Das Verhältnis von Narration und Montage in "Lola rennt"

Eine Filmanalyse


Hausarbeit, 2019

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Analysebausteine
2.1. „Classical Narration. The Hollywood Example“
2.2. „Aspekte der Filmmontage - Eine Art Einführung“

3. Analyse
3.1. Lola rennt - eine klassische Hollywood-Narration?
3.2. Technisch-Ästhetische Umsetzung von Lola rennt
3.2.1. Einstellungen, Perspektiven und Bewegungen der Kamera
3.2.2. Ton
3.2.3. Montagetechniken

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Lola rennt1 ist eine der bedeutendsten deutschen Filmproduktionen aus den 90er Jah­ren. Mit Auszeichnungen in acht Kategorien des deutschen Filmpreises 19992 wurde der Autor und Regisseur Tom Tykwer fortan zu einer internationalen Größe der deut­schen Filmbranche. Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Zusammenhang zwischen Nar­ration und Montage anhand diesen Filmes zu beleuchten. Der Film eignet sich anhand seiner auffälligen Erzählweise, visueller Spielereien und einer für das Erscheinungs­jahr 1998 ungewöhnlich genutzten Vielfalt an filmisch-technischen Möglichkeiten op­timal dafür. Die Mischung aus klassischer und Art-Cinema Narration, die der klassi­schen Narration auf vielen Ebenen geradezu gegensätzlich erscheint, stieß dank sei­ner Experimentierfreudigkeit auf Erfolg. Aus heutiger Sicht lässt sich der Film sogar als „ein Stück Zeitgeschichte“3 bezeichnen.

Diese Hausarbeit wendet sich der Frage zu, unter Verwendung welcher Montage­techniken Tom Tykwer seinem Film Lola rennt eine non-lineare Erzählweise gibt - die These vorangestellt, dass Montage und Narration in diesem Film untrennbar ineinan­dergreifen. Zunächst werden die themenbezogenen Texte von David Bordwell und Hans Beller knapp vorgestellt. Im nächsten Schritt wird beleuchtet, wie die Thesen der Texte im Film Anwendung finden. Dies beinhaltet das Betrachten des Films aus klassisch-narrativer Sicht, sowie im Anschluss die Ermittlung der filmisch-technischen Mittel. Letztlich sollen die beiden filmischen Elemente in Kontext gesetzt werden.

2. Analysebausteine

2.1 Die klassische Erzählstruktur in Hollywood

David Bordwell beschreibt in seinem Text „The Classical Narration. The Hollywood Example“ die klaren Elemente der klassischen Hollywood-Narration. Er schlussfolgert die meist wiederkehrende Konfliktsituation der Charaktere als typisches Merkmal mit dazugehöriger Auflösung des Konflikts in Form eines Siegs oder einer Niederlage. Auch Story und Plot haben in der Hollywood-Narration einen für sie typischen Aufbau, wobei in der Story die Kausalität sehr wichtig ist: Alle Ereignisse sollten kausal mitei­nander verbunden sein.4 Des Weiteren analysiert Bordwell in der klassischen Narra­tion u.a. die Darstellung von Zeit und Raum, sowie die Mittel der Kamera als Erzäh­lerin.

2.2 „Aspekte der Filmmontage - Eine Art Einführung“ von Hans Beller

Hans Beller behandelt in seinem Text die Theorie und Praxis der Schnitttechnik von Filmen. Er gibt eine grundlegende Einführung in die gängigsten Begrifflichkeiten so­wie Schnittmuster und -prinzipien und beschreibt ebenso die Entwicklung der Mon­tage bis zur heutigen Technik. Laut Beller ist die Fortsetzung der Kontinuität eine grundlegende Arbeitsweise, um den Fokus der Zuschauenden zu lenken und deren Orientierung innerhalb eines Raumes oder einer Handlung zu gewährleisten.5 Diese Kontinuität lässt sich durch verschiedene Montagetechniken herstellen. Des Weiteren beschreibt Beller einen Montagetrend im klassischen Hollywood-Kino, der durch ,wei- che‘, also möglichst unauffällige Schnitte den Zuschauenden in das Geschehen ein­tauchen lassen soll, statt den Erzählfluss durch harte Schnitte zu durchbrechen und für Verwirrung beim Zuschauenden zu sorgen.6

3. Analyse

3.1 Lola rennt - eine klassische Hollywood-Narration?

Eines der Elemente der klassischen Hollywood-Narration in Lolas Geschichte ist der Aufbau: „[I]nviduals who struggle to solve a clear-cut problem or to attain specific goals“7. Lola und Manni, zwei Charaktere, die nur zwanzig Minuten Zeit haben, um 100.000 Mark aufzutreiben. Sie sind problematischen Umständen ausgesetzt, da Lo­las geliebter Manni womöglich von seinem Chef umgebracht wird, wenn er ihm die 100.000 Mark nicht geben kann. Typisch für eine klassische Hollywood-Narration ist auch das Ende des Films, die Konfliktsituation wird aufgelöst, die Geschichte endet in einem Sieg oder einer Niederlage der Hauptfiguren, also einem Erreichen oder Nicht-Erreichen des Ziels.8 Im Falle Lolas erreichen beide das Ziel: Sowohl Lola als auch Manni schaffen es durch minimalste Zufälle und durch kleinste Veränderungen im Lauf der Handlung, die benötigten 100.000 Mark aufzutreiben. Dennoch tritt Lola innerhalb der Handlung in den Vordergrund. Sie gilt als Protagonistin, da sie aufgrund Mannis misslichen Lage die Aufgabe annimmt und nun, als normale junge Frau ver­suchend, Aussichtsloses zu erreichen, im Vordergrund steht.9 Tykwer selbst be­schreibt sie als „Heldin des Alltags“10. Auch hier verbirgt sich ein Aspekt der klassi­schen Narration: Sie stellt eine Protagonistin dar, mit welcher großes Identifikations­potenzial für die Zuschauenden besteht.11 Lola ist extrem willensstark, entschlossen und sogar emotional stärker als ihr Freund Manni. Franka Potente alias Lola ist, ver­glichen mit bspw. Angelina Jolie als Lara Croft, keine Sportskanone in knapper Klei­dung. Sie ist eine Powerfigur in grün karierter Stoffhose, schweren Doc Martens-Stie­feln und zudem noch Raucherin.12 Somit konnten sich in den späten 90ern viele Frauen mit ihr identifizieren und eiferten ihr nach: Kurz nach Kinostart bildete sich sogar eine Bezeichnung für Lolas Frisur - sie war bekannt als Lola red.13

Das größte Wesensmerkmal der klassischen Narration lässt sich in Lola rennt hin­sichtlich der Ursache-Wirkungskette im Story-Aufbau finden.14 Der ganze Film ist ge­füllt mit minimalen Auswirkungen, die durch eine bestimmte Reihenfolge von ver­schiedenster Begegnungen sowie getroffenen Entscheidungen entstehen. Jedes Er­eignis hängt mit den anderen zusammen, ähnlich wie bei einer Schleife aus Domino- steinen15. Der Film thematisiert die Ursache-Wirkungskette in Form des ,Schmetter- lingseffektes‘16. Wenn auch Lola bei jedem einzelnen Lauf auf die gleichen Nebenfi­guren trifft, findet dies stets zu anderen Zeitpunkten, in anderer Form statt, die aus­schlaggebend dafür sind, dass jeder ihrer drei Läufe ein anderes Ende nimmt. Allein die Begegnung mit dem Jungen und Hund, auf den sie zu Beginn jeden Laufes im Treppenhaus trifft17, scheint die nachfolgende Handlung enorm zu beeinflussen. Er gibt scheinbar den Ausgang der jeweiligen Episode teilweise vor, da die Einstellung der telefonierenden Mutter stets dieselbe bleibt.18 Die Ausgangssituation der drei Läufe bleibt „also immer gleich, die zeitliche Verschiebung entsteht erst durch Lolas Begegnung [...] im Treppenhaus.“19 Beim ersten Mal läuft Lola nur an ihnen vorbei, beim zweiten Mal stellt ihr der Junge das Bein, wodurch sie fällt, dadurch unter Schmerzen weiter rennt und somit auch zeitmäßig bereits benachteiligt ist. Beim drit­ten Lauf gewinnt sie allerdings jene Zeit, da sie mit Anlauf über beide springt. Sie hat nun einen zeitlichen Vorsprung bezüglich den anderen beiden Läufen, der ihr zugute­kommt.

„Causality also motivates temporal principles of organization: the syuzhet represents the order, frequency, and duration of fabula events in ways which bring out the salient causal relations. This process is especially evident in a device highly characteristic of classical narration - the deadline.“20

Das Zeitlimit ist der zentralste Aspekt in Lola rennt. Die zwei Hauptrollen Lola und Manni arbeiten den ganzen Film über auf einen bestimmten Zeitpunkt hin, nämlich zwölf Uhr. Das ist die sog. Deadline, der Klimax der Story. Durch die Zeitmanipulation erfährt der Zuschauende diesen Höhepunkt sogar drei Mal.

„Usually the classical syuzhet presents a double causal structure, two plot lines: one involving heterosexual romance [...], the other line involving another sphere - work, war, a mission or quest [.] [.] In most cases, the romance sphere and the other sphere of action are distinct but independent.“21

Wie oben in dem Zitat von David Bordwell beschrieben, lässt sich auch dieses Merk­mal in Tykwers Film finden. Der eine Erzählstrang verfolgt die Liebesgeschichte von Manni und Lola, die Liebe stellt hier neben ihrer Selbstlosigkeit Lolas zentrales An­triebsmittel dar, Manni zu retten und nicht zu verlieren. Der andere Erzählstrang be­inhaltet das Erreichen der 100.000 Mark, bevor Mannis Chef etwas von dem Missge­schick erfährt.

In Bezug auf den Zeit-Aspekt ist die stetige Verständlichkeit ein weiteres Charakteris­tikum für die klassische Narration22. Die zunächst im Plot übersprungene Handlung über das Verlieren der Geldtasche wird durch eine Rückblende während des Telefo­nats nachgeholt.23 Ebenso ist es klar, dass die Haupthandlung zeitgleich mit der Ne­benhandlung verläuft: Lola rennt, während ihr Freund Manni auf der anderen Seite Berlins auf sie wartet. Das Gespräch zwischen Lolas Vater und seiner Geliebten Jutta findet sichtlich gleichzeitig statt, während Lola auf dem Weg zu ihnen ist. Obwohl die Erzählstränge mit Lola und Manni zwar als chronologischer Plot gefasst sind, sind die Vorausblenden der Nebenfiguren wiederum nur schwer als solche erkennbar, da der Schriftzug „UND DANN“24 beinahe nicht wahrnehmbar ist. Somit kann eine Voraus­blende im ersten Moment auch als Rückblende missverstanden werden. Des Weite­ren laufen die einzelnen Lauf-Episoden non-linear ab. Der Plot beginnt am Anfang, läuft der Reihe nach innerhalb der erzählten Zeit weiter bis zum vermeintlichen Ende der Handlung. Anschließend springt er zurück zum Anfang der Story, um diese dann erneut mit anderen Nebenereignissen zu erzählen, die jedoch „dramaturgisch aufei­nander auf[bauen]“25. Durch den Rücksprung in der Zeit und die zweite Chance für Lola und Manni, erlebt der Zuschauer den selben Zeitabschnitt dreimal. Demnach handelt es sich bei der erzählten Zeit im ganzen Film jeweils um rund zwanzig Minu­ten eines einzigen Tages, die jeweils dreimal in ca. 20 Minuten Filmlänge erzählt wer­den. Diese narrative Struktur überschneidet sich mit derjenigen aus Der Zufall mög- licherweise 26, in welcher ebenfalls drei verschiedene Versionen des Lebens von Pro­tagonist Witek Dlugosz dargestellt werden - nämlich wie sein Leben verläuft, wenn er jenen Zug nach Warschau erreicht oder ihn verpasst.27

[...]


1 Lola rennt, Regie: Tom Tykwer. Deutschland 1998.

2 Vgl. Arcucci, Isabella: „ Lola rennt erhält acht Auszeichnungen beim Deutschen Filmpreis“. (2019). Online: https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/lola-rennt-deut- scher-filmpreis-102.html (Letzter Zugriff: 23.09.2019).

3 Ebd.

4 Vgl. Bordwell, David: Narration in the Fiction Film. London: Routledge 1997, S. 157.

5 Vgl. Beller, Hans: „Aspekte der Filmmontage. Eine Art Einführung.“ In: ders. (Hg.): Hand­buch der Filmmontage. Praxis und Prinzipien des Filmschnitts. 4., durchgesehene und er­weiterte Auflage. München: TR-Verlagsunion 2002, S. 18.

6 Ebd., S. 19f.

7 Bordwell, Narration in the Fiction Film, S. 157.

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. Schuppach, Sandra: Tom Tykwer. Mainz: Bender 2004, S.56.

10 Suchsland, Rüdiger: „Tykwer spricht. Ein Gespräch mit dem Regisseur von LOLA RENNT“. (1998). Online: https://www.artechock.de/film/text/interview/t/tyk- wer_1998.htm#oben (Letzter Zugriff: 28.09.2019).

11 Vgl. Bordwell, Narration in the Fiction Film, S. 157.

12 Vgl. Thomann, Jörg: „20 Jahre Lola rennt. Grüße aus dem Lolaland“. (2018). Online: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/20-jahre-lola-rennt-was-ist-uebrig-geblieben- 15723111.html (Letzter Zugriff: 02.10.2019).

13 Vgl. ebd. (Letzter Zugriff: 02.10.2019)

14 Bordwell, Narration in the Fiction Film, S. 157.

15 Verweis zur Metapher: Lola rennt, Regie: Tom Tykwer. Deutschland 1998. 00:10:32 - 00:10:36.

16 Der Schmetterlingseffekt beschreibt ein Modell der Chaostheorie, indem kleinste Verände­rungen einer Situation durch mehrere Verkettungen hinreichende Folgen auf die Zukunft mit sich führen kann, so wie als könne ein Schlag eines Schmetterlingflügels in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen. Vgl. Kümmerling - Meibauer, Bettina: „‘Was wäre wenn../ - Der Schmetterlingseffekt als filmdidaktische Herausforderung.“ In: Matthias N. Lorenz (Hg.): Film im Literaturunterricht. Von der Frühgeschichte des Kinos bis zum Symmedium Computer. Freiburg im Breisgau: Fillibach 2010, S. 231f.

17 Lola rennt, Regie: Tom Tykwer. Deutschland 1998. 00:12:06 - 00:12:09 sowie 00:34:09 - 00:34:13 und 00:53:10 - 00:53:13.

18 Vgl. Schuppach, Tom Tykwer, S.52.

19 Ebd.

20 Bordwell, Narration in the Fiction Film, S. 157.

21 Ebd., S. 157f.

22 Vgl. ebd., S. 161.

23 Lola rennt, Regie: Tom Tykwer. Deutschland 1998. 00:05:13 - 00:07:24.

24 Ebd. Bspw. 00:12:54.

25 Schuppach, Tom Tykwer, S. 56.

26 Der Zufall möglicherweise, Regie: Krzysztof Kieslowski. Polen 1987.

27 Vgl. Schuppach, Tom Tykwer, S. 51.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis von Narration und Montage in "Lola rennt"
Untertitel
Eine Filmanalyse
Hochschule
Universität Bayreuth
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
15
Katalognummer
V537253
ISBN (eBook)
9783346158475
ISBN (Buch)
9783346158482
Sprache
Deutsch
Schlagworte
eine, filmanalyse, lola, montage, narration, verhältnis
Arbeit zitieren
Julia Arthofer (Autor:in), 2019, Das Verhältnis von Narration und Montage in "Lola rennt", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537253

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