Das literarische Zeichen und seine methodischen Bezüge zum Deutschunterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung
1.1. Vorwort
1.2. Die Problematik der Literatursemiotik
1.3. Ziel und Vorgehensweise der Arbeit

2. Theoretischer Teil: Semiotik und Literatursemiotik
2.1. Definition von Zeichen
2.2. Literatursemiotik und das literarische Zeichen

3. Praktischer Teil: Literatursemiotik im Deutschunterricht
3.1. Eine wissenschaftliche Methodik des Zeichenerkennens nach Dieter Janik
3.2. Kritik zu Janiks Methodik und eigene Vorschläge zum Literaturunterricht
3.3. Ein literatursemiotischer Unterrichtsversuch
3.3.1. Didaktische und methodische Vorüberlegungen
3.3.2. Der Unterrichtsinhalt: literarische Zeichen in Theodor Fontanes „Effi Briest“
3.3.3. konkrete Ausführung

4. Zusammenfassung

5. Quellen und Literatur
5.1. Printquellen
5.2. Quellen aus dem Netz
5.3. Nachschlagewerke
5.4. Sekundärliteratur

6. Anhang

1. Einleitung

1.1. Vorwort

„Donc quand nous demandons quelle est la valeur objective de la valeur objective de la science, cela ne veut pas dire: la science nous fait-elle connaître la véritable nature des choses? mais cela veut dire; nous fait-elle connaître les véritables rapports des choses?“[1]

Hernri Poincaré,

La Valeur de la Science

Dieses Zitat von Henri Poincaré über den Wert der Wissenschaft zeigt, dass in der Forschung, wie im Leben, Dinge, Menschen und Sachverhalte, zueinander in Beziehung stehen und demnach immer relativ zueinander betrachtet werden müssen. Die Wissenschaft als Spitze der menschlich-rationalen Kultur manifestiert sich durch Kommunikation, welche sich ihrerseits durch die Verwendung von Zeichen, wie z.B. Sprache, ausdrückt. Und nun schließt sich der Kreis: Zeichen sind wiederum die plakativste Form der Relativität: Ihre Bedeutung ergibt sich nämlich erst aus der Beziehung zwischen Zeichenträger (das eigentliche Zeichen) und Zeicheninhalt (das bezeichnete Objekt). „Weil Wörter Zeichen sind von Inhalten, die letzten Endes aus der Erfahrung gewonnen werden, ist ohne Berücksichtigung dieses dem Wort vorausgehenden Weges kein adäquates Verständnis des Wortes zu gewinnen“[2].

Die Semiotik als wissenschaftliche Theorie beschäftigt sich nun mit der Darstellung von Zeichenbeziehungen. Die Literatursemiotik als eine differenzierte Teilmenge davon[3] beschäftigt sich mit den literarischen Zeichen, ihre Beziehung zu den jeweiligen Zeicheninhalten und dem dekodierenden Rezensenten.

1.2. Die Problematik der Literatursemiotik

Zeichen und ihre Beziehung zu ihren Inhalten werden kulturell durch Enkulturation, Sozialisation, Erziehung und Bildung vermittelt. So sagt Wittgenstein, Abrichtung läge der gemeinsamen Sprache zugrunde[4]. Gemeinsame Sprache bedeutet intersubjektive Verständlichkeit der Zeichenbeziehungen, d.h. ihrer Bedeutungen. Wie steht es jedoch um das Verhältnis von natürlicher Sprache zu Literatur? Was ist der Unterschied zwischen alltäglicher Sprache und Literatur? Ab wann fällt ein Zeichen nicht mehr nur in den Fachbereich der Semiotik, sondern in den der Literatursemiotik? Kurz: Was ist Literatur?

Neben dieses grundsätzliche Problem tritt ein zweites grundsätzliches: Literatur besteht ohne Zweifel aus Sprache und Sprache besteht aus Zeichen. Ab wann ist nun ein Zeichen ein literarisches Zeichen bzw. was fungiert in und an literarischen Werken als Zeichen? „Da alles, was ‚bedeutet’, Zeichen sein kann, und da alle Einheiten der Sprache und die Regeln und Konventionen ihrer Verbindung Bedeutung haben, scheint der Umfang des Zeicheninventars, mit dem die Literatur operiert, unbeschreibbar zu sein.“[5]

1.3. Ziel und Vorgehensweise der Arbeit

Diesem augenscheinlichen Dilemma des unermesslichen Bedeutungsreichtums literarischer Werke (Polysemiethese, vgl. 2.2.) zum Trotz, befindet sich die Literaturwissenschaft und im speziellen die Literatursemiotik aber offensichtlich nicht in einer Aporie.

Ziel der vorliegenden Arbeit soll es darum einerseits sein mögliche Antworten für die erläuterte Problematik zu geben, d.h. Literatur im Bereich der Semiotik zu definieren und das literarische Zeichen von der übrigen Zeichenfülle zu scheiden. Dies möchte der theoretische Teil der Arbeit neben einem knappen allgemeinen Überblick zur Semiotik leisten.

Andererseits referiert diese Arbeit über eine von der Forschung bereitgestellte Möglichkeit Semiotik und Literatursemiotik als Methode vermitteln, mit welcher Sprache und damit vorrangig literarische Werke als Zusammensetzung von Zeichen intersubjektiv erkannt und verstanden werden können. Vor allem im Bezug auf den Deutsch- bzw. im speziellen den Literaturunterricht soll anhand eines konkreten Beispiels eine mögliche Methodik zum Zugang zum bzw. Verständnis für das literarische Zeichen in der Unterrichtspraxis vorgestellt werden, welche bereits im universitären Seminar an Studenten erprobt wurde. Diese beiden Punkte möchte der praktische Teil dieser Abhandlung bearbeitet wissen.

Die wesentlichen Ziele sind also noch einmal kurz zusammengefasst: Begriffsdifferenzierung, (unterrichts-) praxisorientierte Methodik und Exempel.

2. Theoretischer Teil: Semiotik und Literatursemiotik

Anfang des 20. Jahrhunderts gründete der Schweizer Linguistikprofessor Ferdinand de Saussure (1857-1913) eine neue Wissenschaft, die von ihm selbst als „Semiologie“ bezeichnet wurde. Parallel dazu entwickelte der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce (1839-1914) eine Zeichentheorie die er „Semiotik“ nannte. „Saussures Forschungen waren – und dies ist wohl der signifikanteste Unterschied – ausschließlich sprachlich orientiert. Die Leser der Zeichen wurden in seinem Modell nicht berücksichtigt. Peirce dagegen räumt dem Zeichenleser eine wichtige Funktion ein“[6], die vor allem in der Literatursemiotik von großer Bedeutung ist. Obwohl beide Begriffe, Semiotik und Semiologie, nach wie vor nebeneinander existieren hat sich im Allgemeinen in der Wissenschaft der Begriff der Semiotik, aufgrund seines weiteren Bedeutungsrahmens[7], durchsetzen können. Semiotik von griechisch semeiotikós (>zum Zeichen gehörend<) im heutigen Sinne ist die „Theorie und Lehre von sprachlichen und nichtsprachlichen Zeichen und Zeichenprozessen, in deren Zentrum die Erforschung natürlicher Sprache als umfassendstem Zeichensystem steht“[8].

2.1. Definition von Zeichen

„Ein Zeichen ist etwas, das für einen Geist für ein anderes Ding steht“[9]

Charles Sanders Peirce,

Logik als die Untersuchung der Zeichen

Grundelement der Semiotik als allgemeine Zeichentheorie ist selbstredend das Zeichen. Der Begriff Zeichen stammt von vom althochdeutschen Begriff ziehhan und bedeutet soviel wie ‚auf etwas hinweisen’[10]. „Ein Zeichen ist etwas Unterscheidbares, dem eine Bedeutung zugesprochen wird“[11]. Während in der strukturalistischen Sprachwissenschaft nach Saussure ein Zeichen lediglich die Verbindung zwischen Bezeichnetem („Signifié“) und Bezeichnenden („Signifikant“) differenziert, unterteilt der Pragmatismus nach Peirce Zeichen in Trichotomien[12], dessen wohl bekannteste die Unterteilung der Objektrelation des Zeichens in Ikon, Index und Symbol ist[13].

Ein Zeichen ist Index, wenn ein Folgeverhältnis besteht bzw. „wenn ein Zeichenträger zwingende und meist kausal determinierte weise Bezug auf sein Objekt nimmt“[14], z.B. wäre Rauch ein kausal determiniertes Zeichen für Feuer. Ikonisch ist ein Zeichen dann, wenn ein Abbildverhältnis besteht, d.h. qualitative oder strukturelle Gemeinsamkeiten mit seinem Objekt hat, z.B. das Zeichen für Notausgang. Auch die chinesische Schrift ist ein Prototyp einer ikonischen Schrift[15]. Als Symbol werden all die Zeichen begriffen, die weder durch Folgeverhältnisse noch durch Ähnlichkeit auf ihr Objekt verweisen. Symbole beruhen Arbitrarität: „die Zuordnung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem ist zwar konventionell vorgegeben, sie ist aber arbiträr (= >willkürlich<) insofern, als sie sprachspezifisch verschieden und der Zusammenhang zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem nicht motiviert ist“[16].

Symbolische Zeichen sind die Grundelemente der Sprache, Sprache besteht aus Wörtersequenzen und Wörter (in alphabetischen Schriftsprachen) aus Buchstabensequenzen. Im linguistischen Sinn ist aber erst das ganze einzelne Wort ein Zeichen, d.h. die kleinste sinntragende, symbolische Bedeutungseinheit einer Sprache.

2.2. Literatursemiotik und das literarische Zeichen

Sprache besteht aus Zeichen und manifestiert sich kommunikativ in Diskursen oder Texten. Doch was lässt eine Zeichenfolge zu einem Text werden? Und was ist darüber hinaus der Unterschied zwischen Text und Literatur?

Der Duden definiert Text als „Folge von Aussagen die untereinander in Zusammenhang stehen“[17]. Die Semiotik stellt an Textualität pragmatische und semantisch/syntaktische Bedingungen: Die pragmatische Grundbedingung einer kommunikativen Situation, ein Text muss die Botschaft eines Senders an einen Empfänger sein; die semantisch/syntaktische Grundbedingung betrifft die „Strukturiertheit“ bzw. die „innere Organisation“ eines Textes, Merkmale die einen Text zu einem geschlossenen, ganzheitlichen System machen[18].

Niemand wird der Aussage widersprechen, Literatur offenbare sich in Form von Textualität und stelle somit eine Teilmenge des Begriffs Text dar. Literarizität als das, „was ein gegebenes Werk [/einen Text] zu einem literarischen Werk werden läßt“[19], wird letztendlich nur durch drei Merkmale, auf die sich die Forschung einigen konnte, definiert: die besondere Objektbeziehung der Zeichen, die besondere semantische Struktur und die Dialektik der Offenheit und Geschlossenheit der Literatur.

Die besondere Objektbeziehung der Zeichen innerhalb literarischer Werke liegen drei unterschiedliche zum Teil divergierende Annahmen zugrunde: Ikonizität, Literaturautonomie und Fiktionalität.

[...]


[1] Poincaré, Henri: La Valaeur de la Science. (Bibliothèque de philosophie scientifique) Paris, 1912, S. 125.

[2] Arroyabe, Estanislao: Semiotik und Literatur. Philosophische Probleme der Literatur. Bonn 1984, S. 138.

[3] Literatursemiotik kann in diesem Zusammenhang als Teilmenge der Semiotik aufgefasst werden, jedoch genauso als Teilmenge der Literaturwissenschaft.

[4] Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, In: Ders., Schriften (Bd. 1), Frankfurt/M 1963, Satz 6.

[5] Janik, Dieter: Literatursemiotik als Methode. Die Kommunikation des Erzählwerks und der Zeichenwert literarischer Strukturen. Tübingen 1985, S. 79.

[6] Crow, David: Zeichen. Eine Einführung in die Semiotik für Grafikdesigner. München 2005, S. 16.

[7] Semiotik beinhaltet mittlerweile den Bedeutungsinhalt des Begriffs Semiologie, vgl. Duden: Fremdwörterbuch, 7., neu berarb. und erw. Aufl., Mannheim u.a. 2001, S. 903; und Bußmann, S. 595.

[8] Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. 3., aktual. & erw. Aufl., Stuttgart 2002, S. 595.

[9] Peirce, Charles S.: Semiotische Schriften. Aus d. Engl. übers. und herausgeg. von Pape, Helmut und Kloesel, Christian (Band 1), 1. Aufl., Frankfurt/M 1986, S. 188.

[10] vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Zeichen am 04.08.2005 um 12:03h

[11] Ebd.

[12] Zur ausführlichen Behandlung der Trichotomien: Peirce, Semiotische Schriften (Band 2), S. 404; und Nöth: Handbuch der Semiotik. S. 66.

[13] vgl. Janik: Literatursemiotik als Methode. S. 76 und ebd.

[14] Köller, Wilhelm: Der Peircesche Denkansatz als Grundlage für die Literatursemiotik. In: Eschbach, Achim / Rader, Wendelin: Literatursemiotik I. Methoden, Analysen, Tendenzen. Tübingen 1980, S. 58.

[15] Wobei natürlich auch die chinesische Schrift konventioneller Festlegungen, d.h. symbolischer Zeichenhaftigkeit (s.u.), bedarf um Missverständnisse zu vermeiden. vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Zeichen am 04.08.2005 um 12:03h

[16] Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. S. 761.

[17] Duden: Fremdwörterbuch. S. 990.

[18] Nöth: Handbuch der Semiotik. S. 392.

[19] Zitat von Roman Jakobson (1921) in: Ejxenbaum, Boris M.: The Poetics of Cinema (Russian Poetics in Translation). Oxford 1927, S. 8. zitiert nach Nöth: Handbuch der Semiotik. S. 392.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Das literarische Zeichen und seine methodischen Bezüge zum Deutschunterricht
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Didaktik der deutschen Sprache)
Veranstaltung
Semiotik
Note
2
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V51292
ISBN (eBook)
9783638473040
ISBN (Buch)
9783640737918
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zeichen, Bezüge, Deutschunterricht, Semiotik
Arbeit zitieren
Thomas Oliver Schindler (Autor:in), 2005, Das literarische Zeichen und seine methodischen Bezüge zum Deutschunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/51292

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