Leonardo da Vincis "Letztes Abendmahl". Stilistische Merkmale und ikonographische Deutung


Seminararbeit, 2018

39 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Das Universalgenie Leonardo Da Vinci

3. Leonardo Da Vincis „Letztes Abendmahl“ in Santa Maria delle Grazie, Mailand
3.1. Standort und Auftraggeber
3.2. Daten und Fakten
3.3. Maltechnik und Erhaltungszustand

4. Bildbeschreibung

5. Stilistische Merkmale

6. Ikonographische Deutung
6.1. Quellen
6.2. Abweichungen von der Bildtradition
6.3. Die Vier Temperamentenlehre des Hippokrates

7. Andere Abendmahlsdarstellungen
7.1. Giotto di Bondones „Das Letzte Abendmahl“
7.2. Domenico Ghirlandaios „Abendmahl“

8. Fazit

9. Literaturverzeichnis

10. Abbildungen

11. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Diese Arbeit widmet sich dem geheimnisvollen Hauptwerk dem „Letzten Abendmahl“ des Renaissance Malers Leonardo Da Vinci. Sein Wandgemälde soll stilistisch und ikonographisch analysiert und dessen Einzigartigkeit anhand von Vergleichsdarstellungen aufgezeigt werden.

Zu Beginn soll ein kurzer Abriss zur Person des Malers stehen, ebenso in Hinblick auf den Begriff des Universalgenies, um einen Überblick über die wichtigsten Schritte in dessen Leben zu erhalten. Nachfolgend ist es unerlässlich den Standort des Freskos abzuklären und einen genaueren Blick auf das Refektorium in Santa Maria delle Grazie in Mailand zu werfen. Hierbei werden generelle Informationen genannt und auch Bezug zu den Auftraggebern genommen. Des Weiteren soll die Maltechnik die Da Vinci im „Letzten Abendmahl“ angewendet hat kurz erläutert werden und im Zusammenhang damit, der Erhaltungszustand geklärt werden. Anschließend erfolgt der tiefere Einstieg in das Werk mit einer Bildbeschreibung, um die stilistischen Merkmale wie z. B. den Bildaufbau, die Zentralperspektive und den Goldenen Schnitt analysieren zu können. Um die Unterschiede zu anderen Abendmahlsdarstellungen zu verstehen, muss auch auf die ikonographischen Merkmale eingegangen und ein Blick auf die verwendeten Quellen Leonardo Da Vincis geworfen werden. In Hinblick auf die Vergleichsdarstellung in Punkt 7, sollen Abweichungen bezüglich der Bildtradition des „Letzten Abendmahls“ bei Leonardo festgestellt werden. Um einen plausiblen Interpretationsansatz des Werks in diese Arbeit einzubinden, soll die Vier Temperamentenlehre des Hippokrates und die Umsetzung in die Darstellung des „Letzten Abendmahls“ erläutert werden. Zum Schluss werden andere Abendmahlsdarstellungen als Vergleich zu Da Vincis Meisterwerk herangezogen: Zum einen, ein Beispiel aus früherer Zeit Giotto di Bondones „Letztes Abendmahl“ und zum anderen, eine Abendmahlsdarstellung von Leonardo Da Vincis Zeitgenossen Domenico Ghirlandaio, die nur wenige Jahre vor Leonardos Werk entstand.

Abschließend soll das Fazit die Unterschiede der Umsetzung der Abendmahlsthematik in Da Vincis Fresko im Vergleich du den anderen Abendmahlsdarstellungen zusammenfassen und die revolutionäre Fortschrittlichkeit Leonardos hervorheben.

2. Das Universalgenie Leonardo Da Vinci

Leonardo di Ser Piero da Vinci wurde am 15.4.1452 im ländlichen Vinci bei Empoli in der Toskana geboren.1 2 Er lebte bis zum 2.5.1519 und verstarb in Cloux bei Amboise in der Nähe von Tours (Salleck, S.19). Er gilt als Universalgenie, indem er viele verschiedene Disziplinen gut beherrschte und ein gewisses Grundwissen in jeder einzelnen davon besaß. Er war deshalb nicht nur Künstler, sondern beispielweise auch Naturwissenschaftler, Architekt, Plastiker, Ingenieur, Anatom, Geologe und es ließen sich noch mehr nennen. Er war auch leidenschaftlicher Philosoph, was im Besonderen für sein maßgebendes Werk das „Letzte Abendmahl“ von wichtiger Bedeutung sein wird (Salleck, S.19 - 20). Die Familie Da Vinci war nicht besonders vermögend, besaßen aber Land und waren in der Bevölkerung hoch angesehen. Die Notarsfamilie hatte gute Verbindungen nach Florenz und tätigten dort ihre Geschäfte (Nicholl, S. 40 - 41). Seine Ausbildung absolvierte Leonardo in etwa ab dem Jahr 1466 bei dem berühmten Maler sowie Bilderhauer Andrea de Verrochio in Florenz, bei dem er auch wohnte.3 In dessen Werkstatt hatte er Kontakt zu weiteren talentierten Künstlern wie z. B. Perugino, Domenico Ghirlandaio und Lorenzo di Credi (S. 102).

Bei seinem Meister war er bis ca. 1977 tätig, worauf er begann als selbstständiger Maler zu arbeiten. In seiner Künstlerkarriere erhielt er zahlreiche renommierte Aufträge, von denen er aber einige weder abschließen, noch gar erst beginnen wird - eine typische Charaktereigenschaft Leonardos. Als essentieller Wegpunkt in dessen Leben vor Allem im Hinblick für den späteren Auftraggeber des „Letzten Abendmahls“, war 1482 seine Bewerbung am Hofe des Mailänder Herzogs Ludovico Sforza. Ihm bietet Da Vinci an, Kriegsmaschinen und andere Waffen für einen Kampf gegen Venedig zu konstruieren - u. A. empfiehlt er sich auch für das geplante Reiterstandbild Francesco Sforzas, das allerdings über Entwürfe nicht hinausgehen wird. Diese Bewerbung erfolgte wohl aus Frust, da er nicht - im Gegensatz zu anderen Florentiner Malern wie z. B. Michelangelo - zur Ausmalung der Sixtinischen Kapelle berufen wurde. Erst ca. 10 Jahre später wird ihm vom Mailänder Herzog der Auftrag für das „Letzte Abendmahl“4 erteilt werden (Lüdecke, S. 167 - 171).

3. Leonardo Da Vincis „Letztes Abendmahl“ in Santa Maria delle Grazie, Mailand

Auf Leonardos Bewerbung hin, wird dieser noch im selben Jahr durch Ludovico Sforza an dessen Mailänder Hof berufen. Bereits 1492 beschäftigte sich Da Vinci mit zahlreichen Planungen und Skizzen wie z. B. charakteristische Köpfe für den Auftrag des „Letzten Abendmahls“ durch den Herzog. Leonardo sollte für die Stifterfamilie den Speisesaal des Refektoriums des früheren Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie gestalten (Lüdecke, S. 170 - 171; Möller, S. 2) (Abb. 1).

3.1. Standort und Auftraggeber

Francesco Sforza beauftragte 1469 den Baumeister Guiniforte Solari zur Errichtung des Dominikanerklosters und Kirche Santa Maria delle Grazie in Mailand. Das verlängerte Refektorium in das später Leonardo sein Meisterwerk das „Letzte Abendmahl“ vollenden wird, wurde mit der Kirche 1492 fertiggestellt. Da die Sforzas diese auch als Familiengrabstätte nutzen wollten5, wurde für diesen Zweck der italienische Maler und Baumeister Donato Bramante beauftragt, einen monumentalen Zentralbau samt Kuppel und Sakristei an Stelle des alten Chores zu erbauen.6

Der Speisesaal selbst, war einst für mehr als 100 Dominikanermönche erbaut worden und beträgt nach dem Umbauten heute 35,5 m Länge, 8,55 m Breite und 10,30 m Höhe (Abb. 2). Zu Leonardos Lebzeiten befanden sich in der Westwand des Saales sechs hoch gelegene Fenster, die für genügend Licht sorgten. Die Ostmauer enthielt wiederum acht kleine Fenster, die allerdings 1807 zugemauert und stattdessen welche zwischen die Gewölbekappen eingemauert wurden. Laut Möller führte aus der Küche „eine Tür in einen Raum hinter der von Leonardo bemalten Nordwand. In dieser gab es in fast zwei Metern Abstand zur Nordwestecke eine einen Meter breite, noch von Goethe gesehene Tür, die für das Auftragen der Speisen diente“ (S. 49 - 50) (Abb. 3). In der Mitte der Nordwand befand sich damals noch der ca. 1.60 m breite und 2.50 m hohe Haupteingang für die Dominikanermönche, links flankiert von einer kleineren Tür, die Johann Wolfang von Goethe noch gesehen haben soll. In Hinblick auf den Standort und den Speisesaal selbst, stellt Leonardos Werk einen weiteren Speisesaal im Speisesaal dar, wo Jesus mit seinen 12 Jüngern sein letztes Mahl abhält. Die Motivik hatte damals eine sehr vorbildliche Funktion bei Mönchen (S. 50-51).

Über Leonardos Fresko befinden sich drei Familienwappen der Stifterfamilie den Sforzas (Abb. 4). Diese lagen jedoch bis ins Jahr 1858 unter einer vierfachen Kalkschicht verdeckt und wurden bei Restaurierungen damals erst erneut freigelegt. Farblich sind die Wappen daher im Gegensatz zum Abendmahl selbst (siehe Kapitel 3.3.), in einem sehr guten Erhaltungszustand. In der Literatur wird zum Großteil angenommen, dass auch diese von Leonardo selbst gemalt wurden, allerdings betont Möller, dass es auch möglich wäre, dass sich der Künstler dafür Unterstützung geholt haben könnte (S. 50 - 51).

Die Wappen mit Initialen der Herzogsfamilie sind in halbkreisförmigen Umrandungen gemalt: der größere, mittlere Halbbogen beinhaltet die Titel des Herzogs und seiner Gemahlin LV(dovicus) MA(ria) BE(atrix) EST(ensis) SV(ortia) AN(glus) DV(X) MLI(mediolani). Das Wappen links davon enthält den Namen des Erstgeborenen M(aria) MX(Maximilianus) SF(ortia) AN(glus) CO(mes) PP(Papie-Pavie). Das Wappen rechts hat keinen eingesetzten Namen, es trägt nur die Inschrift SF(ortia) AN(glus) DVX BAR(i)7 (S. 2). Leider musste Da Vinci aber mit einem knausrigen und schlecht bezahlenden Herzog vorliebnehmen, der schon zu seiner Zeit als „ehrgeiziger, ränkevoller Politiker, ein zwar prunkliebender, aber ganz egoistischer, rücksichtsloser Herrscher, ohne ein Verhältnis zur Kunst“ galt (S. 5).8

3.2. Daten und Fakten

Die beachtliche Größe von 4.62 m Höhe und 8.51 m Länge hatte Da Vinci mit seiner Darstellung des „Letzten Abendmahls“ völlig ausgenutzt. Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass die damalige Höhe des Bodens um ca. 1 m tiefer lag und im 19. Jahrhundert wegen Hochwasser erhöht wurde. Dies ist besonders wichtig, in Bezug auf die von Leonardo in das Werk eingebaute Perspektive, was genauer in Kapitel 5. behandelt werden soll. Somit beginnt heute das Fresko ab einer Höhe von 2.15 m, damals erst ab 3.25 m über dem Boden (Möller, S. 50 - 51). Leider ist über den zeitlichen Ablauf des Schaffensprozesses des „Letzten Abendmahls“ nicht viel bekannt, lediglich wird in der Literatur vermutet, dass das Fresko im Jahre 1495 bereits begonnen wurde und 1497/98 vollendet war9 (Möller, S. 7 - 8; Nicholl, S. 373 - 375). Obwohl sich Da Vinci mit Entwürfen für das Abendmahl ab ca. 1492 beschäftigte, gibt es bereits um 1481 datiertes Blatt, das rückseitig eine Skizze einer sich am Tisch unterhaltenden Figurengruppe enthält (Abb. 5). Auf der Vorderseite zeigt es eine Studie zu dem Vorläuferbild des „Letzten Abendmahls“, nämlich die „Anbetung der Könige“ (Abb. 6). Deutlich erkennbar sind in diesem Bild die Entwicklung von Gestik und Mimik in den Gesichtern der Figuren, was Da Vinci später im „Letzten Abendmahl“ - anders als seine Zeitgenossen - bis auf ein Maximum steigern wird. Sicher ist, dass er andere Abendmahlsdarstellungen z. B. auch das um 1480 gemalte Abendmahl von Domenico Ghirlandaio kannte und sein Bestreben erweckte eine eigene Fassung dieses Motivs zu kreieren10 (Abb. 7).

3.3. Maltechnik und Erhaltungszustand

Bereits die vielzähligen Skizzen und Vorstudien zum „Letzten Abendmahl“ belegen die akribische Arbeit, die Leonardo schon jahrelang bevor das eigentliche Hauptwerk begonnen wurde investierte. Der Novellist Matteo Bandello beschrieb damals die Tätigkeiten des Künstlers als er am „Letzten Abendmahl“ arbeitete wie folgt:

[...] Manchmal blieb er vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang, ohne jemals den Pinsel wegzulegen. Er vergaß zu essen und zu trinken [...]. Zu anderen Zeiten rührte er den Pinsel drei oder vier Tage nicht an [.]. Ich sah ihn auch [.] auf das Gerüst steigen [.] ein oder zwei Striche zu machen und dann wieder wegzugehen‘ “11 (Nicholl, S. 373).

Dies veranschaulicht die typische Arbeitsweise des Künstlers. Des Weiteren versuchte er anhand des „Letzten Abendmahls" eine neue Technik zu erproben, in dem er Tempera- mit Ölfarben mischte, um ein frühzeitiges Trocknen der Farben zu verhindern und einen größeren Glanz der Farben zu erzielen. Allerdings sollte dieses Experiment schon zu seinen Lebzeiten misslingen, sodass die Farbe bereits wieder abzublättern begann und seither sein Werk unter vielen Schichten von Restaurierungen verborgen bleibt. Als Folge dessen, kam es über die Jahrhunderte zu einer Charakterverfremdung des Bildes.12 Nur wenige Jahrzehnte nach Fertigstellung wurde von Zeitzeugen berichtet, dass durch die Feuchtigkeit in der Mauer die Malerei immer mehr zu schwinden drohte. Auch das italienische Universalgenie Giorgio Vasari äußerte sich 1566 über das Werk Leonardos und bezeichnete es als „condotto“13.

Die erste Restaurierung erfolgte somit 1726, die Nächste bereits 1770 und trotz andauernden Verfall eine Dritte von 1854 - 55. Prof. Cavenaghi entfernte 1908 die vorherigen Schichten von Restaurierungen, aber auch von Schmutz und Schimmel, um sich wieder an den Original-Zustand des Werkes anzunähern. Somit wurden nur die notwendigsten Stellen ausgebessert (Richter, S. 213). Ebenso erfolgte später eine weitere Restaurierung, die nach mehr als 20 Jahren 1999 abgeschlossen war. Dennoch muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass ohne die Restaurierungen nur noch wenig des ursprünglichen Werks übrig wäre - laut Nicholl nur in etwa 20%. Ebenso wenn man bedenkt, dass das Wandgemälde bzw. die Nordwand des Klosters im Sommer 1943 nur knapp durch die Bomben der Alliierten verfehlt wurde (Nicholl, S 384 - 385) (Abb. 8).

4. Bildbeschreibung

Leonardo Da Vincis „Letztes Abendmahl“ zeigt einen länglich, rechteckigen Raum, der sich weit nach hinten streckt. Im Vordergrund stehen insgesamt 13 Personen, wovon sich die meisten angeregt an einem länglichen, querstehenden Tisch unterhalten. Das Geschehen lässt durch die Thematik des „Letzten Abendmahls“, auf die Person Jesu in der Mitte schließen, der mit seiner Linken einen Laib Brot anbietet und mit der Rechten eine Wasserschüssel greifen will (Joh 13, 21 - 30).14 Was genauer hinter dieser Darstellung steckt, wird sich in den folgenden Kapiteln zeigen.

Aufgrund der Bibelerzählung handelt es sich bei den restlichen 12 Personen um die Jünger Jesus, die sich jeweils links und rechts von ihm in je zwei Figurengruppen a drei Personen unterteilen lassen. Die äußere Person am linken Tischrand stützt sich empört auf dem Tisch und scheint dem Geschehen zu lauschen, die Person rechts davon deutet mit seiner linken auf die Figur mit blauem Gewandt und grauen Haar. Der Dritte dieser Figurenkonstellation weißt mit seinen offenen Handflächen von sich und blickt dabei Richtung Jesu. Die Dreiergruppe rechts davon besteht aus der älteren Figur im blauen Gewandt, die einer deutlich jüngeren Person etwas ins Ohr flüstert und die linke Hand auf dessen Schulter legt. Seine rechte scheint gleichzeitig ein Messer in der Hand zu halten. Der Angesprochene mit deutlich jungem, attraktivem und weiblich anmutendem Aussehen lauscht mit verschränkten Händen den Worten des Älteren. Die Person trägt dabei eine blaue Robe und einen hellroten Umhang ähnlich wie Jesus, nur dass dieser ein rotes Gewandt und einen blauen Umhang trägt. Nach vorne auf den Tisch geneigt, befindet sich ein weiterer Jünger dieser Dreiergruppe und scheint in seiner Rechten ein Säckchen zu halten, während seine Linke ebenso wie Jesus Rechte auf die Wasserschale zugreift und ihn gespannt anblickt. Die Figurengruppe rechts von der Hauptperson, wendet sich deutlich und schockiert zu ihm. Die Person rechts von ihm breitet seine Arme flächig aus und reißt dabei den Mund auf. Der Apostel dahinter blickt Jesus mahnend an und deutet mit seinem Finger nach oben. Die Figur rechts davon mit orangefarbenem Gewand blickt Jesus fragend an und zeigt mit den Händen zweifelnd auf sich selbst. Die Dreiergruppe am rechten Bildrand kennzeichnet sich durch ausgestreckte Arme, die in Richtung Jesus zeigen, vor Allem bei dem Jünger im blauem Gewandt, ebenso wie bei jenem ganz rechts außen. Die ältere Figur in der Mitte unterhält sich fragend mit seiner Gruppe, blicken aber nicht zu Jesus.

Auf dem mit einer Tischdecke bedecktem Tisch, befindet sich reichlich an Essen und Geschirr.15 Unter diesem sind die Füße einiger Figuren leicht angedeutet. Der Raum selbst, ist an der West-, sowie an der Ostwand in je vier Nischen bzw. Türen unterteilt, außerdem befinden sich drei Fenster an der Nordwand, worin eine naturgetreue Landschaft mit einer Bergkette erkennbar ist. Die Decke gliedert sich in eine Kassettendecke auf 6 x 6, also insgesamt 36 Kassetten.16

5. Stilistische Merkmale

In Bezug auf die Malweise bzw. auch zur Bildkomposition im „Letzten Abendmahl“, spielt die Zentralperspektive und der Goldener Schnitt eine essentielle und maßgebliche Rolle spielen. Als Künstler in der Hochrenaissance verkörperte Leonardo da Vinci besonders in seiner Malweise, die Merkmale jener Zeit. Man muss bedenken, dass damals der Mensch im Mittelpunkt eines Dreiecks stand, wobei sich die Ecken aus Gott, der Welt und das Leben zusammensetzen (Abb. 9).17 Somit gilt also der Mensch und dessen Würde als oberste Priorität - als ein freies und unabhängiges Wesen, das seinen eigenen Geist bildet und andere als gleichwertig ansieht. Das dunkle Mittelalter war überwunden. Der Humanismus sowie die Philosophie waren auch für Leonardo Da Vinci wichtige Themen, die er auch in seinen Werken einbrachte, ebenso wie in seinem „Letzten Abendmahl“. Er studierte genaustens die menschliche Anatomie und fertigte zahlreiche Studien, um seine Malerei auf ein sehr hohes natur-, sowie wirklichkeitsgetreues Maß zu bringen.

Leonardo Da Vinci versuchte vor Allem in „Letzten Abendmahl“ durch seine filigrane Malweise, besonders den verschiedenen Personen am Tisch, eigene Charakter- und Gesichtszüge zu geben und im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen auch Emotionen wie z.B. Überraschung, Wut, Furcht, Betroffenheit oder Ratslosigkeit darzustellen. Dies wird noch genauer in Kapitel 6.3. anhand der Vier Temperamentenlehre des Hippokrates erklärt. In Bezug auf die Farbigkeit des Bildes fällt zuerst auf, dass nur die rechte Wand, sowie die Figuren und der Tisch im Vordergrund des Raumes erhellt wird. Die anderen Teile des Raumes wurden sehr dunkel gehalten und es bildet sich somit ein hoher Hell­Dunkel-Kontrast, die sich damals entwickelnde sog. Chiaroscuro-Malerei. Weiters wird die Farbwahl des Künstlers im Bild durch Rot- sowie Blautöne dominiert und durch einzelne Grüntöne ergänzt. Um eine gewisse Spannung aufzubauen verwendete Leonardo Da Vinci in diesem Werk vor Allem bei den Gewändern der Jünger, überwiegend Komplementärfarben wie gelb und Violetttöne, blau und orange, sowie grün und rot als Kontrast. Allerdings müssen sich die Farben satter und kräftiger vorgestellt werden, da wie bereits erwähnt, das Ursprungsbild nur noch wenig erhalten ist, bzw. auch durch die Restaurationen sehr starken Einfluss auf die Abweichung der Originalfarben hatten (Eichholz, S. 307 - 317).

Des Weiteren findet sich in den Fenstern im Hintergrund - als Kontrast zum geistlichen Thema im Vordergrund - ein weltliches Thema bzw. naturgetreue Landschaftsdarstellungen (Abb. 10). Diese vergrößern den Raum für das Abendmahl zusätzlich und ziehen diesen in die Länge, wodurch mehr Räumlichkeit generiert wird. Der Horizont der Landschaft umrahmt das Haupt Christi und der hellblaue Himmel der Landschaft im Hintergrund, vermittelt den Eindruck eines Heiligenscheins (Eichholz, S. 309). Hiermit schafft Leonardo Da Vinci eine Verbindung zwischen einem geistlichen, mittelalterlichen Sujet mit einer neuen Form der Darstellung, die mimetische Landschaftsmalerei.

Aus kompositorischer Sicht, verwendete Leonardo Da Vinci die Technik der Zentralperspektive mit dem Haupt Christi als Zentrum bzw. an dessen rechten Schläfe. Dort befindet sich auch der Fluchtpunkt des Bildes, wodurch das angewandte Prinzip der perspektivischen Darstellung deutlich wird. Zur Veranschaulichung dessen eine schematische Grafik von Martin Kemp (Abb. 11). Mögliche Deutungen, dass Leonardo Da Vinci die Schläfengegend von Christus als zentralen Fluchtpunkt gewählt haben könnte, ist z.B. der Verweis auf das Gehirn Christi und somit seinen Verstand und Geist - dem Heiligen Geist. Ebenso ist es naheliegend, dass das Bild nur durch den Verstand und Intellekt des Menschen vollständig gelesen werden kann (Eichholz, S. 137; Salleck, S. 39). Generell ist der Raum, in dem sich die 12 Jünger befinden, höchst präzise geometrisch konstruiert. Es zeigt die Wichtigkeit der Geometrie, Mathematik und Perspektive für Leonardo Da Vinci. Folglich gliedern die Fluchtlinien exakt die Kassettendecke, die Öffnungen an den seitlichen Wänden, die Tischkanten sowie auch die Linien am Fußboden unter dem Tisch (Abb. 12).

Sehr plausibel ist der Ansatz von Eichholz, in dem der Raum nach dem Prinzip des zentralen Fünfecks konstruiert wurde und Jesus rechte Schläfe den Fluchtpunkt und somit auch Punkt Z im Fünfeck darstellt (Abb. 13). Hierbei markiert Z auch den Scheitelpunkt eines gleichschenkligen Dreiecks18, wovon die anderen beiden Ecken X und Y die Hände Christi miteinander verbinden (Abb. 14). Zeichnet man um den Mittelpunkt Z einen Kreis mit dem Radius der Basiswinkel des gleichschenkligen Dreiecks, so lässt sich anschließend darin ein Fünfeck mit fünf gleichlangen Seiten einzeichnen (Punkte U, V3, W, X, Y). Die Strecke W - U markiert dadurch die Enden Fenster im Hintergrund. Verbindet man die gegenüberliegenden Eckpunkte des Fünfecks erhält man ein Pentagramm, dessen Linien sich nach dem Verhältnis des „goldenen Schnitts“ verhalten, folglich entspricht die Strecke W - T, der von T - Y (sog. Major) und U - T der Länge von T - V3 (sog. Minor). Dem Major entspricht z.B. der Abstand zwischen Jesus Händen, also der Strecke X - Y und legt somit die Lage der vorderen Tischkante fest (Eichholz, S. 136 - 141). Anhand des Goldenen Schnittes könnte man so genauestens die gesamten Längen im Bild (vgl. Eichholz) errechnen, allerdings würde das den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

Bezüglich des Aspekts der Zentralperspektive, ist der richtige Betrachter Standpunkt essentiell, um die Proportionen der Darstellung naturgemäß wahrnehmen zu können. Der ideale Betrachter Standpunkt war bereits in Masaccios Trinitätsfresko von 1425 - 28 in Florenz unerlässlich, sodass die Illusion eines Raumes in einem Raum wirken konnte. Leonardo da Vinci kannte dieses Werk. Beim „Letzten Abendmahl“ setzte er allerdings den idealen Betrachter Standpunkt höher als der eigentliche Boden an (Abb. 15). Somit wäre ein Gerüst auf dem damals Leonardo malte von Nöten, um auf einer Augenhöhe mit den Jüngern zu sein, die aber dennoch mit ca. 2.20 m überlebensgroß und überlegen wirken. Der Betrachter wird somit immer den Eindruck haben, den Jüngern und Christus unterlegen zu sein, möglicherweise mit der Intention zu Ihnen aufschauen zu müssen. Also setzt Da Vinci eine gewisse Vorstellungskraft voraus, um sich als Irdischer mit dem Überirdischen auf eine Höhe zu begeben. Wer diese Fähigkeit beherrsche, könne sogar einen beliebigen Betrachter Standpunkt wählen, müsse sich dann jedoch den Abendmahlsaal dementsprechend verzogen vorstellen., sodass die von Da Vinci gewollte Illusion erhalten bleibt. Ähnlich wie in Kinosälen, darf sich der Betrachter nicht zu weit davor befinden, da das Auge sonst nicht mehr das ganze Bild wahrnehmen kann. Allerdings darf dieser sich auch nicht zu weit hinten im Raum befinden, da sonst die Umgebung zu sehr die Bildwahrnehmung beeinflusst. Hiermit stellt Leonardo ein Spannungsfeld zwischen Wahrnehmung und Imagination her (Eichholz, S. 174 - 179).

[...]


1 Leonhard Salleck, Der Schlüssel zu Leonardo da Vincis "Abendmahl", Wolnzach, 2004, S.19.

2 Charles Nicholl, Leonardo da Vinci: Die Biographie, Frankfurt am Main, 2006, S. 35 - 36.

3 Heinz Lüdecke, Leonardo da Vinci: Der Künstler und seine Zeit, Berlin, 1952, S. 166.

4 In der Literatur oft unter der italienischen Bezeichnung „Il Cenacolo“ oder „L'Ultima Cena“ aufgeführt.

5 Erst recht als die Frau des Herzogs und seine Tochter im Jahre 1497 starben (Nicholl, S. 375).

6 Emil Möller, Das Abendmahl des Lionardo da Vinci, Baden-Baden, 1952, S. 2.

7 Der Platz war einst für den jüngeren Sohn Francesco gedacht, dessen Herzogtum (Bari) Ludovico später allerdings an Isabella von Aragonien abtrat (Möller, S. 2).

8 Leonardo hatte in 36 Monaten nur 50 Dukaten und Kleidungsstücke durch den Herzog bekommen, da dieser sein Geld lieber für politische Zwecke ausgab. Erst 1499 erhielt Da Vinci von ihm einen Weinberg von 16 ha (Möller, S. 4 - 6).

9 Robert Richter, Das Abendmahl von Lionardo da Vinci, in: Repertorium für Kunstwissenschaft (1931) Bd. 52, S. 213 - 220, S. 213.

10 Michael Ladwein, Leonardo - Das Abendmahl: Weltendrama und Erlösungstat, 2004, 1. Aufl., S. 26 - 27.

11 Ursprünglich in: Matteo Bandello, Novelle (Lucca) 1554, Bd. I, S. 58, in Opere, hg. Von F. Flora (Mailand 1996), Bd. I, S.646 - 647.

12 Bernhard J. Gonsior, Die Restaurierung von Leonardo da Vincis “Abendmahl”: Physik im Dienst der Kunst, in: Physik Journal 55 (1999), S. 61-63, S. 61.

13 dt.: Fleckenhaufen

14 Die Bibel: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift; Gesamtausgabe; Psalmen und Neues Testament; ökumenischer Text, Stuttgart, Lizenzausg., 2007, S. 1202.

15 Es befindet sich kein Heiliger Gral auf dem Tisch. Vor dem 17. Jahrhundert taucht kein Kelch auf Abendmahlsdarstellungen in Refektorien auf. (Ross King, Leonardo und das letzte Abendmahl, München, 2014, 1. Auflage, S. 293.)

16 Zahl 6 steht für die sechs Schöpfungstage, ebenso ist das Christusmonogramm bestehend aus „X“ und „P“ sechsarmig. Es gibt noch weitere Deutungsmöglichkeiten die Da Vinci bekannt waren, somit ist die Zahlensymbolik die Salleck für das Bild anführt plausibel (Salleck, S. 67, S. 107 f.).

17 Georg Eichholz, Das Abendmahl Leonardo da Vincis: Eine systematische Bildmonographie, München, 1998, S. 14 - 21.

18 Innenwinkel am Scheitelpunkt Z misst 72°, die anderen beiden gleichgroßen Basiswinkel müssen also je 54° betragen, da die Innenwinkelsumme 180° betragen muss.

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Leonardo da Vincis "Letztes Abendmahl". Stilistische Merkmale und ikonographische Deutung
Hochschule
Universität Passau
Veranstaltung
Hauptwerke der Ikonographie
Note
2,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
39
Katalognummer
V518375
ISBN (eBook)
9783346117175
ISBN (Buch)
9783346117182
Sprache
Deutsch
Schlagworte
da Vinci, Leonardo da Vinci, Künstler, Kunst, Malerei, Ikonographie, Abendmahl, Ghirlandaio, Giotto, Stil, Hippokrates, Temperamentenlehre, Bildtradition, Technik, Restauration, Santa Maria delle Grazie, Italien, Mailand, Universalgenie, Geometrie, Goldener Schnitt, Judas, Verräter, Petrus, Apostel, Jünger, Jesus, Christus, Eucharistie, Bibel, Fresko, Tempera, Öl
Arbeit zitieren
Juliane Breit (Autor:in), 2018, Leonardo da Vincis "Letztes Abendmahl". Stilistische Merkmale und ikonographische Deutung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/518375

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