Faith Healing - eine Erfolgsstrategie der Pfingstbewegung in Lateinamerika


Seminararbeit, 2003

23 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

I Einleitung
1.1. Fragestellung
1.2. Forschungsstand
1.3. Daten zur Pfingstbewegung
1.4. Soziale Umstände rund um die Pfingstbewegung

II Hauptteil
2.1 Einige Aspekte des Erfolgsrezeptes
2.2. Die Wirkung des faith healing
2.2.1. Der Einfluss des faith healing auf die Pfingstbewegung
2.2.2. Das pfingstliche Konzept von Krankheit, Heilung und Wunder
2.2.3. Die Geistesgaben und der Akt des faith healing
2.2.4. Heilung als Legitimation und Missionsauftrag
2.3. Kritische Betrachtung des faith haeling

III Schluss
3.1. Konklusion

IV Bibliographie

I Einleitung:

Seit längerer Zeit befindet sich Lateinamerika in einem sozio-religiösen Wandel. In den traditionell katholischen Ländern ist der Protestantismus, insbesondere die Pfingstbewegung, im Vormarsch. Auch in Zukunft wird die Pfingstbewegung eines der wichtigsten religiösen Phänomene des Kontinentes ausmachen[1]. In Brasilien, Argentinien und Chile und einigen Ländern Mittelamerikas ist die Bewegung besonders ausgeprägt und sorgt für Aufregung unter Geistlichen, Politikern und Soziologen. Nach Jahrhunderten der klaren Dominanz der katholischen Doktrin offeriert nun die pfingstliche Bewegung neue, alternative Perspektiven.

1.1. Fragestellung

Angesichts dieses fundamentalen Wandels fragt man sich natürlich: wie ist dieses Phänomen erklärbar? Warum erfährt gerade die pfingstliche Bewegung solchen Zulauf? Mich persönlich hat die auffällige Vielfalt an verschiedenen Kirchgemeinden stark beeindruckt während meiner Aufenthalte in Lateinamerika. Diese teils monumentalen Kirchenbauten haben meine Aufmerksamkeit geweckt und ich wollte wissen, was hinter den Namen Assambleia de Deus, Deus Ẻ Amor, Igraja Universal do Reino de Deus, etc. steckt. Die Tatsache, dass neben einer katholischen Kapelle oft noch ein Duzend evangelikaler oder pfingstlicher Kirchen in einem Dorf stehen, ist doch bemerkenswert, umso mehr, als man glaubt, in Lateinamerika hauptsächlich auf Katholiken zu stossen. Warum aber bekehren sich immer mehr Leute zum Pentecostalismo ? Wie kommt es dass diese riesigen Gebäude der Vorstädte und Metropolen sich regelmässig füllen und ganze Fussballstadien mit Gläubigen besetzt werden? Worin liegt die Stärke der pfingstlichen Bewegung, bzw. was hat die katholische Volkskirche in ihren Aufgaben versäumt? Diese religionssoziologischen Fragen haben mich seither nicht mehr losgelassen.

Deshalb möchte ich mich in dieser Arbeit einer Erklärung annähern, indem ich konkret der Frage nachgehen möchte, welche Aspekte des sozialen Lebens die Pfingstbewegung anspricht, und welche Strategien sie einsetzt, um das Volk für sich zu gewinnen. Mir ist bewusst, dass dieses Phänomen sehr komplex ist und dass unzählige Faktoren zur Popularität dieser verschiedenen Gemeinden beitragen, doch will ich mich auf wenige, dafür meines Erachtens wichtigsten Faktoren beschränken. Während der Lektüre über die lateinamerikanische Pfingstbewegung hat sich ein Faktor herauskristallisiert, auf den ich in dieser Arbeit im Speziellen eingehen will.

1.2. Forschungsstand

Während meinen Recherchen habe ich erkennen müssen, dass es hier zu Lande nur spärliche Literatur zum Thema „Pfingstbewegung in der Dritten Welt“ gibt. Die Entwicklung der Pfingstbewegung in Nordamerika und Europa wurde relativ reichhaltig dokumentiert, doch wenige Autoren haben sich bisher mit dem Phänomen in Lateinamerika befasst. Die wichtigsten Autoren der hier zu Verfügung stehenden Literatur sind Walther J. Hollenweger, Andrew Chesnut, Florencio Galindo, André Droogers und Vinson Synan. An den Universitäten Lateinamerikas ist erst seit den sechziger Jahren des 20.Jahrhunderts das Interesse an dieser Thematik gewachsen. Die ersten, die dieses religionssoziologische Feld in Lateinamerika untersuchten, waren Humanwissenschaftler aus Nordamerika und Europa (woher schliesslich auch die Pfingstbewegung vordrang). Seit jedoch die pfingstlichen Kirchen begonnen haben wie Pilze aus dem Boden zu schiessen, und die Medien anfingen, das Phänomen zu reportieren, wurden auch mehr religionssoziologische Studien, Artikel und Bücher zum Thema an den lateinamerikanischen Universitäten editiert. Aus den letzten Jahren der Forschung sind zahlreiche Artikel über das Internet zugänglich. Die Revista Latinomericana de Teología Pentecostal, editiert in Peru, veröffentlicht eine interessantes Spektrum von wissenschaftlichen Beiträgen aus dem ganzen Kontinent. Verschiedene Autoren haben versucht, Erklärungsmodelle für den herausragenden Erfolg der Pentecostales aufzustellen, und doch bleibt uns ein Rätsel erhalten. Ich werde versuchen, anlehnend an die vorhanden Literatur und deren erarbeiteten Erklärungsmodelle, das Phänomen skizzenhaft zu erläutern.

1.3. Daten zur Pfingstbewegung

Die Pfingstgemeinden Lateinamerikas sind so zahlreich und so verschieden, dass eine Verallgemeinerung den einzelnen Charakteren natürlich nicht gerecht wird. Die meisten Studien befassen sich mit einer spezifischen, regional vertretenen Gemeinde. Ich möchte nun bewusst meinen Fokus auf die gesamte Verbreitung in Lateinamerika legen, wohlwissend, dass in gewissen Ländern das Phänomen viel brisanter ist als in anderen. So weisen z.B. Brasilien und Argentinien zahlenmässig die grössten Pfingstgemeinden auf (die Studien sind dementsprechend auch am reichhaltigsten), während in den mittelamerikanischen Ländern wie Guatemala, El Salvador und Nicaragua fast jeder vierte Einwohner einer Pfingstgemeinde angehört. Auch Chile (ca.14%) und Peru (ca.7%) weisen einen hohen Anteil an Pfingstlern in der Gesamtbevölkerung auf (Campos, 2003). In Bolivien hat sich die Anzahl Pfingstler seit den 1960er Jahren verfünffacht (Vargas, 2003).

Unter den weltweit meist besuchten Pfingstkirchen befinden sich die Vision del Futuro in Buenos Aires (mit ca. 80000 Besuchern pro Sonntag[2] ), die Waves of Joy and Peace in Buenos Aires (ca.70000), die Jotabeche Pentecostal in Santiago de Chile (ca.50000) und die Maduriera Assambly of God in Rio de Janeiro (ca.30000) (Synan,1997: 288).

Weltweit ist die Anzahl Angehöriger von pfingstlichen und charismatischen Gemeinden von 72´223 um 1970 auf 553´763 im 2003 gestiegen, mit einer jährlichen Wachstumsrate von 8,1 %[3]. Die Wachstumsrate der Pfingstbewegung ist in Lateinamerika im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerungswachstumsrate von 2,2% zwei bis fast vier mal so hoch (Alvarez, 2002:14).

Die Definition von Pfingstgemeinden ist in der Literatur heftig umstritten, sodass man je nach Autor verschiedene Unterscheidungskriterien findet.

Nogueira Monteiro (2003) unterteilt in klassische Pfingstgemeinden, welche meist noch von europäischen und nordamerikanischen Missionaren in Lateinamerika ins Leben gerufen wurden (z.B. Assemblẻia de Deus in Brasilien), und autonome Pfingstgemeinden oder Neopentecostalismo [4] . Diese relativ jüngere Bewegung (ab den 1960er Jahren) ist sehr heterogen und umfasst alle kleinen und grossen Gruppierungen, die nicht zur traditionellen (protestantische wie katholischen) Kirche gezählt werden, weil sie faith healing [5] (oder cura divina) praktizieren. Zu dieser Bewegung zählen sowohl kleine Hausgruppen, die gemeinsam um Heilung beten, als auch gigantische Gemeinden, wie z.B. Deus É Amor [6] oder Igreja Universal do Reino de Deus (Brasilien) oder die Ekklesia de La Paz (Bolivien), die eigene Radio- und Fernsehstationen besitzen. Diese autonomen Gemeinschaften haben den kirchlichen Charakter grösstenteils verloren, sodass gewisse Autoren von „Agenturen der cura divina “ sprechen (Chesnut, 1997).

Was allen diesen Gruppen gemeinsam ist, ist ihr Glaube, dass der Heilige Geist heute dieselben Gaben und Wunder realisiert wie an Pfingsten vor zweitausend Jahren, und der Glaube an Jesus Christus als den Retter, der bald zurückkommen wird. Des weiteren sind sie sich einig, dass Dämonen diese Welt dominieren und dass durch die Bekehrung zu Jesus die Sünden vergeben werden und im Jenseits ewiges Leben wartet. Die Bibel, so wie sie geschrieben steht, ist Gottes Wort und der absolute Massstab für das alltägliche Leben. Die Pfingstbewegung kennt an sich keine klerikale Hierarchie, sondern basiert auf der Partizipation von Laien, die sich jederzeit von ihrer Stammgruppe lösen können, um eine eigene Glaubensgemeinschaft zu gründen (Galindo, 1992).

1.4. Soziale Umstände rund um die Pfingstbewegung

Um die Erfolgsstrategien der Pfingstbewegung erfassen zu können, muss erst die soziale Umwelt der (potentiellen) Anhänger beleuchtet werden. Bei näherer Betrachtung der Glaubensgemeinschaften fällt auf, dass sich das ´Publikum´ zu hohem Masse aus Leuten der unteren bis mittleren sozialen Schicht zusammensetzt. Loreto Mariz schreibt diesbezüglich: “Die katholische Kirche entscheidet sich für die Armen, weil sie eben gerade keine Kirche der Armen ist. Die Pfingstler müssen sich nicht für die Armen entscheiden, denn sie sind schon eine Kirche der Armen. Und darum entscheiden sich die Armen für sie“ (Loreto Mariz, 1989:138). Dementsprechend erhält die Pfingstbewegung auch den Charakter einer „Unterschichtsbewegung“, die nicht viel für intellektuelle Studien übrig hat, sondern eher die emotionalen Faktoren, das persönliche Erlebnis und den individuellen Ausdruck der Gefühle aufgreift (Galindo, 1992). Das religiöse Erlebnis ist direkt mit dem Alltag verbunden und gibt den Gläubigen Antworten auf aktuelle Probleme und hat somit eine sehr pragmatische Funktion im Leben der mittellosen Menschen.

Überspitzt gesagt hat der Pentecostalismo da Erfolg, wo Analphabetismus vorherrscht, wo es an medizinischer Versorgung mangelt und die finanziellen Mittel knapp sind (Hollenweger, 1976). In anderen Worten: die pfingstlichen „Kirchen“ stehen am Rande der Grossstädte, in den favelas sowie in den meisten Dörfern von Patagonien bis Mexiko. Dieser Fakt verleitet zur Vermutung, dass die pfingstliche Bewegung genau die soziale Realität der grossen Massen in Lateinamerika erfasst hat und auf die Armut und das Elend einzugehen weiss.

Die Pfingst- Pastoren haben das soziale sowie politische Potential der Bewegung schon längst erkannt und bewegen sich immer häufiger auf politischem Terrain, das früher von der katholischen Kirche beansprucht worden war (vgl. dazu Freston (2001); für Bolivien siehe Vargas (2003); für Guatemala siehe Stoll (1990)).

II Hauptteil

2.1. Einige Aspekte des Erfolgsrezeptes

In der Debatte um Erfolgs- und Missionsstrategien der Pfingstbewegung besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Bewegung eine Antwort auf die sich im Vormarsch befindende Anomie der Gesellschaften (insbesondere) der Dritten Welt ist (vgl. Campos, 2003; Cox, 1996; Mosher, 1998; Nogueira Monteiro, 2003; Fry/Nigel, 2003). Autoren der Sozial- und Religionswissenschaften sowie Stimmen aus der Pfingstbewegung selbst sind sich einig, dass der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte, insbesondere die Kolonialisation, die vermeintliche „Unabhängigkeit“, die Industrielle Revolution und die darauf folgende vermehrte Migration und Urbanisation, der Verlust traditioneller Werte, Überbevölkerung, Unterbeschäftigung, wachsende Kriminalität, zunehmende Orientierungslosigkeit und Identitätsprobleme – um nur einige der lateinamerikanischen Realitäten zu nennen – nach neuen Perspektiven rufen (vgl. dazu u.a. Alvarez, 2002; Campos, 2003a und 2003b; Mosher,1998; Fry/Nigel 2003; Cox, 1996; Escobar, 1992:247).

Bevor ich auf meinen Kernpunkt zu sprechen komme, möchte ich einige Besonderheiten der Pfingstbewegung beleuchten, die zu ihrem Erfolg beitragen mögen. So scheint unter anderem ein wichtiger Aspekt zu sein, dass ein Grossteil der Pfingstbewegung trotz ihrer ausländischen Wurzeln von Einheimischen geprägt, geführt und verbreitet wird. Hollenweger (vgl. dazu 1997:234) nennt diese autochthonen Gruppierungen „ Criollo -Pfingstler“. Obschon die Laufbahn der Pfingstbewegung in Lateinamerika mit nordamerikanischen und europäischen Missionaren begonnen hatte, gibt es laufend neue Splittergruppen, die sich von jenen Stammgemeinden deutlich unterscheiden und sich vermehrt mit dem eigenen soziokulturellen Hintergrund identifizieren. Die importierte pfingstliche Doktrin hat in den südlichen Ländern eine Eigendynamik entwickelt, die wohl alle Erwartungen der ersten Missionaren anfangs des vergangenen Jahrhunderts übertreffen. Seit der Gründung der ersten Pfingstgemeinden in Lateinamerika hat sich die Bewegung an die neue Umgebung angepasst, was auch bedeutet, dass die Lehre und die Auslegung der Bibel besser auf die Situation und die Probleme der neuen Gemeinschaftsmitglieder abgestimmt ist.

So spricht das Evangelium bei den Pfingstlern mehr die Gefühlsebene an als den Intellekt (Mosher, 1998)[7]. Die Spiritualität wird intensiv gelebt und findet eine kollektive Äusserung in den Gebetsgemeinschaften. Die pfingstliche Bewegung schafft Raum für körperlichen und emotionalen Ausdruck von Gefühlen der Gläubigen, was wie ein Ventil für den Überdruck in marginalisierten Kreisen wirkt.

[...]


[1] Aehnliche Verbreitung erfährt die Pfingstbewegung in Nordamerika (vgl. Hollenweger, 1977; Benz, 1970; Synan, 1997), Afrika und Ostasien (vgl. Hollenweger, 1997).

[2] Diese Besucherstatistiken stammen aus dem Jahr 1983 (Towns, 1983), sind also heute sicher bei weitem übertroffen.

[3] Diese Daten stammen vom World Evangelization Research Center (2003).

[4] Der Begriff der Neopentecostales wird oft synonym zu Carismáticos verwendet (Barret, 1982).

[5] Da ich keinen passenderen Begriff für faith healing in Deutsch gefunden habe, werde ich im Folgenden weiter den englischen, bzw. den spanischen (cura divina) benützen, wobei die englische Bezeichnung noch deutlicher den Bezug von Heilung zum Glauben aufzeichnet.

[6] In São Paulo präsentiert der Pastor David Miranda der Pfingstgemeinde Deus é Amor jedes Wochenende spektakuläre Dämonenaustreibungen und Wunderheilungen vor Tausenden Zuschauern, was per Fernsehen und Radio ins ganze Land ausgestrahlt wird (Galindo, 1992:316).

[7] Hinzu kommt, dass viele Pfingstler der lateinamerikanischen Unterschicht erst durch die Bibel lesen gelernt haben. Hollenweger meint diesbezüglich, dass „die Pfingstler eine exegetische (wenn auch eine etwas unbeholfene und unkritische), während die Katholiken eine eisegetische Methode verwenden“ (Hollenweger, 1997:234). In der Praxis würde dies etwa bedeuten, dass die Criollo- Pfingstler die Bibel erst interpretieren und verkünden unter Absehung von den alltäglichen Sorgen und Fragen. Zu beobachten ist jedoch, dass die Pfingstler sehr wohl die Bibel auch vom Gesichtspunkt ihrer Situation und ihres Lebens her lesen.

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Details

Titel
Faith Healing - eine Erfolgsstrategie der Pfingstbewegung in Lateinamerika
Hochschule
Universität Zürich
Veranstaltung
'Missionsstrategien und Werbemethoden religiöser Gemeinschaften
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
23
Katalognummer
V53033
ISBN (eBook)
9783638485920
ISBN (Buch)
9783638680370
Dateigröße
550 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Faith, Healing, Erfolgsstrategie, Pfingstbewegung, Lateinamerika, Werbemethoden, Gemeinschaften
Arbeit zitieren
Silvia Schönenberger (Autor:in), 2003, Faith Healing - eine Erfolgsstrategie der Pfingstbewegung in Lateinamerika, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53033

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