Der Einfluss von Sprachwandel auf den deutschen Konjunktiv


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

65 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wie entsteht Sprachwandel?
2.1 Variation
2.2 Theorien zum Sprachwandel
2.2.1 Markiertheit
2.2.2 Natürlichkeit
2.2.3 Soziolinguistische Ansätze
2.3 Sprachwandel des Deutschen

3. Der Konjunktiv im Deutschen
3.1 Die Entwicklung des Konjunktivs im Deutschen
3.1.1 Althochdeutsch
3.1.2 Mittelhochdeutsch
3.1.3 Frühneuhochdeutsch
3.1.4 Neuhochdeutsch
3.2 Die Formen des Konjunktivs
3.2.1 Der synthetische Konjunktiv
Person
Präteritum
Konjunktiv
3.2.2 Die würde -Konstruktion
3.3 Funktionsbereiche des Konjunktivs
3.3.1 Aufforderung und Wunsch
3.3.2 Irrealität und Potenzialität
3.3.3 Indirekte Rede
3.4 Geschriebene vs. gesprochene Sprache
3.4.1 Der Konjunktiv Präsens
3.4.2 Der Konjunktiv Präteritum
3.4.3 Verteilung der Konjunktivformen in geschriebener vs. gesprochener Sprache
3.4.4 Die „ würde“ -Konstruktion
3.5 Tendenzen

4. Empirische Untersuchung zum Konjunktiv
4.1 Ziel und Methode
4.2 Auswertung und Ergebnisse
Items
Gesamt
Verbtyp
Fehler
Regulär
4.3 Interpretation

5. Zusammenfassung und Diskussion

Anhang

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

Sprachwandel ist ein ganz besonderes Phänomen. Jede Sprache verändert sich kontinuierlich, ohne dass diese Veränderungen den jeweiligen Sprechern wirklich bewusst sind. Trotzdem trägt jeder Sprecher eigens zum Wandel einer Sprache bei. Verschiedene Varianten linguistischer Einheiten werden von einzelnen Sprechern verwendet und von anderen wiederum aufgegriffen. Sprachwandel ist ein also ein interaktiver Prozess der sich in allen Bereichen einer Sprache vollzieht, in der Phonologie, der Morphologie und der Syntax, sowie auch in der Semantik, wobei Veränderungen in einem Bereich Auswirkungen auf andere haben kann. Sprachwandeln hängt also sehr eng mit Sprachvariation des Sprachsystems und dessen Sprechergemeinschaft zusammen.

Das Phänomen des Sprachwandels ist seit etwa 150 Jahren Kerngegenstand der Historischen Linguistik mit ihren wichtigsten Vertretern H. Bopp und J. Grimm. Da dieser Bereich der Linguistik zur gleichen Zeit wie auch die Evolutionstheorie Charles Darwins entstand, ist es kaum verwunderlich, dass sich die Historische Linguistik die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie zu Nutze machte. Sprachen wurden als eigenständige Organismen mit eigener Entwicklungsgeschichte angesehen, die es zu erforschen und zu rekonstruieren galt. Dazu entstanden seitdem zahlreiche Theorien, die z.T. sogar miteinander konkurrieren, so zum Beispiel die Natürlichkeitstheorie, die Markiertheitstheorie und soziolinguistische Ansätze. Diese Theorien finden auch im Deutschen ihre Anwendung, um Erklärungsansätze für Sprachwandelprozesse anzubieten, da sich wie in allen Sprachen auch im Deutschen stetige Veränderungen im Sprachgebrauch abzeichnen. Eine aktuelle Entwicklungstendenz ist unter anderem der Wandel vom synthetischen hin zum analytischen Sprachbau. Gerade im Bereich von Kasus, Tempus und Modus werden immer häufiger periphrastische Konstruktionen anstelle der komplexen Flexionssysteme bevorzugt. Im Kasussystem ersetzt der Dativ in Verbindung mit der Präposition „ von “ immer häufiger den Genitiv. Das periphrastische Perfekt verdrängt langsam das Präteritum in seiner Funktion als Erzähltempus. Im modalen Bereich wird der im Deutschen besonders auffällige Formenreichtum des Konjunktivs heute zunehmend auf die periphrastische „ würde“- Konstruktion reduziert, was die Frage nach der Präsenz der synthetischen Formen im Lexikon aufwirft.

Ein Grund für die aktuellen Entwicklungen könnte der aufwendige Regelapparat sein, der zur Bildung synthetischer Konstruktionen erlernt und angewendet werden muss. Besonders deutlich wird dies im Bereich des bereits erwähnten synthetischen Konjunktivs, zu dessen Bildung nur noch wenige Sprecher des Deutschen in der Lage sind. Ob das Bedürfnis diesen Modus zu markieren überhaupt noch vorhanden ist, sei hinterfragt.

In Kapitel 2 werden mögliche Gründe für Sprachwandelprozesse erörtert, wie zum Beispiel der Einfluss von Variation, Sprachkontakt und sozialen Faktoren auf eine Sprache. Außerdem werden die einflussreichsten Sprachwandeltheorien, die diese Entwicklungen zu erfassen und begründen versuchen, vorgestellt. In Kapitel 3 wird ein epochenbezogener Überblick über die Formen und den Gebrauch des Konjunktivs, beginnend mit dem Althochdeutschen über das Mittel-, Frühneu- und Neuhochdeutsche bis heute gegeben. Zudem werden die Funktionsbereiche, sowie Formen und Funktionen des Konjunktivs näher erläutert, um die Komplexität des Regelapparates und der Formenvielfalt herauszustellen. Daran anknüpfend werden in diesem Kapitel die Gebrauchstendenzen des analytischen Konjunktivs, also der „würde“ -Konstruktion herausgearbeitet, die sich in der heutigen Verwendung des Konjunktivs deutlich abzeichnen. Diese Tendenzen bringen den Verlust der synthetischen Konjunktivformen im Lexikon mit sich, was in Kapitel 4 anhand einer empirischen Studie verdeutlicht werden wird. Gezeigt wird außerdem, welche Mechanismen angewendet werden, um die offenbar entstandenen Lücken im mentalen Lexikon zu kompensieren. In Kapitel 5 werden Erklärungsansätze und mögliche Gründe für die Präferenz der analytischen „würde“ -Konstruktion vorgeschlagen und diskutiert.

2. Wie entsteht Sprachwandel?

2.1 Variation

Die Grundlage, damit Sprachwandel überhaupt stattfinden kann, bietet erst die Variation einer Sprache. Unter Variation versteht man die verschiedenen Möglichkeiten eines gegebenen Sprachsystems, Inhalte auszudrücken und Informationen zu vermitteln. Vergleichen wir beispielsweise den Informationsgehalt der Sätze in (1) a. und b.

(1) a. Er sagte, dass er krank ist.

b. Er sagte, dass er krank sei.

Es ist deutlich zu erkennen, dass die zu vermittelnde Information auf die gleiche Weise verstanden wird. Der Grund dafür ist, dass ein finites Verb im Nebensatz nach einem Verb des Sagens sowohl im Indikativ, als auch im Konjunktiv stehen kann, ohne dass dies Einfluss auf die Verständlichkeit als eine Aussage indirekter Rede hat. Das Deutsche gibt dem Sprecher also die Möglichkeit, bzw. stellt verschiedene Varianten einen solchen Sachverhalt auszudrücken zur Verfügung. Welchen Modus der jeweilige Sprecher in seinen Äußerungen dieser Art nun verwendet, bleibt einzig und alleine ihm selbst überlassen, wobei zahlreiche Faktoren diese Wahl beeinflussen können. Diese Faktoren können sprachintern oder auch sprachextern sein.

Sprachexterne Variation ist eher sozial motiviert und umfasst vor allem geographisch gewachsene Dialekte, Register und Soziolekte. Nicht zu vergessen sind die Einflüsse fremder Sprachen auf ein Sprachsystem bzw. eine Sprachgemeinschaft, wie etwa Bilingualismus und Sprachkontakt. Zu den externen Bedingungen für Sprachwandel sind auch noch die nicht-sprachlichen Faktoren, wie historische Veränderungen und sozialer Wandel zu nennen, die mitunter eine Abwandlung von Kommunikationsformen hervorbringen. So kann im heutigen Deutsch beispielsweise die Verwendung von Anglizismen, statt eigens deutscher Wörter, den Wunsch nach maximalem Kommunikationsradius gerecht werden, da viele dieser Anglizismen in einigen Bereichen des kommunikativen Lebens gebräuchlicher und verbreiterter sind.

Sprachinterne Variation hingegen bezieht sich auf das innere System einer Sprache. Hier kann vor allem Frequenzänderungen im Sprachgebrauch Sprachwandel vorantreiben, wie z.B. die immer seltener werdende Verwendung von Präterital- oder auch synthetischen Konjunktivformen, an deren Stelle Partizipien und periphrastische Umschreibungen, wie die analytische „ würde “-Konstruktion treten. Dabei wird intern, also im Sprachsystem, die Tendenz deutlich, dieses nach Gesichtspunkten der Ökonomie zu vereinfachen. Der eventuelle Verlust sprachlicher Möglichkeiten, vor allem morphologischer Kategorien, wie im Bereich des Kasus- und Modussystems, müssen somit durch Ausweichmechanismen kompensiert werden, da die Absicht einer möglichst eindeutigen Informationsvermittlung bestehen bleibt.

Auch im Bereich der starken und schwachen Flexion ist zu erkennen, dass bereits die Variation, Verben stark oder schwach zu flektieren, durch eine zunehmende Frequenzänderung einen Anstieg schwacher Verben und somit den Rückgang starker Verben verzeichnet. Im Zuge von Sprachwandelprozessen im Deutschen gab und gibt es zahlreiche Klassenübertritte, die vor allem die niedrigfrequenten starken Verben betreffen, wie bei s ieden – sott- gesotten vs . sieden- siedete – gesiedet.

Ein weiteres Kriterium für die Veränderung einer Sprache ist die Produktivität, vor allem Übergeneralisierung und Schematisierung produktiver Prozesse, wie Analogiebildungen, die jedoch nur selten vorkommen, und falsche Regelgeneralisierungen. Dies ist darin begründet ist, dass die linguistische Motivation für eine Regel langsam wegfällt, wie es bei der Pluralbildung im Deutschen der Fall war. So erforderte der –i Plural des Althochdeutschen noch die Frontierung des Stammvokals. Als mit der Endsilbenabschwächung zum Schwa -Auslaut die phonologische Bedingung für diese Regel jedoch wegfiel, lief die phonologische Regel leer und wurde zur morphologischen Regel, die eine eventuelle Übergeneralisierung „wenn Plural, dann Umlaut“ zur Folge gehabt habe konnte. Phonologischer Wandel ermöglicht also auch eine morphologische Regelgeneralisierung.

Variation finden wir auf allen Ebenen der Sprache. In den oben genannten Beispielsätzen konkurrieren zwei morphologische Möglichkeiten der Verbflexion zur Kennzeichnung indirekter Rede, aber auch phonologische, syntaktische und semantische Bereiche einer Sprache weisen verschiedene Varianten der Realisierung auf. So ist es zum Beispiel geographisch bedingt, dass man vor allem im bayrischen Raum einen Wortinitialen ich -Laut vor Vokal als /k/ realisiert. Auf semantischer Ebene bestehen oft mehrere Möglichkeiten ein Konzept auszudrücken, was hauptsächlich durch geographische und vor allem soziale Herkunft und gesellschaftsspezifische Gruppenzugehörigkeit bedingt wird. Die einzelsprachlichen Bereiche lassen sich jedoch nicht scharf voneinander abgrenzen, was häufig eine Wechselwirkung zwischen den Veränderungen einzelner sprachlicher Bereiche zur Folge hat. So führte unter anderem die Endsilbenabschwächung im Übergang zum Mittelhochdeutschen zu veränderten Kasusformen im Paradigma des morphologischen Systems, was wiederum Synkretismenbildung hervorbrachte. Dies wirkte sich wiederum unausweichlich auf die Regeln der Anordnung syntaktischer Einheiten aus. So gilt es also zu beachten, dass bereits eine phonologische Veränderung auch eine Modifikation des syntaktischen Regelapparates mit sich bringen kann. Ein Beispiel für die Auswirkung morphologischer Variation auf die Syntax ist in den Sätzen des Beispiels (2) zu sehen.

(2) a. Sie wünschte, er lüde sie zum Essen ein.

b. Sie wünschte, er würde sie zum Essen einladen.

Eine morphologische Variante Wunschsätze zu formulieren ist mit dem Ersatz der flexivischen Verbform in (2)a. durch periphrastische Umschreibung in (2)b. gegeben. Die Verständlichkeit als einen irrealen Wunschsatz ist hier nicht beeinträchtigt, jedoch wird die Satzgliedfolge durch die Wahl einer der beiden Möglichkeiten beeinflusst. In Satz a. ist Verbzweitstellung im Gliedsatz erforderlich, wohingegen in Satz b. zusätzlich ein infinites Verb Satzfinal stehen muss, da hier mit „ würde “ umschrieben wird. So legt also die Wahl einer morphologischen Variante die syntaktische Abfolge der Satzglieder fest.

Nicht unbeachtet darf zudem bleiben, dass das Bestehen von Variation allein noch keine Veränderung in einer Sprache hervorbringt. Damit sich Sprachwandel überhaupt vollziehen kann, ist es erforderlich, dass die jeweilige Variante zuerst konventionalisiert wird. Das bedeutet, dass die Gruppe, die eine Variation aufgreift, einen gewissen sozialen Status haben muss. Ein wichtiger Aspekt für das Aufgreifen einer Variation ist, dass die sich verbreitende Variante zunächst nicht komplexer oder unökonomischer sein sollte als ihre Alternative. Artikulatorisch schlecht realisierbare lautliche Alternativen werden wohl seltener in den Sprachgebrauch aufgenommen als ihre vereinfachten Formen, was die Endsilbenabschwächung im Übergang des Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen zeigt. Morphologisch komplexe und unökonomische Formen würden Sprecher eines Sprachsystems wohl zu Gunsten einer kognitiv einfacheren Form ablehnen, da ein Formenreichtum an Flexionskategorien auch einen größeren zu erlernenden Regelapparat mit sich bringt.

Alle hier genannten Aspekte sind allerdings nur eine Auswahl möglicher Gründe für Sprachwandelprozesse. Man darf hierbei nicht vergessen, dass eine alle Faktoren erfassende Erklärung nicht möglich ist, da die Veränderung einer Sprache kein punktueller Prozess ist, sondern nur sehr langsam vonstatten geht und eine Vorhersage für sprachliche Veränderungen nicht erbracht werden kann. Was nun letztlich zum Wandel einer Sprache führt, ist nicht eindeutig auszumachen. Aus der Historischen Linguistik gingen verschiedene Theorien hervor, mit denen versucht wurde, Ursachen für das komplexe und vielseitige Phänomen Sprachwandel zu erörtern und Entwicklungstendenzen zu erklären.

2.2 Theorien zum Sprachwandel

2.2.1 Markiertheit

Eine der einflussreichsten Theorien zum Sprachwandel ging aus der Prager Schule unter dessen Gründer Roman Jacobson hervor. Die 1936 entstandene und stetig weiterentwickelte Theorie der Markiertheit geht davon aus, dass verschiedene Segmente Oppositionspaare bilden, welche als markiert oder unmarkiert bewertet werden. So kann dasjenige Glied als unmarkiert angesehen werden, welches sozusagen merkmallos ist, der markierte Teil ist hingegen merkmalhaltig. Auf diese Weise ist es möglich, Elemente durch binäre Merkmale zu erfassen und somit auch voneinander abzugrenzen. Zur Bewertung der Markiertheit nimmt man an, dass der Teil eines Oppositionspaares, der mit einem „ + “ Wert spezifiziert ist gegenüber dem mit „ - “ spezifizierten Element markierter ist. Diese Theorie bietet also ein relationales Konzept zur Unterscheidung von Elementen aufgrund ihrer Wertespezifikation, wobei aufzuzeigen versucht wird, dass Sprachwandel dem Bestreben folgt, Markiertheit innerhalb eines Sprachsystems abzubauen.

Evidenz für das Vorhandensein markierter und unmarkierter sprachlicher Einheiten ist dadurch gegeben, dass unmarkierte Einheiten in den Sprachen der Welt häufiger vertreten sind, innerhalb von Sprachsystemen öfter vorkommen und im Spracherwerb früher erlernt werden.

Die Markiertheitstheorie bietet verschiedene Erklärungsansätze für die Motivation von Sprachwandelprozessen an. Eine Annahme ist, dass unmarkierte Formen auch nicht (also Null-) markiert werden. Vergleicht man das Oppositionspaar Tisch[-PL] vs. Tisch-e[+PL] wird deutlich, dass die Singularform im Gegensatz zur Pluralform keine overte Markierung am Nomen enthält, wobei in diesem Fall die Pluralform das markierte Element darstellt. Bestätigt wird diese Annahme dadurch, dass unmarkierte Merkmale mit einem overten Morphem universal selten sind, ebenso wie markierte Merkmale ohne overtes Morphem. Daraus leitet sich der in der Markiertheitstheorie geprägte Begriff des Isomorphismus ab. Isomorphismus bedeutet, dass ein Zuwachs an Information auf der Bedeutungsseite durch einen Zuwachs auf der Formseite, wie etwa durch Affixe, gekennzeichnet werden soll. Die Basisinformation sollte nicht markiert werden, wohingegen ein Hinzukommen spezifischer Informationen zu markieren wäre. Als Relation zwischen Form und Bedeutung ergibt sich also im Rahmen der Markiertheitstheorie die Präferenz einer eins-zu-eins-Beziehung, wobei sich Sprachwandelprozesse daran orientieren, Isomorphismus herzustellen.

Ein weiteres Kriterium betrifft die Regularität, was bedeutet, dass die reguläre Flexion die unmarkierte, die irreguläre hingegen die markierte Form bildet. Vergleichen wir hierzu die Kennzeichnung des Präteritum im Deutschen. Während schwache Verben die Stammendung –te erhalten, ergibt sich bei starken, irregulären Verben eine Veränderung im Stamm selbst , die nicht vorhersagbar ist. Ob ein Verb also regulär oder irregulär flektiert wird, muss sich der Sprecher im Laufe des Spracherwerbs aneignen, für reguläre Flexionen ist jedoch nur das Erlernen einer Regel notwendig. Die Regularität eines Sprachsystems hängt wiederum eng mit dem Begriff des Isomorphismus zusammen. Der schwache Verbstamm „ lach- “, kommt die Bedeutung 1./3.Sg.Präteritum hinzu, erhält einen eindeutigen Zuwachs auf der Formseite „lach- te “. Der starke Verbstamm „ lauf- „ aber bekommt keine overte Markierung, da hier eine Veränderung des Stammvokals durch Ablaut zur Form „ lief “ stattfindet. Es ist also zu erkennen, dass reguläre Flexion den Grundsätzen des Isomorphismus folgt und ein 1:1-Verhältnis von Form und Bedeutung einhält, was bei irregulärer Flexion nicht der Fall ist. Markiertheitstheoretiker gehen somit von der Tendenz aus, dass Sprachwandel bestrebt ist, irreguläre Flexion abzubauen, was von der Tatsache zahlreicher Klassenübertritte starker deutscher Verben zu schwacher, regulärer Flexion und der stets regelmäßigen Konjugation neuer Verben gestützt wird.

Eine weitere wichtige Rolle zur Erklärung von Sprachwandelprozessen spielt die kognitive Verarbeitung , die Ökonomie. Hierbei wird davon ausgegangen, dass alle Fälle, die einer Regel entsprechen, unmarkiert sind, große Klassen, deren zugehörige Formen im Lexikon gespeichert werden müssen hingegen unökonomisch und damit anfällig für Sprachwandel sind. Bestätigung finden wir im Mechanismus der Übergeneralisierung und Analogiebildung, da das Bestreben, Regeln zu generalisieren und seltener auch Analogien zu bilden, aus kognitiv-ökonomischen Gründen nennenswert erscheint.

Synkretismen finden sich meist in markierten Bereichen. Der formale Zusammenfall ursprünglich getrennter grammatischer Kategorien ist im Deutschen, wie auch in anderen Sprachen, vornehmlich im Kasus- und Modussystem, aber auch bei der Personen- und Numerusmarkierung zu beobachten. Formen fallen zusammen, um unwesentliche Distinktionen abzubauen, was wiederum eine Verringerung des zu erlernenden Regelapparates aus ökonomischen Gründen bewirkt.

2.2.2 Natürlichkeit

Die Natürlichkeit von Elementen steht, wie auch beim Konzept der Markiertheit, in interdependenter Beziehung zueinander, d.h. eine Form ist natürlicher als eine andere, wobei man auch hier wieder davon ausgeht, dass es Ziel von Sprachwandel ist, unnatürliche Strukturen abzubauen. Die 1977 von Dressler und Wurzel ins Leben gerufene Theorie der Natürlichkeit beruht auf sechs universellen graduell abstufbaren Natürlichkeitsparametern, deren universeller Anspruch jedoch fraglich ist, da, wie noch gezeigt wird, diese Parameter in Konkurrenz miteinander stehen.

Einer der Parameter, derer sich die Natürlichkeitstheorie bedient, ist die Ikonizität, insbesondere die konstruktionale Ikonizität. Die natürlichste Struktur ist die diagrammatische Form, bei der ein Bedeutungszuwachs durch Affigierung am Wortstamm markiert wird, wie die reguläre Pluralbildung in Tisch[SG] – Tisch- e [PL]. Die Natürlichkeit nimmt graduell ab, von metaphorischen Formen, die ein mehr an Bedeutung durch Stammalternationen, wie dem Ablaut im Deutschen, ausdrückt, über nicht-ikonische Formen, die gar keine Markierung aufweisen, wie die irreguläre Pluralbildung in Fenster[SG] – Fenster[PL], bis hin zu antiikonischen Formen, wie beispielsweise dem subtraktiven Plural des Fränkischen Hond[SG] – Hon[PL]. Letztere bildet sozusagen die unnatürlichste Form.

Ein weiterer Parameter ist Uniqueness, auch Uniformität genannt. Der optimalste Aufbau ist biunique, wie es in einigen agglutinierenden Sprachen zu finden ist, so wird im Türkischen durch das Suffix –ler eindeutig ein Nominalplural ausgedrückt, es ist also vorhersagbar, dass das Affix –ler einzig und allein einen Nominalplural bilden kann. Ein Morphem hat hier also immer die gleiche Bedeutung. Unnatürlicher hingegen ist die einfache Uniqueness, wobei die Bedeutung von der Form nicht eindeutig ableitbar ist, wie etwa im Deutschen, wo der Superlativ zwar immer durch Suffigierung von –st gebildet wird, dieses Affix jedoch auch in anderem Kontext, wie 2.Sg. auftreten kann. Die Form ist also nur einseitig implikativ. Die Struktur, die am unnatürlichsten ist, bildet die Ambiguität, wie die Pluralmarkierung im Deutschen verdeutlicht. Da Plural verschiedene Markierungen erhalten kann und weder die Bildung des Plurals vorhergesagt, noch Rückschlüsse einer Form auf die Bedeutung gezogen werden kann ist diese Struktur ambig.

Der Parameter der Transparenz ist zu unterteilen in morphosyntaktische und morphotaktische Transparenz. Die morphosyntaktische Transparenz folgt dem Prinzip der Kompositionaliät, was bedeutet, dass eine Form in der Hinsicht transparent sein sollte, dass ihre morphosyntaktischen Einheiten in einzelne Komponenten zerlegbar sind, die es ermöglichen, durch die Bedeutung dieser einzelnen Komponenten, die Gesamtbedeutung auszumachen. Dies ist hauptsächlich bei agglutinierenden Sprachsystemen der Fall. Flektierende Sprachen haben hingegen meist kummulative Exponenten, also Affixe, die mehrere morphosyntaktische Merkmale in sich vereinen, wie Person und Numerus im Deutschen. Die morphotaktische Transparenz erfordert nach dem Grundsatz der Natürlichkeit die leichte Erkennbarkeit der Basis. Morphotaktisch natürlich wären also Verkettungen von Stamm und Affix, also Prä- oder Suffix, unnatürlich wären hingegen Suppletion, Stammalternationen und Verkettungen von Stamm mit Infixen und Circumfixen.

Der Parameter der Indexikalität schreibt eine feste Reihenfolge von Morphemen, sowie die Adjazenz von Stamm und Affix als natürlichste Struktur vor, wobei diese Reihenfolge innerhalb eines Sprachsystems kontinuierlich beibehalten werden sollte, beispielsweise STAMM +Person+Numerus+Tempus+Kasus.

Die optimale Basis in der Natürlichkeitstheorie bildet das Wort, wobei dieses wiederum optimalerweise einen prosodischen Fuß lang sein sollte. Hier ist die Konkurrenz der verschiedenen Parameter deutlich zu erkennen, da es nicht möglich ist, jedem Morphem nur eine Bedeutung zuzuteilen, wenn das entstehende Wort nur einen prosodischen Fuß lang sein sollte. Zu der Theorie der Natürlichkeit ist noch anzumerken, dass diese zunächst intuitiv plausibel erscheint, jedoch wenig haltbar ist, da wegen widersprüchlicher Parameter eine „natürliche“ Sprache nicht entstehen kann, weiterhin wurden auch keine Untersuchungen zur Verarbeitungskognition durchgeführt, die dieser Theorie eine Grundlage geben könnten.

2.2.3 Soziolinguistische Ansätze

Forschungsgegenstand der Soziolinguistik ist vor allem der Einfluss sozialer Faktoren wie Alter, Geschlecht, Stellung in der Gesellschaft etc., auf die Sprache innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Dass Sprach- und Sozialstruktur interagieren steht außer Frage, was jedoch zusätzlich aus zahlreichen empirischen Untersuchungen der Soziolinguistik hervorgeht, ist die Bedeutsamkeit sozialer Aspekte für sprachliche Entwicklungen und damit für Sprachwandel. Eine der am Häufigsten angeführten Studien ist die, über Vokalzentralisierung auf der Insel Martha’s Vineyard vor Massachusetts (William Labov 1972). Es wurde festgestellt, dass aufgrund des Bestrebens sozialer Abgrenzung von Touristen eine Dialektbildung einsetzte, motiviert durch Kennzeichnung der Gruppenzugehörigkeit. Soziolinguistische Erklärungsansätze vertreten die Ansicht, dass sogenannte Innovatoren, die Teile verschiedener sozialer Gemeinschaften sind, Sprachwandel aufgreifen. Darauf folgt die Aufnahme der neuen Variante durch early adaptors, Individuen, die im Zentrum der Sprechergemeinschaft stehen und über eine gewisse Vorbildfunktion verfügen, wie etwa Bürgermeister, Pastoren, aber auch Wirte. Von höchster Relevanz für die Ausbreitung neuer Varianten ist die positive Bewertung der sozialen Bedeutung, wobei die Position der Neugrammatiker einen abrupten Wandel vermutet, die Theorie der „lexical diffusion“ hingegen einen nur langsam stattfindenden Sprachwandel annimmt. Letztere Auffassung klingt jedoch aus soziolinguistischer und sozialpsychologischer Sicht plausibler, da Sprachwandelprozesse zunächst bei wenigen Elementen beginnt, an Geschwindigkeit zunimmt und ein Ausschleichen der „alten“ Variante bewirkt. Unterstützt wird diese These unter anderem durch Beispiele aus dem Englischen in Bezug auf die Kennzeichnung der Kategorien Nomen und Verb durch Verschiebung des Wortakzentes. Während im 16.Jh. nur bei drei Wörtern diese Differenzierung vorgenommen wurde, waren es im 18.Jh. bereits 35. Im 20.Jh. waren dann schon mehr als viermal so viele Wörter, ca. 150, betroffen.

Soziolinguistische Untersuchungen können also ebenso hilfreiche Ansätze zur Erklärung von Sprachwandel geben wie die Theorie der Markiertheit oder der Natürlichkeit. Es ist jedoch anzunehmen, dass bei Sprachwandelprozessen sowohl soziale Faktoren, als auch Aspekte der Markiertheit und Natürlichkeit eine wichtige Rolle spielen. Wie diese Faktoren letztendlich interferieren und Sprachwandel auslösen, kann nur schwer prognostiziert werden, denn die Entwicklung einer Sprache nimmt unvorhersagbare Wege. Daher können höchstens Tendenzen festgestellt werden, die gewisse Entwicklungen vermuten lassen. Ob diese sich dann auch vollziehen, ist nicht auszumachen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss von Sprachwandel auf den deutschen Konjunktiv
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Sprache und Information, Abt. Allgemeine Sprachwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar Morphologischer Wandel
Note
1,0
Autoren
Jahr
2004
Seiten
65
Katalognummer
V51836
ISBN (eBook)
9783638477000
ISBN (Buch)
9783656779933
Dateigröße
878 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit enthält eine empirische Studie.
Schlagworte
Einfluss, Sprachwandel, Konjunktiv, Hauptseminar, Morphologischer, Wandel
Arbeit zitieren
Carina Fueller (Autor:in)Dorothea Brenner (Autor:in), 2004, Der Einfluss von Sprachwandel auf den deutschen Konjunktiv, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51836

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