Arbeitsbedingungen und Kohärenzsinn in der Pflege. Gesundheitspsychologische Aspekte bei Pflegekräften


Fachbuch, 2020

73 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Problemstellung und Zielsetzung

2 Gegenwärtiger Kenntnisstand
2.1 Krankheit und Gesundheit
2.2 Das salutogenetische Modell von Gesundheit
2.3 Gesundheits-Krankheits-Kontinuum
2.4 Risiko- und Schutzfaktoren
2.5 Der Kohärenzsinn

3 Arbeitsanforderungen im Setting Pflege

4 Methodik des Reviews
4.1 Definition eines systematischen Reviews
4.2 Datenbankrecherche
4.3 Selektionskriterien

5 Ergebnisse
5.1 Methodische Aspekte der Studien
5.2 Inhaltliche Aspekte der Studien

6 Diskussion
6.1 Methodik des Reviews
6.2 Ergebnisdiskussion

7 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Impressum:

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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Verteilung der Altersstruktur in den Jahren 2013, 2030 und 2060

Abbildung 2: Stressoren und Ressourcen auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum

Abbildung 3: Hauptbelastungsfaktoren im Setting Pflege des Jahres 2007

Tabelle 1: Prognosen zur Entwicklung der Pflegebedürftigen-Anzahl

Tabelle 2: Dynamischer wechselseitiger Zusammenhang der SOC-Komponenten

Tabelle 3: Belastungszahlen je Pflegevollkraft von 1997 bis 2007

Tabelle 4: Bibliographische Angaben der eingeschlossenen Studien

Tabelle 5: Eckdaten der eingeschlossenen Studien

Tabelle 6: Rekrutierung der eingeschlossenen Studien

Tabelle 7: Messverfahren in den eingeschlossenen Studien

1 Problemstellung und Zielsetzung

"Die Folgen der Bevölkerungsentwicklung müssen in ihrer ganzen Breite in den Blick genommen werden" (Bundeskanzlerin Angela Merkel).

Die sogenannte Fertilitätsentwicklung, welche die Entwicklung der Geburten im Zeitverlauf beschreibt sowie die Mortalitätsentwicklung, die die Sterblichkeit beziehungsweise die Veränderung im Altersaufbau einer Gesellschaft veranschaulicht, gelten als Faktoren zur Bestimmung der Bevölkerungsentwicklung (Kühn, 2017). Die Migration, welche die Ein- und Auswanderung beschreibt, als auch die räumliche Mobilität, werden ebenfalls als weitere Aspekte thematisiert. Für Deutschland sind gegenwärtig vor allem Prozesse der demografischen Alterung sowie Schrumpfung relevant (Saß et al., 2015, S.4). Folglich gewinnt die von Kühn (2017) thematisierte Steigerung des Altersdurchschnitts an Bedeutung. Die niedrige Geburtenzahl wird als Begründung sowie als impulsgebende Ursache für die demografische Alterung herangezogen (Kühn, 2017). Beschrieben wird eine unweigerliche Erhöhung der Lebenserwartung beispielsweise durch eine bessere gesundheitliche Versorgung, einen kontinuierlichen medizinischen Fortschritt sowie gereifteres Wissen über die Ursachen von Krankheiten und eine damit verbundene Vorsorge. Diese Ausgangslage führt absehbar zu einem Bevölkerungsrückgang (Kühn, 2017). Im Jahr 2013 lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 4,4 Millionen 80-Jährige und Ältere in Deutschland – dies entspricht 5,4 % der Bevölkerung (Pötzsch et al., 2015, S.8). Die Prognosen nehmen an, dass die Zahl einer kontinuierlichen Steigerung folgt „und mit fast zehn Millionen im Jahr 2050 den bis dahin höchsten Wert erreichen“ (Pötzsch et al., 2015, S.8) wird. Dieser Entwicklung wird auch eine steigende Geburtenrate kaum entgegenwirken können. Grund hierfür ist, dass der Alterungsprozess vorrangig von den geburtenstarken Jahrgängen 1955 bis 1969 vorangetrieben wird (Kühn 2017). Laut Pötzsch et al. (2015) besteht somit ein Ansatz für die Berechnung, dass in 50 Jahre etwa 13 % der Bevölkerung - was jedem Achten Menschen entspricht - ein Alter von 80 Jahre und mehr erreichen wird. Folglich wird es im Jahr 2060 nur halb so viele junge Einwohner unter 20 Jahren geben, wie Menschen im Alter von 65 Jahren und älter (Pötzsch et al., 2015, S.21).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Verteilung der Altersstruktur in den Jahren 2013, 2030 und 2060

(Pötzsch et al. 2015)

Künftig werden sich die dynamische Alterung und die hohen Zuwachsraten der Hochaltrigen, in den zu erwartenden Zahlen der Pflegebedürftigen deutlich niederschlagen (Saß et al., 2015, S.444). Dieser Entwicklung folgt somit unter anderem, eine verstärkte Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. In der Konsequenz wird es zu Umformungen in den sozialen Sicherungssystemen und in den Strukturen der gesundheitlichen Versorgung kommen (Saß et al., 2015, S.435). In Anlehnung an diesen Sachverhalt werden dadurch „die Strukturen der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung vor neue Herausforderungen“ (Saß et al., 2015, S.435) und „veränderte Anforderungen“ (Saß et al., 2015, S. 439) gestellt.

Langfristig betrachtet, resultieren aus den physischen und psychischen Veränderungen im Laufe des Lebens bestimmte Krankheiten sowie Funktionseinschränkungen oder Gebrechlichkeit, deren Wahrscheinlichkeit mit zunehmendem Lebensalter wächst (Saß Et al., 2015, S.435). Dieses sogenannte biologische Altern im Zusammenspiel mit der demografischen Alterung provoziert eine „andauernde Verschiebung des Krankheitsspektrums hin zu chronischen, mit dem Altern assoziierten Erkrankungen“ (Saß et al., 2015, S.439). So weisen auch Demenzerkrankungen ein hohes Risiko für eine mögliche Pflegebedürftigkeit auf (Saß et al., 2015, S.444). Auf Grund dieser Entwicklung sind die Annahmen, welche davon ausgehen, dass „das Risiko, pflegebedürftig zu werden, mit dem Alter stark“ (Saß et al., 2015, S.444) ansteigt durchaus gerechtfertigt. Ebenfalls von Bedeutung ist die Veränderung der „quantitativen Verhältnisse der Generationen zueinander“ (Saß et al., 2015, S.444). Die Generation der Babyboomer erweist sich zahlenmäßig ausreichend genug, um die pflegerische Versorgung der Elterngeneration als Pflegekräfte oder pflegende Angehörige zu übernehmen. Erreichen folglich die Kinder der Babyboomer ein Alter, für das charakteristisch das Pflegerisiko hoch ist, werden deutlich weniger Erwachsene der nachwachsenden Generationen der pflegerischen Betreuung gerecht werden können (Saß et al., 2015, S.444). Die Zahl pflegender Angehöriger nimmt zwar momentan noch zu, schließt jedoch nicht den Aspekt aus, dass das demografische Potenzial für die Zahl pflegender Angehöriger bereits rückläufig wird. Angesichts des Sachverhalts wird die Zahl bedingt durch die demografische Alterung, auch künftig abnehmen (Saß et al., 2015, S.445). Prognosen zufolge geht „binnen zehn bis 15 Jahren eine Lücke im Umfang von 100.000 bis 400.000 Pflegekräften“ (Saß et al., 2015, S.445) einher. Infolgedessen resultiert ein möglicher Impuls, Pflegeleistungen stärker in den Bereich der professionellen Pflege zu verlagern. Demnach leitet sich ein stark ansteigender Bedarf an professionellen Pflegekräften ab, der die heutigen Beschäftigtenzahlen deutlich übersteigt (Saß et al., 2015, S.445).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Prognosen zur Entwicklung der Pflegebedürftigen-Anzahl

(Saß et al., 2015)

Die Werte verdeutlichen die gegenwärtige Situation und die zukünftige Entwicklung. Die aufgeführten Daten und Fakten nehmen zwar nur Bezug auf Deutschland, schließen damit jedoch die Übertragbarkeit auf ähnliche Entwicklungen in Europa nicht aus. An dieser Stelle bietet sich der Bezug auf Gans & Schmitz-Veltin (2010) an. Die beiden Autoren gehen davon aus, dass „Bevölkerungsrückgang, Alterung, Vereinzelung und Internationalisierung“ (Gans & Schmitz-Veltin, 2010) Variablen sind, die „die zukünftige demografische Entwicklung in Europa“ (Gans & Schmitz-Veltin, 2010) charakterisieren. Weiterhin wird diesbezüglich „die Alterung, die Zunahme der Zahl und/ oder des Anteils älterer Menschen an der Bevölkerung“ (Gans & Schmitz-Veltin, 2010) als eine Entwicklung beschrieben, die in ganz Europa wahrzunehmen ist.

Diese internationale Problematik und die essentielle Bedeutung der Thematik für Gesellschaft und Politik, bietet einen Anreiz „wirksame Gegenmaßnahmen“ (Saß et al., 2015, S.445) im Hinblick auf das Setting Pflege zu ergreifen. Somit soll schließlich die Möglichkeit geschafft werden, einer wachsenden Lücke zwischen dem Bedarf und dem Angebot an Pflegepersonal zu entgehen (Saß et al., 2015, S.445). Weiterhin übernimmt die Berufsgruppe auf Grund der verantwortungsvollen Tätigkeit im Setting Pflege und in der Betreuung der Patienten eine zentrale Bedeutung für die medizinische Versorgung der Bevölkerung (Afentakis, 2009, S.1). Dies bietet Anlass sich zu Gunsten einer attraktiveren Gestaltung von Arbeitsbedingungen mit der Belastung und der Arbeitssituation von Pflegekräften zu beschäftigen. Auf dieser Basis soll die Möglichkeit gestellt werden „Nachwuchs zu werben und vorhandenes Personal zu halten“ (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2014).

Die Folgen des demografischen Wandels verändern die sozialen und strukturellen Lebensbedingungen der Gesellschaft und folglich die Arbeitssituation- und Belastung sowie die Beschäftigungsverhältnisse von Pflegekräften (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.31). Die Arbeit nimmt eine Übertragung der Arbeitssituation von Pflegekräften auf den Kohärenzsinn vor und widmet sich somit dessen Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen sowie den Gesundheitseinschränkungen. Ergebnis der Arbeit ist die Veranschaulichung von Defiziten bezüglich der Arbeitsbedingungen im Setting Pflege mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und dessen mögliche Ursache. Hierfür dient die Annahme, die ein geringes Vorhandensein von Schutzfaktoren thematisiert, aber vor allem einen gering ausgeprägten Kohärenzsinn für die Ausprägung und Entwicklung der negativen Auswirkungen verantwortlich sieht. Der Kohärenzsinn dient im übertragenen Sinne als Werkzeug für die Begründung und Herleitung der Risikofaktoren am Arbeitsplatz, unter Einbezug der negativen Auswirkungen und Folgen für die Gesundheit. Hieraus entsteht die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Förderung von Schutzfaktoren und zur Stärkung des Kohärenzsinns zu etablieren. Dadurch wird erkennbar, welche Bedeutung der Rolle beziehungsweise der Funktion des Kohärenzsinns im Zusammenhang mit den sich verändernden Herausforderungen und Arbeitsanforderungen im Setting Pflege entgegenkommt. Der Kohärenzsinn stellt somit eine Chance und einen Ansatzpunkt für die Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz dar.

Vor dem Hintergrund, die psychischen Arbeitsbedingungen in einer vorgenommenen Auswahl bestimmter Studien zu untersuchen, erfolgt zunächst eine allgemeine Veranschaulichung des gegenwärtigen Kenntnisstands, der dem Überblick der theoretischen Grundlagen sowie dem Verständnis dient. Die Arbeit setzt sich an dieser Stelle mit den Definitionen zentraler Begriffe auseinander und erläutert anschließend die hieraus resultierende Problematik. Der Begriffsdefinition folgt die notwendige Darstellung des salutogenetischen Modells von Gesundheit. Um in diesem Zusammenhang die abschließende Diskussion der Arbeit nachvollziehen zu können, wird Bezug auf das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum sowie auf die Risiko- und Schutzfaktoren genommen. Diese stellen die Grundlage für die Erläuterung und Darstellung des Kohärenzsinns dar, welcher eine zentrale Bedeutung in der Arbeit annimmt. Unter Einbeziehung der jeweiligen Komponenten und deren Beziehung zueinander, der rigiden und starken Ausprägung des Kohärenzsinns sowie dessen Grenzen und Wirkungsweisen, als auch der verwandten Konzepte, wird die Darstellung des gegenwärtigen Kenntnisstands abgeschlossen. Die Arbeit knüpft an diesem Kapitel mit der allgemeinen Aufführung der Arbeitsanforderungen- und Belastungen im Setting Pflege an, um einen tieferen Einblick in die realitätsbezogenen Daten und Fakten zu gewährleisten. Nach Abschluss der Vermittlung aller zentralen Grundlagen für das nötige Verständnis und Hintergrundwissen beginnt die Arbeit an dieser Stelle mit der Vorstellung der Methodik, welche die Erläuterung der Datenbankrecherche sowie das Aufzeigen der Selektionskriterien bezüglich der verwendeten Studien beinhaltet. Dem folgt eine detaillierte Ausführung der Ergebnisse und neuer Erkenntnisse der Untersuchungen. Ergänzt wird dies durch die Verdeutlichung der methodischen und inhaltlichen Aspekte der Studienergebnisse, die unter anderem die Verdeutlichung der Limitationen und Einschränkung der Studien und ihren Werten hervorbringt. Die anschließende Diskussion der Arbeit beginnt zunächst mit der kritischen Auseinandersetzung der eigens erbrachten und durchgeführten Methodik. Im Weiteren erfolgt die Zusammenführung aller bisher erläuterten und erarbeiteten Komponenten und Kapitel zu einem logischen Verständnis. Anknüpfend erscheint eine in Eigenarbeit vorgenommene Interpretation und Veranschaulichung eines Zusammenhangs der Studien­ergebnisse mit den theoretischen Kenntnissen bezüglich des Kohärenzsinns vor dem Hintergrund der Arbeitsbedingungen im Setting Pflege.

2 Gegenwärtiger Kenntnisstand

2.1 Krankheit und Gesundheit

2.1.1 Definition von Krankheit

2.1.1.1 Schmidt & Unsicker (2003):

„Als Krankheit wird das Vorliegen von Symptomen und/ oder Befunden bezeichnet, die als Abweichung von einem physiologischen Gleichgewicht oder einer Regelgröße (Norm) interpretiert werden können und die auf definierte Ursachen innerer oder äußerer Schädigungen zurückgeführt werden können.“

2.1.1.2 Pschyrembel (2002):

„Störung der Lebensvorgänge in Organen od. im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw. objektiv feststellbaren körperlichen, geistigen bzw. seelischen Veränderungen.“

2.1.2 Definition von Gesundheit

2.1.2.1 Weltgesundheitsorganisation (2014):

„Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen geistigen, körperlichen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“

2.1.2.2 Talcott Parsons (1967):

„Gesundheit ist ein Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums, für die wirksame Erfüllung der Rollen und Aufgaben für die es sozialisiert worden ist.“

2.1.3 Problem der Definition von Gesundheit

Der Begriff Gesundheit wurde bereits mehrfach definiert. Allerdings erwies sich eine klare Definition lange Zeit als schwierig. So meint auch Waller (2002, S. 11), dass Gesundheit zum einen lediglich auf die körperliche Komponente bezogen werden kann, oder auf psychische, soziale oder ökologische Aspekte eingeht. Als Schlussfolgerung daraus ergeben sich unterschiedliche Konzepte zur Wiederherstellung und zum Erhalt der Gesundheit. Somit wird sich in diesem Zusammenhang auf die Behauptung beschränkt, dass eine „allgemein gültige, anerkannte wissenschaftliche Definition von Gesundheit“ (Waller, 2002, S.11) nicht existiert.

2.2 Das salutogenetische Modell von Gesundheit

Der salutogenetische Ansatz geht davon aus, dass der „Kampf in Richtung Gesundheit als permanent und nie ganz erfolgreich“ (Antonovsky, 1993a, S. 10) erfolgt. Der Erhalt von Gesundheit trotz vieler potenziell gesundheitsgefährdender Einflüsse, die Fähigkeit, sich von Erkrankungen wieder zu erholen sowie die Veranlagung, trotz extremster Belastungen den möglichen Krankheiten Stand zu halten, stellen relevante Fragestellung im salutogenetischen Ansatz dar. Zudem bilden sie zentrale Motive, welche sich als Ausgangspunkte in Antonovskys theoretischen und empirischen Arbeiten verfolgen lassen. In diesen hat Antonovsky den Neologismus „Salutogenese“ geschaffen (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.24). Der Hervorhebung des Gegensatzes „zur bisher dominierenden „Pathogenese“ des biomedizinischen Ansatzes und des derzeitigen Krankheitsmodells, aber auch des Risikofaktorenmodells“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.24), wurde hierbei eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Unter den Begriff der Salutogenese fällt die Betrachtung der Menschen, als mehr oder weniger gesund und gleichzeitig mehr oder weniger krank (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.24). Betrachtet man Antonovskys Vorstellung über die Entstehung von Gesundheit, wird deutlich, dass diese von systemtheoretischen Überlegungen beeinflusst ist. Vor diesem Hintergrund, beschränkt sich die Beschreibung von Gesundheit auf „keinen normalen, passiven Gleichgewichtszustand, sondern auf ein labiles, aktives und sich dynamisch regulierendes Geschehen“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.25). Ungleichgewicht, Krankheit und Leiden stellen hierbei das Grundprinzip menschlicher Existenz dar. Dem folgt, dass Unordnung und die Tendenz zu mehr Entropie, einen allgegenwärtigen Stellenwert annehmen. Der Charakter und die Bedeutung der Entropie kann mit dem „Ausdruck für die allgegenwärtige Tendenz menschlicher Organismen, ihre organisierten Strukturen zu verlieren, aber ihre Ordnung auch wieder aufbauen zu können“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.25) gleichgesetzt werden. Der Aufbau von Gesundheit, welcher immer wieder erfolgen muss sowie der gleichzeitige Verlust von Gesundheit, sind stellvertretend für einen natürlichen und allgegenwärtigen Prozess anzusehen. Die salutogenetische Blickrichtung strebt eine relevante und unabwendbare Erweiterung zu den pathogenetischen Fragestellungen an und verfolgt eine sich gegenseitige Ergänzung beider Modelle (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.26).

Im salutogenetischen Modell der Gesundheit verdeutlicht sich, dass „eine Reihe von Konstrukten mit der Entstehung beziehungsweise dem Erhalt von Gesundheit in Zusammenhang“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.28) gesetzt wird. Das Kernstück des Modells, bildet der Kohärenzsinn, welcher durch das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum, die Stressoren und durch die Spannungszustände sowie die generalisierten Widerstandsressourcen vervollständigt wird. Die „allgemeine Grundhaltung eines Individuums gegenüber der Welt und dem eigenen Leben“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.28), wird als „eine individuelle, psychologische Einflussgröße“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.28) bezeichnet, die den Gesundheits- und Krankheitszustand eines Menschen beeinflusst. In diesem Zusammenhang ist die Betonung der Unterschiede im Gesundheitszustand der verschiedenen Menschen vor dem Hintergrund gleicher äußerer Bedingungen von Bedeutung. Demnach resultiert die Annahme, dass die Ausprägung „der individuellen, sowohl kognitiven als auch affektiv-motivationalen Grundeinstellung“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.28) einen Indikator für die Fähigkeit darstellt, von den vorhandenen Ressourcen zu profitieren. Die Schutzfaktoren können anschließend für den Erhalt der Gesundheit und des Wohlbefindens verwendet werden. Diese Grundhaltung definiert die Bezeichnung als Kohärenzsinn. Die Ausprägung des Kohärenzsinns ist analog zum Gesundheitszustand einer Person sowie zur Genesung und zum Erhalt der Gesundheit zu betrachten (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.28). Die Entwicklung der jeweiligen Grundeinstellung verfolgt eine gewisse Dynamik, die durch die zum Leben fortwährende Konfrontation mit neuen Lebenserfahrungen sowie deren Beeinflussung charakterisiert ist (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29).

2.3 Gesundheits-Krankheits-Kontinuum

Antonovsky (1997, S. 22-23) geht nicht von einem kranken oder gesunden Menschen aus. Er beschreibt vielmehr einen lebenden Menschen, der sich immer auf einem Kontinuum zwischen dem Gesundheitspol und dem Krankheitspol befindet. Ein lebender Mensch ist weder komplett gesund, noch komplett krank. Solange ein Mensch lebt, ist etwas gesund an ihm. Erst mit dem Tod ist der Mensch ganz auf der Seite des Krankheitspols. Ziel der Medizin ist es hier laut Antonovsky (1997, S. 22-23), den Menschen nicht weiter in Richtung des Krankheitspols wandern zu lassen, sondern ihn im Gegenteil weiter in Richtung Gesundheit zu bringen.

2.4 Risiko- und Schutzfaktoren

Der auch als Stressor bezeichnete Risikofaktor stellt Einflüsse auf einen Menschen dar, die ihn bezüglich der pathogenetischen Sichtweise krank werden lassen. Dementsprechend löst zum Beispiel ein Erreger eine Krankheit aus. In diesem Fall wird der Erreger als Stressor kategorisiert. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung zu erwähnen, dass die Annahme, Stressoren seien dauerhaft schädlich, nicht sinnvoll und auch nicht zu rechtfertigen ist (Antonovsky, 1997, S. 26). Als Begründung dient die salutogenetische Sichtweise, in der von einer ständigen Präsenz von Risikofaktoren ausgegangen wird. Diesen kann durch gute Adaptation und Schutzfaktoren entgegengewirkt werden. So kann dieser unter der Vorrausetzung, dass eine Person über die richtigen Ressourcen verfügt eine gesundheitsförderliche Wirkung entfalten (Antonovsky, 1997, S. 24-31). Der Schutzfaktor stellt somit das Gegenstück bezüglich des Risikofaktors dar. Dieser trägt die Verantwortung einem Risikofaktor unschädliche oder sogar gesundheitsfördernde Auswirkungen zu entnehmen (Antonovsky, 1997, S. 24-31).

Die Arbeitspsychologie nimmt eine Unterscheidung zwischen personen- und bedingungsbezogenen Ebenen bezüglich von Risiko- und Schutzfaktoren vor. Während die erstgenannte Ebene Merkmale und Kompetenzen beschreibt, „die an eine Person gebunden sind“ (Bamberg et al., 2006, S.13), geht die bedingungsbezogene Ebene davon aus, dass Merkmale und Faktoren, „durch die Umwelt - Situation, Arbeitsaufgabe, Organisation - gegeben sind“ (Bamberg et al., 2006, S.13). Sowohl die Risikofaktoren auf der personenbezogenen, als auch die auf der bedingungsbezogenen Ebene, nehmen im arbeitspsychologischen Stressmodell die Position entscheidender Einflussgrößen ein. Stressoren gelten als Merkmale, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Stressfolgen herbeiführen können (Greif, 1991; Kahn & Byosiere, 1992; Zapf & Semmer, 2004). Diese können sich im Rahmen von Arbeitsbedingungen entwickeln und sind somit durch diese gegeben. Aber auch Merkmale und Eigenschaften der Person gelten als Auslöser von Stressprozessen. Unter personenbezogenen Risikofaktoren fasst man beispielsweise Variablen wie Erkrankungen oder Ärger zusammen. Hierbei entfaltet ein Risikofaktor nicht zwingend eine stressauslösende Wirkung auf jedes Individuum. Wird jedoch beispielsweise in der Krankenpflege über längere Zeit hinweg unter starkem Zeitdruck gearbeitet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit emotionaler Erschöpfung. Dieses Verständnis von Stressoren beziehungsweise Risikofaktoren gewährleistet unter anderem die Berücksichtigung interindividueller Unterschiede. Der Ansatz lässt sich ins Verhältnis mit dem Konzept der Risikofaktoren in der Epidemiologie setzten. Hier ist die Sichtweise dominierend, die davon ausgeht, dass nicht jedem Krankheitserreger eine Erkrankung oder gar der Tod folgt (Zapf & Semmer, 2004, S.1012). Bedingungsbezogene Stressoren, die sich aus den Arbeitsbedingungen und Arbeitsaufgaben entwickeln, sind bereits multipel untersucht worden. Zu den Stressoren werden Aspekte wie „Arbeitsintensität, arbeitsorganisatorische Probleme und Umgebungsbelastungen wie Lärm“ (Bamberg et al., 2003, S. 50) gezählt. Die Identifizierung der bedingungsbezogenen Stressoren und der personenbezogenen Risikofaktoren stellt eine essentielle Maßnahme bezüglich der Entwicklung zielgerichteter Interventionen dar (Bamberg et al., 2003, S. 50). Weiterhin wird die Entwicklung allgemeiner Präventionsmaßnahmen für häufig auftretende Konstellationen von Stressoren ermöglicht, umso gewisse Stressfolgen von einzelnen Individuen minimieren zu können (Bamberg et al., 2006, S.13). Sind Pflegekräfte beispielsweise einem hohen Zeitdruck ausgesetzt, dann wird der Prüfung folgender Fragen eine zentrale Bedeutung zugesprochen: „Wie ist das Arbeitsvolumen? Wie verändert sich das Arbeitsvolumen über die Zeit? Welche Rolle spielen ineffektive Handlungsstrategien der Beteiligten?“ (Bamberg et al., 2006, S.14).

Ein weiterer essentieller Ausgangspunkt des arbeitspsychologischen Stressmodells wird durch gewisse Ressourcen oder auch Schutzfaktoren konstruiert. Diese sind ein Mittel zum Einsatz der Bewältigung von Anforderungen, um somit das Auftreten von Stressoren vermeiden zu können, ihr Ausmaß zu mildern beziehungsweise ihre Wirkung zu vermindern (Zapf & Semmer, 2004, S. 1042). Bedingungsbezogene Ressourcen, sind wie schon bei den Risiken, durch den Rahmen der Arbeitsaufgabe und der Organisation gegeben. Die wichtigsten Ressourcen stellen die Komponenten der Kontrolle, des Handlungsspielraums oder der Autonomie sowie der sozialen Unterstützung dar. Personenbezogene Ressourcen nehmen Bezug auf „Fähigkeiten und Mittel, über die ein Individuum selbst verfügt“ (Bamberg et al., 2006, S.14). Diese definieren beispielsweise soziale Kompetenzen oder Bewältigungsstrategien. Ressourcen verdeutlichen im Stressprozess eine mehrfache Wirkung. Sie entfalten eine direkte Wirkung auf die Gesundheit, beispielsweise durch den Kohärenzsinn oder indirekt über den veränderten Umgang mit Stressoren. Laut Bamberg et al. (2006) wird dies unter anderem durch die Erweiterung des Handlungsspielraumes garantiert. Ressourcen entfalten eine Wirkung auf Bewertungs- und Bewältigungsprozesse und stellen daher einen wichtigen Ansatzpunkt dar, um eine präventive und rehabilitative Wirkung auf arbeitsbedingten Stress auszuüben. Als Beispiele für potentielle Ressourcen bei Arbeiten unter Zeitdruck lassen sich Zeitmanagementstrategien und mehr Spielraum für die Beschäftigten, sich ihre Zeit selbst einzuteilen, heranführen (Bamberg et al., 2006, S.14).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Stressoren und Ressourcen auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum

(Georg Thieme Verlag, 2015)

2.5 Der Kohärenzsinn

2.5.1 Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit

2.5.1.1 Gefühl von Verstehbarkeit:

Diese Komponente geht auf die Beschreibung ein, welche „die Erwartung beziehungsweise die Fähigkeit von Menschen, Stimuli als geordnete, konsistente, strukturierte Informationen verarbeiten zu können“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29) thematisiert. Sie schließt die Konfrontation mit Reizen, die chaotisch, willkürlich, zufällig und unerklärlich sind somit aus. Menschen mit einem hohen Maß an Verstehbarkeit sind sich der Vorhersagbarkeit von Stimuli bewusst. In diesem Sinne folgt dem zufälligen oder überraschenden Auftreten von Reizen die Fähigkeit, diese entsprechend einordnen zu können (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29). Das Eintreten eines Ereignisses wird folglich akzeptiert und ermöglicht eine Erklärung dessen. Dies zieht jedoch nicht die Schlussfolgerung nach sich, dass das Einstehen solcher Stimuli erwünscht ist (Antonovsky, 1997, S. 34). Verstehbarkeit ist demnach mit der Bezeichnung eines kognitiven Verarbeitungsmusters gleichzusetzten (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29).

2.5.1.2 Gefühl von Handhabbarkeit/ Bewältigbarkeit:

Diese Komponente stellt die Überzeugung eines Menschen dar, Schwierigkeiten als lösbare Herausforderungen zu betrachten (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29). Man definiert dieses Element als das „Ausmaß, in dem man wahrnimmt, daß man geeignete Ressourcen zur Verfügung hat, um den Anforderungen zu begegnen“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29). Sie beschreibt somit die Fähigkeit, die eigenen, einem zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erkennen und nutzen zu können, damit man den durch die Stimuli ausgehenden Anforderungen im Alltag bestmöglich begegnet. Dabei stehen unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung (Antonovsky, 1997, S. 35). Die Handhabbarkeit geht hierbei über die Verfügung der eigenen Ressourcen und Kompetenzen hinaus. Das Vertrauen und der Glaube, die Überwindung von Schwierigkeiten durch die Hilfe von anderen Personen oder einer höheren Macht bewältigen zu können, vervollständigt diese Komponente (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29). Zu diesen zählen Freunde, Partner, Kollegen, Gott, ein Arzt oder andere bedeutende Personen im Leben eines Menschen, zu denen eine Person Vertrauen hat. Ergänzend zur Verstehbarkeit sieht man sich bei einem guten Vermögen an Handhabbarkeit nicht als das Opfer oder fühlt sich nicht hilflos. Menschen mit einer hohen Handhabbarkeit wissen, dass negative Situationen eintreten können, wissen allerdings auch mit ihnen umzugehen (Antonovsky, 1997, S. 35). Handhabbarkeit ist demnach mit der Bezeichnung eines kognitiv-emotionalen Verarbeitungsmusters gleichzusetzten (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.29).

2.5.1.3 Gefühl von Sinnhaftigkeit/ Bedeutsamkeit:

Diese Dimension beschreibt das Ausmaß, in dem man das Leben als emotional sinnvoll empfindet und spiegelt somit die emotionale Komponente wider. Hier zeigt sich, in welcher Weise und in welchem Ausmaß das Leben als sinnvoll angesehen wird und als nützlich betrachtet werden kann, Mühen und Energie aufzubringen, um Probleme und Anforderungen, die das Leben stellt, zu bewältigen. Personen mit einem hohen Maß an Bedeutsamkeit nehmen negative Ereignisse als Herausforderung und Erfahrung wahr und sind motiviert ihr bestmöglichstes zu geben, um diese Schicksale zu überwinden (Antonovsky, 1997, S. 35-36). Dieser motivationalen Komponente spricht Antonovsky eine besondere Bedeutung zu. Bleiben die Erfahrung von Sinnhaftigkeit und die positiven Erwartungen an das Leben aus, ergibt sich abhängig von der Ausprägung der anderen beiden Komponenten ein niedriger Wert des vollständigen Kohärenzsinns (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.30). In der Konsequenz eines stark ausgeprägten Kohärenzsinns ergibt sich, unter Aktivierung der für diese spezifische Situation angemessene Ressourcen, die flexible Reaktion einer Person auf gewisse Anforderungen (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.30). Der Kohärenzsinn „wirkt als flexibles Steuerungsprinzip, als Dirigent, der den Einsatz verschiedener Verarbeitungsmuster (Copingstile, Copingstrategien) in Abhängigkeit von den Anforderungen anregt“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.30). Der Kohärenzsinn ist folglich nicht mit Copingstilen gleichzusetzen, sondern folgt der Definition einer übergeordneten und steuernden Funktion (Antonovsky, 1993d).

2.5.2 Beziehungen zwischen den Komponenten

Es gibt acht verschiedene Möglichkeiten der Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Komponenten des Kohärenzsinns. Diese werden um eine vereinfachte Darstellung zu gewährleisten im Folgenden tabellarisch aufgeführt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Dynamischer wechselseitiger Zusammenhang der SOC-Komponenten

(Antonovsky, 1997, S. 37)

Typus 1 und 8, die durch jeweils durchgehend hohe oder niedrige Werte gekennzeichnet sind, sind durch eine gewisse Stabilität charakterisiert. Diesbezüglich ist die Ansicht einer im allgemeinen kohärenten oder inkohärenten Welt vertreten. Eher als eine Seltenheit gilt die Kombination von Typus 2 und 7, die ein hohes Maß an Handhabbarkeit, aber nur ein recht geringes Maß an Verstehbarkeit thema­tisieren. Diese Einstufung erfolgt auf Grund der Annahme Antonovskys (1997, S. 37), die einem hohen Ausmaß an Handhabbarkeit ein hohes Maß an Verstehbarkeit voraussetzt. In diesem Zusammenhang sollte sich jedoch nicht das Verständnis verallgegenwärtigen, dass eine ausgeprägte Verstehbarkeit die Bedeutung nach sich zieht, „dass man glaubt, die Dinge gut handhaben zu können“ (Antonovsky, 1997, S. 37). Die Typen 3 und 6 folgen einer inhärent-instabilen Betrachtungsweise. Die Kombination aus einem hohen Maß an Verstehbarkeit und einem niedrigen Maß an Handhabbarkeit erzeugt einen starken Drang nach Veränderung. Die Richtung der Veränderung wird durch die Komponente der Bedeutsamkeit bestimmt. Versteht man ein Problem und ist gewillt dies zu ändern, so wird man die Suche nach einer Lösung nicht aufgeben, ehe man eine gefunden hat. Erkennt man allerdings keinen Nutzen in der Lösung des Problems, so folgt mit der Zeit eine Abstumpfung und Immunität gegen die Reize der Stimuli (Antonovsky, 1997, S. 37-38). Eine Kodierung der beiden Typen würde wie folgt aussehen (Antonovsky, 1997, S. 38):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Bedeutsamkeit nimmt in Bezug auf den Kohärenzsinn einen zentralen Stellenwert ein. Typus 5 zeigt, dass ein hohes Verständnis für das vorliegende Problem und eine ausgeprägte Handhabbarkeit der Ressourcen nicht zur Lösung des Problems beitragen, solange kein Interesse besteht die vorhandenen Mittel einzusetzen. Im Laufe der Zeit geht allerdings das Verständnis sowie die Verfügungsgewalt über vorhandene Ressourcen verloren (Antonovsky, 1997, S. 38). Typus 4 ist von einer hohen Bedeutsamkeit, aber auch von einer niedrigen Verstehbarkeit und Handhabbarkeit geprägt. In diesem Fall zeigt die Person ein hohes Interesse etwas an der derzeitigen Situation ändern zu wollen. Lediglich das fehlende Wissen und die nicht vorhandenen Ressourcen schränken diese Umsetzung ein. Antonovsky zieht hier als Beispiel Personen aus dem Warschauer Ghetto heran, deren Wille zur Veränderung bestand, ihre Situation aber grundsätzlich aussichtslos erschien (Antonovsky, 1997, S. 38). Die Kodierung der beiden Typen würde wie folgt aussehen (Antonovsky, 1997, S. 38):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.5.3 Rigider und starker Kohärenzsinn

Antonovsky (1997, S. 40-41) entnahm seinen Studien, dass es zwei Arten von Menschen mit einem hohen Kohärenzsinn gibt. Einer dieser war nicht von Authentizität gekennzeichnet, da jene Personen überall im Fragebogen sehr hohe Werte bezüglich des Kohärenzsinns auswählten. Antonovsky empfand es als inkorrekt „jemanden als Person mit einem sehr starken SOC einzustufen, der behauptet, nahezu alles zu verstehen, der meint, es gebe für fast jedes Problem eine Lösung, und für den Zweifel nicht tolerierbar sind“ (Antonovsky, 1997, S. 41). Dessen Auftreten war in seinen Fragebogenuntersuchungen meist auf vier bis fünf Prozent der Teilnehmer zurückzuführen. Diese konnten der Studie unproblematisch entnommen werden (Antonovsky, 1997, S. 40-41). Einer rigiden Person scheint also alles verstehbar, handhabbar und bedeutsam. Das ließe Langeweile zu einem profunden Stressor werden, der das Gefühl für die Sinnhaftigkeit eliminieren würde. Solch eine Person würde im Laufe der Zeit durch die Erkenntnisse der Realität in ein tiefes Loch fallen. Die Wahrnehmung eines Menschen für sämtliche Probleme immer eine Lösung zu haben, die jedoch nicht existiert, hemmt die Suche nach richtigen Lösungen. Antonovsky (1997, S. 41) verweist hier auf die Unterscheidung zwischen dem Gefühl des Selbst und dem Gefühl der Identität. Das Selbst bezieht sich auf grundlegende Schichten der Persönlichkeit, die die Vermittlung eines bestimmten Zwecks anstreben. Die Identität bezieht sich auf den Komplex sozialer Rollen des Individuums. Manche Menschen geben ihre Identität auf und widmen sich der Suche nach alternativen Identitäten, wenn der spezifische Komplex von Rollen das Selbst nicht mehr passend widerspiegelt. Bezüglich des Kohärenzsinns, lässt sich folgender Sachverhalt darstellen. Eine Person mit einem ausgeprägten Selbst und einer starken Identität wird einen hohen und starken Kohärenzsinn aufweisen. Eine Person mit schwachem Selbst und schwacher Identität hingegen, wird nur einen geringen Kohärenzsinn besitzen. Weiterhin sind Personen zu erwähnen, die sich eine vorgegebene Identität schaffen, um sich vor ihrem schwachen Selbst zu verstecken und um Ängste zu bewältigen (Antonovsky, 1997, S. 41-42). Koestler (1967, S. 42) gibt für erfolgreiche Adaptation und Hierarchien „feste Regeln, die jedoch Raum für flexible Strategien lassen und von Feedback geleitet werden“ vor. Somit sind Men­schen in der Lage von einem starken Kohärenzsinn geprägt zu sein ohne an einer rigiden geschaffenen Identität festzuhalten.

2.5.4 Grenzen des Kohärenzsinns

Der Kohärenzsinn weist Grenzen auf, die sich über ein Desinteresse an bestimmten Tätigkeiten definieren. Antonovsky (1997, S. 39-40) verweist hierbei auf seine Tiefeninterviews in denen er immer wieder bemerkt hat, dass Personen mit einem hohen Kohärenzsinn trotzdem Bereiche thematisierten, denen sie kaum Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit zuwiesen. Demnach charakterisiert der Kohärenzsinn vielmehr die Grenzen, welche ihm gegenübergestellt werden. Vier Bereiche sind für Antonovsky (1997, S. 39-40) ausschlaggebend und lassen sich in ihrer „Signifikanz nicht leugnen“ (Antonovsky, 1997, S. 39). Hierzu zählen die eigenen Gefühle, die unmittelbaren interpersonellen Beziehungen sowie seine wichtigste eigene Tätigkeit und existenzielle Fragen bezüglich des Todes, des unvermeidbaren Scheiterns, der persönlichen Fehler, der Konflikte und der Isolation (Antonovsky, 1997, S. 39).

2.5.5 Wirkungsweisen des Kohärenzsinns

Antonovsky verdeutlicht, dass bezüglich des Kohärenzsinns unterschiedliche Wirkungsweisen angenommen werden können. Der Kohärenzsinn kann eine direkte Wirkung auf verschiedene Systeme des Organismus (zum Beispiel Zentralnervensystem, Immunsystem, Hormonsystem) entfalten (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.37). Hierbei werden unter anderem gedankliche Prozesse (Kognitionen) beeinflusst, die eine Entscheidung darüber tätigen, „ob Situationen als gefährlich, ungefährlich oder als willkommen bewertet werden“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.37). Geschlussfolgert werden kann somit, dass zwischen dem Kohärenzsinn und der Auslösung komplexer Reaktionen auf verschiedenen Ebenen ein Zusammenhang besteht. Demnach beruht der Kohärenzsinn nicht nur auf der Beeinflussung und Bewältigung von Spannungszuständen, sondern macht zudem eine direkte Wirkung als Filter bei der Verarbeitung von Informationen deutlich. Als weitere Wirkungsweise wird die Mobilisation von vorhandenen Ressourcen deutlich. Folgt dem erfolgreichen Einsatz dieser Ressourcen eine Spannungsreduktion, so wirkt dieser „damit indirekt auf die physiologischen Systeme der Stressverarbeitung“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.37). Die kurzfristigen physiologischen Stressaktionen der Anspannung stellen hierbei keinen gesundheitsschädigenden Effekt dar, sofern sie durch eine anschließende Erholungsphase ausgeglichen werden. Von einer Schädigung wird erst in dem Moment ausgegangen, in dem die selbstregulativen Prozesse des Systems gestört sind (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.37). Antonovsky reduziert in seinem Modell „Gesundheit auf den körperlichen oder (scheinbar) objektiven Aspekt“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.43). Er definiert eine direkte Beziehung zwischen körperlicher Gesundheit und SOC und äußert sich beschränkt über mögliche Beziehungen zwischen SOC und Aspekten psychischer Gesundheit wie Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.43). Seit der Vorlegung des Konzeptes des Kohärenzsinns von Antonovsky, berufen sich die Schätzungen veröffentlichter Forschungsarbeiten bezüglich des Kohärenzsinns auf nicht viel mehr als 200 Studien (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.42). Der heutige Stand der Forschung bietet jedoch Ergebnisse, die Hinweise auf Zusammenhänge zwischen dem Kohärenzsinn und verschiedenen Aspekten psychischer Gesundheit geben, welche deutlicher sind als solche zwischen dem Kohärenzsinn und körperlicher Gesundheit. Entgegen den formulierten Untersuchungshypothesen wird teilweise kein direkter Einfluss von SOC auf die körperliche Gesundheit gefunden. (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.44). Vor diesem Hintergrund sollte der von Antonovsky formulierte direkte Einfluss von SOC auf die körperliche Gesundheit kritisch beurteilt werden (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.46). Demnach sind „zur Klärung dieser Frage weitere Studien mit angemessenem Forschungsdesign notwendig“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.46).

2.5.6 Verwandte Konzepte

Analog zu Antonovskys Kohärenzsinn wurden in den letzten Jahren weitere psychologische Konzepte entwickelt. Diese widmen sich der Erklärung, wie individuelle Eigenschaften Einfluss auf die Entstehung und Veränderung von Gesundheit und Krankheit nehmen. Die Konzepte werden häufig unter der Bezeichnung „interne oder personale Protektivfaktoren“ diskutiert. Interne Protektivfaktoren sind „als dispositionelle, wenn auch veränderbare Persönlichkeitsmerkmale, wie auch als situationsspezifische Denk- oder Verhaltensstile“ zu verstehen. Weiterhin können spezifische Gesundheitsverhaltensweisen die Wirkung als Protektivfaktoren entfalten, da angenommen wird, dass spezifische Verhaltensweisen die Erhaltung von Gesundheit fördern. Hierzu lässt sich beispielsweise die Inanspruchnahme präventiver Angebote des Gesundheitssystems zählen. Personale Protektivfaktoren thematisieren insbesondere die Konzepte „Gesundheitliche Kontrollüberzeugungen“ (Wallston & Wallston, 1978), „Selbstwirksamkeitserwartung“ (Bandura, 1977; 1982), „Widerstandsfähigkeit“ (Kobasa, 1979; Kobasa, Maddi & Kahn, 1982), „Optimismus“ (Scheier & Carver, 1985; 1987), „Seelische Gesundheit als Eigen­schaft“ (Becker, 1992) und wahrgenommene bzw. erwartete „soziale Unterstützung“ (Cohen & Syme, 1985; Schwarzer & Leppin, 1989).

2.5.6.1 Gesundheitliche Kontrollüberzeugungen:

Gesundheitliche Kontrollüberzeugungen entsprechen den Erwartungen eines Individuums, dass Gesundheit und Krankheit beeinflussbar sind. Dies steht nicht in Abhängigkeit von der objektiven Möglichkeit, Einfluss nehmen zu können (Wallston & Wallston, 1978). Das Verständnis beruht im Unterschied zu Antonovsky mehr auf spezifische, situationsabhängige als auf stabile, personenabhängige Faktoren. Hierbei kommt der Unterscheidung in internale, externale und fatalistische Kontrollüberzeugungen eine zentrale Bedeutung zu. Personen mit internalen Kontrollüberzeugungen sind von der Beeinflussbarkeit des Gesundheitszustandes durch eigenes Handeln überzeugt. Hingegen dominiert bei Personen mit externalen Überzeugungen die Ansicht, ihre Gesundheit sei abhängig von anderen Individuen oder äußeren Bedingungen wie beispielsweise einer medikamentösen Behandlung. Personen mit fatalistischen Überzeugungen sind der Überzeugung, ihre Gesundheit dem Schicksal, Glück oder Zufall zu sprechen zu können (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.53).

2.5.6.2 Selbstwirksamkeitserwartung:

Kontrolle stellt auch in einem weiteren sozialpsychologischen Konstrukt, der Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1977; 1982), einen zentralen Aspekt dar. Bezüglich gesundheitspsychologischen Fragestellungen wird dieser eine immer größer werdende Bedeutung zu gesprochen. Die Selbstwirksamkeitstheorie Banduras beschreibt die Annahme, dass das Verhalten einer Person durch Effizienzerwartung und Ergebniserwartung dominiert wird. Entscheidend ist, dass die Antizipation eines positiven Ergebnisses allein keine ausschlaggebende Wirkung bezüglich einer Verhaltensänderung bewirkt. Verdeutlicht werden sollte „die Überzeugung, eine Leistung oder ein bestimmtes Verhalten auch real ausüben zu können“ (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.54). Selbstwirksamkeit bildet sich durch die erfolgreiche Bewältigung von Erfahrungen des Individuums mit Situationen aus (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.54). Diese Entwicklung fördert die Ausprägung angemessener Bewältigungsstrategien. Selbstwirksamkeitserwartungen stellen einen festen Bestandteil der individuellen Bewertung eigener Copingmöglichkeiten dar. In dessen Konsequenz tragen diese somit zur Bewältigung von Krisen und zur Gestaltung des eigenen Lebensraumes bei (Rippetoe & Rogers, 1987). Der Ursprung der Selbstwirksamkeitserwartungen geht von situations­abhängigen Überzeugungen aus und gilt somit nicht als stabile Persönlichkeitseigenschaft. An dieser Stelle verdeutlicht sich der Unterschied der Theorie bezüglich Antonovskys Ansatz. Dieser legt keinen Wert auf die Unterscheidung zwischen Ergebnis- und Effizienzerwartungen. Beide Aspekte sind jedoch in der Komponente der Handhabbarkeit enthalten. Hierbei wird von dem Vertrauen ausgegangen, dass einem die geeigneten Ressourcen zur Verfügung stehen, um gewissen Ereignissen entgegenwirken zu können (Bengel, Strittmatter, Willmann, 2009, S.55).

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Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Arbeitsbedingungen und Kohärenzsinn in der Pflege. Gesundheitspsychologische Aspekte bei Pflegekräften
Autor
Jahr
2020
Seiten
73
Katalognummer
V516612
ISBN (eBook)
9783963550560
ISBN (Buch)
9783963550577
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stressresistenz, Burnout, Gesundheitswesen, Pflege, Stress
Arbeit zitieren
Jessica Ottmann (Autor:in), 2020, Arbeitsbedingungen und Kohärenzsinn in der Pflege. Gesundheitspsychologische Aspekte bei Pflegekräften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/516612

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