Macht Pendeln krank? Wie sich berufliche Mobilität auf die Psyche auswirkt


Fachbuch, 2020

83 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Das berufliche Pendeln
2.2 Stress, Kontrolle und Vorhersehbarkeit
2.3 Die psychischen Auswirkungen des Pendelstresses

3 Die Fragestellung und Hypothesen
3.1 Die Synthese der Theorie und Zielsetzung der Studie
3.2 Die Hypothesen
3.3 Die weiterführenden Analysen

4 Die Methodik
4.1 Die Stichprobenbeschreibung
4.2 Die Charakteristika des Weges zur Arbeit
4.3 Das Untersuchungsdesign und Untersuchungsdurchführung
4.4 Die Operationalisierung

5 Ergebnisse
5.1 Deskriptive Ergebnisse
5.2 Inferenzstatistische Ergebnisse
5.3 Weiterführende Analysen

6 Diskussion der Ergebnisse und Forschungsstand
6.1 Zusammenfassung
6.2 Soziodemographische Daten und das Erhebungsinstrument
6.3 Die Pendelzeit und psychische Auswirkungen
6.4 Das pendelnde Individuum, Arbeitswegcharakteristika und erlebter Stress
6.5 Das pendelnde Individuum, demographische Daten, Stress und die Work-Life Balance
6.6 Das pendelnde Individuum und die psychische Lebensqualität
6.7 Das pendelnde Individuum und Commitment

7 Der Ausblick

8 Die Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © Science Factory 2020

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Das Konstruktmodell zur Analyse des beruflichen Pendelns

Abbildung 2: Darstellung der Probandenanzahl und der Pendeltage pro Woche

Abbildung 3: Darstellung der Anfahrtswegverteilung der Probanden

Abbildung 4: Darstellung der Kfz-Wechsel

Abbildung 5: Darstellung des Pendelzeitraumes

Abbildung 6: Darstellung der hypothetischen Ergebnisverzerrung durch unterschiedliche Ausmaße der Copingstrategien

Abbildung 7: Rotierte Komponentenmatrix der Skala zu Stress, Kontrolle und Vorhersehbarkeit bei dem Pendeln

Abbildung 8: Die Korellationstabelle

Abkürzungsverzeichnis

M Mittelwert

SD Standardabweichung

df Zahl der Freiheitsgrade

Mdn Median

N Stichprobengröße der Gesamtstichprobe

n Anzahl der Elemente eines definierten Teils der Gesamtstichprobe

rtt Re-test-Reliabilität

1 Einleitung

Der rasant ansteigende technische Fortschritt innerhalb der letzten 20 Jahre bewirkt das stetig andauernde Etablieren neuer technischer Innovationen, welche einen beträchtlichen Einfluss auf den soziokulturellen, sowie den ökonomischen Wandel ausüben. Das Einführen effizienter Verkehrssysteme wie das der Eisenbahn, während der zunehmenden Industrialisierung in den 30er Jahren, sowie die darauffolgenden Errungenschaften im Sektor der Mobilität, bewirken, dass die ursprünglich enge Bindung von Wohn- und Arbeitsort aufgehoben werden konnte (Dr. Lasch & Dr. Lemke, 2006).

Durch diesen beschriebenen Fortschritt im Mobilitätssektor und der wachsenden Infrastruktur sind arbeitende Personen befähigt, einen weiteren Mobilitätsbereich als zuvor abdecken zu können. Der Wandel der Mobilität stellt somit nicht nur eine Form der Fortbewegung dar, sondern verändert wichtige Strukturen sowohldes Privat-, als auch des Arbeitsmenschen. Arnold Gehlen zitiert:

„Fortschritt ist der Übergang von Situationen, deren Nachteile man schon kennt, zu Situationen, deren Nachteile man noch nicht kennt.“ (Gehlen)

Inwieweit diese Errungenschaften im Mobilitätssektor sich auf die Psyche der Individuen auswirken, ist Thematik dieser Studie. Denn durch diese hohe Mobilitätsstruktur sind Arbeitnehmer dazu befähigt Stellenangebote anzunehmen, welche eine hohe räumliche Distanz aufweisen, sodass in der heutigen Gegenwart bereits 40% der Berufstätigen täglich mehrere Kilometer für Hin- und Rückweg zurücklegen, um an ihre Arbeitsstelle zu gelangen (WIDO, 2012). Dies bietet arbeitstätigen Individuen interessante Berufsperspektiven, welche innerhalb ihres erweiterten Mobilitätsspektrums liegen.

Das dauerhafte rhythmische Zurücklegen der räumlichen Distanz zur Arbeitsstätte birgt jedoch ebenfalls langfristige Risiken für die psychische Gesundheit des pendelnden Individuums (Feng & Boyle, 2013). Es wird neuen Stressoren, wie dem Kontrollverlust bei Verkehrsstau oder der Verspätung des Zuges, sowie einer generellen chronischen Zeitknappheit ausgesetzt (Schneider, Rüger, & Münster, 2009) (Hupfeld & Herdegen, 2013). Hinzu kommen häufige psychosomatische Beschwerden (Häfner, Kordy, & Kächele, 2001) als auch ein erhöhtes Auftreten von Rücken- und Gelenkschmerzen bei pendelnden Beschäftigten (Paridon & Hupke, 2010). Studien belegen zudem, dass sich diese Form der Belastungen durch das Pendeln zur Arbeitsstätte nicht nur auf die Person, sondern auch auf ihr soziales Umfeld, wie auf die Partnerschaftszufriedenheit auswirken und das Risiko einer Trennung erhöhen (Bodenmann, 1995).

Die geschilderten Fakten stehen unweigerlich in Wechselwirkung mit der Produktivität des Individuums in der Organisation, als auch im Privatleben und können zu ineffizienten Leistungen, als auch einer erhöhten Aggression am Arbeitsplatz aufgrund des stetig hohen Kortisolspiegels führen (Henessy, 2008).

Die Statistiken des Fehlzeitreports 2012 der AOK belegen ebenfalls die Zunahme der psychischen Belastungen (WIDO, 2012). Diese beschreiben die parallele Zunahme psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit der Länge des Anfahrtsweges und den Fehltagen an der Arbeitsstätte. Seit 1994 ist die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120% angestiegen. Die Ausfallzeiten aufgrund von psychischen Erkrankungen betrugen 2011 im Schnitt 22,5 Tage je Fall und damit mehr als doppelt so lange wie andere Erkrankungen mit durchschnittlich 11 Tagen je Fall (WIDO, 2012).

Da diese zeitbedingten neuen Stressoren massive Einwirkungen auf das Individuum vorweisen, welche schwerwiegender und facettenreicher sein können, als der bisherige Stand der Forschung es belegt, steht das pendelnde Individuum in dieser Studie im Fokus der Betrachtung. Der Einfluss des gewählten Verkehrsmittels, des Stresses, der Kontrolle während des Pendeln, der Gesundheitszustand, die Work-Life-Balance, als auch die psychischen Komponente im Bereich der Lebensqualität, sowie der Einfluss des Pendelns auf das Commitment zur Organisation werden in der folgenden Studie analysiert und die Ergebnisse in Bezug auf das immer häufiger auftretende Phänomen des beruflichen Pendelns und dessen psychische Auswirkungen auf das Individuum kritisch diskutiert.

2 Theoretischer Hintergrund

Im Folgenden Abschnitt wird das Konstrukt des beruflichen Pendelns, sowie die Faktoren im Sinne der Zielsetzung dieser Studie deskriptiv charakterisiert. Dabei wird für die ausgewählten Konstrukte im Sinne der Zielsetzung der Studie der aktuelle Forschungsstand, die Beschreibung des Konstruktes, sowie der Mechanismus der Konstrukte, anhand von ausgewählten Theorien dargelegt. Sowohl die Belastungsmerkmale des Stresses, der Kontrolle sowie der Vorhersehbarkeit während des Arbeitsweges, das Commitment, die Lebensqualität, als auch der Gesundheitszustand werden nachfolgend im Hinblick auf das berufliche Pendeln theoretisch untermauert, sowie analysiert.

2.1 Das berufliche Pendeln

Rund 230 Milliarden Kilometer legen die Deutschen jedes Jahr während ihres Weges zu deren Arbeitsstätte zurück. Vor 40 Jahren belief sich die Anzahl der Kilometer auf 124 Milliarden Kilometer (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2016). Das berufliche Pendeln bzw. „die sogenannte Verkehrsmobilität, die auch zirkuläre Mobilität genannt wird, bezieht sich auf regelmäßig ablaufende Verkehrsabläufe, wie die täglich wiederkehrenden Ortsveränderungen von Personen auf dem Arbeitsweg“ (Hautzinger & Pfeiffer, 1996). Linden definiert das berufliche Pendeln 1966 als „Berufstätige, deren Arbeitsplatz außerhalb der Wohngemeinde liegt.“ (Linden, 1966)

Aufgrund der Mobilitätszunahme im zeitlichen Verlauf, erkennt man anhand der einfachen Charakterisierung des Pendelns, anhand der Definition von Linden 1966 im direkten Vergleich mit heutigen Definitionen, dass eine zunehmend spezifischere Definition und damit eine zunehmende Importanz des Terms „berufliches Pendeln“, im Zeitverlauf, vorliegt (Hautzinger & Pfeiffer, 1996). 1997 definiert Köberlein das berufliche Pendeln im Verkehrslexikon als:

„Personen, deren Wohnsitz und Arbeits- bzw. Ausbildungsstätte und Versorgungseinrichtungen sich an räumlich voneinander getrennten Orten befinden und deshalb regelmäßig Fahrten mit öffentlichen und nicht öffentlichen Verkehrsmitteln durchführen müssen.

Als Unterscheidungskriterien können räumliche, zeitliche, funktionelle oder entfernungsbezogene Fahrtenmerkmale herangezogen werden.“ (Köberlein, 1997)

Das zeitliche Fahrtmerkmal als Differenzierungskriterium definiert Stadler, Fastenmeier, Gstalter und Lau (2000) als

„jene Personen deren Fahrt zur Arbeit mindestens 45 Minuten beträgt.“ (Gstalter, Lau, Stadler, & Fastenmeier, 2000)

Die räumliche Distanz zieht Kronister als Merkmal des Pendelns heran. Pendler sind nach Kronister:

„unselbständig Beschäftigte, die auf dem Weg zur Arbeit den politischen Bezirk, in dem sie wohnhaft sind, verlassen.“ (Kronister, 2005)

Der Fehlzeiten Report der AOK gibt an, dass heutzutage 40 Prozent der Erwerbstätigen Deutschlands anhand dieser Definition beschrieben werden können (WIDO, 2012). Die Definition Köberleins 1997, welche dieser Studienarbeit zugrunde liegt, beschreibt keine festen räumlichen bzw. zeitlichen Distanzen, da psychische Belastungsmerkmale ebenfalls auf kurzen Fahrten vorhanden sein können. Weiterhin können kurze Distanzen innerstädtisch eine lange Fahrtdauer und somit psychische Belastungsmerkmale aufweisen.

2.2 Stress, Kontrolle und Vorhersehbarkeit

Der Begriff Stress stammt aus der Physik und bedeutet in der ursprünglichen Bedeutung „Druck“. Selye übertrug den Begriff in die Psychologie. Er bezeichnet Stress als eine Aktivierungsreaktion des Individuums, welche auf einen spezifischen Reiz folgt. Dabei differenziert Selye zwischen Eustress, als eine positive unspezifische Reaktion auf Umweltfaktoren wie auf Kälte oder Hitze und Distress, als negativer Stress, welcher sich schädlich auswirkt, wie beispielsweise die Überforderung des Organismus (Selye, 1974).

Stress äußert sich in der heutigen Zeit jedoch nicht nur physisch, denn die psychischen Belastungen nehmen aufgrund der Belastungsverschiebung und der damit einhergehenden „Deregulierung und Entstandartisierung von Beschäftigungs- und Leistungsbedingungen“ (Lenhardt & Rosenbrock, 2009) zu.

In den vergangenen 40 Jahren steigerte sich der Anteil psychischer Belastungen von zwei auf 15,1 Prozent. Damit haben sich die Anteile der psychischen Belastungen im Zeitverlauf verfünffacht (Knieps & Pfaff, 2016). Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Dauer psychisch bedingter Krankheitsfälle mit 36 Tagen dreimal so hoch ist wie bei anderen Erkrankungen mit durchschnittlich 12 Tagen (Knieps & Pfaff, 2016). Zwischen 1993 und 2015 stieg der Anteil von Personen, die aufgrund seelischer Leiden frühzeitig in Rente gingen, von 15,4 auf 42,9 Prozent (Deutscher Rentenversicherungs Bund). Gegenüber dem Jahr 2000 entspricht dies einer Steigerung der Fallzahlen um über 40 Prozent. Somit kann die psychische Belastung als Subfacette der Domäne Stress beschrieben werden, da der Outcome der Stressreaktion nicht nur auf physischer, sondern ebenfalls auf psychischer Ebene vorliegt.

Die deutsche Gesellschaft psychosozialer Gesundheitsförderung einigt sich im Hinblick auf die Abgrenzung der Domäne des Stresses und der psychischen Belastung auf eine synonyme Verwendung:

„Wird von mentaler, psychischer, psychomentaler, psychoemotionaler, psychosozialer oder geistiger Belastung gesprochen, ist im allgemeinen Stress das übergreifende Stichwort. Psychische Belastung ist demnach ein Synonym für Stress.“ (Deutsche Gesellschaft für psychosoziale Gesundheitsförderung, 2012)

Die psychische Belastung wird definiert als:

„die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ (DIN Norm Nr. 33405, 1987)

Diese Stressoren welche auf das Individuum einwirken und somit zu Stress führen können, lassen sich untergliedern. Zu unterscheiden sind physische Stressoren wie Lärm, aufgabenbezogene Stressoren wie Zeitdruck, arbeitsbezogene Stressoren wie das tägliche Pendeln, Rollenstressoren wie Rollenkonflikte, soziale Stressoren wie Isolation, sowie veränderungsbezogene Stressoren und traumatische Stressoren wie schwere Unfälle (Bernhardt & Wermuth, 2011).

Betrachtet man bisherige Perspektiven der Stressforschung, erkennt man, dass sich drei verschiedene Ansätze etablieren konnten (Lazarus & Launier, 1981).

Die reizzentrierten Theorien konzentrieren sich auf Reize, welche zu einer spezifischen Stressreaktion führen (Dohrenwend & Dohrenwend, 1974). Diese Stressmodelle sind vor allem in der Life-Event-Forschung, in Forschungen zum Arbeitsstress, zu sozialem Stress oder zu Stressoren in der Wohnumgebung anzutreffen (Wippert, 2009). Der Stress auslösende Reiz ist situationsbezogen und der Fokus liegt auf Umweltstressoren mit unterschiedlicher Qualität und Intensität, welche eine Stressreaktion auslösen.

In den aktuellen Studien finden sich vermehrt subjektive Einschätzungsprozesse und Bewältigungskompetenzen, welche miteinbezogen werden (Dohrenwend & Dohrenwend).

Das Modell der „daily hassles“, beschreibt welche Auswirkungen alltägliche wiederkehrende Stressoren auf das psychophysische Wohlbefinden haben. Es liegt die Annahme zugrunde, dass die täglichen Stressoren die Gesundheit beeinflussen und nicht die Wirkung kritischer Lebensereignisse wie in den früheren Ansätzen der Life-Event Forschung beschrieben wird (Stefanek, Strohmeier, Fandrem, & Spiel, 2012).

Die reaktionszentrierten Theorien haben die Reaktion des Organismus, welche auf einen spezifischen Reiz folgt im Fokus. Das Experiment nach Selye (1936) veranschaulicht, dass Individuen ein physiologisch einheitliches Reaktionsschema aufweisen, auch wenn diese unterschiedlichen Stressoren ausgesetzt werden. Er bezeichnete dies als Allgemeines Adaptationssyndrom und beschrieb dieses als dreistufigen Prozess mit den Stufen der

1) Alarmreaktion,
2) dem Stadium des Widerstandes und dem
3) Stadium der Erschöpfung.

Die jüngste, transaktionale Perspektive vereint die vorigen Perspektiven und betrachtet somit die Umwelt, also die auf das Individuum einwirkenden Kräfte und Stressoren in Wechselwirkung mit dem Individuum (Schild & Heeren, 2003).

Nach der transaktionalen Stresstheorie von Lazarus 1991 entsteht Stress durch die Wechselwirkung zwischen situativen Anforderungen und den individuellen Beurteilungen der eigenen Ressourcen und Fähigkeiten (Lazarus & Launier, 1981). Diese subjektive Bewertung des Stressors findet in Form zweier Prozesse statt.

a) Die primäre Bewertung des Reizes hat die Analyse der Bedrohlichkeit des auf das Individuum einwirkenden Reizes im Fokus.
b) Die sekundäre Bewertung beurteilt daraufhin die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten des Individuums auf materieller, sozialer als auch psychischer Ebene (Schwarzer & R, 2000). Empfindet das Individuum einen Stressor als bedrohlich, entscheidet die sekundäre Bewertung darüber, inwieweit Stress ausgelöst wird oder nicht. Je weniger Bewältigungsoptionen des Stressors zur Verfügung stehen, umso höher wird der subjektiv erlebte Stress.

Der abschließende Prozess des „Copings“ bzw. die Menge anwendbarer Coping Strategien entscheiden somit darüber mit welcher Intensität ein bestimmter Stressor wahrgenommen wird. Aufgrund mangelnder Copingstrategien nehmen die Belastungen im Alltag zu und wirken sich auf die Produktivität des Individuums aus (Menzel & Sonntag, 2009), da dieses mangelnde Coping Strategien wie Handlungshemmung, direktes Handeln, Informationssuche, intrapsychische Anpassung für den Alltag im Sinne des Pendelns aufweisen kann und das Pendeln somit als Stress wahrnimmt (vgl. Lazarus, 1991).

Es ist zu betonen, dass lebensbedrohliche Konfrontationen meist weniger vorhanden sind als der stetige Dauerstress (Wagner-Link, 2009). Dieser führt zu einer Störung des vegetativen Gleichgewichtes, da das Gegenstück der Stressreaktion, die Entspannungsreaktion ausbleibt (Bamberg, 2004). Vester formuliert 2003 Langzeitfolgen von Dauerstress als keine bzw. geringe Erholungsphasen, die durch Stress entstehende und andauernde Alarmbereitschaft des Organismus, welche in keine „fight or flight reaction“ übertragen werden kann und sich somit negativ auf das Individuum auswirkt (Vester, 2003).

Die bereits erläuterten Stressoren von Bernhardt 2011 (Bernhardt & Wermuth, 2011) können durch acht Dimensionen nach Evans & Cohen charakterisiert werden (Evans & Cohen, 1987).

Die erste Dimension entspricht der Salienz, also der Auffälligkeit des Stressors. Je auffälliger der Stressor desto leichter ist dieser dem Bewusstsein zugänglich.

Die zweite Dimension nach Evans beschreibt die Bewältigungs- möglichkeiten im Hinblick auf den gegebenen Stressor, also die Copingstrategien nach Lazarus (Lazarus & Launier, 1981).

Die vierte Dimension beschreibt die Importanz des Erkennens einer Stressquelle.

Die fünfte Dimension beschreibt Evans & Cohen als die Dauer und Periodizität des einwirkenden Stressors. So können Stressoren nach dem Modell der „daily hassles“ kontinuierlich auftreten, aber auch einmalig wie bei der Life-Eventforschung zu erkennen ist.

Die fünfte Dimension beschreibt das Ausmaß der Kontrollierbarkeit eines Umweltstressors.

Die sechste Dimension nach Evans und Cohen ist die Vorhersehbarkeit von Stressoren.

Da die fünfte, sowie die sechste Dimension nach Evans & Cohen wesentlicher Bestandteil dieser Studie und in der Skala der Stressanalyse (Kap. 4.1.3) enthalten sind, wird auf diese Faktoren nachfolgend spezifisch eingegangen.

Den Ausgangspunkt kontrolltheoretischer Ansätze bildete lange Jahre die Annahme eines grundlegenden Kontrollbedürfnisses, wonach jeder Mensch bestrebt ist, sich als Verursacher von Ereignissen und Veränderungen zu erleben (White, 1959). Diese Annahme wurde dahingehend relativiert, dass das Erleben von Kontrolle zur Steigerung des Selbstwertgefühls beiträgt und somit das Streben nach Kontrolle im Wesentlichen intrinsisch motiviert ist (Rodin, Rennert, & Solomon, 1980). Die Kontrolle entspricht somit einem menschlichen „Grundbedürfnis“ nach Durchschaubarkeit, Verstehbarkeit und Beherrschbarkeit von Ereignissen.

Generell wird die Kontrolle dafür genutzt, um:

„zwischen den Anforderungen der Umwelt eines Individuums und dessen persönlichen Fähigkeiten, Bedürfnissen oder Ressourcen eine Balance zu schaffen.“ (Aronsson, 1989)

Der Term der Kontrolle ist der Definition nach jedoch nicht zu vergleichen mit dem Term der Work-Life-Balance. Der Kontrollbegriff ist viel mehr der Steuerpunkt zwischen den Extrempunkten Work und Life, welcher versucht diese beiden Faktoren in einer Balance zu halten.

In der Definition des Psychologielexikons wird dies deutlich. Kontrolle wird:

„als in der Umwelt des Individuums liegende (prinzipielle) Beeinflußbarkeit belastender Bedingungen durch die Person verstanden. Unterschieden wird dabei zwischen objektiver Kontrolle, als Ausmaß tatsächlich vorhandener Beeinflußbarkeit der Situation und kognitiver Kontrolle, als Grad an wahrgenommener, antizipierter oder vermeintlicher Beeinflussung der (potentiell belastenden) Umgebungsbedingungen durch die Person.“ (Lexikon der Psychologie, 2000)

In Anlehnung an die vorangestellte Kontrolldefinition und ihren Differenzierungen zwischen einzelnen Kontrollrichtungen, werden folgende Kontrollgenres unterschieden (Ganster, 1989).

a) Die objektive Kontrolle ist als aktive Beeinflussungsmöglichkeit tatsächlich vorhanden und ebenso für außenstehende Personen wahrnehmbar.
b) Die subjektive Kontrolle umfasst die subjektive Überzeugung über gegenwärtige bzw. zukünftige Beeinflussungsmöglichkeiten zu verfügen, die einem Individuum ein hohes Kontrollvermögen erlaubt, ohne dass diese ausgeübt und von anderen wahrgenommen werden muss.
c) Von der illusionären Kontrolle spricht man dann, wenn das Erleben subjektiver Kontrolle das Ausmaß an tatsächlichen Einflussmöglichkeiten, an objektiver Kontrolle, übersteigt.
d) Unter partieller Kontrolle wird verstanden, nur in einigen Aspekten einer Situation Kontrolle ausüben zu können und dennoch zu einem positiven Kontrollerleben zu gelangen (Semmer, 1990).

Das Ausmaß mit welchem das Individuum Kontrolle über einen Stressor ausüben kann, hat Einfluss auf Variablen wie Wohlbefinden, Vorhersehbarkeit, Stress, Leistung oder Gefühle der Hilfslosigkeit. Glass und Singer kamen in ihrer Studie zum Ergebnis, dass das Ausüben der Kontrolle über einen Stressor, negative Folgen minimieren kann (Glass & Singer, 1972).

In Anlehnung an die erläuterten Kontrollgenres, werden im Folgenden fundamentale Modelle der Kontrolle erläutert, welche einen wesentlichen Einfluss auf die Forschung im Hinblick auf diese Domäne haben.

Die Theorie Julian Rotters 1966 entstand auf Basis seiner sozialen Lerntheorie und im Zusammenhang mit den behavioristischen Verstärkerplänen. Das Modell Rotters zur Kontrollüberzeugung ist fundamental für das Konstrukt der Kontrolle, da es beschreibt inwieweit das Individuum an die eigene Kontrollfähigkeit glaubt (Rotter, 1954). Rotter versucht durch seine Theorie vorherzusagen wie ein Individuum sich in bestimmten Situationen verhalten wird. Unter Kontrollüberzeugung versteht man die „subjektive Vorstellung darüber, ob man sein Verhalten in bestimmten Situationen selbst kontrollieren kann oder ob es durch äußere Einwirkungen bestimmt wird“ (Tewes & Wildgrube, 1992). Das gezeigte Verhalten eines Individuums, welches mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit in einer bestimmten Situation gezeigt wird, beschreibt dieser als Verhaltenspotential. Das Verhaltenspotential ist nach Rotter das Resultat der multiplikativen Verknüpfung von dem Verstärkungswert und der Erwartung. Den Verstärkungswert definiert Rotter als die individuelle Präferenz bezüglich der verfügbaren möglichen Verstärker. Die subjektive Erwartung erklärt Rotter als die individuelle Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens in einer bestimmten Situation, welche ein bestimmtes Maß der Verstärkung zur Folge hat (Rotter, Chance, & Phares, 1972). Diese basiert auf den selbst erlebten Erfahrungen in dieser oder ähnlichen Situationen. Im Wesentlichen bedeutet dies im Prozessverlauf der Situation, dass das Individuum in einer Situation jede mögliche Option des anschließenden Verlaufs der Geschehnisse einschätzt (Erwartung) und den anschließenden Verstärkungswert beurteilt. Das am wahrscheinlichsten ausgewählte Verhalten (Verhaltenspotential) ist das, welches den größten Verstärkungswert aufweist (Rotter, 1954). In neuen Situationen, welche das Individuum nicht anhand bereits erworbener Erfahrungen einschätzen konnte, verlässt sich die Person auf allgemeine Erwartungen der Situation. Diese entstehen indem das Individuum aufgrund bereits generell erworbener Erfahrungen zu folgenden möglichen Resultaten gelangt. Die erste Option ist, dass das eigene Verhalten des Individuums die Verstärkung kontrolliert (internalisierender Typus). Die zweite Option ist, dass die Verstärkung der Situation durch äußere Einflüsse kontrolliert wird (externalisierender Typus).

Der zweite Typus bedeutet, dass das Individuum der Überzeugung ist, dass es externen Kräften unterliegt, welche außerhalb des Individuums liegen und somit nicht im Einflussbereich des Individuums sind. Rotter definiert:

„When a reinforcement is perceived by the subject as following some action of his own but not being entirely contingent upon his action, then, in our culture, it is typically perceived as the result of luck, chance, fate, as under the control of powerful others, or as unpredictable because of the great complexity of the forces surrounding him. When the event is interpreted in this way by an individual, we labeled this a belief in external control. If the person perceives that the event is contingent upon his own behavior or his own relatively permanent characteristics, we have termed this a belief in internal control.“ (Rotter, 1966).

Ein Ansatz mit ähnelndem, jedoch weiter ausdifferenziertem Resultat, stammt aus der Motivations- respektive der Volitionspsychologie. Die Handlungskontrolltheorie von Kuhl beschreibt die Konstrukte der Handlungs- und der Lageorientierung. Diese Konstrukte sind das Ergebnis der Interaktion von situativen Bedingungen und persönlichen Dispositionen (Kuhl, 1996). Als Handlungsorientierung beschreibt Kuhl den Zustand der Mobilisierung von Handlungskontrollstrategien und der aktiven Initiierung beabsichtigter Handlungen. Mit der Lageorientierung formuliert Kuhl den beeinträchtigten Einsatz volitionaler Strategien und der Handlungsinitiierung. Die Lageorientierung teilt sich in folgende Subfacetten auf. Die prospektive Lageorientierung ist der Zustand, in welchem das Individuum Schwierigkeiten hat beabsichtige Handlungen tatsächlich auszuführen. In empirischen Studien konnte belegt werden, dass prospektiv lageorientierte Personen im Vergleich zu handlungsorientierten Personen weniger in die Tat umsetzen (Kuhl, 1982) und seltener von einer unattraktiven Tätigkeit auf eine attraktive Tätigkeit umsatteln, auch wenn ihnen dies freigestellt war (Kuhl & Beckmann, 1994). Weiterhin verpassen diese häufiger den Zeitpunkt, bei welchem diese eine bestimmte Tätigkeit initiieren sollten (Kuhl & Goschke, 1994). Außerdem konnte empirisch belegt werden, dass lageorientierte Personen bei Entscheidungen zu komplexeren Abwägungen neigten, weniger effiziente Handlungsalternativen ausschlossen und unsicherer in ihren Entscheidungen waren (Schöne, Dickhäuser, Spinath, & Stiensmeier-Pelster, 2003). Als misserfolgsbezogene Lageorientierung betitelt Kuhl den Zustand in welchem die Aufmerksamkeit auf negative emotionale Erlebnisse fokussiert ist und es dem Individuum schwer fällt den negativen Kreislauf loszulassen. Eine Disposition zur misserfolgsbezogenen Lageorientierung erhöht das Risiko in einen Zustand der erlernten (Brunstein, 1990) bzw. funktionalen Hilflosigkeit zu kommen (Kuhl, 1981).

Neben den erläuterten Zuständen des Individuums erläutert Kuhl ebenfalls Handlungskontrollstrategien (Umweltkontrolle, Aufmerksamkeitskontrolle, Enkodierkontrolle, Motivationskontrolle, Emotionskontrolle) welche bei inneren Widerständen, wie konkurrierenden Motivationstendenzen, genutzt werden können, um die Handlung trotz dieser Widerstände zu realisieren. Die sechste Dimension nach Evans & Cohen beschreibt die Vorhersehbarkeit bzw. das prospektive Denken, welches dem Zweck dient, Unsicherheit zu meiden und Kontrolle über die Lebensbedingungen zu erhalten. Der psychologische Nutzen der Prognose setzt sich aus den Faktoren der Verstehbarkeit, des Gefühls der Beeinflussbarkeit und der Sinnhaftigkeit die Gegenwart positiv zu beeinflussen, zusammen. Diese Faktoren beschreiben nach Antonovsky 1978 das Kohärenzgefühl. Antonovsky beschreibt das Kohärenzgefühl als eine der wichtigsten internen Widerstandsquellen, welche Menschen befähigen auch unter starker Belastung gesund zu bleiben (Badura, Ducki, Schröder, Klose, & Meyer, 2014). Die Studie von Glass und Singer bestätigt diese These ebenfalls (Glass & Singer, 1972). Sie zeigten, dass unvorhersehbarer Lärm größere Defizite bezüglich der Persistenz bei der Bearbeitung einer Aufgabe verursacht, als angekündigter oder vorhersehbarer Lärm. Evans konnte weiterhin aufzeigen, dass mit erhöhter Vorhersehbarkeit höhere psychologische als auch physiologische Stressmaße einhergehen (Evans, Richard, & Donald, 2002). Die Vorhersehbarkeit dient daher nicht nur der Gestaltung der Zukunft oder der Vermeidung von Unsicherheit, sondern ebenfalls der Stabilität der menschlichen Psyche. Die erwähnten Kontrolltheorien (Rotter, 1966) (Kuhl, 1982) unterstellen Individuen die Motivation, Ereignisse vorhersehen zu wollen, um Phänomene erklären und beeinflussen zu können. Durch dieses Erklären, Beeinflussen und Vorhersehen, von Ereignissen, können Individuen besser mit diesen umgehen. Ein Kontrollverlust entsteht, wenn Menschen Ereignisse nicht erklären, beeinflussen und vorhersehen können (Frey & Greif, 2004).

2.3 Die psychischen Auswirkungen des Pendelstresses

Im vorigen Abschnitt der Studienarbeit wurde der Forschungsstand der ausgewählten Faktoren, welche während des Pendelns auf das Individuum wirken, erläutert und durch Definitionen, sowie theoretische Modelle tiefergehend veranschaulicht. Stress, Kontrolle, Vorhersehbarkeit, sowie die Pendelcharakteristika und die demographischen Daten spielen eine bedeutende Rolle während des beruflichen Pendelns. Nachfolgend werden die Konstrukte der Lebensqualität, des Gesundheitszustandes, der Work-Life Balance sowie dem Commitment zur Organisation aufgeführt und mit den vorhergehenden Variablen in Beziehung gesetzt, um zu veranschaulichen wie sich das berufliche Pendeln auf diese auswirkt.

2.3.1 Die subjektive Lebensqualität

Das Konzept der Lebensqualität ist nach einer einzelnen Nennung bei Pigou zuerst im Jahre 1964 im Wahlkampf des späteren US-Präsidenten Lyndon B. Johnson aufgetaucht (Knecht, 2010). In den letzten Jahrzehnten ist zu erkennen, dass Lebensqualität verstärkt als ein Individuum bezogenes Konzept aufgefasst wird, (Fuhrer, 2000) statt sich auf größere Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel der Kongruenz von Lebensbedingungen zu konzentrieren (Zapf, 1984). So wird der „economic man“ von einem „psychological man“ abgelöst und die „postmaterialistische“ Wertorientierung zunehmend etabliert (Inglehard, 1995). 1981 wurde das Konstrukt der Lebensqualität als objektiver, sowie subjektiver Evaluationsparameter offiziell anerkannt (Najman & Levine, 1981). Die Definition Zapfs 1984 beschreibt:

dass „die Lebensqualität von Individuen und Gruppen bestimmt durch die Konstellation der einzelnen Lebensbedingungen und der Komponenten des subjektiven Wohlbefindens.“ ist (Zapf, 1984).

Unter Lebensbedingungen versteht Zapf die „tangiblen Lebensverhältnisse“, wie Einkommen, Wohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen, Familienbeziehungen, soziale Kontakte, Gesundheit. Unter subjektivem Wohlbefinden versteht Zapf die „von den Betroffenen selbst abgegebenen Einschätzungen über spezifische Lebensbedingungen und dem Leben allgemein.“ (Zapf, 1984) – also Konstrukte wie Zufriedenheit bzw. kognitive oder emotionale Aspekte wie Hoffnung, Glück oder Angst. Im Rahmen der Entwicklung des WHOQOL wurde 1991 eine Definition entwickelt, welche die subjektive Komponente Zapfs im Hinblick auf die Wertesysteme einer Kultur ergänzt:

„Lebensqualität ist die individuelle Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation im Kontext der jeweiligen Kultur und des jeweiligen Wertesystems und in Bezug auf die eigenen Ziele, Erwartungen, Beurteilungsmaßstäbe und Interessen“ (WHOQOL-Group, 1994)

Die sozialen Indikatoren, welche das Ausmaß von Lebensqualität beschreiben, lassen sich demnach in zwei Komponenten unterteilen. Objektive Indikatoren analysieren den Lebensstandard in verschiedenen Lebensbereichen, sowie deren Abweichungen von einem festgesetzten Standard (Noll, 1989). Emotionale, kognitive, soziale und psychische Aspekte des Lebens werden als gleichwertig zur objektiven Lebenssituation integriert (Zapf, 1984). Subjektive Lebensqualitätsindikatoren hingegen beziehen sich auf das subjektive Befinden des Individuums in seiner Umwelt (Noll, 1989) (Glatzer, 1984). Die amerikanische „quality of life“-Forschung betont die subjektive Perspektive und beschreibt:

„The quality of life must be in the eye oft he beholder“ (Campbell, 1972)

Es wird betont, dass das Individuum selbst der beste Experte seiner, anhand von subjektiven Indikatoren, eingeschätzten Lebensqualität ist.

Das Konstrukt der Lebensqualität lässt sich in vier Faktoren untergliedern:

- Krankheitsbedingte körperliche Beschwerden,
- die psychische Verfassung,
- erkrankungsbedingte funktionale Einschränkungen in alltäglichen Lebensbereichen,
- sowie der Ausgestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Interaktion (Patrick & Erickson, 1988).

Von Interesse ist im Zusammenhang der vorliegenden Studie die Subskala der psychischen Verfassung des WHQOQL. Die psychisch funktionale Einschränkung in Lebensbereichen, sowie die körperliche Verfassung wird mittels des SF-12 (Kap. 4.1.2) erhoben. Das Konzept der Lebensqualität lässt sich in zwei verschiedene Perspektiven unterteilen.

Der skandinavische „level of living-approach“ von Drenowski und Titmuss definiert die Lebensqualität über ein Ressourcenkonzept als „individuals command over, under given determinants mobilizable resources, with whose help he/she can control and consciously direct his/her living conditions.“ (Erikson, 1974)

Unter individuellen Ressourcen werden das Einkommen, Bildung, soziale Beziehungen und physische als auch psychische Energie verstanden, welche gezielt eingesetzt werden können, um die Lebensverhältnisse den individuellen Bedürfnissen anzupassen. Ressourcen, welche sich der individuellen Kontrolle entziehen wie die natürliche Umwelt, Gesundheit, die Infrastruktur sind die von außen gegebene Determinanten der Lebensqualität. Drenowski und Titmuss bezeichnen diese auch als „arenas of social action“, mit welchen Handlungskontexte dargelegt werden, die den Wert der individuellen Ressourcen mitbestimmen. Somit geht der „level of living-approach“ auf objektive, sowie subjektive Ressourcen des Individuums ein.

„The combination of ressources and determinants govern the individual’s conditions. These in turn, in combination with the individuals aspiration level, govern his wellbeeing“ (Erikson R. , 1974)

Das Resultat des Konzeptes ist die Operationalisierung des Konstruktes der Lebensqualität über objektive Indikatoren (siehe SF12, Kap. 4.1.3), welche sich ebenfalls in den Erhebungsinstrumenten niederschlagen wie dem Test des „level of living survey“ (Statistics Sweden, 1997).

Den Gegenpol des „level of living-approach“ erkennt man in der bereits erwähnten amerikanischen „quality of life“-Forschung, welche hingegen die subjektive Komponente (WHQOQL, Kap 4.1.1) als Maßstab im Rahmen der Lebensqualität betont (Campbell, 1972). Campbell zitiert:

„Our concern was with the experience of life rather than with the conditions of life“ (Campbell, Converse, & W.L., 1976).

2.3.2 Der funktionale Gesundheitszustand

Das Konstrukt der objektiven-, sowie der subjektiven Gesundheit definiert die World Health Organization:

„Health is a state of complete physical, mental and social wellbeing and not merely the absence of disease or infirmity“ (World Health Organization, 1946).

Dieses durch 62 Länder unterzeichnete Protokoll lässt erkennen, dass die Gesundheit sich in zwei Komponenten untergliedern lässt. Die zunächst objektive Sichtweise, wird um die subjektive Perspektive erweitert, sodass die Gesundheit als Konstrukt nicht nur als die Abwesenheit von Krankheit bezeichnet werden kann. Die Domäne wird stattdessen um die subjektiv physische, psychische und soziale Gesundheit erweitert. Denn nur das Individuum selbst ist das einzige Lebewesen, welches den eigenen Gesundheitszustand, objektiv sowie subjektiv, treffend beurteilen kann (Vang & Kristenson, 2000). Aufgrund der implementierten subjektiven Perspektive des Begriffes „Gesundheit“ ergänzte die WHO 1998:

„In diesem Sinne ist Gesundheit als wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Lebenskonzept, das die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten.“ (World Health Organization, 1998)

Somit ist die subjektive Gesundheit durch Selbstdiagnose, klar von der Diagnose der medizinischen Gesundheit abzugrenzen. Steinbach erläutert in Anlehnung an Hurrelmann die wichtigsten theoretischen Hauptströmungen zu der Begriffsdefinition von Gesundheit in Form von vier Thesen. (Hurrelmann, 2000)

Als erste These beschreibt Steinach die „Gesundheit als Bewältigung von Anforderungen“ (Steinbach, 2004). Die These untergliedert sich in das Bewältigen von inneren Anforderungen, wie dem Erbgut, welche in Wechselwirkung mit den äußeren Anforderungen, wie dem beruflichen Pendeln etc., stehen. Krankheit resultiert aus dem Fehlschlagen der Bewältigung der gegebenen Anforderungen.

Die zweite These beschreibt die „ Gesundheit als ein Stadium des Gleichgewichtes“. Die Heterostase der Gesundheit, also die entstehende Krankheit entspringt auf körperlicher, psychischer oder sozialer Ebene. Ursachen welche das Gleichgewicht beeinflussen können sind dementsprechend Faktoren wie Stress auf psychischer Ebene, ungesunde Ernährung auf körperlicher Ebene, oder aber Defizite auf sozialer Ebene.

Die dritte These Steinachs relativer Gesundheit kann als Ergänzung zur zweiten These verstanden werden, denn Steinach beschreibt eine Differenzierung der körperlichen, psychischen und sozialen Faktoren in subjektive, oder objektive Kategorien. In diesen einzelnen Komponenten kann die Einschätzung der Gesundheit in unterschiedlicher Intensität vorliegen.

Zuletzt beschreibt Steinach die „Gesundheit als Reaktion auf gesellschaftliche Gegebenheiten“ und betont damit die kulturelle Perspektive, also Gesundheit in Beziehung zur Gesellschaftsstruktur, den Lebensbedingungen und den gegebenen Perspektiven.

Bisherige Studien belegen eine Korrelation zwischen dem sozioökonomischen Status und der subjektiven Gesundheit ebenso wie zwischen dem Alter und der subjektiven Gesundheit (Office for Official Publications of the European Communities, 2003). Mit zunehmenden Alter wird die subjektive Gesundheit zunehmend negativer eingeschätzt. Eine andere Erklärung könnte sein, dass sich Menschen generell entsprechend ihrer subjektiven Gesundheit verhalten und dies wiederum dem Zweck dient, dass die subjektive Gesundheit als sich selbst erfüllende Prophezeiung wirkt (Bjorner, et al., 1996). Diese Belege unterstützen die Hypothese, dass die Domäne der subjektiven Gesundheit sehr von den Erwartungen des Einzelnen, der Gesellschaftsstruktur, sowie mit der Kultur an sich zusammenhängt (Blaxter 2004).

Der WHQOQL beschreibt die subjektive Form der psychischen Lebensqualität, also der psychischen Gesundheit (Kap. 4.1.1) Der SF-12 (Kap.4.1.2) analysiert die vorhergehend beschriebene Gesundheit auf funktionaler Ebene in Form der psychischen als auch der körperlichen Summenskala. Dies wird in diesem Abschnitt betont, um Missverständnisse auf der nachfolgenden Skalenebene von vornherein ausschließen zu können.

2.3.3 Die Work-Life Balance

Die Thematik der Work-Life Balance wird in Deutschland seit den 1990er Jahren diskutiert. Nach Bauer-Emmel beschreibt der Begriff der Work-Life Balance einen dynamischen und längerfristigen Prozess, bei welchem die subjektiv bedeutsamen Lebensbereiche, Rollen und Ziele in Bezug auf ihre Vereinbarkeit bewertet werden (Bauer-Emmel, 2007).

„Work-Life-Balance bedeutet eine neue, intelligente Verzahnung von Arbeits- und Privatleben vor dem Hintergrund einer veränderten und sich dynamisch verändernden Arbeits- und Lebenswelt.“ (Collatz & Gudat, 2011)

In dieser Hinsicht beschäftigt sich die Work-Life Balance mit der Frage der Zeiteinteilung zwischen dem Berufs- und dem Privatleben. Der Konflikt ergibt sich aus der begrenzten Kapazität von Zeit und Energie. Werden zu viele dieser Kapazitäten in einen Bereich investiert, stehen diese für den anderen Bereich nicht mehr zu Verfügung, wodurch die Homöostase zwischen Arbeits- und Privatleben gestört wird (Jacobshagen, Amstad, Semmer, & Kuster, 2005). Die Boundary-Theory fokussiert die Thematik der Grenzziehung zwischen dem Arbeits- und dem Privatleben. Diese durch das Individuum gezogene Abgrenzung kann auf einem Kontinuum von der Segmentierung, bis hin zur „Integration“, variieren.

Der Extrempol des Kontinuums der Integration beschreibt die Abgrenzung als durchlässig und offen für das Implementieren anderer Domänen, sodass keine Unterscheidung bzw. Abgrenzungen mehr getroffen werden kann. Die Segmentation hingegen beschreibt den gegensätzlichen Extrempol und damit die nicht durchlässige Grenzziehung der Domänen der Arbeit und des Privatlebens (Nippert-Eng, 1996). Diese einmal gezogene Grenze, welche mit persönlichen Präferenzen des Individuums korrelliert, ist über einen bestimmten Zeitraum konstant, kann jedoch über die Zeit hinweg variieren. Vor dem systemischen Hintergrund wirkt sich die Umwelt ebenfalls auf das Individuum aus, da diese in Wechselwirkung stehen, sodass das Individuum sich an neue Umweltbedingungen anpassen muss und somit die persönlichen Präferenzen, sowie das Festlegen der Work-Life-Grenze auf dem Grenzkontinuum, den Umweltbedingungen entsprechend antizipiert, sowie adaptiert (Ammons & Markham, 2004) um die Homöostase zwischen den Bereichen des Arbeits- und des Privatlebens erreichen und beibehalten zu können. Kreiner et. al (2009) entwickelten ein Modell welches dieses Abgrenzungs- bzw. Integrationsprocedere beschreibt. Die Konklusion hinsichtlich des Abgrenzungs- respektive seines Integrationsbedürfnisses, bestätigt Nippert-Engs These. Denn Kreiner beschreibt ebenfalls, die Synthese der Bedürfnisse der Umwelt mit den eigenen Bedürfnissen. Je stärker sich diese Umweltbedürfnisse während der Synthese von den eigenen Bedürfnissen unterscheiden, desto größer ist die Grenzinkongruenz zwischen der persönlichen Ebene und der jeweiligen Anspruchsgruppe. Diese Inkongruenz der gesetzten Grenzen führt zu den sogenannten Work-Family-Conflicts und somit zur Heterostase der Work-Life Balance in eine für das Individuum negative Richtung. Mittels Boundary-Work-Tactics können diese Grenzsetzungen jedoch aufgehoben werden und eine ideale Passung und somit Grenzkongruenz hergestellt werden (Kreiner, Hollensbe, & Sheep, 2009).

2.3.4 Das Commitment

Der Faktor des Commitment wird seit mehr als 30 Jahren beforscht (Mowday, Porter, & Steers, 1982) und beschreibt eine Identifikation, Zugehörigkeit sowie Verbundenheit des Mitarbeiters mit dem jeweiligen Unternehmen eines Individuums und somit die ganzheitliche Bindung des Individuums an die Organisation (van Dick, 2004). Mathieu und Zajac definieren Commitment 1990 als das psychologische Band zwischen Mitarbeitern und der Organisation als:

„a bond or linking of the individual to the Organisation.“ (van Dick, Wagner, Stellmacher, & Christ, 2004)

Häufig wird in der heutigen Literatur der Term der „organisationalen Identifikation“ genutzt.

Die Identifikation mit dem Unternehmen ist die Grundlage für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich auf die Arbeit beziehen. Ist diese Identifikation mit dem Unternehmen hoch ausgeprägt, wird das Individuum in ihrem Denken und Handeln die Perspektive der Organisation einnehmen (Dutton, Dukerich, & Harquail, 1994). Es lassen sich drei Formen des Commitment abzeichnen.

Die erste Form des affektiven Commitment beschreibt eine starke Identifikation mit den Werten und Zielen der Organisation, der Bereitschaft, sich besonders einzusetzen, sowie geringer Fluktuationsabsicht (Porter, 1974). Die stärksten Korrelationen zeigt dieses Konstrukt für Antezedenzfaktoren und Konsequenzen. (Felfe & Six, 2006).

Die zweite, kalkulative Form des Commitment kann als eine Kosten-Nutzen-Rechnung des Individuums definiert werden. Der Ansatz besagt, dass das Commitment als Resultat aus dem Kalkulieren bisheriger Investitionen, zukünftiger Kosten und den verfügbaren Alternativen entsteht. Diese Form des Commitment muss von den anderen zwei Dimensionen abgegrenzt werden, da diese auf rationalem Kalkül beruht und mit positiven Konsequenzen gering bzw. negativ korrelliert (Felfe & Six, 2006).

Die dritte, normative Form des Commitment beschreiben Hrebiniak und Alutto (1973):

„..as the unwillingness to leave the organization for increments in pay, status or professional freedom or for greater collegial friendship.“ (Hrebiniak & Alutto, 1972)

Diese Dimension betont die Bedeutung moralischer Wertvorstellung für die Stärke und Aufrechterhaltung der Bindung an das Unternehmen. Loyalität, Opferbereitschaft, Verzicht auf Kritik und Treue entstehen, da entsprechende Normvorstellungen integriert wurden. Das normative Commitment weist ähnliche Korrelationen auf, wie das affektive Commitment, jedoch deutlich niedriger ausgeprägt.

Allen und Meyer vereinigen diese drei Perspektiven des Commitment in ihrem drei-Komponenten-Modell (1990) und beschreiben die organisationale Bindung als Konstrukt mit den drei genannten Subfacetten (Allen & Meyer, 1996). Diese drei Formen des Commitment können simultan und in unterschiedlicher Intensität vorliegen.

Eine hohe Ausprägung des Commitment führt zu Chancen der Selbstaufwertung, Zufriedenheit durch Befriedigung sozialer Bedürfnisse und dient als Ressource zur Stressabwehr. Risiken welche ein hohes Commitment zur Folge haben kann, ist die individuelle Überlastung, Rollenkonflikte, blinder Gehorsam, sowie Konformität des Individuums. (Franke & and Felfe, 2012).

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Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Macht Pendeln krank? Wie sich berufliche Mobilität auf die Psyche auswirkt
Autor
Jahr
2020
Seiten
83
Katalognummer
V516077
ISBN (eBook)
9783964871855
ISBN (Buch)
9783964871862
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Berufspendeln, Gesundheit, Mobilität, Commitment, Lebensqualität, Work-Life Balance, Stress
Arbeit zitieren
Philipp Lange (Autor:in), 2020, Macht Pendeln krank? Wie sich berufliche Mobilität auf die Psyche auswirkt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/516077

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