Der Brexit. Zwischen Desintegration und Integration der Europäischen Union

Eine integrationstheoretische Erklärung der Präferenzen der EU-Mitgliedstaaten Frankreich und Polen innerhalb des Brexit-Vertrags


Bachelorarbeit, 2019

35 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

I. Einleitung

II. Methodenteil

III.Der Liberale Intergouvernementalismus nach Andrew Moravcsik

IV. Auf dem Weg zum Brexit-Vertrag: Die Brexit-Verhandlungen

V. Der Brexit-Vertrag als „Austrittsleitfaden“

VI. Frankreichs und Polens Positionen zum Brexit

VII.Die Präferenzen der EU 27 zum Brexit-Vertrag
A. Die Präferenzen der französischen Regierung
B. Die Präferenzen der polnischen Regierung

VII.Anwendung des LI auf den Brexit-Vertrag, unter Bezugnahme der mitgliedsstaatlichen Präferenzen

VIII.Fazit/Ausblick

IX. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einleitung

Seit dem Beginn der Europäischen Integrationsgeschichte wird ein Diskurs in der europäischen Integrationstheorie geführt, der abzuschätzen versucht, ob sich das System der Europäischen Union (EU) weiterhin integrieren wird, oder ob der Prozess zum Erliegen kommt und sich die EU mit einer Desintegration konfrontiert sieht. Viele Krisen, wie z.B. die Eurokrise ab dem Jahr 2010, führten nach anfänglichen Verkündungen von Desintegration dennoch zu einer empirisch nachgewiesen vertieften Integration der EU. Doch die europäische Integration gerät zunehmend ins Stocken. Tendenzen der Renationalisierung staatlicher Interessen und ein Aufkommen europaskeptischer Bewegungen lassen sich zunehmend innerhalb vieler europäischer

Mitgliedstaaten beobachten1 (vgl. Guderjan 2017: 89). Diese Entwicklungen münden im Jahr 2016 in Großbritannien (GB) in das Brexit-Votum. Ein Mitgliedsstaat der EU (EU MS) entscheidet sich für den Austritt aus der EU. Ein präzedenzloser Desintegrationsschritt, der die politische Debatte innerhalb der EU bis zum Zeitpunkt dieser Betrachtung und darüber hinaus intensiv prägt.

Seit der schriftlichen Austrittserklärung GBs befindet sich Brüssel in zähen Austrittsverhandlungen mit London. Die Austrittsverhandlungen verfolgen das Ziel einen, rechtlich geregelten Austritt zu ermöglichen, um mögliche katastrophale wirtschaftliche Folgen auf beiden Seiten einzudämmen und die Zukunft der EU abzusichern. Innerhalb der ausgehandelten Übergangsfrist bis 2020 einigten sich die Verhandlungspartner2 auf eine neue europäische Institution in Vertragsform, Abkommen über den Austritt Großbritanniens aus EU und der Euratom (kurz: Brexit-Vertrag bzw. BV), die am 25. November 2018 lediglich von den EU27 ratifiziert wurde. Das britische Unterhaus lehnte den BV am 15. Januar 2019 ab. Die verschobene Ratifizierung markiert das Ende des Betrachtungszeitraumes diese Arbeit.

Beispielhaft zu nennen sind: die Afd in Deutschland, die PiS in Polen aber auch die Front

National in Frankreich, die sich gegen eine EU und für mehr nationale Souveränität bekennen.

britisches Kabinett und die Regierungschefs der EU27

Der Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit ist der BV. Als Outcome der Brexit-Ver- handlungen stellt der BV die abhängige Variable (AV) dar. Das Phänomenen BV wird anhand der Präferenzen der EU MS Frankreich und Polen, den unabhängigen Variablen (UV), integrationstheoretisch erklärt. Dabei betrachtet die vorliegende Arbeit den Vertrag mit ausgewählten Staatspräferenzen innerhalb des theoretischen Rahmens des Liberalen Intergouvernementalismus (LI) nach Andrew Moravcsik. Zu Beginn der Arbeit wird der LI aufgearbeitet. Danach wird der Verlauf der BrexitVerhandlungen bis zur Ratifizierung des BV skizziert, um anschließend die Positionen und Präferenzen der EU MS Frankreich und Polen zu analysieren. Der Hauptteil der Arbeit bedient sich dann des LI, um den BV auf die Etablierung der Präferenzen der beiden EU MS zu untersuchen. Dabei wird die Hypothese verifiziert, dass sich EU MS aus rein wirtschaftlich-rationalen Kosten-Nutzen-Abwägungen auf den BV geeinigt haben, da dieser Vertrag unter anderem die Präferenzen von Frankreich und Polen repräsentiert.

Final wird herausgestellt, dass die Präferenzen der beiden EU MS nicht dieselbe Rangfolge hatten und nicht in allen Fällen primär ökonomischen Motiven unterlagen. Aber die Überschneidungsmenge der Präferenzen zwischen Frankreich und Polen führten trotz der stärkeren relativen Verhandlungsmacht Frankreichs auch zur Etablierung der Präferenzen Polens in den Brexit-Vertrag. Letztendlich hatten beide ein rational kalkuliertes, wirtschaftliches Interesse an einer funktionierenden EU. Nur Frankreich ist, im Gegensatz zu Polen, weniger auf die zwischenstaatliche Kooperation und die Ratifizierung des BV angewiesen.

II. Methodenteil

Das empirische Puzzle rund um den BV wurde bereits in der Literatur auf den Interessenkonflikt zwischen GB und EU27 betrachtet. Texte wie z.B. „ Brexit Poker/Wer hat die besseren Karten in den Austrittsverhandlungen? “ (Schäfer und Radwan 2016) betrachten jedoch nicht die Interessenkonflikte innerhalb der EU27. Diese sind jedoch relevant, wenn es um den Entstehungsprozess des Outcomes der Verhandlungen geht. Die einzelnen Präferenzen der EU MS zum BV können von Bedeutung sein, wenn man zukünftige Integration und Desintegration der EU beleuchten will. Mit dem Ziel, diese Forschungslücke zu schließen will diese Arbeit einen Beitrag leisten, indem sie die Präferenzen Frankreichs und Polens auf deren Realisierung im BV untersucht. Die Wahl dieser beiden EU MS lässt sich damit begründen, dass diese EU MS gegensätzliche Positionen zum Brexit vertreten. In den Verhandlungen um den BV ist Frankreich vorerst darauf bedacht, die EU vor weiteren Austritten anderer EU MS zu bewahren. Diese Ansteckungsgefahr könnte entstehen, wenn man GB mit zu vielen Vorteilen im BV den Austritt gewährt. Hinter dieser Angst stecken primär wirtschaftliche Interessen am Fortbestehen der EU, inklusive des Binnenmarktes (EWR) und der Zollunion. Polen hingegen setzt sich in erster Linie für den Erhalt der Bürgerrechte der in GB lebenden polnischen Staatsbürger ein und ist auch wirtschaftlich, im Gegensatz zu Frankreich, stark von GB abhängig.

Die Präferenzen und Positionen werden u.a. anhand von Sekundärliteratur: „Der Brexit und die Krise der europäischen Integration/ EU und mitgliedsstaatliche Perspektiven im Dialog (Winkelmann und Griebel 2018), und „Breaking down the EU’s Brexit position“ (Valk 2018) herausgearbeitet und dann mit der Primärliteratur, dem Dokument BV, abgeglichen.

III.Der Liberale Intergouvernementalismus nach Andrew Moravcsik

Der LI nach Andrew Moravcsik ist eine Integrationstheorie, die die Schaffung neuer Institutionen innerhalb des Integrationsprozesses der EU erklären will. Der LI zählt zu den staatszentrierten Theorien und führt den vertieften Integrationsprozess der EU auf konvergierende wirtschaftliche Präferenzen zwischen den EU MS innerhalb zwischenstaatlichen Verhandlungen mit supranationaler Perspektiven zurück. Man spricht von Integration, wenn EU MS Souveränitäten an supranationale Institutionen abtreten.

Um institutionellen Fortschritt erklären zu können, basiert der LI auf zwei liberalen Grundannahmen. Zum einen sieht der LI Staaten und nationale Regierungen als Hauptakteure des europäischen Integrationsprozesses. Und zum anderen geht der LI davon aus, dass die Hauptakteure interessengeleitet handeln und rational nach einer Nutzenmaximierung streben.

Innerhalb dieser Theorie versuchen Staaten, ihre rationalen interessengeleiteten Ziele in erster Linie durch intergouvernementale Verhandlungen zu verwirklichen, und nicht durch eine supranationale Behörde, die politische Entscheidungen trifft und durchsetzt. Das leitet zu der Annahme über, dass die EU als supranationale Institution nach außen hin als geschlossene Einheit agiert, es im Inneren jedoch um die individuelle, nationale Interessenvertretung geht. Supranationale Institutionen entwickeln aus Sicht des LI keine politische Autonomie. Der LI sieht die europäische Politik lediglich als die Fortsetzung nationaler Interessenpolitik.

Die EU MS sind demnach „ Herren der Verträge" und die supranationalen Institutionen fungieren lediglich als „ Hüter dieser Verträge “ (vgl. Bieling und Lerch 2012: 152). Sie stellen einen passiven Rahmen zur Verfügung, indem die Präferenzen aller EU MS repräsentiert werden können.

Da die EU MS in den zwischenstaatlichen Verhandlungen meist divergierende Interessen und Präferenzen vertreten, geben EU MS nur dann Souveränitäten an eine supranationale Institution ab, wenn die Integration den einzelnen Staatspräferenzen zuträglich ist. Man einigt sich in einer Verhandlung auf einen Kompromiss, zuweilen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Der LI nach Moravcsik erklärt den europäischen Integrationsprozess und die Kooperation der EU MS in supranationalen Institutionen in einem drei Phasen Modell3:

(1) Zu Beginn untersucht der LI, wie sich die Präferenzen der EU MS herausbilden.
(2) Diese Präferenzen werden anschließend in zwischenstaatlichen Verhandlungen artikuliert.
(3) Abschließend erklärt der LI den Integrationsschritt und analysiert die Beweggründe, die dazu geführt haben, dass EU MS Souveränitäten an eine supranationale Organisation abgeben. oder auch drei Ebenen oder drei Stufen Modell

(1) Innerstaatliche Präferenzbildung

Zuerst betrachtet der LI die innerstaatliche Präferenzbildung, die zum einen von unterschiedlichen Motiven geleitet und zum anderen von verschiedenen sozialen Akteuren geformt wird. Der LI führt die ökonomischen Präferenzen, neben geopolitischen Präferenzen, als Hauptmotiv an.

Moravcsik geht davon aus, dass nationalstaatliche Interessen in einem innergesellschaftlichen Präferenzbildungsprozess bestimmt werden. Auf diesen Prozess nehmen dominante soziale Akteure Einfluss. Diese kann man in zwei Gruppen unterteilen. In die zahlenmäßig kleine Gruppe der gut organisierten Interessenvertretung der Produzenten durch Lobbyisten und in die teils diffusen Interessen der großen Mehrheit der Steuerzahler und Konsumenten (vgl. Schieder 2010: 204). Nach der liberalen Theorie der Präferenzbildung spricht Moravcsik der kleinen Gruppe der Produzenten, die sich durch homogene Interessen, durch wirtschaftliche Ausstattung und hohe Informationsdichte kennzeichnen, einen größeren Einfluss auf Regierungen zu. Besonders den Spitzenorganisationen der Wirtschaft, den drei großen ökonomischen Sektoren: Industrie, Agrarwirtschaft und Dienstleistungen (vgl. Bieling und Lerch 2012: 147) misst er größte Bedeutung bei. Ein Mitgliedsstaat repräsentiert auf der intergouvernementalen Ebene das Ergebnis des Wettbewerbs „ …zwischen unterschiedlichen sozialen Akteuren, die um den Einfluss auf Regierungsentscheidungen konkurrieren. “ (vgl. Bieling und Lerch 2012: 147). Da die Regierungen als oberstes Ziel den Erhalt ihrer Ämter anstreben, gehen sie auf die innerstaatlichen Akteure ein, um die Interessen anschließend in den Verhandlungen mit den anderen EU MS zu vertreten.

(2) Zwischenstaatliche Verhandlungen

Im Verhandlungsprozess sieht der LI die Staaten wieder als einheitliche Akteure, deren Interessen nicht mehr von sozialen Akteuren beeinflusst werden. Folglich entscheiden die relativen Verhandlungsund Machtpositionen der EU MS über die Ausprägung ihrer individuellen Präferenzen im Outcome4 der Verhandlungen. Maßgebend für die Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen ist die Verhandlungsmacht der jeweiligen EU MS, denn diese bestimmen, inwieweit die nationalen Präferenzen durchgesetzt werden können. Die Verhandlungsmacht hängt dabei maßgebend davon ab, wie sehr ein Mitgliedstaat auf die Kooperationsund Integrationsschritte angewiesen ist. Denn desto höher das Interesse und der Druck der sozialen Akteure auf Realisierung des Integrationsschrittes sind, desto schwächer ist die Verhandlungsposition, da die Kosten für eine Nicht-Kooperation deutlich höher sind. Andererseits können Mitgliedstaaten, die das geringste Interesse an einer überstaatlichen Kooperation haben, am besten Druck auf die Verhandlungspartner ausüben, indem sie die Kooperation verweigern.

Der LI sieht das Ziel der intergouvernementalen Verhandlungen darin, kollektive Entscheidungen zu treffen, um eine Kooperation zum Nutzen aller Verhandlungspartner zu erreichen. Da die EU MS in den Verhandlungen hauptsächlich divergierende Präferenzen vertreten, ist das Ziel nur dann realisierbar, wenn man sich in den Verhandlungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Die Modalitäten der Zusammenarbeit müssen zwischen den Staaten ausgehandelt werden. Es entsteht zwangsläufig das Problem des Interessenabgleichs unterschiedlich starker Verhandlungspositionen.

Outcome = die Wirkung und das Ergebnis, dass am Ende einer Verhandlung realisiert wird.

3) Schaffung der supranationalen Institution

Innerhalb der dritten Phase hinterfragt der LI die Einführung der supranationalen Institutionen als Ergebnis der intergouvernementalen Verhandlungen. Hierbei lassen sich die EU MS nur dann auf eine supranationale Institution ein, wenn diese für alle bindend die Kooperationsverpflichtungen überwacht. Ein weitere Punkt ist der rationale Vorteil von effizienteren Verhandlungen und verringerten Transaktionskosten. Dabei wird nach dem LI keine politisch legitimierte übergreifende Institution erschaffen, sondern ein Rahmen, in dem nationale Präferenzen artikuliert werden können. Die Institutionen sind von den souveränen Entscheidungen der EU MS abhängig und erlangen keine politische Autonomie. „ Die Nachfrage nach einem Steuerungsin- strument und nicht das Angebot der supranationalen Institutionen ist ausschlagge- bend für Integrationsfortschritte. “ (Bieling und Lerch 2012: 147).

Unter Institutionen versteht man nicht nur feste institutionalisierte soziale Organisationen, wie z.B. das Europäische Parlament, sondern auch formelle Regeln, Normen und Strukturen.

Beim BV handelt es sich um eine formelle Institution, die als vorläufiges Ergebnis der Brexit-Verhandlungen alle Phasen nach der Theorie des LI durchlaufen hat: Seit dem britischen Referendum 2016 und dem formalen Antrag von GB auf Austritt aus der EU wurden die EU MS Präferenzen jeweils im innergesellschaftlichen Diskurs sowie zwischen den EU27 diskutiert und in den zwischenstaatlichen Verhandlungen der EU27 und gegenüber GB artikuliert. Die Vertragsverhandlungen zwischen EU27 (bzw. deren Verhandlungsgruppe) und GB führten zuletzt zum BV. Mit der Ratifizierung dieses Vertrages durch die EU27 sollten die Weichen für den Brexit gestellt sein. Bekanntlich kam es aber nicht zu einer Ratifizierung des BV durch die britische Seite innerhalb der vorgegebenen Fristen. Und so ist der BV bislang nicht in Kraft gesetzt worden. Nachvollziehbar haben die EU27 in Bezug auf die Inhalte des BV nicht notwendigerweise gleiche Interessen. Folglich kann ein Brexit-Vertrag nie allen 27 (+1) EU MS vollumfänglich gerecht werden. Mit dem Wissen um faktische Präferenzen der Staaten Frankreich und Polen untersucht diese Arbeit den BV im Hinblick auf die Frage, wie sich die Interessen und Präferenzen dieser beider EU MS im BV widerspiegeln.

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Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Der Brexit. Zwischen Desintegration und Integration der Europäischen Union
Untertitel
Eine integrationstheoretische Erklärung der Präferenzen der EU-Mitgliedstaaten Frankreich und Polen innerhalb des Brexit-Vertrags
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politik- und Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Arbeitsstelle: Europäische Integration
Note
2,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
35
Katalognummer
V534883
ISBN (eBook)
9783346134738
ISBN (Buch)
9783346134745
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Brexit, Europäische Union, Integration, Desintegration, Frankreich, Polen, Brexit-Vertrag, Großbritannien, EU Austritt, Integrationstheorie, Der Liberale Intergouvernementalismus, Andrew Moravcsik
Arbeit zitieren
Maximlian Salzwedel (Autor:in), 2019, Der Brexit. Zwischen Desintegration und Integration der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/534883

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