Wolframs Frauenfiguren. Poetologisches im "Parzival"


Bachelorarbeit, 2016

38 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Frauenfiguren außerhalb der Handlungsebene
2.1 Die Frauenpassage innerhalb des Prologs (2,23-3,24)
2.2 Die Frauenpassage innerhalb der sog. Selbstverteidigung (114,5-115,20)
2.3 Die Frauenpassage am Ende des VI. Buches (337,1-30)
2.4 Die Frauenpassage innerhalb des Epilogs (827,25-30)

3. Frauenfiguren innerhalb der Handlungsebene
3.1 Obiê und Obilôt als entgegengesetzte Handlungsauslöser
3.2 Sigûne als Urteilsinstanz

4. Frauenfiguren zwischen den Erzählebenen
4.1 Frou Âventiure
4.2 Frou Minne

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Frauenfiguren im Parzival Wolframs von Eschenbach. Dass die Frauen eine besondere Stellung in Wolframs Erzählung einnehmen, wird insbesondere daran deutlich, dass der Erzähler regelmäßig Einschübe mit Aussagen über die Frauen vorbringt und dabei die Frauen immer wieder direkt anredet. An einer Stelle des Romans macht der Wolframsche Erzähler bezüglich der Frauen folgende Aussage: wîp sint et immer wîp (450,5)1. Dieser Vers bildet den Anlass für die diese Untersuchung leitenden Fragen: Wie werden die Frauen im Parzival dargestellt? Und lassen sich ihnen anhand ihrer Darstellung bestimmte Funktionen zuschreiben? Um darauf eine Antwort zu finden sind Frauenfiguren wie Orgelûse, Herzeloyde oder Condwîramûrs bereits unzählige Male ihrer Komplexität wegen untersucht worden. Ausgangspunkt der bisherigen Untersuchungen zu Wolframs Frauenfiguren sind zumeist die Geschlechterbeziehungen, oftmals in Form einer Minnekonstellation, welche den Verlauf des Romans bestimmen. In der Forschung wird vorwiegend auf den Zusammenhang von Frauen und Leid sowie Frauen und Gewalt verwiesen, wobei die Frauen gar als Auslöser von Gewalt2 betrachtet werden. Braunagel lobt in seiner Untersuchung Wolframs Facettentechnik, mit der er einzelne Aspekte des Phänomens Frau auf verschiedene Einzelcharaktere verteilt.3 Karg fasst die Darstellung der Frauenfiguren im Parzival folgendermaßen zusammen:

„Die Frauen erheben Anspruch, sind Initiatoren, Movens – und klagen; sie sind doch präsent nur in ihren Symbolen: Pracht, wo es einen glücklichen Ausgang gibt, Jammer, wo sie zurückbleiben, Elend, wo der Kampf eines Tages fatal endet.“4

Dass Frauen als Initiatoren beziehungsweise „Movens“ fungieren, soll auch in dieser Arbeit unterstrichen werden. Darüber hinaus soll aber gezeigt werden, dass die Frauen im Parzival mehr sind als Figuren, die den Verlauf der Handlung bestimmen oder auf Wolframs innovative Geschlechterkonzeption verweisen.5 Um das zu bewerkstelligen, kann der Fokus der vorliegenden Arbeit nicht allein auf den konventionellen Figuren innerhalb der Handlung liegen. Denn die Frauenfiguren des Parzival sind nicht nur auf der Handlungsebene zu finden: Wolfram hat die Frauen auf unterschiedliche Erzählebenen positioniert. In dieser Arbeit wird gezeigt, dass die Frauen mit ihren jeweiligen Positionen innerhalb der Erzählung bestimmte Funktionen innehaben.

Um diese Funktionen zu ermitteln, werden zunächst die Frauenfiguren außerhalb der Handlungsebene betrachtet. Als Ausgangspunkt dienen dafür die sogenannten Frauenpassagen, in denen der Wolframsche Erzähler die Frauen direkt anspricht. Bei diesem Vorgang tritt der Erzähler hervor, unterbricht die Handlung und eröffnet auf diese Weise eine weitere Erzählebene, die poetologische Anklänge offenbart. In diesen Passagen entwirft Wolfram nach und nach sein ideales Frauenbild und schreibt den Frauen bestimmte Funktionen in Bezug auf seine Erzählung zu. Die Interpretation dieser sogenannten Frauenpassagen soll zeigen, dass Frauen den Anlass für die Erzählung darstellen, sprich als Anfang und Ziel des Erzählens fungieren. Daraus resultiert, dass Frauen das Erzählte in Gang bringen, indem sie dem Erzähler Lohn für seine vollendete Erzählung in Aussicht stellen. Im Folgenden wird für diese Funktion der Begriff Handlungsauslöser verwendet. Darüber hinaus lassen sich die Frauen als Urteilsinstanzen über das Erzählte betrachten. Anhand dieser Funktionen soll gezeigt werden, dass Wolfram die Frauen einsetzt, um seine poetologischen Aussagen zu untermauern.

Des Weiteren findet sich der Begriff âventiure innerhalb der Frauenpassage des Prologs, bei dem sich die Frage stellt, inwieweit eine Verbindung zwischen Frau und âventiure besteht. Um diese Frage im weiteren Verlauf der Arbeit beantworten zu können, wird in Kapitel 2.1 die Vielzahl an Bedeutungen des Begriffs âventiure näher erläutert. Im Verlauf der Arbeit soll untersucht werden, inwieweit diese Bedeutungsfacetten von âventiure sich mit den Frauenfiguren in Wolframs Parzival verbinden.

In Kapitel drei werden anhand ausgewählter Beispiele die Frauenfiguren innerhalb der Handlungsebene untersucht. Dabei soll herausgestellt werden, dass sich die zuvor festgemachten Funktionen der Frauen auch bei den Figuren innerhalb der Handlung wiederfinden. Als Figuren mit exemplarischen Charakter werden für diese Betrachtung Obiê, Obilôt und Sigûne fokussiert. Es soll gezeigt werden, dass Obiê und Obilôt als entgegengesetzte Handlungsauslöser und Sigûne als Urteilsinstanz fungieren.

Im letzten Kapitel liegt der Fokus auf den Frauenfiguren zwischen den Erzählebenen. Die Grundlage hierfür bilden die beiden Personifikationen Frou Âventiure und Frou Minne. Diese tauchen sehr unvermittelt in der Erzählung auf und lassen sich weder innerhalb noch außerhalb der Handlungsebene einordnen. Aufgrund ihres allegorischen Charakters eignen sich die beiden Personifikationen hervorragend, um Wolframs poetologische Aussagen zu illustrieren. Zunächst wird Frou Âventiure näher betrachtet, um zu ermitteln, inwieweit diese als Handlungsauslöser beziehungsweise als Urteilsinstanz im Parzival auftritt. Hiernach wird Frou Minne dahin gehend untersucht, ob diese in ihrer Funktion als Element der Kommunikation zwischen den Figuren ebenfalls Einfluss auf den Verlauf der Handlung nimmt. Darüber hinaus soll anhand des Zusammenspiels von Erzählerfigur und Personifikation untersucht werden, ob im Parzival eine Hierarchie der verschiedenen Erzählinstanzen auszumachen ist.

Am Ende der Arbeit soll herausgestellt werden, dass sich anhand von Wolframs Frauenfiguren im Parzival poetologische Implikationen abzeichnen.

2. Frauenfiguren außerhalb der Handlungsebene

Im folgenden Kapitel werden die Frauenfiguren außerhalb der Handlungsebene anhand der sogenannten Frauenpassagen des Parzivals untersucht. Diese Passagen bilden eine Einheit, da der Wolframsche Erzähler im Verlauf dieser Szenen die Frauen direkt anspricht und dabei kontinuierlich sein Frauenbild entwirft. Dass er die Damen überhaupt und mit besonderer Vorliebe anredet, stellt Nellmann als ein Charakteristikum des Wolframschen Erzähler heraus.6

2.1 Die Frauenpassage innerhalb des Prologs (2,23-3,24)

Die Frauenpassage innerhalb des Prologs wird eingeleitet, indem der Erzähler dise manger slahte underbint (2,23), gemeint sind die Eigenschaften, die er zuvor genannt hatte, nicht allein auf die Männer, sondern ebenso auf die Frauen bezieht. Dass der Erzähler in den nun folgenden Versen allein die Frauen anredet, wird anhand Vers 2,25 deutlich: für diu wîp stôze ich disiu zil. Mit der Phrase swelhiu mîn râten merken wil (2,26) stellt der Erzähler sicher, dass ihm die Aufmerksamkeit des Publikums, vor allem aber der wîp, gehört. Es geht um die Frage, wohin beziehungsweise zu wem die Frau ihren prȋs und ihre ȇre (2,28) wendet. Hierbei wird spätestens mit den Begriffen minne und werdekeit (2,30) deutlich, dass das Thema des Minne-Lohns eröffnet wird. Somit stellt das râten kein Beraten, sondern ein Liebeswerben des Erzählers dar:

„Die Frau ist nicht einfach zu belehrende Zuhörerin, sondern umworbenes Ziel des Erzählens, ist nicht einfach Spiegel für die ‚Männer-âventiure‘, sondern eigentlicher Motor und Sinn derselben.“7

Der Erzähler wirbt um Lohn für seine Erzählung, denn er ist derjenige, dem die Frauen dâ nâch (2,29), also nach Ende des Erzählens, ihre Minne schenken sollen. Mit dem dâ nâch könnte zudem die Bemessung des Lohnes anhand der Qualität der Erzählung gemeint sein.

Hiernach erfolgt eine Beschreibung des nach Ansicht des Erzählers tugendhaften und idealen Verhalten der Frauen, insbesondere bei der Partnerwahl. Nellmann spricht hierbei von einem Katalog an geltenden Ansprüchen8, der für die Frauen aufgestellt wird. In den nun folgenden Frauenbildern sieht Powell Rollen, mit denen sich die Rezipienten identifizieren sollen.9 Dem Erzähler ist dabei vor allem das richtige Maßhalten wichtig, welches er vor gote (3,3) für alle guoten wîben (3,3) erbittet. Hierbei ist auffällig, dass die Anrufung Gottes, die sich in einem Prolog zumeist als Bitte um Beistand für das Werk findet, nun als Bitte für die Frau formuliert ist.10 Damit bricht Wolfram einerseits mit der Tradition und andererseits deutet er mit dieser Verkehrung die besondere Funktion der Frauen hinsichtlich seiner Erzählung an. Indem er die scham (3,5) als die höchste Tugend bezeichnet, die alle anderen Tugenden mit einschließt, erscheint es ihm nicht nötig, auf die anderen Tugenden weiter einzugehen. Ein falsches Verhalten erwirbt jedoch falschen, wertlosen Ruhm. Dass die Frauen bezüglich der Verteilung ihres lobes sehr unbeständig sind, wird anhand dieser Metapher verdeutlicht: wie stæte ist ein dünnez îs, / daz ougestheize sunnen hât? (3,8-9). Das lob der Frau verweist auf den Minnesang und kann ein Indiz dafür darstellen, dass Wolfram seinen Parzival als Frauendienst vorträgt.11 Stein erkennt im Prolog eine Stilisierung der Frau als Urteilsinstanz, die mit ihrem lob in angemessener Weise auf den dienst des Mannes zu reagieren hat.12 Das Motiv des lobes taucht in der sogenannten Selbstverteidigung, die im nächsten Kapitel näher untersucht wird, ein weiteres Mal auf.

Im darauffolgenden Abschnitt nimmt der Erzähler eine strenge Unterscheidung zwischen der inneren und äußeren Schönheit der Frau vor. Rausch spricht hierbei von einer Opposition des äußeren Scheins und inneren Seins bezüglich innerer ethischer Werte.13 Bei dieser Unterscheidung setzt er das für das Mittelalter typische Konzept der Kalokagathie außer Kraft.14 Das falsche Herz einer Frau, sei diese noch so schön, verdient gerade so viel Lob, wie daz safer ime golde (3,14). Das innerlich rechte Verhalten einer Frau muss nicht noch am äußeren Erscheinungsbild, der varwe (3,21) oder dem herzen dach, daz man siht (3,22), geprüft werden, um die Frau vollkommen zu machen. Es wird somit deutlich, dass für den Wolframschen Erzähler die innere Schönheit der Frau ihr Äußeres überwiegt. Des Weiteren stellt der Erzähler mit folgendem bildhaften Vergleich, der im Gegensatz zu dem zuvor angeführten safer ime golde steht, sein idealisiertes Frauenbild dar:

swer in den kranken messinc

verwurket edeln rubîn

und al die âventiure sîn

(dem glîche ich rehten wîbes muot.) (3,16-19)

Bei diesem Vergleich steht der rubîn für das Innere, der kranke messinc hingegen für das Äußere der Frau. Dabei wird noch einmal bildhaft verdeutlicht, dass das Innere wertvoller ist, als das Äußere. Powell meint zu erkennen, dass der Erzähler mit dem Frauenbild der inneren Schönheit seine eigene Erzählung anspricht.15 So auch Rausch, der den „ kranken messinc als ‚unedlen‘ – nicht ‚klassischen‘ – Erzählstil und den Rubin als Erzählgegenstand“ betrachtet.16 Die âventiure hingegen stellt nach Ansicht von Schnyder die Erzählung selbst dar:

„Als Erzählung ist sie das Wagnis, die Begebenheit und als Begebenheit und Wagnis ist sie schon Erzählung.“17

In der Forschung besteht Uneinigkeit darüber, ob sich die im ersten Teil des Prologs aufgeworfene literaturtheoretische Problematik auch in der Frauenpassage des Prologs wiederfindet und dort gar weitergeführt wird.18 Doch scheint anhand des Wortes âventiure offenbart, dass die Frauenpassage die literaturtheoretische Problematik des ersten Teil des Prologs wieder aufnimmt. Zudem wird eine Verbindung zwischen Frau und âventiure angedeutet. Um diese Verbindung näher beschreiben zu können, ist eine genaue Erläuterung der zahlreichen Bedeutungen des Begriffes âventiure erforderlich. Im Wesentlichen handelt es sich bei der âventiure um einen literarischen Kernbegriff, der in ein bestimmtes literarisches Konzept eingebunden ist.19 Es lassen sich im Groben zwei Verwendungsweisen von âventiure festmachen: Geschehen und Wiedergabe eines Geschehens.20 Seinen Ursprung hat âventiure in der höfischen Dichtung, wobei der Begriff vor allem in der Artusepik zu finden ist. Strohschneider betrachtet âventiure gar als „unverzichtbares wie zentrales Konstitutionsmoment des Hofes“.21 Mertens vertritt die These, dass sich bei Hartmann die Grundbedeutung von âventiure als Ereignis sowohl auf der unmittelbaren Ebene der Handlung wie auf der poetologischen Ebene wiederfindet, also erzähltes Ereignis und Erzählen als Ereignis bedeutet.22 Wolfram übernimmt die von Hartmann vorgegebenen Bedeutungsmöglichkeiten, spitzt diese zu und nimmt Erweiterungen vor.23 Schnyder beschreibt die Verwendung des Begriffs bei Wolfram auf folgende Weise:

„Bei ihm [Wolfram] laufen Geschick und Geschichte des Helden, Erzählung und Lebenslauf, Zufall und erzählerische Notwendigkeit dermaßen ineinander, dass sie sich ständig überschneiden und das Erzählen vom Erzählten nicht mehr zu trennen ist […].“24

Nach der Ansicht von Schnyder wird mit der Metapher des Rubinrings die Frau als Anfang und Ziel des Erzählens selbst zur Erzählung, zum Roman stilisiert. Dadurch werden die Forderungen an die Frau zu Forderungen an die Erzählung.25 Das bedeutet, die Erzählung sollte sich einerseits durch einen unkonventionellen Erzählstil, andererseits durch einen glänzenden, wertvollen Erzählgegenstand, der lohnt erzählt zu werden, auszeichnen. Die Metapher des Rubinrings kann zudem auf Wolframs bildhaften Erzählstil mit seinem unendlichen Fluss an Deutungen, der den Parzival auszeichnet, verweisen.

2.2 Die Frauenpassage innerhalb der sog. Selbstverteidigung (114,5-115,20)

In der sogenannten Selbstverteidigung inszeniert der Erzähler eine Situation des Minnesangs26, in der er vor allem wieder die Frauen anspricht. Die Selbstverteidigung stellt eine Fortführung der Frauenpassage des Prologs dar27, in der der Erzähler die Funktion der Frauen hinsichtlich seiner Erzählung weiter präzisiert.

Durch die Verwendung des Begriffs dienstlîcher triuwe (114,9) wird auf die Situation des Minnesangs verwiesen. Auch der Begriff sange (114,13) stellt eine Verbindung zu dieser Gattung her. Mit den Worten ich bin Wolfram von Eschenbach, / unt kan ein teil mit sange (114,12-13) stellt Wolfram sein Können bezüglich des Minnesangs heraus. Es wird zudem ein weiteres Mal bestätigt, dass der Parzival als Minnedienst vorgetragen wird. Im Verlauf dieser Passage zeichnet sich jedoch ab, dass der Wolframsche Erzähler das Konzept des Minnesangs infrage stellt und ein idealisiertes für den Parzival geltendes Konzept erstellt, mit dem er sich als Epiker von den Minnesängern absetzt.28 Dies vollzieht er anhand zweier Frauenbilder. Rausch ist der Ansicht, dass Wolfram gleich einleitend betont, dass es ihm darum gehe, „ wie man über Frauen spricht und nicht was man über sie zu sagen hat“29. Powell führt an, dass es sich bei beiden Frauenbildern jeweils um ein literarisches und biografisches handelt.30 Der biografische Bezug ist in der Forschung jedoch umstritten und schwierig nachzuweisen. Auch wenn man anhand der Autornennung in dieser Textpassage leicht versucht ist, einen biografischen Bezug herzustellen, sollte man mit dieser Mutmaßung vorsichtig sein. Nellmann stellt die Nennung des Autors in Zusammenhang mit der Polemik gegen eine bisher nicht erwähnte Dame31, die das erste Frauenbild, welches in dieser Passage entworfen wird, darstellt.

Diese erste Frau ist an wanke (114,11), wodurch sie den zorn (114,10) des Wolframschen Erzählers hervorgerufen hat, mit der Folge, dass er ihr keine dienstlîche triuwe mehr schenken möchte. Durch seinen zorn gegenüber der Frau an wanke sieht sich der Erzähler nun mit dem haz (114,19) aller anderen Frauen ihm gegenüber konfrontiert. Klagend fragt der Erzähler: war umbe tuont si daz? (114,20). Nur um sich diese Frage sogleich selbst zu beantworten: ez ist iedoch ir wîpheit (114,22). Der haz der vrouwe ist dabei „in der (akzeptierten) weiblichen Solidarität begründet, die offensichtlich ein konstitutives Element der Minnesangsrezeption darstellt“.32 Auch Rausch meint in der Frau an wanke eine „Allegorie der typisierten Darstellung der Frau im Minnelied“ zu erkennen.33 Powell sieht in dieser Frauenfigur gar ein mögliches Rezipientenbild.34 Der Erzähler offenbart zudem, auch an sich selbst falsch gehandelt zu haben, was den haz der Frauen zu rechtfertigen scheint. Trotz seines eigenen Fehlverhaltens bekräftigt der Erzähler, dass er das rechte Beurteilen der bærde unt ir site (115,1) einer Frau niht vegezzen (114,29) hat.

Daraufhin entwirft er das zweite Frauenbild, welches das von ihm bevorzugte und idealisierte Frauenbild darstellt. Dieses sollte sich vor allem durch kiusche (115,2) auszeichnen. Diese kiusche stellt einen Verweis auf den in der Frauenpassage des Prologs verwendeten Begriffs der scham (3,5) dar: Bei beiden Begriffen handelt es sich um Eigenschaften der guoten wîben (3,3). Eine kiusche Frau kann sich des Lobs des Erzählers sowie dessen Mitgefühl sicher sein. Hiernach präsentiert er den Frauen sein idealisiertes Bild des Minnesängers. Eine Frau wäre schwach an Verstand, wenn sie den Minnesänger nur seines sanges wegen minnen würde. Ein rechter Minnesänger sollte weitere Qualitäten als einzig seinen sanc besitzen. Er sollte sich mit schilde und ouch mit sper (115,16) die minne verdienen. Der Wolframsche Erzähler stilisiert den Minnesänger somit zu einem Minneritter, der mit seiner Erzählung auf ritterschaft (115,20) zieht, um das lob, die minne der Dame zu verdienen. Die r itterschaft stellt sozusagen den Kampf des Erzählens dar.35 Anhand dieser Metapher wird Schwierigkeit der erzählerischen Aufgabe sowie gleichzeitig das Außergewöhnliche des Erzählten und des Erzählens betont.36 Dieser Kampf des Erzählens ließe sich wiederum als âventiure bezeichnen, im Sinne von ritterlicher Bewährungsprobe.37 Dass die Frauen in dieser Passage wiederum als Urteilsinstanzen fungieren wird anhand folgender Textstelle deutlich: verdienen niht ir minne solt, al dar nâch sî sie mir holt (115,17-18). Zudem wird das Zusammenspiel von Frauen und âventiure angedeutet, indem die Frauen die âventiure, sprich Wolframs Erzählung als Resultat des Kampfes des Erzählens, beurteilen. Als Urteilsinstanzen stellen die Frauen gleichzeitig die Triebkraft für die Erzählung dar38, indem sie mit ihren lob dafür sorgen, dass diese zu Ende erzählt wird. Genau diesen Vorgang beschreibt Wolfram im Epilog des Parzival, der im Kapitel 2.4 näher betrachtet wird.

2.3 Die Frauenpassage am Ende des VI. Buches (337,1-30)

In der Frauenpassage am Ende des VI. Buches wendet sich der Wolframsche Erzähler wieder den sinnec (337,1) und getriwen (337,2) Frauen, welche sein weibliches Idealbild verkörpern, zu. Damit untermalt Wolframs seine Vorstellung, dass nur jene Gruppe der verständigen und treuen Frauen zur wârheit (337,4), sprich zu einem gerechten Urteil, befähigt ist. Powell betrachtet die vorliegende Passage als Pause, die der Erzähler vornimmt, um zu fragen, ob das Publikum seiner Geschichte bis dorthin folgen konnte.39 Doch bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass dieser Abschnitt weitaus mehr darstellt.

Sehr selbstbewusst leitet der Erzähler die Passage mit den Worten nu weiz ich (337,1) ein und erklärt daraufhin, dass er innerhalb dieser Erzählung besser von den Frauen spreche als in seinen Liedern – und in diesen habe er ja nur eine einzige besungen. Damit stellt der Erzähler heraus, dass sein Parzival die zuvor von ihm verfasste Literatur qualitativ überwiegt, wobei er diese Qualität einerseits anhand der herausragenden Beschreibung seiner Frauenfiguren bemisst und andererseits anhand der gerechten Urteilskraft der verständigen Frauen untermauert. Dadurch werden die Frauen als Indikator für Wolframs einzigartige Erzählweise dargestellt. Gleichzeitig lässt der Erzähler mit der Formulierung s prechen baz (337,5) den Beginn der Selbstverteidigung (114,5) anklingen. Er nimmt Bezug zu seiner dort entworfenen Gegenposition zum Minnesang, die er nun vor allem inhaltlich konsequent akzentuiert.40 Es geht ihm darum, seine Erzählung, also einen geschriebenen Roman, von den gesungenen Minneliedern abzugrenzen, wie auch die Verwendung des Begriffs geschriben (337,3) zeigt. Um seine Behauptung weiter zu stützen, führt der Wolframsche Erzähler alle bewegenden Schicksale der bisher im Parzival beschriebenen Frauenfiguren an. Er wendet sich also noch in seiner Beschreibung der Frauenfiguren außerhalb der Handlungsebene zu den Frauenfiguren, die innerhalb der Handlung stehen. Hierbei zeichnet sich eine erste Tendenz zur Vermischung von verschiedenen Erzählebenen ab, welche im Verlauf der Arbeit noch näher untersucht wird. Die nun beschriebenen Frauenfiguren Belakâne, Herzeloyde, Ginovêr, Jeschûte und Cunnewâre gleichen einander, indem sie einerseits Wolframs Frauenideal verkörpern und andererseits sehr leidvolle Erfahrungen, die zumeist durch Männer ausgelöst wurden, durchleben mussten. Bei dieser Schilderung offenbart der Erzähler auch sein Mitgefühl gegenüber der Frauen: dar zuo was mir ein trûren leit (337,15). Schu betrachtet diese feinfühlige und mitleidige Darstellung der Frauenschicksale als Frauenlob Wolframs, dessen besondere Qualität darin liegt, dass es allen Frauen gleichermaßen gerecht wird.41 Darüber hinaus wird die Erzählung als „Roman über Frauen-Leid“ ausgewiesen und erscheint damit besonders geeignet für Frauen.42

Abschließend legt der Erzähler die Beschaffenheit seiner Erzählung dar, um gleichzeitig mit seiner Erzähler-Rolle zu spielen:

ze machen nem diz mære ein man,

der âventiure prüeven kan

unde rîme künne sprechen,

beidiu samnen unde brechen. (337,23-26)

Aus Sicht des Erzählers handelt es sich beim Erzählen um einen kontinuierlichen Prozess des Erschaffens, der nur durch einen bestimmten man bewerkstelligt werden kann. Dieser muss die Fähigkeit innehaben, einerseits die âventiure 43 zu prüfen und darüber hinaus Verse zu formen sowie zu durchbrechen. An dieser Stelle wird auf Wolframs hakenschlagenden Erzählstil verwiesen. Letztendlich wird deutlich, dass der Erzähler sich selbst als diesen man, der âventiure prüeven kan, bezeichnet. Nur er allein ist befähigt, sich der Erzählung anzunehmen. Wolframs Erzähler stellt sich somit als der Herrscher über seine Erzählung dar, nur um im nächsten Augenblick seine Autorität bezüglich der Erzählung wieder zu untergraben:

ich tætz iu gerne fürbaz kunt

wolt ez gebieten mir ein munt,

den doch ander füeze tragent

dan die mir ze stegreif wagent. (337,27-30)

[...]


1 Alle Zitate sind folgender Ausgabe entnommen: Wolfram von Eschenbach: Parzival. Mittelhochdeutscher Text nach der 6. Ausgabe von Karl Lachmann. Übersetzung von Peter Knecht. Einführung zum Text von Bernd Schirok. Berlin/ New York, 2. Aufl. 2003.

2 Dallapiazza: Wolfram von Eschenbach, S. 120.

3 Braunagel: Die Frau in der höfischen Epik des Hochmittelalters, S. 107.

4 Karg: … sîn süeze sûrez ungemach …, S. 163.

5 Verwiesen sei an dieser Stelle auf Emmerling: Geschlechterbeziehungen in den Gawan-Büchern des »Parzival«.

6 Nellmann: Wolframs Erzähltechnik, S. 3.

7 Schnyder: Frau, Rubin und ‚âventiure‘, S. 11.

8 Nellmann: Wolframs Erzähltechnik, S. 10.

9 Vgl. Powell: Die tumben und die wîsen, S. 78.

10 Schnyder: Frau, Rubin und ‚âventiure‘, S. 13.

11 Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, S. 178.

12 Stein: 'wort unde werc', S. 189.

13 Rausch: Die Destruktion der Fiktion, S. 56.

14 Schirok: Swer mit disen schanzen allen kan, an dem hât witze wol getân, S. 129.

15 Powell: Die tumben und die wîsen, S. 89.

16 Rausch: Die Destruktion der Fiktion, S. 58.

17 Schnyder: Frau, Rubin und ‚âventiure‘, S. 6.

18 Vgl. die Positionen von Haug, Schirok und Schnyder.

19 Wegera: „mich enhabe diu âventiure betrogen“, S. 233.

20 Ebd., S. 234.

21 Strohschneider: Höfische Textgeschichten, S. 243.

22 Mertens: Frau Âventiure klopft an die Tür …, S. 340.

23 Ebd., S. 343.

24 Schnyder: Âventiure? waz ist daz?, S. 263.

25 Schnyder: Frau, Rubin und ‚âventiure‘, S. 16.

26 Vgl. Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, S. 176.

27 Vgl. Schirok: Swer mit disen schanzen allen kan, an dem hât witze wol getân, S. 130.

28 Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter, S. 177.

29 Rausch: Die Destruktion der Fiktion, S. 59.

30 Powell: Die tumben und die wîsen, S. 59.

31 Nellmann: Wolframs Erzähltechnik, S. 19.

32 Schirok: Swer mit disen schanzen allen kan, an dem hât witze wol getân, S. 134.

33 Rausch: Die Destruktion der Fiktion, S. 60.

34 Powell: Die tumben und die wîsen, S. 87.

35 Vgl. Schnyder: Frau, Rubin und ‚âventiure‘, S. 13.

36 Schu: Vom erzählten Abenteuer zum Abenteuer des Erzählens, S. 152.

37 Wegera: „mich enhabe diu âventiure betrogen“, S. 231.

38 Vgl. Powell: Die tumben und die wîsen, S. 88.

39 Powell: Die tumben und die wîsen, S. 88.

40 Schirok: Swer mit disen schanzen allen kan, an dem hât witze wol getân, S. 136.

41 Schu: Vom erzählten Abenteuer zum Abenteuer des Erzählens, S. 158.

42 Ebd.

43 Der Begriff âventiure legt in diesem Kontext die Bedeutungen Quelle sowie Ereignis, von welchem erzählt werden soll, nahe. Im vierten Kapitel wird der Vorgang der âventiure prüeven im Zusammenhang mit Frou Âventiure näher erläutert.

Ende der Leseprobe aus 38 Seiten

Details

Titel
Wolframs Frauenfiguren. Poetologisches im "Parzival"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Deutsche Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
38
Katalognummer
V513887
ISBN (eBook)
9783346111920
ISBN (Buch)
9783346111937
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wolframs, frauenfiguren, poetologisches, parzival
Arbeit zitieren
Adriana Lütz (Autor:in), 2016, Wolframs Frauenfiguren. Poetologisches im "Parzival", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513887

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