Altruismus. Über das soziale Geben und Nehmen zwischen Lebewesen


Hausarbeit, 2017

14 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhalt

1 Prolog: Gebt so wird euch gegeben

2 Was steckt hinter Altruismus?
2.1 Ichsucht
2.2 Altruismus in den Genen?

3 Konkrete Beispiele
3.1 Gemeiner Vampir (Desmodus rotundus)
3.2 Pinie (Pinus pinea)
3.3 Kolibakterium (Escherichia coli)
3.4 Schleimpilz (Eumycetozoa)
3.5 Meerschwalbe „Putzerfisch“ (Labroides dimidiatus)

4 Ein Ausblick: Sensus comunis

5 Literatur- und Abbildungsverzeichnis
5.1 Sekundärliteratur
5.2 Abbildungen

1 Prolog: Gebt so wird euch gegeben

„Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr meßt [sic.], wird man euch wieder messen.“[1]

Bereits der Evangelist Lukas appelliert an die menschliche Selbstlosigkeit, welche das eigene Leben positiv beeinflussen soll und auch heute gibt es verschiedene Formen gemeinnützigen Handelns. Doch ist Altruismus wirklich eine Voraussetzung für das Zusammenleben? Ist nicht jeder sich selbst der Nächste? Dass diese beiden Thesen vielleicht gar keine Kontradiktion darstellen, soll in dieser Ausarbeitung näher betrachtet werden. „Wir spenden Geld, zahlen Steuern und helfen Menschen, die wir nicht persönlich kennen.“[2] Auch kann zum Beispiel das Blutspenden in diesen Zusammenhang eingeordnet werden. Verursacht man doch im Sinne des Altruismus bei sich selbst einen Fitnessverlust, um das Leben unbekannter Menschen zu retten.[3] Ist dieses Verhalten nun wirklich uneigennützig? Und wenn ja, ist der Homo sapiens der einzige seiner Gattung, – vielleicht der einzige in der Welt des Lebens – der dies sein Eigentum nennen darf? Jedenfalls geht der Wissenschaftspresseartikel des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie zu obigem Zitat, mit dem Titel Altruistisches Verhalten bei Kleinkindern und Schimpansen aus dem Jahr 2006 vom Vorhandensein altruistischen Verhaltens - sowohl bei Kleinkindern als auch bei Schimpansen – aus. Ein anderer Artikel des Wissenschaftsmagazins Spektrum.de Dezember vergangenen Jahres zum selben Thema proklamiert, dass die falschen Voraussetzungen der Experimente die zur Annahme von Altruismus unter Primaten führten entlarvt worden seien, da die Experimentbedingungen nicht natürlichen Bedingungen entsprächen.[4] Die beiden oben dargestellten, teilweise widersprüchlichen Positionen zeigen, wie schwer es ist, Altruismus biologisch dingfest zu machen. Vor allem dann, wenn es in der Mensch-Affen-Frage um das eigene Bewusstsein und die Motivation selbstlosen Handelns geht. Diese Ausarbeitung versucht außerhalb der Ordnung Primaten weitere Beispiele für Altruismus in den biologischen Blickpunkt zu stellen. Dabei befindet sich das Beispiel nepotischer Altruismus (kin selection) zahlreich in der Eukaryoten- und in der Prokaryotendomäne. Es werden fünf konkrete Beispiele dargestellt, und aufgezeigt, dass der Mensch nicht alleinig dieses Verhalten für sein kooperatives Miteinander nutzbar gemacht hat. Soziales Geben und Nehmen gehört zum Leben dazu, da es unmöglich ist sich als Lebewesen einer Einflussnahme anderer Lebewesen komplett zu entziehen.

2 Was steckt hinter Altruismus?

2.1 Ichsucht

„Wer auf Stein bauen will im Menschen, darf sich nur der niedrigen Eigenschaften und Leidenschaften bedienen, denn bloß, was aufs Engste mit der Ichsucht zusammenhängt, hat Bestand und kann überall in Rechnung gestellt werden; die höheren Absichten sind unverlässlich, widerspruchsvoll und flüchtig wie der Wind.“[5] (Robert Musil)

Die „Ichsucht“ wie der Schriftsteller Musil es nennt, ist Voraussetzung für Altruismus. Als Menschen brauchen wir das soziale Gefüge und dementsprechend muss investiert werden.[6] Doch Menschlichkeit ist keine zwingende Voraussetzung für Altruismus. Das sieht man vor allem an eusozial organisierten Tierstaaten, zum Beispiel bei Honigbienen (Apis mellifera) oder Nacktmullen (Heterocephalus glaber), die bei der Brutaufzucht stark altruistisch geprägtes Verhalten aufweisen. Auch wenn es oftmals erst auf den zweiten Blick feststellbar ist, ist der Gewinn für das Individuum, welches altruistische Handlungsmuster zeigt, größer als der Verlust. In dieser Hinsicht verhält sich die angebliche Selbstlosigkeit gleich der angeblichen Verschwendung von Energie in kostbaren Balzschmuck oder Paarungstänze: Es geht immer um die möglichst zahlreiche Weitergabe der eigenen Gene. Wobei eine Unterscheidung zwischen „Investition in den eigenen Marktwert als Sozial- oder Sexualpartner durch die Übernahme altruistischer Kosten“ und der „Investition in einen Verwandten“ oder ein anderes Individuum gemacht werden muss, wie es in der Funktionslogik der Soziobiologie bei Voland zu finden ist.[7] Geht man nach dem Biologielehrbuch Campbell wird Altruismus wie folgt definiert:

„Altruismus ist in der Soziobiologie eine scheinbar uneigennützige Verhaltensweise einem anderen Artgenossen gegenüber, dessen Fortpflanzungserfolg (direkte Fitness) dadurch erhöht wird. Evolutionstheoretisch als „Gen-Egoismus“ interpretierbar, der vor allem nah verwandten Artgenossen zu Gute kommt (Erhöhung der Gesamtfitness). Ökologisch bedeutsam als biotischer Mechanismus zur Individuendichte-Regulation von Populationen.“[8]

Altruistisches Verhalten zielt darauf ab, eine möglichst hohe Individuendichte in der Folgegeneration des altruistisch Handelnden zu erreichen, was zu einer positiven Verstärkung altruistischer Allele im Genpool führt. Im Nepotismus, das heißt Altruismus unter Verwandten, lässt sich das Auftreten altruistischen Handelns nach der Hamiltonregel berechnen. Wenn B r > C, dann lohnt sich altruistisches Handeln, und wird positiv selektiert.[9] Somit ist Nepotismus innerhalb einer Art sehr verbreitet, da er den Genfortbestand des Donors sichert. Doch was ist mit der Selbstlosigkeit, die sich zwischen nicht miteinander verwandten Individuen zeigt?[10] Dieser als reziprok bezeichnete Altruismus kann nur auf Vertrauensbasis funktionieren, und setzt eine Erwiderung altruistischen Verhaltens voraus. Dies bedeutet, dass die Beteiligten lange leben, oder sich zumindest wiedertreffen.[11] Die Rollen des Donors und Rezipienten wechseln sich ab, so dass die Beteiligten funktionslogisch eine gewisse momentane Fitness gegen spätere Fitness tauschen.[12]

2.2 Altruismus in den Genen?

Vielleicht ist Altruismus ja auch angeboren, wie Hunt postuliert, und nicht ausschließlich erworben.[13] Zumindest wird er – wie in vorigem Abschnitt erwähnt – positiv selektiert. Um der Frage der Existenz von Altruismus nachgehen zu können, sollte eine erste Begriffseinordnung der verschiedenen Altruismusformen in die evolutionäre Funktionslogik erfolgen.[14] Nachteile, die in jeder Altruismusform für den Donor der Handlung entstehen, sollten kurzfristig sein, und langfristig einen Nutzen einbringen, was Dawkin als „genetischen Egoismus“ bezeichnet, da es immer um eine Weitergabe der Gene, bzw. um die Gesamtfitness des Individuums geht. Wenn man verwandtschaftsbasierten Altruismus im Licht der Selektion einzelner Gruppen, oder Arten betrachtet – zum Beispiel unter Roten Waldameisen (Formica rufa) – dann ist auffällig, dass alle Ameisenarbeiterinnen auf die eigene Fortpflanzung verzichten, um sich um die Brut ihrer Königin zu kümmern. Das Verhalten kann jedoch immer noch als egoistisch eingestuft werden. Denn vom Verwandtschaftsgrad sind die Arbeiterinnen näher mit ihren Geschwistern verwandt (r = 0,75) als sie es mit ihren eigenen Kindern wären (r = 0,5), was auf dem Prinzip der Haplodiploidie beruht.[15] Diese Haplodiploidie findet sich auch unter den Hautflüglern Bienen sowie Wespen. Sie besagt, dass die männlichen Individuen aus unbefruchteten Eizellen der Königin schlüpfen und somit haploide direkte Genkopien des halben Muttergenoms sind. Der weibliche Nachwuchs entsteht aus einem der zwei Königinnenallele sowie dem einen männlichen Allel, was zu Diploidie führt. Das heißt, dass bei den Weibchen der Verwandtschaftsgrad zur Mutter r = 0,5 beträgt.

3 Konkrete Beispiele

3.1 Gemeiner Vampir (Desmodus rotundus)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Eine Vampirfledermaus füttert ihre Nachbarin am Schlafplatz

Eine weitere Form von Altruismus, der reziproke Altruismus, findet sich in der Säugetierklasse beim gemeinen Vampir (Desmodus rotundus).[16] Im reziproken Altruismus liegt „das strategische Ziel“ darin, in das Wohlergehen eines Partners zu inverstieren, von dem erwartet wird, dass die Erwiderung der Leistung zu einer späteren Gelegenheit erfolgt. Bei nicht ertragreicher Jagd einer Höhlennachbarin sei zu beobachten, wie satt gefressene Tiere ihr Blut wieder hervorwürgten (s. Abb.1), um die hungrige Artgenossin zu füttern.[17] Man könnte deren Verhalten eventuell auch zur indirekten (oder starken) Reziprozität zählen, da die gegenseitige Unterstützung in Notsituationen – wie zum Beispiel Hunger – auf Vertrauen basiere und bei Normverletzungen Sanktionen verhängt würden. Außerdem ist nicht eine direkte Gegenleistung des Rezipienten vorausgesetzt, sondern dieser könne auch in Dritte investieren.[18] Wie bei der Klasse der Insekten ist die erhöhte Investition in nahe Verwandte bzw. einen direkten Schlafnachbar auffällig, was ein Merkmal für nepotischen Altruismus ist.[19] Das altruistische Strafen verläuft demgemäß so, dass Individuen, die sich nicht hilfsbereit zeigen, das heißt Vampire, die kein Blut teilen, bei der nächsten Situation, in der sie selbst hilfsbedürftig sind, eine Blutspende verweigert wird (tit-for-tat).

[...]


[1] Die Bibel: Lukas 6, 38.

[2] Max-Planck-Gesellschaft. Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie: Altruistisches Verhalten bei Kleinkindern und Schimpansen, Pressemitteilung vom 2. März 2006. URL: https://www.mpg.de/521163/pressemitteilung20060302 (Zugriff: 25.03.17)

[3] Vgl. Hunt, Morton: Das Rätsel der Nächstenliebe. Der Mensch zwischen Egoismus und Altruismus, New York 1992, S. 11. Ebd. heißt es: „Rund neun Millionen Amerikaner spenden jedes Jahr einen halben Liter oder mehr Blut für Leute, die sie nicht kennen, obwohl der Dank dieser Leute, in deren Körpern dann ihr Blut fließt, sie nie erreichen wird, und obwohl sie nicht einmal erfahren, ob das geschenkte Blut wirklich gebraucht wurde.“

[4] Vgl. Fischer, Lars: Sind Schimpansen doch nicht altruistisch? In: Spektrum.de. Psychologie/ Hirnforschung. URL: http://www.spektrum.de/news/sind-schimpansen-doch-nicht-altruistisch/1433402 (Zugriff: 29.03.17)

[5] Precht, Richard David: Die Kunst, kein Egoist zu sein. Warum wir gerne gut sein wollen und was uns davon abhält, München 2010, S. 60. Zitiert nach Robert Musil.

[6] Vgl. Experiment Friedrich II. mit Babies, welchen jede soziale Kommunikation durch die Amme vorenthalten wurde. Die körperliche Versorgung wurde jedoch gewährleistet und trotzdem starben sie alle.

[7] Voland, Eckart: Soziobiologie. Die Evolution von Kooperation und Konkurrenz, 3.Aufl., Heidelber 2009. S. 71.

[8] Campbell: Biologie, 10. Akt. Aufl. Hallbergmoos 2016. S. 1510. + Glossar: Altruismus.

[9] Vgl. Hamiltonungleichung B r > C bedeutet, dass der Nutzen B (benefit) multipliziert mit dem Verwandschaftskoeffizienten r (relation) für den Donor größer sein muss als die möglichen Kosten C (cost) die durch die Handlung entstehen. Es geht folglich immer um die beste Gesamtfitness (inclusive fitness) für das Individuum. Nach Voland (2009): Soziobiologie. S. 88f.

[10] Streng genommen dürfte man nur zwischenartlichen Altruismus, bei dem Fortpflanzungsbarrieren herrschen betrachten, da man ansonsten immer eine Form von kin selection vorwerfen könnte.

[11] Vgl. hierzu das Gefangenendilemma der Spieltheorie: Je nachdem ob im Vorhinein eine Wiederholung der Situation abgemacht wurde, verhalten sich die Teilnehmer unterschiedlich kooperativ. Hier wird Reziprozität durch die Aussicht auf langfristigen bzw. kurzfristigen Gewinn gesteuert, und auf das Verhalten des Partners ausgerichtet (tit-for-tat).

[12] Voland (2009): Soziobiologie, S. 71.

[13] Hunt, Morton (1992): Das Rätsel der Nächstenliebe, S. 14f. Hier wird auch die bekannte Hypothese des Soziologen Emile Durkheim erwähnt, der behauptet, dass keine Gesellschaft Bestand haben könne, in der die Menschen nicht ständig Opfer füreinander brächten.

[14] Vgl. Voland (2009): Soziobiologie, S. 71.

[15] Vgl. Hölldobler, Prof. Dr. Bert; Wilson Prof. Dr. Edward O.: Der Superorganismus. Der Erfolg von Ameisen, Bienen, Wespen und Termiten, New York 2009. S. 23f.

[16] Vgl. Baier, Tina: Kooperation im Tierreich. Der nette Vampir. In: Süddeutsche Zeitung, Wissen, Verhaltensbiologie, 2015. URL: http://www.sueddeutsche.de/wissen/verhaltensbiologie-der-nette-vampir-1.2743099 (Zugriff: 31.03.17).

[17] Vgl. Martin, Konrad; Allgaier, Christoph: Ökologie der Biozönosen. 2. Aufl., Heidelberg 2002, S. 171f.

[18] Vgl. Evolutionäre Funktionslogik nach Voland (2009): Soziobiologie, S. 71.

[19] Vgl. Martin (2002): Ökologie der Biozönosen, S. 171f.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Altruismus. Über das soziale Geben und Nehmen zwischen Lebewesen
Hochschule
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)  (Institut für Botanik)
Veranstaltung
Grundlagen der Biologie Teil Evolution
Note
1,2
Autor
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V512325
ISBN (eBook)
9783346093042
ISBN (Buch)
9783346093059
Sprache
Deutsch
Schlagworte
altruismus, über, geben, nehmen, lebewesen
Arbeit zitieren
Annika Haas (Autor:in), 2017, Altruismus. Über das soziale Geben und Nehmen zwischen Lebewesen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512325

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