Boko Haram. Von einer muslimischen Sekte zu einer islamistischen Terroroganisation


Hausarbeit (Hauptseminar), 2015

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Islam in Nordnigeria: Ein historischer Abriss
2.1 Der Islam in der Kolonialzeit
2.2 Der Islam nach der Unabhängigkeit

3. Boko Haram
3.1 Islamismus, islamischer Fundamentalismus und der Dschihad
3.2 Entstehung von Boko Haram
3. 4 Die Entwicklung von Boko Haram ab dem Jahr 2009

4. Der Kampf gegen Boko Haram
4.1 Die nigerianische Regierung und das nigerianische Militär
4.2 Kritik am Kampf gegen Boko Haram
4.3 Zusammenfassung der Gründe des Misserfolges beim Kampf gegen Boko Haram und Lösungsvorschläge

5. Fazit

6. Literaturhinweise

1. Einleitung

Seit dem Jahr 2009 vergeht fast kein Tag, an dem in Nigeria keine Meldungen über Entführungen oder Anschläge der Terrororganisation Boko Haram in den Nachrichten zu lesen sind. Allein seit 2014 hat Boko Haram über 5500 Zivilisten getötet und mehr als 2000 Frauen und Mädchen entführt (Amnesty International, 2015a). Boko Haram hält Nigeria im Würgegriff des Terrors und geht brutal gegen all jene vor, welche sich ihnen in den Weg stellen. Die Politik und das Militär Nigerias gehen mit eiserner Hand gegen die Extremisten vor und begehen dabei ebenso viele Verbrechen wie die Terroristen selbst. Die Zivilbevölkerung ist der Leidtragende dieses Konflikts, auf dessen Schultern dieser Kampf ausgetragen wird.

In dieser Hausarbeit werde ich eine Betrachtung der Terrororganisation Boko Haram in Bezug auf ihre Entstehung, Entwicklung und den Kampf gegen sie vornehmen. Dabei soll die Fragestellung untersucht werden, wie es möglich war, dass sich Boko Haram von einer religiösen Sekte zu einer weitläufigen Terrororganisation entwickeln konnte und warum der Kampf gegen Boko Haram bis jetzt nicht entschieden wurde. Es ist nicht möglich, alle Problemzusammenhänge dieses Konflikts herauszuarbeiten, da dies den Umfang dieser Arbeit sprengen würde. Deshalb konzentriere ich mich bei dieser Hausarbeit auf die Gründung Boko Harams, die Veränderungen ab dem Jahr 2009 und auf den Kampf gegen Boko Haram von Seiten der Regierung und des Militärs und werde diesen kritisch analysieren.

Um eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Boko Haram zu gewährleisten, muss zum besseren Verständnis der religiösen Hintergründe als erstes der Islam in Nigeria im historischen Kontext eingeordnet werden (Kap. 2). Danach wende ich mich Boko Haram zu und erläutere die Entstehung und ihre Radikalisierung ab dem Jahr 2009 und deren Gründe dafür (Kap. 3). Darauf folgend werden die Aktivitäten der nigerianischen Regierung und das Engagement des Militärs gegen Boko Haram näher beleuchtet (Kap. 4), um abschließend das Fazit dieser Hausarbeit aufzuzeigen (Kap. 5).

2. Der Islam in Nordnigeria: Ein historischer Abriss

Die Geschichte des Islams in Nigeria geht bis ins 15. Jahrhundert zurück, als die ersten Hausakönige zum Islam konvertierten, und spielt bis heute eine zentrale Rolle in diesem Land (Comolli, 2015). Im Folgenden werde ich den Islam im Norden von Nigeria vorstellen. Dabei werde ich mein Augenmerk auf die Kolonialzeit und die Zeit nach der Unabhängigkeit legen, um so die für die Fragestellung relevante Ereignisse zu beschreiben.

2.1 Der Islam in der Kolonialzeit

1902 besetzten die Briten Nordnigeria und bildeten ein Protektorat. Zu dieser Zeit war der Norden schon seit 500 Jahren muslimisch. Die kulturellen und religiösen Unterschiede zum Süden Nigerias waren deutlich zu erkennen und es lebte nur eine christliche Minderheit im Norden. Die Kolonialisten formten eine Allianz mit den herrschenden Hausa-Fulani-Familien, welche muslimisch waren und etablierten ein System von „indirekter Herrschaft“ (Comolli, 2015: 17). Dabei wurde die Machtausübung über traditionelle Herrschaftsformen gesichert und die lokalen Machtstrukturen in die Kolonialverwaltung integriert. Die Briten mischten sich wenig in die Gesetzgebung und die Lebensweise der Menschen im Norden ein. Allerdings verboten sie „some deemed-inhumane bodily punishments such as amputation or death by stoning“ (Kane, 2006: 155). Aber islamische Familiengesetze, wie geheiratet wird etc., wurden beispielsweise weiterhin von islamischen Richtern geregelt, welche die Scharia als oberstes Gesetz sahen. Somit wurde von den Kolonialherren in Nigeria wenig Druck auf die Muslime im Norden ausgeübt. Der Islam, welcher deshalb weiterhin als wichtiger Teil des Nordens bestehen blieb und wenig Einflüsse von den Briten zu befürchten hatte, blieb bestehen und spielt bis heute eine wesentliche Rolle im sozialen Alltag als auch bei politischen Entscheidungen.1

2.2 Der Islam nach der Unabhängigkeit

Als Nigeria 1960 die Unabhängigkeit erlangte, begannen sich die Spannungen zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden zu verstärken. Es begann ein Machtkampf zwischen den Religionen und Ethnien um die Herrschaft Nigerias. Der Versuch den Norden zu „modernisieren“, veranlasste immer wieder Muslime, sich gegen die bevorstehenden Veränderungen zu stellen. So gab es die Yan-Izala- Bewegung, welche von Ismaila Idris 1978 gegründet wurde und sich dafür einsetzte, dass der Islam reformiert und moderne Islamschulen eingeführt wurden (Loimeier, 2012: 141). Doch es gab auch einige Anti-Reform-Bewegungen. Als Beispiel lässt sich hier die Maitatsine-Bewegung nennen, welche von dem Islamgelehrten Muhammad Marwa in den 1960er-Jahren ins Leben gerufen wurde und sich streng gegen alle nicht­muslimischen Lebensweisen, z. B. westliche Kleidung, aussprach und sich immer wieder Straßenschlachten mit den nigerianischen Sicherheitsbehörden lieferte. Am 19. Dezember 1980 versuchte Marwa mit seinen Anhängern die Freitagsmoschee von Kano zu stürmen. Bei den darauf folgenden Gefechten und Aufständen starben 6000 Menschen (Loimeier, 2012: 140). Dies war der Anfang von vielen Krisen und Aufständen, mit denen sich Nigeria auseinandersetzen muss: die Kano-Aufstände im Oktober 1982, die Universitätsaufstände von Ibadan im Mai 1986, die Kämpfe um die Debatte der Scharia 1988, die Zangon-Kataf-Krise von 1992 uvm. (vgl. Adesoji, 2010).

Diese Beispiele sollen verdeutlichen, dass der Islam im Norden Nigerias keine einheitliche Bewegung oder Allianz darstellt. Verschiedene Gruppen mit verschiedenen Interessen und Auslegungen des Islams buhlen um Machterhalt. Parteien und geistliche Führer versuchen mit allen Mitteln, ihren Einfluss und Reichtum zu vermehren und nehmen dabei wenig Rücksicht auf andere Menschen oder Glaubensrichtungen. Somit wird deutlich, dass der Islam im Norden Nigerias sehr starken Einfluss besitzt, was den Weg für Boko Haram geebnet und vereinfacht hat. Dabei haben Christen ebenso wie andere indigene Bevölkerungsschichten ebenfalls Interessen und versuchen politischen Einfluss zu gewinnen. Die Unabhängigkeit war also kein Garant für Frieden und Wohlstand, sondern eröffnete einen Machtkampf zwischen verschiedenen Interessengruppen.

Ich werde explizit nicht detailliert auf die politischen Probleme in Gesamtnigeria sowie die wechselnden Präsidenten und Militär-Putsche, eingehen, da dies für die Fragestellung nicht von direkter Relevanz ist. So viel sei allerdings gesagt: Nigeria hat seit seiner Unabhängigkeit unzählige gewaltsame Putsche und wechselnde politische Führer erlebt und ist in ethnische Fragmente aufgeteilt. Die Hausa-Fulani im Norden, die Yoruba im Südwesten und die Ibo im Südosten bilden die drei größten Gruppen, allerdings haben diese es nie geschafft, miteinander zu kooperieren, da alle ihre eigenen sozialen, politischen und religiösen Traditionen besitzen (Comolli, 2015: 18). Nigerias Demokratie hat nie funktioniert, auch die jetzige Regierung schafft es nicht, die Korruption und Willkür der herrschenden Eliten zu stoppen (Harnischfeger, 2012: 494).2

3. Boko Haram

Im weiteren Verlauf dieser Hausarbeit werde ich nun Boko Haram vorstellen. Dafür werde ich zuvor erläutern, was in dieser Arbeit unter Islamismus zu verstehen ist, um mich danach Boko Haram in ihrer Gründungszeit und ihrer Entwicklung ab 2009 zuzuwenden.3

3.1 Islamismus, islamischer Fundamentalismus und der Dschihad

Bevor ich Boko Haram vorstelle, werde ich die Begrifflichkeit Islamismus kurz erläutern, damit im weiteren Verlauf dieser Arbeit klar ist, welche Ziele Boko Haram als islamistische Terrororganisation verfolgt und wie die dazugehörigen Termini konnotiert sind, wenn ich über Fundamentalismus, den Islamismus oder den Dschihad in Bezug auf Boko Haram schreibe.

Die Islamwissenschaftlerin Sybille Wentker definiert den Islamismus folgendermaßen: „Unter Islamismus versteht man die politische Richtung des islamischen Fundamentalismus, in dem es um die Errichtung eines islamischen Systems, also eines islamischen Staates geht“ (Wentker, 2008: 37). Dabei spielt die Einführung des islamischen Rechts, der Scharia, und die Besinnung auf die Werte Mohameds eine zentrale Rolle. „Islamisten bezeichnen sich heute vielfach auch als Fundamentalisten, abgeleitet von dem selbst gegebenen Begriff al-uliyya al-islamiyya (die Wurzel/das Fundament des Islam)“ (Dietl/Hirschmann/Tophoven, 2006: 125). Sie lehnen den säkularen Nationalstaat und die Demokratie als westlich importierte Doktrin ab und sehen den Islam als allumfassendes System, das keine Unterscheidung von Staat und Religion zulässt (Wentker, 2008: 37). „Charakteristisch für den islamistischen Terrorismus ist die Abdeckung der politischen sowie religiösen Lebensbereiche durch die Scharia“ (Bechmann, 2012: 130). Die Scharia wurde auf Grundlage des Korans von islamischen Rechtsgelehrten im 7. Jahrhundert geschaffen und gilt als islamische Gesetzesordnung (Dietl/Hirschmann/Tophoven, 2006: 123), wobei die Legitimation der Regierenden nur durch die Scharia erfolgt, sprich: Alle Gesetzte werden aus dem Koran oder der Sunna (die Normen des Propheten Mohammed und der ersten vier Kalifen) abgeleitet. Die politische Ideologie der Islamisten erhebt für den Islam einen „Universal- und Absolutheitsanspruch“ (Dietl/ Hirschmann/ Tophoven, 2006: 124). Durch diese Ideologie wird die Scharia über alle staatlichen Verfassungen und Gesetze gestellt und Gewalttaten gegen andersdenkende Muslime oder Nicht-Muslime gerechtfertigt. So wird der Dschihad von Islamisten als „Konfrontation mit denen, die nicht ihrer Ansicht sind“ (Wentker, 2008: 39) gedeutet und als „heiliger Krieg“ dargestellt. In islamistischer Vorstellung ist der Dschihad der Kampf gegen Ungläubige zur Verwirklichung ihrer Ziele. Allerdings ist die Konnotation des Terminus „Dschihad“ vieldeutig und muss nicht zwangsläufig als Kampf oder Krieg verstanden werden (vgl. Wentker, 2008: 38f/ Dietl/Hirschmann/Tophoven, 2006: 130ff).

Wie ich im weiteren aufzeigen werde, ist Boko Haram im heutigen Zustand als islamistische Terrororganisation zu deklarieren. Die Zieldimensionen von Boko Haram gleichen den vorgenannten Zielen des Islamismus; ebenso ist die politische Ideologie dieser Gruppe als islamistisch zu definieren.

3.2 Entstehung von Boko Haram

Die Gründung der Gruppe, welche später als Boko Haram bekannt wurde, lässt sich auf das Jahr 2002 datieren. Der Islamgelehrte Mohammed Yusuf fiel durch seine fundamentalen Predigten auf, u. a. rief er seine Anhänger dazu auf, sich den korrupten Eliten entgegenzustellen und „eine Gemeinschaft aufzubauen, in der Männer und Frauen ganz nach den Geboten Gottes leben“ sollen (Harnischfeger, 2012: 498). Yusuf ließ sich in Maiduguri, der Hauptstadt des Bundesstaats Borno im Nordosten Nigerias, nieder und versammelte schnell Anhänger um sich, die ihn als religiösen Führer akzeptierten und ihm folgten. Dabei orientierten sich Yusuf und seine Gefolgsleute an den Taliban aus Afganistan. Sie folgten deren fundamentaler Ideologie, kleideten sich ähnlich und ließen sich lange Bärte wachsen, wodurch sie bald auch unter dem Namen "Nigerianische Taliban" bekannt wurden. Die religiöse Sekte, welche sich um Yusuf gebildet hatte, nannte sich selbst „Jama'atu ahlus sunna lid da'awati wal jihad“ (Comolli, 2015: 46), was soviel wie die Vereinigung der Sunniten für den Ruf zum Islam und den Dschihad bedeutet. Der Name Boko Haram wurde der Gruppe erst später von den Medien und der lokalen Bevölkerung gegeben und lässt sich übersetzen als „Westliche Bildung ist Sünde“ (Mättig, 2011: 1). Dabei ist „boko“ das Wort für Buch in Hausa und „haram“ heißt auf Arabisch „schlecht“, „sündhaft“ oder „gottlos“. Allerdings ist dieser Name metaphorisch zu verstehen und meint in seiner Spannweite soviel wie „gegen westliche Bildung“, „gegen moderne Wissenschaft“ oder „gegen westliche Lebensweisen“ (Adesoji, 2010: 100). Die Kritik Yusufs bezog sich hauptsächlich auf die westlichen Werte, welche er in Form von Drogen, Alkohol und Prostitution als Gefahr für seine muslimischen Mitmenschen sah.

[...]


1 Hier konnte der Islam in der Kolonialzeit nur angeschnitten werden. Für weitere Informationen empfehle ich: Ousmane Kane, 2006.

2 Auch konnte hier der Islam nach der Wiedervereinigung nur teilweise erläutert werden. Für tiefgreifendere Informationen siehe: Clarke/ Linden, 1983.

3 Ich möchte hier bemerken, dass die Informationen, welche über Boko Haram zu finden sind, teilweise varieren und sich nicht immer auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen lassen. Deshalb benutze ich nur Quellen, welche als Zuverlässig gelten. Youtube-Dokumentationen oder von Boko Haram veröffentlichte Stellungsnahmen auf Youtube berücksichtige ich nicht, da sich Urheberschaft und Wahrheitsgehalt nicht überprüfen lassen.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Boko Haram. Von einer muslimischen Sekte zu einer islamistischen Terroroganisation
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Veranstaltung
Regionalseminar Nigeria
Note
1,3
Autor
Jahr
2015
Seiten
18
Katalognummer
V511989
ISBN (eBook)
9783346093851
ISBN (Buch)
9783346093868
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Boko Haram, Islam, Nigeria, Terrororganisation, Ethnologie, Militär
Arbeit zitieren
Cristian Claus (Autor:in), 2015, Boko Haram. Von einer muslimischen Sekte zu einer islamistischen Terroroganisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/511989

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