Die Wahlrechtsfrage zur Zeit der Reichsgründung. Die Bedeutung des Reichstagswahlrechts als nationale Repräsentation des deutschen Volkes


Hausarbeit, 2004

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.0 Der Kampf um das allgemeine und gleiche Wahlrecht
1.1. Die Paulskirche (Liberale vs. Demokraten)
1.2. Die Zeit der Reaktion und der beginnende Verfassungskonflikt

2.0 Wandelnde Haltung zum Wahlrecht ( Liberale vs. Konservative)
2.1. Bismarcks Antrag auf Bundes- und Wahlrechtsreform
2.2. Reaktionen auf Bismarcks Antrag und das allgemeine Wahlrecht

3.0 Die Stellung des Reichstags in der Verfassung des Deutschen Reiches
3.1. Das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht
3.2. Die Bedeutung des frei gewählten Reichstags als Repräsentation des deutschen Volkes

4.0 Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

„[…] Eine aus der Vermittlung der praktischen Bedürfnisse hervorgegangene Verfassung ist niemals ohne Mängel zustande gekommen, […]. Das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht ist unter unserer Mitwirkung zur Grundlage öffentlichen Lebens sgemacht. Wir verhehlen uns nicht die Gefahren, die es mit sich bringt […]. Am Volke liegt es jetzt, für die Reinheit der Wahlen einzutreten; angestrengten Bemühungen wird es gelingen, seine Stimme wahrheitsgetreu zum Ausdruck zu bringen und dann wird das allgemeine Wahlrecht selbst das festeste Bollwerk der Freiheit sein, wird es die in die neue Zeit hineinragende Trümmer des ständischen Wesens wegräumen und die zugesicherte Gleichheit vor dem Gesetz endlich zur Wahrheit machen…“[1] Diese Worte stammen aus dem Gründungsprogramm der Nationalliberalen Partei im Jahr 1867 und besiegelten die Spaltung des Liberalismus. Die Frage ums Wahlrecht hatte bereits in der verfassungsgebenden Nationalversammlung 1848/49 schwere Debatten ausgelöst. Nachdem das beschlossene allgemeine und gleiche Wahlrecht durch das Scheitern der Paulskirche nicht realisiert werden konnte, wurde das Thema erst 15 Jahre später, überraschenderweise durch Bismarck, wieder ernsthaft aufgeworfen. Der Antrag auf ein allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht erweckte jedoch Misstrauen und wurde von der Opposition als unvollkommen und gefährlich kritisiert, solange nicht auch andere Bereiche liberalisiert und demokratisch umgewandelt würden. Mit ihrer wandelnden Haltung und dem Zusammengehen mit Bismarck, stellten die Nationalliberalen ihre liberalen Ziele vor den nationalen zurück und gaben sich mit kleinen Schritten und der Hoffnung auf spätere Realisierung von wahrer Volkssouveränität und Parlamentarismus zunächst zufrieden. Doch es stellt sich die Frage, ob diese kleinen Schritte ein wirklicher Ansatz hierfür waren und in die richtige Richtung führten. War das neue Wahlrecht, das zunächst für den Norddeutschen Bund und dann für das ganze Reich galt, wirklich frei und gleich? War es ein Richtungsweisender Schritt hin zur Volkssouveränität? Oder sah es nur auf den ersten Blick so aus?! Um dies herauszufinden, müssen nicht nur das Reichstagswahlrecht, sondern auch die Stellung des Reichstags und seine Beziehung zu Kaiser und Bundesrat analysiert werden. Wie weit reichten seine Rechte und wie groß waren die konstitutionellen Barrieren, die Bismarck mit der Verfassung fürs Deutsche Reich errichtet hatte? Doch zunächst soll der Kampf um das allgemeine, gleiche,

direkte und geheime Wahlrecht seit der Zeit der Paulskirche dargestellt werden. Das Dreiklassenwahlrecht wird hierbei jedoch nur am Rande behandelt. Im Vordergrund stehen vielmehr Beweggründe und Ziele, die von Befürwortern und Kritikern, von der Zeit der Paulskirche bis hin zur Annahme der Verfassung des Norddeutschen Bundes 1867 und 1871, angebracht wurden. Dazu gehören besonders auch die Motive, die Bismarck und die Konservativen hatten, um ihre wandelnde Haltung zum Wahlrecht zu rechtfertigen. In einem abschließenden Fazit werden das Reichstagswahlrecht und das Parlament noch einmal einer kurzen Beurteilung unterzogen.

Das Thema des allgemeinen Wahlrechts und der Verfassung des Kaiserreichs wurden in der Geschichtsforschung bereits ausführlich behandelt. Besonders die Reihe „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789“[2] von Ernst Rudolf Huber, die etwa Mitte des 20. Jahrhunderts erschien, bietet eine sehr genaue Darstellung und Analyse. Und auch Walter Gagel[3] und Bernhard Vogel (u.a.)[4] beschäftigen sich in ihren Werken von 1958 und 1971 sehr intensiv mit der Wahlrechtsfrage und den Wahlen in Deutschland seit 1848. Unausweichlich mit dem Thema verbunden, ist die Rolle Bismarcks. Auf gleiche Ergebnisse kamen hierbei Ernst Engelberg 1985[5] und Andreas Biefang[6] 1999, die Bismarck als Urpreuße und Reichsgründer aus aktueller Sicht unter die Lupe nehmen. Einen Überblick über den Weg zum Nationalstaat und der Zeit der Reichsgründung, geben Hagen Schulze in der dtv-Reihe Deutsche Geschichte der neuesten Zeit[7] und Volker Ullrich in Die nervöse Großmacht.[8]

1.0 Der Kampf um das allgemeine und gleiche Wahlrecht

1.1 Die Paulskirche (Liberale vs. Demokraten)

Als im Februar 1849 in der Frankfurter Nationalversammlung das Wahlgesetz für die zukünftige Reichsverfassung beraten wurde, standen sich die Liberalen und die Demokraten in ihrer Anschauung über diesen Punkt gegenüber. „Das politische Ziel des Liberalismus war der parlamentarisch regierte Verfassungsstaat, in dem der bürgerliche Mittelstand die eigentliche herrschaftsfähige Schicht bilden sollte“[9] und die ihrer Meinung nach ungeeigneten Volksmassen vom Wahlrecht ausgeschlossen werden mussten. Denn das Wahlrecht sei kein Naturrecht, das jedem zustehe, sondern ein staatliches[10], für das man gewisse Voraussetzungen erfüllen musste. Die Gründe für diesen Ausschluss sahen sie in der sozialen Abhängigkeit und der daraus folgenden leichten Beeinflussbarkeit der unteren Klassen einerseits sowie in der mangelnden politischen Reife und Selbstständigkeit andererseits. Verschiedenste „Einflüsse könnten sie einmal zu Revolutionen, dann wieder in die tiefste Reaktion führen.“[11] Die Befürchtung war zu groß, dass die Wahlen im antiliberalen Sinne ausfallen könnten. Die Demokraten dagegen machten sich für das allgemeine Männerwahlrecht stark. Man dürfe keine ganzen Klassen oder Berufe ausschließen und Abhängigkeit gebe es auch in den höheren Schichten. Ein nach Bildung und Besitz eingeschränktes Wahlrecht hielten sie für „ungerecht und unpolitisch.“[12] Außerdem sahen sie darin auch die Gefahr, sich die ausgeschlossenen Volksmassen zum Feind zu machen und dadurch die revolutionären Bewegungen zu erneuern.[13] Schwer umkämpft wurde in der Paulskirche auch die Alternative Wahl- oder Erbkaisertum. Das Erbkaisertum war die Forderung der Rechten und der Mitte, das Wahlkaisertum das äußerste, wozu sich die Linken, die der Republik den Vorzug gaben, bereit finden mochten. Im März 1849 einigten sich Liberale und gemäßigte Linke auf einen Kompromiss. Die Liberalen fanden sich mit dem allgemeinen (Männer-) wahlrecht ab, die gemäßigten Linken mit dem preußischen Erbkaisertum. Mit einer knappen Mehrheit wurde die Reichsverfassung am 27. März 1849 angenommen. Sie trat jedoch nie in Kraft, weil Friedrich Wilhelm IV die Kaiserkrone ablehnte, die bedeutendsten Staaten ihre Anerkennung verweigerten und das Paulskirchenparlament damit keine reale Macht hatte.

1.2. Die Zeit der Reaktion und der beginnende Verfassungskonflikt

In der darauf folgenden Zeit der Reaktion wurde 1850 der Deutsche Bund wiederhergestellt und mit der oktroyierten Verfassung in Preußen, nun doch das nach Besitz und Steueraufkommen gewichtete, zwar allgemeine, jedoch ungleiche, indirekte und öffentliche Dreiklassenwahlrecht eingeführt, durch das ein kleine Schicht vermögender Männer ⅔ der Wahlmänner stellen konnte und damit eine meist konservative Mehrheit garantiert war. Erst 1858 begann sich die politische Lage erneut zu wandeln. Mit der Rückkehr der Demokraten ins politische Leben, aus dem sie sich in der Phase der Reaktion vermehrt zurückgezogen und nicht mehr an den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus beteiligt hatten[14], gab es nun wieder eine gemeinsame oppositionelle Haltung der liberalen Kräfte. Das Entgegenkommen Wilhelms I, der seit dem 7.10.1858 neuer Regent war, stimmte die Demokraten positiv und bewog sie dazu, das antidemokratische Wahlrecht zu dulden.[15] Im gleichen Jahr gab es dann auch erstmals eine absolute Mehrheit der liberalen Fraktion, trotz des in der Vergangenheit von Seiten der Linken so ungeliebten Dreiklassenwahlrechts. Die unterschiedliche Wahlbeteiligung zwischen Stadt und Land stieg an und war mit 37.7% in der Stadt gegen 27.8% auf dem Land enorm. In der Stadt lagen die Liberalen mit 67.4% der Stimmen weit über den Konservativen mit gerade mal 19.8%. Auf dem Land lagen beide in etwa gleich, so dass ein starkes Übergewicht der Liberalen bestand.[16] Gründe dafür waren die unterschiedliche Wahlbeteiligung in den einzelnen Gebieten[17] und die gemeinsame Abstimmung bei der Abgeordnetenwahl durch die Wahlmänner. Die Liberalen konnten dadurch in allen drei Klassen die absolute Mehrheit erreichen und damit die konservativen Wahlmänner überstimmen. Mit 48.8% der Stimmen erhielten sie 70.1% der Mandate, wohingegen die Konservativen mit einem Stimmenanteil von 30,6% nur 9.9% der 352 Mandate erzielen konnten.[18] Als Wilhelm I 1863 für seine geplante Heeresreform das nötige Budget anforderte, lehnte die liberale Parlamentsmehrheit die Bewilligung ab. Bismarck, vom König zum preußischen Ministerpräsident ernannt, sollte diesen Konflikt lösen. Er umging das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses und war bereit, ohne das Parlament zu regieren. Damit standen sich Krone und Konservative auf der einen und die liberale

Parlamentsmehrheit auf der anderen Seite gegenüber. Denn deren Gegner lehnten die Regierungsverantwortlichkeit gegenüber dem Parlament ab.[19]

[...]


[1] Schulze, Hagen: Der Weg zum Nationalstaat- Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung. In: Broszat, M.; Benz, W. u.a. (Hg.): dtv Deutsche Geschichte der neuesten Zeit, München, 1997, (5. Aufl.), S. 170.

[2] Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 Bismarck und das Kaiserreich. Bd. 4, (u.a.): Kohlhammer, Stuttgart 1963.

[3] Gagel, Walter: Die Wahlrechtsfrage in der Geschichte der deutschen liberalen Parteien 1848-1918. Droste Verlag, Düsseldorf 1958.

[4] Vogel, Bernhard; Nohlen, Dieter; Schultze, Rainer Olaf: Wahlen in Deutschland Theorie- Geschichte- Dokumente 1848-1970. WDeG Verlag, Berlin/ New York 1971.

[5] Engelberg, Ernst: Bismarck: Urpreuße und Reichsgründer. Engelberg (Hg.), Siedler Verlag, Berlin 1985.

[6] Biefang, Andreas: Der Reichsgründer? Bismarck, die nationale Verfassungsbewegung und die Entstehung des deutschen Kaiserreichs. In: Friedrichsruher Beiträge, Bd. 7, Hamburg 1999.

[7] Schulze, Hagen: Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung. Deutsche Geschichte der neuesten Zeit, (Hg.): Broszat, Martin; Benz, Wolfgang; Graml, Hermann, dtv Verlag, München 1997, (5. Auflage).

[8] Ullrich, Volker: Die nervöse Großmacht 1871-1918 Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1999, (4. Aufl.).

[9] Gagel,Walter: Die Wahlrechtsfrage in der Geschichte der deutschen liberalen Parteien 1848-1918. S.10.

[10] Ebd.: S. 10/11.

[11] Ebd.: S. 9.

[12] Ebd.: S. 12.

[13] Ebd.: S. 13/14.

[14] Ebd.: S. 19/20.

[15] Ebd.: S. 20-22.

[16] Vogel, Bernhard; Nohlen, Dieter; Schultze Rainer-Olaf: Wahlen in Deutschland-Theorie -Geschichte-Dokumente 1848-1970. S.91.

[17] Unterschied zwischen städtischen und ländlichen Gebieten.

[18] Ebd.

[19] Ebd.: S. 91/92

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Wahlrechtsfrage zur Zeit der Reichsgründung. Die Bedeutung des Reichstagswahlrechts als nationale Repräsentation des deutschen Volkes
Hochschule
Universität Hamburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Einführungsseminar. Nationalismus in Deutschland von den Befreiungskriegen bis zur Reichsgründung
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V53343
ISBN (eBook)
9783638488167
ISBN (Buch)
9783656807643
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahlrechtsfrage, Zeit, Reichsgründung, Bedeutung, Reichstagswahlrechts, Repräsentation, Volkes, Einführungsseminar, Nationalismus, Deutschland, Befreiungskriegen, Reichsgründung
Arbeit zitieren
Melanie Schwertfeger (Autor:in), 2004, Die Wahlrechtsfrage zur Zeit der Reichsgründung. Die Bedeutung des Reichstagswahlrechts als nationale Repräsentation des deutschen Volkes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53343

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