Großstadtmotiv im Expressionismus


Seminararbeit, 2005

24 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Historischer Kontext
2.1 Industrielle Revolution
2.2 Urbanisierung

3. Entwicklung des Großstadt-Motivs

4. Aspekte des Großstadtmotivs
4.1 Technikfeindlichkeit
4.2 Großstadt als Masse
4.3 Reizüberflutung

5. Gestaltung des Großstadtmotivs

6. Expressionistische Großstadtlyrik im Unterricht
6.1 Unterrichtsziele
6.2 Unterrichtsvoraussetzungen
6.3 Sachanalyse
6.4 Methodische Möglichkeiten
6.4.1 Produktiver Umgang: Lückentext
6.4.2 Textanalyse/ Interpretation
6.4.3 Erschließen in Gruppenarbeit
6.5 Durchführung

7. Textanhang

8. Literaturverzeichnis
8.1 Primärliteratur
8.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Die Epoche des literarischen Expressionismus lag ungefähr im Zeitraum 1910 – 1920.[1] Besonderes Interesse gilt traditionsgemäß den lyrischen, weniger den dramatischen Werken oder der Prosa. dieser Zeit. Betrachtet man die bevorzugten Themenkomplexe der expressionistischen Literatur, so fallen neben Motiven wie Krieg oder Liebe zahlreiche Gedichte namhafter Expressionisten, wie z.B. Heym, Wolfenstein oder Lichtenstein, auf, die das Phänomen der Großstadt thematisieren.

Die Stadt als literarischer Gegenstand erfreute sich schon seit dem Spätmittelalter großer Beliebtheit, jedoch lässt sich um 1900 ein Umbruch in der Darstellung der Stadt feststellen, hervorgerufen durch veränderte Wahrnehmungen und Empfindungen der Lyriker. Es entstanden nun Gedichte, die sich von naturalistischer Stadtlyrik deutlich abheben. Ausgelöst wurde dieser Umbruch durch wissenschaftliche, technische, ökonomische Veränderungen, vor allem wahrnehmbar in Form der zunehmenden Industrialisierung und der damit einhergehenden Urbanisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts.[2]

Die vorliegende Arbeit gibt zunächst einen knappen Überblick über den historischen Kontext des Expressionismus von der Reichsgründung 1871 bis etwa 1900. Schwerpunktmäßig sollen aber weniger die politischen Geschehnisse, als vielmehr wichtige Stationen der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft, und der Urbanisierung auf dem Weg zur Großstadt behandelt werden, da deren Kenntnis unumgänglich erscheint für das Verständnis der expressionistischen Literatur . Des Weiteren soll die Entwicklung des Stadtmotivs vom Mittelalter bis zum Expressionismus knapp skizziert werden sowie die wichtigsten Aspekte des Großstadtmotivs in Texten expressionistischer Dichter: Kritik an Technik und Zivilisation, die Großstadt als bedrohliche Masse, die individuelle Bestrebungen erschwert, und zuletzt die durch Überreizung der Sinnesorgane beeinflusste Wahrnehmung des Städters. Die Gestaltung des Großstadtmotivs soll zur Verdeutlichung an einigen populären Großstadtgedichten gezeigt werden. Ausgewählt wurden die Beispiele von positiven Gestaltungen der Stadt bis hin zum generalisierten Ausdruck der Bedrohung, den der Lebensraum Großstadt für den expressionistischen Dichter bedeuten konnte. Da die Beschäftigung mit der expressionistischen Lyrik nach wie vor fester Bestandteil der Lehrpläne an den Gymnasien ist, sollen verschiedene unterrichtliche Arbeitsmöglichkeiten mit expressionistischer Lyrik und deren Vorteile, bzw. Nachteile vorgestellt werden. Dem schließt sich ein eigener Unterrichtsentwurf an.

2. Historischer Kontext

2.1. Industrielle Revolution

Die Epoche des Expressionismus fiel in eine Zeit, die von naturwissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Neuerungen in allen Bereichen geprägt wurde. Dies zeigte sich dann in erschreckender Weise im Ersten Weltkrieg. Auf den Schlachtfeldern wurden Prototypen neuer Waffengattungen getestet und nach deren Bewährung oftmals flächendeckend eingesetzt. Der Krieg konnte nun auch weit hinter die Front getragen werden, wobei die Zivilbevölkerung nicht verschont wurde. Es wurde anonym getötet und gestorben, da der technische Stand Kriegsführung aus großer Distanz ermöglichte. Der systematische Einsatz von U-Booten, Flugzeugen, Maschinengewehren, weitreichenden Artilleriegeschossen oder Giftgas verlieh dem Krieg ein neues Gesicht und Begriffe wie „Massenvernichtung“ oder „Materialschlacht“ erlebten ihre Geburtsstunde. Die Massenproduktion der Waffen wurde von den technischen Neuerungen im zivilen Bereich ermöglicht, welche der industriellen Revolution im Deutschen Reich vor allem ab der Reichsgründung 1871 einen solchen Schub gaben, dass es bereits vor 1914 das Mutterland der Industrialisierung, Großbritannien, an Produktion überflügelte.[3] Die vornehmlich manuelle Produktion wurde allmählich automatisiert, sie konnte dadurch erheblich gesteigert werden. Zugpferde der deutschen Wirtschaft waren gegen Ende des 19. Jahrhundert neben den traditionellen Branchen wie z.B. Eisenerzeugung, Eisenbahnbau oder Bergbau moderne Industriezweige, wie z.B. Elektrotechnik, Motorenbau und Chemie.[4] Erfindungen wie der Gasmotor 1864, die Dampfturbine 1884, der Viertaktmotor 1876 und der erste Dieselmotor 1897 sicherten eine billige Energieversorgung für die produzierende Industrie. Mit Hilfe der neuen Motorentechnik veränderte sich das Verkehrs- und Transportwesen grundlegend, Werner von Siemens konstruierte 1879 die erste elektrische Lokomotive, 1900 erschuf man die erste dieselbetriebene Bahn. Daimler und Benz verewigten sich durch die Erfindung des Motorrades und des Kraftwagens 1886. Im produzierenden Gewerbe wurden die Dampfmaschinen durch Elektromotoren ersetzt, sie bedienten Spinn- und Webmaschinen, Pumpen, Aufzüge und Förderbänder mit Energie. In den 80er Jahren des 19. Jahrhundert wurden die ersten Elektrizitätswerke erbaut, die zunächst kleinere Betriebe, später ganze Stadtteile mit Strom versorgen konnten.[5] Die zunehmende Automatisierung ließ die Wirtschaft immer schneller und effektiver, also ökonomischer, produzieren. Die Modernisierung und die dadurch ausgelöste Hochkonjunktur der oben genannten primären Industriezweige führten wiederum zu einem regelrechten Boom bei Zulieferbetrieben, in der Roheisenproduktion und im Transportwesen.[6] Zusätzlich angeheizt, jedoch längst nicht so intensiv wie häufig angenommen, wurde dieser Wirtschaftaufschwung durch Reparationszahlungen in Höhe von 4,2 Millionen Goldmark, die Frankreich nach dem verlorenen Krieg 1871 an das Deutsche Reich entrichten musste, und durch die florierenden Rüstungsindustrie während des Reicheinigungskrieges.[7]

2.2. Urbanisierung

Die Industrialisierung und der Wirtschaftsboom führten zu einer verstärkten Urbanisierung, da sich die neuen Arbeitsplätze punktuell auf wenige industrielle Zentren im Deutschen Reich konzentrierten, was eine Binnenwanderung auslöste. Dieses Phänomen, von dem man etwa ab Mitte des 19. Jahrhundert sprechen kann[8], hat mehrere Ursachen: zum einen erschuf die Industrielle Revolution erst einmal die technischen Voraussetzungen für eine intensivere Urbanisierung, wie etwa die Elektrisierung, zum anderen zogen, durch moderne Maschinen in traditionellen Industriezweigen, wie z.B. der Textilindustrie oder dem Bergbau, überflüssig geworden, Heerscharen von Arbeitssuchenden in die Industriezentren und Städte.

Vor allem in Berlin, seit 1871 Reichshauptstadt, führten Zuwanderungen aus allen Teilen Deutschlands, bevorzugt natürlich aus den ländlichen Gebieten, wie z.B. Schwaben oder Schlesien, zu einem enormen Bevölkerungszuwachs, verstärkt durch einen Geburtenüberschuss innerhalb der Berliner Bevölkerung und durch die zunehmende Eingemeindung von Nachbarorten.[9] Allerdings ließ sich diese Tendenz im gesamten Reichsgebiet feststellen:

„1871 hatte es nur drei Großstädte mit mehr als 200 000 Einwohnern gegeben: Berlin, Hamburg, Breslau. 1913 waren es bereits dreiundzwanzig. [...] Die durchschnittliche Wachstumsrate lag bei mindestens zweihundert Prozent.“[10]

Neben der allmählichen Elektrifizierung der Großstädte, die nun das Stadtbild in Form von Leuchtreklamen, Kinos und Straßenbeleuchtung prägte, wurden der Lebensstandard und die hygienischen Verhältnisse durch Installierung von großflächigen Abwasser- und Trinkwasserversorgungssystemen verbessert. Die elektrischen Nahverkehrsmittel, wie S-Bahn und U-Bahn gewährleisteten erstmals eine geregelte und schnelle Mobilität der wachsenden Menschenmassen. Weiterentwicklungen in der Medizin und eine qualitative Verbesserung der Nahrungsmittel ließ die Lebenserwartungskurve steigen und führte zu einem Rückgang der Säuglingssterblichkeit.[11]

In den neuen Wohnsiedlungen an den Stadträndern prägte monotone Bauweise in Form von grauen Mietskasernen, welche erforderlich waren, um den Ansturm von Arbeitskräften bewältigen zu können, das Bild. Da Wohnraum und Bauplätze Mangelware und dementsprechend teuer waren, wurde dicht und hoch gebaut, so dass sich zur Jahrhundertwende um den historischen Stadtkern ein dichter Gürtel mehrstöckiger Mietskasernen gebildet hatte. In den 90er Jahren des 19. Jahrhundert lebten in Berlin 40% der Bevölkerung im dritten Stock oder höher.[12] Die Wohnverhältnisse in diesen Arbeitervierteln waren teilweise katastrophal. Die in wenigen Monaten schnell hochgezogenen Miethäuser mussten häufig von der ersten Mietpartei „trocken“ gewohnt werden – das Risiko einer Tuberkulose erhöhte sich dadurch ständig. Die dichte Bauweise versperrte jedem Sonnenstrahl den Weg in die Innenhöfe der Kasernen, so dass die Menschen auch tagsüber im „Dunkeln“ lebten. Die Wohnsituation besserte sich stetig, wenn auch nicht grundlegend, so verfügten auch 1910 immer noch 49% der Haushalte über nur ein beheiztes Zimmer.[13] Die Bewohner der Kasernen mussten sich oftmals mit 28 Quadratmetern zufrieden geben und Gemeinschaftstoiletten waren obligatorisch. Unweigerlich kristallisierten sich im Laufe der Jahrzehnte den verschiedenen Klassen entsprechende Wohngegenden und die mit Grünanlagen ausgestatteten Villenviertel unterschieden sich nur allzu deutlich von den dicht bebauten und verschmutzten Arbeitervierteln, die häufig direkt neben den Industriebetrieben lagen.[14]

3. Die Entwicklung des Großstadt-Motivs

Großstädte gab es bereits im Altertum und im Mittelalter.

Jedoch ist die Städteproblematik im Mittelalter eine ganz andere. Als wirkliche Großstadt kann zu dieser Zeit nur Köln mit seinen damals bis zu 35.000 Einwohnern gelten. Sich wegen ihrer kirchlichen Bedeutung ebenfalls vergrößernde Städte waren Trier und Mainz (2000-10000 Einwohner). Durch die zahlreichen Stadtgründungen des 13.Jahrhunderts brachten entstanden zumeist Kleinstädte mit höchstens 2000 Einwohnern. Von einer Großstadtproblematik, wie sie sich zur Entstehungszeit expressionistischer Literatur findet, kann also in keinem Falle die Rede sein. <http://www.geschichte-mittelalter.de/einleitung.htm>

So trat das Motiv der Stadt vom Mittelalter bis zur Romantik und Klassik (zum Beispiel: Friederich Hölderlins Heidelberg) eher in literarischen Landschaftsdarstellungen auf. Häufig wurden die Städte auch nur als Ort eines Geschehnisses thematisiert.

In Frankreich findet sich im 19. Jahrhundert, also zu Zeiten Baudelaires und Zolas zum ersten Mal Großstadtlyrik, geprägt vom Symbolismus, der Décadence und dem Fin de siècle.

Diese Strömung wird in Deutschland in den 1880er Jahren aufgenommen. Doch hatten bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Formen von Großstadtliteratur Einzug gehalten, welche sich vorwiegend mit Berlin und Wien auseinander setzten. Natürlich gibt es im 19.Jhd. auch Lyrik, die sich positiv mit der Stadt auseinandersetzt, wie Die Stadt von Theodor Storm, jedoch ist hier keine Großstadt (Husum) gemeint.

Lyrische Gestaltungen sozialer Fragen findet man erst im Naturalismus. Die von den Naturalisten geforderte Darstellung der Wahrheit wurde verwirklicht in Darstellungen des moralischen Elends. Determiniertheit und Doppelmoral der Gesellschaft und ihre Gleichgültigkeit sind Themenkreise der Naturalisten (Beispiel: Arno Holz´ Ein Anderes). Die Großstadt bildet hier einen scharfen Kontrast zu der reinen Natur. Elend und schmutzig kommt sie uns in Arno Holz´ Großstadtmorgen (1886) entgegen. Außerdem bedienten sich die Autoren einer volkstümlichen, zum Beispiel dialektal geprägten Sprache, wie es später auch die neue Sachlichkeit tun wird.

Die Erfahrungen der Autoren in und mit der Großstadt mit all ihren positiven und negativen Aspekten, wie sie in unserer historischen Vorbetrachtung genannt werden, und auch die Entstehung künstlerischer Zentren in den Großstädten werden zu bestimmenden Aspekten für die Phantasie der Moderne.

„Wenn es eine Mythologie der Moderne gibt, so ist der Ort, von dem sie erzählt und an den sie gebunden ist, die Großstadt... die antike Stammheit des Epischen, das Meer" finde in ihr "ein modernes Äquivalent".

[...]


[1] Rühmkorf, Expressionistische Gedichte, S. 7.

[2] Reiß, Großstadterfahrungen in der deutschen Gegenwartslyrik, S. 81.

[3] Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849 – 1914, S. 489.

[4] Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871 – 1918, S. 43f.

[5] Mirow, Geschichte des Deutschen Volkes, S. 625ff.

[6] Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849 – 1914, S. 98f.

[7] Mirow, Geschichte des Deutschen Volkes, S. 623.

[8] Ebd., S. 640.

[9] Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849 – 1914, S. 511.

[10] Ebd., S. 512f.

[11] Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1849 – 1914, S. 495ff.

[12] Ebd., S. 515.

[13] Ebd., S. 517.

[14] Mirow, Geschichte des Deutschen Volkes, S. 641.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Großstadtmotiv im Expressionismus
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Fachdidaktik)
Veranstaltung
Proseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V53390
ISBN (eBook)
9783638488549
ISBN (Buch)
9783638662628
Dateigröße
488 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Geschichte des Großstadtmotivs in der Lyrik, speziell Expressionismus. Unterrichtsvorschläge für Behandlung des Großstadtmotivs im Unterrichts.
Schlagworte
Großstadtmotiv, Expressionismus, Proseminar
Arbeit zitieren
Philipp Gaier (Autor:in), 2005, Großstadtmotiv im Expressionismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53390

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