Die Türkei als Identitätsfrage Europas


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort

2. Europa und die Türkei – Eine ewige Geschichte
2.1. Die Zeit bis zu den Kreuzzügen
2.2. Das Osmanische Reich im Mittelalter
2.3. Die Türkei ab 1923

3. Die Wunsch eines gemeinsamen Europa
3.1. Die Geschichte der Beitrittsbemühungen
3.2. Der aktuelle Stand der Beitrittsverhandlungen
3.3. Die differierenden Meinungen in der EU
3.4. Die entstehenden Schwierigkeiten

4. Was ist europäische Identität?

5. Die Möglichkeiten der EU - und deren Folgen
5.1. Ein Ja zum endgültigen Beitritt
5.2. Die Ablehnung

6. Schlussbemerkung

7. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Das Thema dieser Arbeit ist aktuell und dabei ist es egal, wann sie gelesen wird, denn die zentrale Frage nach dem Verhältnis zwischen der Türkei und der Europäischen Union verliert weder an Gewichtigkeit noch an Brisanz. Nach inzwischen vier Jahrzehnten Anwartschaft auf den EU-Mitgliedstatus drängt die Türkei, nicht zuletzt auf Grund der Ereignisse im Irak und die Zwangsabsetzung Saddam Husseins durch die USA und ihre Verbündeten,[1] mit Vehemenz in das europäische Bündnis, das ihr nicht nur militärische, sondern vor allem wirtschaftlichen und politischen Fortschritt sowie Hilfe verspricht. Es heißt, man selbst kann sich nur anhand anderer identifizieren. Wie sehr trifft dieser Spruch auf das Verhältnis zwischen Europa und dem Orient zu, dessen Vorposten die Türkei war und ist? Weder das heutige Europa noch die Türkei sind Kunststaaten neuester Zeit, sondern Folgen einer langen und wechselhaften Geschichte, hauptsächlich mit- beziehungsweise gegeneinander. Weiterhin wird die Frage nach einem gewissem Dualismus aufgeworfen. Europa auf der einen Seite und der Orient auf der anderen Seite. Es lässt sich vermuten, dass beide Regionen vernetzt sind, beispielsweise aus historischer Sicht durch Kreuzzüge, Kriege und Kolonisierung und aus kultureller Sicht durch religiöse Einflüsse beider Seiten. Wie sinnvoll ist eine Trennung zwischen Kultur und Entwicklung? Wie groß ist der Unterschied zwischen Christentum und Islam wirklich? Auch die abendländische Kirche ist nicht immer einheitlich vertreten gewesen und oft kämpften auch Christen um des Glaubens willen gegeneinander.[2] Schon damals und heute immer noch war Europa religiös geteilt zwischen römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche.

Bereits im Jahr 1961 schließt die Türkei mit der damaligen EWG ein Assoziierungsabkommen,[3] jedoch dauert es bis 1987, bis der erste offizielle Antrag auf Mitgliedschaft in der EG gestellt wird. In 1989 erfolgt darauf eine ablehnende Reaktion der EG-Kommission. Trotzdem wird weiterhin verhandelt und speziell die wirtschaftliche Zusammenarbeit wird intensiviert, so dass am 01.01.1996 die Zollunion in Kraft tritt. Im Dezember 1999 erhält die Türkei den EU-Kandidatenstatus, dem im März 2001 die Beitrittspartnerschaft folgt. „Die Staats- und Regierungschefs der 15 Mitgliedstaaten haben sich zu der grundsätzlichen Frage, ob die Türkei Mitglied der EU werden soll, in den vergangenen Jahren immer wieder völlig eindeutig festgelegt. Es gibt kein prinzipielles Nein zu einer möglichen Mitgliedschaft der Türkei aus strategischen, geographischen, kulturellen oder religiösen Gründen. Die Türkei ist ein Kandidat für den Beitritt. Sie hat Anspruch auf einen ehrlichen, fairen und objektiven Umgang mit ihrem Beitrittswunsch. In ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei und bei der abschließenden Bewertung der Beitrittsreife der Türkei wird sich die Kommission von diesen Grundgedanken leiten lassen. Eine demokratische, rechtsstaatliche, tolerante und innerlich befriedete Türkei wäre ein Gewinn für uns alle.“[4] Diese Arbeit soll auf Grund der Betrachtung der historischen Beziehungen zwischen Europa und der Türkei, einem Vergleich der Entwicklung beider Regionen und einer nachfolgenden Untersuchungen des momentanen Status darlegen, welche Beziehungen zwischen der EU und der Türkei existieren und wie diese sich auf die Entscheidungsfindung zum Beitritt auswirken. Schließlich sollen Gedankenspiele die Möglichkeiten einer positiven oder negativen Entscheidung aufzeigen und deren Folgen für Europa, die Türkei und die gesamte Welt bewusst machen.

2. Europa und die Türkei – Eine ewige Geschichte

2.1. Die Zeit bis zu den Kreuzzügen

Rein[5] geschichtlich[6] gesehen hat keine Region der Welt eine so wechselvollen Geschichte zwischen europäischen und asiatischen Mächten erlebt, wie das Gebiet der heutigen Türkei und speziell Anatolien, der Großteil des Landes. Schon 500 v. Chr. sind die Griechen im regen Austausch mit den Bewohnern Kleinasiens. Mehrere Kriege um Macht und Handel resultieren 480-479 v. Chr. in der Vertreibung der eingefallenen Perser aus Griechenland. 336-323 v. Chr. fällt das ehemalige Persien unter die Herrschaft Alexander des Großen von Makedonien, wodurch der griechisch-europäische Einfluss im gesamten vorderasiatischen Raum enorm verstärkt wird. Die griechischen Zentralgebiete werden bis 146 v. Chr. von Rom übernommen, bis 46 v. Chr. steht auch Vorderasien unter römischer Herrschaft. In einem völlig anderen Teil der Welt brechen 386 die aus den Steppen kommenden nomadischen Toba in Zentralasien ein und überrennen ganze Reiche. In Rom wird 391 das Christentum zur Staatsreligion erhoben und ein Verbot aller heidnischen Kulte ausgesprochen. Nach der Teilung des Weltimperiums 395 n.Chr. entsteht das Oströmische Reich mit reicheren Gebieten und mehr politischer Macht. Es vereint Makedonien und Anatolien. Um 550 beherrschen die türkischen Khanate Zentralasien. 627 begründen Kaiser Heraklions Reformen aus dem Oströmischen Reich das griechisch geprägte Byzantinische Reich, welches bis 1071 seine größte Ausdehnung hat. Um 751 beherrschen Türken und Tibeter ganz Westasien, während sie in Südasien von den Chinesen zurückgedrängt werden. In der Mitte des 8.Jahrhundert brechen diese Steppenreiche zusammen und werden dann von mongolischen Reiterhorden übernommen, die bis an die zurückgedrängten Grenzen Byzanz’ langen. Das Rum-Seldschukische Sultanat als Teil des Ilkhanat herrscht jetzt über Anatolien. Deren Vordringen auf Byzanz und die Inbesitznahme von Jerusalem sowie Übergriffe auf christliche Pilger und der gleichzeitige Aufstieg christlicher Frömmigkeit und Machtdrang führen zu den Kreuzzügen, die über Jahrhunderte hinweg eine tiefe Feindschaft zwischen Islam und Christentum aufbauen. Zwischen 1096 und 1291, während der ersten sieben Kreuzzüge, wechseln vorderasiatische Gebiete und rund um das Mittelmeer gelegene Regionen des Öfteren den Besitzer, ohne jedoch große Machtverschiebungen zu verursachen. Dessen ungeachtet ergeben sich Auswirkungen, die erst in der Zukunft stärker bemerkbar sein werden; das abendländische Kulturbewusstsein wird durch die Berührung und Gegenüberstellung mit der überlegenen byzantinischen und arabischen Welt[7] gestärkt und angeregt, sich den Heiden nicht unterlegen und geschlagen zu geben. Um 1300 treten die vorderasiatischen Mongolen zum Islam über und das Ilkhanat zerfällt in Kleinstaaten. Einer dieser, das Sultanat türkischer Osmanen, erobert bis 1403 den größten Teil Kleinasiens, des Balkan und lässt vom Byzantinischen Reich nur Konstantinopel übrig, allerdings fällt dieses nur 50 Jahre später ebenfalls.

Bis 1453 ist Anatolien demzufolge unter europäischer Herrschaft und von griechischer, römischer und später einer eigenen oströmischen Kultur geprägt. Die einfallenden Turkvölker leben mit den eroberten Kulturen und Völkern zusammen und belassen ihnen Glauben, Traditionen und Werte. Teilweise werden diese auch in die eigene Lebensweise übernommen. So kann man zumindest von europäischen Einflüssen auch in der Geschichte der Türken sprechen, die sich von jeher auch den Europäern zuwenden und die Araber ablehnen. Für die europäischen Staaten sind die Kreuzzüge gleichzusetzen mit einer ersten gemeinsamen außenpolitischen Aktion, die die unterschiedlichen Staaten vereinigte. Eine innere politische Einigung erwirkt erstmals Karl der Große um 800 mit seinem etwa eintausend Jahre währenden, wenn auch territorial stark zersplitterten Reich. Die äußere Bedrohung durch die vorrückenden Türken ab dem Fall von Konstantinopel führt zu einem wachsenden europäischen Bewusstsein gegen eine außereuropäische[8] Aggression.

2.2. Das Osmanische Reich im Mittelalter

Nach dem Sieg über Konstantinopel beginnt endgültig der Aufstieg des osmanischen Reiches zur bestimmenden Großmacht in Asien, Afrika und auch Europa. Innerhalb der nächsten knapp 100 Jahre vertreiben die türkischen Osmanen, einst ein kleines unbedeutendes Volk, die safawidischen Perser aus Kurdistan, erobern deren Provinzen Syrien und Ägypten, zerstören das Mamluken-Reich und zwingen den Scherif von Mekka zur Anerkennung ihres Sultans als Kalifen. In diesem Weltreich entstehen zahlreiche Handelsstraßen und Karawanenrouten, die Güter von China bis Schwarzafrika austauschen. Auch Europa nimmt regen Anteil an diesem Welthandel, allen voran Venedig. Franz I. von Frankreich schließt mit Süleiman I. ein Bündnis gegen den gemeinsamen Feind Habsburg. Die Belagerung Wiens 1529 jedoch scheitert und der erbitterte Krieg gegen die persischen Safawiden bewahrt das Habsburgische Mitteleuropa vor einem weiteren Vorrücken islamischer Truppen. Das kulturell, technisch und militärisch überlegene Weltreich der Osmanen befindet sich nun über weitere 100 Jahre in einem Gleichgewicht der Macht mit Europa und ein reger Austausch beginnt. Da in den eroberten Gebieten keine gewaltsamen Bekehrungen stattfinden, und auch der christliche Glaube weiterhin toleriert wird, entstehen in vielen Regionen des heutigen Osteuropa gemischte Gesellschaften von Moslems und Christen. Die eroberten Kulturen werden in das eigene System integriert, so sind die meisten Händler Armenier und Griechen und die Wesire, denen die Verwaltungsmacht obliegt, sind slawischer oder griechischer Herkunft. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts beginnt gleichsam der langsame Niedergang des Reiches. Während in ständigen Kämpfen die territoriale Macht zunächst gehalten werden kann, entzieht der aufblühende Indienhandel über die ostindischen Kompanien der Briten und Niederländern, welche die Waren um das Kap der Guten Hoffnung auf dem Seeweg nach Europa bringen, und die Öffnung Russlands, die einen neuen Landweg nach China begründet, dem Reich die finanzielle Grundlage seiner Existenz. Das aus seiner Mittlerrolle zwischen Asien, Afrika und Europa fallende Reich verliert den Anschluss an das aufstrebende Europa. Nach empfindlichen Landverlusten gegen Russland sind es 1854 Großbritannien und Frankreich, die mit dem Osmanischen Reich zusammen dem Zaren den Krieg erklären. Wichtigstes Ergebnis dieses Krimkrieges ist die Erklärung der europäischen Großmächte, das Osmanische Reich als Einheit zu erhalten. Doch führen weitere Aufstände und Kleinkriege bis 1914 zu einem Verlust fast aller europäischen und afrikanischen Besitzungen. Jetzt setzt man auf ein Bündnis mit dem starken Deutschen Reich, verliert jedoch nach dem 1. Weltkrieg im Frieden von Sèvres alle nicht türkischen Gebiete. Von 1919 bis 1923 führen türkische Nationalisten unter Mustafa Kemal Pascha[9] einen Unabhängigkeitskrieg und vertreiben alle ausländischen Mächte aus Anatolien. Nach der Entthronung Mohammed VI. wird 1923 die Republik ausgerufen und Atatürk zum ersten Präsidenten gewählt.

Mehrere Jahrhunderte kämpfen Europäer und Osmanen um die Vorherrschaft auf dem Balkan. Neben dieser ständigen kriegerischen Auseinandersetzung erfolgt dennoch ein immenser Kultur- und Wissensaustausch, von dem zuerst nur die entwicklungstechnisch rückständigen europäischen Mächte und erst später die wegen ihres Stillstandes überholten Osmanen profitieren. Zu der Zeit der größten Ausdehnung des Osmanenreiches werden Verträge und Abkommen mit europäischen Mächten geschlossen, die eine Gleichstellung und Zusammenarbeit beinhalten. Der Handel blüht Jahrhunderte lang und führt wenn nicht zu einer Vermischung der verschiedenen Kulturbereiche, so zumindest zu einem Austausch. Während Europa auf technischer, politischer, militärischer und philosophischer Ebene enorme Vorsprünge gegenüber der restlichen Welt ausbaut, sucht man sich zu identifizieren. Hauptsächlich durch Abgrenzung zum Islam und zu orthodoxen Osten. Die klerikale Vormachtstellung wird überwunden und die Aufklärung als folgenreichste Strömung der letzten Jahrhunderte setzt ein. Der Beginn der Kolonisierung der Welt durch die entdeckungslustigen Europäer markiert erneut einen Punkt der Einigkeit, denn auch wenn die Staaten untereinander Zwistigkeiten führen ist es doch erneut ein Kampf Wir gegen die Anderen.

[...]


[1] In Ermangelung eines aktuellen Buches siehe www.uoi-institut.de/irakkrieg.htm

[2] Der Dreißigjährige Krieg wurde ausgelöst durch aufständische Protestanten gegen Katholiken.

[3] Texte im Official Journal of the European Communities. Volume 16, No C113 vom 24. December 1973.

[4] Aus: "Eine demokratische, rechtsstaatliche, tolerante und innerlich befriedete Türkei wäre ein Gewinn für uns alle" von Günter Verheugen, Plenardebatte des EP über die Türkei, Strasbourg, 04.06.2003.

[5] Alle Daten siehe Ploetz und Haywood Historischer Weltatlas.

[6] Sofern nicht anders gekennzeichnet beziehen sich alle Jahreszahlen auf nach Christi Geburt.

[7] Vgl. Heine, Peter: Islam in Europa als Problem einer europäischen Identität. In Kutz; Weyland: europäische Identität. S. 259 f..

[8] Zumindest aus damaliger Sicht hörte Europa lange vor dem Balkan auf.

[9] Später Kemal Atatürk (*1881 - †1938).

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Türkei als Identitätsfrage Europas
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften)
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V52474
ISBN (eBook)
9783638481786
ISBN (Buch)
9783656790174
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Türkei, Identitätsfrage, Europas
Arbeit zitieren
B.A. Stephan Mehlhorn (Autor:in), 2003, Die Türkei als Identitätsfrage Europas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52474

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