personen, die eine hohe intellektuelle Fähigkeit, Motivation und Kreativität aufweisen, bringen mit hoher Wahrscheinlichkeit hohe Leistungen auf.57 Faktisch bedeutet das, dass sich (Hoch-)Begabung nur durch ein günstiges und erfolgreiches Zusammenspiel aller drei Komponenten entfalten kann und so hohe Leistungen entstehen können.

3.2.3 Triadisches Interdependenzmodell von Mönks

Der isolierte Blick von Renzulli auf die Umweltfaktoren war der ausschlaggebende Kritikpunkt für die Weiterentwicklung des Drei-Ringe-Modells zum Triadischen Interdependenzmodell der (Hoch-)Begabung im Jahr 2005. Dieses wird gleichzeitig auch als Mehr-Faktoren-Modell bezeichnet.

Mönks bringt in diesem Modell zum Ausdruck, dass die drei Persönlichkeitsmerkmale Intelligenz, Kreativität und Motivation eine Wechselwirkung mit der sozialen Umwelt (Freunde, Familie, Schule) eingehen (Abb. 3). Eine positive Wechselwirkung der beiden Triaden ist entscheidend für eine einwandfreie Entwicklung von (hoch-)begabten Kindern. Allerdings wählt Mönks anstelle des Begriffs Motivation den Begriff Aufgabenzuwendung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3:Triadisches Interdependenzmodell nach Mönks von 2005

In dem Modell von Mönks umfasst die hohe intellektuelle Fähigkeit einen Intelligenzquotienten von ≥ 130. Die Motivation/Aufgabenzuwendung umfasst die Kriterien: Durchsetzungsvermögen, den Willen, etwas zu wollen, Freude an der Arbeit, Zielstrebigkeit und Risikobereitschaft.58 Fühlt man sich von einer bestimmten Aufgabe angezogen oder hat man Spaß daran, kann das auch als Motivation bezeichnet werden.59 Kreative Problemlösefähigkeit und die Fähigkeit, Probleme aufzuspüren, gehören zur Kreativität und erfordern produktives und selbständiges Denken.60 Im Gegensatz zu Hellers Modell beschreibt dieses Modell Kreativität als Voraussetzung für Leistung, während Heller Kreativität als Begabungsfaktor darstellt.

„Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist es wichtig zu erkennen, dass der Mensch mit seiner sozialen Umgebung interagiert, die hemmend oder fördernd auf die persönliche Entwicklung einwirken kann.“61 So kann die Lehrkraft einen positiven Einfluss auf die Leistungsbereitschaft und die Mitarbeit des Kindes haben, in dem sie das Kind angemessen fordert und fördert.

[...]


1 Häuser, D. und Schaarschmidt, U. 1991, S. 159

2 Vgl. Koller et al. 2014

3 Vgl. z.B.Weskamp 2019

4 Vgl. Weskamp 2019

5 Vgl. Grassmann und Heinze 2009, S. 22

6 Grassmann und Heinze 2009, S. 22

7 Bergsmann 2000, S. 21

8 Vgl. Grassmann und Heinze 2009, S. 21

9 Bardy 2007, S. 113

10 Vgl. Winner und Klostermann 1998, S. 223

11 Vgl. Webb et al. 1999, S. 27

12 Bezeichnung für Schülerinnen und Schüler

13 Vgl. Schulte zu Berge 2005, S. 42-43

14 Webb et al. 1999, S. 41

15 Grassmann und Heinze 2009, S. 21

16 Bezeichnung für Lehrkraft

17 Vgl. Webb et al. 1999, S. 27

18 Webb et al. 1999, S. 27

19 Webb et al. 1999, S. 41

20 Winner 2007,

21 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016

22 Verfügbar unter: https://www.gutzitiert.de/zitat_autor_samuel_butler_thema_wort_zitat_22507.html, 15.12.2019; (ohne Seitenangabe)

23 Bardy 2007,

24 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 17

25 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 16-17

26 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 17

27 Mönks und Ypenburg 2005, S. 17

28 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 16-17

29 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 19

30 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 20

31 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 20

32 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 19

33 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 19

34 Vgl. Stumpf 2012, S. 18

35 Stumpf 2012, S. 19

36 Bezeichnung für Intelligenzquotient

37 Vgl. Busse 2007, S. 17

38 Vgl. Busse 2007, S. 17

39 Vgl. Schulte zu Berge 2005,

40 Vgl. Grassmann und Heinze 2009, S. 11

41 Vgl. Grassmann und Heinze 2009, S. 11

42 Vgl. Arnold und Großgasteiger 2014, S. 57

43 Vgl. Grassmann und Heinze 2009, S. 11

44 Vgl. Grassmann und Heinze 2009, S. 11

45 Vgl. Schulte zu Berge 2005,

46 Grassmann und Heinze 2009,

47 Vgl. Grassmann und Heinze 2009, S. 9-10

48 Vgl. Bardy 2007, S. 16

49 Vgl. Bardy 2007, S. 17

50 Bardy 2007, S. 18

51 Bardy 2007, S. 18

52 Bardy 2007, S. 18

53 Bardy 2007, S. 18

54 Bardy 2007, S. 18

55 Vgl. Stumpf 2012, S. 20

56 Vgl. Bardy 2007, S. 18

57 Vgl. Stumpf 2012, S. 20

58 Vgl. Busse 2007, S. 57

59 Vgl. Mönks und Ypenburg 2005, S. 24

60 Vgl. Busse 2007, S. 57

61 Busse 2007, S. 57

Ende der Leseprobe aus 62 Seiten

Details

Titel
Enrichment im Mathematikunterricht. Untersuchung eines Förderkonzepts im Bereich (Hoch-)Begabung zur Individualförderung in der Leitidee "Raum und Form"
Hochschule
Pädagogische Hochschule in Schwäbisch Gmünd
Autor
Jahr
2020
Seiten
62
Katalognummer
V537269
ISBN (eBook)
9783346147479
ISBN (Buch)
9783346147486
Sprache
Deutsch
Schlagworte
enrichment, raum, leitidee, individualförderung, begabung, hoch-, bereich, förderkonzepts, untersuchung, mathematikunterricht, form
Arbeit zitieren
Suzangül Tosun (Autor:in), 2020, Enrichment im Mathematikunterricht. Untersuchung eines Förderkonzepts im Bereich (Hoch-)Begabung zur Individualförderung in der Leitidee "Raum und Form", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537269

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