Die Bedeutung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes unter Berücksichtigung ambulanter Dienste in Deutschland


Bachelorarbeit, 2017

75 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Abstract

Abkurzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Problembeschreibung
2.1 Pflegebedurftigkeit
2.2 Hausliche Pflege
2.2.1 Pflegende Angehorige
2.2.2 Professionelle ambulante Pflege

3. Zielsetzung und Fragestellung

4. Methodik
4.1 Literaturrecherche mittels Suchmaschinen
4.2 Ein- und Ausschlusskriterien

5. Theoretischer Rahmen zum SGB XI
5.1 Pflegebedurftigkeitsbegriff seit 1995
5.2 Pflegebedurftigkeitsbegriff seit 2017

6. Professionelle Pflege
6.1 Normative Grundlagen professioneller Pflege
6.2 Gesetzliche Grundlagen professioneller Pflege
6.3 Professionelle Pflege vs. Laienpflege

7. Das Gesundheitssystem in Deutschland

8. Sozialpolitische Geschichte des Pflegebedurftigkeitsbegriffes
8.1 Situation nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Einfuhrung der Pflegeversicherung.
8.2 Kritik am Pflegebedurftigkeitsbegriff und Reformen
8.3 Der Weg zu einem neuen Pflegebedurftigkeitsbegriff
8.4 Kritik und Erwartungen an das PSG II

9. Strukturelle und organisatorische Merkmale ambulanter Dienste
9.1 Situation ambulanter Dienste in Deutschland
9.2 Sichtweise der professionellen ambulanten Pflege
9.3 Bedurfnisse und Wunsche potenzieller Klientel
9.3.1 Pflegebedurftige
9.3.2 Pflegende Angehorige
9.4 Leistungsspektrum ambulanter Dienste in Deutschland

10. Beschaftigungsbedingungen in ambulanten Diensten

11. Zukunftiger Qualifikationsbedarf ambulant Pflegender

12. Diskussion

13. Schlussfolgerungen und Ausblick

Literaturverzeichnis

Zusammenfassung

HINTERGRUND In Deutschland erfuhr die soziale Pflegeversicherung zum 01.01.2017 eine umfassende Reform. Neben der Einfuhrung eines neuen Pflegebedurftigkeitsbegrif- fes wurden die Leistungen fur Versicherte erweitert.

ZIELSETZUNG Die vorliegende Bachelorarbeit strebt eine Auseinandersetzung mit einer denkbaren Einflussnahme des neuen Pflegebedurftigkeitsbegriffes auf das Handeln am- bulanter Dienste an. Hierbei sollen sowohl die Perspektiven professioneller Pflege und der ambulanten Dienste als auch die Bedurfnisse potenzieller KlientInnen berucksichtigt wer- den.

METHODIK Es erfolgte eine systematische Literaturrecherche in den Datenbanken CINAHL, LIVIVO, Medline und PubMed. Erganzt wurde diese Recherche durch Sichtung der Literaturverzeichnisse der gefundenen Studien. Daneben wurden weitere Fachbucher und die entsprechenden Gesetzestexte genutzt.

ERGEBNISSE Es konnten insgesamt 19 Studien und vier Fachartikel zur Bearbeitung der Fragestellung herangezogen werden. Aus dieser Literatur ging hervor, dass der neue Pflegebedurftigkeitsbegriff und die dazugehorige Gesetzesreform die Bedurfnisse Pflege- bedurftiger und ihrer Angehoriger nur teilweise berucksichtigen. Das Handlungsspektrum ambulanter Dienste wurde den Studien zufolge zwar in den vergangenen Jahren sukzes- siv erweitert, nicht alle Leistungen werden jedoch regelhaft angeboten. Auch sehen po- tenzielle KlientInnen von der Inanspruchnahme bestimmter Leistungen ab. Weiters konnte die rezipierte Literatur verdeutlichen, dass die ambulanten Dienste hinsichtlich ihrer Per­sonalsituation, der Beschaftigungsbedingungen und der Qualifikation des vorhandenen Personals eher unzureichend auf eine Angebotserweiterung vorbereitet sind.

SCHLUSSFOLGERUNGEN Die leitende Forschungsfrage konnte nur in Ansatzen beant- wortet werden. Es besteht ein weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich der tatsachlichen Erweiterung des Leistungsspektrums ambulanter Dienste sowie dessen Nutzung. Weiters konnte hinsichtlich der Entwicklung und Evaluation zielgruppengerechter Angebote eine Lucke in der Forschungsliteratur ausgemacht werden. Uberdies scheinen Grunde fur eine fehlende Inanspruchnahme noch unbekannt.

SCHLUSSELWORTER Ambulante Dienste, Hausliche Pflege, Pflegebedurftigkeit, Soziale Pflegeversicherung

Abstract

BACKGROUND In Germany, Social Long-Term Care Insurance underwent essential re­form, taking effect from January 1, 2017. Beyond introducing a new definition for care de­pendency, the benefits for insured persons were expanded.

OBJECTIVE The present bachelor thesis is designed to discuss the conceivable impact of the new definition of care dependency on the approach of home-care providers. This is to consider both the perspective of professional nursing care and home-care providers as well as the needs of potential care recipients.

METHODOLOGY A systematic literature review was conducted using the data bases CINAHL, LIVIVO, Medline, and PubMed. This was supplemented by a review of the stud­ies given in the reference lists of the studies identified. In addition, further articles, text­books and pertinent legislation were used.

RESULTS A total of nineteen studies and four research articles could be drawn upon to explore this issue. The literature found indicates that the needs of care recipients and their relatives are merely partly considered by the new definition of care dependency and the related statutory reform. While the scope of home-care providers saw successive expan­sion, according to the studies, not all benefits are provided as part of their standard ser­vices. In addition, potential recipients may decide to not make use of benefits in some cases. Moreover, the received literature makes it clear that, on the basis of their staff rati­os, their conditions of employment, and the qualifications of existing personnel, home-care providers tend to be insufficiently prepared for an expansion of services.

CONCLUSIONS The key issue of this bachelor thesis could only be settled in a limited manner. More research will be needed to clarify the actual expansion of the spectrum of services covered by home-care providers and the extent to which these services are used. In addition, a gap could be identified in the research literature that concerns the development and evaluation of target-group oriented service offers. Moreover, the rea­sons for not claiming benefits are still unknown.

KEY TERMS Home-care providers, community nursing, care dependency, social long­term care insurance

Abkurzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Bei der Literaturrecherche verwendete Suchbegriffe

Tab. 2: Ein- und Ausschlusskriterien bei der Literaturauswahl

Tab. 3: Pflegestufen und Leistungsanspruch (nach Anpassung 01.01.2015) angelehnt an Dt. Caritasverband (2017) und Hajek et al. (2017b)

Tab. 4: Pflegegrade und Leistungsanspruch angelehnt an Dt. Caritasverband (2017) und Franke (2016) 29

1. Einleitung

In Deutschland besteht die soziale Pflegeversicherung, die eine (Teil-) Absicherung des Risikos der Pflegebedurftigkeit vorsieht, seit dem Jahr 1995. Seither wurde dieser Versi- cherungszweig mehrfach reformiert, die Leistungen insbesondere fur demenziell erkrank- te Personen stetig ausgebaut (Heiber, 2016). Eine Definition von Pflegebedurftigkeit als Leistungsvoraussetzung ist gesetzlich festgeschrieben. Diese Pflegebedurftigkeit wurde bis einschlieBlich 2016 anhand von vorhandenem Unterstutzungsbedarf in den Bereichen „Korperpflege“, „Ernahrung“, „Mobilitat“ und „Hauswirtschaftliche Versorgung“ unter Zuhil- fenahme von normierten zeitlichen Durchschnittswerten fur einzelne Verrichtungen beur- teilt. Der individuelle Hilfebedarf wurde zuletzt in drei Pflegestufen sowie im Vorhanden- sein eingeschrankter Alltagskompetenz ausgedruckt (Heiber, 2015).

Zum 01.01.2017 wurde nun die gesetzliche Definition von Pflegebedurftigkeit abgeandert und das sogenannte Pflegestarkungsgesetz 2 (PSG II) trat in Kraft. Dieses Gesetzespaket brachte neben einem neuen Pflegebedurftigkeitsbegriff zahlreiche weitere Neuerungen mit sich. So wurde die Eingruppierung in Pflegestufen durch eine Zuordnung zu Pflege- graden abgelost. Diese Zuordnung geschieht unter Zuhilfenahme des „Neuen Begutach- tungsassessments“ (NBA), das den Grad der Selbstandigkeit ermittelt. Daruberhinaus wurden die Leistungsanspruche der Versicherten erweitert (Franke, 2016).

Gleichwohl lebten in Deutschland Ende 2015 etwa 2,9 Millionen Personen, die Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung bezogen. Ungefahr 2,1 Millionen Pflegebedurftige wurden zu Hause versorgt. Hiervon erhielten knapp 700 000 Menschen Unterstutzung durch professionelle ambulante Pflege. Die Versorgung pflegebedurftiger Personen in deren Wohnumfeld wurde deutschlandweit von 13 323 ambulanten Diensten ubernom- men (Statistisches Bundesamt [Destatis], 2017). Der gesetzlich festgeschriebene Leis- tungsausbau fur versicherte Personen steht an dieser Stelle der besonderen Situation ambulanter Dienste gegenuber. So beklagen ambulante Dienste Personalknappheit und die oft nur unzureichende Qualifikation der Mitarbeitenden (Isfort et al., 2016).

Die vorliegende Bachelorarbeit bezweckt eine Auseinandersetzung mit der geschilderten Gesetzesnovelle speziell in Bezug auf die professionelle ambulante Pflege. Dabei sollen die Bedurfnisse der NutzerInnen ambulanter Dienste ebenso berucksichtigt werden wie die Sichtweise professionell Pflegender1 und die Situation ambulanter Dienste.

Nachfolgend soll noch auf den weiteren Aufbau dieser Bachelorarbeit eingegangen wer- den. Eingangs wird das zu Grunde liegende Problem beschrieben, indem die im Verlauf relevanten Begriffe „Pflegebedurftigkeit“ und „hausliche Pflege“ vertieft werden. Im An­schluss daran werden die Ziele dieser Arbeit und die entwickelten Fragestellungen vorge- stellt. In einem weiteren Kapitel werden die methodische Vorgehensweise bei der Litera- turrecherche sowie die definierten Ein- und Ausschlusskriterien erortert. Weiters ist auf den theoretischen Rahmen dieser Arbeit, der von der sozialen Pflegeversicherung in Deutschland gebildet wird, naher einzugehen. Das darauffolgende Kapitel beschaftigt sich mit gesetzlichen und normativen Grundlagen professioneller Pflege und versucht, profes- sionelle Pflege und Laienpflege gegeneinander abzugrenzen. Nach einem eher allgemei- nen Kapitel zu den Merkmalen des deutschen Gesundheitswesens wird die sozialpoliti- sche Geschichte des neuen Pflegebedurftigkeitsbegriffes nachgezeichnet. Es folgt eine Vorstellung der organisatorischen und strukturellen Merkmale ambulanter Dienste, die neben einer Schilderung der Perspektive professionell Pflegender sowie der Situation und des Leistungsspektrums ambulanter Dienste auch die Bedurfnisse potenzieller Klientel einschlieBt. Ferner sind die Beschaftigungsbedingungen in ambulanten Diensten und der zukunftige Qualifikationsbedarf ambulant Pflegender zu verdeutlichen. In einem abschlie- Benden Diskussionsteil werden die Ergebnisse zusammenfassend interpretiert und Limi- tationen der vorliegenden Arbeit werden dargestellt. Auf diese Weise kann schlussfol- gernd ein Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf erfolgen.

2. Problembeschreibung

Industrialisierte Gesellschaften sind folgenschweren demografischen Prozessen ausge- setzt. Dies schlagt sich vorrangig in alternden Gesellschaften nieder. Von einer alternden Bevolkerung kann gesprochen werden, wenn sich der Anteil an Alteren zuungunsten jun- gerer Altersgruppen verschiebt. Wahrend zeitgleich das Unterstutzungspotenzial nachfol- gender Generationen schrumpft, steigt auf diese Weise die Zahl alterer Menschen, die dem Risiko der Pflegebedurftigkeit ausgesetzt sind. Dieses Pflegebedurftigkeitsrisiko ist in Deutschland zumindest teilweise durch die soziale Pflegeversicherung abgesichert (Hajek et al., 2017a; Nowossadeck, 2013). Der Bedarf an qualifizierter Pflege nimmt jedoch durch chronifizierte Krankheitsverlaufe, durch Veranderung der Familien- und Lebenssitu- ationen mit mehr Single-Haushalten sowie durch den vermehrten Einsatz neuer Techno- logien und Unterstutzungssysteme stetig zu (Friesacher, 2013).

Die vorliegende Bachelorarbeit strebt eine weiterfuhrende Auseinandersetzung mit hausli- chen Pflegearrangements bei bestehender Pflegebedurftigkeit vor dem Hintergrund der neuesten Reformbemuhungen der sozialen Pflegeversicherung an. Hierzu erfolgt zu- nachst eine Definition ausgewahlter Begriffe. Ferner werden relevante Hintergrundinfor- mationen zu diesen Begrifflichkeiten dargeboten. Auf diese Weise wird auf die Begriffe „Pflegebedurftigkeit“ und „hausliche Pflege“ eingegangen. Innerhalb des Kapitels, das sich mit der hauslichen Pflege befasst, erfolgt dann getrennt nach den pflegebeteiligten Akteu- ren eine Darstellung in je einem Unterkapitel. Dort wird zuerst erortert, was unter der Be- zeichnung „pflegende Angehorige“ zu verstehen ist. Weiters wird auf die „professionelle ambulante Pflege“ eingegangen. Das Forschungsproblem ergibt sich im Verlauf durch eine Verknupfung der einzelnen Begriffe.

2.1 Pflegebedurftigkeit

Dieses Kapitel befasst sich vorwiegend mit der Genese von Pflegebedurftigkeit auf Basis aktueller Forschungsliteratur. Auf die in der deutschen Sozialgesetzgebung verankerte Definition von Pflegebedurftigkeit als Anspruchsvoraussetzung fur Leistungen aus der Sozialversicherung wird zu einem spateren Zeitpunkt eingegangen.

Eingangs bleibt festzustellen, dass bis zum heutigen Tag kein international vereinbarter und gultiger Begriff von Pflegebedurftigkeit existiert (Bluher, Schnitzer & Kuhlmey, 2017). Konsens besteht jedoch dahingehend, dass Pflegebedurftigkeit gekennzeichnet ist von einer Abhangigkeit von personeller Hilfe. Veranschaulichend fur die Vielschichtigkeit des Begriffes der Pflegebedurftigkeit kann hier vorab eine Definition der OECD (2009) heran- gezogen werden. Pflegebedurftig sind demnach Personen, die langfristig in den Aktivita- ten des taglichen Lebens (wie Waschen, Kleiden, Nahrungsaufnahme, Mobilitat und Toi- lettennutzung) eingeschrankt sind, sowie daruber hinaus einen Unterstutzungsbedarf im Bereich der Haushaltsfuhrung und der Versorgung (wie Reinigung der Wohnung, Einkau- fe und Zubereitung der Mahlzeiten) haben (Fujisawa & Colombo, 2009). An dieser Stelle besonders hervorzuheben sind Mobilitatseinschrankungen, da in mehreren Studien nach- gewiesen werden konnte, dass eben diese Pflegebedurftigkeit nach sich ziehen (Bluher et al., 2017; van den Bussche et al., 2013; Hajek et al., 2017a).

Eventuell vorliegende Erkrankungen oder Behinderungen, die den Zustand der Pflegebe- durftigkeit begrunden, bleiben in der angefuhrten Definition unberucksichtigt. Grundsatz- lich beruht Pflegebedurftigkeit jedoch nach Bluher et al. (2017) auf chronischen Erkran- kungen oder Behinderungen sowie deren Folgen. Insbesondere Demenz, Harninkonti- nenz, Zustand nach Schlaganfall und Herzinsuffizienz gelten als Diagnosen, die fur Be- troffene mit einem hohen Risiko einhergehen, pflegebedurftig zu werden (van den Bus- sche et al., 2013). Onkologische Erkrankungen, Diabetes und Morbus Parkinson stehen ebenfalls im Zusammenhang mit einer erhohten Pflegewahrscheinlichkeit. Vor allen Din­gen das gleichzeitige Bestehen mehrerer Erkrankungen (Multimorbiditat) steigert das Pflegebedurftigkeitsrisiko in besonderem MaBe (Koller et al., 2014). Unter pflegebedurfti- gen Personen zeigt sich daruberhinaus eine signifikante Pravalenz von Depressionen, deren Rolle bei der Entstehung von Pflegebedurftigkeit allerdings noch weitestgehend unklar ist (Bluher et al., 2017). MutmaBlich kann Pflegebedurftigkeit in diesem Kontext nicht ausschlieBlich als eine funktionelle Einschrankung verstanden werden, sondern ist um den Aspekt des fehlenden Antriebes zu erweitern. Sauter (2011) erklart ebendiesen Antrieb als innere Kraft, Energie, Initiative und Motivation zur zielgerichteten Aktivitat.

Zu den weiteren Einflussfaktoren und damit verbundenen Moglichkeiten, Pflegebedurftig- keit zu verhindern, finden sich zahlreiche Forschungsberichte mit unterschiedlichen An- satzen. Einigkeit scheint in der Literatur dahingehend zu bestehen, dass das Risiko der Pflegebedurftigkeit mit zunehmendem Lebensalter ansteigt (Bluher et al., 2017; Borchert & Rothgang, 2008; Kochskamper & Pimpertz, 2014). Um Prognosen bezuglich der zu- kunftigen Entwicklung von Pflegebedurftigkeit zu stellen, ist ein besonderes Augenmerk auf den demografischen Wandel zu richten. So ist nach Nowossadeck (2013) in Deutsch­land die Gruppe der Hochaltrigen von 80 Jahren und alter die am dynamischsten wach- sende Bevolkerungsgruppe. Da diese Entwicklung aber sowohl von steigender Lebens- erwartung als auch medizinischem Fortschritt begleitet wird, kann sie unter Zuhilfenahme dreier unterschiedlicher Szenarien betrachtet werden:

1) Die Expansionsthese besagt, dass der Gewinn an Lebenszeit mit einem Mehr an Krankheit, medizinischem Behandlungsbedarf und daraus resultierend auch mit Pflegebedurftigkeit korreliert.
2) Die These des dynamischen Aquilibriums geht davon aus, dass ein Ruckgang der Mortalitat mit einem Ruckgang beim Schweregrad chronischer Krankheiten kor- respondiert, was zu einer Zunahme der Lebenszeit ohne bzw. mit nur leichten Ein- schrankungen fuhren wurde.
3) Die Kompressionsthese beinhaltet, dass die Lebenserwartung ohne Beeintrachti- gungen schneller wachst als die Gesamtlebenserwartung. Pflegebedurftigkeit wur- de sich auf diese Weise in hohere Altersgruppen verschieben.

Welches dieser Szenarien die zukunftige Entwicklung bestimmt, kann noch nicht endgultig festgestellt werden. Wurde die Entwicklung jedoch der Kompressionsthese entsprechen, konnte das AusmaB zukunftiger Pflegebedurftigkeit durchaus etwas gedampft werden (Kochskamper & Pimpertz, 2014; Nowossadeck, 2013).

Neben den oben genannten Thesen werden von diversen AutorInnen auch weitere Fakto- ren diskutiert, die das Risiko der Pflegebedurftigkeit im hoheren Lebensalter mitbestim- men. Im Lebensverlauf werden etwa jeder zweite Mann und zwei Drittel der Frauen pfle- gebedurftig (Bluher et al., 2017; Unger, Giersiepen & Windzio, 2015). Weibliches Ge- schlecht kann also demnach als Determinante der Pflegebedurftigkeit angesehen werden. Dies ist zwar einerseits mit der hoheren Lebenserwartung von Frauen zu erklaren, jedoch sind Frauen im Vergleich zu Mannern beim Eintritt in die Pflegebedurftigkeit alter und be- notigen meist auch uber einen langeren Zeitraum Unterstutzung (Dorin, Krupa, Metzing & Buscher, 2015; Schwinger, Jurchott & Tsiasioti, 2017).

Daruberhinaus konnten auch soziale Determinanten der Pflegebedurftigkeit identifiziert werden. Diese konnen auch als objektiv erfassbare Dimensionen der Lebensqualitat be- zeichnet werden. Hierzu gehoren zunachst der Familienstand und das Vorhandensein sozialer Netzwerke (Bluher et al., 2017; Unger et al., 2015). Auffallig ist hier insbesondere, dass das Pflegebedurftigkeitsrisiko fur Personen, die in einer Partnerschaft leben, offen- bar geringer ist als fur Alleinlebende oder Verwitwete (Hajek et al., 2017a; Unger et al., 2015). Das Vorhandensein naher Angehoriger und sozialer Netzwerke scheint ahnliche Effekte zu haben. Konkrete Hintergrunde sind bislang noch weitgehend unklar. Denkbar ware hier, dass sich diese sozialen Unterstutzungsressourcen positiv auf die Forderung der kognitiven Leistungsfahigkeit oder der korperlichen Aktivitat auswirken (Bluher et al., 2017). Einschrankend ist an dieser Stelle anzumerken, dass Studien zu dieser Thematik (Hajek et al., 2017a; Unger et al., 2015) bereits vorhandene Daten der deutschen Pflege- kassen analysieren. So kann durchaus vermutet werden, dass eine zwar bestehende Pflegebedurftigkeit bei gleichzeitigem Bestehen einer Partnerschaft oder beim Vorhan- densein sozialer Netzwerke uber einen langeren Zeitraum von Dritten kompensiert wer- den kann und in der Folge nicht in den Fokus der Pflegekassen ruckt. Weiters konnten die geschilderten Effekte fur untere Einkommensschichten nicht nachgewiesen werden. So kann angenommen werden, dass diese Statusgruppen durchaus eher auf die finanziellen Anreize der Pflegekassen ansprechen (Bluher et al., 2017; Unger et al., 2015). Im Um- kehrschluss beeinflusst ein hohes Einkommen nach Unger et al. (2015) die funktionelle Gesundheit positiv und wirkt somit auch protektiv auf Pflegebedurftigkeit. Untere Einkom- mensschichten konnen als morbider eingestuft werden und unterscheiden sich von den hoheren Einkommensschichten nicht zuletzt durch Wohnbedingungen, Lebensstile und den Zugang zu medizinischen Leistungen.

Neben den bereits geschilderten objektiv erfassbaren Dimensionen wie Einkommen und Teilhabe in sozialen Netzwerken sind nach Bluher et al. (2017) auch subjektive Dimensio- nen des Konstrukts „Lebensqualitat“ wie allgemeines Wohlbefinden und Zufriedenheit mitverantwortlich fur die Entstehung von Pflegebedurftigkeit.

2.2 Hausliche Pflege

Europaweit findet sich kein einheitliches Verstandnis hauslicher Pflege. So werden nach Angaben der WHO (2012) in einzelnen europaischen Landern die spezifischen Aufga- bengebiete, die beteiligten Akteure und sogar die Zielgruppen hauslicher Pflege verschie- denartig aufgefasst. Aufgrund dieser Tatsache konzentriert sich die vorliegende Bachelor- arbeit auf die hausliche Pflege in Deutschland. Unter hauslicher Pflege wird hier in erster Linie die professionelle ambulante Pflege verstanden. Diese kann jedoch nach Buscher (2011) keinesfalls losgelost vom gesamten Feld hauslicher Pflege betrachtet werden. Als zentraler Ausgangspunkt einer weiterfuhrenden Betrachtung ist der Wohn- und Lebensort pflegebedurftiger Personen zu nennen (Buscher, 2011; WHO, 2012). Unter hauslicher Pflege ist nun zunachst „ ...das gesamte Spektrum von Akteuren, Arrangements und Akti- vitaten (...), die sich mit Hilfs-und Pflegefragen an eben diesem Ort in Verbindung bringen lassen“ (Buscher, 2011, S. 491) zu verstehen. Erklartes Ziel hauslicher Pflege ist nach Tarricone und Tsouros (2008) die Vermeidung stationarer Pflege. Da hausliche Pflege sowohl zur gesundheitlichen als auch zur sozialen Versorgung pflegebedurftiger Men- schen beitragt, ist sie sozialstaatlich zwischen Gesundheits- und Sozialwesen zu verorten (Buscher, 2011; Tarricone & Tsouros, 2008). Nachfolgende Ausfuhrungen befassen sich nun mit den unterschiedlichen Akteuren, die an der hauslichen Pflege beteiligt sind.

2.2.1 Pflegende Angehorige

„Pflegende Angehorige“ konnen dem sogenannten informellen Pflegesektor zugeordnet werden. Zunachst ist informelle Pflege als Pflegeleistung zu verstehen, die im hauslichen Bereich ohne Entgelt und ohne eine vertragliche Vereinbarung erbracht wird (Simoes et al., 2016). Diese Pflegeleistungen gestalten sich haufig sehr umfangreich und beinhalten Hilfe bei der Haushaltsfuhrung, korperbezogene Unterstutzung sowie spezielle pflegeri- sche MaBnahmen. Zusatzlich werden auch Betreuungsaufgaben wahrgenommen. Hierzu gehoren beispielsweise Begleitung zu Untersuchungsterminen, Ermoglichung sozialer Kontakte und emotionale Unterstutzung. Im Falle kognitiver Beeintrachtigung wird durch die Angehorigenpflege mitunter eine permanente Beaufsichtigung der pflegebedurftigen Person sichergestellt (Albrecht et al., 2016; Buker, 2015).

Nachdem der Umfang der informellen Pflegeleistungen dargestellt wurde, ist es in der Folge notwendig, sich mit dem Terminus „Angehorige“ zu befassen. Im vorliegenden Zu- sammenhang beinhaltet dieser Begriff namlich nicht zwangslaufig ein enges Verwandt- schaftsverhaltnis zur pflegebedurftigen Person. Zunehmend werden Hilfeleistungen im hauslichen Bereich auch von Wahlverwandten, FreundInnen, NachbarInnen, Lebensge- fahrtInnen und weiteren Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld erbracht (Buker, 2015; Buscher & Schnepp, 2011). Die Terminologie „Angehorige“ schlieBt demnach alle Personen ein, die sich einem Pflegebedurftigen verbunden fuhlen und vor diesem Hintergrund Hilfe, Pflege und Betreuung erbringen“ (Buker, 2015, S. 11). Die Beziehung zwischen pflegebedurftigen Personen und pflegenden Angehorigen ist gepragt von Nahe und Emotionalitat und bestand regelhaft bereits vor der Entstehung des Hilfebedarfs (Bu­scher & Schnepp, 2011)2.

Pflegende Angehorige tragen maBgeblich zur Ausgestaltung hauslicher Pflegearrange- ments bei. So entscheiden sie gemeinsam mit Pflegebedurftigen (oder auch stellvertre- tend fur diese) uber Zeitpunkt, Umfang, Art und Haufigkeit der Inanspruchnahme von pro- fessionellen Pflegeleistungen (Buscher & Schnepp, 2011). Nicht selten wird die Uber- nahme der Pflege eines Angehorigen gesellschaftlich als Selbstverstandlichkeit betrachtet (Buker, 2015; WHO, 2012). Daraus resultierend ruckt Angehorigenpflege erst dann in den Fokus offentlicher Diskussionen, wenn ihre Verfugbarkeit abnimmt. So ist nach wie vor die Gesamtheit der Personen, die in Deutschland Aufgaben der Angehorigenpflege wahr- nehmen, statistisch nicht erfasst (Buscher & Schnepp, 2011; Simoes et al., 2016). Den- noch existieren jungere Studien, die den finanziellen Umfang der Angehorigenpflege im Vergleich zur Lohnarbeit beispielhaft abschatzen. Albrecht et al. (2016) rechnen informelle Pflegekosten bei geriatrischen PatientInnen, die nach einem Schlaganfall in der Hauslich- keit versorgt werden, basierend auf dem Stundenlohn fur unqualifizierte Pflegepersonen im Angestelltenverhaltnis (9,62 Euro pro Stunde) auf bis zu 2 252 Euro monatlich hoch. Legt man nach Albrecht et al. (2016) dieser Beispielrechnung den Lohn einer dreijahrig ausgebildeten Pflegefachkraft zu Grunde, so wurden sich die Kosten sogar verdoppeln. Diese Zahlen vermogen den okonomischen Wert der Angehorigenpflege eindrucksvoll zu verdeutlichen.

Aufgrund dieser gesamtgesellschaftlichen Relevanz ist die Angehorigenpflege Gegen- stand zahlreicher Forschungsbemuhungen (Albrecht et al., 2016; Dorin et al., 2015; Ba­ckes et al., 2008). Die Forschung uber Angehorigenpflege in Deutschland zielt in erster Linie darauf ab, pflegende Angehorige zu charakterisieren und ihr Belastungserleben zu erfassen. Diese Erkenntnisse dienen als Basis zur Entwicklung zielgruppengerechter In- terventionen, die es ermoglichen, hausliche Pflegearrangements uber einen moglichst langen Zeitraum stabil aufrecht zu erhalten.

Im Lebensverlauf findet Angehorigenpflege meist zum Ende oder nach Abschluss der „Familienphase“ statt (Backes, Wolfinger & Amrein, 2008), der uberwiegende Teil der pflegenden Angehorigen ist zwischen 50 und 60 Jahren alt (Buscher & Schnepp, 2011). Seitens pflege- und gesundheitswissenschaftlich Forschenden besteht Einigkeit dahinge- hend, dass die Ubernahme von Angehorigenpflege eine sehr belastende Aufgabe darstellt (Buscher & Schnepp, 2011). Auswirkungen auf die Lebenssituation pflegender Angehori- ger sind nach Backes et al. (2008) sowie nach Buker (2015) je nach sozialer Lage und Geschlecht unter anderem auf die physische und psychische Gesundheit, das subjektive Belastungserleben, die soziale Einbindung, die Verfugbarkeit von materiellen und immate- riellen Ressourcen sowie das Gesundheitsverhalten festzustellen. Hier sind gering aus- gepragte geschlechtsspezifische Unterschiede beobachtbar. So schildern informell pfle- gende Frauen haufiger eingeschranktes Wohlbefinden als Manner und beklagen im Ver- gleich auch vermehrt Depressionen (Buscher & Schnepp, 2011; Dorin et al., 2015).

Es scheint (insbesondere angesichts zukunftiger Entwicklungsmoglichkeiten von Pflege- bedurftigkeit) durchaus sinnvoll, Prognosen hinsichtlich moglicher Pflegeubernahme durch Angehorige zu erstellen. Das Potenzial der Angehorigenpflege in Ganze ist nach Nowos- sadeck (2013) als eher rucklaufig einzuschatzen. In erster Linie steigt mit einer Zunahme der Lebenserwartung die Wahrscheinlichkeit, partnerlos zu leben. Zwar nahert sich die Lebenserwartung von Mannern und Frauen an, im Gegensatz vorangegangenen Genera- tionen weist die heutige Generation alterer Menschen auch weniger kriegsbedingte Ge- schlechterdisproportionen auf. Zunehmend kommen jedoch Menschen ins hohe Alter, die aufgrund von Trennung und ausbleibender Wiederaufnahme einer Beziehung im Lebens- verlauf partnerlos leben.

Die Bereitschaft zur Ubernahme von Angehorigenpflege kann nichtsdestotrotz auch in Zukunft als hoch bezeichnet werden. Jedoch wird es fur die heutigen Erwachsenen im mittleren Lebensalter zukunftig weniger Kinder und Schwiegerkinder geben, die hausliche Pflege ubernehmen konnten (Nowossadeck, 2013). Diese Entwicklung ist der enormen Abnahme der Geburtenrate in Deutschland seit 1964 geschuldet3 (Destatis, 2014). Weite- re Grunde fur die Abnahme des Pflegepotenzials durch Angehorige sind die zunehmende (Vollzeit-) Erwerbstatigkeit von Frauen bei gleichzeitig mangelnden strukturellen Voraus- setzungen zur Vereinbarkeit von Erwerbstatigkeit und Angehorigenpflege. Daruberhinaus tragt eine zunehmende Erwerbs- und Wohnmobilitat dazu bei, dass eine raumliche Dis- tanz zwischen pflegebedurftigen Eltern und deren erwachsenen Kindern informelle Pfle- gearrangements erschwert (Dorin et al., 2015; Nowossadeck, 2013). Insbesondere im landlichen Raum stellt die informelle Pflege bedingt durch Abwanderung der jungeren Generation und niedrige Haushaltseinkommen keine unbegrenzte Ressource dar. Ebenso werden Belastungen durch familiale Pflege im landlichen Raum als hoher empfunden (Beetz, Voigt, Gasch & Rodriguez-Abello, 2015).

2.2.2 Professionelle ambulante Pflege

Professionelle ambulante Pflege ist dem sogenannten formellen Pflegesektor zugeordnet. In diesem Sektor wird die pflegerische Versorgung im Rahmen bezahlter Arbeitsverhalt- nisse erbracht (Buscher, 2011). Vorrangige Aufgaben der professionellen ambulanten Pflege sind Unterstutzung und Stabilisierung hauslicher Pflegearrangements (Buscher & Horn, 2010; Slotala, 2011). Der eingangs geschilderten Ansiedlung der professionellen ambulanten Pflege zwischen Gesundheits- und Sozialwesen ist die Tatsache geschuldet, dass trotz zahlreicher Reformbemuhungen auch heutzutage noch unklare Vorstellungen uber den konkreten Aufgabenbereich professioneller ambulanter Pflege vorherrschen (Buscher, 2011; Isfort et al., 2016). Professionelle ambulante Pflege umfasst Unterstut- zung bei den Aktivitaten des taglichen Lebens4 und hauswirtschaftliche Hilfen. Daruber- hinaus erbringt in Deutschland der GroBteil der ambulanten Dienste neben den genann- ten Leistungen auch Leistungen der medizinischen Versorgung, die nach arztlicher Ver- ordnung von den Krankenkassen finanziert werden. Als Beispiele dafur konnen Verabrei- chung von Injektionen, Anlegen von Verbanden, Wundversorgung und Medikamentenga- be angefuhrt werden (Isfort et al., 2016; Simoes et al., 2016). Zusatzlich gehoren die Be- reitstellung von gesundheits- bzw. krankheitsbezogenen Informationen und die Durchfuh- rung edukativer MaBnahmen zum Tatigkeitsprofil professioneller ambulanter Pflege (Isfort et al., 2016; WHO, 2012). In der Konsequenz kollidieren hier nach Buscher (2011) plan- maBig die Aufgaben einer familien- und lebensweltorientierten, begleitenden Pflege einer- seits mit denen komplexer Behandlungsverfahren andererseits. Diese Aufgabenvielfalt fuhrt nicht zuletzt dazu, dass die Zustandigkeiten ambulanter Pflege erheblich durch an- dere Versorgungsbeteiligte bestimmt werden. Oftmals liegt eine Entscheidung uber Art und Umfang ambulanter Pflegeleistungen bei Familienangehorigen und/ oder arztlichem Fachpersonal (Buscher, 2011; Isfort et al., 2016). Dieser Umstand zeigt sich nicht zuletzt mitverantwortlich fur Uber- bzw. Unterversorgung im hauslichen Bereich (Lahmann, Suhr, Kuntz & Kottner, 2015).

Daruberhinaus schildern Beetz et al. (2015) fur die professionelle ambulante Pflege ein Stadt-Land-Gefalle. In landlichen Gebieten ist demnach sowohl der Zugang zu Dienstleis- tungen als auch das Dienstleistungsspektrum weniger entwickelt. Zusatzlich wird Pflege auf dem Land fur die ambulanten Dienste wegen langen Anfahrtswegen und dem Wegfall eines pauschalierten Entgelts fur die Anfahrt zunehmend unrentabler.

3. Zielsetzung und Fragestellung

Die vorangegangenen Ausfuhrungen konnten zeigen, dass der Bereich der hauslichen Pflege in Deutschland ein Politikum darstellt. Die hausliche Pflege stellt die Gesetzgebung immerfort vor groBe Herausforderungen. Zur Veranschaulichung sind diese nachfolgend erneut kurz zusammengefasst:

1) Pflegebedurftigkeit ist ein sehr vielschichtiges Phanomen mit unterschiedlichen Erscheinungsformen, die in der hauslichen Versorgung passgenaue Individuallo- sungen erfordern.
2) Pflegende Angehorige nehmen eine gesellschaftlich hochst relevante, jedoch stark belastende Aufgabe wahr. Langfristig droht das Potenzial der Angehorigenpflege zu sinken. Im Zeitverlauf hat sich die Personengruppe der pflegenden Angehori- gen hinsichtlich bestimmter Merkmale (z.B. verwandtschaftliche Beziehung, Be- rufstatigkeit) verandert. Als Konsequenz daraus entstehen neue Unterstutzungs- bedurfnisse.
3) Professionelle ambulante Pflege nimmt Aufgaben des Gesundheits- und des Sozi- alwesens wahr. Die Zielgruppen sind uber das konkrete Aufgabenspektrum nur unzureichend informiert. Uber Art und Umfang professioneller ambulanter Pflege entscheiden meist weder professionelle Pflegepersonen noch die administrativen Instanzen der Leistungstrager. Vielmehr wird die Inanspruchnahme von arztlichem Personal und Angehorigen in die Wege geleitet. So besteht die Gefahr der Uber- bzw. Unterversorgung.

Unter besonderer Berucksichtigung der vorgenannten Punkte strebt die vorliegende Ba- chelorarbeit an, das Potenzial der professionellen ambulanten Pflege unter besonderer Berucksichtigung der aktuellen Sozialgesetzgebung in Deutschland weiterfuhrend darzu- stellen und zu diskutieren. Die leitende Forschungsfrage stellt sich dabei wie folgt:

Wie beeinflusst der Pflegebedurftigkeitsbegriff das Handeln ambulanter Dienste?

Um diese Fragestellung auf der Basis aktueller Forschungsliteratur beantworten zu kon- nen, wurden weitere Unterfragen entwickelt:

- Auf welche sozialpolitische Geschichte blicken der Pflegebedurftigkeitsbegriff und die hausliche Pflege zuruck?
- Wie sind die strukturellen und organisatorischen Merkmale ambulanter Dienste?
- Wie sind die Beschaftigungsbedingungen in ambulanten Diensten?
- Welchen zukunftigen Qualifizierungsbedarf gibt es fur Pflegende, die in ambulan- ten Diensten tatig sind?

In Folge soll zunachst die sozialpolitische Geschichte des Pflegebedurftigkeitsbegriffes seit der Einfuhrung der Pflegeversicherung anhand der unterschiedlichen Definitionen und der in der Begutachtung von pflegebedurftigen Personen eingesetzten Erhebungsinstru- mente etwas vertieft werden. Um die pflege- und gesundheitsbezogene Versorgung durch ambulante Dienste in Deutschland genauer zu beschreiben, sollen im Verlauf strukturelle und organisatorische Aspekte der hauslichen Pflege auch im internationalen Vergleich hervorgehoben werden. Hierbei soll auch auf die von Pflegebedurftigen und deren Ange- horigen bevorzugten hauslichen Pflegearrangements eingegangen werden. Ein weiteres Kapitel beschaftigt sich mit den aktuell vorherrschenden Beschaftigungsbedingungen in ambulanten Diensten. Zusatzlich werden bereits bestehende Herausforderungen und zu erwartende Veranderungen im Qualifikationsprofil der Beschaftigten in ambulanten Diens- ten diskutiert.

4. Methodik

Basis der vorliegenden Bachelorarbeit bildet eine systematische Literaturrecherche, die sich mit der Fragestellung auseinandersetzt, inwieweit der Pflegebedurftigkeitsbegriff das Handeln ambulanter Pflegedienste in Deutschland mitbestimmt. Die durchgefuhrte Litera- turrecherche strebt an, den derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu der be- schriebenen Problematik darzulegen. Eine orientierende Literaturrecherche erfolgte im Vorfeld der Expose-Erstellung. Hier wurden zunachst nur die Hochschulbibliotheken der Katholischen Fachhochschule Koln und der Technischen Hochschule Koln/ Abteilung Geisteswissenschaft sowie die elektronische Zeitschriftenbibliothek der PMU genutzt.

Weiterfuhrend wurde im Mai 2017 eine Suche nach aktueller Forschungsliteratur uber die elektronischen Datenbanken CINAHL, LIVIVO, Medline und PubMed durchgefuhrt. Dabei wurde beispielweise bei der Recherche mit dem einzelnen Suchbegriff „pflegebedurftig“ (care-dependent) in der Datenbank PubMed uber 38 000 Ergebnisse erzielt. Auf diese Weise wurde rasch deutlich, dass neben der Auswahl der Suchbegriffe und der Prufung von Ein- und Ausschlusskriterien auch die Verwendung Boolescher Operatoren zur weite- ren Eingrenzung eine entscheidende Rolle spielt. Nachfolgend wird nun die Vorgehens- weise bei der Literaturrecherche detailliert beschrieben.

4.1 Literaturrecherche mittels Suchmaschinen

Die zur Beantwortung stehenden Fragestellungen beinhalten vier Komponenten: Pflege- bedurftigkeit, pflegende Angehorige, ambulante Dienste und professionell Pflegende. Um relevante Literatur zu identifizieren, wurden deutsch- und englischsprachige Suchbegriffe verwendet, die diese Komponenten der Fragestellungen moglichst genau abbilden.

Zu Beginn der Recherche wurden auch Begriffe aus dem Bereich der gesetzlichen Pfle- geversicherung (long term care insurance, statutory nursing care insurance) miteinbezo- gen. Nach einer ersten Sichtung der Suchergebnisse wurden diese Begriffe jedoch auf- grund der inhaltlichen Nahe zu den weiteren Themenkomplexen nicht weiter verfolgt.

Auf eine Verknupfung der Suchbegriffe „deutsch“ bzw. „Deutschland“ (german, Germany) durch den Booleschen Operator AND mit den in der Tabelle angefuhrten Suchbegriffen wurde ebenfalls verzichtet, da auf diese Weise die Trefferzahl zu stark eingegrenzt wurde.

Von Suchanfragen mit einzelnen Suchbegriffen wurde aufgrund der immens hohen Tref- ferzahl gleichermaBen abgesehen. Vielmehr wurden die Suchanfragen mit Kombinationen aus zwei bzw. drei der Suchbegriffe durchgefuhrt. Aufgrund der auf diese Weise gleich- sam erzielten hohen Trefferzahl sowie zur Gewahrleistung des Einsatzes aktueller For- schungsliteratur wurde die Suche auf Studien aus den vergangenen funf Jahren be- schrankt und zur weiteren Eingrenzung als Boolescher Operator ausschlieBlich AND ver- wendet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Bei der Literaturrecherche verwendete Suchbegriffe

Als besonders ertraglich stellten sich hier die Kombinationen „home care nursing service“ AND „staff“, „community nursing“ AND „staff“ und „community nursing“ AND „abilities“ heraus. Hier blieb eine Einschrankung durch die Kombination mit NOT „nursing home“ zum Ausschluss von Artikeln, die stationare Pflege behandeln, erfolglos. Infolge wurden die vorgenannten Begriffskombinationen in den Einstellungen der Suchmaschinen als einzige auf klinische Studien bzw. auf das Vorkommen der Suchbegriffe in Titel und Abstract limitiert.

Ein vorlaufiger Uberblick uber die von den verwendeten Suchmaschinen erzielten Treffer stellt sich wie folgt dar:

- CINAHL: 80 Treffer
- LIVIVO: 211 Treffer
- Medline: 145 Treffer
- PubMed: 121 Treffer

4.2 Ein- und Ausschlusskriterien

Zunachst wurden Suchtreffer, bei denen kein Abstract verfugbar war, nicht weiter verfolgt. Nach Ausschluss doppelter Treffer blieben 137 verschiedene Artikel und Studien ubrig. Von diesen 137 wurden nach Sichtung von Titel und Abstract 61 Studien und Artikel fur weiter relevant erachtet.

Diese 61 Artikel und Studien konnten im Volltext entweder uber die jeweilige Datenbank, die elektronische Zeitschriftenbibliothek der PMU oder die Zeitschriftenbibliothek der Ka- tholischen Fachhochschule Koln gewonnen werden. Darunter befand sich auch eine Buchveroffentlichung. Aus den jeweiligen Literaturverzeichnissen wurden weitere vier Studien und ein Review als moglicherweise zweckdienlich fur die Beantwortung der For- schungsfragen erachtet. Hiervon konnten vier Volltexte uber die elektronische Zeitschrif- tenbibliothek der PMU organisiert werden.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2010 konnte uber das pflegewissenschaftliche Institu­tes der Universitat Bielefeld beschafft werden. Diese Studie ist als einzige alter als funf Jahre. Da jedoch die ExpertInnenperspektive hinsichtlich der Beschaftigungsbedingungen in der ambulanten Pflege und den damit verbundenen Herausforderungen in den voran- gegangenen Ergebnissen der Literaturrecherche deutlich unterreprasentiert ist, wurde diese Studie dennoch fur die weitere Bearbeitung des Forschungsproblems genutzt.

In einem weiteren Schritt wurden quantitative Studien in Anlehnung an Law et al. (1998) beurteilt. Law et al. (1998) haben ein Formular zur kritischen Besprechung quantitativer Studien entwickelt. Im Zuge dessen wurden nachfolgend angefuhrte Aspekte erfasst:

- Zweck der Studie,
- relevante Hintergrundliteratur,
- das Studiendesign,
- die Stichprobe (Art und Auswahl),
- MaBnahmen,
- Ergebnisse (einschlieBlich Einhaltung klassischer Gutekriterien Reliabilitat, Validi- tat und Objektivitat),
- Schlussfolgerungen und klinische Implikationen.

Qualitative Studien wurden auf die Einhaltung der von Mayring (2016) vorgeschlagenen alternativen Gutekriterien untersucht. Um die Qualitat qualitativer Forschungsarbeiten zu beurteilen, empfiehlt Mayring (2016) sechs alternative Gutekriterien:

- Verfahrensdokumentation (detaillierte Beschreibung des Forschungsprozesses),
- Argumentative Interpretationsabsicherung (Interpretation der Daten wird mit Ar- gumenten gestutzt, ist in sich schlussig und intersubjektiv nachvollziehbar),
- Regelgeleitetheit (Einhaltung bestimmter Verfahrensregeln bei der Bearbeitung des Datenmaterials),
- Nahe zum Gegenstand (lebensweltliche Ausrichtung der Forschung),
- Kommunikative Validierung (Uberprufung der Ergebnisse im Austausch mit den untersuchten Subjekten) und
- Triangulation (um Losungswege zu finden werden verschiedene Datenquellen einbezogen und die Ergebnisse verglichen).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Ein- und Ausschlusskriterien bei der Literaturauswahl

Aufgrund des sehr breiten Literaturspektrums wurde rasch deutlich, dass zusatzlich zu den bereits erwahnten Ausschlusskriterien weitere inhaltliche Ausschlusskriterien zu for- mulieren sind. So beschaftigen sich beispielsweise zahlreiche Studien mit speziellen For- men der ambulanten Pflege, einige wiederum mit Assessmentinstrumenten, die in der ambulanten Pflege eingesetzt werden oder wurden (z.B. Braden-Skala). Vier Artikel be- schaftigten sich uberwiegend mit Behandlungspflege und den damit verbundenen Mog- lichkeiten zur Entlastung des niedergelassenen arztlichen Personals. Da diese Studien nur einen bedingten Bezug zu den Fragestellungen haben, wurden sie ebenfalls ausge- schlossen.

Letztlich konnten neben den Fachbuchern als Ergebnis der Literaturrecherche 19 Studien und vier Fachartikel zur Beantwortung der Forschungsfragen herangezogen werden.

[...]


1 Als Pflegende oder Pflegepersonen werden in der vorliegenden Arbeit Personen bezeichnet, die eine mindestens dreijahrige Ausbildung abgeschlossen haben und nach dem geltenden Kranken- pflege- bzw. Altenpflegegesetz in Deutschland zur Berufsausubung berechtigt sind. Weitere Per- sonen, die mit pflegerischen Aufgaben betraut sind, werden explizit genannt.

2 Weitere Personen und Institutionen (z.B. ehrenamtlich Tatige, Kirchengemeinden) die unter Um- standen informelle Pflege erbringen, finden in dieser Bachelorarbeit aufgrund der fehlenden emoti- onalen Beziehungsdimension keine weitere Berucksichtigung.

3 Zwischen 2011 und 2015 konnte ein leichter Anstieg der Geburtenrate in Deutschland verzeich- net werden. Die Geburtenrate liegt mit 1,5 Kindern pro Frau jedoch unter dem EU-Durchschnitt von 1,58 Kindern pro Frau (Destatis, 2017b).

4 Die „Aktivitaten des taglichen Lebens“ gehen auf die von Virginia Henderson im Kontext der Pfle- ge beschriebenen „Grundbedurfnisse“ und die „Lebensaktivitaten“ nach Nancy Roper zuruck (Juchli, 1997).

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes unter Berücksichtigung ambulanter Dienste in Deutschland
Hochschule
Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
75
Katalognummer
V513851
ISBN (eBook)
9783346119308
ISBN (Buch)
9783346119315
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ambulante Dienste, Häusliche Pflege, Pflegebedürftigkeit, Soziale Pflegeversicherung
Arbeit zitieren
Stephan Bartholomes (Autor:in), 2017, Die Bedeutung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes unter Berücksichtigung ambulanter Dienste in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513851

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