Rechtsextremismus im ländlichen Sozialraum


Seminararbeit, 2019

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Rechtsextremismus – eine Begriffsannäherung

3. Die ländlichen Räume
3.1. Sozialraum Dorf
3.2 Strukturmerkmale des ländlichen Sozialraums

4. Schnittstellen zwischen Rechtsextremismus und der ländlichen Sozialräume
4.1 Rechtspopulistische Wahlerfolge in ländlichen Räumen
4.2 Was macht ländliche Räume besonders anfällig?
4.3 Mein Nachbar „der Nazi“ (und die rechtsextremen Strategien)

5. Raumgewinne
5.1 Raumgewinne im ländlichen Raum – oder schon verlorene Landstriche

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Bei der Fahrt in meine Heimatstadt Greiz durchquere ich sämtliche Dörfer. Was die Autofahrt sonst so idyllisch macht - die grünen Wiesen, die alten Bauernhöfe und die einladenden Dorfplätze – kann neben der zahlreichen rechten Wahlwerbung kaum Beachtung finden. Es könnte fast von einer Tapezierung gesprochen werden. Nahezu an jeder Laterne können Plakate mit der Aufschrift „AFD“, „der dritte Weg“ oder „NPD“ wahrgenommen werden.

Kaum in der Stadt angekommen wird die Dichte der rechten Werbung weniger oder löst sich gar auf. Bei mir stellte sich aus diesem Grund die Frage, warum der ländliche Sozialraum besonders für rechtsextreme Strategien geeignet ist und aus welchen Gründen es für die Bürger*innen im Dorf kein Problem zu sein scheint.

Bei einer Recherche zu Rechtsextremismus kann auf keine einheitliche Definition gestoßen werden. Vielmehr wird von einer heterogenen Zusammensetzung aus verschiedenen Sichtweisen und Einstellungen gesprochen. Nicht nur Nationalsozialismus, Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz sind Bestandteile einer rechtsextremen Einstellung, sondern viele weitere lassen sich zuordnen. Eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte „Mitte“-Studie von 2019 hat ergeben, dass 2,4 Prozent der deutschen Bevölkerung eine ausgeprägte rechtsextreme Einstellung vertreten. 13 Prozent stehen hinter einem übersteigerten Nationalgefühl (Chauvinismus) und rund neun Prozent ist ausländerfeindlich eingestellt. Der Verfassungsbericht von 2018 gab an, dass es in Deutschland 24.100 Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten gibt, wobei über die Hälfte als gewaltorientiert eingestuft werden (vgl. Decker et al. 2018, S. 110).

Das Rechtsextremismus für Deutschland also erneut zum Problem wird, ist demnach kein Geheimnis mehr. Besonders beängstigend sind aber die Erfolge der rechtsextremen Parteien in Dörfern, die dazu beitragen, dass die Lebenswelten der Bewohner*innen der ländlichen Strukturen zunehmend rechtsextrem geprägt werden (Klose, Benzing 2008, S. 209).

Um Gründe zu finden, weshalb sich Dörfer für Rechtsextreme und deren Propaganda so anbieten wird in der vorliegenden Seminararbeit das Konzept der Sozialraumorientierung verwendet. Um die Verwendung dieser Vorgehensweise zu begründen, wird in den nächsten Sätzen eine theoretische Auseinandersetzung folgen. Dies geschieht nur oberflächlich in der Einleitung, soll aber die Grundlage für eine tiefgründige Auseinandersetzung in der folgenden Arbeit sein.

Das Konzept der Sozialraumorientierung befasst sich in erster Linie mit den sozialräumlichen und sozialstrukturellen Gegebenheiten und Ressourcen eines eingegrenzten Bereichs und in dem Bezug die Teilhabemöglichkeit eines Menschen (Bund der Deutschen Landjugend 2009, S. 13).

In dieser Arbeit wird aber kein einzelnes Dorf beleuchtet, sondern die allgemeinen sozialräumlichen Grundlagen der ländlichen Gegend. Im zweiten Teil dieser Seminararbeit wird darauf weiterführend eingegangen.

Bevor der ländliche Sozialraum erläutert wird, ist ein Definitionsversuch von Rechtsextremismus erforderlich, um ein einheitliches Verständnis zu gewährleisten. Rechtsextreme können unverändert an die oftmals unterschätzten oder verharmlosten rechtsextremen Einstellungen der Normalbevölkerung anknüpfen, was scheinbar in ländlichen Gegenden besonders gut funktioniert. Deswegen wird der Hauptteil dieser Arbeit die Schnittstellen von Rechtsextremismus und Dorf beleuchten, um den Grund für die rechtsradikale Ausprägung in Dörfern zu finden.

Mit Hilfe der Raumgewinnungsstrategien wird außerdem eine Antwortmöglichkeit auf die Frage, wieso rechtsextreme Strategien in ländlichen Regionen besonders gut anknüpfen können, gefunden. Wie genau sich die rechtsextremformierten Räume bilden wird im letzten Teil der Arbeit beschrieben.

Zusammenfassend wird ein Fazit zur Thematik und Antworten auf die gestellten Fragen formuliert.

2. Rechtsextremismus – eine Begriffsannäherung

Diese Seminararbeit soll nicht dazu dienen, das Thema Rechtsextremismus von allen Seiten seiner Vielfalt zu definieren. Das würde nicht nur den Rahmen sprengen, sondern auch das eigentliche Thema – die Verbreitung im ländlichen Sozialraum – verdrängen. Dennoch erscheint es mir als Grundlage für diese Arbeit wichtig, einige prinzipielle Ausgangsdaten des Rechtsextremismus anzubringen.

Backes und Jesse haben den klassischen Extremismusbegriff bedeutend geprägt, besonders was die Betrachtung aus der staatstheoretischen Sicht betrifft. Für diese Arbeit ist dieser Ansatz allerdings weniger geeignet, da die Problematiken bezüglich der gesellschaftlichen Dimension kaum Beachtung finden und das die Grundlage wäre, wieso die Menschen in ländlichen Räumen eher mit Rechtsextremismus umgehen können. Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, Heitmeyers Ansatz zum Rechtsextremismus zu verwenden.

Heitmeyer geht davon aus, dass sich Rechtsextremismus aus zwei wesentlichen Elementen zusammensetzt. Zum einen ist die Ideologie der Ungleichwertigkeit zu nennen, zum anderen die grundsätzliche Akzeptanz von Gewalthandlungen. Die Ideologie der Ungleichwertigkeit basiert in der Regel auf rassistischen, nationalistischen und/oder antisemitistischen Einstellungen. Ziel ist es dabei, dass Menschen oder Menschengruppen soziale, psychische oder physische Abwertung, Diskriminierung oder Ausgrenzung erfahren. Der Bezug zum historischen Nationalismus muss in diesem Fall nicht immer bestehen. Rechtsextremismus wird heute aus diesem Grund besonders als eine Reaktion auf gesellschaftliche Konfliktpunkte verstanden (vgl. Heitmeyer 2014, S. 131).

Aus den zahlreichen Definitionsversuchen von Rechtsextremismus kann geschlossen werden, dass es kein einheitliches Gebilde darstellt. Es handelt sich eher um ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Akteur*innen mit gewissen Verhaltensweisen, Handlungsmustern und Strategien. Dabei bilden Rassismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und/oder die Abwertung von sozialen Minderheiten nicht gleich ein rechtsextremes Weltbild. Diese Haltungen tragen zwar zum Rechtsextremismus bei, werden aber erst durch die Entwertung von Bevölkerungsgruppen und dem Wunsch nach einem einheitlichen autoritären Staat, sowie der Anwendung von Gewalt, um Ziele zu erreichen, zum Weltbild (vgl. Deutsche Landjugend 2017, S. 18).

In der Gesellschaft werden nicht selten Begriffe wie „rechts“ oder „extrem rechts“ verwendet, welche allerdings unpräzise sind und besonders in Bezug auf diese Arbeit erklärt werden müssen, da sie in dieser Verwendung finden.

Mit „Rechts“ sind alle Verhaltensweisen gemeint, die sich gegen die sozialen und politischen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft richten. Bei rechtsextremen Einstellungen sind Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und ein autoritär-konservatives Bild der Gesellschaft zuteilbar. Zusätzlich bestimmt die Ablehnung einer demokratischen Regierung grundlegend die rechtsextreme Denk- und Verhaltensweise.

Auch Rechtspopulismus hört man in diesem Zusammenhang nicht selten. Bei dem Versuch einer Definition bietet sich der Ansatz von Fülberth an. Rechtspopulismus liegt nach seinen Worten immer dann vor, wenn schwächere Menschen oder Menschengruppen durch autoritäre Verhaltensweisen mit Massencharakter ausgegrenzt werden. Die Ausgrenzung wird damit begründet, dass die ausgeschlossenen Menschen nicht zum „richtigen, wertvollen“ Volk oder eher zur Volksgemeinschaft gehören. Die Anhänger des Rechtspopulismus sehen sich als dieses Volk.

Bereits 1994 hat Jaschke zu dem - für diese Arbeit relevanten - Begriff „Rechtsextremismus“ drei Dimensionen erarbeitet, die zu einem Definitionsversuch beitragen. Er nennt diese Dimensionen: Einstellungen, Verhalten und Aktionen. Die Einstellungen beziehen sich auf die weiter vorne schon genannten Gedanken der Ungleichwertigkeit von Menschen/Menschengruppen und dem damit verbundenen Ziel einer homogenen Gesellschaft. Hinzugezogen werden an dieser Stelle auch Haltungen wie Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und die Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Rechtsextremes Verhalten und Aktionen sind dann vertreten, wenn eine rechtsextreme Strategie verfolgt wird, die Ziele wie die Normalisierung in der Gesellschaft haben. Diese Strategien werden im Laufe der Arbeit beleuchtet und an dieser Stelle nicht weiter beschrieben (deutsche Landjugend 2017, S. 19ff.).

Um den Bezug zu den ländlichen Räumen herzustellen und Gründe zu finden, weshalb Rechtsextremismus in diesen so ausgeprägt ist, wird im folgenden Teil der Sozialraum Dorf beschrieben.

3. Die ländlichen Räume

Eine Annäherung an das Merkmal „Ländlichkeit“ für einen Raum, kann mit verschiedenen Definitionen erfolgen (Hoppe 2010, S. 23).

Vor wenigen Jahrzehnten wurde Ländlichkeit in Bezug auf das „alte“ Dorf definiert. Grundlage waren seine agrarwirtschaftlichen Tätigkeiten, welche die Ländlichkeit ausmachte. Diese Definition kann auf die dörflichen Strukturen wie sie heute bestehen nur noch gering bezogen werden. Mittlerweile werden auf soziale und kulturelle Kriterien verwiesen. Beschrieben wird das Dorf mit den Eigenschaften Nachbarschaftshilfe, Dorfgemeinschaft, Traditionsbewusstsein, Kirchentreue, soziales Netzwerk, ehrenamtlichen Engagement, Vereinsdichte und Naturnähe (dazu später mehr) (vgl. Henkel 2016).

Im Vergleich dazu ist die Definition, die sich am äußeren Dorfbild orientiert eher nüchtern: Es wird von einem Dorf gesprochen, wenn die äußerliche Gestalt von Agrarwirtschaft geprägt wird. Damit sind Bauern-, Landarbeiter- und Handwerkerhäuser, Gehöfte und Gutshöfe gemeint, auch wenn die Landwirtschaft selbst heute nur noch eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. Born 1977, S. 27ff.).

Der ländliche Raum wird nicht selten defizitorientiert betrachtet. Während städtische Gebiete für wichtige gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen stehen, sind die Dörfer als Problemzone eingeordnet oder zählen als Räume mit Stabilisierungsbedarf.

Trotz dessen müssen auch die Funktionspotenziale der ländlichen Regionen hinzugezogen werden. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung schreibt sogar, dass das Leben in Städten und Ballungsräumen ohne Dörfer nicht möglich wäre (vgl. Penke 2012, S. 19). Hinzukommend ist die Multifunktionalität auch in der, vom Europarat verfassten, Definition der ländlichen Räume nachzulesen. An dieser Stelle werden Funktionen wie Wohnen, Arbeitsplätze, Wirtschaft, Ökonomie, Ressourcenbereitstellung, Erholung und Tourismus aufgezählt (vgl. BBR 2005, 203 f.). Grundlegend kann davon ausgegangen werden, dass jede ländliche Region spezifische Eigenschaften hat, welche bestimmte Ressourcen bereithält. Fraglich ist, welche positiven Perspektiven das Wohnen im Sozialraum „Dorf“, im Gegensatz zu urbanen Gebieten, besonders für Neo-Nazis hat. Welche Ressourcen, Netzwerke, Nachbarschaften und Ökonomien dem zugrunde liegen wird im weiteren Verlauf dieser Seminararbeit untersucht.

3.1. Sozialraum Dorf

Da die Sozialraumorientierung grundlegend auf der stadtteilbezogenen Sozialen Arbeit basiert und somit ein städtisches Konzept darstellt ist es fraglich, inwieweit über Sozialraumorientierung im ländlichen Raum gesprochen werden kann. Nimmt man als Vergleich das Bundesmodellprogramm „Soziale Stadt“, bei welchem nicht ausschließlich Stadtteile hinzugezogen werden, sondern auch Landstriche Beachtung finden, können Dörfer durchaus ebenso als Sozialraum angesehen werden (vgl. Penke 2012, S. 17).

Zu Dörfern assoziiert die Gesellschaft auf der einen Seite verlassene Regionen, brüchige Häuser und mangelnden Netzanbindungen. Andererseits besteht aber auch das Bild einer idyllischen grünen und ruhigen Gegend. Um die ländlichen Sozialräume in ihrer Vielfalt betrachten zu können und einen Erklärungsansatz zu finden, wieso sich Dörfer für rechtsextreme Strategien besonders eignen, werden in dem folgenden Text die verschiedenen Gegebenheiten untersucht.

3.2 Strukturmerkmale des ländlichen Sozialraums

Die Dichte und Vielfalt der Angebote in ländlichen Gebieten sind im Vergleich zu urbanen Regionen geringer. Besonders medizinische Versorgungseinrichtungen wie Allgemein- und Fachärzt*innen, Kliniken und Apotheken sind in Dörfern schwieriger zu erreichen. Aber auch Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten und Schulen oder Einkaufsmöglichkeiten sind durch die dort vorherrschende Infrastruktur mit Barrieren versehen. Aus diesen Gründen liegt nahe, dass die Bewoner*innen der ländlichen Räume zum Teil weite Wege mit dem Auto oder dem Fahrrad aufsich nehmen müssen, um bestimmte Angebote wahnehmen zu können (vgl. Wagner 2012, S. 7).

Bei Betrachtung der peripheren Gemeinden wird sichtbar, dass dort eine nahezu selbstverständliche und natürliche Sozialraumorientierung verankert ist. Das Besondere zeigt sich daran, dass oftmals ein vernetztes und Ressourcenorientiertes soziales Arbeiten stattfindet. Dies liegt aber keineswegs an der Sozialen Arbeit als Profession oder gar daran, dass Sozialarbeiter*innen diese Handlungen hervorgerufen. Stattdessen wird das von den Bewohner*innen nebenamtlich organisiert, weshalb strukturell-institutionelle Hilfen meistens überflüssig sind. Die über viele Jahre im Dorf gewachsenen und verwurzelten Netzwerke, Nachbarschaften und Traditionen bringen einige Effekte mit sich. Um darauf besser eingehen zu können, werden in den folgenden Absätzen zwei Beispiele angebracht (vgl. Litges 2012, S. 84).

Frau X, eine alte Dame im Dorf, bekommt regelmäßig von der örtlichen Schneiderei kleinere Aufträge und wird so in die Dorfgemeinschaft einbezogen. Außerdem hat sie dadurch das Gefühl für ihre Mitmenschen wichtig zu sein, was ihr Selbstwertgefühl steigert.

Wenn Herr X, ein Trockenalkoholiker aus der Ortschaft, mehrere Male am Sonntag nicht zum Gottesdienst erscheint, dauert es nicht lange bis ein*e Dorfbewohner*in aktiv wird und nach ihm sieht.

Das lässt schlussfolgern, dass in den meisten Gemeinden noch grundsätzlich familiäre Strukturen bestehen, welche vor allem die soziale Verantwortung füreinander meint. In einer anonymisierten Stadt hingegen herrscht großenteils eine „organisierte Unverantwortlichkeit“, bei der jeder selbst für sein Schicksal verantwortlich ist (vgl. Beck 1988, S. 10ff.).

Anders als in städtischen Gebieten ist das Bürgerengagement und Traditionen in Dörfern stark ausgeprägt. Nicht nur die Nähe zu den Nachbarn und die soziale Verbindlichkeit sind damit gemeint, sondern auch die Verbundenheit zur Landschaft und die hohe Wohnqualität. Diese Merkmale sind nicht nur für die Dorfbewohner*innen attraktiv, sondern ziehen auch Zuwander*innen an.

Darauf aufbauend halten ländliche Räume ein, in Gemeinschaft produziertes „soziales Kapital“, bereit. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Robert D. Putnam beschreibt das „soziale Kapital“ als das Zusammenhalten in einer Gesellschaft, gegenseitiges Vertrauen und als eine zugewandte Gegenseitigkeit (aktive Zivilgesellschaft) (vgl. Braun 2003, S. 2ff.).

Weiter noch wirkt sich die starke Ausprägung des sozialen Kapitals innerhalb einer Dorfgemeinschaft auf die lokale Wirtschaft, Verwaltung und Regierung aus. Putnam erwähnt hinzukommend, das Gemeinwesen bedeutend von dem Maß an Sozialkapital anhängt. Eine vertrauensvolle Gemeinschaft ist die Grundlage für Sicherheit, Bildung und öffentliche Gesundheit.

Das soziale Kapital wird in Dorfregionen besonders durch die zahlreichen Vereine produziert. Wer in einem Verein ist hat die Möglichkeit sich aktiv in die Dorfgemeinschaft zu integrieren. Außerdem bietet die Mitgliedschaft die Gelegenheit, das örtliche Selbstbewusstsein zu fördern. Das ist nicht nur für Kinder- und Jugendliche im Land eine attraktive Option, sondern auch für Mütter, Väter und Großeltern eine wertvolle und gern genutzte Ressource. Die Masse an Vereinen stellt demnach eine standfeste Begründung für das starke Wir-Gefühl im Dorf dar.

Verschiedene Studien haben nachgewiesen, dass im ländlichen Sozialraum auf je hundert Einwohner*innen ein Verein kommt. Häufig gibt es sogar Mehrfachmitgliedschaften. Besonders für Jugendliche und junge Erwachsene sind Vereine die Grundlage dafür, in die dörfliche Gemeinschaft hineinzuwachsen. Einige Vereinsmitgliedschaften heben den Eintritt ins Erwachsenenleben hervor und machen sie dadurch „ein Stück weit“ zwingend. Eine weitere Funktion ist die „sinnvolle“ Freizeitbeschäftigung. Anders als in der Stadt bieten dörfliche Vereine einen ausgeprägten sozialen Bezugsrahmen, der über Jahrzehnte bestand hat und sich auf die kommenden Generationen auswirkt. Vereine vernetzen die Dorfbewohner*innen über Jahrzehnte miteinander. Das Ausrichten von Festen, zu Beispiel der Tag der offenen Tür bei der freiwilligen Feuerwehr oder das gemeinsame Maibaumsetzen mit anschließendem brennenden Rost für alle Helfer*innen, spielt an dieser Stelle eine bedeutende Rolle. So wird die Dorfgemeinschaft zur Dorfgemeinschaft und bleibt auch als diese beständig. Diese Gemeinschaft im Dorf und die direkte Nachbarschaft sind ausschlaggebend für das Leben im ländlichen Sozialraum. Damit ist nicht nur das gemeinsame Feiern gemeint, sondern auch ein Unterstützungs- und Hilfsangebot, ein Betreuungs- und Beschäftigungsangebot für Kinder und Jugendliche und ein Pflegeangebot für ältere Menschen (vgl. Wagner 2012, S. 5).

Das soziale Kapital in Dörfern entsteht aber nicht nur durch Vereine, sondern auch durch das informelle Wirtschaften. Dass Bauer x für Bauer y den Mist mit aufs Feld fährt und dafür regelmäßig frische Milch von Bauer y´s Kühen bekommt, ist also keineswegs vertraglich geregelt. Stattdessen wird miteinander kommuniziert und Abmachungen getroffen. Das bringt die Dorfbewohner*innen zusammen und verweist sie aufeinander. Die ländliche soziale Nähe zwischen den Menschen wird nicht nur ideell und durch nette Gespräche hergestellt. Erst durch das lokale Wirtschaften entsteht die Dorfgemeinschaft und dadurch wiederum die lokale Ökonomie. Auf diesem Weg lässt sich auch der Zusammenhang zwischen Kleintierhaltung, Gemüsegarten, Tauschwirtschaft und dem Vereinswesen mit einer lebendigen Dorfgemeinschaft erklären. Die entstandene Gemeinschaftlichkeit, Gegenseitigkeit, die Ortsorientiertheit und das starke soziale Kapital sind auf eine stoffliche und materielle Grundlage angewiesen.

Auch wenn die soziale Nähe auf dem Land ein zentraler Bestandteil des Alltags ist und viele hilfreiche Aspekte bereithält, können auch Gefahren darin gesehen werden. Angepasstes Verhalten wird in dieser Struktur beispielsweise gefördert und führt dazu, dass familiäre Probleme verschwiegen werden, weil sie dem Zustand der Normalität im Dorf nicht entsprechen. Dieser Ansatz eröffnet eine Grundlage für Exklusion und wirkt einer gesunden Individualisierung entgegen.

In ländlichen Regionen hat die eben genannte Nähe zueinander unmittelbar mit Versorgung und Versorgt-werden zu tun. Die Handlungen die Nähe vermitteln sind davon abhängig, was unmittelbar nützlich und wertvoll ist. Essen und Trinken ist an dieser Stelle das treffendste Beispiel.

Gesellschaftliches Ansehen und Status sind im Dorf nicht von Konsummöglichkeiten und Lohnarbeitsbesitz abhängig. Im Gegensatz ergibt sich der Status aus Fleiß, Vereinsengagement, Familienzugehörigkeit, dem „grünen Daumen“ und aus den handwerklichen Fähigkeiten einer Person oder Familie.

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Rechtsextremismus im ländlichen Sozialraum
Hochschule
Duale Hochschule Gera-Eisenach (ehem. Berufsakademie Thürigen in Gera)
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
25
Katalognummer
V514293
ISBN (eBook)
9783346105172
ISBN (Buch)
9783346105189
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rechtsextremismus, sozialraum
Arbeit zitieren
Michéle Wohlrab (Autor:in), 2019, Rechtsextremismus im ländlichen Sozialraum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/514293

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Rechtsextremismus im ländlichen Sozialraum



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden