Vom Ursprung der Kultur im Spiel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Der Kulturbegriff
1. Der Kulturbegriff in der Antike
2. Der Kulturbegriff bei Herder
3. Der Kulturbegriff bei Peoples und Bailey

III. Kultur und Spiel

IV. Johan Huizingas „Homo Ludens“
1. Das reine Spiel
2. Bedeutung und Funktion des Spiels als Kulturerscheinung
3. Konzeption des Spielbegriffs und die Ausdrücke für ihn in der Sprache
4. Das agonale Prinzip als Kulturfaktor
4.1. Der Balinesische Hahnenkampf
4.2. Der Potlatch
4.3. Der Kula-Ring

V. Schlussbetrachtung

VI. Quellenangaben

1. Literatur

2. Multimedia & Internet

I. Einleitung

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage nach dem Ursprung der Kultur. Dabei werden verschiedene Quellen einbezogen. Diejenige von ihnen, welche hier die meiste Berücksichtigung erfahren wird, ist JOHAN HUIZINGAs Werk „Homo Ludens – Vom Ursprung der Kultur im Spiel“, nach dem auch diese Arbeit benannt wurde. Anhand philosophischer Reflexionen und ethnologischer Fallbeispiele soll die darin aufgeworfene These vorgestellt und erörtert werden. Neben dem Kulturbegriff wird dem Begriff des Spiels dabei eine besondere Bedeutung zuteil. Zu klären, inwieweit beide Begriffe unter Beachtung aller Quellen miteinander zusammenhängen, ist damit die Aufgabe dieser Hausarbeit.

Dabei gilt es zu beachten: Wenn im Folgenden von Kultur die Rede sein wird, ist damit immer menschliche Kultur gemeint – deshalb, weil es nicht die hier bewerkstelligte Aufgabe sein soll, zu beweisen oder zu widerlegen, dass Tiere auch Kultur haben (können). Dies ist ein Thema für sich. Vorausgesetzt wird aber, dass es hinsichtlich des Phänomens Kultur zwischen Tieren und Menschen bedeutsame Unterschiede gibt und von zwei sehr verschiedenen Gegenständen die Rede ist, wenn von menschlicher Kultur oder von Kultur bei Tieren gesprochen wird. Diesbezüglich wird im weiteren Verlauf immer wieder auf diese Unterscheidung zurückgegriffen, da bei der Erörterung der Frage nach dem Ursprung von (menschlicher) Kultur unweigerlich das sogenannte Tier-Mensch-Übergangsfeld ins Blickfeld gerät und es daher notwendig erscheint, das eine vom anderen zu trennen.

Dies setzt also erst einmal voraus, dass der Begriff Kultur entsprechend abgrenzt wird. Obgleich in „Homo Ludens“ eine umfassende Definition des Spiels zu finden ist, hat es der niederländische Kulturhistoriker HUIZINGA versäumt, dem Begriff Kultur die gleiche wissenschaftliche Aufmerksamkeit zu schenken. Eine Kulturdefinition ist daher bei ihm leider nicht zu finden. Aus diesem Grunde war es notwendig, sein Kulturverständnis herauszufiltern und dieser Arbeit voranzustellen. Es folgt also vorab eine Erläuterung des Kulturbegriffs in Form eines kurzen geschichtlichen Exkurses. Begonnen beim antiken Kulturverständnis römischer und griechischer Philosophen soll über den idealistischen, aufklärerischen Kulturbegriff JOHANN GOTTFRIED HERDERs zur modernen Kulturdefinition von JAMES PEOPLES und GARRICK BAILEY hinübergeleitet werden. Dabei wird natürlich kein Anspruch darauf erhoben, einen vollständigen entwicklungsgeschichtlichen Überblick dargestellt zu haben. Aufgrund des nahezu grenzenlosen Umfangs dieses Themas und des stark begrenzten Umfangs dieser Arbeit ist dies nicht realisierbar und auch nicht der Gegenstand, der hier behandelt werden soll. Vielmehr sollen so einerseits grundlegende Probleme, die sich bei der Suche nach einem Ursprung der Kultur ergeben, angesprochen und damit zur Diskussion gestellt und andererseits die Basis für ein erleichtertes Verstehen von „Homo Ludens“ geschaffen werden. Aufgabe des II. Kapitels ist es daher, zu diesem Verständnis hinzuführen.

Im darauf folgenden III. Kapitel wird gezeigt, in welchem Verhältnis die Begriffe Spiel und Kultur zueinander in Beziehung stehen. Unter Berücksichtigung verschiedener Autoren, soll schließlich HUIZINGAs Auffassung vorgestellt werden und gezeigt werden, was das Spiel mit dem Ursprung der Kultur zu tun hat. Es ist nicht seine Absicht zu untersuchen, „welchen Platz das Spielen mitten unter den übrigen Kulturerscheinungen einnimmt, sondern inwieweit Kultur selbst Spielcharakter hat.“[1] Damit übt er auch explizit Kritik an der Ethnologie und den ihr verwandten Wissenschaften, die seiner Meinung nach bis dato zu wenig Gewicht auf den Spielbegriff gelegt haben, was vor allem daran liegen mag, dass HUIZINGA als Grundlage das Konzept des selbständigen und reinen Spiels verwendet. Was er darunter versteht, welche Spielkonzeption er daraus ableitet und was dessen Funktion ist, wird im ersten Unterpunkt des IV. Kapitel dargelegt, welches sich insgesamt HUIZINGAs Auffassung vom Spiel widmet.

Im zweiten Unterpunkt des IV. Kapitels soll das nach HUIZINGA bedeutendste Element jenes Spielbegriffs als Kulturerscheinung, namentlich „der heilige Ernst“, erläutert werden, um somit dem Spiel einen Platz zwischen einem bloßen Kulturprodukt auf der einen und reiner biologischer Notwendigkeit auf der anderen Seite zuzuweisen.

Der dritte Unterpunkt stellt die verschiedenen Bedeutungen und Ausdrücke der Konzeption des Spielbegriffs in unterschiedlichen Sprachen vor.

Im vierten Unterpunkt soll das für HUIZINGA stärkste kulturschaffende Prinzip des Agon, des Wettkampfes, näher betrachtet werden. Mit teils von ihm selbst genannten Beispielen aus der Ethnologie wird versucht, dies zu überprüfen. Zunächst ist dabei der balinesische Hahnenkampf zu nennen, den CLIFFORD GEERTZ in „Dichte Beschreibung – Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme“ mit dem Konzept des „deep play“ in Verbindung setzt. Weiterhin bieten sowohl der Potlatch als auch der Kula-Ring, beides jeweils sehr zentrale Kulturelemente, gute Beispiele zur Verdeutlichung des Spielcharakters kultureller Handlungen.

Das V. Kapitel schließt in Form eines zusammenfassenden Fazits diese Arbeit ab.

II. Der Kulturbegriff

Die Frage, was Kultur eigentlich ist, kann als die zentralste in der Ethnologie betrachtet werden. Doch nicht erst mit der Entstehung dieser Wissenschaft beschäftigten sich die Menschen mit den Sitten und Gebräuchen anderer Völker als auch den des eigenen Volkes. Wesentliche Elemente der modernen Kulturauffassung finden wir bereits in verschiedenen antiken Quellen.

1. Der Kulturbegriff in der Antike

In REIMAR MÜLLERs „Die Entdeckung der Kultur – Antike Theorien von Homer bis Seneca“ können wir lesen:

„Der B e g r i f f der Kultur hat zwar seine inhaltlichen Wurzeln in der Antike, ist aber so, wie wir ihn verwenden, ein Produkt der Neuzeit. Ciceros cultura animi bezieht sich auf die individuelle Persönlichkeitsbildung, die subjektive Bildungsfähigkeit im Sinne einer rein geistigen Kultur. Das Wort entstammt jedoch semantisch und nach seinem metaphorischem Gehalt einer Sphäre, die die Grundlagen menschlicher Lebenstätigkeit schlechthin betrifft: colere , bebauen, das Land bearbeiten, Ackerbau (agri cultura) betreiben. Von der agri cultura zur animi cultura war der Weg weit. [...] die Kultivierung des Bodens [konnte schließlich] zum Urbild zunächst der individuellen Erziehung, im Abstand von Jahrhunderten auch des Prozesses der Selbstformung der menschlichen Gattung werden “.[2]

Neben dem lateinischen Wort cultura, das also die rein geistige (Denk-)Kultur bezeichnete, finden wir auch noch den Begriff humanitas (griech.: paideia), der für die „Gesamtheit der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Menschen sowie der Ergebnisse ihrer Tätigkeit“ steht, und damit über das Geistige und das Individuum hinausgeht und auch die Umwelt mit einschließt.[3] Beide Begriffe beeinflussten in entscheidendem Maße unsere heutige Vorstellung von Kultur.

Vor allem im Bereich der Philosophie bildeten sich in der Antike kulturtheoretische Fragestellungen, die dem Ursprung und der Entwicklung der Kultur nachgingen, zum Teil unter Einbeziehung historischer, ethnologischer, medizinischer und anderer fachwissenschaftlicher Erkenntnisse. ANAXIMANDROS (ca. 610 - 545 v. Chr.) konstatierte beispielsweise als bezeichnendes Merkmal des Menschen seine verlängerte Kindheitsphase. Dadurch wurde der Mensch – nach heutiger Auffassung – zu einem „Lernwesen“. Anhand des Prometheus-Mythos versuchte PROTAGORAS (ca. 480 – 410 v. Chr.) die Entstehung von Kultur genetisch zu erklären.[4] Der Mensch schuf Kultur zum Ausgleich seiner physischen Mängel (Kompensationstheorie). Die Fähigkeiten, die dazu notwendig waren und die PROTAGORAS voraussetzte, musste der Mensch in seiner „Not“ nach DEMOKRIT (ca. 460 – 370 v. Chr.) erst entwickeln, indem er sich mit seiner natürlichen Umwelt auseinander zusetzen gezwungen war. ANAXAGORAS (ca. 500 – 428 v. Chr.) hob die Bedeutung der menschlichen Hand für die Kulturentwicklung hervor. Und schließlich wurde auch die kulturgeschichtliche Bedeutung von Sprache und Verstand (logos) bereits von ISOKRATES (436 – 338 v. Chr.) demonstriert.[5]

Allgemein gesagt war dieses Nachdenken in der Antike „in hohem Grade von der Antithese Natur-Kultur bestimmt“, eine Dichotomie, die bis ins 20. Jh. hinein immer wieder aufgegriffen wurde. Bereits bei DEMOKRIT finden wir daher Kultur umschrieben als eine „zweite Natur“ des Menschen, „eine in die Gesamtnatur hineingebaute schützende Hülle [...], die der Mensch braucht, um leben und überleben zu können.“[6]

Die Fragen nach dem, was generell Kultur ist, und der, wie sie entstand, waren also bereits vor 2500 Jahren untrennbar miteinander verknüpft. Wie die antiken Auseinandersetzungen bereits andeuten und ethnologische Erkenntnisse bestätigen, scheint es heute nicht sinnvoll, die Ursprungs-Frage ausschließlich den Paläoanthropologen zu überlassen, denn Kultur ist nicht etwa vergleichbar mit dem menschlichen Körper, der sich im Verlauf der Evolution zu einem komplexen Ganzen entwickelt hat, und bei dem sich die Veränderungen innerhalb seiner Entstehung nur anhand beträchtlicher Zeiträume nachvollziehen lassen. Kultur kann immer wieder neu und immer wieder anders entstehen. Sie ist weder rein materiell noch statisch. Wandel vollzieht sich hier schneller und besser beobachtbar als körperliche Veränderungen, was es auch so schwierig macht, in Verbindung mit Kultur von einer Evolution zu sprechen. In WALTER HIRSCHBERGERs „Neues Wörterbuch der Völkerkunde“ findet sich wegen dieser bedeutenden Relevanz extra der Eintrag „Kulturwandel“, in dem darauf hingewiesen wird, dass Kulturen nicht nur als Systeme, sondern immer auch als Prozesse verstanden werden müssen und daher ohne die zeitliche Dimension nicht zu verstehen sind.[7]

Neben der Dichotomie Natur-Kultur und der Komponente des Wandels erschwert zudem auch das Körper-Geist-Problem den einfachen Zugang zu dieser Thematik. Die Ethnologie, als Teildisziplin des geisteswissenschaftlichen Bereichs des großen Komplexes der Anthropologie, kann heute als die Wissenschaft verstanden werden, die theoretisch und methodisch diese Schwerpunkte jeweils zu integrieren versucht und von keiner „reinen“ Annahme ausgeht.

So ist die physische Beschaffenheit des menschlichen Körpers natürlich auch nicht völlig irrelevant für das Kultur-Problem. Die Fähigkeit zur Kultur nämlich, nicht Kultur selbst, scheint eher mit einer Evolution des Körpers einher zu gehen. Es ist zweifellos richtig zu sagen, dass die Hominiden durch die Entwicklung der Hand zu einem komplexen Tast- und Greiforgan mit opponierbarem Daumen gegenüber anderen Säugetieren einen großen Vorteil erlangen konnten, da sich die Möglichkeiten ihres Handelns dadurch vervielfachten. Nur so waren sie dazu in der Lage Waffen, Werkzeuge, oder Artefakte herzustellen. Aber was war weiterhin nötig, um diese neuen Möglichkeiten auch tatsächlich umzusetzen? Die Möglichkeit allein kann die Entstehung von Kultur nicht erklären. Es gilt also nicht nur zu erforschen, wie die Hominisation erfolgt ist, d.h. welche evolutionären Etappen der Mensch in seiner Entwicklung bis heute durchlaufen hat, sondern auch, wodurch der Sprung von einer zur nächsten Etappe überhaupt geschehen konnte. Hindert einen Schimpansen nur seine Körperlichkeit daran zu töpfern, sich Kleider zu entwerfen oder Kunstwerke herzustellen? Es stellt sich also die Frage, was außer einer Greifhand, dem aufrechten Gang und der Fähigkeit zur Sprache noch vonnöten war um zu einem Kulturwesen zu werden. Dazu der deutsche Archäologe ALFRED RUST in dem Aufsatz „Der primitive Mensch“:

„ Der Mensch [...] wurde geboren, als er zum erstenmal etwas „Unnatürliches“, etwas Künstliches schuf, als er einen natürlich vorkommenden Gegenstand zu einem Artefakt umformte, zu einem erdachten, planvoll gestalteten menschlichen Produkt. Ein solches künstlich geformtes Gerät, als Ergebnis des Denkens ist nicht zu vergleichen mit dem Verflechten natürlichen Materials zu einem Vogelnest, der Verwendung eines Stabes durch Tiere zur Erlangung der Beute, der Benutzung eines natürlichen Steines zum Öffnen von Nüssen oder Muscheln durch den Menschenaffen. Erst wenn ein Affe den Stein bearbeiten würde, in der gezielten Absicht, ihn wirkungsvoller zu gestalten, oder wenn er aus einem Ast eine Keule mit handlich zugeformtem Griff als Abwehrwaffe zum ständigen Gebrauch schaffen würde, hätte er menschlich gehandelt.“[8]

[...]


[1] Huizinga, 2001: 7

[2] Müller, 2003: 15f.

[3] Irmscher, 1990: 318

[4] im Sinne von Genese und nicht von Genetik

[5] Irmscher, 1990: 319

[6] Müller, 2003: 18f.

[7] Hirschberger, 1988: 275

[8] Rust, 1986: 155ff.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Vom Ursprung der Kultur im Spiel
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
33
Katalognummer
V53071
ISBN (eBook)
9783638486163
ISBN (Buch)
9783656810421
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ursprung, Kultur, Spiel
Arbeit zitieren
Thomas Friedrich (Autor:in), 2005, Vom Ursprung der Kultur im Spiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53071

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