Das Nibelungenlied - Siegrieds Standestäuschung und ihrer Folgen


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Hinführung

2. Siegfrieds Standestäuschung
2.1. Ankunft auf Isenstein
2.2. Über ein mögliches ‚Warum?’
2.3. dienst aus Minne

3. Die Folgen
3.1. Das Hochzeitsfest
3.2. Der Königinnenstreit

4. Schlusswort

1. Hinführung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Standestäuschung Siegfrieds auf Isenstein. Sie soll von allen Seiten her beleuchtet werden, wobei auch auf Hintergründe und Umstände eingegangen wird. Selbstverständlich bleibt die neuere Forschung zu diesem Gegenstand nicht unberücksichtigt, ist dies doch gerade ein Thema, an dem sich seit jeher die Geister scheiden und auch immer wieder neu versuchen.

Es gilt aber auch, abseits von Isenstein, auf die Folgen dieser von Siegfried erdachten Lüge einzugehen. Hier sollen insbesondere das Hochzeitsfest und der Königinnenstreit im Mittelpunkt stehen. In diesem Zusammenhang ist es das Ziel zu zeigen, wie Siegfrieds Standestäuschung, die geradezu als Initialtäuschung anzusehen ist, eine Reihe von verhängnisvollen Folgen nach sich zieht, die bis hin zu seinem Tod führen. Der Mord an Siegfried soll jedoch in dem Beschäftigungsfeld dieser Arbeit ausgespart bleiben.

2. Siegfrieds Standestäuschung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieses sind die wichtigsten Strophen bezüglich Siegfrieds Standestäuschung. Man kann hier sehr gut ablesen, dass die Täuschung einer Initiative Siegfrieds entspringt. Die anderen unterstützen selbstverständlich seinen Vorschlag (Des wâren si bereite, swaz er si loben hiez. (387,1)), doch ist es immer wieder Siegfried, der seinen Stand verleugnet, und das sogar in aller Öffentlichkeit (daz sâhen durch diu venster die vrouwen schoen’ unde hêr. (398,4)). Über die Motivation und die Hintergründe, die seiner Handlungsweise zugrunde liegen, soll an dieser Stelle auch gesprochen werden, doch zunächst einmal soll die Täuschungshandlung an sich interpretiert und analysiert werden.

2.1. Ankunft auf Isenstein

Kurz vor der Ankunft auf Isenstein trifft Siegfried mit seinen Begleitern eine Vereinbarung: er wird sich als Vasall Gunthers ausgeben (386,3). Auf Isenstein soll also ein Spiel mit falschen Rollen gespielt werden, denn wenn Siegfried den Vasallen spielt, spielt Gunther, der eigentlich der Schwächere von Beiden ist, gleichzeitig den großen König, den starken Werber und später auch Ehemann.[1] Die Rollen sind verteilt und akzeptiert, und „[n]och bevor es zur Begegnung mit Brünhild kommt, demonstriert Siegfried diese fiktive Unterordnung: vor den Burgbewohnerinnen, die neugierig aus den Fenstern sehen, führt er Gunthers Pferd aus dem Schiff und hält es, bis der König aufgestiegen ist. Was Siegfried da tut ist eine Rechtshandlung: der Steigbügeldienst, das officium stratoris et strepae, ist Vasallenpflicht.“[2] Edward Haymes geht sogar so weit zu behaupten, dass „[d]ie ganze Episode auf Isenstein [aussieht], als ob sie nur dazu da ist, um Sîvrits abhängigen Status zu demonstrieren.“[3] Von dieser Behauptung soll hier jedoch Abstand genommen werden, denn Siegfrieds Handlungsweise ist keineswegs unmotiviert, genau so wenig ist sie eine missglückte Darstellung des Dichters, die lediglich die darauf basierenden Konsequenzen ermöglichen soll. Doch davon später.

Zunächst einmal zum Steigbügeldienst: dieser hatte im Mittelalter eine hohe Symbolkraft. „Dass der Epiker so große Sorgfalt darauf verwendet, diese Komponente im Nibelungenlied nicht nur einzuführen, sondern die Diskrepanz zwischen rechtsetzender Geste und tatsächlichem Sein besonders intensiv zu verdeutlichen sucht, unterstreicht den Aussagegehalt dieser Szene gerade im Hinblick auf den Täuschungsaspekt.“[4] Während Siegfried meint, er spiele nur eine Rolle, um sein Ziel, nämlich Kriemhild, zu erreichen, kann Gunther der Wirkung dieses Gestus nicht widerstehen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Gunthers Gefühle sind besonders stark, da diese Szene sich vor den Damen des Hofes abspielt, den höchsten Richtern der ritterlichen Würde. Im Laufe der Steigbügelszene finden wir wieder eine bedeutungsschwere Vorausdeutung: „alsô diente im Sîvrit des er doch sît vil gar vergaz.“ (397,4). Dass Gunther die Bedeutung von Sîvrits ‚vorgetäuschter’ Dienstleistung und der damit verbundenen Statusminderung nicht begreift, ist für die weitere Entwicklung der Tragödie schwerwiegend.“[5] Die Öffentlichkeit dieser Handlung ist ein wichtiger Faktor, denn „[b]edingt durch die Öffentlichkeit, in der sich der Stratorendienst, eingebettet in das Schema der Ankunft, vollzieht, kann diese ‚Lüge’ nicht mehr rückgängig gemacht werden.“[6]

Nach dieser Szene geht es nun weiter, die Männer kehren in der Burg ein. Die Vier werden Brünhild gemeldet, und auf ihre Frage, wer diese Männer seien, antwortet ihr ein Gefolgsmann, dass er keinen der Vier je gesehen habe. Der erste und einzige, den dieser Gefolgsmann zu erkennen glaubt ist Siegfried; ihm kann er auch einen Namen zuordnen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Interessanterweise ist Siegfrieds Name für Brünhild ein Begriff, und wohl auch ein so starker, dass sie ihn für den Werber hält:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es folgt die Begrüßungsszene zwischen Brünhild und den vier Männern. Als sie die Männer erblickt ist Siegfried der einzige den sie grüßt und auch gleich beim Namen nennt, und das obwohl „[…] sich Siegfried bei der Begrüßung durch Brünhild hinter Gunther [stellt], was ebenfalls eine untergeordnete Stellung suggeriert. Da sie Siegfried trotz der visuellen Degradierung zuerst begrüßt, greift dieser, um die ganze ‚Komödie’ nicht zu gefährden, zu einer expliziten Falschaussage. Nachdrücklich sagt er von Gunther: er ist mîn herre (420,4). Dieser täuscht Brünhild ebenfalls, indem er nicht widerspricht und Brünhild so in dem Glauben lässt, Siegfried sei sein Vasall.“[7] Petrik schreibt dazu:

Wenn Brünhild trotz aller sichtbarer Zeichen der Unterordnung – und das Symbolische ist sowohl in der Realität des Mittelalters als auch im Kontext des Liedes verbindlich für das Tatsächliche – Siegfried vor Gunther willkommen heißt, kann das nur bedeuten, dass die mit so viel Aufwand betriebenen Täuschung vorläufig ihr Ziel verfehlt hat. Siegfried muss erst mit eigenen Worten seine vorgebliche Abhängigkeit bestätigen (422,3-4).[8]

Auf jeden Fall bietet die Tatsache, dass Brünhild sich bei der Begrüßung an den nach der Personenordnung scheinbar niederen Siegfried wendet, dem Dichter die Möglichkeit, die optische Desinformation, also den Steigbügeldienst, noch zusätzlich durch eine explizite Falschaussage der Protagonisten zu bekräftigen und damit die Wertigkeit der Täuschung zu erhöhen.[9] „Die Ankunfts- und Begrüßungsszene stellt [somit] ein komplexes, mit verbalen und non-verbalen Mitteln realisiertes Täuschungsgeschehen dar.“[10]

Was bleibt ist die Frage, warum alle Anstrengungen Siegfrieds, seinen Stand zu verleugnen, zumindest in den Augen Brünhilds ohne Wirkung bleiben. Ehrismann vermutet als Grund dafür, dass Brünhild den Steigbügeldienst wohl gar nicht gesehen hat[11]. Immerhin befiehlt sie den Mädchen von den Fenstern zurückzutreten (394,1-3), und es wäre nur folgerichtig, wenn auch sie dem Geschehen nun nicht weiter zuschaut. Die Landung erfolgt allerdings doch unter den neugierigen Blicken der Mädchen, die sich jedoch an diu engen venster (395,3) zurückziehen. Die Interpretation an dieser Stelle soll darauf hinauslaufen, dass Brünhild jedoch nicht unter ihnen zu denken ist, allerdings mit dem Hinweis darauf, dass es hier auch gegenteilige Ansichten in der Forschung gibt.[12]

[...]


[1] Vgl. Walter Haug: Montage und Individualität im Nibelungenlied. In: Knapp, Fritz Peter (Hg.): Nibelungenlied und Klage, Heidelberg 1987, S. 283. (fortan nur noch abgekürzt zitiert als ‚Haug’)

[2] Joachim Heinzle: Das Nibelungenlied. Eine Einführung, Frankfürt a. M. 1994, S. 70. (fortan nur noch abgekürzt zitiert als ‚Heinzle’)

[3] Edward Haymes: Das Nibelungenlied. Geschichte und Interpretation, München 1999, S. 76. (fortan nur noch abgekürzt zitiert als ‚Haymes’)

[4] Bettina Geier: Täuschungshandlungen im Nibelungenlied. Ein Beitrag zu Differenzierung von List und Betrug, Göppingen 1999, S. 61. (fortan nur noch abgekürzt zitiert als ‚Geier’)

[5] Haymes, S. 77.

[6] Geier, S. 60.

[7] Ebd., S. 57.

[8] Ursula Petrik: Widersprüche im Nibelungenlied, Wien 2002. S. 35. (fortan nur noch abgekürzt zitiert als ‚Petrik’)

[9] Vgl. Geier, S. 61.

[10] Ebd., S. 58.

[11] Ehrismann, S. 125.

[12] Vgl. z.B. Petrik, S. 32, Haymes, S. 76 oder Heinzle, S. 70.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Das Nibelungenlied - Siegrieds Standestäuschung und ihrer Folgen
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Von Riesen und Recken - Mittelalterliche Heldendichtung
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V53631
ISBN (eBook)
9783638490276
ISBN (Buch)
9783656797845
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit handelt von der Standestäuschung Siegfrieds gegenüber Brünhild, und deren Folgen bis hin zur Ermordung Siegrieds.
Schlagworte
Nibelungenlied, Siegrieds, Standestäuschung, Folgen, Riesen, Recken, Mittelalterliche, Heldendichtung
Arbeit zitieren
David Siener (Autor:in), 2004, Das Nibelungenlied - Siegrieds Standestäuschung und ihrer Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53631

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