Gegenstandsbereich einer Erziehungspsychologie


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

29 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Warum ist der Mensch auf Erziehung angewiesen?
2.1 Was ist Erziehung?
2.2 Erziehung – eine Begriffsdefinition
2.3 Ein Strukturmodell von Erziehung

3. Aufgaben einer Erziehungspsychologie
3.1 Erziehungspsychologische Konzepte von Veränderung
3.2 Lernen
3.3 Entwicklung
3.4. Anknüpfende Worte zur ersten Darstellung
3.5. Sozialisation in der Erziehungspsychologie
3.6. Enkulturation und Akkulturation als Formen der Kultur
3.7. Kultivation

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis
5.1 Internetadressen

1. Einleitung

„We don’t need no education

We don’t need no thought-control

No dark sarcasm in the classroom

Teacher leave them kids alone!“

(Pink Floyd 1971)

Was möchte die Rockband Pink Floyd um den Sänger Waters mit ihrem Lied “Another Brick In The Wall” ausdrücken? Was ist ihre Überzeugung in Bezug auf Erziehung?

Die Lyrics des Liedes verdeutlichen, dass Pink Floyd recht negativ gegenüber Erziehung eingestellt ist. Der Sänger spricht sich deutlich gegen Erziehung aus, setzt dies sogar mit Gedankenkontrolle und mit schwarzem Sarkasmus in den Klassenräumen einer Schule gleich.

Die Bandmitglieder der Gruppe Pink Floyd erwecken den Eindruck, dass sie das Prinzip der „Antiautoritären Erziehung“ favorisieren, d.h. Erziehen also als ein Leiten und positives Vorleben, ohne autoritäre Kontrolle des Zöglings durch den Erzieher.

Es kann aber auch sein, dass sich Pink Floyd der Richtung der Antierziehung anschließt. Die 68er-Generation, die aus der Auseinandersetzung mit der Nazizeit und dem Protest gegen den Vietnamkrieg entstandene Protestbewegung, führte nämlich während ihres Wirkens zu den Konzepten der antiautoritären Erziehung und zur Antipädagogik.

„Antipädagogik versteht sich als Gegentheorie zur Pädagogik und Erziehung. Sie widerspricht der prinzipiellen pädagogischen Rollenverteilung von einem (oben stehenden) Erzieher - dem Erwachsenen - und einem (unten stehenden) Zögling - dem Kind. Dagegen proklamiert sie die Gleichberechtigung zwischen Kindern und Erwachsenen.“[1]

Bekannt wurde der Begriff der Antipädagogik vor allem durch das erschienene Buch Antipädagogik von Ekkehard von Braunmühl. Dadurch wurden diese Thesen in die öffentliche Diskussion gebracht.[2]

Nichtsdestotrotz hat ein Lehrer aber auch heute noch nicht nur einen Bildungs-, sondern auch einen Erziehungsauftrag. Sollte er diesen einfach vernachlässigen oder gar nicht wahrnehmen?

Wenn man in der pädagogischen Wissenschaft von Anti- und antiautoritärer Erziehung spricht, muss es auch noch andere Erziehungsstile geben.

Nun stellt sich die Frage, was Erziehung eigentlich ist? Wie lässt sich dieser abstrakte Begriff definieren? Und was hat der aus der Erziehungswissenschaft stammende Begriff mit der Nachbarwissenschaft Psychologie zu tun?

Diese Fragen sollen in dieser Arbeit untersucht und behandelt werden und zwar hauptsächlich auf der Grundlage des 2005 erschienenen fachwissenschaftlichen Buch „Lehrbuch Erziehungspsychologie“ von Urs Fuhrer.

2. Warum ist der Mensch auf Erziehung angewiesen?

Wie sieht die Psychologie das kniffelige Problem mit der Erziehung?

Der Mensch ist im Vergleich zum Tier lediglich ein Mängelwesen. Ihm fehlt die tierische Instinktausstattung, so Arnold Gehlen bereits 1971. Portmann spricht sogar von einer physiologischen Frühgeburt des Menschen, die es notwendig macht, in der nachgeburtlichen Entwicklung jene Fähigkeiten zu erwerben, über die Tiere zumeist schon mit der Geburt verfügen.[3]

Dennoch ist der Mensch aber so anpassungsfähig wie kein anderes Lebewesen auf der Welt. Er überlebt beispielsweise in der Sahara bei über 50° im Schatten, aber auch am Nordpol bei ungefähr –50° im Eis.

Statt instinktgeleitet, dieser würde dem Menschen nämlich raten, in angenehmeren Gefilden zu siedeln, lebt der Mensch handelnd in der Welt. Er schafft sich als zweite Natur eine künstlich bearbeitete und für ihn passend gemachte Ersatzwelt: die Kultur.[4]

„Als Natur- und Geisteswesen ist der Mensch niemals nur das, was die Natur oder die Umwelt aus ihm machen, sondern auch und in erster Linie das, was er aus sich selber macht.“[5]

Der Mensch verfügt über eine ausgesprochen hohe Lernfähigkeit, welche ihm ermöglicht, auch unter den angesprochenen Umweltbedingungen zu leben, nämlich in der Wüste oder im Eis.

Hieraus ergibt sich für die Wissenschaft das Ergebnis, dass der Mensch umweltungebunden, weltoffen und entscheidungsfrei ist:

„Aus dieser Erziehungsbedürftigkeit des Menschen folgt die Notwendigkeit der Erziehung als Praxis.“[6]

Wir wissen zwar jetzt, dass es so etwas wie eine Erziehungsbedürftigkeit des Menschen gibt, aber dies führt uns direkt zur nächsten Frage: Was ist denn eigentlich Erziehung?

2.1 Was ist Erziehung?

Ist Erziehung vielleicht, seinen Zögling zu verprügeln, wenn er etwas falsch gemacht hat? Oder hochnäsig und arrogant zu sein wie Meister Lämpel von Max und Moritz? Ist Erziehung vielleicht das bereits erwähnte Prinzip von Pink Floyd and ihrem Sänger Waters?

Die berühmte Pädagogin Maria Montessori drückte ihr Verständnis von Erziehung einmal so aus:

„Wir müssen zu dieser Entwicklung, zu dieser wunderbaren Kraft die notwendige Hilfe geben. Sie verlangt Herzenswärme, sie verlangt verstehen. Lasst uns diese Hilfe Erziehung nennen.“[7]

Montessori beschreibt den abstrakten Begriff Erziehung mit Attributen wie Herzenswärme und Hilfe.

„Hilf mir, es selbst zu tun!“[8] ist das Grundkonzept ihrer Erziehung und orientiert sich dabei pädagogisch und didaktisch an den Bedürfnissen des Kindes, welches bei ihr im Mittelpunkt des Interesses steht. Bei ihr ist der Weg zur Selbstständigkeit des Kindes das Primäre, das Ziel nur das Sekundäre.

Man kann in der heutigen Pädagogik nach Fuhrer zwei wesentliche Strömungen in der Erziehung unterscheiden:

1. „Erziehung als ein herstellendes, kultürliches machen, analog einer handwerklichen Produktion eines Gegenstandes“ (Naturalismus)
2. „das Kind entwickelt sich auf eine mehr oder weniger natürlichen Art, analog dem organischen Wachstum, wie eine Pflanze“ (Technizismus)[9]

Die neuere Forschung ist sich allerdings auch darüber einig, dass Erziehung als reines Wachsenlassen, also Naturalismus, sich selber aufhebt. Erziehung als pures Führen, also der Technizismus, keine Mündigkeit des Zöglings schafft und autoritär oder gar totalitär wird.

Dieses Phänomen der Pädagogik, wenn man hierbei überhaupt von Pädagogik sprechen darf, hatten wir in Deutschland schon einmal in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Der Führer Adolf Hitler forderte damals:

„Wir wollen ein hartes Geschlecht heranziehen, das stark ist, zuverlässig, treu, gehorsam und anständig, sodass wir uns unseres Volkes vor der Geschichte nicht mehr zu schämen brauchen.“[10]

Über seine Erziehungsziele ließ er verlauten:

„Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird [...].“[11]

Dies ist definitiv das Konzept „Führen“ und hat mit Erziehung oder Pädagogik, obwohl Hitler dieses Wort selber verwendet, nichts mehr zu tun, sondern mehr mit einem „Dressieren von Meerschweinchen“. Was daraus geworden ist, wissen wir alle.

Eine wesentliche Ursache für den mangelnden Konsens im Verständnis um den Erziehungsbegriff ist, laut dem Psychologen Urs Fuhrer, üblicherweise in dem Gegensatz zwischen normativer und empirischer Erziehungswissenschaft zu sehen:

Normative Erziehungswissenschaft ist die Reflexion über die Erziehbarkeit und Erziehungsbedürftigkeit sowie über die Ziele und Rechtfertigung erzieherischer Intervention. Empirische Erziehungswissenschaft hingegen orientiert sich an der Erziehungswirklichkeit und versucht die Erziehungsprozesse zwischen den beteiligten Personen zu analysieren.[12]

2.2 Erziehung – eine Begriffsdefinition

In der Forschung wird die Diskussion um den Begriff Erziehung sehr kontrovers geführt. Ich stütze mich daher auf folgende zwei Definitionen:

„Erziehung sind soziale Interaktionen, bei denen Menschen versuchen, das Verhalten, Verhaltensdispositionen und Persönlichkeitsmerkmale anderer Menschen zielgerichtet zu verändern. Die Ziele der Veränderungs- oder Stabilisierungsprozesse ergeben sich aus den Werten und Normen, die der Erzieher und/ oder die Gruppe, in der er oder für die er tätig ist, für besonders bedeutsam halten.“[13]

„Erziehung besteht in sozialen Handlungen zw. Personen, in der Absicht, bestimmte Erziehungsziele zu erreichen. Der Begriff bezeichnet speziell solche menschlichen Handlungen, die psychische Dispositionen und psychische Entwicklung anderer Menschen dauerhaft fördern.“[14]

In diesen aufgegriffenen Begriffsdefinitionen springen dem Leser fünf wesentliche Merkmale von Erziehung direkt ins Auge:

1. Erziehende sind Menschen
2. die versuchen, dass der Lernende seine psychischen Dispositionen weiterentwickeln kann
3. Erziehung setzt ein zielgerichtetes und zweckmäßiges Verhalten voraus
4. nicht flüchtiges Erleben und Verhalten sind damit gemeint, sondern eine relativ dauerhafte Bereitschaft von Erleben und Verhalten
5. dem Soll-Zustand wird vom Erzieher Wert zugeschrieben. Jede Generation nimmt bei Erziehung die in der Generation entwickelten und überlieferten Ziele, Normen und Werte auf[15]

Mit Zielen sind nach Fuhrer konkrete Zwecke und mit Normen, die hinter den Zielen liegenden Überzeugungen gemeint. Werte liegen wiederum den Normen zugrunde

Dies wollen wir an einem Beispiel verdeutlichen:

So streben Eltern danach, dass ihr Kind eine hohe Bildung erreicht, also z.B. das Abitur macht, um danach an einer Universität studieren zu können. Dort bringt man zehn Semester seines Lebens mit teilweise uninteressanten Lern- und Studieninhalten zu, die man in unserem Fall als zukünftige Lehrer noch nicht einmal gebrauchen kann (Ziel). All diese Strapazen und die Zeitverschwendung nur, damit das Kind später einmal einen zukunftsreichen Beruf ergreifen kann. In unserem Fall ist es der Lehrerberuf, der allerdings durch die derzeitige Bildungspolitik der Landesregierungen immer mehr an Prestige verliert, von dem was vorher überhaupt noch davon vorhanden war. Man spricht öffentlich über das schlechte deutsche Bildungssystem an dem offenbar nur die Lehrer Schuld sind. Man sucht nach passenden Reformen, die auch noch sehr hohe Kosten verursachen, um sie nach kurzer Zeit wieder zu verwerfen, ohne sich einmal an eine Reform der schlechten Lehrerausbildung heranzuwagen (Norm). Denn viel Geld zu verdienen und dabei noch zufrieden zu sein, ist für die Eltern das Wichtigste im Leben (Wert). Darüber würde sich selbstverständlich auch streiten lassen, vor allem in Zeiten der „Kapitalismuskritik“.

Interessanterweise haben wir bisher nur von intentionaler Erziehung gesprochen. Erziehung kann aber auch funktional erfolgen, z.B. durch Beobachtungslernen. Diese unbeabsichtigte, funktionale Erziehung wird im Gegensatz zu der wissenschaftlichen Pädagogik, die sich nur mit der intentionalen Erziehung beschäftigt, auch von der Erziehungspsychologie betrachtet.[16]

Ein weiteres Phänomen, welches von der modernen Forschung revolutioniert wurde, ist das traditionelle Standardmodell, in dem nur Eltern ihre Kinder erziehen, und nicht umgekehrt.

Es wurde immer angenommen, dass Erzieher sich kompetent geben und Kinder bedürftig erscheinen.

[...]


[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Antip%C3%A4dagogik

[2] Vgl., http://de.wikipedia.org/wiki/Antip%C3%A4dagogik

[3] Vgl. Urs Fuhrer: Lehrbuch Erziehungspsychologie, Bern u.a. 2005, S. 29ff.

[4] Kultur = Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Errungenschaften eines Volkes. Vgl. Urs Fuhrer: Lehrbuch Erziehungspsychologie, Bern u.a. 2005, S. 30

[5] Winfried Böhm: Wörterbuch der Pädagogik, 14. überarb. Aufl., Stuttgart 1994, S. 196

[6] Urs Fuhrer: Lehrbuch Erziehungspsychologie, Bern u.a. 2005, S. 30

[7] H. Elsner: Die Montessori-Pädagogik in der Schule von heute, in: Achim Hellmich/ Peter Teigeler (Hrsg.), Montessori, Freinet-, Waldorfpädagogik. Konzeption und aktuelle Praxis, 2. Aufl., Weinheim/ Basel 1994, S. 77

[8] H. Elsner: Die Montessori-Pädagogik in der Schule von heute, in: Achim Hellmich/ Peter Teigeler (Hrsg.), Montessori, Freinet-, Waldorfpädagogik. Konzeption und aktuelle Praxis, 2. Aufl., Weinheim/ Basel 1994, S. 77

[9] Urs Fuhrer: Lehrbuch Erziehungspsychologie, Bern u.a. 2005, S. 31

[10] M. Krüger: Leibesübungen im 20. Jahrhundert: Sport für alle; Schorndorf 1993, S. 137

[11] Michael Krüger: Leibesübungen im 20. Jahrhundert: Sport für alle; Schorndorf 1993, S. 137

[12] Vgl. Urs Fuhrer: Lehrbuch Erziehungspsychologie, Bern u.a. 2005, S. 31

[13] Reinhard Brunner/ Wolfgang Zeltner: Lexikon zur Pädagogischen Psychologie und Schulpädagogik, München/ Basel 1980, S. 67

[14] Urs Fuhrer: Lehrbuch Erziehungspsychologie, Bern u.a. 2005, S. 32

[15] Vgl. Urs Fuhrer: Lehrbuch Erziehungspsychologie, Bern u.a. 2005, S. 32

[16] Vgl. Nickel, Horst: Erziehungspsychologie, in: Lexikon der Psychologie auf CD-Rom, Heidelberg, Spektrum-Akademischer Verlag GmbH, 2002

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Gegenstandsbereich einer Erziehungspsychologie
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg  (Institut für Psychologie)
Veranstaltung
Erziehungspsychologie: Psychologische Beratung, Intervention und Prävention
Note
2+
Autoren
Jahr
2005
Seiten
29
Katalognummer
V51449
ISBN (eBook)
9783638474207
ISBN (Buch)
9783638731843
Dateigröße
1031 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit behandelt Fragen im Bereich der Erziehung, dem Lernen, der Entwicklung von Heranwachsenden, zu sozialer Psycholgie und Kultur in Form eines Überblickscharakters.
Schlagworte
Gegenstandsbereich, Erziehungspsychologie, Psychologische, Beratung, Intervention, Prävention
Arbeit zitieren
Oliver Zachert (Autor:in)Johannes Fromm (Autor:in), 2005, Gegenstandsbereich einer Erziehungspsychologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51449

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