Gegebenheiten, Grundpositionen, Perspektiven

Überlegungen zur Orientierung gegen Relativität, Lethargie, Ismen, Hass und Herdentrieb


Fachbuch, 2020

107 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Bestehende Gegebenheiten
Zukunftsangst und subjektiv wahrgenommene
Bedrohung
Normenflut, ausufernde Bürokratie und Gefühl
der Ohnmacht
Unvertretbares Verhalten als Hypothek des Glaubens
Orientierungslosigkeit und schwindende oder über-
fordernde Perspektiven
Fragile Ordnungen als pädagogische Herausforderung
Bestehender Vertrauensverlust und Erfordernis eines
Aufbruchs zur Sicherung von Zukunftsfähigkeit
Mehr offene Fragen als greifbare Antworten in einer Zeit
des Wandels

Eingenommene Grundpositionen
Zielvorstellung vergleichbarer Lebensverhältnisse und
zunehmend auftretende Diskrepanzen
Vorurteile, Phänomene zwischen Notwendigkeit und
ernst zu nehmender Gefahr
Angst, eine lähmende Form der Selbstblockade, aber
auch eine Triebfeder für Bewältigung
Toleranz, eine sinnvolle und ethisch gebotene Grund-
einstellung mit Voraussetzungen und Grenzen
Aggressivität, eine fragwürdige Form der Kompensation
von Verlustängsten
Grundüberlegungen zur Legitimität, Macht, Machtstreben
und Machtanspruch
Eigenwohl- und Gemeinwohlorientierung als gleich-
berechtigte Gegensatzpaare

Absehbare Perspektiven
Innerer Friede als Aufgabe und Geschenk
Fairer Interessensausgleich als langfristiges Lösungs-
konzept
Marktwirtschaft und Wahrnehmung sozialer Verant-
wortung
Altersarmut, eine reale Gefahr und Herausforderung
Inklusion, ein notwendiger Bestandteil von Teilhabe
Gemeinsame Bewältigung als Aufgabe und zu leis-
tende Notwendigkeit
Zeichen der Hoffnung durch soziales und gesell-
schaftliches Engagement

Gesamtzusammenfassung

Anhang
Der Mensch als Individuum, soziales Wesen und
Geschöpf in seiner Verantwortung
Fragen zur persönlichen Beantwortung
Bisherige Publikationen des Autors im GRIN-Verlag
Über den Autor

Zur Umschlaggestaltung:

Die noch nicht angebrochene Zukunft ist für uns ungewiss. Sie ist rätselhaft und nur schwer fassbar. Ebenso ungewiss ist das, was sich in einem Schwar­zen Loch vor unseren Augen verbirgt. Wenn wir ausgehend von der Gegenwart und unseren gefestigten ethisch begründeten Grundpositionen bemüht sind Perspektiven für die Zukunft zu schaffen, so sind wir dessen gewiss, dass die­se Zukunft nur teilweise von uns abhängt. Umso mehr erscheint es aber sinn­voll, Mühe aufzubringen, diese nicht gänzlich im Vorfeld erfassbare Zukunft nach Möglichkeiten in einem positiven Sinne zu beeinflus­sen.

Vorwort

Zukunft erwächst aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Insoweit sind bestehende Gegebenheiten ausschlaggebend, ebenso wie auch eingenommene Grund­überzeugungen und Grundpositionen. Aus den Gegebenheiten und Grundpositionen lassen sich im Lichte von erkennbaren Veränderungen neue Perspektiven entwickeln. Dies erscheint gerade heute in einer Zeit viel­fältiger Veränderungen und dynamischer Wandlungsprozesse unabdingbar, um auf der Höhe der Zeit zu sein und zu bleiben.

Nachfolgende Ausführungen setzen sich in einzelnen Kapiteln mit den Gege­ben­hei­ten, mit Grundpositionen, aber auch Perspektiven auseinander. Dies dient der Orientierung und ist gegen Relativierung, Lethargie, Ismen, Hass sowie Her­dentrieb gerichtet. Damit wird verdeutlicht, dass der Einzelne nicht einfach nur Getriebe­ner unbeeinflussbarer Rahmenbedingungen ist. Es soll damit auch klar werden, dass der Einzelne als Handelnder Beeinflussungs­möglich­keiten und damit auch Verantwortung besitzt.

In den einzelnen Kapiteln werden unterschiedliche Facetten der angesproche­nen Thematik auf­gegriffen, die in der Zusammenschau ein klareres Bild in Erscheinung treten lassen. Die aufgegriffenen Einzelaspekte können für sich allerdings nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und umfassender Durch­dringung erheben. Es besteht vielmehr bei der Zusammenstellung die Absicht, subjektiv maßgeblich erscheinende Tatbestände in ihrer Vielschichtigkeit auf­zu­zeigen und damit den Blick zu weiten.

Bei Betrachtung der Gegebenheiten und bei den eingenommenen Grundposi­tionen besteht angesichts der Heterogenität in der Gesellschaft zweifelsohne ein breites Spektrum. Ebenso dürfte bei den in der Publikation angesproche­nen Perspektiven nicht unbedingt vollständiges Einvernehmen bestehen. Un­geachtet dessen stellt die intendierte Anregung, über das Thema vertieft nach­zudenken, für sich eine als legitim erscheinende Rechtfertigung dar. Möge dies bei interessierten Leserinnen und Lesern die gewünschte Wirkung entfalten.

Im Einzelnen werden subjektive und objektive Gegebenheiten einbezogen, bei einge­nom­menen Grundpositionen die Bandbreite verdeutlicht und argumen­ta­tiv un­ter­mauert, sowie aus Autorensicht Stellung bezogen und angesichts ab­seh­barer Per­spektiven sowohl konsensfähige Positionen als auch Befürch­tun­gen zum Aus­druck gebracht. Die Publikation dient dazu, hinsichtlich der Ge­gebenheiten, Grundpositionen und Perspektiven Sensibilität an den Tag zu le­gen und Ver­antwortungsbewusstsein zu entfalten.

All jenen, die im Dialog Anregungen gegeben und Argumente bereitgestellt, oder auf andere Art und Weise hilfreich zur Seite gestanden ha­ben, danke ich an dieser Stelle recht herzlich. Mögen die Ausführungen dazu beitragen, indi­viduell zum Weiterdenken anzuregen und nach hinreichender Reflexion und ethischer Abwägung die persönlich für rich­tig erachtete Konse­quen­zen zu zie­hen. Insoweit steht das personale sich Entfalten im Zentrum der Hoffnun­gen. Der Entwicklungsaspekt der Leserin und des Lesers trägt dann – so ist die Hoff­­nung – der sich vollziehenden Ent­wick­lung Rechnung.

Fürth, im Frühjahr 2020

Prof. Dr. mult. Alfons Maria Schmidt

Bestehende Gegebenheiten

Zukunftsangst und subjektiv wahrgenommene Bedrohung

Heute fühlen sich viele Mitmenschen subjektiv bedroht und entwickeln Zu­kunftsangst. Diese wahrgenommene Bedrohung hat viele Ursachen, die zum Teil berechtigt sind, zum Teil aber von Befürchtungen im Hinblick auf die Zu­kunft her geprägt werden. Dass subjektives Empfinden zu Angst führt, lässt sich leicht nachvollziehen. Wie aber kann jenseits von Emotionalität rational mit diesem Empfinden umgegangen werden und Bedrohung im Zuge einer po­­­sitiven Entwicklung aufgelöst werden?

Nachfolgend setzen wir uns mit dem Phänomen der subjektiv wahrgenomme­nen Bedrohung auseinander, mit individuell empfundener Zukunftsangst, dem im Men­­­schen angelegten, partiellen Gegensatz von Emotionalität und Ra­tionalität, sowie den sinn­vol­ler­weise zu verfolgenden Ansätzen zur Stärkung positiver Entwicklung und der Über­windung ungerecht­fer­tigter Be­fürch­tun­gen. Damit erscheint nicht nur ein Beitrag für das individuelle Wohlbefinden leistbar, sondern auch eine Ver­besserung des sozialen Klimas im zwischen­menschlichen Umgang.

Zukunftsangst und subjektiv wahrgenommene Bedro­hung erscheint nicht zu­letzt abhängig von der Frage nach den persönlichen Ansprüchen und Zie­len. Zählt hier vor allem der finanzielle Erfolg und die Mehrung des mess- und zähl­baren Gewinns oder ein breiter angelegtes Verständnis von Lebens­qua­li­tät, welches nicht nur Karrie­re, Ein­fluss und Besitz umfasst. Bei der Vielzahl der Mit­menschen und deren un­terschiedlichen Lebensentwürfen erscheint hier ei­ne gewisse Spannweite nur natür­lich.

Subjektiv wahrgenommene Bedrohung

Subjektiv wahrgenommene Bedrohung ist für den einzelnen Betroffenen ein reales Fak­tum. Insoweit ist dieses subjektive Empfinden ernst zu nehmen und auf dessen Angemessenheit hin zu prüfen. Denn dies kann Grundlage dafür sein, im Dialog un­gerechtfertigte Befürchtungen zu entkräften und gegen ge­rechtfertigte Be­fürchtungen geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Wenig hilf­reich erscheint da allerdings, aus Furcht jeweils vom schlimmstmöglichen Fall aus­zu­gehen und die Welt nur noch schwarz in schwarz zu zeichnen.

Angesichts der bestehenden Differenziertheit der Menschen sind die sub­jek­tiv wahr­­genommenen Bedrohungen bei den jeweils Einzelnen unter­schied­lich. Sie liegen z.B.

- in der Furcht vor erweiterter Konkurrenz, vor möglichem Ar­beits­platz­ver­lust und sinkendem Einkommen,
- im Unterliegen beim alltäglichen beruflichen oder sonstigen Kon­­kur­renz­kampf, oder
- in fehlender oder subjektiv empfundener unzureichend ausgeprägter Wert­schätzung und Aner­ken­nung.

Subjektiv wahrgenommener Bedrohung kann daher nicht mit einer einfa­chen Antwort begegnet werden, sondern nur mit einer individuellen. Diese Antwort erschließt sich erst in einem offenen Dialog und einer ernsthaften Begegnung auf Augenhöhe, die Befindlichkeiten anerkennt und um Bewältigung beste­hen­­der realer und Abbau unbegründeter Belastungen bemüht ist. Dass dies ein beidseitiges aufeinander zugehen erfordert, liegt – wie sollte es auch an­ders sein – in der Natur der Sache.

Zukunftsangst

Zukunftsangst aufgrund wahrgenommener Bedrohung stellt einen ernst zu neh­menden Tatbestand dar. Denn die wahrgenommene Bedrohung ist eine sub­jek­tive Wirklichkeit, die unerwünschte negative Konsequenzen be­fürchten lässt, welche es zu vermeiden gilt. Angst ist letztlich ein bedrohlich empfun­de­nes Grund­gefühl, das sich als Besorgnis und unlustbetonte Erregung äus­sert. Aus­­löser sind dabei vor allem individuell verankerte negative Erwar­tun­gen, die rational begründet, aber auch übersteigert sein können.

Übersteigerte Zukunftsängste werden üblicherweise als Angststörungen be­zeich­net und zählen faktisch zu den krankhaften Erscheinungen. Dies nimmt allerdings nichts von der mit den Ängsten verbundenen Belastung. Angst­be­wältigung gestaltet sich als Prozess. Dieser fußt auf einem mehr oder weniger langen Lern­pro­zess, der mentale und phy­sische Beeinträchtigungen abzu­bau­en hilft und Zuversicht schrittweise wachsen lässt. Bereits der griechische Phi­loso­ph Epiklet (50-138 n.Chr.) hat erkannt, dass nicht die Dinge an sich beun­ru­hi­gen, sondern die Sicht auf die Dinge.

Bis zu einem gewissen Grad ist Zukunftsangst natürlich. Sie ist geeignet, eine in­ne­re Unruhe zu erzeugen, die zur Überwindung der vorhandenen Spannung ermutigt. Erst eine lähmende Angst lässt Menschen mutlos werden und er­star­ren. Dies lässt Hoffnung schwinden und setzt nicht selten eine Ab­wärts­spirale von destruk­tivem Charakter in Gang. Betroffene und helfende Ge­sprächs­partner sind da wohl gut beraten, begleitend zu Entspannungs­übun­gen im Rahmen des Mög­­lichen diese Angst kritisch zu hinter­fra­gen und letzt­lich schrittweise zu über­winden.

Emotionalität versus Rationalität

Wenn Emotionalität und übersteigerte Zukunftsängste vorherrschen, er­scheint ein rational geprägtes Handeln meist nur schwer realisierbar. Insoweit ste­hen die Erfordernisse einerseits und die Hemmnisse zu deren Verwirkli­chung an­dererseits einander gegenüber. Dies wirft die Frage auf, welcher Stel­lenwert der Emotionalität und welcher der Rationalität im Hinblick auf das zu Leis­tende zukommt. Kann hier Klarheit geschaffen werden, so prägt dies letzt­lich das erzielbare Ergebnis.

„Emotionalität und das Adjektiv emotional sind Sammelbegriffe für indivi­du­elle Eigenarten des Gefühlslebens, der Affektsteuerung und des Umgangs mit einer Gemütsbewegung“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Emotion) Rationali­tät steht hingegen für ein Denken und Verhalten, das von Vernunft ge­kenn­zeichnet ist. Damit wird ein Spannungsverhältnis erkennbar, das eine Ge­wich­tung und Rich­tungs­entschei­dung einfordert, die für die Zukunft deut­li­che Konsequenzen nach sich zieht.

Emotional geprägtes Denken und Handeln kennen wir im Rahmen der Ge­meinschaftsideologien und des Herdentriebs. Rational geprägtes Denken und Handeln setzt dem gegenüber auf Fakten und Zusammenhänge, auf real vor­handene Chancen und Möglich­kei­ten. Gewissermaßen stehen sich Traumwelt und Wirklichkeit gegenüber. Träume aber lassen sich nicht mit Populismus, Ausgrenzung, Hass und Gewalt verwirklichen, sondern nur mit Anstrengung und einem ernsthaftem Bemü­hen um Ver­besserung.

Ansätze zur Stärkung positiver Entwicklung und Überwindung ungerecht­fer­tigter Befürchtungen

Bei vorherrschendem Interesse an einer positiven Fortentwicklung des Ge­meinwesens gilt es daher Ansätze zur Stärkung des Wünschenswerten und Verant­wortbaren, aber auch zur Überwindung ungerechtfertigter Befürch­tun­gen zu ergreifen. Dies ist nicht immer ganz leicht, zumal dann nicht, wenn Hys­terie, die Sinne vernebeln und die Vernunft zu kämpfen hat, bei aller Auf­geregtheit ge­hört zu werden. Hier den klaren Blick auf das Sinnvolle zu be­halten, er­scheint da umso wichtiger.

Die Stärkung positiver Entwicklung und die Überwindung ungerechtfertigter Be­fürchtungen erfordert heute, ausgehend von bestehenden Gegebenhei­ten den Angst­abbau und den Aufbau von Zuversicht. Dies zu leisten erfordert ei­nen ernsthaften Dialog, es erfordert, die gegenüberstehende Person in den Pro­zess der sich vollziehenden Ent­wick­lung konstruktiv einzubinden, sowie ech­te Teil­habe und empfundene Si­cher­heit zu gewährleisten. Ohne Geduld, Be­harr­lich­keit und ehrliche Zu­wen­dung ist dies nicht zu erreichen.

Stärkung und Überwindung ergänzen sich idealtypischer Weise wechselseitig, gerade wenn es um die Zukunft geht, die eine verbesserte Gegenwart dar­stel­len soll. Wenn wir von Ansätzen sprechen, so wird dabei deutlich, dass das Bemü­hen in der Regel ergebnisoffen und mit Ungewissheit verbunden ist. Das Ergebnis ist insoweit erst einmal unbestimmt. In diesem Zusammenhang kann aller­dings ein ge­wisses Maß an Grund­vertrauen, ein Vertrauen in die Fä­higkeit zur Bewältigung der Herausforderung, weiterhelfen.

Zusammenfassung

Zukunftsängste aus subjektiv wahrgenommener Bedrohung sind bei einer Reihe von Mitmenschen traurige Realität. Diese ernst zu nehmen erscheint er­forderlich, da die individuelle Betroffenheit und die daraus resultierende Be­lastung auch unabhängig davon besteht, ob die Ängste begründet oder aber auch unbe­gründet bestehen. Die subjektiv empfundene Wirklichkeit ist letzt­lich für den Betroffenen entschei­dend. An ihr hängen die jeweils subjektiv ein­geschätz­ten Möglichkeiten und Grenzen.

Subjektiv wahrgenommene Bedrohung führt zu Zukunftsangst. Diese wirkt sich in der Regel auf das gezeigte Verhalten aus. Übersteigerte Zukunfts­angst birgt im Gegensatz zu berechtigter Sorge die Gefahr in sich, zu lähmen oder Aggressivität an den Tag zu le­gen. Dabei steht häufig eine emotional ge­präg­te Grundhaltung dem rationalen Denken und Handeln im Wege. Rationalität er­scheint jedoch im Zusammenhang mit der Bewältigung der Herausforde­rung und der Überwindung des Behindernden unverzichtbar.

So geht es letztlich um erfolgversprechende Ansätze zur Stärkung positiver Ent­wicklung und zur Überwindung ungerecht­fer­tigter Befürchtungen. Die da­zu ergriffenen Einzelschritte sollen sich dabei in einem schrittweisen Prozess ergänzen. Auch wenn dieser zu­meist am Beginn offen erscheint, führt an dem notwendigen konstruktiven Bemühen kein Weg vorbei. Zukunftsangst und sub­jektiv wahrgenommene Bedrohung sind letztlich eine temporäre Er­schei­nung.

Normenflut, ausufernde Bürokratie und Gefühl der Ohnmacht

Rechtsbindung und Bürokratie waren einstmals ein echter Fortschritt. Deren extreme Ausprägung wurde im Laufe der Zeit jedoch zu einem Problem, da es zu einer Vernachlässigung anderer grundlegender Orientierungsgrößen kam. Es ergab sich ein Verlust an Durchblick und Nachvollziehbarkeit, sowie des Gemeinschaftsempfindens. Die Vereinnahmung wuchs und Freiheit nahm ab. Dass dies zu einem Rückzug von Mitmenschen führte, kann da kaum verwun­dern. Recht und Administration stellt in ihrer heutigen Ausprägung ein Phä­nomen dar, das zwischen Macht und Gerechtigkeit angesiedelt ist.

Deutlich wird die in allen zentralen Rechts- und Verwaltungsgebieten, in jeg­li­chem staatlichen Handeln, aber auch im Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht der Menschen. Blicken wir angesichts des Wandels und der Dynamik der Ent­wicklung auf den Gegensatz von Beharrung und Prinzipien­treue einerseits und notwendiger Reformfähigkeit, auf immer stärkere Ent­mündigungstendenzen, die Abkühlung des gesellschaftlichen Klimas und de­ren Konsequenzen, so zeigt sich eine wachsende Problematik.

Die Gefährdung langfristiger Konkurrenz- und Zukunftsfähigkeit, eine parti­elle Abkopplung nationaler Entwicklung, sowie die Entfremdung des Einzel­nen vom Gemeinwesen und die Relativierung verbindender Grundüberzeu­gun­gen und Werte wirft die Frage auf, inwieweit die zuneh­mende Normierung und Bürokratie letztlich mehr Schaden als Nutzen anrichten. Erscheint hier nicht im Interesse der Menschen ein Zurückdrängen dieses Phänomens der un­gebremsten Zunahme von Vorgaben ange­zeigt?

Zunehmende Verrechtlichung und bürokratische Bindung

Zunehmende Verrechtlichung und bürokratische Bindung zeigt sich heute in allen gesellschaftlichen Bereichen, nicht nur in jenen, in denen formale Ord­nung Sinn macht. Dies führt dazu, dass

- Freiraum und Eigenver­ant­wortung des Einzelnen und nied­rig angesiedel­ter sozialer Gebilde zurückgedrängt wird,
- eine Gleichschaltung – auch ungleich gela­ger­ter Tat­­be­stände – immer stär­ker sich verbreitet,
- bestehende Besonderheiten bei auftretenden Einzelfälle zunehmend unbe­rücksichtigt blei­ben,
- die Handhabbarkeit der aufgetretenen Phänomene mit dem An­wachsen der geschaffenen Normen schwindet und
- verbindlich gesetzte Vorgaben und Verhaltensweisen einander zum Teil dia­metral widersprechen.

Dass dies zu einer Diskrepanz zwischen erforderlicher Orientierung und sich vollziehender gesellschaftlicher Entwicklung führt, kann kaum verwundern. Gerade in einer Zeit der rasch sich vollziehenden Veränderungen zeigt sich hier ein Hinterher­hinken der formalen Regelungen hinter den sich fortlaufend weiterentwickelnden Er­for­dernissen. Damit wächst die Unangemessenheit der Fest­legungen und es sinkt die Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Gesell­schaft­s­ordnungen.

Zunehmende Verrechtlichung und bürokratische Bindung lässt ferner die im Inte­res­se der Fortentwicklung erforderliche Bereit­schaft zu Innovationen und zu be­grenzten Risiken erlahmen. Man bindet sich letztlich an Regelungs­me­cha­­nis­men der Vergangenheit, die nur unzureichend mit neuen Gegeben­hei­ten in Einklang und Überein­stimmung zu bringen sind. Formale Ordnung wird da nicht selten über den Sinn dieser Ordnung gestellt, Werte ver­nach­läs­sigt und der Einzelne als ein zu dirigierendes Objekt betrachtet.

Bindung und empfundene Ohnmacht

Diese zunehmende Bindung an formales Recht und die darüber hinausge­hen­de Einschränkung durch Bürokratie lässt individuelle Freiheit und das Recht zur Selbstbestimmung und Selbstentfaltung tendenziell schwinden, sodass sich der Einzelne gegenüber dem Staat immer mehr als ohnmächtig empfin­det. Dieses subjektiv empfundene Ausgeliefertsein entfaltet prägende Wirkung auf den Einzelnen, aber auch auf soziale Gebilde jenseits staatlicher Ordnung und des staats­na­hen Ordnungsgefüges.

Im angesprochenen Zusammenhang stellt empfundene Ohnmacht die psychi­sche Macht- oder Hilflosigkeit in einer konkreten Situation dar. Macht- oder Hilflosigkeit kann in der Tat als ein Ausgeliefertsein interpretiert werden, dem sich der Einzelne nicht zu entziehen vermag. Er wird insoweit durch externe Fak­to­ren be­stimmt. Dies führt zur subjektiven Wahrnehmung eines indivi­du­ell unbefrie­digen­den Empfindens, mit dem umzugehen den Betroffenen nicht sel­ten in hohem Maße psychisch stark belastet.

Bindung und empfundene Ohnmacht stehen zueinander in einer Kausalkette. Verminderung der faktischen Entmündigung und Fremdbestimmung dürfte da das Auftreten der empfundenen Ohnmacht mindern. Dies erscheint er­strebenswert, um das Verbindende des Gemeinwesens zu stärken und die Fliehkräfte in der Gesellschaft zu begrenzen. Individuelle Wirkungen stehen dabei mit gesellschaftlichen Auswirkungen in einem engen inneren Zusam­men­hang.

Reformbedarf und Widerstände

Normenflut, ausufernde Bürokratie und ein resultierendes Gefühl der Ohn­macht lassen uns Reformbedarf erkennen. Reformbedarf bedeutet hier kon­kret eine Abkehr von der Normenflut und einer immer stärker ausufernden Büro­kra­tie. Dies ist leichter gefordert als realisiert, zumal einflussreiche Kräfte dem mit Macht wi­der­­streben. In erster Linie sind dies einerseits Vertreter von Politik, Verwaltung und Rechtspflege, aber auch die Begünstigten der be­ste­hen­den Ver­hält­nisse.

In immer stärkerem Maße in die falsche Richtung zu gehen löst nicht den be­­stehenden Zielkonflikt, einerseits Klarheit und Verlässlichkeit zu gewähr­leis­ten und andererseits für die sich fortlaufend vollziehende Entwick­lung of­fen zu sein.

- Klarheit und Verlässlichkeit hilft, ein geordnetes Miteinander zu gewähr­leis­ten und Willkür auszugrenzen,
- Offenheit für Entwicklung und Flexibilität dient dazu, sich im Einklang mit dem sich vollziehenden Wandel weiter zu entwickeln.

Widerstand birgt hier nicht eine Harmonisierung zwischen den angespro­che­nen beiden Notwendigkeiten. Sie wird aber zur Hilfe, einer Ein­sei­tigkeit ent­ge­gen zu treten und eine ausgewogene Neuausrichtung einzu­for­dern. Re­form­bedarf erscheint gerade in einer Zeit dynami­scher Veränderungen aus heuti­ger Sicht eine permanente Aufgabe. Orientierung zu geben und Flexibilität zu zeigen gestaltet sich dabei letztlich als eine nie endende Gratwan­de­rung, die angesichts menschlicher Fehlbarkeit nicht immer optimal gelingt.

Mögliche Auflösung des gordischen Knotens

Eine mögliche Auflösung des gordischen Knotens kann wohl nicht durch eine Ein­zel­maßnahme erfolgen. Unverzichtbar erscheinen Rahmenregelungen ei­ner­­seits und flexible Rege­lungsmechanismen andererseits. Nicht alles muss in Vorschriften gegos­sen werden, zumal die Fülle der Vorgaben zu einer Re­la­tivierung von Nor­men führt. Vorschriften werden dann angenommen, wenn sie klar verständlich und nachvollziehbar sind, deren Umfang das Maß des Zuträglichen nicht überschreitet und sie der relativen Gerechtigkeit dienen.

Normen sind Rückfallpositionen, die dann greifen sollen, wenn alle anderen Regelungsmechanismen nicht mehr greifen. In vielen Fällen kann über Aus­hand­lungsprozesse unter Gleichberechtigten die „ultima ratio“ vermieden wer­den. Letztendlich erscheint jedoch im Vorfeld die Frage berechtigt, ob eine Re­ge­lung überhaupt und wenn ja in welchem Ausmaße erforderlich ist. Aus dem Bereich der Organisationswissenschaft ist ja hinreichend bekannt, dass Fest­le­gungen nur dort Sinn machen, wo sie zu einer Verbesserung der Gege­ben­hei­ten beitragen, ansonsten sind sie von Übel. Für Organisation gilt schließ­lich als Leit­prinzip: soviel wie nötig, so wenig wie möglich.

Sich wohlwollend in die Position des jeweils anderen hinein zu versetzen, eine Prüfung im Lichte des kategorischen Impe­rativs vorzunehmen und das Ver­folgen eines weitgehenden Konsensprinzip erscheinen in vielen Fällen durch­aus empfehlens­wert. Ver­wie­sen werden muss in diesem Zusammenhang wohl auch auf die Wahr­neh­mung von Verantwortung durch Macht- und Gestal­tungs­träger und die Be­rücksichtigung ethischer Standards, die partiell in Ver­gessenheit geraten er­scheinen.

Zusammenfassung

Normenflut, ausufernde Bürokratie aber auch ein Gefühl der Ohnmacht wird immer mehr zu einem Thema, das Besorgnis hervorruft. Und in der Tat hat die Anzahl und der Umfang von Vorschriften erheblich zugenommen. Sie sind für den Normalbürger kaum mehr überschaubar. Ein Mehr an Vor­gaben be­deutet letztlich Einschränkung von Freiheiten und ein zunehmendes Em­pfinden von Ausgeliefertsein. Dies entfremdet, lähmt und kann schließlich zu Ablehnung und Wider­stand führen.

Entscheidend erscheint das zu fördern, was zum Aufbau und zu einer posi­tiven Entwicklung beiträgt. Letztlich besteht eine aufzulösende Spannung zwi­schen dem Gewährleisten von Orientierung einerseits und dem Ermöglichen von Of­fenheit und Fle­xibilität in einer Zeit dynamischer Veränderungen und fortlau­fenden Wandels. Hier das eine zu leisten und das Andere sicher zu stellen, erscheint als eine Gratwanderung, die permanente Aufmerksamkeit und Mü­he erfordert. Einseitigkeit zeitigt letzten Endes negative Folgen.

Die Auflösung des gordischen Knotens wird man nicht durch eine Einzel­maß­nahme erreichen können. Immerhin bietet es sich an zu prüfen, ob verbind­liche Regelun­gen erforderlich sind, ob nicht ein Durchdenken der Positionen von Koopera­ti­onspartner und einvernehmliche Aushandlungsprozesse besser geeignet er­scheinen. Nicht zuletzt bietet sich die Wahrnehmung von Füh­rungs­verantwortung und die Berücksichtigung ethischer Standards an. Nor­men sind Rück­fall­posi­ti­onen die dann greifen und greifen sollen, wenn an­dere vorrangige Rege­lungs­mecha­nis­men versagen.

Dem Entstehen von subjektiv empfundener Ohnmacht vorzubeugen ist nach unserer festen Überzeugung der aufgewendeten Mü­hen wert. Schließlich trägt die individuelle Zustimmung zum Gemeinwesen dazu bei, Engagement zu entfalten und zum gemeinsamen Erfolg beizutragen. In Zeiten des Wandels können Entscheidungsträger kaum gewährleisten, dass ausufernde Regelun­gen zeitnah den Erfordernissen angepasst werden und mit der sich vollzie­hen­den Entwicklung Schritt halten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1:

Notwendigkeiten

Unvertretbares Verhalten als Hypothek des Glaubens

Zur aktuellen Diskussion über Missbrauch im kirchlichen Bereich

Aktuell steht die katholische Kirche angesichts unvertretbaren Verhaltens von Hauptamtlichen und der jahrzehntelangen Vertuschung des Unsagbaren in der Kritik. Diese späte Offenbarwerdung ist nicht leicht zu ertragen – weder für die Betroffenen, noch für die Gläubigen oder die Institution. Doch die Aus­einandersetzung mit dem Geschehenen und Geschehenden ist notwendig, um Glaubwürdigkeit, so­­weit noch vorhanden, zu bewahren und eine grund­legen­de von der offenbarten Botschaft her bestimmte Neuausrichtung zu etablie­ren.

Fehlverhalten durch sexuelle, physische oder psychische Gewalt geht an die Substanz der Identität der Glaubensgemeinschaft, nicht nur der Institution. Sie wirkt sich letztlich für Betroffene persönlich­keits­prägend – nicht selten für den Rest des Lebens – aus. Letztlich entscheidend für wahre Autorität ist die Übereinstimmung des gezeigten Han­delns mit der geoffenbarten Botschaft des Glaubens und Jesus Christus ist der Maßstab, an dem offenbar wird, wessen Geistes Kind man ist. Gerade kirchliche Mitarbeiter stehen hier angesichts des erhobenen Anspruchs unter permanentem Rechtfertigungszwang.

Autoritäres, sich selbst überhöhendes Verhalten maßt sich letztlich eine Auto­ri­tät an, die gar nicht vorhanden ist. Dies fällt auf dann Handelnde zurück. Schließlich sind wir alle – ob Kleriker oder nicht – Teil der erlösungs­be­dürf­ti­gen Herde Jesu Christi, Brüder und Schwes­tern im Herrn. Wir alle sind dazu aufgerufen, zum Aufbau beizutragen – jeder mit den ihm oder ihr verliehenen Gnadengaben, den von Gott her anvertrauten jeweils unterschiedlichen Talen­ten. Jede Gnadengabe und jedes Talent hat Anspruch auf Berücksichtigung. Im Rahmen jeweiliger personaler Verantwortungswahrnehmung gilt es dieser Berücksichtigung gerecht zu werden.

Wenn wir als Kirche ein Leib sind, so ist jeder Teil des Leibes wichtig. Ist ein Teil krank, so leidet der ganze Leib. Einsatz von Macht kann das durch Men­schen geschaffene Übel nicht beseitigen. Sie ist selbst ein Übel, Werk des Bö­sen und verschlimmert die Versuchung zur Entwicklung von Gott weg, so­fern nicht der gute Geist Gottes und die Bindung an die geoffenbarte Botschaft im Handeln wirksam wird. So gilt, dass man letztlich an seinen Handlungen er­kannt wird.

Ein Abschied aus unrühmlicher Praxis wird nur durch eine Neuausrichtung des Denkens, veränderte Strukturen und Verfahrensweisen, sowie einer von den Opfern ausgehenden Erneuerung jenseits von Machtstrukturen ge­sche­hen können und dies ist faktisch ein Paradigmenwechsel.

- Neuausrichtung des Denkens hat das Bewusstsein der Gemeinschaft vor Gott, die Orientierung an der geoffenbarten Botschaft und das Anerkennen menschlicher Schwäche und der Gefahr des individuellen Schuldig­wer­dens zu stärken.
- Veränderte Strukturen und Verfahrensweisen haben einen vor­beu­gen­den Charak­ter. Sie rücken im Laufe der Geschichte verschobene Sichtweisen zurecht und machen deut­lich, dass Jene Größe besitzen, die anderen die­nen.
- Opfer sind nicht selten lebens­lang Geschädigte und ihre Heilung daher entscheidendes Mo­ment, Pflicht und Aufgabe der Glaubensgemeinschaft. Ihre subjektive Betroffenheit offenbart am Besten das Notwendige und Sinn­volle, das es mit dem Machbaren abzustimmen gilt.

Dass diese Betroffenheit in unterschiedlich starkem Maße ausgeprägt ist und angesichts individuell ausgeprägter Persönlichkeiten differierende Erforder­nis­se nahelegt, liegt auf der Hand. In jedem Falle erscheint hier ein persön­li­ches Zuge­hen auf Betroffene unverzichtbar und nicht die formale Abwicklung über un­persönliche bürokratische Verfah­rensweisen. Letztlich kann die Rück­gewinnung ­verlo­ren­ge­gangenes Vertrauen allenfalls in einem lang­fris­tigen Pro­­zess gelingen.

In jedem Falle ist zwischen beschämenden Verhaltensweisen von kirchlichen Mitarbeitern und der geoffenbarten Botschaft des Glaubens deutlich zu unter­scheiden. Letztere ist und bleibt unbeschädigt, ist Orientierungspunkt, Maß­stab und nach wie vor geschenkte Hoffnung, ersteres ein Zeichen mensch­lichen Versagens. Doch nicht nur in der Amtskirche und in der Hierarchie in ihr tun sich Abgründe auf. Auch bei den Gläubigen konnte offenkundig nicht sein was nicht sein durfte.

Alleine gelassene Opfer und moralische Überlegenheitsansprüche ließen ver­ständ­licherweise bei Betroffenen ein generelles Misstrauen gegenüber Insti­tu­tionen und Funk­ti­ons­trägern erwachsen. So ergibt sich Schaden nicht nur für den einzelnen Betroffenen, sondern eine grundsätzliche Bedrohung der Kirche durch die geschehenen unsagbaren Verbrechen. Der heute festzustellende Sturm der Ent­rüstung erscheint angesichts des gemeinsamen Versagens al­ler, von Hierar­chie, Klerus, Mitarbeitern, Gläubigen und Staat denn auch in Teilen frag­würdig.

Was heute fehlt ist neben der Ursachenergründung vor allem Mut und ein Sofortprogramm, das Unrecht und Ursachen bekennt, den Opfern Genug­tu­ung verschafft und im Rahmen des Möglichen eine hinreichend vorbeugende Wirkung entfal­tet. In den Fokus treten dabei nicht nur strafrechtlich noch re­levante Fälle, sondern auch die Aufarbeitung längst verjährter Vorgänge, die Betroffene nach wie vor belasten. Die Zeit ist vorbei, abzuwimmeln und einen Mantel des Schwei­gens auszubreiten.

Wird nicht unmittelbar ein neues Kapitel aufgeschlagen, so wird die Kirche grund­legend beschädigt – sie, die in der Zeit Hoffnung schenken, Heil und Bei­stand bringen und als Brückenbauer zwischen den Menschen unter­ei­nan­der und zu Gott hin dienen soll. Jetzt ist die Zeit für einen von der Botschaft her bestimmten Umbruch, auch wenn manche Tradition dadurch in Frage ge­stellt werden muss. Das Wesentliche ist letztlich maßgeblich, nicht die tra­dierten Formen, Strukturen und Verfahrensweisen.

Hat die Kirche den erforderlichen Mut zur Rückbesinnung und zur gebotenen Re­form? Eines ist klar: Ein weiter so verbietet sich. Kirche würde an sich selbst zerbrechen und dies kann nicht tieferer Sinn und Zweck sein. In diesem Zu­sam­menhang sei auch auf das hingewiesen, was beim zweiten vati­kani­schen Konzil auf die lange Bank geschoben wurde und was sich seither neu an Fra­gen aufgetan hat. Bewahrung des Unveräußerlichen und Bewah­rens­wer­ten und neuer Aufbruch schließen sich nicht aus.

Orientierungslosigkeit und schwindende oder überfordernde Perspektiven

Wer orientierungslos in der Wirklichkeit steht, dem schwinden die Perspek­ti­ven. Der ist tendenziell hilflos der sich vollziehenden, von anderen be­stimmter Entwicklung ausge­liefert. Er ist mehr Bewegter als ein Bewegender. Damit geht dem Gemeinwesen Potential verloren – ein Potential an Wissen, Können, Kompetenzen und Erfahrungen. Aber gerade in einer Zeit dynamischer Ver­än­­de­rungen bedarf es der Bündelung von Anstrengungen, der Kombination von Potentialen und des Ringens um tragfähige langfristige Lösungen.

Individuelle Orientierungslosigkeit lässt für den einzelnen Betroffenen not­wen­dige Klarheit über die Rich­tung vermis­sen, in die sich Entwicklung voll­zie­hen soll. Dies verunsichert, lässt Aktivität erlahmen und führt zu einer un­befriedigenden Wahrnehmung von Realität, die nicht selten in Rückzug oder Ag­gressivität mündet. Beide Verhaltensweisen erscheinen wenig konstruktiv. Sie tragen den Keim des Negativen in sich – sei es wegen unausgeschöpfter Potentiale oder aber destruktiver Aktivitäten.

Im vorliegenden Beitrag setzen wir uns mit Orientierungslosigkeit auseinan­der. Betrachten die dadurch sich ergebenden schwindenden Perspektiven, wenden uns Überlegungen zur Lösung und Auflösung zu und ziehen aus den einzelnen Überlegungen Schlussfolgerungen, die letztlich in eine Zusammen­fassung münden. Unser Bemühen besteht darin, Orientierungslosigkeit als einen zu überwindenden Tatbestand zu begreifen und letztlich gangbare Wege aus der Orientie­rungslosigkeit aufzuzeigen.

Orientierungslosigkeit

Orientierungslosigkeit stellt ein Fehlen von Orientierung dar. Sie kann auch als eine Planlosigkeit oder Sinnkrise begriffen wer­den. Damit fehlt dem von Orientierungslosigkeit betroffenen Men­schen Ziel und Weg für das Handeln. Es fehlt ihm jene subjektiv notwendige Bestätigung und Bestärkung hinsicht­lich der Nützlichkeit der eigenen individuellen Existenz, die zu einer depres­siven Verstimmung führen kann. Mit der Infragestellung des eigenen Wertes ist für den Einzelnen auch die Frage nach seinem Wert für das Gemeinwesen ver­bunden.

Im fehlenden Zurechtfinden gewinnen Orientierungshelfer an Bedeutung. Die­se können zu einer sinnvollen Überwindung führen oder aber eine negativen Be­einflussung ausüben.

- Sinnvolle Überwindung stärkt die Individualität und bindet sie in das ge­sellschaftliche Gefüge ein. Sie berücksichtigt damit den Einzelnen in sei­nem individuellen Sein.
- Negative Beeinflussung zeigt einen manipulativen Charakter. Nicht der Einzelne und sein Wohl wird hier berücksichtigt, sondern das Einfügen des Individuums in ein vermeintlich rechtfertigendes größeres Ganzes.

Rückbindung zu sozialen Gebilden und Vermittlung von Orientierung, Werten und Maßstäben erscheint für den kritischen Betrachter aber nur dann ge­recht­fertigt, wenn dabei das Recht des Einzelnen zur Entfaltung seiner Indi­vi­dualität nicht verletzt und er dem gegenüber zu einem willenlosen Element der Masse ge­macht wird. Orientierung zu geben bedeutet letztlich, den Ein­zel­nen zu ei­nem selbstbestimmten und individuell zu verantwortenden Leben zu führen, das in fairer Auseinandersetzung mit Anderen Sinn macht.

Schwindende oder überfordernde Perspektiven

Bei Orientierungslosigkeit schwinden die Perspektiven oder eine mögliche Fül­le an über­fordernden alternativen Perspektiven macht die subjektive Ent­schei­dung für einen letztlich ein­zu­schla­gen­den Weg unmöglich. In beiden Fäl­len ergibt sich ein Verharren im Gegenwärtigen und das Manko des Fehlens erforderlicher individuellen Entwicklung. Letz­tere erscheint aber angesichts der Dynamik der vielfältigen Veränderungen und Wandlungsprozesse un­­ab­dingbar, damit man auf der Höhe der Zeit sein und sich im Gleichklang mit der fortlaufen­den Entwicklung halten kann.

Perspektiven bedeuten in dem von uns angesprochenen Zusammenhang eine sinn­voll erscheinende Durchblick verschaffende Aus­richtungen. Sie sind da­mit den Handlungen vorgelagerte errungene Gewissheiten über ein oder meh­­re­re miteinander verbundene, zu verfolgende Ziele. Diese gehen von den in der Zukunft zu erreichenden, als positiv eingeschätzten Gege­ben­heiten aus. Sub­jektiv als wertvoll erkannte Perspektiven und in der Zukunft tatsächlich er­reichte Wirklichkeit klaffen allerdings nicht selten – wen sollte dies wundern – auseinan­der.

Ob die Problematik nun in schwindenden oder in einer Fülle an überfordern­den alternativen Perspektiven liegt, erscheint zunächst von sekundärer Be­deu­­tung. Maßgeblich ist in beiden Fällen das subjektiv bestehende Unver­mö­gen, eine klare Zielausrichtung vorzunehmen und einen daran geknüpften Weg zu bestimmen. Uns muss klar sein, dass ein sich treiben lassen letztlich nicht dazu führen kann, personale Orientierung zurück zu gewinnen und selbst­­be­stimmt in der Zeit zu bestehen.

Lösung und Auflösung

Wenn wir auf Lösung und Auflösung blicken, so liegt in der Auflösung der Ori­entierungslosigkeit und im Zurückgewinnen von Perspektiven für den Ein­zelnen, aber auch für die Gesellschaft die anzustrebende Lösung. Dies ist leich­­ter zu fordern als zu bewerkstelligen. Und doch darf diese Aufgabe im In­­­teresse sowohl der Betroffenen als auch des Gemeinwesens nicht ver­nach­lässigt werden. Hier nachlässig zu sein kostet dem Einzelnen Lebensqualität und der Gesellschaft wertvolles Potential.

Bei der Auflösung der Orientierungslosigkeit geht es zumeist um einen län­ger­fristiges Prozess. Kernelemente sind

- das Bilden von stets hinterfragtem Vertrauen in die eigene Person, in Be­zugspersonen, in Strukturen, Verfahrensabläufe und Le­bensumwelt,
- kritische Reflexion im Hinblick auf die Vergangenheit, die bestehenden Ge­ge­ben­heit und die absehbaren Entwicklungen,
- das Entwickeln von realistisch erscheinenden Alternativen und eine nach­ge­la­gerte Gewich­tung von de­ren Vor- und Nachteilen,
- die Gewinnung von vertrauenswürdigen Begleitern und Ratgebern auf dem Weg in die Zu­kunft,
- eine sich entwickelnden Bereitschaft zur Neu­ori­en­tierung unter den sich ­än­dernden Gegebenheiten, sowie
- die Diskussion der jeweils gefundenen neu gewonnenen Antworten und Ein­sichten im Kreis von Ver­trauten.

Die erreichbare Lösung ist stets eine vorübergehende. Gefundene Antworten besitzen damit zumeist ein Verfalldatum. Daher empfiehlt es sich, fortlau­fend zu prüfen, ob erarbeitete Positionen noch angemessen sind oder auf­grund neu­er Erkenntnisse oder veränderter Gegebenheiten eine Re­vision an­ge­zeigt er­scheint. Wenn die Auflösung der Orientierungslosigkeit einen ersten Schritt dar­stellt, muss die Festigung neu gewonnener Orientierung als eine per­ma­nen­te Herausforderung begriffen werden.

Zusammenfassung

Orientierungslosigkeit führt uns nicht weiter. Sie lässt uns im Strudel der Zeit zurückfallen und dahintreiben. So gilt es neue Orientierung zu finden um in der Gegenwart mitzuwirken und Akzente zu setzen. Schwindende oder über­fordernde Perspektiven sind dabei hemmende Phänomene, die der Einzelne nicht immer aus eigener Kraft zu überwinden in der Lage ist. Da erscheint die Auflösung der Orientierungslosigkeit und damit die Lösung des vorhandenen Problems für den Einzelnen und das Gemeinwesen von herausragender Be­deu­tung.

Dazu tragen verschiedene, selbst geschaffene oder durch Bezugspersonen an­gebotene und vermittelte Einzelmaßnahmen bei, die sich in ihrer Wirkung wech­selseitig er­gän­zen. Bilden von Vertrauen, kritische Reflexion, entwickeln von realisti­schen Alternativen, gewinnen von vertrauenswürdigen Begleitern und Ratge­bern, Bereitschaft zur Neuausrichtung und Diskussion neu ge­won­nener Ant­worten und Ein­sich­ten mit anderen zählen zweifelsohne dazu. Diese Liste er­hebt aber nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

Orientierungslosigkeit und schwindende oder überfordernde Perspektiven sind ein Resultat dynamischer Veränderungen, der damit zusammenhängen­den wechselseitigen Überlagerung von vielfältigen Wandlungsprozessen, der erheblichen Zunahme des Wissens und der wachsenden Relativität von Aus­richtungen gesellschaftlicher Teilgruppierungen, sowie der damit verbundener Über­forderung von Menschen. Be­gleitung und Hilfestellung wird da neben dem persönlichen Bemühen von Be­troffenen zu einer nicht unwesentlichen Füh­rungs­aufgabe, die es bewusst an­zunehmen und mit ausgeprägtem Ver­ant­­wor­tungs­bewusstsein wahrzu­neh­men gilt.

Fragile Ordnungen als pädagogische Herausforderung

In der Tat leben wir in einer Zeit zunehmender Verunsicherung durch glo­ba­len Wandel, Dynamik der Veränderungen, Differenzierung der Lebens­ent­würfe, durch erweiterte Möglichkeiten, aber auch wachsende und schwer abschätz­bare Risiken. Bestehende Strukturen und Verfahrensabläufe erscheinen in ei­nem solchen Szenarium angesichts der unübersehbaren Anpassungs­rück­stän­­de der Regelungsmechanismen angesichts der fort­laufend er­for­der­lichen Veränderungen als suboptimale und damit unbefriedigende Bewältigungs­an­sätze, ja als eine ernst zu nehmende Be­drohung.

Leistbarkeit gesellschaftlicher Ordnung kollidiert hier mit den sich aus den lau­fen­den Verän­derungen ergebenden Erfordernissen, der notwendige, zu set­zende und fort­zuentwickelnde Rahmen schafft nicht nur Frieden, sondern auch Ungerechtigkeit und Unrecht. Da erscheint nicht nur die Rolle der Ord­nun­gen hin­terfragenswert, sondern auch die Einbindung der Betroffenen in das Gemeinwesen und deren Mitnahme auf dem Weg in die Zukunft. Insoweit ist Pädagogik gefordert, dem Gemeinwohl und dem Einzelnen zu dienen und bei­den gerecht zu werden.

So beschäftigt uns nachfolgend die Konsequenzen fragiler Ordnungen für Men­schen, menschliche Gebilde und Pädagogik. So beschäftigt uns die Rol­le der Pädagogik im Rahmen fragiler Ordnungen. Wir bewegen uns dabei vom aktuellen Ausgangspunkt über die stufenweise Sicherung von Teilhabe und der Entwicklung eines stabilen Grundgefüges hin zu einer themen­bezo­ge­nen Zu­­sammenfassung und dem Versuch eines zielführenden und schlüs­sig nach­­voll­ziehbar begründeten Ausblicks.

Fragile Ordnungen

Ordnungen sind unvollkommene Hilfen bei der Bewältigung der Herausfor­de­rungen des mit Ungewissheit und Unsicherheit verbundenen Lebens und Zu­­sammenlebens. Sie sind temporäre Orientierungspunkte und gleichzeitig fort­laufend zu hinterfragende gesellschaftliche Vorgaben. Klarheit, Nachvollzieh­barkeit und Eindeutig­keit schwinden im Rahmen dynamischer Veränderun­gen, von Umbrüchen und vielfältigen Wandlungsprozessen, im Rahmen zu­nehmender Differenzierung von ethischen Vorstellungen, Lebensent­wür­fen und Prioritätssetzungen.

Ordnungen sind heute fragil. Sie weisen das Manko der Zerbrechlichkeit und Anfälligkeit auf und werden daher gegenüber früher in größerem Maße in Frage gestellt. Eine immer stärkere Zunahme und Unüberschaubarkeit von Struk­turen, Ver­fahrensabläufen und Regelungen lässt letztlich deren Ver­bind­lichkeit in der Öffentlichkeit nach dem Motto schwinden: „Man darf sich nur nicht erwischen lassen.“ Dies zerstört allerdings die unverzichtbar er­schei­nende Grund­­lage des Ge­meinwesens, das identitätsstiftend Verbindende ungeachtet aller Differenzierungen.

Fragile Ordnungen sind eine sich ergebende Konsequenz aus der Einbindung in eine Zeit dynamischer Veränderungen. Da ist wohl zu fragen, ob immer dif­ferenziertere Vorgaben das zu wahrende Gleichgewicht von notwendiger Ord­nung und zu erhaltender Freiheit stören, ob nicht neben den Einschrän­kungen auch andere Formen der Einbindung in die Gesellschaft in stärkerem Maße gewünschte Ergebnisse zeitigen sollten. Dabei ist weniger an den Zeit­geist und die Gefolgschaft gedacht, sondern an zu vermittelnde in sich stim­mige ethisch gefestigte Grundüberzeugungen und wohl begründete Ein­sich­ten.

Konsequenzen für Menschen und menschliche Gebilde

Menschen bewegen sich zwischen der Notwendigen Anpassung an Ver­ände­rungen, dem Erfordernis an Klarheit, Struktur und Verlässlichkeit, dem in Ordnungen bestehendem Machtgefüge und der ethisch legitimierten Aus­prä­gung von Gerechtigkeit. In einer Gesellschaft oder gesellschaftlichen Grup­pierung bestehen hier spezifische Ausprägungen und eine immer wieder neu sich gestaltende Konkurrenzsituation, die eine individuelle Entscheidung und eine hinreichende Begründung der jeweils eingenommenen Positionierung er­forderlich macht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2:

Gefüge an Wechselwirkungen

Die notwendige Anpassung an veränderte Gegebenheiten sichert den persona­len Anschluss an die sich vollziehenden Entwicklungen, das Erfordernis an Klarheit, Struktur und Verlässlichkeit vermeidet die Überforderung der Mit­glieder des Gemeinwesens, aber sichert auch die Gleichbehandlung glei­cher Vorgänge. In Ordnungen bestehendes Machtgefüge gewährleistet Koordi­na­tion des Vorgehens und ethisch legitimierte Ausprägung von Gerechtigkeit dient der Bewahrung des sozialen Friedens. Einseitigkeit der Gewichtung ver­hindert eine im Interesse sozialer Gebilde wünschenswerte Angemessenheit des Handelns.

Innerhalb des Gemeinwesens bedarf es letztlich einerseits der individuellen Entfaltung der Persönlichkeit und selbstbestimmten Schwerpunktsetzung, an­­dererseits aber auch der Rückbindung zu anderen, damit sowohl der Ein­zelne wie auch das soziale Gesamtgefüge zu seinem bzw. ihrem Recht kommt. Der Einzelne ist insoweit hin- und hergerissen zwischen Altruismus und Ego­ismus, Unterordnung und Selbstbehauptung, Geben und Nehmen. Gleich­ge­wicht ist hier sowohl nach Themenkreisen, wie auch nach zugewiesener Be­deu­tung im Zeitablauf Schwankungen unterworfen.

Rolle der Pädagogik im Rahmen fragiler Ordnungen

Innerhalb dieses fragilen Gefüges an strukturgewordener Führung kommt der Pädagogik die Rolle der Vermittlung und Einbindung zu. Allgemeine Erzie­hungswissenschaft kann insoweit als Wissenschaft von der Führung und Ent­wicklung des Menschen betrachtet werden. In dieser erweiterten Sichtweise findet eine Entgrenzung des Pädagogischen und dessen Ausweitung auf das ganze menschliche Leben statt. Denn das Ende irdischer personaler Entwick­lung lässt sich erst zum Zeitpunkt des Ablebens konstatieren. Dass Einfluss­nahme und Einbindung addressatengerecht zu erfolgen hat, muss hier wohl nicht eigens begründet werden. Schließlich ist die einzelne Person dort abzu­holen, wo er oder sie gerade steht.

Mit Oswald Neuberger lässt sich hier festhalten, dass pädagogisches Handeln durch Führung bedeutet, an­dere Menschen zielgerichtet, in einer for­ma­len Or­ganisation und unter kon­kreten Umweltbedingungen bei Wahrung hu­ma­ner Ansprüche dazu zu be­we­gen, Aufgaben zu übernehmen und er­folg­reich aus­zuführen (vgl. Neuber­ger 1993, 8). Dies impliziert den bewussten Ver­zicht auf Manipulation und ein Einfordern von Gefolgschaft, sowie das Set­zen auf ein Mitnehmen, Einbinden und Über­zeugen, also auf Wahrung der mensch­li­chen Würde und eine wert­schätzende Begegnung auf Augenhöhe.

Pädagogik hat insoweit durch ihr Wirken dazu beizutragen, unter den Bedin­gungen des globalen Wandels Orientierung und Hilfestellung zu bieten, die den Erfolg sowohl für den Einzelnen wie auch für das Gemeinwesen herbeizu­führen in der Lage ist. Dieses Handeln ist sowohl an den jeweils Einzelnen, das Gemeinwesen, aber ebenso an Ethik und Moral gebunden. Die Würde des Men­schen, Solidarität und Subsidiarität werden damit zu zentralen Bestim­mungsfaktoren, die es in der konkreten sozialen Begegnung umzusetzen und zu gewährleisten gilt.

Aktueller Ausgangspunkt

Für pädagogisches Handeln sind die aktuell bestehenden Gegebenheiten zen­tra­ler Aus­gangspunkt. Diese Gegebenheiten lassen sich letztendlich plakativ skizzieren durch

- eine zunehmende Entwicklungsdynamik, grundlegenden Wandel, Über­la­ge­rung von gleichzeitig ablaufenden Veränderungsprozessen,
- immer größere Komplexität der Vorgänge und Abläufe, sachfremde recht­liche, büro­kratische und technokratische Gängelung,
- Reformstau und nicht mehr nachvollziehbaren Handlungsverzögerungen bei erforderlichen Maßnahmen,
- wachsende Ungewissheit und Unsicherheit hinsichtlich der Gegebenheiten in der Zukunft,
- Überforderung eines immer größer werdenden Teils der Gesellschaft, ein­schließlich maßgeblicher Entscheidungsträger,
- Heterogenität der Ansätze und Zielperspektiven, sowie eines Schwindens des unverzichtbaren gemeinsamen Fun­daments der Gesellschaft,
- aber auch einer Schmälerung des allgemeinen Glaubens an die Beherrsch­bar­keit der bestehenden und absehbaren Herausforderungen.

Knapp gefasst ist heute das Vertrauen in politische und gesellschaftliche Funk­tionsträger ge­schwunden, der Anspruch und die Erwartung in die Lö­sungs­kompetenz der Gesellschaft gewachsen. Verdrängt wird hierbei, dass das Wohl des Gemeinwesens von all seinen Mitgliedern und ihrem Verhal­ten abhängt und insoweit ein Abschieben von Mitverantwortung stattfindet, wel­ches die Erreichung wünschenswerter positiver Entwicklungen belastet oder sogar verhindert. Letztlich ist jeder dazu aufgerufen, sich an die eigene Nase zu fassen und bisheriges eigenes Verhalten zu hinterfragen.

Der aktuelle Ausgangspunkt spiegelt eine Momentaufnahme wider. Er ist eine temporäre Erscheinung im zeitlichen Ablauf, angesiedelt zwischen Vergangen­heit und Zukunft. Insoweit besteht die Möglichkeit, aktuelle Gegebenheiten zu verändern. Dazu ist ein nicht geringer Aufwand erforderlich und es sind er­heb­liche Widerstände zu erwarten. Dies entbindet uns jedoch nicht davon, die Bemühungen zu verstärken, Herausforderungen zu meistern, Probleme zu bewältigen, Schwierigkeiten zu überwinden, Lösungen zu finden und der je­wei­ligen Verantwortung gerecht zu werden.

Stufenweise Sicherung von Teilhabe und Entwicklung eines stabilen

Grundge­füges

So bleibt der Pädagogik und uns der Auftrag erhalten, stufenweise Teilhabe zu sichern und die Entwicklung eines stabilen gesellschaftlichen Grund­ge­fü­ges zu fördern. Denn das Notwendige und Wünschenswerte lässt sich nicht in einem einzigen Schritt erreichen und ein stabiles gesellschaftliches Grundge­füge ist die Voraussetzung für das Erleben von Wir-Gefühl, förderlicher Ge­mein­schaft, subjektivem Wohlbefinden und der Bereitschaft zu konstruktiver zielgerichteter Zusammenarbeit. Gerade in Zeiten globalen Wandels kommt damit der Pädagogik eine herausragende Rolle zu.

Im Einzelnen lassen sich nachfolgende zentrale Ansatzpunkte finden, die durch angemessene Maßnahmen anzugehen sind:

- Schaffen einer gefestigten Vertrauensbasis und deren Ausbau,
- Bekämpfung irrationale Angst,
- Abbau negativer Erfahrungen durch positive Erlebnisse,
- Förderung der Einsichten und Erweiterung des Wissens,
- Animieren von Menschen zu konstruktiver Mitwirkung,
- Kommunikation erzielter Erfolge und positiver Entwicklungen, sowie
- angemessene Würdigung real erarbeiteter Verdienste.

Dass dies ein Mamut Projekt darstellt, darf uns nicht verwundern. Schließlich geht es um einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Es geht darum, die Er­kenntnis zu vermitteln, dass durch wechselseitige Ergänzung eine best­mög­li­che Bewältigung von Herausforderungen zu erzielen ist und das Ziel von Bil­dung darin besteht, die in der Person des Einzelnen liegenden unterschied­lichen Fähigkeiten im Interesse dieser Person und des Gemeinwesens um­fas­send zu entfalten. Letztlich gilt es die allgemeine und zielgruppenspezifische Erziehungswissenschaft, aber auch Didaktik und Methodik dieser Herausfor­derung gegenüber zu öffnen.

Themenbezogene Zusammenfassung und Ausblick

Fragile Ordnungen sind eine pädagogische Herausforderung. Dies gilt gerade heute angesichts des dynamischen Wandels, der zunehmenden Unsicherheit und der Gefahr von Überforderung. Hier durch Orientierung und Unterstüt­zung Hilfestellung zu leisten erscheint von herausragender Bedeutung für die positive Entwicklung des Gemeinwesens. Bestehende Gegebenheiten führen bei vielen zu erhöhten Belastungen, die es im Miteinander durch gemeinsame Anstrengung zu bewältigen gilt.

Dass dies im Rahmen von vielfältigen Zielkonflikten nicht gerade leichtfällt, entbindet uns nicht davon, das Bestmögliche anzustreben. Pädagogik hat hier eine zentrale Funktion, denn es gilt, die jeweiligen Potentiale der Einzelnen zu erschließen, durch wechselseitige Ergänzung in Zusammenarbeit den Heraus­forderungen zu begegnen und dabei auch unter den veränderten Gegebenhei­ten dem Grunderfordernis der Wahrung der Würde jedes Menschen, sowie der Forderung nach prak­ti­zierter Soli­darität und gewährleisteter Subsidiarität Rech­nung zu tra­gen.

Der aktuelle Ausgangspunkt ist anzunehmen und Menschen dort abzuholen, wo diese gerade stehen. In einem Stufenprozess gilt es die Sicherung von Teil­habe für alle Angehörigen des Gemeinwesens schrittweise zu erreichen und gleichzeitig ein stabiles gesell­schaft­liches Grundgefüge zu bewahren. Darauf­hin die allgemeine und zielgruppenbezogene Erziehungswissenschaft, sowie Didak­tik und Methodik zu öffnen und auszurichten, darin liegt die aktuelle pädagogische Herausforderung, der wir uns letztlich nicht entziehen können ohne dem Einzelnen, der Gesellschaft und der Profession Schaden zuzufügen.

Fragile Ordnungen, gekennzeichnet durch Unsicherheit und Zerbrechlichkeit, sind und bleiben eine Herausforderung letztlich für alle Menschen. Pädago­gik stellt hier eine willkommene Bewältigungshilfe dar, die Zuversicht zu schaf­fen in der Lage ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3:

Bewältigung im Lösungsfeld

Bestehender Vertrauensverlust und Erfordernis eines Aufbruchs zur Sicherung von Zukunftsfähigkeit

Stillstand und unklare Positionierung als offenkundig bestehende Defizite

Unzufriedenheit und Vertrauensverlust in die Politik lässt sich heute kaum noch übersehen. Sie bestehen bei vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Das Auftreten dieser Phänomene hat unübersehbar vielfältige Ursachen. Sie sind letzt­lich Konsequenzen aus ungelösten Problemen und unklarem Erschei­nungsbild. Dies drängt verantwortungsbewusst Handelnde, den bestehenden Erfordernissen in höherem Maße Rechnung zu tragen, mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern das ehrliche Gespräch zu suchen und um tragfähige Lösun­gen und deren Umsetzung bemüht zu sein. Damit sollen sich die nach­fol­gen­den Aus­führungen auseinandersetzen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Gegebenheiten, Grundpositionen, Perspektiven
Untertitel
Überlegungen zur Orientierung gegen Relativität, Lethargie, Ismen, Hass und Herdentrieb
Autor
Jahr
2020
Seiten
107
Katalognummer
V512508
ISBN (eBook)
9783346092786
ISBN (Buch)
9783346092793
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gegebenheiten, Grundpositionen, Perspektiven, Orientierungshilfe
Arbeit zitieren
Prof. Dr. mult. Alfons Maria Schmidt (Autor:in), 2020, Gegebenheiten, Grundpositionen, Perspektiven, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512508

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