Sind in Deutschland im 21. Jahrhundert neue Formen von Antisemitismus vorzufinden?

Eine Untersuchung unterschiedlicher Formen des Antisemitismus


Hausarbeit, 2019

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff Antisemitismus

3. Die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus bis Ende des 20. Jahrhunderts
3.1. Die Formen des Antisemitismus bis Ende des 20. Jahrhunderts
3.1.1. Religiöser Antisemitismus
3.1.2. Wirtschaftlicher Antisemitismus
3.1.3. Politischer Antisemitismus
3.1.4. Rassenantisemitismus
3.2. Entwicklung von und Umgang mit antisemitischen Vorurteilen nach 1945

4. Der „neue Antisemitismus“ im 21. Jahrhundert
4.1. Analyse neuer Formen des Antisemitismus
4.1.1. Israelkritik und Antizionismus
4.1.2. Sekundärer Antisemitismus
4.1.3. Islamischer Antisemitismus

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wenn man heutzutage den Begriff „Antisemitismus“ hört, verbindet man damit vor allem den Massenmord an sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten im Dritten Reich. Dabei vergisst man, dass das Phänomen des Judenhasses keine Erfindung des nationalsozialistischen Regimes war . Die Wurzeln liegen viel tiefer in der Geschichte, als man vorerst annehmen würde. Dennoch kann gesagt werden, dass der Judenhass im Rassenantisemitismus Mitte des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt gefunden. Es stellt sich daher die Frage, ob man mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes auch von einem Ende des Antisemitismus sprechen kann. Der Schock und die Schuld, die das NS-Regime in Deutschland nach seinem Zusammenbruch hinterlassen hat, sind nun 74 Jahre her. Dennoch lassen sich vermehrt antijüdische Tendenzen feststellen – sei es heute in Reden von Politikern der Alternative für Deutschland (AfD) oder auf Demonstrationen und in den Medien geäußerte Israel-Kritik.

Ob es sich bei den kritischen Aussagen und Handlungen, um eine neue Form von Antisemitismus im 21. Jahrhundert handelt, soll in dieser Arbeit geklärt werden.

In der folgenden Hausarbeit wird zunächst auf die Problematik des Begriffs „Antisemitismus“ und dessen Verwendung in der Hausarbeit eingegangen. Im ersten Teil wird die Geschichte des Antisemitismus erklärt. Dabei wird auf die einzelnen Vorurteile eingegangen, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben. Nach dem Rassenantisemitismus, der als Höhepunkt der antisemitischen Geschichte gilt, wird die Entwicklung der deutschen Einstellung gegenüber Juden nach dem zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 2000 erläutert. Der Hauptteil der Hausarbeit beschäftigt sich mit den heutigen Phänomenen des Antisemitismus. Nach der Analyse soll beantwortet werden können, ob man bei diesen Formen des Antisemitismus von neuen Formen sprechen kann. Ebenso muss geklärt werden, wie sich antijüdische oder jüdisch-kritische Formen auf die Gesellschaft auswirken.

2. Der Begriff Antisemitismus

Der Begriff Antisemitismus ist in der Hinsicht schwierig, dass ihm verschiedene Bedeutungen zugeschrieben werden können. Der Begriff umfasst das Phänomen des Judenhasses. Da es aber verschiedene Formen von Judenhass gibt, die sich im Laufe der Geschichte entwickelt haben, stellt sich die Frage, ob der Begriff Antisemitismus alle Formen in sich vereinigt oder nur eine spezielle Form von Judenhass darstellt. „Der Begriff Antisemitismus wurde 1879 (…) [zum ersten Mal verwendet], um die Form einer sich wissenschaftlich verstehenden und säkular begründeten Ablehnung von Juden von der alten, nur emotionalen und religiösen Antipathie abzuheben“ (Bergmann 2002: 6). Dem Ursprung nach handelt es sich also eigentlich um eine spezielle (neue) Form von Judenhass. In der Literatur wird heute meistens, wenn es um das Thema Judenhass geht, der Begriff Antisemitismus verwendet. In der Hausarbeit wird der Begriff Antisemitismus als „übergreifender Terminus“ (Bergmann 2002: 6/7) für das Phänomen Judenhass genutzt. Wird von verschiedenen Formen von Judenhass gesprochen, wird zusätzlich das passende Adjektiv an das Wort Antisemitismus hinzugefügt.

3. Die Entstehung und Entwicklung des Antisemitismus bis Ende des 20. Jahrhunderts

Darstellungen von Juden lassen sich schon in der Antike finden, allerdings halten sich dort positive und negative Darstellungen in der Waage. Wenn es zu Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Juden kam, war dies „konkrete(n) Interessenkonflikte(n)“ geschuldet, bei denen „je nach Lage ganz spezifische Eigenschaften an den Juden als bedrohlich empfunden oder verachtet“ worden sind (Bergmann 2002: 9). Der Hauptauslöser der jahrhundertealten Judenfeindschaft stellt die Entstehung einer neuen Religion dar: das Christentum. Mit der Begründung des Christentums geht die erste Form des Antisemitismus einher: der religiöse Antisemitismus.

3.1. Die Formen des Antisemitismus bis Ende des 20. Jahrhunderts

3.1.1. Religiöser Antisemitismus

Mit dem religiösen Antisemitismus, auch Antijudaismus genannt, ist der traditionelle christliche Antisemitismus gemeint. Nach der Schaffung des Christentums standen die Christen dem Judentum zunächst ambivalent gegenüber. Die Juden waren für die Christen nur Anhänger einer alten, verworfenen Religion, die noch zum Christentum bekehrt werden mussten. Das, was die Beziehung zwischen Christen und Juden hauptsächlich prägte, war der sogenannte „Glaubensstreit“ (Beller 2007: 21). Dieser „Glaubensstreit führte dazu, dass die (…) Christenheit die Juden offiziell als zu schützende, aber unterdrückte Minderheit behandelte“ (Beller 2007: 21). Die Beziehung war also von Schutz und Hass geprägt. Der Hass machte sich in verschiedenen Anschuldigungen seitens der Christen bemerkbar. Über mehrere Jahrhunderte hinweg entwickelten sich die Anschuldigungen Juden seien „Christusmörder“ (Bergmann 2002: 9/10), würden „Ritualmorde an christlichen Kindern“ begehen (Beller 2007: 23) sowie „Hostienschändungen und Brunnenvergiftungen“ durchführen (Beller 2007: 24). Praktische Auswirkungen zeigten sich neben den Anschuldigungen darin, dass die Juden kennzeichnende Kleidung tragen mussten (Beller 2007: 24), „Synagogen verwüstet wurden“ und „Gesetze erlassen [wurden], welche die Konversion von Christen zum Judentum verhindern, Ehen zwischen Juden und Christen unterbinden, Juden den Besitz christlicher und heidnischer Sklaven verbieten und sie aus dem öffentlichen und staatlichen Leben verdrängen sollten“ (Bergmann 2002: 10).

Extreme Auswirkungen dieses über Jahrhunderte geschürten Hasses gegenüber Juden, der zum „integralen Bestandteil der [christlichen] Lehre“ (Bergmann 2002:10) wurde, zeigte sich in den Verfolgungs- und Vertreibungswellen zwischen dem späten 13. Jahrhundert und dem 15. Jahrhundert (Bergmann 2002: 12). Die Verfolgungen hörten danach allerdings nicht auf. Ein weiterer Höhepunkt des religiösen Antisemitismus stellt die Begründung des Protestantismus dar. Martin Luther hat sich ebenso wie die Christen gegen die Juden gestellt, da sie nicht seiner Religion angehörten und in diese auch nicht konvertieren wollten (Beller 2007: 25). Mit Martin Luther wurde im 16. Jahrhundert der religiöse Antisemitismus vom Christentum auf den Protestantismus erweitert.

3.1.2. Wirtschaftlicher Antisemitismus

Durch die Anschuldigungen und die Ausgrenzung der Juden infolge des religiösen Antisemitismus wurden sie in einen bestimmten wirtschaftlichen Sektor getrieben. Die wirtschaftliche Einschränkung begann dabei schon vor dem 11. Jahrhundert (Beller 2007: 23). Eine zunehmende Beschränkung der Berufe entstand ab dem 12. Jahrhundert, indem es zu einer „Konzentration der Juden im Gewerbe des Geldverleihs“ kam (Beller 2007: 24). Die Verbindung und Identifikation der Juden mit Geld ist daher schon sehr früh entstanden. „Von der Kirche [wurden die Juden auf den] als `Wucher` verdammten Geld-, Pfand- und Kleinhandel eingeschränkt“ (Beller 2007: 11). Durch eine Änderung des Judenschutzes auf die Städte, die sogenannten „Judenordnungen“, Verfolgungs- und Vertreibungswellen und die Vertreibung der Juden „vom städtischen Markt“ wurde die „jüdische Berufsstruktur“ ab dem Spätmittelalter erneut verkleinert (Bergmann 2002: 12/13). „Das Wiederaufkommen der Hofjuden als der Finanziers von Kaisern, Königen und Fürsten verstärkte den Stereotyp des Juden als den Geldmenschen“ erneut (Beller 2007: 25). Eine bekannte Darstellung dieses Stereotyps war „Shylock, ein jüdischer Geldverleiher, der sein christliches ´Pfund Fleisch` verlangt“ (Beller 2007: 25). Die Zeit, in der sich dieses Bild weiter entfalten konnte, war indirekt die Aufklärung. Zunächst einmal war die Aufklärung eine Zeit geprägt von Modernisierung in verschiedenen Bereichen, was sich nicht nur in der Wirtschaft zeigte, sondern auch in dem für die Zeit typischen Vernunftgedanken. Im damaligen Deutschland des 17. Jahrhunderts wurde auf die Judenfrage mit dem Prinzip des „Quid Pro Quo“ geantwortet, was bedeutet, dass die Juden sich den Status eines vollwertigen Bürgers der Gesellschaft durch eine vollständige Assimilation verdienen mussten (Beller 2007: 49). Nichtsdestotrotz gab es während der Aufklärung eine größere Bereitschaft, die Juden in der Gesellschaft aufzunehmen. Diese haben sich die Möglichkeit zu Nutze gemacht und konnten dadurch auch wirtschaftlich aufsteigen und somit berufliche Erfolge erzielen. Somit „stieß die Judenemanzipation auf Ablehnung, die sich vom traditionellen Antijudaismus dadurch unterschied, dass sie neben den religiösen und ökonomischen Vorbehalten bereits kulturelle, nationalistische und protorassistische Argumente benutzte“ (Bergmann 2002: 21). Die Zeit der Aufklärung endete und wurde durch eine „antiaufklärerische, christliche und romantisch-nationale“ Restauration ersetzt, in der der Antisemitismus wieder wuchs (Bergmann 2002: 27).

„Erst mit der Schaffung des Norddeutschen Bundes 1869 und des Deutschen Reiches 1871 erlangten die deutschen Juden vollständige rechtliche Gleichheit“ (Beller 2007: 52). Trotz dieser rechtlichen Gleichheit blieben die Vorurteile gegenüber Juden in der Gesellschaft bestehen. Verstärkt wurde die generelle Abneigung gegenüber Juden durch den besagten wirtschaftlichen Wandel seit der Aufklärung, den sich die Juden zu Nutzen machten. Es kam zu einer „große[n] ´Überrepräsentation` von Juden im Bereich des Finanzwesens und Handels, in vielen exportorientierten und auf Innovationen beruhenden Industriezweigen, in den freien Berufen, der modernen Literatur und der modernen Kultur im Allgemeinen“ (Beller 2007: 56). Dadurch, dass die Juden wiederum so erfolgreich in der modernen Welt wirtschaftlich und sozial aufgestiegen sind, wurden sie zugleich mit der Moderne und dem Kapitalismus in Verbindung gebracht. Vor allem als sich erste Mängel an der kapitalistischen Wirtschaftsweise zeigten, wurden die Juden als Sündenböcke und auch als Sinnbilder für das kapitalistische System und die Moderne gesehen.

3.1.3. Politischer Antisemitismus

Durch die rechtliche Gleichstellung der Juden ab 1871 wurden sie in den ersten Jahren der Gründung des Deutschen Reiches zumindest rechtlich und politisch gleichbehandelt. Dies änderte sich allerdings ab der, „als Gründerkrise bezeichneten [,] Depression von 1873-79“ (Bergmann 2002: 40). Der politische Antisemitismus wurde nach der wirtschaftlichen und politischen „antiliberalen Wende“ (Bergmann 2002: 40) zu einer Art Instrument, um den Juden die Schuld am liberalen, kapitalistischen Wirtschaftssystem zu geben. Durch die Politisierung erhielt der Judenhass nicht nur eine begriffliche Veränderung zu dem Ausdruck „Antisemitismus“, sondern veränderte sich auch inhaltlich. Es ging nicht länger nur um eine religiöse Differenz, sondern um eine „nationalistische-xenophobe Form“ von Judenhass, die auf politischer Ebene verwendet wurde (Bergmann 2002: 39). Der Vorwurf der „wirtschaftlichen Ausbeutung“ wurde mit den Vorwürfen, die Juden würden eine „weltweite Herrschaft“ anstreben und „schlechte Rassenmerkmale“ aufweisen, erweitert (Bergmann 2002: 41). Antisemitismus als politische Bewegung ließ ab 1882 wieder nach, dennoch verbreiteten sich die antisemitischen Strömungen innerhalb der Gesellschaft, indem etwa antisemitische Studentenverbände, Organisationen und Parteien gegründet wurden (Bergmann 2002: 44/45). Nach einem kurzweiligen Hoch der Integration in der Anfangszeit des 1. Weltkriegs, in der den Juden eine nationale deutsche Identität zugesprochen wurde, folgte ein weiteres Tief nachdem die Deutschen den Krieg verloren hatten. Den Juden wurde unter anderem die Schuld an der Niederlage gegeben (Dolchstoßlegende) und vorgeworfen, sie hätten die „Kriegswirtschaft beherrscht“ (Bergmann 2002: 67). Durch Zeitschriften, Broschüren und Bücher, sowie Orden, Verbände und Zirkel verbreiteten sich antisemitische Vorurteile in Deutschland weiter. Dennoch ist festzuhalten, dass der „politische Antisemitismus (…) im Deutschen Kaiserreich stets wenig erfolgreich [war] und (…) um 1914 als gescheitert [galt]“ (Beller 2007: 94).

3.1.4. Rassenantisemitismus

Der politische Antisemitismus kann auch als „Vorläufer des ideologischen Rassenantisemitismus“ bezeichnet werden (Bergmann 2002: 44). Mit dem Rassenantisemitismus wurden alte Vorurteile neu aufgegriffen und in wissenschaftliche Theorien umgeformt (Beller 2007: 82). „Die Rassentheorie sowie die Unterscheidung zwischen Ariern und Semiten gingen Darwins ´Über den Ursprung der Arten` (1859) voraus“ (Beller 2007: 83). So wurde die Politik zu einer Art „angewandte[r] Biologie“ (Beller 2007: 85). Neben den schon vorherrschenden religiösen Vorurteilen und dem Stereotyp des jüdischen kapitalistischen Ausbeuters wurde das Bild des Juden durch weitere Eigenschaften ergänzt. Bei der Erweiterung des Stereotyps wurde vor allem auf die rassische Komponente gebaut, das bedeutet dem Aussehen und dem Charakter des Juden wurden spezifische Merkmale zugeteilt. So sei der Körper eines Juden eher schwächlich und unmännlich (Beller 2007: 88). Einen typischen Juden würde man nach dem Klischeebild der Rassentheorie an „seiner Hakennase, seinen Plattfüßen [und] seinem runden Schädel“ erkennen (Beller 2007: 88). Charakterlich sei ein Jude eher weiblich und somit nach der Ansicht der rassischen Theorie nicht nur physisch, sondern auch charakterlich weniger wert (Beller 2007: 89). Insgesamt wurde der Jude als ein schwaches, zu vertreibendes Glied in der Gesellschaft dargestellt. Diese Vorstellung bildet einen klaren Gegensatz zu dem, was die Nationalsozialisten als den Idealdeutschen ansahen. Dadurch, dass diese Rassentheorie wissenschaftlich begründet wurde, wirkte die Theorie umso glaubwürdiger. Der Unterschied zwischen der Rassentheorie, die auch die Nationalsozialisten in ihrer Ideologie aufgenommen und erweitert haben, und dem traditionellen Antisemitismus, ist die Unüberwindbarkeit des „jüdischen Merkmals“ (Beller 2007: 93). Dadurch, dass die Eigenschaften des Juden rassisch begründet wurden, waren diese nicht veränderbar. Im religiösen Antisemitismus wurden zwar auch Vorurteile erschaffen und Anschuldigungen gegen die Juden formuliert, dennoch stand über allem der Glaubensstreit, der die Juden zu einer unterdrückten, aber eben auch zu einer schützenden Minderheit machte.

Die ersten rassischen Vorurteile gingen mit der Entstehung des politischen Antisemitismus einher, verstärkt hat sich der Rassenantisemitismus als solcher aber erst nach dem 1. Weltkrieg und mit den Erfolgen der NSDAP. Warum der Rassenantisemitismus von der Gesellschaft so angenommen wurde, hat mehrere Gründe. Zum einen sorgte die Niederlage des Ersten Weltkriegs und dessen Folgen, wie etwa der Versailler Vertrag und die Inflation Anfang der Zwanziger Jahre, zu einer großen Frustration in der Gesellschaft (Bergmann 2001: 101). Der Frust wurde auf die Juden projiziert, die als Sündenböcke für diese Problematiken herhalten mussten. Zum anderen stellten die Juden eine Verbindung mit der Moderne, dem Kapitalismus, der Demokratie und dem Kommunismus dar – eben alle politischen Strömungen, die dem Volk fremd waren und in der deutschen Gesellschaft für negative Folgen standen. Hitlers Regime stand unter dem Namen des sogenannten „Erlösungsantisemitismus“. „In diesem Erlösungsantisemitismus verband sich die Furcht vor der rassischen Entartung des eigenen Volkes mit dem Glauben an eine Erlösung, die man in der „Endlösung der Judenfrage“ zu finden glaubte (Bergmann 2002: 102). Praktische Auswirkungen der Politik des Rassenantisemitismus zeigte sich vor allem in den Nürnberger Gesetzen 1935. 1941 begann die letzte Phase der Verfolgungspolitik: die Massendeportation von Juden in Konzentrationslager (Bergmann 2002: 106).

3.2. Entwicklung von und Umgang mit antisemitischen Vorurteilen nach 1945

Nach 1945 war die deutsche Bevölkerung mit einer großen Verwirrung und Verständnislosigkeit konfrontiert. Ein Bewusstsein für das Grauen der NS-Taten musste erst geschaffen werden und die antisemitischen Vorurteile, die sich über Jahrzehnte in den Köpfen der Menschen breitgemacht hatten, brauchten ihre Zeit, um wieder zu verschwinden. Oft wird in den ersten Nachkriegsjahren von einer Art „Nachkriegsantisemitismus“ gesprochen, da der Judenhass immer noch Teil der deutschen Gesellschaft war und sich etwa bei der Reaktion auf zurückkommende Juden zeigte (Bergmann 2002: 117). Eine weitere Form von Antisemitismus, die sich nach dem Krieg entwickelt hat ist der „Schuldabwehr-Antisemitismus“ (Bergmann 2002: 117). Die antisemitische Haltung zeigte sich dadurch, dass die Deutschen ihre Schuld an den Straftaten verleugneten und „Wiedergutmachungsansprüche“ zurückwiesen (Bergmann 2002: 117). Sekundärer Antisemitismus und Antizionismus machten sich schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts breit (Bergmann 2002: 117/118). Rassenantisemitismus spielte zunehmend eine kleinere Rolle. In Westdeutschland wurde unter Adenauer an einer Akzeptanz- und Verantwortungspolitik gearbeitet, die Bevölkerung wurde aufgeklärt und verlor unter der direkten politischen Erziehung auch vermehrt ihr noch antisemitisches Gedankengut (Beller 2007: 148). Nach den noch von Antisemitismus geprägten Nachkriegsjahren folgte eine „´Phase des Beschweigens` der NS-Vergangenheit“ (Bergmann 2002: 122). Neben antisemitischen Straftaten und der sogenannten „Schmierwelle“ 1959/1960 stellte der Sechs-Tage-Krieg einen Höhepunkt in der Geschichte des Antisemitismus nach 1945 dar (Bergmann 2002: 126/127). Die Israelkritik verschärfte sich zu einem Antizionismus, „der von antisemitischen Tönen nicht frei war“ (Bergmann 2002: 127). „Der Instrumentalisierung des Nahostkonflikts auf der politischen Linken und Rechten stand ein Rückgang antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung der westeuropäischen Länder gegenüber“ (Bergmann 2002: 129). In den Achtziger Jahren machten sich rechte Parteien und antisemitische Übergriffe in der Gesellschaft wieder breit (Bergmann 2002: 131/32). Eine Umfrage nach der Wiedervereinigung 1989 hat die antisemitische Einstellung der deutschen Bevölkerung gemessen und kam zu dem Ergebnis, dass in Ostdeutschland 4-6% und in Westdeutschland 15% antisemitisch eingestellt waren (Bergmann 2002: 135/126). Das bedeutete zwar einen klaren Rückgang der antisemitischen Einstellungen über 40 Jahre nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes, es zeigt aber auch, dass der Antisemitismus nicht komplett verschwunden und in Westdeutschland deutlich höher war.

4. Der „neue Antisemitismus“ im 21. Jahrhundert

Der Rassenantisemitismus als solcher hat zunächst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem einhergehenden Zusammenbruch des NS-Regimes sein Ende gefunden. Jegliche Politisierung von derartigem Antisemitismus war aufgrund der Schrecken des Holocaust unmöglich geworden. Stattdessen bildeten sich andere Arten heraus, um Judenfeindlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

4.1 Analyse neuer Formen des Antisemitismus

4.1.1 Israelkritik und Antizionismus

Eine Form von Judenfeindlichkeit, die als neue Form von Antisemitismus diskutiert wurde und wird ist der Antizionismus. Um zu verstehen, was Antizionismus genau bedeutet, muss zunächst das Phänomen, gegen das sich der Antizionismus richtet, erklärt werden. Der Zionismus hat seinen Ursprung Ende des 19. Jahrhunderts und stellte eine Möglichkeit dar, die Juden auf der Welt vor weiterer Diskriminierung zu schützen, in dem für sie ein eigener Staat errichtet wird (Beller 2007: 159). Der Antizionismus stellt sich gegen diese Forderung und entzieht den Juden diese Möglichkeit und das Recht, einen eigenen Staat als Zufluchtsort zu ermöglichen. Die klassischen Antizionisten noch vor der Schoah waren die Juden selbst, da sie im Zionismus zunächst nicht die „Lösung des uralten Problems der Judenverfolgung“ sahen (Stein 2011: 28). Nach den massenmörderischen Ausschreitungen des NS-Regimes an den Juden, wurde der Aufbau eines eigenen jüdischen Staates notwendig. Am 29. November 1947 wurde durch die UN die Teilung Palästinas und somit die Errichtung eines eigenen jüdischen Staates, beschlossen (Johannsen 2017: 19). Der UN-Teilungsplan von 1947 sah eine 42 prozentige Teilung in einen arabischen Staat und eine 56% Teilung in einen jüdischen Staat vor (Johannsen 2017: 20). Durch die Teilung des ehemaligen Palästinas in diesen arabischen und jüdischen Teil entstand ein Konflikt, der bis heute auch als Nahostkonflikt bezeichnet wird. Der Nahostkonflikt warf schon früh Reaktionen aus Deutschland auf, die zunächst eher proisraelisch ausfielen. „Sozialdemokratie, linksliberale und christliche Linke setzten sich an die Spitze einer Israel-Solidarität“, die sich in Teilen zu einem „verklärt glorifizierenden“ Philosemitismus entwickelte (Stein 2011: 44). Für die Linken stellte Israel einen „sozialistischen Vorzeigestaat“ dar (Stein 2011: 44). Der politische Wechselkurs der deutschen Regierung und der Sechs-Tage Krieg im Juni 1967 stellten eine Wende in der israelischen Zuneigung seitens der Linken dar. Durch die Unterstützung der USA in Israel wandelte sich das Bild der Linken von Israel als einen „kommunistischen Vorzeigestaat“ zu einem Staat der den „US-Imperialismus“ widerspiegelt (Stein 2011: 45/46). Ende der 60er Jahre kam es zu ersten gewaltbehafteten judenfeindlichen Ausschreitungen seitens der Linken (Stein 2011: 49). Der Libanon Krieg 1982 stellte einen weiteren Höhepunkt der israelfeindlichen Kritik dar, die ab da nicht mehr nur von der Neuen Linken, sondern auch von gemäßigteren Linken angeführt wurde (Stein 2011: 53). Auch der Zweite Golfkrieg 1990 sorgte für weitere israelfeindliche Diskurse in der deutschen Linken (Stein 2011: 57). In ruhigen Zeiten des Nahostkonflikts nahmen auch die antiisraelischen Bemerkungen in Deutschland wieder ab. „Im Zuge der zweiten Intifada seit September 2000, den Anschlägen des 11. Septembers 2001 und dem Libanonkrieg des Jahres 2006 aber begann sich der Antizionismus wieder verstärkt zurückzumelden“ (Stein 2011: 59/60).

Vertreter einer antiisraelischen Haltung waren allerdings nicht immer nur das linke politische Spektrum, sondern auch die Mitte der Gesellschaft. Die judenfeindliche Haltung der Mitte wird auch als „bürgerlicher und gebildeter Antisemitismus“ bezeichnet (Schwarz-Friesel/Friesel/Reinharz 2010: 4). Dieser gebildete Antisemitismus, bei dem die Akteure israelfeindliche Aussagen tätigen, ist eng verbunden mit dem Phänomen des sekundären Antisemitismus. Aus diesem Grund wird erst im nächsten Gliederungspunkt näher darauf eingegangen. Eine weitere Gruppe von Vertretern einer israelfeindlichen Haltung gehört dem islamischen Antisemitismus an und wird demnach auch erst im weiteren Verlauf der Arbeit angesprochen.

Umstritten ist bislang ob es sich bei dem Phänomen Antizionismus um einen (neuen) Antisemitismus handelt. Aus diesem Grund haben verschiedene Autoren Grenzen aufgestellt, um kategorisieren zu können, ab wann es sich um eine gerechtfertigte Israelkritik handelt und ab welchem Punkt die Grenze zum Antisemitismus überschritten ist. Timo Stein unterscheidet 8 Punkte, bei denen bei den typischen israelfeindlichen Anschuldigungen und Vorurteilen eine Grenze zum Antisemitismus überschritten wird. Zunächst sieht Stein die sogenannten „Täter-Opfer Umkehr bzw. NS-Vergleiche“ als Überschreitung der Grenze an (Stein 2011: 34). Das Phänomen der Täter-Opfer Umkehr findet vor allem in der wie eben schon angesprochenen „Mitte der Gesellschaft“ Verwendung. Die durch den Holocaust und die NS-Verbrechen entstandene Schuld und Scham soll geschwächt werden, indem die Israelis als die neuen Täter dargestellt werden, die wiederum Palästinenser töten. Bei diesem Vorurteil werden die Palästinenser als zu schützende, nicht zu kritisierende Minderheit ausgemacht. Natan Sharansky hat 2004 ebenso wie Stein Kriterien aufgestellt, nach denen israelfeindliche Aussagen und Haltungen nach ihrem antisemitischen Gehalt untersucht werden können. Es handelt sich um einen „´3D Test`, mit dem anhand der Kriterien ´demonization`, ´double standards´ und ´delgetimization` Texte oder Äußerungen darauf überprüft werden können, ob die Grenze zum Ressentiment überschritten ist“ (Beyer 2015: 584). Das Phänomen der Täter-Opfer Umkehr bei Stein entspricht dem der Dämonisierung bei Sharansky. Das zweite Kriterium bei Stein ist der sogenannte „Selbstverschulde Antisemitismus“ (Stein 2011: 35). Nach diesem Vorurteil sei der Jude selbst schuld an dem durch ihn entstandenen Antisemitismus und den Vorurteilen ihm gegenüber. Des Weiteren führt Stein den Punkt „Doppelte Standards – Zweierlei Maß“ an (Stein 2011: 35). Dieser ist auch bei Sharansky zu finden. Gemeint ist damit die unverhältnismäßige Haltung gegenüber Straftaten oder kritischen Handlungen, die die Israelis begehen und im Vergleich dazu andere Staaten, seien es die Palästinenser oder totalitäre Staaten. Ein Punkt, der den klassischen Vorurteilen gegenüber Juden sehr nah kommt, ist der „Mythos von der jüdischen Weltverschwörung“ (Stein 2011: 35). Das Vorurteil, das sich im politischen Antisemitismus entwickelt hat, wird nun nicht mehr auf den einzelnen Juden, sondern auf den gesamten Staat Israel bezogen. Passend zu diesem Punkt merkt Stein die generelle „Übertragung klassischer antisemitischer Stereotype“ als Grenzüberschreitung zum Antisemitismus an (Stein 2011: 35). „Die Rede vom besonders ´skrupellosen`, vom ´rachsüchtigen` Israeli bzw. eine einseitige Identifikation der pluralistisch multikulturellen Demokratie Israels ausschließlich mit Militär und Gewalt ist Ausdruck einer möglichen Relativierung klassischer Ressentiments“ (Stein 2011: 35). Der nächste Punkt den Stein als Kriterium zur Grenzüberschreitung bezeichnet ist die „Kollektive Haftung“ aller Juden für die Politik Israels (Stein 2011: 36). Das vorletzte Kriterium ist der Antizionismus, nämlich die „Infragestellung des Existenzrechtes Israels“ oder auch bei Sharansky „Delegitimierung“ genannt (Stein 2011:37). Eine solche Delegitimierung liegt dann vor, „sobald Israel als ´abstrakte Macht` ein ´konkretes Volk` der Palästinenser gegenübergestellt bekommt und damit den israelischen Staat Künstlichkeit unterstellt wird. „Abraham Foxman (…) konstatiert, der Antizionismus sei nur in dem Falle unbedenklich, sofern die Staatlichkeit eines jeden anderen Staates in Frage gestellt würde“ (Stein 2011: 37). Sowohl Stein als auch Foxman unterstellen dem Antizionismus demnach Antisemitismus. Es ist diskutabel, ob wirklich jede Kritik am Existenzrecht Israels als antisemitisch gedeutet werden kann und ob Israel, im Gegensatz zu dem was Foxman behauptet, eine Sonderstellung hat. Die Problematik in dem Existenzrecht liegt zunächst nicht darin, dass es dieses Recht gibt, sondern dass durch die Erfüllung des Rechts ein anderer Staat geteilt bzw. verkleinert wurde.

Als letzte Kategorie stellt die „Antisemitische Separation“ ein Phänomen dar, bei dem die Grenze zum Antisemitismus überschritten wird (Stein 2011: 37). Diese Separation ist eng verbunden mit der Kollektiven Haftung, da durch beide Phänomene einzelne Juden mit Israelis und die von ihnen praktizierte Politik verbunden werden. In Deutschland wird ihnen dadurch „die eigene Nationalität aberkannt“ (Stein 2011: 37). Die Aberkennung der Nationalität der Juden in einem Land ist ebenso kein Phänomen, das neu ist, sondern jahrhundertealte Tradition hat.

Abschließend lässt sich sagen, dass „Israelkritik immer dann antisemitisch [ist], wenn Vorurteile und Klischees Verwendung finden, die mit den eigentlich zu kritisierenden Vorgängen wenig bis gar nichts zu tun haben und dabei Assoziationen hervorrufen, die noch tiefere Vorurteilsschichten freilegen“ (Stein 2011: 37).

Einen Blick auf Umfrageergebnisse zeigt, dass israelkritische Einstellungen bis 2014 zurückgegangen sind. Die FES-Studie (Adenauer Stiftung 2015: 7) hat im September 2014 einen „Israelbezogenen Antisemitismus“ von circa 6% gemessen. Das bedeutet circa 6% haben den Aussagen „Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer“ und „Bei der Politik, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ voll und ganz zugestimmt. „Eher zu“ gestimmt haben bei der ersten Aussage 14%, bei der zweiten Aussage 21%. Der Grund für diese Differenz könnte sein, dass bei der ersten Aussage ein größerer Ich-Bezug besteht als bei der zweiten. Auch die NS-vergleichende Israelkritik ist 2014 im Schnitt auf 12,45% gesunken. Im Detail bedeutet das, dass 14,4% der Aussage „Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ und 10,5% der Aussage „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“ zugestimmt haben. Auch die israelkritische Einstellung hat 2014 im Gegensatz zu 2004 abgenommen, die Zustimmung zu den Aussagen ist allerdings generell höher als bei den anderen beiden Kategorien. 29,7% stimmten der Aussage zu „Ich werde wütend, wenn Ich daran denke, wie Israel die Palästinenser behandelt“ und 35,6% stimmten der Aussage zu „Es ist ungerecht, dass Israel den Palästinensern Land wegnimmt“. „Der israelbezogene Antisemitismus ist nicht nur gesunken, sondern liegt auch 2014 deutlich unter dem Niveau des sekundären Antisemitismus und ist etwa gleich ausgeprägt ist wie der klassische Antisemitismus“ (Adenauer Stiftung 2015: 8).

4.1.2 Sekundärer Antisemitismus

Als sekundärer Antisemitismus wird eine Form von Antisemitismus bezeichnet, bei der versucht wird, die „deutsche Schuld zu relativieren oder sie gar Juden zuzuschreiben“ (Stein 2001: 26). In einer Definition von Steven Beller wird zudem behauptet, sekundärer Antisemitismus „bezieht sich auf Behauptungen über vergangenes Handeln gegenüber Juden, anstatt irgendeine direkte Beschuldigung gegen gegenwärtige Juden vorzubringen“ (Beller 2007: 154). Der erste Teil von Bellers Definition überstimmt mit der Definition von Timo Stein überein. Dass sekundärer Antisemitismus aber auch indirekt in Form von Beschuldigungen gegen Juden vorkommen kann, zeigt das Beispiel der Schuldumkehr im Nahostkonflikt. Wie schon im vorigen Kapitel erwähnt wird die Kritik an Israel auch als Instrument genutzt, um die eigene Schuld durch die Nazi-Verbrechen zu relativieren. Man spricht daher auch von einer „Erinnerungsabwehr“, was als Folge von „Verarbeitung bzw. Nichtverarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit“ gedeutet werden kann (Stein 2001: 25). Wertet man die sekundär antisemitischen Aussagen aus, kommt man auf verschiedene Argumentations- und Vorwurfsmuster. Zum einen stellt die schon erwähnte Schuldumkehr eine Argumentationsform dar. Man spricht hierbei auch von einer Diskursverschiebung (Beyer 2015: 584). Das bedeutet, dass sich mit dem eigentlichen Problem, in diesem Fall die Vergangenheitsbewältigung, nicht auseinandergesetzt wird, sondern ein anderer Schuldiger gesucht wird. Eine solche Diskursverschiebung findet statt, „wenn Israels Politik mit jener der Nationalsozialisten verglichen wird, oder wenn den Israelis Motive eines ´Vernichtungskrieges` unterstellt werden“ (Beyer 2015: 584). Diese Form von Diskursverschiebung wird auch Dämonisierung genannt und wurde im Kapitel über Antizionismus und Israelkritik schon weiter ausgeführt. Ein weiterer Grund für derartige Schuldzuweisungen besteht darin, dass durch die Erinnerungskultur in Deutschland vielen das Gefühl gegeben wird, nicht stolz auf ihr Land sein zu können (Stein 2001: 26).

Durch den sekundären Antisemitismus werden sich neben NS-Vergleichen auch an alten Vorurteilen und Stereotypen bedient. So wird ihnen zum Beispiel die „Holocaustausbeutung“ unterstellt (Schwarz-Friesel 2010: 36). Dadurch, dass die Juden als gierige Menschen dargestellt werden, wird sich an einem alten, im wirtschaftlichen Antisemitismus entstandenen, Vorurteil bedient. Sie grenzen die Juden außerdem aus, indem sie sich selbst als Deutsche bezeichnen und den deutschen Juden ihre Nationalität aberkennen und sich selbst als „Humanisten“ bezeichnen, die Juden aber als „arrogant und frech“ (Schwarz-Friesel 2010: 33-35). Juden werden zudem als Verbrecher dargestellt und somit Israel als Verbrecherstaat (Schwarz-Friesel 2010: 39). Generell werden „drei unterschiedliche Konzeptualisierungen“ unterschieden, und zwar, dass Juden selbst durch ihr Verhalten, durch ihre Positionierung gegenüber Israels Politik und die Israelische Politik an sich Schuld am Antisemitismus seien (Schwarz-Friesel 2010: 37). Dadurch wird ein wiederum alter Stereotyp, dass die Juden selbst schuld am Antisemitismus wären, auf Israel neu angewandt.

Es gibt zwei Formen, in denen der sekundäre Antisemitismus ausgedrückt wird. Die erste Form zeigt sich in der „Kommunikation in Konsensgruppen“, was bedeutet, dass der Antisemit in diesem Fall davon ausgeht, dass die Mehrheit so denkt wie er, seine antisemitischen Äußerungen aber öffentlich aufgrund von Sanktionen und Tabuisierung nicht laut aussprechen kann (Beyer 2015: 585). Die Zweite Form stellt die sogenannte „Umwegkommunikation“ dar (Beyer 2015: 585). Anstatt direkte antisemitische Äußerungen zu machen, findet der Antisemit andere „Kommunikationsformen (…), die vom sozialen System nicht als strukturgefährdend angesehen werden“ (Beyer 2015: 585/586).

Prozentual hat sich die Zustimmung zu sekundär antisemitischen Aussagen von 44,5% und 41,3% im Jahr 2004 auf 29, 6% und 27,4% im September 2014 verringert (Adenauer Stiftung 2015: 7). Im Vergleich zum israelbezogenen Antisemitismus bzw. Israelkritik sind das relativ hohe Werte. Bei einer Untersuchung von der Zustimmung zu sekundären Aussagen von Peter Ullrich, Oliver Decker, Johannes Kiess und Elmar Brahler im Jahr 2012 lagen die Zustimmungswerte zwischen 12 und 36 %.

Welches Phänomen in der Literatur immer wieder erwähnt, aber negiert wird, ist die Form des sekundären Antisemitismus in der Politik. Bis vor ein paar Jahren wurde Antisemitismus nur aus extremen politischen Lagern genutzt, welche mit dem primären Antisemitismus aber auch oft keine Erfolge erzielen konnte. Seit 2017 steht mit der AfD allerdings eine neue Fraktion im Bundestag, die mitunter sekundär antisemitische Aussagen getätigt hat und unter anderem auch dadurch Erfolge erzielen konnte.

4.1.3 Islamischer Antisemitismus

Genauso wie die anderen beiden Formen von Antisemitismus hat der islamische Antisemitismus seinen Ursprung schon im 20. Jahrhundert. Der christliche und der islamische Antisemitismus unterscheiden sich in ihren jüdischen Darstellungen und Vorurteilen. Der christliche Antisemitismus lässt den „Juden als eine tödliche und mächtige Instanz [darstellen], die es angeblich gar fertigbrachten Gottes einzigen Sohn zu töten“ (Küntzel 2004: 277). Im Islam hingegen sollen die Juden von Mohammed „versklavt, vertrieben und getötet“ worden sein (Küntzel 2004: 277). Dadurch ist ein anderes Bild von den Juden entstanden. Genauso wie vom Christentum wurden die Juden auch im Islam diskriminiert, allerdings hatten die Muslime keine Angst vor den Juden und ihrer Macht. Sie befürchteten keine „jüdische Verschwörung oder Vorherrschaft“ (Küntzel 2004: 277). Das Bild der Muslime von den Juden änderte sich dann Anfang des 20. Jahrhunderts. Der arabische Raum arbeitete in den Dreißiger Jahren vermehrt mit den Nazis zusammen, was sich daran zeigte, dass das Hakenkreuz auch als Symbol für die „palästinensische[n] Aufstandsbewegung von 1936 bis 1939“ diente oder arabische Studenten deutsche Stipendien erhielten (Küntzel 2004: 274/275). Arabischer Antrieb dieses Bündnisses war der Mufti von Jerusalem (Küntzel 2004: 274). Die Sicht auf die Juden änderte sich in dieser Zeit auch, indem die Juden eine Art Symbol für „liberalistische[r] Ideen“ darstellten, denen die arabischen Staaten konträr gegenüberstanden (Küntzel 2004: 278). Bis zur Gründung Israels gab es vermehrt Unruhen und Aufstände gegen die jüdische Gemeinschaft. Der Konflikt wurde durch den Gründerkrieg nur verschärft. So wurde der Gründerkrieg vermehrt auch als „Vernichtungskrieg“ bezeichnet, was einen nationalsozialistischen Tenor aufweist (Küntzel 2004: 287). Die in den Zwanziger Jahren entstandenen „arabischen Übersetzungen der „´Protokolle der Weisen von Zion`“, erhielten durch weitere Übersetzungen immer mehr Aufmerksamkeit (Rickenbacher 2018: 162). „Der Sieg Israels im Sechstagekrieg diskreditierte den arabischen Nationalismus und gab der Verschwörungstheorie weiteren Antrieb“ (Rickenbacher 2018: 166). Der Dschihadismus stellt die extremste antisemitische Form dar (Jikeli 2018: 114) wie sich in vermehrten Anschlägen in Europa in den letzten Jahren gezeigt hat. Dennoch herrscht auch eine antisemitische Stimmung außerhalb dieses Extrems. In Deutschland drückt sich diese Stimmung in „palästinensischen Exilorganisationen“ und vermehrt auf „pro-palästinensischen Demonstrationen“ aus (Jikeli 2018: 115). Auf solchen Demonstrationen wurden in Deutschland im Sommer 2014 Parolen wie „Allahu akbar“, „Jude, Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ oder auch „Hamas, Hamas, Juden ab ins Gas“ gerufen (Jikeli 2018: 115). Vor allem die letzte Parole stellt eine Anspielung auf die Verbrechen der Nazis dar. Werner Bergmann und Juliane Wetzel fanden in einer Studie von 2003 heraus, dass „physische Angriffe auf Juden und die Schändung von Synagogen (…) hauptsächlich von jungen muslimischen Tätern, meist arabischer Abstammung, verübt [wurden]“ (Jikeli 2018: 116). Umfragen unter Juden belegen, dass 40 % der antisemitischen Vorfälle auf Muslime zurückzuführen sind. Eine neuere Umfrage ist von der Anti-Defamation League aus dem Jahr 2015 und somit etwas aktueller. Bei dieser Umfrage stimmten über die Hälfte der befragten deutschen Muslime antisemitischen Aussagen zu (Jikeli 2018: 123/124). Bei Befragungen in MENA-Ländern zeigt sich, dass dort antisemitische Vorurteile noch weiterverbreitet sind (Jikeli 2018: 125). Man kann daher davon ausgehen, „dass die Erfahrungen in Europa insgesamt zu einer leichten Reduzierung zumindest von offen geäußerter Judenfeindschaft führen“ (Jikeli 2018: 126). Bei den Befragungen konnten außerdem vier antisemitische Argumentationsmuster ausgemacht werden: Zum einen wird mit klassischen antisemitischen Stereotypen gearbeitet, es wird sich auf Israel bezogen und Antizionismus ausgeübt, außerdem werden antisemitische Einstellungen mit der Zugehhörigkeit zum Islam begründet und bei „anti-jüdischen Einstellungen (…) auf Rationalisierungen“ verzichtet (Jikeli 2018: 127). Die deutsche Wissenschaft stellt sich allerdings weiterhin schwer muslimisch motivierte antisemitische Straftaten zu erfassen. Das hat vor allem den Grund, dass sich viele weigern „den massenhaften Antisemitismus unter Muslimen wahrzunehmen, geschweige denn ihn zu erforschen“ (Küntzel 2018: 135). Das liegt wiederum daran, dass die Behauptung eines islamischen Antisemitismus in der Öffentlichkeit als Islamophobie umgedeutet werden kann.

5. Fazit

Im Hauptteil der Hausarbeit wurden drei verschiedene Formen analysiert, die als neue Formen des Antisemitismus im 21. Jahrhundert zur Debatte standen. Nach der Analyse lässt sich sagen, dass sich diese genannten Formen schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben und demnach nicht als neue Formen von Antisemitismus des 21. Jahrhunderts gelten können. Trotzdem steht die Frage im Raum, ob diese Formen generell als neue Formen von Antisemitismus nach 1945 bezeichnet werden können. Diskutabel ist auch, ob sich nicht die Wirkung dieser Formen im 21. Jahrhundert zum 20. Jahrhundert unterscheiden können.

Neu bedeutet allgemein, dass es etwas gibt, dass es vorher noch nicht gab. In diesem Fall sprechen wir von einer neuen Form, wenn es sie vor 1945 noch nicht gegeben hat. Antizionismus gab es zwar schon vor dem Holocaust, aber nicht in der Art wie es heute praktiziert wird. Man kann beim Antizionismus von einer neuen Form sprechen, weil sich die Kritik oder auch der Hass nicht mehr direkt gegen die Juden wendet, sondern gegen Israel. Trotz, dass sich bei Anschuldigungen immer wieder an alten Stereotypen und Vorurteilen bedient wird, die es auch schon vor 1945 gab, bleibt der Antizionismus eine neue Form. Wie wir in den Umfrageergebnissen gesehen haben, bleibt Israelkritik im 21. Jahrhundert aber die schwächste Form von Antisemitismus und hat somit eine weniger starke Wirkung auf die Gesellschaft. Der sekundäre Antisemitismus ist in der Bevölkerung stärker vertreten, was unter anderem daran liegt, dass er sich durch die Diskursverschiebung und die Umwegkommunikation seinen Weg in die Mitte der Gesellschaft gebahnt hat. Er ist unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, ihm kommt aber in den 70 Jahren nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes heute eine neue Bedeutung und Wirksamkeit zu. Dadurch, dass der sekundäre Antisemitismus weniger Tabuisierung erfährt als der primäre Antisemitismus, ist er in den letzten Jahren zunehmend präsenter in der deutschen Gesellschaft geworden. Das zeigt sich unter anderem dadurch, dass sekundärer Antisemitismus nun auch auf politischer Ebene benutzt wird. Unter sekundären Antisemitismus fallen unter anderem Aussagen wie die Forderung „nach einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ (Engelbrecht 2019) oder auch die Bezeichnung des Holocaustdenkmals in Berlin als „Schandmal“ von AfD-Mitglied Björn Höcke (Winterbauer 2017). Noch erschreckender als die öffentlichen sekundär antisemitischen Aussagen von Björn Höcke, ist, dass die Partei, in der er Mitglied ist, auf politischer Ebene Erfolge erzielt und somit seit 2017 Teil des Bundestages ist. Der sekundäre Antisemitismus kann als eine neue Form von Antisemitismus bezeichnet werden. Vor allem aber zeigt er im 21. Jahrhundert eine neue Wirkung. Zuletzt stellt sich noch beim islamischen Antisemitismus die Frage, ob es sich um eine neue Form von Antisemitismus handelt. Der islamische Antisemitismus hat sich während der Verbindung mit den Nazis in den Dreißiger Jahren entwickelt. Europäische Ausmaße hat es aber erst nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes genommen. Auch der islamische Antisemitismus bedient sich an alten Stereotypen und kann dennoch als neue Form bezeichnet werden. Vor allem, weil sich die Wirkung des islamischen Antisemitismus im 21. Jahrhundert noch einmal gewandelt hat.

Insgesamt lässt sich sagen, dass bei allen drei Arten von einer neuen Form von Antisemitismus gesprochen werden kann, diese sich aber schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben. Der Antisemitismus wurde inhaltlich erneuert, da er für seine judenfeindliche Haltung neue Gründe gefunden hat, auch wenn sich bei der Artikulation oft an klassischen Vorurteilen bedient wird. Der Antisemitismus nimmt aber auch in seiner Wirkung neue Ausmaße an. Dadurch, dass der sekundäre Antisemitismus weniger tabuisiert ist und sich dadurch vermehrt öffentlich zeigt, wirkt sich das auf das gesamtdeutsche Klima aus. Der Antisemitismus kommt in der Mitte der Gesellschaft an und wird auch politisch instrumentalisiert.

Literaturverzeichnis

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Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Sind in Deutschland im 21. Jahrhundert neue Formen von Antisemitismus vorzufinden?
Untertitel
Eine Untersuchung unterschiedlicher Formen des Antisemitismus
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Formen und Determinanten der Fremdenfeindlichkeit
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
23
Katalognummer
V520562
ISBN (eBook)
9783346123435
ISBN (Buch)
9783346123442
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sind, deutschland, jahrhundert, formen, antisemitismus, eine, untersuchung
Arbeit zitieren
Christina Weis (Autor:in), 2019, Sind in Deutschland im 21. Jahrhundert neue Formen von Antisemitismus vorzufinden?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520562

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