Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess im Kontext seiner Vorgeschichte und Wirkung


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Die deutsche Öffentlichkeit und die NS-Vergangenheit
in den fünfziger Jahren
1 1. Die frühen fünfziger Jahre
1 2. Beginn eines Umschwungs

2. Auschwitz-Prozess in Frankfurt a. M. 1963-1965
2.1. Vorgeschichte
2.2. Der Prozess
2.3. Das Urteil

3. Der Auschwitz-Prozess und die deutsche Öffentlichkeit
3.1. Die Presseberichterstattung
3.2. Die Wirkung des Prozesses: Versuch einer Deutung

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Auschwitz-Prozess war ein juristisches Großereignis der sechziger Jahre, das den weiteren Verlauf der „Vergangenheitsbewältigung“ sicher entscheidend beeinflusste. Er ist aber gleichzeitig in seiner Form und seinem Ergebnis Resultat einer komplexen Entwicklung der Haltung der deutschen Bevölkerung zur nationalsozialistischen Vergangenheit, und seine spezifischen Eigenheiten sind nur aus dieser heraus zu verstehen. Ziel dieser Arbeit ist es, den Prozess und seine unmittelbare Rezeption in der Öffentlichkeit vor dem Hintergrund jener Entwicklungen zu schildern. Dazu wird zunächst ein Überblick über den gesellschaftlichen, politischen und juristischen Umgang mit dem Nationalsozialismus in den frühen fünfziger Jahren gegeben, um dann die Entwicklung nachzuzeichnen, die dieser im letzten Drittel des Jahrzehnts durchmachte. Dann wird der Auschwitz-Prozess mit seiner Vorgeschichte dargestellt und ein Einblick in die juristischen Grundlagen des Urteils gegeben. Schließlich wird im dritten Kapitel die Presseberichterstattung zum Prozess kurz analysiert und der Versuch unternommen, die allerdings unzureichend dokumentierte Rezeption dieser Berichterstattung zu beschreiben und kurz zu deuten. Bei der verwendeten Literatur sind vor allem die Publikationen des Fritz Bauer-Institutes und Irmtrud Wojaks zu nennen, die den Auschwitz-Prozess am besten abdecken. Außerdem sei auf die Monographie von Gerhard Werle und Thomas Wandres hingewiesen, die neben einer umfassenden Zusammenfassung des Prozesses auch eine auszugsweise Dokumentation des Auschwitz-Urteils bietet.

1. Die deutsche Öffentlichkeit und die NS-Vergangenheit in den fünfziger Jahren

1.1. Die frühen fünfziger Jahre

Der gesellschaftliche und politische Umgang mit der „jüngsten Vergangenheit“ in der Nachkriegszeit war in Forschung und Publizistik Gegenstand heftiger Debatten, die zwischen einer völligen Leugnung jeglicher „Vergangenheitsbewältigung“ in der Nachkriegsgesellschaft einerseits, und der Annahme eines übertriebenen „Bewältigungseifers“ auf der anderen Seite oszillieren.[1] Ohne dass die Kontroverse an dieser Stelle genau nachgezeichnet werden könnte, wird im Folgenden versucht, einen kurzen und eher groben Überblick über das Thema in Anlehnung an die gemäßigteren Beiträge der Forschung zu geben.

Peter Steinbach bezeichnet in seiner Studie zum öffentlichen Umgang mit der NS-Gewaltverbrechen in der Nachkriegszeit die fünfziger Jahre als gekennzeichnet durch ihre „Ambivalenz, ihre Stellung zwischen Vergangenheit und Zukunft“.[2] Auf der einen Seite stand der staatliche Neubeginn und die Konsolidierung einer demokratisch-freiheitlichen Verfassungsordnung, damit eng verbunden auch die Eingliederung in die westliche Staatengemeinschaft. Diese erforderten eine eindeutige Abgrenzung vom Nationalsozialismus, einen „normativen Bruch mit der NS-Vergangenheit“.[3] Auf der anderen Seite stand das Millionenheer der ehemaligen Nationalsozialisten, Befürworter des Nationalsozialismus wie Mitläufer, die es in den neuen Staat zu integrieren galt.[4] Diese „bestimmten nun allein schon aufgrund ihrer Masse die Bedingungen ihrer Integration zu einem erheblichen Teil selbst“, wie Norbert Frei feststellt.[5]

Unbestritten ist das Bedürfnis nach einem völligen Neuanfang und dem „Ruhenlassen der Vergangenheit“, das in den ersten Jahren der Bundesrepublik in einen breiten gesellschaftlichen Konsens des Schweigens mündete. Die individuelle Beteiligung jedes „Volksgenossen“ an der Aufrechterhaltung des Unrechtsregimes wurde im Sinne der gesellschaftlichen Integration konsequent verdrängt.[6] Der Großteil der deutschen Bevölkerung hatte zu gewissen Zeiten die Nazi-Herrschaft unterstützt und war nun nicht zu einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit fähig. Statt dessen wurde die Schuld in der Regel einer verbrecherischen Nazi-Clique um Hitler zugeschoben, die die deutsche Bevölkerung, einschließlich des kompletten Staatsapparats sowie der Wehrmacht, gewaltsam unterdrückt habe.[7]

Die Meinungsumfragen der Zeit spiegeln zudem eine hohe Kontinuität in der persönlichen Einstellung zum Nationalsozialismus und das Fortdauern eines latenten Antisemitismus in weiten Teilen der Bevölkerung wieder. So hielten 1948 noch 57 Prozent der Deutschen den Nationalsozialismus für „eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“, und 1955 befanden noch 48 Prozent der Befragten, dass Hitler ohne den Krieg einer der größten deutschen Staatsmänner gewesen wäre. Dass es „besser für Deutschland wäre, keine Juden im Land zu haben“, verneinten 1952 nur 20 Prozent der Teilnehmer, dagegen stimmten immerhin noch 37 Prozent offen zu, während die Mehrheit sich in dieser Frage nicht festlegen wollte.[8] Obwohl solche Daten nur stichprobenartige Stimmungsbilder darstellen, vermitteln sie doch zumindest einen groben Eindruck der öffentlichen Meinung zum Nationalsozialismus und seinen Ideen in der Nachkriegszeit.

Auch auf administrativer Ebene wurde der Bruch mit der Vergangenheit vermieden. Der deutsche Staatsapparat wies schon bald nach der Gründung der Bundesrepublik eine außerordentlich hohe personelle Kontinuität auf, die heftige Kritik im westlichen Ausland hervorrief. Justiz und Verwaltung besetzten ihre Posten ohne Ansehen der politischen Vergangenheit, und so kam es, dass bald hohe Prozentsätze an „erfahrenen“ Mitarbeitern mit NS-Vergangenheit die deutschen Behörden bis auf die Regierungsebene prägten.[9] Dies stand in engem Zusammenhang mit der „Vergangenheitspolitik“[10] der Bundesregierung. Maßnahmen wie die „Straffreiheitsgesetze“ von 1949 und 1954, die unter anderem auch einen großen Bereich von NS-Verbrechen bis hin zu minderschwerem Totschlag von der Strafverfolgung ausschlossen[11], und die Beamtengesetze von 1951 und 1953, die eine Wiedereinstellung fast aller Bediensteten des NS-Staates in das nach traditionellem deutschen Beamtenrecht restaurierte Beamtentum zuließen[12], sind sowohl bedingt durch die hohe gesellschaftlichen Integration der ehemaligen NS-Anhänger, als dass sie sie auch ermöglichten.

Bei der juristischen Verfolgung der NS-Verbrechen lassen sich ganz ähnliche Tendenzen wie im gesamtgesellschaftlichen Kontext feststellen. Nach der als misslungen empfundenen Entnazifizierung sank die Anzahl der Verfahren wegen NS-Verbrechen in der Folge der deutschen Staatsgründung rapide ab. Einer Zahl von rechtskräftigen Verurteilungen von 1819 im Jahr 1948 standen 21 Verurteilungen im Jahr 1955 gegenüber.[13] Die Gründe dafür sind einerseits in den erfolgten Amnestien und Verjährungen für minderschwere Verbrechen und in der fehlenden Fachkompetenz und Zuständigkeit der einzelnen Staatsanwaltschaften zu suchen, die allerdings auch zu einem großen Teil mit dem gleichen Personal wie unter den Nationalsozialisten besetzt waren.[14] Im allgemein vorherrschenden Klima des Schweigens verspürten die Behörden wenig Veranlassung, die Verfolgung von NS-Verbrechen zu forcieren, und da auch die Zahl der Anzeigen rapide zurückging, machte sich bald die Auffassung breit, dass die juristische Bewältigung der Vergangenheit bereits abgeschlossen sei und man guten Gewissens einen „Schlussstrich“ unter die Vergangenheit ziehen könne.[15]

1.2. Beginn eines Umschwungs

Seit dem letzten Drittel des Jahrzehnts ist ein langsamer Wandel im Verhältnis zur NS-Vergangenheit und ihren Nachwirkungen zu beobachten. Die Rahmenbedingungen hierfür bildeten ab der Mitte des Jahrzehnts die politische und wirtschaftliche Konsolidierung sowie der Souveränitätsgewinn der Bundesrepublik. Außerdem begann sich nun die erste Generation von Bundesbürgern zu artikulieren, die zu jung war, um persönlich in die Geschehnisse der NS-Zeit verstrickt zu sein, und so unbefangener die Vergangenheit der jungen Bundesrepublik hinterfragte.[16] Vor allem bei jungen Menschen fanden die ab 1955 verstärkt erscheinenden dokumentarischen und literarischen Werke über den Nationalsozialismus Absatz, wobei vor allem das „Tagebuch der Anne Frank“ zu nennen ist, das zum meistverkauften Taschenbuch dieser Zeit wurde.[17] Auch die zeitgeschichtliche Forschung begann nun erste Früchte zu tragen und fand langsam Anerkennung in Teilen der Öffentlichkeit.[18] Nicht zuletzt spielten auch die in der Entwicklung begriffenen Massenmedien eine große Rolle bei der Aufklärung über das Dritte Reich, da vor allem das Fernsehen mit Dokumentarfilmen ein breites Publikum erreichte.[19]

In diesem veränderten Klima schlugen nun einige Ereignisse hohe Wellen, die von einer neuen Sensibilisierung der Öffentlichkeit in Bezug auf den Umgang mit der NS-Vergangenheit zeugen. Im Jahre 1958 sorgte zahlreiche Justizskandale für Aufsehen, die zum ersten Mal die Problematik der NS-Belastung vieler Justizangehöriger ins Bewusstsein einer engagierten Öffentlichkeit brachte. Außerdem entfaltete in diesem Jahr der Ulmer Einsatzgruppenprozess als der erste der großen NS-Prozesse eine Schockwirkung, die weite Teile der Bevölkerung aufrüttelte.[20] Er war wie einige andere, fast zeitgleiche Prozesse durch Zufall zustande gekommen und zeigte in seinem Verlauf, dass die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit noch nicht ansatzweise abgeschlossen war, wie man noch kurz zuvor gehofft hatte.[21] In der Konsequenz wurde nun endlich die Gründung einer zentralen Behörde zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Angriff genommen, die die Ermittlungen bündeln und koordinieren sollte: 1958 wurde Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen gegründet.[22]

So zeichnet sich am Ende des Jahrzehnts ein anderes Bild der Republik als noch kurz nach ihrer Gründung. Die alten Kräfte des Schweigens waren zwar noch ungebrochen, konnten jedoch der veränderten Stimmung, die in Teilen der Bevölkerung nun herrschte, wenig entgegensetzen und verloren langsam ihre meinungsbeherrschende Wirkung. Statt dessen standen nun der Wille zur Auseinandersetzung mit dem verbrecherischen Erbe und die Tendenz zur Verdrängung nebeneinander und bildeten eine konfliktreiche Konstellation.[23]

2. Der Auschwitz-Prozess in Frankfurt a. M. 1963-1965

2.1. Vorgeschichte

Die Umstände, die zur Einleitung des großen Frankfurter Auschwitz-Prozesses führten, können gewissermaßen als symptomatisch für die Praxis der juristischen Verfolgung von NS-Verbrechen durch die bundesdeutsche Justiz insgesamt betrachtet werden. Denn es bedurfte zunächst des Zufalls sowie des Eingreifens engagierter Einzelpersonen, um die Untersuchung durch die zögerlichen Justizbehörden überhaupt in Gang zu bringen.[24] Das Verfahren ergab sich aus zwei unterschiedlichen Ermittlungssträngen, die schließlich auf Betreiben des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer zu einem Großverfahren beim Frankfurter Landgericht zusammengefasst wurden.

Zunächst erstattete am 1. März 1958 ein gewisser Adolf Rögner, der zu dieser Zeit wegen Betrugs in Haft war, Anzeige bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen einen ehemaligen SS-Mann namens Wilhelm Boger. Rögner kannte Boger, da er selbst von 1941 bis 1945 als „krimineller“ Häftling in Auschwitz gewesen war, und bezichtigte ihn des mehrfachen Mordes.[25] Die Ermittlungsbehörden befassten sich zunächst nur sehr widerstrebend mit dem Fall, und erst zwei Monate nach seiner Anzeige wurde Rögner zu seinen Vorwürfen gegen Boger befragt. Vom Beschuldigten selbst wurden zunächst nur die Personalien festgestellt, und weiteren Hinweisen Rögners auf verschiedene andere ehemalige SS-Angehörige ging man vorerst nicht nach. Dieses passive Verhalten der Behörden erklärt sich zumindest teilweise aus der kriminellen Vorgeschichte Rögners, der als notorischer Betrüger bekannt war.[26]

Seine Vorwürfe gegen Boger wurden jedoch von Hermann Langbein, dem Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees (IAK) frühzeitig bestätigt. Langbein war von Rögner über dessen Anzeige gegen Boger informiert worden, und Rögner hatte die Ermittlungsbehörden auf die mögliche Unterstützung durch die Organisation der Auschwitz-Überlebenden hingewiesen, die vor allem bei der Beschaffung von Zeugenaussagen gegen Boger und andere Beschuldigte helfen konnte.[27] Nachdem die Staatsanwaltschaft mehr als zwei Monate keine Anstalten gemacht hatte, mit dem IAK in Kontakt zu treten, wandte sich Langbein selbst an die Stuttgarter Behörde. Er machte allerdings Bogers Verhaftung zur Bedingung einer Übersendung von Beweismitteln durch das IAK, da er dessen Flucht fürchtete. Die Stuttgarter Ermittlungsbehörden, die auch selbst keine weiteren Versuche machten, Beweismittel gegen Boger zu sammeln, lehnten eine Verhaftung des Beschuldigten jedoch wegen mangelnder Beweise ab. Erst nachdem Langbein im September 1958 persönlich bei den Behörden interveniert und mögliche Zeugen benannt hatte, wurde die Staatsanwaltschaft aktiv und es kam zu Schritten gegen Boger und weitere von Rögner und Langbein angezeigte Beschuldigte. Im Oktober 1958, mehr als ein halbes Jahr nach der Anzeige des ehemaligen SS-Mannes durch Rögner, wurde Boger schließlich verhaftet.[28] Hermann Langbein sagte später über die Ermittlungen: „Und das war also ein sehr harter Weg, bis er endlich dazu geführt hat, dass sich die Staatsanwaltschaft [...] bereit erklärt hat, das zu machen.“[29]

Der zweite Anstoß für die Ermittlungen, die später zum Auschwitz-Prozess führen sollten, kam aus Hessen. Der Journalist Thomas Gnielka stieß während Recherchearbeiten bei einem Auschwitz-Überlebenden in Wiesbaden zufällig auf einige alte Dokumente, die diesem kurz nach dem Krieg in Breslau in die Hände gefallen waren. Dabei handelte es sich um Erschießungsakten aus Auschwitz, die neben den Namen der Opfer auch die der verantwortlichen SS-Wachmänner aufführten. Gnielka erkannte den juristischen Wert dieser Dokumente und schickte sie an den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer[30]

Fritz Bauer war bereits 1930 mit 27 Jahren zum jüngsten deutschen Amtsrichter ernannt worden. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der mit Kurt Schumacher befreundete Jurist wegen seiner sozialdemokratischen Gesinnung und seiner jüdischen Herkunft entlassen und in einem Konzentrationslager inhaftiert. 1936 konnte er zunächst nach Dänemark emigrieren, von wo aus er nach dem Einmarsch der deutschen Streitkräfte nach Schweden flüchten konnte. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und wurde 1956 hessischer Generalstaatsanwalt. Neben der Verfolgung von NS-Verbrechen war die Humanisierung des Strafrechts und des Strafvollzugs sein großes Anliegen.[31]

Bauer sah in den ihm nun vorliegenden Papieren die Möglichkeit zu einem größeren Prozess gegen SS-Wachpersonal in Auschwitz und beantragte beim Bundesgerichtshof eine Entscheidung über die Zuständigkeit für die weiteren Verfahren.[32] Zunächst übergab dieser nur das Verfahren zu den „Breslauer Dokumenten“ nach Frankfurt, denn es war geplant, dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft parallel dazu das Verfahren gegen Boger und die anderen SS-Angehörigen weiterführen sollte, das im Dezember 1958 von der neu gegründeten Zentralen Stelle übernommen worden war.[33] Fritz Bauer schwebte jedoch eine umfassende gerichtliche Untersuchung der NS-Massenverbrechen in den Konzentrationslagern am Beispiel von Auschwitz vor und er setzte sich dafür ein, den Boger-Komplex ebenfalls nach Frankfurt zu verlegen. Gegen den Willen seiner Behördenleitung, die keinen großangelegten NSG-Prozess in Frankfurt wünschte, erreichte Bauer, dass sämtliche Ermittlungen der Zentralen Stelle und der Staatsanwaltschaft Stuttgart zum Konzentrationslager Auschwitz nach Frankfurt am Main abgegeben wurden.[34]

Die Verantwortung für die Ermittlungen übergab Fritz Bauer jungen Staatsanwälten, die persönlich keine Verbindung mehr mit dem NS-Regime hatten. In äußerst langwierigen und ausgedehnten Ermittlungen befragten Georg Friedrich Vogel und Joachim Kügler, Gerhard Wiese und ihre Mitarbeiter über 600 Zeugen, die Hauptakten umfassten bei der Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung 52 Bände.[35] Nach der Auswertung aller verfügbarer Akten zum Konzentrationslager Auschwitz erstellte die Staatsanwaltschaft zunächst eine Liste von 599 Beschuldigten, von denen nach der sich äußerst schwierig gestaltenden Beschaffung von Beweismitteln und der Feststellung der Personalien 24 Personen angeklagt werden konnten.[36] Bei der Auffindung von Zeugen halfen der Staatsanwaltschaft neben dem IAK auch der World Jewish Congress, Yad Vashem, das Insitute of Documentation in Israel for the Investigation of Nazi War Crimes und Rechtsanwalt Henry Ormond aus Frankfurt am Main. Außerdem gelang es den Ermittlern, trotz der diplomatischen und politischen Barrieren Kontakte nach Polen zu knüpfen und dort wichtige Dokumente zu erlangen[37]

[...]


[1] Vgl. etwa: Ralph Giordano, Die zweite Schuld oder von der Last ein Deutscher zu sein. Hamburg 1987; sowie als anderes Extrembeispiel: Manfred Kittel: Die Legende von der „Zweiten Schuld“. Vergangenheitsbewältigung in der Ära Adenauer. Frankfurt am Main/Berlin 1993

[2] Peter Steinbach: Nationalsozialistische Gewaltverbrechen. Die Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945. Berlin 1981, S. 42

[3] Clemens Vollnhals: Zwischen Verdrängung und Aufklärung. Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der frühen Bundesrepublik. In: Ursula Büttner (Hrsg.): Die Deutschen und die Judenverfolgung im Dritten Reich. Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Band 29, Hamburg 1992. S. 357-392, hier S. 382

[4] Steinbach: Nationalsozialistische Gewaltverbrechen, S. 43

[5] Norbert Frei: Das Problem der NS-Vergangenheit in der Ära Adenauer. In: Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Freundliche Feinde? Die Alliierten und die Demokratiegründung in Deutschland. Akademiebeiträge zur politischen Bildung Bd. 29, Tutzing 1996. S. 181-193, hier S. 188

[6] Siehe z.B. Hartmut Berghoff: Zwischen Verdrängung und Aufarbeitung. Die Bundesdeutsche Gesellschaft und ihre nationalsozialistische Vergangenheit in den Fünfziger Jahren. In: GWU 2/98 S. 96-114, hier v.a. S. 101-103; S. 104-106; S. 111, oder auch Vollnhals: Zwischen Verdrängung und Aufklärung, S. 383

[7] Berghoff: Zwischen Verdrängung und Aufarbeitung, S. 108

[8] Umfrageergebnisse zitiert nach: Edgar Piel: Spuren der NS-Ideologie im Nachkriegsdeutschland. I In: Heinrich Oberreuter (Hrsg.): Freundliche Feinde. Die Alliierten und die Demokratiegründung in Deutschland. Akademiebeiträge zur politischen Bildung Bd. 29, Tutzing 1996. S. 145-160

[9] siehe hierzu v.a. Ulrich Brochhagen: Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer. Hamburg 1994, S. 180-184; 191-194

[10] Der Begriff wurde von Norbert Frei in seiner wegweisenden Studie geprägt: Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996

[11] Frei, Vergangenheitspolitik, S. 39-40; 54-134

[12] Frei, Vergangenheitspolitik, S. 69-100, außerdem Brochhagen, Nach Nürnberg, S. 182-183

[13] Adalbert Rückerl: NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung. Heidelberg 1984, S. 127

[14] ebd., S. 126-130

[15] ebd., S. 132

[16] Schildt, Der Umgang mit der NS-Vergangenheit (siehe Anm. 9): S. 45

[17] Vollnhals, Zwischen Verdrängung und Aufklärung (siehe Anm. 3): S. 376

[18] Schildt, Der Umgang mit der NS-Vergangenheit (siehe Anm. 9): S. 45

[19] Vollnhals, Zwischen Verdrängung und Aufklärung: S. 378

[20] Schildt, Der Umgang mit der NS-Vergangenheit, S. 47; Vollnhals, Zwischen Verdrängung und Aufarbeitung, S. 369-370

[21] Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht, S. 140

[22] ebd., S. 142

[23] Schildt, Der Umgang mit der NS-Vergangenheit, S. 54

[24] Werner Renz: Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess. Zwei Vorgeschichten. In: ZGW 50 (2002), Heft 7, S. 622-642, hier S. 623

[25] ebd. S. 624

[26] ebd. S. 625

[27] Renz, der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, S. 626

[28] ebd., S. 628-629

[29] Hermann Langbein in: Auschwitz vor dem Frankfurter Schwurgericht, Fernsehdokumentation von Rolf Bickel und Dietrich Wagner, Hessischer Rundfunk 1993, Teil I. Zitiert nach: Gerhard Werle/Thomas Wandres: Auschwitz vor Gericht. Völkermord und bundesdeutsche Strafjustiz, München 1995, S. 50

[30] Werle/Wandres, Auschwitz vor Gericht, S. 49

[31] siehe: Fritz Bauer in der Deutschen Biographischen Enzyklopädie, S. 325; Werle/Wandres: Auschwitz vor Gericht, S. 47; Dokumentation in: Irmtrud Wojak (Hrsg.): Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main. Katalog zur Ausstellung „Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main vom 27 März bis 23. Mai 2004 im Haus Gallus, Frankfurt am Main, Köln 2004, S. 816-830

[32] Werle/Wandres: Auschwitz vor Gericht, S. 49

[33] Renz: Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, S. 630-631

[34] ebd., S. 632

[35] ebd., S. 639

[36] Renz, Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess., S. 633-636

[37] ebd., S. 633-636

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess im Kontext seiner Vorgeschichte und Wirkung
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V51329
ISBN (eBook)
9783638473323
ISBN (Buch)
9783656635987
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frankfurter, Auschwitz-Prozess, Kontext, Vorgeschichte, Wirkung, Hauptseminar
Arbeit zitieren
Ulrike Büchsel (Autor:in), 2005, Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess im Kontext seiner Vorgeschichte und Wirkung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51329

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