Nunavut. Der Kompromiss in der Arktis


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Vorgeschichte
1.1. Erste Kontakte mit Weißen
1.2. Beispiele für den Wandel der Inuit-Gesellschaft
1.2.1. Demographie
1.2.2. Bildung
1.2.3.Strafrecht
1.2.4. Allgemeine Folgen des staatlichen Eingreifens
1.2.5. „Modernisierung“ und „Ethnisierung“

2. Nunavut
2.1. Der Weg nach Nunavut
2.2. Nunavut Land Claims Agreement und Nunavut Act
2.3. Probleme in Nunavut
2.4. Kritiken zu Nunavut
2.5. Inherent Right of Self-Government und Non-Ethnic Government

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Das Schicksal der Inuit unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem anderer „First Nations“ in Kanada. Kontakte mit Weißen erfolgten erst spät, Inuit wurden nie in Reservatio-nen angesiedelt und waren auch nicht dem „Indian Act“ unterworfen.

Im Gegensatz zu dem noch immer gern in den Medien verbreiteten Bild, sind die Inuit schon lange keine einfachen Jäger und Sammler mehr, sondern betrachten sich als ein eigen-ständiges, modernes Volk, daß gewillt ist, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

Nach Meinung vieler Inuit stellt ein Mittel dazu das 1999 geschaffene riesige Territorium Nunavut dar, was in Inuktitut, der Sprache der Inuit soviel bedeutet wie „Unser Land“.

Das erste Mal haben damit Ureinwohner auch Regierungsgewalt über ihre weißen Mitbe-wohner. Wie es dazu kam, welche Probleme, Kritiken und Aussichten rund um das Projekt Nunavut existieren, soll Thema dieser Arbeit sein.

1. Vorgeschichte

1.1. Erste Kontakte mit Weißen

Zu ersten Kontakten der Inuit in Nord-Kanada mit Weißen (oder „Qallunaat“ in Inuktitut) kam es im Vergleich zu anderen Ureinwohnern Kanadas relativ spät. Es lassen sich dabei verschiedene Phasen und Faktoren unterscheiden, die in ihrer Bedeutung für und dem Grad der Einflußnahme auf die Inuit differieren.

Die ersten Veränderungen für die Inuit-Gesellschaft brachten seit Anfang des 19. Jahr-hunderts soziale und auch sexuelle Kontakte mit Walfängern, mit denen die Inuit regen Tauschhandel betrieben und dadurch erstmals in den Besitz westlicher Errungenschaften (Gewehre, Werkzeuge usw.) gelangten[1].

Nach dem Niedergang der Walindustrie etablierte Anfang des 20. Jahrhunderts die Hudson Bay Company (HBC) viele Handelsposten in der Region und animierte die Inuit zum Einstieg in den Pelzhandel. Pelztierjagd und Fallenstellerei brachten für kurze Zeit relativen Wohl-stand, führten aber zu ökonomischer Abhängigkeit der Inuit und deren Einbindung in das Auf und Ab der kommerziellen Welt der Weißen[2].

Parallel zur HBC intensivieren christliche Missionare ihre Aktivitäten im hohen Norden. Sie kreieren unter anderem die Schrift für das Inuktitut, die noch heute im Gebrauch ist[3]. Das tra-ditionell animistische und schamanenbasierte Glaubenssystem der Inuit trifft auf die konkur-rierenden westlichen Wertesysteme der Missionare. Roberts nennt als prägende Faktoren für diese Zeit die ökonomische Sklaverei durch die HBC und die moralische Sklaverei durch die Missionare[4].

Ebenfalls im gleichen Zeitraum beginnt die kanadische Regierung ein Auge auf die polaren Gebiete zu werfen und etabliert mit der Errichtung von Posten der Royal Canadian Mounted Police (RCMP) ihre Oberhoheit.

All diese Faktoren führten konsequenterweise dazu, daß spätestens in den 30er/40er Jahren des 20. Jahrhunderts die Inuit völlig abhängig vom Pelzhandel waren, umgeben und beein-flußt von fremden religiösen und sozialen Kontrollsystemen[5].

Der nun erfolgende Zusammenbruch des Pelzmarktes trifft die Inuit daher mit voller Härte und stellt eine ökonomische und soziale Katastrophe dar. Gleichzeitig kommt es durch den Rückgang der Karibupopulation zur Hungersnot, was in den 50ern zum Eingreifen der Re-gierung auch aus humanitären Gründen führt.

Dieser Eingriff ist von zentraler Bedeutung für die Inuit-Gesellschaft, da es infolgedessen zu den tiefgreifendsten Veränderungen kommt. Die zuvor in wechselnden Jagdcamps lebenden, familienbasierten, halbnomadischen Gruppen (selten über 50 Menschen) wurden seit 1950 aus administrativen Gründen, zur effektiveren Kontrolle und zur besseren Verteilung von Leistungen vereinigt und in permanenten Siedlungen seßhaftgemacht. In den neuen Orten (Zentren waren im Westen Inuvik und im Osten Frobisher Bay, heute Iqaluit) wurden Schulen und Krankenhäuser errichtet, westliche Verwaltungsapparate etabliert, Wohnungsbaupro-gramme aufgelegt usw. usf[6]. Die Folgen des staatlichen Eingreifens werde ich jetzt anhand ausgewählter Beispiele untersuchen.

1.2. Beispiele für den Wandel der Inuit-Gesellschaft

1.2.1. Demographie

Bis in die 50er Jahre hinein kam es immer wieder zu Epidemiewellen unter den Inuit durch von Weißen eingeschleppte Krankheiten (v.a. Tuberkulose, Masern und Grippe).

Der Zugang zu besserer medizinischer Versorgung in den neuerrichteten Krankenhäusern führte bei den Inuit zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion, so daß die Gesamt-population von 1951 6800 auf 1981 17000 und 2001 ca. 43000 anstieg[7]. Damit stellen die Inuit die jüngste und schnellstwachsende Bevölkerungsgruppe in Kanada, mit einem Durch-schnittsalter von 21 Jahren im Vergleich zu 33 Jahren in Gesamt-Kanada (1991)[8].

Nach Roberts ist die Altersgruppe zwischen 15 und 64 ein guter Indikator für das wirtschaft-liche Entwicklungspotential, das besonders gut ist, wenn dieser Anteil über 60% beträgt.

Bei den Inuit hingegen sind nur 45% in diesem „produktionsfähigen“ Alter und da es durch die große Zahl an jungen Menschen mehr Konsumenten als Produzenten gibt, führt das zu einem Mißverhältnis von Menschen und Investitionsmitteln, was wiederum in schlechter wirt-schaftlicher Gesamtsituation resultiert[9]. Diese Theorie erscheint mir jedoch nicht ganz schlüssig, da die hohe Arbeitslosigkeit bei den Inuit im „produktionsfähigen“ Alter dem doch offensichtlich widerspricht und ein noch höherer Anteil der 15- bis 64jährigen sicher nicht eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt bewirken würde. Eher scheint mir einleuchtend, daß es in den Inuit-Gebieten nur ein begrenztes Angebot an Lohnarbeit gibt und dieses nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten kann.

1.2.2. Bildung

1950 waren 95% der Inuit Analphabeten[10], da die Inuit-Gesellschaft eine orale war und bis zur Einführung der Schrift durch die Missionare keine solche kannte.

In den neuen Siedlungen gründete die Regierung Schulen und führte die allgemeine Schul-pflicht ein. Dabei wurden die Eltern vor die Wahl gestellt, ihre Kinder entweder in Internate zu schicken oder selbst in die Siedlungen zu ziehen; andernfalls erhielten sie keine Familien-beihilfe[11]. Der Unterricht erfolgte nach dem Prinzip des „cultural replacement“, d.h. es gab keine indigenen Lehrkräfte, Englisch war alleinige Lehrsprache, Stundenpläne und Lehrmaterialien kamen aus Süd-Kanada und waren völlig nach euro-kanadischen Werten aus-gerichtet[12]. Logischerweise führte das zum Verlust von traditionellen Vorstellungen, Bräuchen, Werten und der Sprache sowie zum Entstehen einer Kluft zwischen Eltern- und Kindergeneration. Um die High School zu besuchen, mußten die Schüler ihre Heimat ver-lassen und in die großen Orte des Südens ziehen, was zusätzliche Entfremdung zur Folge hatte. Diese Konflikte sind sicher ein Grund für die hohe Zahl an Schul- und Studienab-brechern, resultierend in schlechten oder keinen Arbeitsplätzen[13].

Roberts beschreibt das Dilemma so: Zu viele junge Menschen sind schlecht für die wirtschaft-liche Entwicklung (siehe unter 1.2.1.); die Inuit-Jugendlichen haben aber durch die Schule genährte moderne /westliche Vorstellungen und Ziele; diese sind jedoch schwer erfüllbar wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage; ergo ist das Ergebnis allgemeine Frustration, Unzufriedenheit usw.[14]

Arnaquq nennt als zusätzliche Ursache der sozialen Probleme in den Inuit-Gemeinden die Ge-fangenschaft der jungen Inuit zwischen den zwei Kulturen Elternhaus und Schule[15].

Seit Ende der 70er Jahre kommt es zu einer allmählichen Verbesserung im Bildungssektor.

Inuit-Lehrer werden eingestellt, was zu einer merklichen Verbesserung der Lehrer-Gemeinde-Beziehung beiträgt, Inuktitut wird auch Lehrsprache (erstes Lehrmaterial gibt es jedoch erst in den 80ern), es entstehen Lehr- und Lernzentren, die Arbeitsmaterialien und Literatur in Inuk-titut herausgeben und 1994 gibt es den ersten Inuktitut-Lehrplan. Allgemein erfolgt eine De-zentralisierung des Bildungssystems, d.h. es wird nicht mehr alles von der Bundes- oder Territorialregierung vorgegeben und immer mehr Inuit arbeiten in der Administration[16].

Arnaquq nennt beispielsweise Zahlen für die Region Baffin Island, wo 1993 von ca. 200 Lehrern 40, von 20 Schulrektoren 3 und von 4 Schulaufsehern 1 Inuit waren[17]. Für das Jahr 2000 sollte der Gesamtanteil an Inuit auf 50% ansteigen[18], doch konnte ich das im Rahmen dieser Arbeit nicht überprüfen.

Trotz der offensichtlichen Bemühungen um Verbesserung gab und gibt es (auch im Bezug auf Nunavut) noch viele ungelöste Probleme und Konflikte. So besteht z.B. immer noch ein Teil des Lehrkörpers aus wechselnden Saisonlehrern aus Süd-Kanada, die kein Inuktitut sprechen, den kulturellen Hintergrund und die anderen Kommunikations- und Wertesysteme ihrer Schüler nicht verstehen. Um dem Abhilfe zu leisten, bieten viele Inuit-Gemeinden heute „Orientierungskurse“ für neue Lehrer an, sozusagen „Inuit-Crash-Kurse“.

Kommunikationsprobleme treten auch dadurch auf, daß Inuit in Inuktitut unterrichten, die Mehrzahl der Schulleiter aber immer noch Weiße sind, die somit gar nicht verstehen, was diese Lehrer unterrichten. Auch bemängelt Arnaquq, daß die Lehrerausbildung immer noch größtenteils in Englisch erfolgen würde[19].

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gefährdung der Rolle der Alten als Bildungsvermittler und der absehbare Verlust der oralen Tradition, da Informationen auch bei den Inuit heutzu-tage vor allem über Printmedien, Fernsehen, Radio und Internet verbreitet werden.

Rachel Attitug Quitsualik faßt das so zusammen: „Inuit youth are today educated in class-rooms, watch WWF wrestling and the latest sitcoms, and listen to the Spice Girls and Marilyn Manson.“[20]

[...]


[1] Roberts 1983: 301.

[2] Ebd.: 302.

[3] Arnaquq 1993: 108.

[4] Roberts 1983: 302.

[5] Ebd.: 303.

[6] Fleras und Elliott 1992: 111; Roberts 1983: 304.

[7] Roberts 1983: 304f; http://npc.nunavut.ca/

[8] Tomaszewski 1996: 83.

[9] Roberts 1983: 305.

[10] Ebd.: 306.

[11] Arnaquq 1993: 109.

[12] Roberts 1983: 306; Arnaquq 1993: 109.

[13] Arnaquq 1993: 109.

[14] Roberts 1983: 306.

[15] Arnaquq 1993: 110.

[16] Ebd.: 110f.

[17] Ebd.: 111.

[18] Ebd.: 112.

[19] Arnaquq 1993: 111.

[20] http://www.nunavut.com/nunavut99/english/change.html

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Nunavut. Der Kompromiss in der Arktis
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Ethnologie)
Veranstaltung
Minderheitenpolitik im indianischen Amerika
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V52082
ISBN (eBook)
9783638478854
ISBN (Buch)
9783656722335
Dateigröße
513 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nunavut, Kompromiss, Arktis, Minderheitenpolitik, Amerika
Arbeit zitieren
Kay Ramminger (Autor:in), 2003, Nunavut. Der Kompromiss in der Arktis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/52082

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