Fehler im Sinne einer Fehlerkultur zulassen und konstruktiv nutzen. Die Fehlerkultur in ausgewählten Lerntheorien und ihre Bedeutung für das Lernen im Berufsschulunterricht


Masterarbeit, 2018

67 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen zum Fehlerbegriff
2.1 Zum Begriff des Fehlers
2.2 Klassifikation von Fehlern
2.3 Funktion von Fehlern beim Lernprozess
2.4 Funktion von Fehlern im Berufsschulunterricht

3 Darstellung von Fehlerkultur im Schulunterricht
3.1 Zum Begriff der Fehlerkultur
3.2 Dimensionen einer Fehlerkultur
3.3 Kriterien zur Entwicklung einer Fehlerkultur

4 Betrachtung von Fehlerkultur in ausgewählten Lerntheorien
4.1 Fehlerkultur im Behaviorismus
4.1.1 Definition Behaviorismus
4.1.2 Klassisches Konditionieren
4.1.3 Operantes Konditionieren
4.1.4 Anwendung in der pädagogischen Praxis
4.2 Fehlerkultur im Kognitivismus
4.2.1 Definition Kognitivismus
4.2.2 Lernen am Modell
4.2.3 Regellernen und Lernstruktur
4.2.4 Kognitivismus in der pädagogischen Praxis
4.3 Fehlerkultur im Konstruktivismus
4.3.1 Definition Konstruktivismus
4.3.2 Konstruktivismus in der pädagogischen Praxis

5 Bedeutung von Fehlerkultur für das berufliche Lernen
5.1 Rechnungswesen im Berufsschulunterricht
5.2 Fehlerklassifizierung für den Rechnungswesenunterricht
5.3 Ein fachtypischer Fehler im Rechnungswesenunterricht
5.3.1 Einordnung des Fehlers in die Kategorien nach Guldimann/Zutavern
5.3.2 Einordnung des Fehlers in die Typologie von Fehlersituationen nach Mindnich, Seifried und Wuttke
5.3.3 Darstellung der Handlungsalternativen nach Türling

6 Conclusio

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Fehlertypen nach Spychiger

Abbildung 2: Fehlertypen nach Guldimann und Zutavern

Abbildung 3: Dimensionen des S-UFS und deren Zuordnung zu übergeordneten Kategorien

Abbildung 4: Prozess des buchhalterischen Modellierens

Abbildung 5: Typologie von Fehlersituationen im Klassengespräch

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Neue gesellschaftliche Anforderungen verändern auch im berufsschulischen Kontext die Vorstellungen darüber was für die Ausbildung junger Menschen gut ist und wie dieser Zustand erreicht werden kann. Ständige Überarbeitungen der Curricular, Zusammenlungen von Schulformen und Abwandlungen der Unterrichtsfächer in Lernfelder sind nur ein Teil dieses qualitativen Wandels. Ein wesentlicher Fokus wird auf die unterrichtliche Entwicklung bezüglich des sozialen Lernklimas gelegt. Dazu gehören u.a. die Förderung von Zusammenarbeit unter den Schülerinnen und Schülern, sowie die Anleitung zum selbstständigen Arbeiten und Bewältigen von Problemstellungen.1 Das Konzept der Fehlerkultur findet innerhalb dieses Wandels vermehrt Gehör. Die Umsetzung von Fehlervermeidungsstrategien zum Erzielen größerer Erfolge scheint nicht grundlos überholt. Dass jedem Menschen in unserem Umfeld, eingeschlossen unserer selbst, bereits der ein oder andere Fehler unterlaufen ist, zeigt keine gesellschaftliche Ausnahme. Bereits als Kleinkinder lernen wir nachhaltig Wissen und Erkenntnisse aus unseren Fehlern zu schöpfen. Der Griff auf die heiße Herdplatte passiert den meisten kein zweites Mal. An dieser Stelle setzt der Gedanke an, dass es auch im Unterricht nicht darum gehen sollte Fehler auszuschließen, sondern im Gegenteil, mit ihnen konstruktiv zu arbeiten. Lernen bedeutet im schulischen Zusammenhang auch immer wieder Fehler zu begehen und in diesem Ursprung liegt das Potential der Implementierung einer Fehlerkultur. Die Verfechter einer Fehlerkultur sehen ihre elementare Begründung darin, dass das Lernpotential aus dem konstruktiven Umgang mit einem Fehler bislang unterschätzt worden ist. Zusätzlich gibt es Argumentationen darüber, dass der richtige Umgang mit Fehlersituationen entwicklungsförderlich für das soziale Ich der Schülerinnen und Schülern, sowie für das gesamte Lernklima innerhalb der Klassengemeinschaft sein kann. Heutzutage sind Reaktionen auf Fehlersituationen in Form von Bloßstellen oder Disziplinieren im Sinne von blamablem Korrigieren des eigenen Fehlers an der Tafel nicht mehr der Regelfall. Trotzdem werden Fehler heutzutage noch häufig ignoriert, missverstanden oder als Anreiz einer milderen Disziplinierung gesehen.2 Es gibt viele Wege Lern- und Erkenntnisprozesse bei den Schülerinnen und Schülern einzuleiten und zu steuern. Theoretische Ansätze zum praktikablen Durchlaufen solcher Lernprozesse liefern insbesondere die Lerntheorien des Behaviorismus, des Kognitivismus und des Konstruktivismus. Jedoch weisen die Lerntheorien hinsichtlich ihrer Erklärungsansätze erhebliche Unterschiede auf. Auch ihre jeweilige Vereinbarkeit mit dem Konstrukt einer Fehlerkultur fällt stark differenziert aus. Fehler haben in den unterschiedlichen Theorien immer andere Ursachen und ihnen werden verschiedene Bedeutungen hinsichtlich des Lern- und Erkenntnisprozesses der Schülerinnen und Schülern zugeschrieben.

Im Rahmen dieser Arbeit soll Aufschluss darüber gegeben werden welche Voraussetzungen eine Lehr-Lern-Situation grundsätzlich erfüllen muss, um Fehler im Sinne einer Fehlerkultur zuzulassen und diese konstruktiv nutzen zu können. Des Weiteren geht es darum eine Verbindung zwischen beruflichem Lernen und der Implementierung einer Fehlerkultur aufzuzeigen und daraus erkenntlich zu machen, ob und inwiefern ausgewählte Lerntheorien zur Umsetzung einer Fehlerkultur beitragen können. Dazu werden im zweiten Teil zunächst die theoretischen Grundlagen zum Fehlerbegriff erläutert. Anschließend wird der Begriff der Fehlerkultur erklärt und dessen Bedeutung für das (beruf-) schulische Lernen dargestellt. Daran anknüpfend werden im vierten Teil ausgewählte Lerntheorien theoretisch und in ihrer pädagogischen Anwendung dargestellt und hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit einer Fehlerkultur beleuchtet. Im letzten Teil erfolgt anhand einer fiktiven fachtypischen Fehlersituation in der berufsschulischen Domäne des Rechnungswesenunterrichts eine Verknüpfung von theoretischen Fehlerkultur-Modellen mit der praktischen Umsetzung. Dazu werden auch die spezifischen Eigenschaften des Rechnungswesenunterrichts in den kaufmännischen Curricular betrachtet. Anschließend erfolgt die Darstellung wie aus der Fehlersituation des Fallbeispiels eine lernförderliche Situation im Berufsschulunterricht, im Sinne einer Fehlerkultur aussehen könnte. In einem abschließenden Fazit wird ein begründetes Resümee erfolgen welche Lerntheorie am besten für den Berufsschulunterricht geeignet ist, um eine Fehlerkultur zu etablieren und welche Herausforderungen die Umsetzung mit sich bringen kann.

2 Theoretische Grundlagen zum Fehlerbegriff

Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten. – Konfuzius (551 v. Chr. – 479 v. Chr.)

Blickt man auf die historische Entwicklung des menschlichen Fehlerbewusstseins zurück, so lässt sich feststellen, dass die Differenzierung zwischen richtigem und falschem Handeln bereits von Anfang an eine Notwendigkeit für die Existenzerhaltung des Homo sapiens war. Die Evolution der Menschheit ist das beste Beispiel für den natürlichen Trieb fatale Fehler gänzlich zu vermeiden und die Fehler eines Mitmenschen selbst kein zweites Mal zu begehen. Dieser Gedanke könnte erklären warum der Fehlerbegriff üblicherweise direkt mit einer negativen Handlung assoziiert wird. Dem gegenüber steht die Funktion von Fehlern und Irrtümern als natürlicher Lernprozess. Schon in der jüngsten Zeit kultureller Entwicklungen bestand ein künstlerisches und philosophisches Interesse an der Bedeutung eines Fehlers für ein Individuum oder eine ganze Gesellschaft. Daraus resultierende kulturell fundierte Ergebnisse lassen sich in alten Schriften wie bspw. Dramen, Sprichwörtern oder Fabeln wieder finden.3

In der Wissenschaft stößt die Fehlerdebatte seit Anfang des 20. Jahrhunderts auf vermehrtes Forschungsinteresse. Der Fokus liegt anfänglich verstärkt auf der Ursachenforschung sowie der Entwicklung von Vermeidungsstrategien. Im Jahre 1901 entwickelt Freud in seinem Werk „Zu Psychopathologie des Alltagslebens“, die Theorie der Fehlleistungen, bei der Irrtümer und Fehlleistungen eine Erscheinung unbewusster Absichten darstellen.4 Innerhalb des laufenden Jahrhunderts verfeinert sich das Forschungsgebiet und die Fehlerfolgen rücken ebenfalls in den Fokus. Seit den 1980er Jahren tauchen vermehrt Praxishinweise und Randbemerkungen zum produktiven Umgang mit Fehlern auf, allerdings erfolgt daraus keine genauere Theoriebildung oder Forschungsgrundlage im Bereich der Erziehungswissenschaft. Als Pionier in seinem Gebiet, erarbeitet der Pädagoge Martin Weingardt in seiner 2004 veröffentlichten Studie „Fehler zeichnen uns aus“ erstmals einen gemeinsamen Konsens aus einer Großzahl von den kleineren bereits geleisteten Forschungsansätzen und eigenen Untersuchungen. Dort beschreibt er die Theorie und Produktivität eines Fehlers in Schul-und Arbeitswelt.

In den nächsten Abschnitten wird zunächst auf den Fehlerbegriff eingegangen. Dazu tauchen in der Literatur unterschiedliche Definitionen auf. Darauf aufbauend werden Funktionen von Fehlern erläutert und darauf aufbauend ein Zusammenhang von Fehlern zum schulischen Lernprozess hergestellt.

2.1 Zum Begriff des Fehlers

Man würde meinen es läge auf der Hand was genau ein Fehler ist. Schließlich hört man täglich von eben diesem und es ist wohl jedem bereits das ein oder andere Mal ein Fehler unterlaufen. Tatsächlich ist es aber kaum möglich eine universelle Definition für den Fehlerbegriff zu finden, da die Komplexität von Fehlern sowohl von der Abhängigkeit zu der jeweiligen Situation, als auch von der Person selbst, welche einen vermeintlichen Fehler macht, geprägt ist. Typische Merkmale, die zu der Definition von Fehlern bis heute herangezogen werden, sind nach Steuer (2014): „ […] die Abweichung von einer Norm, die Abweichung von einem Ziel, der Bewertungs- oder Beurteilungsaspekt und die Unabsichtlichkeit5. Alle genannten Aspekte haben die Gemeinsamkeit, dass ein Fehler dann entsteht, wenn ein Ist-Zustand von einem Soll-Zustand abweicht. Der Unterschied zwischen der Abweichung von einer Norm und einem Ziel ist, dass ein Ziel nicht starr festgelegt, sondern eher flexibel, ist. Auf diese Weise können situative und kontextuale Aspekte bei der Definition von Fehlern berücksichtigt werden. Allerdings ist die genaue Definition eines Zieles nicht eindeutig objektiv festzulegen.6

Als Vorreiter der Erforschung von Fehlleistungen in der Schulpraxis veröffentlicht der Pädagoge Weimer in den 1920er Jahren erstmals seine Ansichten von der Unterscheidung zwischen Irrtümern und Fehlern, welche häufig als gleichbedeutend gesehen werden. Er vertritt die Auffassung, dass Irrtümer aus dem Nicht-Wissen von wichtigen Fakten entstehen. Fehler hingegen resultieren nach seiner Theorie aus dem Versagen von drei psychischen Funktionen: Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Denken.7 Weimar definiert den Fehler als „Eine Handlung, die gegen den Willen ihres Urhebers vom Richtigen abweicht.8 Bei diesem Ansatz ist zu beachten, dass die Abweichung lediglich durch das Versagen psychischer Funktionen auftritt.

Lange Zeit standen die Forschungen zum Fehlerdiskurs in der Erziehungswissenschaft weitestgehend still, denn erst 70 Jahre später veröffentlicht der Schweizer Pädagoge Kobi eine Schrift zum Fehlerbegriff und Fehlerumgang in der Schule. Nach Weimar ist er der erste, der versucht den Fehlerbegriff genauer zu definieren. Seine Forschungen stellen Fehler ebenfalls als unerwünschte Abweichungen von einer Norm dar. Jedoch geht Kobi genauer darauf ein, dass diese Norm im Vorfeld durch eine Instanz definiert und festgelegt werden muss. Dieser vorgefertigte Bezugs-und Referenzrahmen entscheidet dann darüber was als Fehler angesehen werden kann und was der Normalität entspricht.9 Bezüglich des Beurteilungsaspektes bei der Fehlerdefinition stellt Kobi fest, dass einem Individuum nicht sofort nach seiner Handlung klar werden muss, dass ein Fehler aufgetreten ist. Die Begründung liegt darin, dass das Ergebnis, egal welcher Art, anfänglich als Lösung betrachtet werden kann. Meist erfolgt die Eigenbeurteilung zeitnah zu der Handlung und kann dann als unpassend, falsch oder ineffizient gesehen werden.10 Des Weiteren beleuchtet Kobi auch einen Aspekt der Nützlichkeit und von Fehlern, indem er darauf aufmerksam macht, den Widerverwertungs- und Aufbereitungswert eines Fehlers nicht zu unterschätzen. Dies begründet er damit, dass Fehler sich, je nach Situation, auch als neue Lösungen herausstellen können, wenn dies durch die Veränderung der Einflussfaktoren notwendig wird.11 Weingardt (2004) schafft es eine Rahmendefinition zu formulieren, die einer interdisziplinären Einigkeit dienen und demnach zur Fehlerforschung in möglichst vielen Bereichen anwendbar sein soll: „ Als Fehler bezeichnet ein Subjekt angesichts einer Alternative jene Variante, die von ihm – bezogen auf einem damit korrelierenden Kontext und ein spezifisches Interesse – als so ungünstig beurteilt wird, dass sie unerwünscht erscheint12. Diese Definition wird zum einen dadurch ausgezeichnet, dass sie die Subjektivität eines Urteils beinhaltet, das einer individuellen Wahrnehmung und Beurteilung unterliegt. Zum anderen beinhaltet sie ebenfalls die Eventualitäten des Urteilsprozesses von Alternativen geprägt zu sein. Das bedeutet, dass ein Fehler als solcher bezeichnet werden kann, wenn in einer bestimmten Situation mindestens eine optimale Möglichkeit vorhanden ist und gleichzeitig eine suboptimale Möglichkeit als unerwünscht beurteilt wird. Des Weiteren berücksichtigt Weingardt die Abhängigkeit des Fehlerurteils von einem Urteilenden, der den Kontext definiert, sowie von den Auswirkungen, die sich aus der Variante ergeben haben.13

1.1

2.2 Klassifikation von Fehlern

Da in der vorliegenden Arbeit der Fehlerbegriff hauptsächlich auf das schulische Lernen bezogen werden soll, umfasst die hier aufgeführte Klassifikation von Fehlern Zusammenhänge zur Übertragbarkeit auf die Schulpraxis.

Fehler können fachlicher, sozialer oder moralischer Art sein. Im schulischen Kontext tauchen überwiegend Fehler auf, die mit den Unterrichtsinhalten zusammenhängen. Die Klassifikation von Fehlern erfolgt demnach fachspezifisch.14 Im Jahre 1935 unterteilt Duncker zwischen guten und schlechten Fehlern. Gute Fehler sind nach seiner Theorie eine Notwendigkeit zur Bewältigung von schwierigeren Problemen. Im schulischen Kontext besteht der Lernprozess der Schülerinnen und Schüler (SuS) darin, anhand von Misserfolgen festzustellen, wenn etwas nicht wie erwartet funktioniert und so selber zu erkennen, dass ein Wechsel der Vorgehensweise nötig ist, um das Ziel zu erreichen. Gute Fehler bieten den SuS die Möglichkeit, sofern dir SuS ein tieferes Verständnis für das Problem haben, gezielte Lösungswege zu entwickeln, die direkt auf den festgestellten Mangel angewendet werden können. Dem gegenüber stehen schlechte Fehler, die von den SuS nur oberflächlich verarbeitet werden und demnach ohne ein tieferes Begreifen für die Ursache des Problems lediglich aus Abwandlungen der Vorgehensweise bestehen, welche entsprechend nicht fundiert zielgerichtet sein können.15 Daran anlehnend unterscheidet Weinert (1999) zwischen funktionalen und dysfunktionalen Fehlern, welche sich dadurch auszeichnen, dass erstere dem Lernen zuträglich sind und letztere das Lernen eher erschweren oder gar verhindern.16

Radatz (1980) stellt eine Abgrenzung von Flüchtigkeitsfehlern und systematischen Fehlern auf. Flüchtigkeitsfehler haben die Besonderheit, dass SuS unmittelbar in der Lage sind diese selbst zu korrigieren, da ihnen das Wissen zur richtigen Umsetzung bereits innewohnt, aber zu diesem Zeitpunkt aus verschiedenen Gründen nicht angewandt wurde. Systematische Fehler werden dadurch charakterisiert, dass das Verständnis zur selbstständigen Deutung der Fehlerursache noch nicht ausreichend vorhanden ist. Aus diesem Grund treten systematische Fehler im Unterricht bei bestimmten Aufgabentypen vermehrt auf. Nach gängiger Definition, kann ein Flüchtigkeitsfehler mit einem typischen Versehen gleichgestellt werden.17

Bei der Bestimmung einer Fehlerart ist es sinnvoll auf gängige Taxonomien zurückzugreifen. Grundsätzlich können Fehlerarten nach der Art des Wissens (z.B. Fakten, Konzepte) und nach der Qualität der kognitiven Verarbeitungsleistung unterschieden werden. Im Rahmen der kognitiven Dimension stellen Anderson und Krathwohl (2003) auf Grundlage der Fehlerklassifizierung nach Bloom (1972) eine Unterscheidung der Fehlerarten in fünf Kategorien auf: Fehler, die bei Erinnerungsprozessen oder beim Abrufen bereits gelernter Inhalte auftreten sind Reproduktionsfehler. Wenn die SuS einen Bedeutungsgehalt oder die Beziehung zwischen einzelnen Wissensfaktoren aufzeigen soll und er dies in fälschlicher Art und Weise darstellt, so können daraus Verständnisschwierigkeiten interpretiert werden. Dann handelt es sich um einen Verständnisfehler. Die dritte Kategorie umfasst Fehler, die bei der Übertragung von vorhandenem Wissen auf neue Situationen entstehen. Diese Fehler sind Anwendungsfehler. Fehlleistungen bei der Analyse, Evaluation oder Kreation sind Fehler bei der Informationserzeugung. Alle Fehler die nicht in die aufgeführten Kategorien passen, weil sie bspw. auf Missverständnissen durch Fehlkommunikation beruhen, fallen in die Kategorie „sonstige Fehler“.18

Um eine Bewusstseinsschaffung der vergleichsweise geringen Tragwarte eines im Unterricht auftretenden Fehlers für Lehrende und Lernende zu schaffen, betrachtet Bialeck (2018) die Einordnung von Spychiger (2003) des Fehlers in den unterrichtlichen Kontext als hilfreich. Spychiger schafft es mit seiner Klassifikation von Fehlern das grundsätzlich negative Image, dass dem Fehlerbegriff entgegengebracht wird, zu relativieren.19 Dabei werden die Dimensionen Reversibilität und Konsequenzen mit einer jeweils hohen oder niedrigen Ausprägungen dargestellt und mit Beispielen belegt, so dass ein Vierfeldschema entsteht (Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Fehlertypen nach Spychiger

Quelle: Angelehnt an Türling, 2014, S. 30

Innerhalb dieser vier Felder entstehen unterschiedliche Schweregrade von Fehlern. Diese reichen von einer Unterscheidung von als Bagatellen bezeichneten Fehlern die leicht zu beheben sind und wenn überhaupt nur leichte Konsequenzen mit sich ziehen (Reversibilität: hoch, Konsequenzen: niedrig), bis hin zu schwerwiegenden und folgenreichen Fehlern (Reversibilität: niedrig, Konsequenzen: hoch), die als Katastrophen ausgehen können.20 Die Möglichkeit Fehler zu korrigieren und zu kontrollieren sinkt mit der steigenden Komplexität von Systemen in denen die Fehler auftreten. In komplexen Umfeldern wie z.B. der Luftfahrt oder der Medizin können Fehler schnell in Katastrophen enden, während Fehler die im schulischen Kontext auftauchen lediglich als Bagatellen anzusehen sind.21 Trotz der plakativen Darstellung der Fehlereinordnung, wird es Lernenden und Lehrenden ermöglicht zu verstehen, wie tragbar die Konsequenzen einer bspw. falschen Aussage im Unterricht sind und dass eine solche Bagatelle leicht zu beheben ist. Der Zugang zu dieser Sichtweise ermöglicht ein Lernklima in der Schule, in dem angstfrei mit Fehlern umgegangen werden kann, sofern alle Beteiligten diese Einstellung teilen.22

Guldimann und Zutavern (1999) charakterisieren Fehlertypen danach, ob das Fehlen von deklarativem und prozeduralem Wissen, bei der Bearbeitung einer Aufgabe, das Finden einer Lösung erschwert und demnach die Ursache für das Auftreten eines Fehlers ist.23

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Fehlertypen nach Guldimann und Zutavern (1999, S.242)

Quelle: Bialeck, 2018, S. 91

Das in Abbildung 2 aufgeführte Schema von Guldimann und Zutavern wird in die beiden Oberkategorien „prozedurales Wissen/Strategien“ und „deklaratives Wissen“ unterteilt. Bei der Untersuchung des Fehlertyps wird überprüft, ob eine oder beide Kategorien vorhanden sind oder nicht. Als deklaratives Wissen wird das (theoretische) Wissen über die Sachinhalte bezeichnet, während das prozedurale Wissen bzw. die Strategien nötig sind, um die richtige Methodik in verschiedenen Handlungsabläufen/Situationen praktisch anwenden zu können. Nach diesem Konstrukt entsteht ein richtiger Fehler nur, wenn die SuS sowohl über ausreichendes Wissen über die Sachinhalte, als auch Methoden zur richtigen Herangehensweise bzw. Lösung der Aufgabenstellung, verfügen. Ein Fehler kann demnach auch entstehen, wenn die SuS nicht wissen ob ihre Strategie überhaupt auf die Problemstellung anwendbar ist. Umwelteinflüsse, wie z.B. persönliche Bedingungen, Zeitmanagement oder das Klassenklima, sind auch Ursachen für Fehlleistungen. Wenn die SuS zwar genügend Wissen über Methoden/Strategien haben, diese aber nicht nutzen können, weil die Inhalte der behandelten Thematik nicht ausreichend vertraut sind, so handelt es sich um einen Irrtum I. Kennen die SuS relevante Sachinhalte der Thematik, können diese aber nicht in Beziehung zueinander setzen, aufgrund eines Mangelns an Strategien/Methoden zur Aufgabenbewältigung, so handelt es sich um einen Irrtum II. Als Unfähigkeit bezeichnen Guldimann und Zutavern den Zustand, dass weder Sachwissen noch prozedurales Wissen verfügbar sind, was es unmöglich macht eine Aufgabe zu lösen.24

2.3 Funktion von Fehlern beim Lernprozess

Lernen bedeutet, aktiv Wissen zu erwerben und Erfahrungen zu machen. […] Lernen aus Fehlern heißt, Grenzen zu erfahren und Fehler nicht mehr zu wiederholen. Zugleich wird das richtige Wissen sicherer “.25 Neben dieser Feststellung von Oser, Hascher und Spychiger (1997) erkennt auch Postman (1997), dass Lehrkräfte die SuS dazu anhalten sollten, Fehler aufzudecken, da der Erwerb von Wissen kein starres Vorgehen ist, sondern eher ein dynamisches Ringen, um den schlussendlichen Gewinn der Erkenntnis. Nach Postmans Theorie ist es förderlich den SuS die Fehler wichtiger Persönlichkeiten im Unterricht näher zu bringen, damit sie daraus lernen, dass aus einem jahrelangen Umgang mit dem Falschen oft Irrtümer resultierten, die über Generationen andauerten. Auf diese Weise sollen die SuS lernen, welche Bedeutung die neuen und richtiggestellten Erkenntnisse für die Entwicklung der Gesellschaft haben können. Postman erkennt also die Relevanz für die SuS aus dem Falschen eigene Schlüsse für das Richtige ziehen und die Bedeutung dahinter in der Lage zu sein aus dem Falschen zu lernen.26 Nach Oser und Spychiger (2005) haben Fehler drei Funktionen innerhalb eines Lernprozesses: Sie schaffen ein Bewusstsein dafür, dass eine vorhandene Wissens- oder Könnensstruktur verändert werden muss. Zusätzlich machen Fehler darauf aufmerksam, dass notwendige Abgrenzungen zu Sicherheiten führen sollten. Und schließlich, dass Regulationsstörungen, die bislang unkontrolliert aufgetreten sind, behoben werden müssten. Bei jeder der aufgeführten Funktionen könnte die Lehrkraft mit Unverständnis auf den aufgetretenen Fehler reagieren, weil den SuS in ihren Augen genügend Kenntnisse, Fähigkeiten oder Fertigkeiten zur Fehlervermeidung hätten innewohnen sollen. Diese, nach Mehl (1994) „verengte Perspektive“ verweist darauf, dass Fehler durch Lehrkräfte nie als vermeidbar eingestuft werden sollten, weil eine belehrende Korrektur innerhalb eines Lernprozesses erst auf Basis einer falschen Ausführung einer Handlungssequenz förderlich genutzt werden kann.27

Im schulischen Kontext muss grundsätzlich die Unterscheidung zwischen individuellen Lernprozessen und solchen in der Klassengemeinschaft vorgenommen werden. Ein Fehler kann durchaus für ein Individuum von Nutzen sein, jedoch für die restlichen SuS einer Klasse wenig hilfreich, da sie den Unterrichtsstoff entweder schon beherrschen oder die Ursache des Fehlers nicht nachvollziehen können.28 Betrachtet man Fehler hinsichtlich ihrer Funktion beim individuellen Lernprozess der SuS, so können grundlegend zwei divergierende Eigenschaften erkannt werden: einerseits können Fehler zum tieferen Verständnis von Lerninhalten führen (gute Fehler) und andererseits genau das Gegenteil bewirken, indem sie das Lernen negativ beeinflussen oder gar blockieren (schlechte Fehler). Fehler ergeben dann eine Lernchance, wenn durch einen konstruktiven Umgang, das vertiefende Lernen, durch Verstehen seitens der SuS, geprägt wird.29Fehler […], können, indem ihre Genese aufgedeckt wird, zum Ausgangspunkt tieferen Verständnisses werden, können sozusagen ins Produktive gewendet werden30. Auf der anderen Seite entwickeln sich Fehler zu Lernstörungen bzw. Blockaden, sobald falsche Konzepte im deklarativen oder prozeduralen Wissen auftauchen. Daraus resultierend wird der weitere Lernprozess der SuS behindert und eine praktische Anwendung des Gelernten ist nicht mehr möglich.31

Eine Studie von Oser und Hascher (1997) zeigt auf, dass Fehler hinsichtlich ihres motivationalen Effektes, aus der Perspektive der Lernenden, eindeutig nach „Nutzen“ und „Schaden“ kategorisiert werden. Dies hängt davon ab, wie sie sich auf die jeweilige Lernsituation auswirken. Fehler sind aus Sicht der teilnehmenden SuS dann erlaubt, wenn die Konsequenzen für die SuS niedrig sind und ihr Wissen aber noch nicht hoch sein kann.32 Damit haben die SuS dargelegt, was in der wissenschaftlichen Psychologie inzwischen bestätigt wird: ob Fehler positiv oder negativ erlebt werden und damit auch motivierend oder frustrierend auf die SuS wirken, hängt davon ab, ob sie im Zusammenhang mit Lern-oder Leistungssituationen auftreten. Lernsituationen sind im unterrichtlichen Kontext durch ihre Offenheit, Probierfreundlichkeit, die Entdeckung vom Neuem und dem Umgang mit Unverstandenem geprägt. In diesem Zusammenhang sehen sich die SuS als Kern eines tieferen Begreifens und eines verbesserten Könnens, was sich sehr positiv auf die individuelle Lernmotivation auswirkt. Im Kontrast dazu steht die Leistungssituation, in der verbindliche Anforderungen gestellt werden und generelle Bewertungsmaßstäbe festgelegt sind, so dass die SuS entweder Erfolge oder Misserfolge erleben. In dieser Situation gelten Fehler als persönliche Misserfolge mit daraus resultierenden Frustrationserscheinungen und Schamgefühl. Im größeren Kontext können daraus Versagensängste und Zweifel am eigenen Können entstehen.33

Die bisherigen Textabschnitte beziehen sich nicht nur auf individuelle Lernprozesse, sondern können prinzipiell auch für den Lernprozess ganzer Schulklassen angewandt werden. Allerdings sind gemeinschaftliche Lernsituationen aufgrund von Heterogenität in den Klassen bzgl. der Leistungsstufen und Lernstrategien, wesentlich komplexer.34 Hierbei spielen die Unterrichtsformen eine größere Rolle hinsichtlich der positiven oder negativen Auswirkung von Fehlern beim Lernprozess der SuS. Im wissenschaftlichen Diskurs wird dargelegt, dass eine hauptsächlich leistungsorientierte Unterrichtsform, wie z.B. der Frontalunterricht, das Auftreten von Fehlern, direkt im Kern unterbindet. Dies geschieht durch eine Vermittlung der Lerninhalte in kleinstmöglichen, vorgegebenen Teilen. Oser und Spychiger (2005) verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff „Fehlervermeidungsdidaktik“35. Mit der Absicht Verwirrungen bzgl. der Unterrichtsinhalte durch auftretende Fehler vorzubeugen, werden Fehler weitestgehend unterbunden. Auch führt diese Form des Unterrichts dazu, dass es bei in der Klasse auftretenden Fehlersituationen häufig nicht gelingt, diese in eine für alle produktive Lernsituation umzuwandeln. Denn dabei ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass einzelne Schüler vernachlässigt oder in ihrem Lernfortschritt aufgehalten werden.36 Zusätzlich kann es in einer größeren Lerngruppe dazu kommen, dass angesprochene Schüler sich vor den anderen bloßgestellt fühlen. Es gilt als didaktische Herausforderung für die Lehrkraft den Umgang mit Fehlern den SuS gegenüber auf eine wohlwollende Art und Weise zu verkörpern.37 Eine offene und erkenntnisorientierte Unterrichtsform hingegen, die strukturerschließende Lernaufgaben beinhaltet, welche den SuS selbstgesteuertes Lernen ermöglichen, führt zu einer produktiven Verarbeitung von Fehlern innerhalb eines Lernprozesses.38 Die Lehrkraft dient steht den SuS hier beratend zur Seite und kann so individuelle Hilfestellungen gewehrleisten, für den Fall dass Fehler innerhalb eines Lernprozesses nicht selbstständig wahrgenommen oder korrigiert werden können.39

Während, wie oben bereits aufgeführt, Fehler, beim individuellen Lernprozess, je nach dem, ob es sich um eine Lern- oder Leistungssituation handelt, von SuS unterschiedlich wahrgenommen werden, kann im größeren Klassenverband eine Situation entstehen, bei der Lern- und Leistungssituationen nicht voneinander unterschieden werden können und gekoppelt auftreten. Meyer et al. (2006) haben im Rahmen einer Videostudie festgehalten, dass eine systematische Überschneidung dieser Art zu einem negativen Lernklima innerhalb der Klasse und somit zu einer ungünstigen Ausgangslage für das Lernen aus Fehlern führt.40 Die Studie zeigt auf, dass sich eine Lernsituation zu einer Leistungssituation entwickeln kann, wenn SuS Angst davor haben, durch einen Beitrag bloßgestellt oder ignoriert werden zu können, oder dass sich ihre Teilnahme am Ende negativ auf die Leistungsbewertung auswirkt. Dies kann dazu führen, dass SuS grundsätzlich versuchen Fehlersituationen zu vermeiden und sich nur dann aktiv am Unterricht einzubringen, wenn sie sich sicher sind, einen inhaltlich richtigen Beitrag zu leisten. Individuelle Lernfortschritte werden so behindert, da Fehler nicht produktiv zum Wissensaufbau genutzt werden können.41

2.4 Funktion von Fehlern im Berufsschulunterricht

Der §13 des Berufsausbildungsgesetzes besagt, dass Auszubildende im Rahmen ihrer Berufsausbildung grundsätzlich dazu verpflichtet sind, alle ihnen übertragenen Aufgaben sorgfältig zu erledigen. Das bedeutet, dass der Vorgesetzte zwar eine gewisse Bemühung von seinem Auszubildenden erwarten kann, jedoch nicht, dass dieser alle Aufgaben ohne Fehler durchführen wird. Von dem Auszubildenden wird bei seinen praktischen Tätigkeiten im Betrieb also keine Fehlerfreiheit vorausgesetzt, da er erst nach und nach an die Aufgaben herangeführt wird und diese im Rahmen der Ausbildung erst richtig erlernt.

Das Ziel einer dualen Berufsausbildung, die SuS zu handlungskompetenten Individuen auszubilden, läuft Gefahr im schulischen Kontext größtenteils verloren zu gehen, wenn SuS das Gelernte nicht auf externe Sachverhalte anwenden können. Demnach ist es sehr relevant eine Brücke zwischen den theoretischen Lerngegenständen und dem subjektiven (Vor-) Wissen der SuS als Grundlage der Wissensvermittlung zu schaffen. Wenn die persönliche Relevanz der Thematik in das Bewusstsein der SuS rückt, so werden Unterrichtsinhalte für sie greifbar und können in der Praxis auf externe Sachverhalte übertragen werden. Demzufolge steht ein konstruktiver Umgang mit Fehlern in einem engen Verhältnis zu einer subjektorientierten Unterrichtsform. Diese zeichnet sich durch die Entscheidungsoffenheit und das Ermöglichen von individuellem Entdecken aus.42 In diesem Sachverhalt dienen Fehler der Lehrkraft als Indikatoren um zu erkennen in welchem Teil des Lernprozesses die SuS sich befinden. Auf diese Weise können Lehrkräfte den Lernfortschritt effektiv unterstützen.

Der Erwerb von Handlungswissen bei berufen mit einem hohen Verantwortlichkeitsbereich ist sehr bedeutungsvoll, da es hier in der Praxis unbedingt gilt, Fehler zu vermeiden. Z.B. Lernt ein Pilot in einem Flugsimulator, was er in der Realität nicht tun darf, um Abstürze und Unfälle zu retten. Oser und Hascher (1997) bezeichnen negatives Wissen, als das Wissen darüber wie etwas nicht ist (deklarativ) oder nicht funktioniert (prozedural).43 Der Aufbau dieses negativen Wissens ist wichtig, da bei dem Lernen aus Fehlern die Erkenntnis darüber wie man etwas falsch macht, gleichermaßen relevant zu der ist, wie man es richtig macht. Der mögliche Transfer von negativem Wissen auf spätere Ereignisse oder Wissenserfordernisse, kann bei den SuS auch Verhaltensänderungen bewirken.44 Das Gefühl von einer Wissenslücke oder eines Defizits ist essentiell für den Beweggrund eines Individuums einen Lernprozess überhaupt einzugehen. Erst die Erkenntnis darüber, etwas nicht zu wissen, lässt das erworbene Wissen anschließend zu einer bewusst wahrgenommenen Bereicherung werden. Diese Tatsache ist eine wichtige Ausdifferenzierung von negativem Wissen, denn um überhaupt in der Lage zu sein etwas lernen zu können, müssen SuS den gegenteiligen Zustand, von dem was sie noch erreichen wollen, erkennen, nämlich das Gefühl der Nichtbeherrschung.45 Dies ist bei der Gestaltung von Lernprozessen an beruflichen Schulen von besonderer Bedeutung, denn erst durch das Aufmerksam werden und das anschließende Eingehen eines Mitschülers oder der Lehrkraft auf eine entstandene Fehlersituation kann negatives Wissen in einer gesellschaftlichen Interaktion bewusst gefestigt werden. Daraus ergibt sich für die SuS der Nutzen, jedes Individuum in seinem selbstkritischen Handeln zu stärken, indem es ohne Wertung auf ihre Fehler hingewiesen wird und daraus das subjektive Lernpotential erkennen kann.46 Das Lernen aus Fehlersituationen ist von Bedeutung, da es den SuS, im Gegensatz zum Durchlauf eines direkt richtigen Lösungsweges, das Generieren eines positiven Erkenntniseffektes ermöglicht. Im Berufsschulunterricht haben SuS die Chance die Schule als pädagogischen „Schonraum“ wahrzunehmen, der durch gelungen Problemstellungen am Anfang einer Unterrichtsstunde, ein Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit darstellen kann. Die Gehirnforschung hat gezeigt, dass häufig auftretende Fehler und Rückschläge in der (wirtschaftlichen) Realität Panik und daraus resultierende Denkblockaden auslösen können. Insofern hat die Simulation der Wirklichkeit im Berufsschulunterricht ihren Sinn darin, Fehler als notwendigen Kern eines Erkenntnisprozesses beim Lernen zu ermöglichen, ohne dabei die Konsequenzen der wirtschaftlichen Realität fürchten zu müssen.47 Die Theorie des negativen Wissens lässt sich vielfältig problemorientiert in Unterrichtsinhalte mit einbauen. Bei ökonomischen Sachverhalten, wie z.B. falschen Investitionen, die zu Verlustgeschäften führen, können praxisbezogene Musterfälle als Grundlage zur Fehleranalyse dienen und zum Gewinn von Erkenntnis aus negativem Wissen genutzt werden.48

3 Darstellung von Fehlerkultur im Schulunterricht

„Solange es Menschen gibt, gibt es deren Lernen, und solange es Lernen gibt, geschehen Fehler“.49 Die Bedeutung und damit einhergehende Auswirkungen der Fehlerthematik finden im aktuellen Zeitalter vermehrt Gehör. In der Wirtschaft bspw. löst der Trend zu einem positiven Umgang mit Fehlern das Bild von einer “Null-Fehler-Toleranz“ zunehmend ab. Viele Firmen versprechen sich daraus nachhaltig größere ökonomische Erfolge zu erzielen. Sie verfolgen die Ansicht, dass der vermeintliche Schlüssel zum Erfolg in Form von Experimentierfreudigkeit und innovativen Denkhaltungen eine fehlerfreundliche Grundeinstellung innerhalb der Unternehmenskultur voraussetzen.50 Als Resultat der gesellschaftlichen Entwicklung, welche neue Vorstellungen von Qualität mit sich bringt, sind auch Schulen davon betroffen, ihre Ergebnisse und Vorgehensweisen, nach marktwirtschaftlichen Prinzipien, zu evaluieren. Während systematische Arbeit immer mehr von Computern und Maschinen übernommen wird, wird von dem Menschen zusehends mehr selbstgesteuerte Kreativität, innovatives Denken und funktionelles Know-How abverlangt. Dazu gehören auch neue Wege für das Lernen und das Finden von Problemlösungsstrategien. Die Entwicklung einer Fehlerkultur spielt dabei die Rolle eines innovativen Beitrages zu der modernen Qualitätsentwicklung an Schulen. Die Offenheit für eine Fehlerkultur im Unterricht beinhaltet auf normativer Ebene die Bereitschaft ein Risiko von Unsicherheiten einzugehen, innovative Gedanken zuzulassen und damit den Mut etwas Neues zu wagen und auszuprobieren. Trotz der Relevanz dieser Thematik, ist das allgemeine Bewusstsein für die Tragweite eines produktiven Umgangs mit Fehlern noch sehr unausgeprägt.51 Eine Umfrage von 90 SuS zur Reaktion von Lehrkräften auf gemachte Fehler ergab, dass Fehler häufig als Störungen des Stundenablaufs gesehen werden und demnach das Potential zum Lernen aus Fehlern noch nicht ausreichend erkannt worden ist. Zusätzlich konnten die Befragten feststellen, dass es ihnen gelang aus Fehlern zu lernen, wenn die Lehrperson die Fehler nicht verurteilte, sondern ihnen hilfreich zur Seite stand. Diese Voraussetzung war in den meisten Fällen allerdings nicht gegeben.52

Dazu kommt, dass die gesellschaftliche Entwicklung auch höhere Leistungsanforderungen an die SuS heranträgt. Die Schaffung einer Fehlerkultur im Schulunterricht macht sich also nicht nur zur Aufgabe eine Sensibilität für das Nutzungspotential von Fehlern zu schaffen, sondern auch ein Wachstum an Kompetenzen für einen produktiven Umgang mit eben diesen zu generieren. „ Wir erwarten von einer positiven Fehlerkultur, daß sie mit besseren Leistungen, sichererem Wissen und besserer emotionaler Empfindlichkeit der Schülerinnen und Schüler einhergeht53. Die Lehrkräfte müssen die Möglichkeiten Fehler zu machen systematisch in die Unterrichtspraxis einbauen, so dass das Korrigieren, Reflektieren, Wiederholen und Richtigstellen eines Fehlers ein wesentlicher Bestandteil von Lernabläufen wird. Das Nutzen von Fehlern im Schulunterricht bedeutet aber nicht, dass jeder Unterricht, in dem Fehler auftauchen, guter und lernförderlicher Unterricht ist. Fehler können auch das Resultat aus mangelhaften Instruktionen oder ungenügender Vorbereitung, sowie zu wenig fachlicher Kompetenz seitens der Lehrkraft auftreten. Diese Art von Fehlern haben nach Kaufmann (1996) nichts mit Fehlerkultur zu tun, sondern eher mit der Ursache, der die jeweiligen Fehler zu Grunde liegen.54

3.1 Zum Begriff der Fehlerkultur

Caspary (2008) erkennt in der Zusammensetzung der Worte „Fehler“ und „Kultur“ eine inhaltliche Widersprüchlichkeit hinsichtlich ihrer jeweiligen Bedeutung. Ein Fehler, wie anfänglich erwähnt, impliziert im ersten Moment eine negative Einstellung, während der Kulturbegriff mit einer positiven Assoziation verknüpft wird. Er schlussfolgert daraus, dass der Terminus Fehlerkultur nur funktionieren kann, wenn der Fehler als solches positiv bewertet wird.55 Diese Überlegung deutet bereits darauf hin, dass in einer Fehlerkultur Fehler nicht als Mängel oder Unzulänglichkeit wahrgenommen werden, sondern vielmehr als positive Komponenten. Aufgrund der vielen Aspekte, die der Term „Kultur“ umfasst, ist es kaum möglich einen einheitlichen Definitionsansatz festzumachen. Verschiedene Kulturen zeichnen sich durch unterschiedliche Wertesysteme, Verhalten oder Sprachen aus. Der Organisationspsychologe Edgar H. Schein versteht Kultur als ein System, das sich aus menschlichen Grundannahmen, Werten und Normen einer Gesellschaft und ihren Artefakten zusammensetzt.56 Demnach umfasst eine Fehlerkultur eine bewusste Handlungsweise, die den Umgang mit Fehlern innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft prägt. Sie tritt in der Art und Weise in Erscheinung, wie alle Mitglieder dieser Gemeinschaft auf Fehler reagieren, wie und ob sie diese überhaupt wahrnehmen und auch bewerten. Normen und Wertevorstellung bilden dafür eine Basis, nach denen sich jedes Individuum richtet.57 Eine Fehlerkultur hat nur eine Existenzgrundlage, wenn diese Normen und Werte innerhalb der Schulstruktur verankert und auch gelebt werden. Darauf aufbauend kann der Begriff „Fehlerkultur“ im schulischen Kontext so verstanden werden, dass Grundannahmen, Einstellungen und Umgangsweisen einer Schulgemeinschaft so ausgelegt sind, dass sie eine fehlerfreundliche Umgebung als Grundlage für das Lernen aus Fehlern generieren. In der pädagogischen Literatur wird der Fehlerkulturbegriff, ab den 1990-Jahren, hauptsächlich durch die Forschungsreihe rum um Fritz Oser geprägt.58 Jedoch fehlt eine genaue Abstimmung darüber, inwiefern der Begriff „Fehlerkultur“ vom vornherein impliziert, dass bei seiner Verwendung bereits ein positiver und lernförderlicher Umgang mit Fehlern gegeben ist. Dem gegenüber steht, dass Fehlerkultur lediglich die Art und Weise beschreibt, wie mit Fehlern umgegangen wird und daran anknüpfend, ob dies in einer guten oder schlechten Art und Weise geschieht. Aus der Verwendung des Ausdrucks „positive Fehlerkultur“ könnte schlussgefolgert werden, dass letzteres zutrifft und das demnach auch eine negative Fehlerkultur existiert. Statt des Begriffes negativer Fehlerkultur, wird allerdings eher von „fehlender Fehlerkultur“ gesprochen, wenn ein Fehler im schulischen Kontext negative Reaktionen auslöst, oder sogar von „Verlusten für die Fehlerkultur“, wenn ein Fehler produktiv hätte genutzt werden können. Die vermehrte Existenz solcher beispielhaft genannten Phrasen deutet darauf hin, dass der Terminus „Fehlerkultur“ bereits einen positiven Tenor in sich trägt und damit der Ausdruck „positive Fehlerkultur“ wegen seiner inhaltlichen Dopplung hinfällig wird. In dieser Arbeit wird der Begriff „Fehlerkultur“ als eigenständiger Terminus dafür verwendet, dass er bereits einen positiven und lernförderlichen Umgang mit Fehlern beinhaltet. Sollten Zusammenhänge zu inhaltlich negativen Gesichtspunkten folgen, so werden diese deutlich als solche gekennzeichnet.

[...]


1 (Spychiger, et al., 1999. S.43)

2 (Spychiger, Kuster, Oser, 2006, S.87)

3 (Ebner, G., Heimerl, P., Schüttelkopf, E. M., 2008, S.154-171)

4 (Doucet, F.W., 1980, S.282)

5 (Steuer, 2014 , S. 16)

6 (ebd., S.17)

7 (Weimer, 1925, S.6)

8 (Kießling, 1930, S.765. zit. nach: Weingardt, 2004, S.45)

9 (Kobi, 1994, S.6)

10 (Steuer, 2014 ; S. 18)

11 (ebd. 6f u. 9)

12 (Weingardt, 2004, S. 234)

13 (ebd. S. 233f)

14 (Oser, Hascher, Spychiger, 1997, S.11)

15 (Duncker, 2003, zit. nach Steuer, 2014, S. 30)

16 (Weinert, 1999, S.104)

17 (Radatz, 1980, S.16)

18 (Krathwohl, 2003, zit. nach Mindnich, Wuttke, Seifried, , S.155).

19 (Bialeck, 2018, S. 87f)

20 (Steuer, 2014, S.31)

21 (Spychiger, 2008, S. 274–282)

22 (Bialeck, 2018, S. 88)

23 (Bialeck, 2018, S. 91)

24 (Frackmann, Tärre, 2009, S.87)

25 (Oser, Hascher, Spychiger 1997, S.12)

26 (Oser, Spychiger, 2005, S.116)

27 (Mehl, 1994, S.21, zit. nach Oser, Spychiger, 2005, S.119)

28 (ebd.)

29 (Weinert, 1999, 101-110)

30 (Winter, 1955, zit. nach Blanck, 2006, S.66)

31 (Weinert, 1999, 101-110 ).

32 (Oser, Hascher, Spychiger 1997, S.13)

33 (Weinert, 1999, S.104-105)

34 (ebd., S.106)

35 (Oser, Spychiger, 2005, S.164)

36 (Hammerer, 2002, S.4)

37 (Rollet, 1999, Pos. 1163)

38 (Weinert, 1999, S.105)

39 (Hammerer, 2002, S.4)

40 (Meyer et al., 2006, S.25).

41 (ebd., S.23)

42 (Blanck, 2006, S. 65)

43 (Oser, Hascher, Spychiger 1997, S.12)

44 (Oser, Spychiger, 2005, S. 34)

45 (Oser, Spychiger, 2005, S.112-113)

46 (Weingardt, 2004, S. 52)

47 (Vester, 1997, S. 192)

48 (Oser, Spychiger, 2005, S. 117)

49 (Weingardt, 2004, S.14)

50 (Ebner, Heimerl, Schüttelkopf, 2008, S.154-171)

51 (Spychiger et al.,1999, S.43-46)

52 (Oser, Hascher, Spychiger, 1997 , S.24)

53 (ebd, S.46)

54 (Kaufmann, 1996, zit. nach Oser, Hascher, Spychiger, 1997 , S.23-23)

55 (Caspari, 2008, S.7)

56 (Schein, 2004, S.19)

57 (Cerwinka, Schranz, 2014, S.52)

58 (Steuer, 2014, S.51)

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Fehler im Sinne einer Fehlerkultur zulassen und konstruktiv nutzen. Die Fehlerkultur in ausgewählten Lerntheorien und ihre Bedeutung für das Lernen im Berufsschulunterricht
Hochschule
Universität Hamburg  (Erziehungswissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
67
Katalognummer
V537234
ISBN (eBook)
9783346129420
ISBN (Buch)
9783346129437
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fehlerkultur, Lerntheorien, berufliche Bildung, aus Fehlern lernen, Fehler
Arbeit zitieren
Nathalie Rosner (Autor:in), 2018, Fehler im Sinne einer Fehlerkultur zulassen und konstruktiv nutzen. Die Fehlerkultur in ausgewählten Lerntheorien und ihre Bedeutung für das Lernen im Berufsschulunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537234

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