Totalitäre Elemente im Staatssystem der DDR während der Ulbricht-Ära


Seminararbeit, 2003

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. Der Totalitarismusbegriff Carl Joachim Friedrichs

3. Repressalien während der Ulbricht-Ära nach den Kriterien Friedrichs
3.1 Ideologie
3.2 Partei
3.3 Geheimpolizei
3.4 Nachrichtenmonopol
3.5 Waffenmonopol
3.6 Zentral gelenkte Wirtschaft

4. Auswertung und Schlußfolgerung: War die DDR während der Ulbricht-Ära totalitär?

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Totalitarismuskonzeption Carl Joachim Friedrichs[1] gilt wohl als das bekannteste Modell der Totalitarismusforschung, ist aber zugleich auch das umstrittenste.

In meiner Hausarbeit will ich mich mit diesem näher auseinandersetzen, indem ich ihr eine Fragestellung zu Grunde lege, die sich auf den Totalitarismusbegriff Friedrichs bezieht. Sie lautet folgendermaßen: Kann – nach dem Totalitarismuskonzept Carl Joachim Friedrichs – die DDR während der Ulbricht-Ära (1949-1971) als totalitär bezeichnet werden?

Bezüglich meiner Fragestellung stelle ich die Hypothese auf, daß die DDR in den Jahren 1949 bis 1971 sämtliche Charakteristika Friedrichs aufweist, und deshalb – unter der Voraussetzung, daß man Carl Joachim Friedrichs Merkmalskatalog als Definiens versteht – ein totalitärer Staat war.

Ich werde diese Fragestellung in meiner Seminararbeit wie folgt behandeln: Zuerst werde ich auf die Grundzüge des Totalitarismuskonzepts Friedrichs und die damit verbundene politikwissenschaftliche Kontroverse eingehen (Kap. 2.). In den darauf folgenden Kapiteln werde ich mich mit den einzelnen Wesenszügen insofern befassen, als daß ich die DDR während der Ulbricht-Ära auf diese hin untersuche. Ich werde mich dann im Schlußteil (Kap. 4) – mittels Auswertung der in Kapitel 3.1-3.6 behandelten Wesenszüge – der Beantwortung meiner Fragestellung zuwenden.

2. Der Totalitarismusbegriff Carl Joachim Friedrichs

Der deutsche Totalitarismusforscher Carl Joachim Friedrich (1901-84) veröffentlichte 1956 in Zusammenarbeit mit dem Politikwissenschaftler Zbigniew Brzezinski (*1928) das Buch „Totalitarian Dictatorship and Autocracy“[2], in dem er den Totalitarismus als ein erst im 20. Jahrhundert aufgekommenes Phänomen beschreibt. Der Totalitarismus sei deshalb neuartig und sui generis, da er erst durch die Errungenschaften der modernen Technik ermöglicht worden sei[3]: Nur mittels der technischen Entwicklungen seit der Industriellen Revolution verfüge ein Regime über die Möglichkeiten, einen totalitären Machtanspruch geltend zu machen. Da ein totalitäres System sich durch diese Voraussetzung von allen anderen, ihm vorangegangenen autokratischen Regierungsformen unterscheidet, liege es nahe – so Friedrich – primäre, allgemeine Merkmale einer totalitären Diktatur zu definieren. Friedrich charakterisiert ein totalitäres Staatssystem, indem er ihm sechs sogenannte „Wesenszüge“ zuordnet. Ein Staat kann Friedrich zufolge dann als totalitär bezeichnet werden, wenn er folgende Merkmale[4] aufweist:[5]

1. Eine chiliastische Ideologie, die „alle lebenswichtigen Aspekte der menschlichen Existenz umfaßt und an die sich alle in dieser Gesellschaft Lebenden zumindest passiv zu halten haben“.
2. Eine „einzige Massenpartei“, die um die Ausübung ihrer Vormachtstellung im Sinne ihrer Ideologie bestrebt ist.
3. Eine terroristische Geheimpolizei, die der Partei untergeordnet ist und Terror „auf physischer oder psychischer Grundlage [...] gegen mehr oder weniger willkürlich ausgewählte Klassen der Bevölkerung“ ausübt.
4. Ein „nahezu vollständiges“ Nachrichtenmonopol.
5. Ein Waffenmonopol.
6. Eine zentral gelenkte Wirtschaft.

Friedrich fügt diesem Merkmalskatalog noch die Bemerkung hinzu, daß dieser „nicht den Eindruck erwecken [sollte], daß es nicht auch andere, jetzt noch unzureichend erkannte, gäbe.“[6] Daran entzündete sich Ende der 1960er Jahre eine heftige Debatte, als Friedrich aufgrund der „Entstalinisierung“ nach 1955 die o.g. Kriterien insofern abänderte[7], daß sie sich auch auf die „Volksdemokratien“ zur Zeit von Chruschtschow und Breschnew anwenden ließen und diese, trotz der augenscheinlichen, relativen Liberalisierung laut seinem Merkmalskatalog noch immer als totalitär galten. So konnte auch noch die post-stalinistische Sowjetunion – und die DDR während der Ulbricht-Ära – hinsichtlich der abgeänderten Friedrichschen „Wesenszüge“ mit Hitler-Deutschland und dem faschistischen Italien verglichen werden. Friedrich wurde vorgeworfen, er habe lediglich sein totalitarismustheoretisches Konzept „retten“ wollen, indem er seine Theorie den veränderten Umständen der Realität anpaßte[8], und es durch diese Verfälschung als unwissenschaftlich entlarvte. Man machte ihm auch den Vorwurf, sein Totalitarismuskonzept diene allein der Dämonisierung der kommunistischen Welt im Sinne des Kalten Krieges, und sie habe mit wissenschaftlicher Darstellung nichts gemein.[9]

Trotz dieser Kontroversen habe ich mich entschlossen, anhand des Merkmalskatalogs Friedrichs, den er als Beschreibung primärer Wesenszüge totalitärer Staaten versteht, das Vorhandensein totalitärer Elemente im Staatssystem der DDR während der Ulbricht-Ära in meiner Hausarbeit zu überprüfen. Allerdings verwende ich das ursprünglich von Friedrich entwickelte Modell[10] als Grundlage meiner Untersuchungen, werde mich also auch implizit mit der Frage beschäftigen, ob die Tätigkeit des MfS während der Jahre 1949-71 als terroristisch bezeichnet werden kann. Zu diesem Schritt hat mich vor allem die Tatsache bewogen, daß die Totalitarismusliteratur heute – auf die ich mich in meiner Arbeit im wesentlichen stütze – über eine weitaus bessere Quellenlage verfügt, als zu der Zeit, als Friedrich seinen Merkmalskatalog modifizierte. Ungeachtet des Vorwurfs des Axiologismus, der Friedrich oft genug gemacht wurde, darf man nicht vergessen, daß die geringfügigen Änderungen an seinem Totalitarismuskonzept auch von bloßen Mutmaßungen herrühren, da er – trotz der damaligen Informationslage – darum bestrebt war, mit seinem Merkmalskatalog ein möglichst aussagekräftiges und wirklichkeitsgetreues Bild eines Staates zu schaffen, der über totalitäre Elemente verfügte. Es könnte also durchaus möglich sein, daß die Merkmale, die Friedrich ursprünglich ausgearbeitet hatte, nicht nur ein totalitäres Staatssystem zur Zeit Stalins und Hitlers beschreiben, sondern auch – ohne das Abebben der stalinistischen Verfolgungen und Massenterrors[11] zu verleugnen – auf die kommunistischen Staaten nach Stalins Tod zutreffen, ohne daß eine Modifizierung seines Kriterienkatalogs notwendig gewesen wäre.

[...]


[1] Da die in Carl Joachim Friedrichs und Zbginiew Brzezinskis Publikation „Totalitarian Dictatorship and Autocracy“ (1956) beschriebene Totalitarismuskonzeption in erster Linie von Friedrich ausgearbeitet wurde, werde ich im folgenden nur Friedrich als Autor nennen (Vgl. Siegel (1998): „Carl Joachim Friedrichs Konzeption der totalitären Diktatur“, S. 273).

[2] Die deutsche Ausgabe erschien 1957 in Stuttgart unter dem Titel „Totalitäre Diktatur“.

[3] Vgl. Friedrich/Brzezinski (1968): „Die allgemeinen Merkmale der totalitären Diktatur“, S. 232.

[4] Vgl. Friedrich/Brzezinski a.a.O., S. 230f.

[5] Von Achim Siegel stammt allerdings die These, daß Friedrichs „Wesenszüge“ an sich keinen Definiens darstellen, sondern lediglich eine Charakterisierung eines totalitären Staates seien. Nach Siegel könnte man also nicht fragen, ob ein Staat diese Wesenszüge aufweise und aufgrund dessen schlußfolgern, ob er deshalb totalitär sei oder nicht. Friedrich selbst weist allerdings in keiner seiner Schriften ausdrücklich darauf hin, daß sein Merkmalskatalog keine Definition eines totalitären Staates sei. Ich verstehe deshalb in meiner Hausarbeit die „Wesenszüge“ Friedrichs als Definition eines totalitären Staates.

[6] Friedrich/Brzezinski (1968), a.a.O. S. 231.

[7] Friedrich änderte während der Jahre 1968/69 seinen Merkmalskatalog ab, indem er unter Punkt 3 statt einer terroristischen Geheimpolizei eine „voll entwickelte Geheimpolizei“ als ein Merkmal eines totalitären Staates bezeichnete. (Ausführlich dazu Fritze (1995): „Unschärfen des Totalitarismusbegriffs“.)

[8] Vgl. Fritze, a.a.O., S. 316f.

[9] Vgl. z.B. Siegel, a.a.O. S. 276f.

[10] Siehe oben.

[11] Vgl. Jesse (1994) „War die DDR totalitär?“, S. 14.

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Details

Titel
Totalitäre Elemente im Staatssystem der DDR während der Ulbricht-Ära
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V53304
ISBN (eBook)
9783638487986
ISBN (Buch)
9783656785279
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Totalitäre, Elemente, Staatssystem, Ulbricht-Ära
Arbeit zitieren
Till Stüber (Autor:in), 2003, Totalitäre Elemente im Staatssystem der DDR während der Ulbricht-Ära, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53304

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