Selbstoptimierung im Coaching. Wie können Coaching-Prozesse die Autonomie und Selbstverantwortung fördern?


Fachbuch, 2020

63 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Sorge um sich selbst
2.1 Suche nach der Wahrheit

3 Die „therapeutische Kultur“
3.1 Der Aufstieg der Psychoanalyse
3.2 Die Vermischung von Populärkultur und Psychologie
3.3 Selbsthilfe und Humanistische Psychologie

4 Der Wandel zur „Optimierungskultur“
4.1 Der Kapitalismus als eine der Triebfedern für Selbstoptimierung

5 Subjektivierung in der „Optimierungskultur“
5.1 Subjektivierung und Gouvernementalität
5.2 Das „auteronome“ Subjekt in der Kultur der Optimierung

6 Selbstoptimierung als Oberbegriff
6.1 Beispielpraxis zur Selbstoptimierung: Neuroenhancement
6.2 Fazit zum Begriff der Selbstoptimierung

7 Coaching als Selbstoptimierungs- Praxis
7.1 Selbstverständnis der Coaching- Praxis anhand verschiedenen Quellen
7.2 Coaching- Markt und Abgrenzung zur Therapie
7.3 Fazit: Betrachtung der Coaching- Praxis als Selbstoptimierung

8 Das „auteronome“ Subjekt im Coaching
8.1 Anleitungsbeispiel Nr. 1 aus der Coaching- Praxis: „Zukunftsentwürfe“
8.2 Anleitungsbeispiel Nr. 2: Das „eigentliche“ Thema finden
8.3 Fazit: Untersuchte Praxisbeispiele aus dem Coaching

9 Technische Entwicklungen im Bereich Coaching und Selbstoptimierung
9.1 Der „Taschen- Coach“

10 Abschließendes Fazit der vorliegenden Arbeit

Literaturverzeichnis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © Social Plus 2020

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH

1 Einleitung

Die Sorge um sich selbst treibt den Menschen schon seit tausenden von Jahren um und hat historisch gesehen einige Wandlungen und Ausprägungen hinter sich. Obwohl die Methoden oder unterstützende Techniken sich gewandelt haben, so betrifft dieser Wandel weniger die Motivation der Menschen, der Sorge um das eigene Selbst nachzugehen und einen hohen Stellenwert in ihrem Leben einzuräumen. Die Motive in der Antike wie heute im 21. Jahrhundert, sind vom Grundgedanken ähnlich und immer wird ein optimierter Zustand körperlichen oder seelischen Wohlbefindens angestrebt. Natürlich verbunden mit spezielleren Zielen und Verbindungen zu Begriffen wie Erfolg, Gesundheit, Leistungsfähigkeit oder Glück. Der Schritt von der Sorge um das eigene Selbst, hin zur grenzenlosen Formbarkeit und Optimierung ist die Folge eines historisch gewachsenen und kulturellen Wandels. Diese Entwicklung soll einleitend in dieser Arbeit thematisiert werden und wird von den Lehren der Philosophen der Antike bis hin zur Entwicklung der Humanistischen Psychologie im 20. Jahrhundert reichen. Der Übergang zu einer ständigen Thematisierung des Selbst und seiner Wünsche, Bedürfnisse, sowie Probleme brachte neue Akteure und handelnde Subjekte zum Vorschein, die von einem Verlangen nach Autonomie und Selbstverwirklichung getrieben waren. Trotz eines ausgeprägten Verlangens nach einem gewandelten Autonomie Verständnis und der Lossagung von anderen, stehen die Subjekte in den modernen „Optimierungskulturen“ in paradoxen Abhängigkeitsstrukturen. Diese binden die Subjekte an mobilisierende Anleitungen zur Optimierung in den unterschiedlichsten Bereichen, die aus verschiedensten Personengruppen wie Berater*innen, Psychologen, Therapeuten und anderen Optimierungsdienstleistern bestehen. Dieser Kontext bildet den Hauptteil der vorliegenden Arbeit und thematisiert die in der „Optimierungskultur“ subjektivierten „auteronomen“ Subjekte als spezifische Form dieser Kultur und behandelt besonders die an diese Subjekte herangetragenen Forderungen nach Autonomie und Selbstverantwortung im Kontext von Coaching- Prozessen. Diese bilden einen handlungsanleitenden Rahmen für die sich selbst optimierenden Subjekte, wobei die Frage gestellt wird, ob diese sich wirklich selbst optimieren im Sinne einer vollkommen unabhängigen Handlung, oder ob ein Coach als Berater*in hier entscheidenden Einfluss ausübt, der mit den Zielen und Methoden im Coaching zu tun hat. Selbstoptimierung und Coaching sind hierbei als Prozesse zu verstehen, die immer subjektiv geprägt sind und hierfür festgelegte Definitionen schwer zu fassen sind, dennoch wird ein Versuch unternommen, diese Begriffe in Verbindung zu bringen und für den Verlauf der Arbeit zu definieren. Obgleich Selbstoptimierung und besonders einzelne Techniken und Methoden hierzu, bereits maßgeblich in den Sozial- und Geisteswissenschaften untersucht worden sind, bietet der spezielle Bereich des Coachings hier noch interessante Ansätze. Dabei geht es nicht um eine Nachzeichnung einer Geschichte des Coachings, sondern um eine Betrachtung der Handlungsanleitungen im Coaching und das Beziehungsgeflecht zwischen dem sich optimierenden Subjekt und eine(n) (professionellen) Berater*in. Anhand von Handbüchern und Anleitungen für angehende Berater*innen und Coaches, sollen Strukturen und Forderungen aufgedeckt werden, die das „auteronome“ Subjekt befördern und mit erhalten im Kontext des Coaching- Prozesses. Dafür werden besonders die Selbstverständnisse der Coaches und ihrer Techniken untersucht, die darauf analysiert werden welche Stellung das Subjekt im Coaching einnehmen soll und welche Funktion der Coach hierbei erfüllt. Die Begrifflichkeiten des Coaches oder der Berater*innen sind für die Arbeit als synonym anzuerkennen, obgleich dies keine bindende Funktion außerhalb des Kontextes der vorliegenden Untersuchung hat. Aufgrund der oftmals fehlenden gesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet der Beratungsdienstleistungen gibt es eine ganze Ansammlung von Begriffen die zwar vom Wortlaut unterscheiden sich jedoch auf dem gleichen Feld bewegen. Ein Coach kann aber muss sich nicht gleichzeitig als Berater*in verstehen und andersherum. Die Pluralität an Bezeichnungen ist so vielfältig wie die Anwendungsgebiete im Life-, Personal- und Business- Coaching. Das gleiche gilt für die beruflichen und biographischen Hintergründe der Coaches, die nachfolgend nicht detailliert berücksichtigt werden konnten, obgleich diese sicherlich interessant und untersuchungswürdig sind. Jeder ist befähigt sich in Deutschland als Coach zu bezeichnen, was dieses Feld der Optimierungsdienstleistung sicherlich hervorhebt, aber auch als schwer zugänglich erscheinen lässt für wissenschaftliche Betrachtungen. Die vorliegende Arbeit stellt somit einen von vielen möglichen Bezügen, zu dem Themenfeld des Coachings verbunden mit Selbstoptimierung von Subjekten, her und erhebt lediglich den Anspruch einen Aspekt genauer analysiert zu haben, der jedoch wichtig ist um ein kritisch, reflektiertes Verhältnis zu Methoden und Anleitungen des Coachings, aber auch zu anderen Selbstoptimierungsanleitungen zu erhalten.

2 Die Sorge um sich selbst

Aus einer historischen Perspektive betrachtet stand das Selbst schon früh unter besonderer Aufmerksamkeit. In der Spätantike wurde unter der griechischen Bezeichnung epimelesthai sautou, die Sorge um sich selbst verstanden und hiermit eine der zentralen Grundsätze der griechischen Polis ausgedrückt. Hiermit sollte Foucault zufolge das Soziale, also das gesellschaftliche, sowie die persönliche, angemessene Verhaltensweise sichergestellt werden. Zusammen mit der Maxime „erkenne dich selbst“ des delphischen Orakels, galt die Sorge um sich selbst als gelebte Praxis und nicht nur als theoretische Vorschrift.1 Ihr galt etwas ernsteres zuzukommen als nur bloße Aufmerksamkeit, so formuliert es Sokrates in dem von Platon verfassten Dialog des Alkibiades I. Ähnlich wie ein Bauer sich um seine Felder und das Vieh kümmern muss, oder ein König für seine Stadt und deren Bürger sorgt, so wird auch die Sorge um sich selbst als Notwendigkeit betrachtet.2 Im Alkibiades I. wird durch den Dialog mit Sokrates deutlich, dass das Selbst als ein Prinzip der Seele anerkannt wird. Somit wäre es keine Sorge um sich selbst, wenn man nur Sorge um seinen Körper trägt, resümiert Foucault. Die Seele stehe bei der Sorge um sich selbst im Vordergrund und genauer gesagt die Aktivität der Seele.3 Als Beispiel einer konkreten Aktivität, der Sorge um sich selbst und damit der Seele, galt das Schreiben. So machte man Aufzeichnungen über sich selbst (zum Beispiel über Stimmungen, Aktivitäten) die man zu einem späteren Zeitpunkt nochmals lesen konnte, oder man schrieb Briefe an Freunde, in denen man seine Befindlichkeiten darlegte.

Dies verdeutlicht also die praktische Natur der Sorge um sich selbst, sie sei nicht als „[…] abstrakter Ratschlag[…]“ zu verstehen, sondern gehe mit Verpflichtungen und Aufgaben gegenüber der Seele einher.4 Zu der Zeit von Platon und Sokrates, ist die Sorge um sich selbst noch weitestgehend als Notwendigkeit für ein politisches Leben zu verstehen, jedoch verändert sich dieses Verständnis weitestgehend. In der hellenistischen Periode und in der Kaiserzeit wird die Sorge um sich selbst zunehmend zu einer universellen Maxime. Es entstehe eine eigenständige Lebensform, die eine lebenslange Beschäftigung mit sich selbst vorsah.5 So bekäme auch die eigene gesundheitliche Fürsorge einen höheren Stellenwert und man solle sein eigener Arzt werden.6 Aber nicht nur der Umfang der Sorge um sich selbst veränderte sich, sondern auch die Art und Weise der Sorge um die Seele. Im Alkibiades I. findet sich die Seele in einem Spiegelverhältnis zu sich selbst wieder, der Dialog sei hier also die Methode zur Selbsterkenntnis. Doch zunehmend veränderte sich auch diese Methode, was besonders auf die philosophischen Traditionen der Stoa zurückzuführen sei, wobei der Zugang zu Wahrheit und Selbsterkenntnis, durch aufmerksames Zuhören erreicht werden sollte.7 Es galt also nun die Kunst des richtigen Zuhörens und des Nachdenkens, über das Gesagte eines Meisters oder Lehrers. Doch stünde man nicht unter der Kontrolle eines Lehrers, sondern hatte stets auch seinem eigenen logos zu gebrauchen, was den Gebrauch der eigenen Stimme der Vernunft bedeutete.8 Demnach war es dem Selbst aufgetragen aufmerksam zuzuhören, ohne Fragen zu stellen und dies zu reflektieren, sowie vernünftig zu prüfen. Es herrsche hier nach Foucault eine Verbindung der Technologie der Beherrschung, durch das auferlegte Zuhören ohne nachzufragen und der Technologie des Selbst, dem reflektieren des gesagten und die vernunftgemäße Überprüfung.9 Die Sorge um sich selbst beinhalte fortan, dass man den Blick auf sich selbst wendet und seine Aufmerksamkeit auf das eigene Denken richtet.10 Im Laufe der Geschichte hat sich die Sorge um sich selbst als Begrifflichkeit mehrfach erweitert und gewandelt, was auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit deutlich wird.

So sei der Begriff von der antiken Philosophie bis zum Aufstieg des Christentums gegenwärtig, denn hier wird die Sorge um sich selbst als Voraussetzung zur christlichen Askese verstanden. Der Begriff der epimelesthai sautou, also der Sorge um sich selbst, umfasse damit einen ganzen Korpus, der Lebenshaltungen, Denkweisen und Praktiken, die diesen Begriff zu einem regelrechten Phänomen in der Geschichte der Subjektivität machen.11 Ausdruck finden diese Lebenshaltungen, Denkweisen und Praktiken vielfach in Formeln wie: „‚sich um sich selbst kümmern’, ‚Sorge um sich selbst tragen’, ‚sich in sich selbst zurückzuziehen’, […] ‚sich selbst Freund sein’, […] ‚sich selbst verehren’, ‚sich selbst achten’.“12 Diese Formeln mögen heute etwas befremdlich wirken und jemand der offen kommuniziert sich selbst zu verehren, mag dafür schnell als selbstsüchtig oder egoistisch verurteilt werden. Wenn sich eine Person in sich selbst zurückzieht oder sich um sich selbst kümmern muss, besitze dies schnell eine melancholische, gar traurige Konnotation so Foucault. Dies entspräche jedoch nicht den ursprünglichen Bedeutungen der Formeln der Sorge um sich selbst, denn diese besäßen im antiken Denken, bis zum Gebrauch im Christentum, keinerlei negative Assoziationen.13 In diesem Sinne nehme diese nicht- egoistische Ethik, als christliche Gestalt, die Verpflichtung zum Verzicht auf sich selbst ein, oder aber einen nicht ausschließlich christlichen moderneren Ansatz zur Verpflichtung anderen Gegenüber.14

2.1 Suche nach der Wahrheit

Welche Ziele verfolgte also konkret die Sorge um sich selbst? Außer ein mündiger Bürger zu werden, der sich in der Gesellschaft einbringen solle und wusste wie er sich zu verhalten habe. Das einheitlich formulierte Ziel der Philosophen in der Antike liege in der Suche nach der Wahrheit und sei besonders darauf gerichtet, welche Wege und Techniken genutzt werden sollten um diese zu erlangen.15 Ohne genauer zu definieren was hierbei unter Wahrheit zu verstehen ist, galt diese als erstrebenswert, da sie das Subjekt erleuchte und Glückseligkeit, sowie Seelenruhe verschaffe.16 Der Weg zur Wahrheit rückte die Maxime des delphischen Orakels „erkenne dich selbst“ in den Vordergrund.17 Das Subjekt gelang schließlich zur Wahrheit, indem es an sich selbst arbeitete oder präziser „[…] ein Herausarbeiten seiner Selbst, eine allmähliche Veränderung seiner Selbst […]“ vornahm, so Foucault.18 Diese Arbeit an sich selbst vollziehe sich in einem Erkenntnisakt, wobei dieser alleine nicht ausreiche um zur Wahrheit zu gelangen, „[…] sondern er bedarf der Vorbereitung der Begleitung und Vollendung durch eine gewisse Veränderung des Subjekts […]“.19 Historisch gesehen können in der Suche nach Wahrheit und in der Voraussetzung der Arbeit an sich selbst, die Wurzeln einer bis heute andauernden hierzu motivierenden Selbstsorge gefunden werden. Das Subjekt muss sich in gewisser Weise verändern um Zugang zu etwas zu erhalten, was ihm verbesserte Lebensbedingungen oder Seinszustände verspricht. Im Nachgang der Antike bis hin zum Mittelalter und dem Aufstieg der christlichen Religion, war es fortan die Erkenntnis und der Erkenntnisakt allein, der Zugang zur Wahrheit erlaube, sodass keine zwingenden Veränderungen oder Transformationen des Subjekts nötig wären.20 Gleichzeitig wurde die Wahrheit dadurch in ihren Wirkungsinhalt verändert, indem nun zwar jedes Subjekt Zugang zur Wahrheit besäße ohne sich vorher verändern zu müssen, aber diese Wahrheit nun nicht mehr fähig sei, dem Subjekt das erhoffte Seelenheil zu bringen schlussfolgert Foucault.21 Der Begriff Seelenheil ist insofern ein äußerst zutreffender Begriff, als das dieser bereits die frühen Anfänge einer Sorge um die Seele und die damit verbundenen Ziele beschreibt. Diese Sorge erlebte besonders im 19. Jahrhundert einen großen Aufschwung, durch den Vormarsch der Psychoanalyse. Darum soll sich das nächste Kapitel dem Wandel widmen, der innerhalb der westlichen Kulturen stattgefunden hat und sich inhaltlich besonders mit der Sorge um die Seele des Menschen beschäftigt. Hierbei wird es besonders zu beobachten sein, inwiefern sich fachliches Wissen der Bereiche Psychologie, Psychoanalyse und Psychotherapie, innerhalb der westlichen Kulturen und Gesellschaften, verbreiten konnten.

3 Die „therapeutische Kultur“

Das 19. Jahrhundert würde manchmal als „Zeitalter der Nervosität“ bezeichnet, in dem die Diagnose einer Neurasthenie Hochkonjunktur besaß und die Menschen sich vielfach in diesem Krankheitsbild wiederfanden. Dies habe nicht zuletzt daran gelegen, da die Menschen sich vielen Umbrüchen ausgesetzt sahen und vielfach mit Orientierungsnöten konfrontiert waren. Die „modernen Subjekte“ wären durch notorische Zweifel verunsichert und hätten unter permanenten Erfolgs- und Entscheidungsdruck gestanden. Immer neue Möglichkeiten und Chancen taten sich auf, die jedoch nicht alle als positiv und als wachsendes Autonomiepotenzial empfanden.22 Zusammengefasst hält Straub fest: „Viele Bewohner moderner Gesellschaften mussten mit den sich vervielfachenden, miteinander konkurrierenden Optionen, zwischen denen sie in wachsendem Maß ‚frei’ wählen konnten, einigermaßen vertraut werden und zurechtkommen“.23 Der Verlust alter Traditionen und Bezugsgruppen, sowie wachsende Gefühle der Instabilität und Unsicherheit forderten ein hohes Maß an Selbstständigkeit, um die sich jedes Subjekt fortan zu bemühen hatte.24 So gäbe es eine rapide gesteigerte Verantwortung für sich selbst Sorge zu tragen und sein Leben eigenständig führen zu können, weitestgehend ungeachtet der unberechenbaren und unüberschaubaren Verhältnisse.25 In dieser Fülle von Anforderungen und Schwierigkeiten für die „modernen Subjekte“, ist es kaum verwunderlich, dass sich parallel hierzu Bewegungen und wissenschaftliche Bestrebungen gebildet haben, die sich hiermit auseinandersetzten. Denn die kulturellen und historisch geprägten Befindlichkeiten der Seele bedurften einer neuen Ansichtsweise und im Falle diagnostizierter psychischer Krankheiten, einen ebenso geprägten Ansatz zur Behandlung dieser.26 Es gab Anfang des 20. Jahrhunderts kaum ein ehrgeizigeres Projekt, was sich den seelischen Befindlichkeiten und psychischen Krankheiten annahm, als die neubegründete Psychoanalyse von Sigmund Freud. Hierzu formuliert Illouz treffend: „Freuds revolutionäre Ideen hatten […] einen zentralen Gegenstand- seelisches Leid- und boten noch nie dagewesene Techniken, diesem ein Ende zu bereiten bzw. es zu lindern“.27 Beim Anspruch Freuds, seelisches Leid zu lindern sollte es jedoch nicht bleiben, so „[…] sollte Freud die wichtigste Kosmologie des modernen Selbst hervorbringen, indem er sie mit den Idealen der Autonomie und Selbsterkenntnis und dem Streben nach Glück verband […]“ führt Illouz fort.28 Hierbei wird deutlich, dass das Ziel der freudschen Psychoanalyse über die Heilung seelischen Leids, bereits zu seiner Zeit hinaus reicht, indem hier Formulierungen mitschwingen, die unter zeitgenössischer Perspektive bereits als Optimierungsziele erfasst werden können. Auch der Begriff der Wahrheit spielt wie in der Antike, im Verständnis der psychoanalytischen Praxis nach Freud eine Rolle, so schlussfolgert Eva Illouz diese bringe uns „[…] dazu, nach der Wahrheit über uns selbst zu suchen; folglich geht es ihr definitionsgemäß darum, daß (!) wir diese Wahrheit entdecken und uns durch die Suche nach ihr emanzipieren.“ Hierbei steht also wieder die Wahrheit im Zentrum und die Suche nach ihr in uns selbst wird wieder zentral, wobei die Psychoanalyse den richtigen Weg zu weisen vermag.

3.1 Der Aufstieg der Psychoanalyse

Anfänglich habe die Psychoanalyse in Deutschland noch mit Ignoranz zu kämpfen gehabt, aber es war besonders das Land Amerika, dass Freuds Lehren einen großen Aufschwung verlieh, stellt Illouz fest.29 Dies lag jedoch nicht zuletzt daran, dass es ihm gelang, bereits in Europa eine Theorie mit großer Reichweite und einer soliden Organisationsstruktur gegründet zu haben. So leitete Freud zwischen den Jahren 1902 und 1906 eine „Psychologische Mittwochsgesellschaft“, deren Zweck darin bestand neue Anhänger zu finden und neue Ideen aufzustellen. Durch die Aneignung psychoanalytischer Konzepte und Praktiken von Akteuren, in wissenschaftlichen und kulturellen Schlüsselpositionen, bereitete Freud das Fundament einer raschen Verbreitung seiner Theorien.30 Der Grundstein war also gelegt und nach Illouz habe sich kein Land für die freudschen Lehren so aufgeschlossen gezeigt wie Amerika.31 Dies habe besonders daran gelegen, da hier „[…] verschiedene Methoden des Heilens ‚durch den Geist’ bereits gängig waren […]“.32 Durch Freuds Amerikaaufenthalt und der im Jahr 1909 gehaltenen Vorlesungen, gelang es ihm, interessierte Unterstützer zu finden, die zur Verbreitung der Psychoanalyse beitrugen und aus den Eliten der psychiatrischen und neurologischen Fachgebiete stammten.33 So half das medizinische Establishment in Amerika der Psychoanalyse anerkannt und institutionalisiert werden. Daran anschließend nennt Illouz besonders die Ärzte Abraham Brill und James Putnam diese „[…] bemühten sich unermüdlich darum, die Psychoanalyse der breiten Masse nahezubringen, und wirkten so als kulturelle Vermittler und sogar Missionare, die für die Psychoanalyse warben und sie legitimierten.“34 So sorgte die Medizin maßgeblich dafür, dass die Psychoanalyse sich in der Populärkultur verbreitete und Legitimität, sowie Ansehen erhielt. Dies zeige sich auch in der Gründung und Etablierung der „American Psychoanalytical Association“ die 1911 ins Leben gerufen wurde und somit der Psychoanalyse zu einer eigenen Organisationsform verhalf.35 Der Aufschwung der Psychoanalyse wurde weiterhin bestärkt, als im Ersten Weltkrieg einige Soldaten traumatisiert zurückkehrten und Psychoanalytiker diese erfolgreich heilen konnten, womit sie weiter an Status und Selbstvertrauen gewannen. Auch der zweite Weltkrieg verhalf, historisch betrachtet, der Psychologie als Ganzes sich weiter auszubreiten und sich zu etablieren, sodass Psychologen in vielen unterschiedlichen Bereichen angefragt und gefordert wurden. In Personalverwaltungen waren diese fortan zu finden, wie auch beim Militär, zur Stärkung der Kriegsmoral oder Propaganda.36 Die Institutionalisierung der Psychologie schritt immer weiter voran und die Gründung psychologischer Fachbereiche an den Universitäten, trug zur Konstituierung des gesamten Berufsstandes der Psychologen bei. Somit wurde die Standardisierung psychologischer Erkenntnisse ermöglicht und erlaubte darüber hinaus den Anspruch der Psychologen auf ein „[…] allgemein anwendbares Expertenwissen“ resümiert Illouz.37

Durch die Verbundenheit der Psychoanalyse mit dem autoritären Ärztestand und einer auch zunehmenden Beliebtheit beim „Laienpublikum“, wuchs das Selbstvertrauen der Psychologie in einem weiten Ausmaß. Gerade die Öffnung des wissenschaftlichen Diskurses und die Verschiebung hiervon, verhalf der Psychologie zur großen Popularität, so schreibt Eva Illouz: „Die Psychologie war zweifellos die populärste aller Sozial- und Naturwissenschaften, das heißt, sie war wie keine andere öffentlichkeitsbewußt (!) und am Puls der Öffentlichkeit.“38 Im nachfolgenden Abschnitt soll genau dieser Umstand betrachtet werden, warum und wie es die Psychologie bzw. die Psychoanalyse schaffte, einen so großen Anklang bei einer breiten Masse der Bevölkerung, in den USA, zu finden und zunehmend in die Gesellschaft hinein zu wirken.

3.2 Die Vermischung von Populärkultur und Psychologie

Zunächst soll eine Charakterisierung der Funktionen einer Kultur erfolgen. Dafür folgt diese Arbeit der Auffassung nach Eva Illouz es sei die Kultur, „[…] die jene Bedeutungen und Interpretationen prägt und ihnen eine Richtung gibt, mit deren Hilfe wir unseren Alltag bewältigen und auch Ereignissen Sinn verleihen, die den alltäglichen Gang der Dinge unterbrechen.“ Hieraus wird also deutlich, dass die Kultur maßgeblich dazu beiträgt den Alltag zu strukturieren und gewisse Verhaltens- oder Vorgehensweisen beeinflussen kann, „[…] indem sie die Selbste, die Techniken und die Weltanschauungen formt, aus denen Menschen ihre Lebensstrategien ableiten.“39 Somit kommt ihr eine wichtige Rolle zu, wenn es darum geht wie Menschen ihr Handeln bestimmen und wonach sie dieses ausrichten. Kulturen können sich durch unterschiedliche Art und Weise verändern und damit Änderungen in den Handlungen der Menschen erzeugen. Bestehende Strukturen können „neukodiert“ werden, oder bestehende gesellschaftliche Probleme werden anders aufgefasst und besprochen als bisher. Durch die Einführung und die Verbreitung der Psychoanalyse trug Freud maßgeblich zu einer Veränderung der westlichen Kultur bei, indem er eine neuartige Sprache schaffte, um die Seele beschreiben zu können und diese zu diskutieren oder sogar lenken zu können.40 Damit diese Sprache verbindlich werden konnte und „[…] neue Praktiken des Wissens, der Selbstbeobachtung und der Selbsttransformation […]“ etablieren konnte, musste diese von gesellschaftlichen Institutionen übernommen werden. Dies war vielfach durch die Psychologie geschehen und deren zugehörige wissenschaftliche Autorität, sodass sich diese weiter in unterschiedlichste „gesellschaftliche Arenen“ ausbreiten konnte.41 Dabei attestiert Illouz der Psychologie einen gewissen Anspruch auf Allwissenheit:

Psychologen entwickelten nicht nur die Umrisse einer neuen Wissenschaft des Geistes, sondern behaupteten darüber hinaus, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zu verstehen, die Mysterien des Glaubens und politischen Massenbewegungen entziffert zu haben sowie über die Techniken und Grundsätze zu verfügen, die zu sexueller Erfüllung, zu Erfolg und Zufriedenheit verhalfen.42

Schnell formte sich hieraus ein therapeutischer Diskurs, der sich in eine kulturelle Form verwandelt habe und die Erfahrung der Menschen präge, sowie organisiere. Er besäße darüber hinaus die Stellung als kulturelle Ressource, mit deren Hilfe sich die Menschen selbst und soziale Beziehungen besser verstehen könnten.43 In diesem Zusammenhang benennt Eva Illouz die Entstehung eines neuen „emotionalen Stils“ der eine Kombination verschiedener Formen beinhalte, „[…] in denen sich eine Kultur mit bestimmten Gefühlen ‚beschäftigt’ und spezifische- sprachliche, wissenschaftliche, virtuelle- ‚Techniken’ entwickelt, um sie zu begreifen.“ Besonders auf der sprachlichen Ebene, sind die Diskurse des psychologischen Spezialwissens und einer Populärpsychologie sehr mit einander verschwommen, da diese beide auf das Selbst zielen und „[…] dabei ähnliche Metaphern und Erzählungen benutzen“.44

Wenn populärpsychologische Veröffentlichungen uns auch nicht direkt über die Verwendungsweisen therapeutischer Sprache in der Praxis informieren können, so geben sie doch die öffentlich zugänglichen Sprachen zu erkennen, die unser Selbstverständnis formen und uns dabei helfen, das Verhalten anderer zu interpretieren.45

Der immer weiter fortschreitende Eingang der Psychologie in die Kultur und damit in den Alltag der Menschen, zeigte sich in den USA, nach Erfolgen der Psychologen in der Armee, auch innerhalb von Unternehmen.46 Hier wurden Psychologen gebeten Tests zu entwickeln, um besonders fähige und produktive Mitarbeiter auswählen zu können und einzustellen.47 Nicht nur die Persönlichkeit der Mitarbeiter, sondern auch die der Manager avancierte zu einem Erfolgskriterium für Unternehmen auf das zu achten sei.48 Die Angebote der Psychologie waren zu dieser Zeit, in einer sich verändernden Zivil- und Arbeitsgesellschaft, äußerst attraktiv. So wurden Werkzeuge zur Verfügung gestellt, Mitarbeiter*innen zu führen und diesen Orientierung zu liefern, um sich in den komplexer werdenden Organisationen und in der amerikanischen Wirtschaft zurecht zu finden.49 Damit konnte sich die „therapeutische Sprache“ schnell verbreiten und sprach bei der Bearbeitung des Themas Produktivität, sowohl Manager als auch Mitarbeiter gleichermaßen an.50 Alle hier dargelegten Entwicklungen und Verbreitungen psychologischen Wissens und Praxis, verdeutlichen einen Übergang von einer reinen von Experten betriebenen Wissenschaft, hin zu alltagstauglichen Techniken und Erklärungsweisen, die auf menschliches Verhalten abzielen. Da diese Arbeit besonders die Psychologie und deren Ausbreitung unter dem Aspekt der Selbstoptimierung betrachtet, wird im nachfolgenden Kapitel der Aufschwung der Maxime zur Selbstoptimierung nachgezeichnet und mit welcher Selbstverantwortung dies einhergehe.

3.3 Selbsthilfe und Humanistische Psychologie

Als Vorreiter einer modernen Selbsthilfe- Kultur ist Samuel Smiles zu nennen, der mit seinem Buch „Self- Help“ (1859) mithilfe von Portraits erfolgreicher Männer, deren Weg zu Ruhm und Reichtum nachzeichnete.51 Die Botschaft hierbei war eindeutig, aus einer individuellen Verantwortung heraus ist jeder Mensch dazu fähig, aus sich heraus Erfolg herbeizuführen.52

Dieser optimistischen Ansicht widerspricht Freud, der unvermittelt zugab, dass wenn die seelische Entwicklung einmal Schaden genommen habe, dies nicht durch einfache Willenskraft zu heilen sei. Zudem sei die Fähigkeit sich selbst heilen, oder helfen zu können stark von der Klassenzugehörigkeit abhängig. Seiner Meinung nach, war es allein die wissenschaftlich fundierte, oft kostspielige Arbeit des Psychoanalytikers, die dem Selbst helfen konnte. Illouz interpretiert Samuel Smiles Ansicht dagegen, dass er davon überzeugt war, „[…] daß (!) der einfache oder arme Mann sich durch Nüchternheit, Ausdauer und Energie über die gewöhnlichen Prüfungen des täglichen Lebens erheben […]“ könne und somit sich selbst von Lastern zu befreien vermochte.53 Man beachte jedoch auch, dass sich bei Freud und Smiles zwei unterschiedliche Konzepte und Intentionen begegneten. So war Freud darin bestrebt die Seele zu heilen, also Gesundheit herzustellen, wohingegen Smiles Erfolg (Ruhm, Reichtum, Macht o.ä.) als das erstrebenswerteste Ziel ansah.54

Trotz dieser unterschiedlichen Vorstellungen ist in der heutigen amerikanischen Gesellschaft und auch in weiten Teilen der westlichen Kulturen allgemein, ein Bündnis von Smile’s Selbsthilfeethos und den freudianisch geprägten Grundsätzen zu erkennen. Nicht zuletzt einer riesigen Selbsthilfeindustrie ist es zu verdanken, dass die Botschaft jedermann könne sich selbst helfen, egal um welche Themen es sich handelt „[…] wie Intimität, Kindererziehung, Führungsstärke, Scheidung, Durchsetzungsvermögen, Wutmanagement, Diät und Wohlbefinden […]“. Die freudianischen Züge zeigen sich besonders in Behauptungen, die mit den behandelten Themen verbunden werden, wie der zum Großteil unbewussten Identität, innere Ursachen für Konflikte, oder die widersprüchliche Konstitution der Identität.55 Die Verbindung der Selbsthilfe mit der Sprache der Psychotherapie, ermöglichte einen erweiterten Zugang zur Populärkultur und verschränkte sich hier mit Schlüsselbegriffen und erstrebenswerten Zielen, der amerikanischen Kultur, „[…] wie dem Streben nach Glück, Selbständigkeit und Selbstvertrauen sowie dem Glauben an die Perfektionierbarkeit des Selbst […]“.56 So könne eine therapeutische Selbsthilfekultur entstehen, die sich in die sozialen Erfahrungen der Menschen einpräge und zugleich ein internalisiertes kulturelles Schema darstelle, welches die Wahrnehmung unserer Selbst und anderer, sowie zwischenmenschliche Interaktionen organisiere.57 Den letztendlichen Siegeszug der Psychologie und deren Einzug in die amerikanische Kultur besiegelte, die humanistische Psychologie und besonders die einflussreichen Vertreter wie Abraham Maslow und Carls Rogers.58 Die Arbeiten von Rogers machten fortan Selbstverwirklichung zu einer natürlichen und jeder Lebensform innewohnenden Motivation, „[…] ihr Potential in größtmöglichen Ausmaß zu entfalten.“ Damit wurde persönliches Wachstum, Selbstverwirklichung und Entfaltung zu einer universellen Disposition die nur auf die richtigen Bedingungen wartete, um aktiviert zu werden.59 Da hierbei die Sprache von einer natürlichen Ressource oder Veranlagung zur Selbstverwirklichung die Rede ist, sei es fortan jeden Menschen auferlegt diesen unklaren Ziel nachzugehen.60

Hier wird ein klarer Schnitt vollzogen der sich von Freuds ausgehenden Intentionen, die Seele zu heilen, zur humanistischen Psychologie und deren Ideale der Selbstverwirklichung entwickelt. Wobei die Kategorie Krankheit damit erweitert wurde, so fanden sich Menschen die sich an den psychologischen Idealen der Selbsterfüllung maßen, schnell in einer Kategorie der Krankheit wieder, denn sie waren ja nicht imstande aus eigener Kraft diese natürliche Disposition zu aktivieren und auszuleben. Hierzu resümiert Illouz, dass es den Psychologen gelang ihren Zuständigkeitsbereich zu vergrößern „[…] auf das wesentlich größere Feld des neurotischen Unglücks […]“.61

Es etablierte sich die Vorstellung Gesundheit und Selbstverwirklichung seien synonym geworden und der große Publikumserfolg der Psychologie hänge damit zusammen, dass die meisten Menschen von nun an als „nichtselbstverwirklicht“ galten.62

Somit war die Zielgruppe für psychologische Ratgeber enorm gewachsen und eine neue Art der Selbstverantwortung und Autonomie breitete sich aus. Die humanistische Psychologie versprach Methoden und Techniken mit deren Hilfe sich jeder dazu befähigen konnte nicht nur gesund, sondern gleichsam erfolgreich zu werden, egal was dies speziell im Einzelfall für jeden bedeutete. Ein neuer Selbsthilfeethos war somit entstanden. Das nächste Kapitel greift nun diese Entwicklung auf und zeigt den Fortgang der Techniken und des Bestrebens der Menschen innerhalb der westlichen Kultur, ihr selbst an den Leitideen der humanistischen Psychologie anzupassen und sich zu optimieren.

4 Der Wandel zur „Optimierungskultur“

Der Beginn einer „Optimierungskultur“ setzt genau da an wo die humanistische Psychologie ihre Leitlinien und Zielsetzungen formuliert hat. Ein selbstverwirklichtes Leben war fortan das Ziel, was jeder Mensch verfolgen sollte und jedwedes Unglück was einem wiederfahren konnte, wurde bereits zum Ausdruck mangelhafter Bemühungen.63

Dabei war es in Anlehnung an Rogers signifikant wichtig und Voraussetzung, dass man sich zuallererst selbst wertschätzen musste, damit der innerliche „Wachstumstrieb“ aufrechterhalten werden könne. Abhängigkeiten, von den Erwartungen oder Weisungen anderer, waren als Einschränkungen und als schädlich für den Prozess der Selbstverwirklichung zu betrachten. Ein besonders interessanter Aspekt, der im späteren Verlauf dieser Arbeit noch betrachtet wird, wenn es um die Autonomie des Subjekts innerhalb von Optimierungsprozessen geht. Die erfolgreichste Verbindung von Psychologie und Selbsthilfeehtos vollbrachte jedoch, in Anlehnung an Carl Rogers, Abraham Maslow.64

Dabei dehnte sich der Begriff der „Selbsthilfe“ dahingehend aus, dass sich zunehmend Experten auf den Weg machten, als professionelle Unterstützer den Menschen zu helfen, „[…] die in ihrem Bemühen um Selbstaktualisierung und Selbstverwirklichung ins Stocken kamen oder erst gar nicht recht wusste, wie sie das emotionale Abenteuer am besten anfangen sollten.“ Eine ganze Selbsthilfeindustrie konnte sich, durch die Humanistische Psychologie als Wegbereiter, etablieren schlussfolgert Straub.65

Somit hatte die therapeutische Kultur den nächsten Schritt gemacht und eine Praxis eingeleitet, die Ratschläge und Empfehlungen zu fast allen Fragen der Lebensführung und Persönlichkeitsempfehlung zu geben vermochte. Sie ebne so den Weg, zu zeitgenössischen Untersuchungen der „Beratungsgesellschaft“ oder sonstigen „Empfehlungsregimes“.66

Es ist zutreffend im 20. Jahrhundert von einer, auch über Amerikas Grenzen hinweg, weitestgehend hegemonialen Psychomacht sprechen zu können, so können die sich ausweiteten „Psy- Disziplinen“ und deren „[…] Psychopraktiker und –techniker die Verfahren, Strategien und Taktiken der Selbstbeobachtung und Selbstthematisierung, Selbstbearbeitung und Selbstarbeit bereitstellen“.67

All diese Entwicklungen der Humanistischen Psychologie und die Ausdehnung der Psy- Disziplinen mache deutlich, dass der Fokus einer auf Wiederherstellung der Gesundheit zielenden Praxis der Psychologie, zunehmend verschwand und sich mehr und mehr „[…] den gesunden und angepassten, intakten und funktionsfähigen Menschen zu […]“ wandte. Somit überschritt sie maßgeblich ihre traditionellen Grenzen auch dort wo sie noch erkennbar einer psychiatrischen, klinisch- psychologischen Tradition folgte. Etliche Heilberufe befanden sich so zunehmend im Wandel und standen von nun an nicht mehr nur Personen zu diensten, die an Krankheiten oder Störungen litten, sondern entwickelten sich gegen Mitte des 20. Jahrhunderts hin zu Menschenverbesserungsunternehmen und Mitmachprogrammen für jeden Personenkreis. Hierzu resümiert Straub treffend: „Es musste einem eigentlich gar nicht groß was fehlen: Therapie und Beratung schienen (und scheinen heute mehr als je zuvor) stets am Platz, jedenfalls nie verkehrt […]“. Die so transzendierte therapeutische Kultur nehme die „ganz normalen Leute“ ins Visier und verheiße „[…] ihnen Entwicklungen ihrer Potenziale, die ihre Lebensqualität steigern, ihr Dasein menschlicher, reicher, kreativer, spannender, einfach glücklicher machen sollen.“ Das Thema der Selbstentwicklung und Selbstoptimierung geriet somit in einen starken Fokus und wurde zu einer Aufgabe der sich fortan niemand mehr entziehen sollte, egal ob im eigenen Interesse oder in einem allgemein gesellschaftlichen Sinne, so Straub.68

Die vermehrte Anzahl an Menschenverbesserungsangeboten, blieb nicht allein in den Händen der wissenschaftlichen Psychologie, sondern auch zunehmend andere Berufsstände wie Pädagogen oder Philosophen fühlten berufen, diesen Markt mit eigenen Beratungsangeboten zu füllen. Die ständig anzutreffenden Angebote und die universelle Verbreitung von Selbstverbesserungsmaximen setzen vielfach einen subtilen Anpassungsdruck in Gang, „[…] dem in der normierenden und normalisierenden Animations- und Mobilisierungskultur des sich optimierenden Menschen kaum jemand völlig ausweichen kann.“69

[...]


1 (Foucault, 1993, S. 28)

2 (Foucault, 1993, S. 34)

3 (Foucault, 1993, S. 35)

4 (Foucault, 1993, S. 37)

5 (Foucault, 1993, S. 41)

6 (Ebd.) Eine Entwicklung die also früh begann und auch heute im 21. Jahrhundert noch nicht zu einem Ende gelangt ist. Sondern im Gegenteil immer mehr an Fahrt aufnimmt, man denke hier nur an die verschiedensten (technischen-) Hilfsmittel zur eigenen gesundheitlichen Vorsorge (Fitness-Tracker, Überwachung der Körperfunktionen usw.)

7 (Foucault, 1993, S. 42)

8 (Foucault, 1993, S. 43)

9 (Foucault, 1993, S. 28) Foucault nennt diese Verbindung Kontrollmentalität.

10 (Foucault, 2004, S. 27)

11 (Foucault, 2004, S. 26)

12 (Foucault, 2004, S. 28)

13 (Foucault, 2004, S. 29)

14 (Foucault, 2004, S. 34)

15 (Ebd.)

16 (Ebd.)

17 (Foucault, 2004, S. 31)

18 (Foucault, 2004, S. 33)

19 (Foucault, 2004, S. 34)

20 (Foucault, 2004, S. 35)

21 (Foucault, 2004, S. 37)

22 (Straub, 2013, S. 8)

23 (Straub, 2013, S. 11)

24 (Straub, 2013, S. 12)

25 (Straub, 2013, S. 13)

26 (Straub, 2013, S. 5)

27 (Illouz, 2009, S. 50)

28 (Illouz, 2009, S. 51)

29 (Illouz, 2009, S. 61)

30 (Illouz, 2009, S. 53)

31 (Illouz, 2009, S. 58)

32 (Illouz, 2009, S. 59)

33 (Illouz, 2009, S. 60)

34 (Illouz, 2009, S. 63)

35 (Illouz, 2009, S. 64)

36 (Illouz, 2009, S. 65)

37 (Illouz, 2009, S. 66)

38 (Illouz, 2009, S. 66 f.)

39 (Illouz, 2009, S. 104)

40 (Illouz, 2009, S. 68)

41 (Illouz, 2009, S. 102)

42 (Illouz, 2009, S. 102 f.)

43 (Illouz, 2009, S. 103)

44 (Illouz, 2009, S. 32)

45 (Illouz, 2009, S. 132)

46 (Illouz, 2009, S. 120)

47 (Illouz, 2009, S. 120)

48 (Illouz, 2009, S. 122 f.)

49 (Illouz, 2009, S. 151)

50 (Illouz, 2009, S. 152)

51 (Illouz, 2009, S. 257)

52 (Illouz, 2009, S. 258)

53 (Illouz, 2009, S. 259)

54 (Illouz, 2009, S. 260)

55 (Illouz, 2009, S. 261)

56 (Illouz, 2009, S. 262)

57 (Illouz, 2009, S. 263)

58 (Illouz, 2009, S. 267)

59 (Illouz, 2009, S. 268)

60 (Illouz, 2009, S. 269)

61 (Illouz, 2009, S. 270)

62 (Illouz, 2009, S. 271)

63 (Straub, 2013, S. 20)

64 (Illouz, 2009, S. 269)

65 (Straub, 2013, S. 21)

66 (Straub, 2013, S. 24)

67 (Straub, 2013, S. 25)

68 (Straub, 2013, S. 26)

69 (Straub, 2013, S. 27)

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Selbstoptimierung im Coaching. Wie können Coaching-Prozesse die Autonomie und Selbstverantwortung fördern?
Autor
Jahr
2020
Seiten
63
Katalognummer
V518483
ISBN (eBook)
9783963550607
ISBN (Buch)
9783963550614
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selbstoptimierung, Coaching, Optimierungsdienstleistung, Neuroenhancement, Selbsterkenntnis, Psychoanalyse, Selbsthilfe
Arbeit zitieren
Oliver Kuhnt (Autor:in), 2020, Selbstoptimierung im Coaching. Wie können Coaching-Prozesse die Autonomie und Selbstverantwortung fördern?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/518483

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