Mythen und Kulte der Wassergöttin Yemanjá


Seminararbeit, 2002

36 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Einführung

1. Wassergöttinnen in Afrika
1.1. Der Götterpantheon der Yoruba
1.2. Die Flussgöttinnen Obá, Oya, Oshun
1.3. Die Flussgöttin Yemoya
1.4. Die Flussgöttin Mami Wata

2. Die Einführung der afrikanischen Religionssysteme in Brasilien
2.1. Der Sklavenhandel
2.2. Die indianischen Glaubensvorstellungen
2.3. Synkretismus der afrikanischen Religionen mit dem Katholizismus und Spiritismus
2.4. Die afroamerikanischen Religionen im heutigen Brasilien

4. Yemanjá als Beispiel religiösen Synkretismus
4.1.1. Kult der Yemanjá im heutigen Brasilien
4.1.2. Lieder für Yemanjá
4.2. Mythen der Yemanjá in Brasilien
4.2.1. Namen der Yemnajá
4.2.2. Synkretismus mit der indianischen Wassergöttin
4.2.3. Synkretismus mit der heiligen Maria
4.2.4. Umgang mit dem Ursrungsmythos in Brasilien

5. Popularität und Anziehungskraft der Yemanjá
5.1. Charakter der Yemanjá
5.2. Symbolik der Meerjungfrau

6. Schlusswort

7. Bibliographie

1. Einfürung

Es existieren unzählige Studien über die afrobrasilianischen Kultgemeinschaften, doch wenige beschäftigen sich direkt mit den einzelnen „Gottheiten“. Die wichtigsten wissenschaftlichen Quellen über den Mythos und den Kult der Wassergöttin Yemanjá stammen aus den Werken von Lydia Cabrera (1980) und Pedro Iwashita (1991), während auch der brasilianische Volksliterat Jorge Amado mit seinem Buch Mar Morto interessante Einblicke in Mystifizierung der Yemanjá im Alltagsleben der BrasilianerInnen gibt. Die Yalorixá Oluféyi (Kultoberhaupt) Ariomar Lacerda versammelte in ihrem Buch Yemanjá- A Rainha do Mar Mythen und Legenden rund um die afrikanischen, afrobrasilianischen und indianischen Wassergöttinnen. Da die Yemanjá in der Neuen Welt an Ansehen und Popularität im Vergleich zu ihrer Heimat stark zugenommen hat, existieren weit mehr Berichte und Studien über sie in Brasilien und Kuba als in ihrer afrikanischen Heimat.

Der Mythos der Yemanjá ist jedoch nur im Kontext des gesamten Götterpantheons zu verstehen. So sind die zahlreichen Studien über die westafrikanischen und afroamerikanischen Religionen und Kosmologien von unschätzbarem Wert. Einige der bedeutendsten Forscher in dieser Thematik sind Roger Bastide, Pierre Verger, Arthur Ramos, Edison Carneiro, Volney J. Berkenbrock und Rainer Flasche, um hier einige zu nennen.

Anhand dieser Quellen versuche ich, die Metamorphose der Yemanjá auf ihrem Weg von Westafrika nach Brasilien (und Kuba) aufzuzeichnen. Dabei interessiert mich, welche europäischen und indianischen Elemente ihr zu ihrer neuen Identität und ihrer herausragenden Popularität in Brasilien verhalfen. Um dies zu erreichen, muss ich den kulturellen und religiösen Wandel der Gesellschaft in der Neuen Welt erläutern, der einen eigentümlichen Synkretismus hervorbrachte, welcher eben in der Figur der Yemanjá Ausdruck findet. Weiter will ich die Frage erarbeiten, was die Wassergöttin symbolisiert und inwiefern ihr Mythos mit Mythen oder Legenden des indianischen und europäischen Kulturkreises in Verbindung gebracht werden kann.

Auf dieses Thema und diese Fragestellung bin ich gestossen, weil mir während meines Brasilienaufenthaltes auffiel, dass Yemanjá als die Mãe d‘Agua (Mutter aller Wasser) in aller Munde war, ob bei Candomblé-Anhängern oder Katholiken. Mich faszinierte das Bildnis der Meerjungfrau, das mir aus anderen Mythen bekannt war, sowie die Identifizierung mit der Jungfrau Maria aus dem Katholizismus. So machte ich mich auf die Suche nach dem Ursprung dieses Mythos und entschied dann, mich in dieses Thema zu vertiefen und eine Arbeit darüber zu schreiben.

Da fast alle Mythen und Legenden, die ich gefunden habe, in portugiesischer oder spanischer Sprache niedergeschrieben waren, habe ich versucht, sie möglichst sinngetreu ins Deutsche zu übersetzen.

2. Wassergöttinnen in Westafrika

2.1. Der Götterpantheon der Yoruba

Da ich in der Folge immer wieder auf die Yoruba zu sprechen werden kommen, will ich als erstes kurz auf ihre Religion und Kultur eingehen.

Die Yoruba waren schon vor der Kolonialzeit für ihre hochentwickelte Architektur und Stadtkultur bekannt. Ihre Stadtstaaten waren autonome Territorien, die Königen unterstanden, welche wiederum dem oni der Stadt Ife, dem geistigen Oberhaupt der Yoruba, tributpflichtig waren. Die Yoruba unterteilen sich in eine Vielzahl ethno-linguistischer Gruppen wie die Nagô, Egba, Abeokuta, Ijesha, Ijebu, Ketu, Ondo, Oyó, Ife und die Ibadan (Ramos,1947:53). Ihnen allen gemein war ihr mythologischer Schöpfer ‚Oduduwa‘ und der selbe mythologische Abstammungsort ‚Ilé Ifé‘ (= Haus in der Stadt Ifé). Das Universum der Yoruba ist erfüllt von Geistern jeder Art, und jedem dieser Orixá[1] ist die Macht über ein Naturelement oder ein Wirkungsbereich zugeteilt. So wurde jeweils ein Orixá für Krankheiten, für Blitzschläge, für Regen, Tod und alle anderen Einflüsse ins Leben der Menschen verantwortlich gemacht. Ursprünglich war jeder Orixá einer Stadt, bzw. einer Region oder einem Fluss zugeteilt und wurde in lokalen Kulten verehrt. So wurde z.B. Xangó in Oyó, Yemoja in Egba, Oggun in Ekiti und Orido als Schutzgottheiten verehrt. Jeder Orixá besitzt einen nur ihm eigenen kultischen Bereich und ein bestimmter Wochentag ist seiner Verehrung gewidmet. Während dem Fest zu Ehren eines Orixás wird dieser durch einen ganz bestimmten Trommelschlag und Gesang in die Runde der Kultgemeinschaft herbeigerufen. Der Orixá ergreift Besitz der von ihm auserwählten ‚Kinder‘[2] und „reitet“ (inkorporiert) sie. Durch den Körper und Geist der Besessenen spricht der Orixá zur Kultgemeinschaft, gibt Ratschläge und überträgt axé, eine göttliche Energie, auf die Anwesenden. Ein Orixá wählt sich “seine Kinder” aus, welche durch das Orakel, das Werfen von Kaurimuscheln, oder durch Träume auf ihren Orixá aufmerksam gemacht werden.

Was den Ursprungsmythos angeht, so variert dieser sehr, je nach Region und Quelle. Ramos (vgl.1940:265ff) hielt als erster den Ursprungsmythos der Orixás schriftlich fest und wurde von da an immer wieder in der Literatur zitiert. Über dem Pantheon der niederen (sekundären) Gottheiten, der Orixás, steht der allmächtige Himmels- und Schöpfergott Olorun oder Olodumare (Pollak-Eltz,1995)[3]. Dieser konnte nur über seine von ihm mit Kraft ausgestatteten Vermittler, den Orixás, mit den Menschen kommunizieren.

„Nach diesem Mythos schufen Obatalá[4], durch den Himmel repräsentiert, und Oduduwa, durch die Erde symbolisiert, Aganju und Yemanjá, das erste Götterpaar. Ihr Sohn Orunga verliebte sich in seine Mutter und als der Vater abwesend war, ergriff er die Gelegenheit und vergewaltigte seine Mutter. Yemanjá versuchte zu fliehen, stürtze jedoch zu Boden. Da öffnete sich ihr Bauch, Wasserströme rannen ihre Schenkel entlang, breiteten sich aus, wurden zu Meeren und sie gebar die übrigen Orixá“ (Kaspar, 1988:111ff).

An der Stelle, wo Yemanjá die Orixás gebar, wurde in Erinnerung an sie die Stadt Ifé erbaut, die zur heiligen Stadt der Yoruba wurde, bis sie im Krieg zwischen Ifé und Ibadan und Modakeke 1882 zerstört wurde.

Nach dem Mythos (Iwashita,1991:53) gabar Yemanjá die folgenden fünfzehn Orixás: Dada, Gott der Pflanzen; Xangó, Gott des Donners; Ogún, Kriegsgott und Gott des Eisens; Olokun, Gott des Ozeans; Oloxá, Gott der Seen; Oyá, Göttin des Niger-Flusses; Oshun, Göttin des Oshun-Flusses; Obá, Göttin des Obá-Flusses; Okô, Gott der Landwirtschaft; Oshosi, Jagdgott; Oké, Berggott, Ajê Shaluga, Gott der Gesundheit; Shopono, Gott der Pocken; Orum, der Sonnengott; und Oxu, Göttin des Mondes.[5]

Nach Angaben von weisen Yoruba-Oberhäuptern existieren etwa 600 Gottheiten. Doch sogar in der Herkunftsstadt der Orixás, in Ifé, sind viele Orixás in Vergessenheit geraten (Ellis, 1966) und Frobenius (1926) meinte, die Zahl der Yoruba-Götter sei unlimitiert, da täglich alte Orixás durch neue ersetzt würden. Nach Brasilien gelangten nur ca. 50 Gottheiten, von denen noch etwa 17 bekannt geblieben sind.

Das hochentwickelte religiöse System der Yoruba weist starke Ähnlichkeit mit den Religionssystemen der Nachbarvölker auf. So nennen sich die Orixás beim Nachbarvolk der Gêgê (im heutigen Benin) ‚Voduns‘ und können mit den Orixás weitgehend verglichen werden. Der oberste Orixá der Yoruba Oxalá entspricht etwa dem Olissassá bei den Gêgê, der Vermittlergott Eshú kann mit dem Gêgê-Gott Legba (oder Elegba) gleichgesetzt werden, die Flussgöttin Oxum mit der Vodun Aziri, etc.

2.2. Die Flussgöttinnen Oyá, Oxum und Obá

Laut Mythos hat der mächtige Orixá Xangô - der Gott des Donners und Blitzes, der Stürme sowie der Gerechtigkeit - drei Frauen. Oyá[6], Xangôs erste Frau, ist seine weibliche Gegenspielerin, da ihre Charakterzüge den seinen sehr ähnlich sind. In Afrika war sie die Göttin des Niger-Flusses[7], doch in Brasilien wird sie – wie Xangô – mit den Naturkräften des Gewitters und des Sturmes in Verbindung gebracht. Sie begleitet ihren Mann auf den Reisen über die Erde und während er Donner und Blitz schickt, so ist sie für die stürmischen Winde verantwortlich.

Sie wird als kämpferische, mutige, eigenwillige, autoritätsbewusste, mächtige sowie treue Frau dargestellt (Berkenbrock, 1995: 177). In Brasilien ist sie, ihrer Sinnlichkeit, ihres wilden und temperamentvollen Charakters wegen, eine der meist verehrten Orixás. Gleichzeitig wird sie wegen ihrer Beziehung zu den Toten gefürchtet. Sie ist die Königin und Mutter der eguns[8] und manifestiert sich als einzige Orixá im Axexê, der Trauerfeier im Ahnenkult.

In den vielen Mythen, die Lydia Cabrera (1980) rund um die Wassergöttinnen der Yoruba aufgezeichnet hatte, kommt zum Vorschein, dass Oyá sehr eifersüchtig auf ihre Nebenbuhlerin Oxum war, welche als Lieblingsfrau Xangôs gilt. In Afrika die Göttin des Flusses Oxum, wird sie in der Neuen Welt als Göttin des Süsswassers verehrt[9]. Damit ist Oxum auch der Orixá der Fruchtbarkeit und der Reproduktion, als auch der Schönheit, des Reichtums und der Liebe. Sie wird als eitel, eifersüchtig, verführerisch, sensibel und klug dargestellt. Daneben ist ihre speziell kindliche, kindische Natur der Oxum, die Puppen und Spielzeug liebt, hervorzuheben. Auch ist sie eine hervorragende Köchin, weshalb in den terreiros (=Kultstätte) meist die Kinder der Oxum als Köche ausgewählt werden.

Ein sehr verbreiteter Mythos über Oxum und die verzweifelte Obá – die dritte und unbeliebteste Frau Xangôs - wird von vielen Autoren beschrieben:

„Obá wollte von Oxum wissen, wie sie die Liebe zu Xangô gewinnen könne. Die spöttische Oxum legte sie herein und sagte, sie sollte ihr eigenes Ohr für Xangô kochen. Dadurch würde sie die Liebe des Mannes gewinnen. Oxum versicherte, ihr Ohr würde wieder wachsen. Obá befolgte den Rat von Oxum, schnitt ihr Ohr ab und kochte es für ihn. Damit rief sie den Zorn von Xangô hervor und verlor ein Ohr. Oxum lachte sie deswegen aus“ (Berkenbrock, 1995:178).

Obá war die Göttin des gleichnamigen Flusses in Nigeria und wird in Brasilien mit dem Wasser im Allgemeinen assoziiert. Allerdings wird sie wenig verehert und ist nicht mehr so bekannt. Da sie als sehr kämpferisch gilt, wurde sie in der Neuen Welt mit der heiligen Jean d‘Arc identifiziert. Sie repräsentiert eine alte Frau, die brav, fleissig, dem Ehemann sehr treu ist, aber missverstanden wird und in der Liebe unglücklich ist.

Diese drei Wassergöttinnen – laut Schöpfungsmythos alle Töchter der Muttergöttin Yemoja – manifestieren sich alle durch eine ihnen eigene Kleidung und Embleme in einem Tanz zu einem ihnen geltenden Trommelrythmus. Nur Obá scheint sich nicht in Menschenkörper zu inkorporieren (Giobellina Brumana, 1994:222).

Das Element Wasser wird – mit Ausnahme des Meeresgottes Olokun[10] – ausschliesslich von weiblichen Orixás dominiert. Im Yoruba-Land waren sie Schutzgöttinnen eines spezifischen Flusses, der ihnen geweiht war.

2.3. Die Flussgöttin Yemoja

Auch Yemoja[11] war in Afrika bekannt als Flussgöttin, nämlich des Ogun-Flusses[12]. Ihr Haupttempel lag in der Stadt Abeokuta, im heutigen Nigeria. Alle Forscher und Religionsoberhäupter sind sich einig, dass Yemoja einige Orixás zur Welt brachte, wobei die Zahl derer je nach Quelle stark variert, so dass die Genealogie der Orixás nicht klar definierbar ist.

Neben dem oben schon erwähnten und wohl verbreitetsten Schöpfungsmythos wird eine andere Variante von verschiedenen Autoren beschrieben:

„Zu Beginn gab es hier unten nur Feuer und glühende Steine. Olofi, der Allmächtige, wollte, dass die Welt existiere und verwandelte den Dampf der Flammen in Wolken. Aus den Wolken fiel Wasser, welches das Feuer auslöschte. In den riesigen Löchern zwischen den Felsen formte sich Olokun[13], der Ozean, der Furchtbare, den jedermann fürchtet. Aber das Meer ist auch gut, da es die Quelle des Lebens ist. Und das Wasser machte Venen in die Erde damit sich das Leben ausbreiten kann. Dies ist Yemayá- die Mutter des Wassers. Deshalb sagt man auch, dass bevor etwas existiert hatte, Yemayá ausgestreckt dalag und auf einmal sagte: „Ibí beyán odu mi: mein Leib schmerzt“, und aus ihr rannen die Flüsse, die Orixás und alles was auf der Erde atmet und lebt“ (Bolívar Aróstegui, 1990:91).

Was den beiden Urmythen gemeinsam ist, ist die Aussage, dass Yemanjá gleichzeitig die Mutter des Wassers als auch Mutter der Orixás ist und mit dem Leben schlechthin in Verbindung gebracht wird. Diese Mutterfigur werde ich zu einem späteren Zeitpunkt genauer analysieren.

Lacerda (1987) hat die Legende „Yemanjá des Nils“ festgehalten, die auch den Aspekt der Fruchtbarkeit und des Ursprungs des Lebens auf der Erde äussert:

„Eines Tages, am Anfang der Welt, schickte der Mond der Erde ein neues Wesen: einen Menschen. Dieser lebte traurig und gelangweilt als einziges Vernunftswesen inmitten der Wälder, als eines Tages eine feine Melodie seine Aufmerksamkeit erweckte. Sie kam vom Wind getragen aus der Richtung eines Flusses. Wie erschrack er, als er, sich dem Fluss nähernd, ein ihm ähnliches Wesen aus dem Wasser steigen sah, eine schöne Frau mit langem schwarzen Haar, in die er sich sofort verliebte, sie mit sich ins Wasser riss und sie mitnahm.

Aus dieser Vereinigung wurden viele und schöne Kinder geboren, die das Niltal bevölkerten und sich gegen Süden ausbreiteten und das Herz Afrikas formten und die Welt bevölkerten.

Als der Mann starb, kehrte Yemanjá ins Wasser zurück, aus desses Tiefe sie nur in Vollmondnächten emporsteigt, um zu beten und diejenigen zu segnen, die sich lieben und sich fortpflanzen“ (Lacerda, 1987:18).

Eine weitere, weniger bekannte Version des Yemanjá-Mythos hielt Verger (1981) fest:

„Yemoja war die Tochter von Olóòkun, Gott (in Benin) oder Göttin (in Ifé) des Meeres. In einer Geschichte von Ifá erscheint sie mit Orunmilá verheiratet, dem Orixá des Hellsehens, des Muschel-Orakels, und danach mit Olofin, dem König von Ifé, mit welchem sie zehn Kinder hatte […]. Als Yemoja des Aufenthaltes in Ifé müde war, floh sie in Richtung Westen. Einst hatte ihr Olóòkun aus Vorbeugung vor Gefahren einen Krug mit einem Inhalt gegeben, ‘da man ja nie wissen könne, was morgen geschehe‘. Er riet ihr, den Krug zu zerbrechen wenn sie sich einer extremen Gefahr ausgesetzt sehen würde. Und so richtete sich Yemoja im „Land des Sonnenuntergangs“, im Westen, ein. Olofin-Odùdùa, der König von Ifé, schickte sein Heer auf die Suche nach seiner Frau. Als diese umstellt war, liess sie sich nicht etwa fangen und nach Ifé zurückbringen, sondern zerbrach den Krug, wie ihr geraten wurde. In diesem Moment entstand ein Fluss vor ihr, der sie zum Ókun, dem Ozean, brachte, dem Reich des Olóòkun“ (vgl. Verger in Iwashita, 1991:48).

Bolívar Aróstegui (1990) schreibt, Yemoja sei die Frau von Babalú Ayé, von Aganju, Orunmila und Ogun gewesen. Über die verschiedenen Beziehungsvariationen besteht Uneinigkeit, doch ist dieser Aspekt gar nicht relevant für die Position, die die Muttergöttin inne hat.

Verehrt wird Yemoja in einem Oriki[14] , niedergeschrieben von Ulli Beier (1999)[15]:

„Königin der Meerestiefen,

Weltbeherrscherin.

Wenn andere sich vor dem König zu Boden werfen,

Bleibt sie ruhig sitzen.

Heilende Mutter,

Alte Zauberin,

Beherrscherin des Meeres.

Meeresstrudel,

Kampfplatz für Wind und Wasser,

Städtezerstörerin,

Flutwelle.

Wenn sie zornig ist,

Verschluckt sie Brücken.

Königin,

Mutter, deren Brüste Tränen weinen,

Mutter mit der bärtigen Vagina.

Jungfrau,

Deren Scheide spröde ist wie gterocknete Jams.

Flötespielerin,

Deren Melodie uns am Morgen erfreut.

[...]


[1] Ramos bezeichnet die Orixás als ‘sekundäre Gottheiten’. Es besteht jeoch keine Einigkeit darüber, ob sie als Geister oder Naturgottheiten betrachtet werden sollen (vgl. Figge, 1973:37ff). Die meisten Autoren sehen die Yoruba-Religion als monotheistisch, was die Orixás nicht zur Kategorie der Götter zählen würde. Ich werde in der Folge den Gottesbegriff der Einfachheit wegen jedoch weiter benützen.

[2] Im Portugiesischen werden die Begriffe Mãe-de-Santo bzw. Pãi-de Santo für die weiblichen bzw. männlichen Kultoberhäupter, und filha-de-santo bzw. filho-de-santo für die Schützlinge eines Orixás gebraucht.

[3] Die meisten Forscher setzen Olodumare und Olorum gleich. Natalia Bolívar (vgl. 1990:66) zeichnet jedoch eine Dreifaligkeit des Allmächtigen Gottes auf: Olofi, der Schöpfer, der direkten Kontakt zu den Orixás und den Menschen pflegt; Olordumare, das Naturgesetz und Olorun, die Lebensenergie an sich. Es besteht jedoch grosse Uneinigkeit in Bezug auf diesen Himmelsgott.

[4] Obatalá wird in Brasilien auch Oxalá genannt.

[5] Namen und Schreibweisen der Orixás varieren von Autor zu Autor.

[6] Oyá ist in Brasilien vor allem unter dem Namen Yansã bekannt.

[7] Einem Itan (Legende) nach, soll Oyá beim Tod Xangôs so geweint haben, dass der Fluss Niger aus ihren Tränen entstand (Berkenbrock, 1995).

[8] Egun sind die Geister der verstorbenen Ahnen und dürfen nicht mit den Orixás verwechselt werden. Das ursprüngliche Yoruba-Wort ègungún bedeutet Skelett (Vgl. Carneiro, 1991:138).

[9] Oxum (bzw. Ochún in Kuba) wird besonders in Kuba sehr verehrt (Vgl. Lydia Cabrera, 1980:55).

[10] Olokun wird vorwiegend als männlich betrachtet, obwohl er in gewissen Gegenden auch weiblicher Gestalt ist (vgl.Parrinder, 1949:45).

[11] Der Yoruba- Name Yemoja ist erst in Brasilien zu Yemanjá und in Kuba zu Yemayá mutiert.

[12] McKenzie (1997) schreibt, dass der Ogun-Fluss auch Yemoja-Fluss genannt wurde.

[13] Vgl. Schöpfungsmythos in Cabrera (1980:21). Sie hält Olokun für eine der sieben Versionen (linhas) von Yemanjá, die sogenannte Yemayá Olokun, die älteste und maskuline Version der Yemanjá.

[14] Oriki ist ein Lobgesang, der die Eigenschaften und Taten eines Orixás beschreibt.

[15] Pierre Verger hat in Abeokutá (Nigeria) dieselbe Version gefunden und hat sie ins Französische übersetzt (vgl.Verger, 1957 in Iwashita, 1991:52).

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Mythen und Kulte der Wassergöttin Yemanjá
Hochschule
Universität Zürich  (Völkerkundemuseum)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
36
Katalognummer
V53032
ISBN (eBook)
9783638485913
ISBN (Buch)
9783656795216
Dateigröße
650 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mythen, Kulte, Wassergöttin, Yemanjá
Arbeit zitieren
Silvia Schönenberger (Autor:in), 2002, Mythen und Kulte der Wassergöttin Yemanjá, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53032

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