Was ist Kultur?

Über die Kontroverse um ein wissenschaftliches Konzept, und ob dessen Aufgabe möglich ist


Seminararbeit, 2005

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt:

A Einleitung

B Hauptteil
1. Die Kontroverse
1.1. Die Kritik am Kulturkonzept
1.1.1. Verschiedenste Definitionen
1.1.2. Personifizierung
1.1.3. Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit
1.1.4. Homogenität und innere Geschlossenheit
1.1.5. Othering
1.2. Argumente für die Beibehaltung
2. Die Lösung
2.1. Die Abschaffung des Kulturkonzeptes
2.2. Die Modifikation des Kulturkonzeptes
3. Die Durchführbarkeit der Abschaffung

C Schluss

D Literaturverzeichnis

A Einleitung

In der Postmodernen Ethnologie, beginnend in den 1970ern, kam eine gewisse Skepsis gegenüber den bis dato als selbstverständlich geltenden Methoden und den zugrunde liegenden Konzepten auf: Es wurde unter anderem in Frage gestellt, mit wel-chem Recht der Ethnologe sein „Studienobjekt“ erforschen und seine Ergebnisse - als wahr postuliert - in einer Repräsentation fixieren darf.

Zwar gewann die ethnologische Disziplin durch die Beschäftigung mit diesen problematischen Fragestellungen neue Einsichten, die das Fach nachhaltig und vermutlich unwiderruflich prägten.

Doch muss man sich bewusst sein, dass die meisten postmodernen Ansätze noch immer Diskussionen in den Reihen der Experten auslösen.

Somit wird klar, dass es im Allgemeinen nicht darum gehen kann, eine bestimmte Theorie durch Abwägen von Argumenten als einzig wahre zu postulieren. Es geht lediglich darum, darzustellen, welche Kontroversen es um bestimmte „Selbstverständ-lichkeiten“ wie Methoden der Feldforschung - oder gar Feldforschung per se -, wissenschaftliche Repräsentation des Erforschten, und verschiedene Konzepte oder Begrifflichkeiten gibt, und einen eigenen Standpunkt zu entwickeln.

Ich möchte in meiner Abhandlung insbesondere auf das Kulturkonzept eingehen und anhand der in der wissenschaftlichen Literatur geäußerten Kritik, sowie einigen Ansätzen von Befürwortern des Konzepts herausarbeiten, welche Möglichkeiten existieren, mit diesem wissenschaftlichen Konstrukt umzugehen. Oder ist es gar besser, es vollständig aufzugeben? Selbst wenn das der vernünftigere Weg wäre, ist es praktisch überhaupt möglich, das Konzept „Kultur“ abzuschaffen?

Bevor man sich diesen Fragestellungen nähert, gilt es zunächst, die Hauptkritik-punkte zu präsentieren, die gegenüber bestimmten Anwendungen des Begriffs „Kultur“, oder auch dem Konzept an sich geäußert wurden.

Hauptteil

1. Die Kontroverse

1.1. Die Kritik am Kulturkonzept

1.1.1. Verschiedenste Definitionen

Was ist Kultur?

An der Beantwortung dieser Frage haben sich Ethnologen seit langer Zeit versucht, und sie sind zu den verschiedensten Ergebnissen gelangt. Davon zeugt auch das Werk von Kroeber und Kluckhohn (1963), in dem über hundert inhaltlich teilweise stark differierende Definitionen abgedruckt sind.

Für Roger Sanjek[1], der von Borofsky (1994:313) zitiert wird, ist Kultur:

„(…) under continuous creation – fluid, interconnected, diffusing,

interpenetrating, homogenizing, diverging, hegemonizing, resisting,

reformulating, creolizing, open rather than closed, partial rather than

total, crossing its own boundaries, persisting where we don’t expect it

to, and changing where we do” (622)

Diese Definition macht deutlich, wie viele Attribute sich dem Begriff „Kultur“ zuordnen lassen und dass es wohl unmöglich ist, sämtliche Merkmale in einer Umschreibung zu vereinen, ohne Widersprüche hervorzurufen.

Für einige Wissenschaftler mag das schon Grund genug sein, dem Kulturbegriff skeptisch gegenüberzustehen. Für die meisten Kritiker des Konzeptes sind es aber die teilweise irreführenden Definitionen, welche unerwünschte und falsche Konnotationen beinhalten, die als problematisch eingestuft werden.

Darauf will ich im Folgenden näher eingehen, indem ich auf den Vorwurf seitens mancher Ethnologen zu sprechen komme, gewisse Verwendungen des Begriffs stellten „Kultur“ als Ding, ja als lebendiges Wesen dar.

1.1.2. Personifizierung

Robert Borofsky weist in „Assessing Cultural Anthropology“ (1994:245) auf die Gefahr hin, die seiner Meinung nach dem Begriff „Kultur“ innewohnt: Er wird in einer Art und Weise verwendet, die „Kultur“ als Wesen, als lebendiges Ding erscheinen lässt.

Auch Keesing (1994:301) kritisiert, dass durch den „all-inclusive“ Gebrauch des Begriffs, also Ausdrücken wie „die balinesische Kultur“, diese automatisch als ein konkretes Ding verstanden wird:

„I will suggest that our conception of culture almost irresistibly leads

us into reification and essentialism. (…) Of course, we profess that we

don’t really mean that ‘Balinese culture’ does or believes anything, or

that it lives on the island of Bali (…); but I fear that our common ways

of talk channel our thought in these directions”

Zwar lenkt Keesing ein, dass unter Ethnologen bereits ein stärkeres Bewusstsein dieser Problematik vorhanden ist (1994:303).

Dennoch befürchtet er, diese Verwendung, die längst in den populären Sprachgebrauch übergegangen ist, könnte bei den Menschen des erforschten Volkes oder der erforschten Gemeinschaft eine Haltung gegen den Wissenschaftler auslösen. Dieser würde dann als Dieb angesehen werden, der ihre Kultur „auf dem akademischen Markt“ verkauft (307), und würde somit unerwünscht sein.

Eine weitere negative Eigenschaft eines solchen verdinglichenden Kulturbegriffs sind die Implikationen von Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit, die entstehen können, wenn man eine kulturelle Einheit einmal als solche identifiziert und als gegeben postuliert hat. Welche Auswirkungen das hat, wird im nächsten Kapitel erörtert.

1.1.3. Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit

Für Borofsky (1994:315) gibt es keinen Zweifel daran, dass in der Ethnologie und beim Verfassen von Ethnografien einst „atemporal“ vorgegangen wurde. Das bedeutet, die Vergangenheit und die Gegenwart wurden zu einer Art „ethnografischen Gegenwart“ vermengt, welche somit nicht die beobachtete Realität wiedergab, sondern eher das, „was hätte sein können“. Borofsky räumt zwar ein, dass die zeitgenössische Ethnologie von dieser Vorgehensweise Abstand nimmt (317). Die „Dimension von Zeit“ (315 ff.) nimmt seiner Meinung nach heute dennoch - oder gerade deshalb? - eine kritische Stellung innerhalb der Kulturwissenschaften ein: Die Ethnologen sind sich dessen bewusst geworden, dass Zeit eine wichtige Rolle für die Authentizität ihrer Ergebnisse spielt, denn eine Kultur - oder das, was man als solche identifizierte - verändert sich im Laufe der Zeit.

[...]


[1] Sanjek, Roger 1991: The Ethnographic Present. In: Man 26,4: 607-628

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Was ist Kultur?
Untertitel
Über die Kontroverse um ein wissenschaftliches Konzept, und ob dessen Aufgabe möglich ist
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
15
Katalognummer
V52391
ISBN (eBook)
9783638481182
ISBN (Buch)
9783638826853
Dateigröße
420 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kultur, Proseminar
Arbeit zitieren
Silke Stadler (Autor:in), 2005, Was ist Kultur?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52391

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