Lügen wie gedruckt in schwarz auf weiß. Medienkombinatorisches unzuverlässiges Erzählen in Rafael Horzons "Das weisse Buch"


Hausarbeit, 2017

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Unzuverlässiges Erzählen in der Theorie

3. Unzuverlässiges Erzählen in der Praxis: Rafael Horzons „Das weisse Buch“
3.1 Fakten und Fiktion zum Werk
3.2 „Das weisse Buch“ als Foto-Text
3.3 Exemplarische Betrachtung der Fotofunktion
3.3.1 Fotos und Fiktion
3.3.2 Fotos und Fakten
3.3.3 Fotos und ?

4. Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

„Von den Feuilletons gefeiert. Von seinen Lesern kontrovers diskutiert. Rafael Horzons Das weisse Buch war die literarische Sensation des vergangenen Jahres. Dabei hat der Mann einfach nur sein Leben aufgeschrieben – oder etwa doch nicht?“ (Suhrkamp Verlag AG 2011)

Mit einem Zitat zu beginnen scheint abgedroschen, doch bringt es das Thema dieser Ausarbeitung auf den Punkt: Das unzuverlässige Erzählen in „Das weisse Buch“. So wirbt also schon der Verlag mit dem Spannungsfeld zwischen Fakt und Fiktion, der sich in diesem (scheinbar) autobiografischen Roman von Rafael Horzon zeigen soll. Während dieser gleichzeitig Autor, Figur und Erzähler seines Romans darstellt, fällt es schwer, eine Grenze zwischen eben diesen drei Instanzen zu ziehen. An welchen Stellen finden wir wahre Begebenheiten, wo zeigen sich fiktive Elemente und werden eventuell sogar faktuale Erlebnisse fiktionalisiert?

Diese letzte These, die Fiktionalisierung von faktualen Begebenheiten in Horzons Werk soll im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen, denn gerade hier findet sich die Relevanz der Medienkombinatorik. So ist nämlich „Das weisse Buch“ nicht nur ein Roman auf Textbasis, es sind zudem zahlreiche schwarz-weiß Fotos enthalten, die Bezug zu Schilderungen aus dem Werk nehmen und bestimmte Ereignisse belegen sollen. Bei näherer Betrachtung wird sich jedoch zeigen, dass genau hier mit Fakt und Fiktion gespielt wird und das unzuverlässige Erzählen eine neue Dimension erreicht: Unzuverlässiges Erzählen im Foto-Text. Und zudem scheint hier der Bereich des Werkes zu liegen, der „kontrovers diskutiert“ (Suhrkamp Verlag AG 2011) werden kann. Um ein extremes Beispiel zu nennen und den spitz formulierten Untertitel dieser Arbeit („Lügen wie gedruckt in schwarz auf weiß“) aufzugreifen, könnte man sich fragen, welche Funktion beispielsweise dieses Foto hat:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Horzon 2011, Abb. 44)

Während einerseits darüber diskutiert werden könnte, ob man hier noch von einem Foto sprechen kann, könnte andererseits über die Wechselwirkung von Foto und Text diskutiert werden: Ist die Aussage „Alles umher ist weiss“ nun eine wahre oder eine falsche Aussage und was soll sie belegen oder zeigen? Neben diesem Beispiel lassen sich ebenso Fotos analysieren, die andere Funktionen bedienen könnten, als Evidenzmittel oder als Wechselbeziehung zwischen Fotos und Fiktion könnte man einige Abbildungen aus Rafael Horzons Werk einordnen.

Um all dies näher zu betrachten, soll also in dieser Arbeit zum einen das unzuverlässige Erzählen in der Theorie erläutert werden, aber auch im besonderen Maße an diesem Werk als Foto-Text in der Praxis gezeigt werden. Das medienkombinatorische unzuverlässige Erzählen soll zudem anhand von ausgewählten Beispielen (inklusive des schwarzen Fotos) betrachtet werden und im Fazit eine abschließende Antwort auf die Fiktionalisierung oder auch Faktualisierung des Textes durch die Wechselwirkung mit den eingefügten Fotos gefunden werden.

2. Unzuverlässiges Erzählen in der Theorie

Innerhalb der Erzähltheorie ist die Theorie des „unzuverlässigen Erzählens“ anzusiedeln und meint Diskrepanzen und Widersprüche im Text. Dieses Konzept geht zurück auf Wayne Booth, der in „The Rhetoric of Fiction“ (1961) Unzuverlässigkeit als die Abweichung zwischen der Haltung des Erzählers und der Haltung des implizierten Autors beschreibt, wobei dieser lange Zeit als Instanz der Wahrheit galt. Als Abwandlung dieser Theorie finden sich neue Ansätze, die nicht den Autor als Instanz der Wahrheit angeben, sondern den Leser, der die erzählten Ereignisse in einer Geschichte als wahr (zuverlässig) oder unwahr (unzuverlässiges Erzählen) deuten und so eine Bewertung des Erzählens vornehmen könne (vgl.: Zerweck 2004, S. 681-682).

Besonders häufig sei Unzuverlässigkeit bei homodiegetischen Erzählern zu finden, die bestimmte Erscheinungsweisen, wie den naiven, kriminellen oder „obsessiv“ bzw. emotional aufgeladene Erzähler mitbringen (vgl.: Fludernik 2005, S. 40f.). Diese subjektive Sicht des Erzählers als gleichzeitige Figur der Handlung auf Erlebnisse und Geschehnisse lassen den Leser auf die Problematik stoßen, ob der Sachverhalt nun faktisch falsch ist oder nur eine „evaluierte Verfremdung“ vorgenommen werde (ebd., S. 46), da der Erzähler, beispielsweise durch seinen labilen Charakter in der Geschichte, in der Beurteilung des Sachverhaltes lediglich irre.

Abschließend sei noch zu sagen, dass die Unzuverlässigkeit des Erzählens immer ein gewollter Kunstgriff des Autors ist, der zwar die Wechselbeziehung zwischen Fakt und Fiktion als Spannungsfeld nutzt, jedoch keinerlei objektiven Wahrheitsanspruch hat. Literatur ist als Kunstprodukt anzunehmen, ihr Gehalt an Fiktion wird in den meisten Fällen dem des faktualen Gehalts überwiegen.

3. Unzuverlässiges Erzählen in der Praxis: Rafael Horzons „Das weisse Buch“

3.1 Fakten und Fiktion zum Werk

Der 2010 im Suhrkamp Verlag Berlin erschienene Roman „Das weisse Buch“ von Rafael Horzon umfasst 218 Seiten, in denen zwei „Dokumentarfotos“-Teile eingefügten wurden und so das Werk um 44 Fotos erweitern. Der Inhalt soll, wie bereits in der Einleitung erwähnt, Rafael Horzon von seinem Leben erzählen lassen, da dieser nicht nur Autor zu sein scheint, sondern auch „Möbelmagnat, Originalgenie und Apfelkuchentycoon“ (Suhrkamp Verlag AG 2011). So beginnt zumindest bereits der Verlagstext und soll nicht zu wenig versprechen: Horzon habe sich über die letzten Jahre vom Tellerwäscher zum Millionär gemausert oder wie es im Verlagstext weiter heißt: Vom „Student und Paketfahrer“ (ebd.) zum Inhaber seines „modocom-Imperium[s]“ (ebd.). Über zahlreiche Unternehmenseröffnungen und „an Ereignissen nicht armen Lebens“ (ebd.) soll uns der Autor und die Figur Rafael Horzon berichten und erweise sich „auch noch als überaus charmanter und intelligenter Erzähler seiner selbst“ (ebd.).

Dadurch wird bereits klar, dass Rafael Horzon nicht nur Autor und Hauptfigur zu sein scheint, sondern auch Erzähler seiner selbst. Hierbei handelt es sich um eine Sonderform des homodiegetischen Erzählers, nämlich den autodiegetischen Erzähler, der Figur und Erzähler in der erzählten Welt darstellt.

Zwar muss ein homo- oder autodiegetischer Erzähler kein unzuverlässiger sein, doch bietet sich, wie bereits im kurzen Theorieteil dieser Arbeit beschrieben, diese Form des Erzählers an. Ebenso wirkt die Figur des Rafael Horzon auf den Leser übertrieben und emotional aufgeladen, welches weiterhin unzuverlässiges Erzählen erleichtert. So entsteht der Eindruck beim Leser, dass die beschriebenen Ereignisse zu schön sind, um wahr zu sein oder die zehnte Unternehmenseröffnung doch einfach zu übertrieben sei, um wahr zu sein. Nach Rafael Horzon reiht sich jedoch eine Eröffnung an die nächste und ist zudem immer von Innovation, Einzigartigkeit und einschlägigem Erfolg beim Publikum, bei den Kunden oder bei der Presse geprägt. So eröffnet die Figur eine eigene „Wissenschaftsakademie“ in Berlin, also eine private Bildungsstätte, die „[w]einige Wochen nach der Eröffnung […] von Studenten überrannt“ (Horzon 2011, S. 69) wurde. Nachdem Horzon ein Möbelgeschäft nach sich benannt hatte und es zur Eröffnung kam, soll die dazugehörige Party ein „rauschender Ball“ (ebd., S. 92) mit „über zehntausend Gäste[n]“ (ebd.) gewesen sein. Und noch viele weitere Beispiele ließen sich hierzu finden. Dass tatsächlich die Akademie und auch das Möbelgeschäft in Berlin vertreten sind oder waren, scheint dem Leser zunächst unwirklich, doch eventuell könnte man hier wieder von einer „evaluierten Verfremdung“ (Fludernik 2005, S. 46) des Sachverhaltes ausgehen, da zwar der Sachverhalt an sich stimmt, doch die Erzählung dessen durch einen optimistischen bis selbstverherrlichenden Erzähler durchaus verfremdet erscheinen könnte.

3.2 „Das weisse Buch“ als Foto-Text

Das Werk zeichnet sich durch seine Medienkombinatorik aus. So beschreiben nicht nur textliche Kapitel Rafael Horzons leben, zudem gibt es noch 44 „Dokumentarfotos“, die die beschriebenen Ereignisse belegen und ergänzen sollen. Zwei Teile á 22 Fotos sind in der ersten und in der zweiten Hälfte des Buches eingeklebt, es handelt sich hierbei um digitale Aufnahmen in schwarz-weiß, die zu einem großen Teil von Rafael Horzon selbst gemacht sein sollen (Angabe des Autors am Ende des Dokumentarteils). Die angefügten Fotos werden teilweise im Text selbst erwähnt, die Fotos selber weisen hingegen immer einen Textbezug auf, der unter dem Foto eingefügt wurde. Ein eigenständiger Kommentar lässt sich zudem weiter unten auf der Seite des Fotos erkennen, der entweder das Foto weiter beschreibt (zum Beispiel an Ort, Zeit oder Wetter) oder betitelt („Werbemotiv für Gelee Royale“, Horzon 2011, Abb. 20).

Schon hier wird klar, dass die Fotos unweigerlich mit dem Text verbunden sind, da sie ihn ergänzen und belegen. An anderen Beispielen, wie sich in der folgenden Betrachtung der Fotofunktion zeigen wird, können die Fotos aber auch den Textinhalt verfremden. So werden erst beide Medien in Kombination Widersprüche und Diskrepanzen aufweisen, die Fotos erweisen eine Funktion im Text und sind somit gleichermaßen handlungskonstituirend.

All dies zeigt zum einen das Wechselspiel von Foto und Text in diesem Werk und wie sie uns Hinweise und erst die Aufdeckung des unzuverlässigen Erzählens ermöglichen, lassen aber auch erst die Definition eines Foto-Textes zu. So ist nach einer Theorie Thomas von Steinaeckers der Foto-Text eine Variante des „Bilder-Texte[s]“ (2007, S. 9f.) und meint eben diese medienkombinatorischen Werke, deren Medien gleichermaßen und im Zusammenspiel miteinander eine Gesamtaussage tätigen (vgl.: Steinaecker 2007, S. 13f.). Und genau hier finden wir auch die Besonderheit von Rafael Horzons „Das weisse Buch“, welches die Betrachtung der Fotofunktion im Zusammenhang mit dem Text besonders reizvoll erscheinen lässt.

3.3 Exemplarische Betrachtung der Fotofunktion

3.3.1 Fotos und Fiktion

Direkt zu Anfang der Geschichte lernen wir eine wichtige Nebenfigur für den jungen Rafael Horzon kennen: Signora Sarasate. In seinen Monaten in Paris, von denen uns der Protagonist zu Beginn des Buches berichtet, lernt er die Dame kennen, die Hellseherin ist und ihm eine wichtige Botschaft für sein Leben mitgeben möchte: „[Du sollst] ein Ziel wählen, das ausser dir niemand kennt, dann wirst du der Erste sein, der dort ankommt […]“ (Horzon 2011, S.16). Dies ist einer der Schlüsselereignisse in Horzons Biografie, welches ihn später zu innovativen und einzigartigen Geschäftsideen motiviert, wie die „Galerie Berlintoyko“ (ebd., S. 51) zu eröffnen, die Werbung mit einer Ausstellung von ausschließlich japanischen Künstlern machte, aber lediglich von Rafael Horzon erdachte fiktive Künstler ausstellte, dessen Kunstgegenstände normale Küchengeräte aus Horzons eigener Wohnung waren (vgl.: ebd., S. 53). So haben wir hier beispielsweise eine vom Protagonisten selbst als fiktiven Künstler und fiktive Ausstellung vorgestellte Begebenheit, die aber auch mit einem Foto von dem Eröffnungsflyer (ebd., Abb. 7) belegt wird. Und so gab es tatsächlich die Galerie, die gerade durch ihre Ironie und dem Willen, eben keine Galerie sein zu wollen bestand. Auffällig ist also, betrachtet man die Fotofunktion von dieser siebten Abbildung des Eröffnungsflyers im Textzusammenhang, dass sie zwar tatsächlich belegt und vielleicht eher der Kategorie „Fotos und Fakten“ zuzuordnen wäre, jedoch auch etwas Fiktives belegt, nämlich eben dieser Scheingalerie mit dem fiktiven Künstler „Masahiro Sugimoto“.

Eindeutiger zu der Kategorie „Fotos und Fiktion“ passt jedoch die zu Anfang geschilderte Situation mit Signora Sarasate. So finden wir bereits als zweites Foto zu dieser Begebenheit dieses hier vor:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(Horzon 2011, Abb. 2)

[...]

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Lügen wie gedruckt in schwarz auf weiß. Medienkombinatorisches unzuverlässiges Erzählen in Rafael Horzons "Das weisse Buch"
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V513287
ISBN (eBook)
9783346111241
ISBN (Buch)
9783346111258
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lügen, medienkombinatorisches, erzählen, rafael, horzons, buch
Arbeit zitieren
Lisa Krenke (Autor:in), 2017, Lügen wie gedruckt in schwarz auf weiß. Medienkombinatorisches unzuverlässiges Erzählen in Rafael Horzons "Das weisse Buch", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513287

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